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22 Juni 2009

Urheberrecht - Remix Verbot

Zukunft des Urheberrechts

Ein Schutzschirm für die Kreativen

Von Benjamin Lahusen

Wie wirkt der "Heidelberger Appell" in den Wissenschaftsbetrieb hinein? Antworten auf einer internationalen Konferenz zur Zukunft des Urheberrechts.


Protest gegen open access

11. Mai 2009 Genie sei die Naturgabe, dasjenige hervorzubringen, wozu sich keine bestimmte Regel geben lasse; folglich müsse Originalität die erste Eigenschaft des Genies sein. So schrieb Kant 1790 in seiner Kritik der Urteilskraft und brachte dadurch den Geniekult des Sturm und Drang mit einer verbindlichen Formel zum vorläufigen Abschluss. Als der Rückzug des Originalgenies aus Literatur und Philosophie begann, stellte ihm die Jurisprudenz mit dem Urheberrecht ein Refugium bereit, in dessen Gefilden es bis heute maßgeblichen Einfluss ausübt.

Beobachten ließ sich das in diesen Tagen auf einer internationalen Konferenz zur Zukunft des Urheberrechts, die das Bundesjustizministerium veranstaltete und mit dem Untertitel versah: "Was ist der richtige Schutz?" Dort trat in einer Podiumsdiskussion zur "Wissenswirtschaft" der Heidelberger Germanist Roland Reuß auf und erzählte dem Publikum vom vergangenen Jahrtausend, als er in jungen Jahren, unpromoviert und unerfahren, ohne öffentliche Unterstützung und gegen Widerstand der DFG einen Verleger für seine Kleist-Ausgabe fand, die 2007 mit großartigem Erfolg abgeschlossen wurde.

Guten Erfahrungen am CERN

Reuß hat zuletzt mit seinem "Heidelberger Appell" zur Verteidigung der wissenschaftlichen Publikationsfreiheit enorme Unterstützung erfahren; auf der Berliner Tagung freilich blieb er ein Fremdkörper. Wissenschaft als das schöpferische Treiben genialer Individuen auf der unbeirrten Suche nach Wahrheit . das kann weder für den Wissensbetrieb als exemplarisch gelten, noch taugt es als Paradigma für ein Urheberrecht, das von Filmen über Unterhaltungsmusik und Literatur bis hin zu naturwissenschaftlichen Spezialaufsätzen sämtliche Erzeugnisse geistiger Schaffenskraft mit einem einheitlichen Schutz vor fremder Einwirkung versieht.

Schon deshalb blieben die vehementen Angriffe von Reuß auf die jüngst diskutierten Vorschläge, öffentlich finanzierte Wissenschaftler dazu zu zwingen, ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit kostenlos online zugänglich zu machen, ohne nennenswerten Widerhall. Vielmehr prallten sie bereits an seinem Nebenmann auf dem Podium, Maarten Wilbers von der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN), ab. Dieser berichtete ausführlich von den guten Erfahrungen, die am CERN mit der . seit Gründung konsequent verfolgten . Politik des open access gemacht wurden. Der Nutzen der Allgemeinheit an dieser Offenheit lässt sich mit einem einfachen Hinweis auf das einstmals am CERN entwickelte WWW belegen, auf dessen Patentierung man bewusst verzichtete. Die . einigermaßen unrealistische . Möglichkeit, dass ein Leser der Kleist-Ausgabe vom Kauf absieht, nur weil er sich stattdessen auch ein selbst ausgedrucktes Exemplar ins Regal stellen könnte, fällt dagegen deutlich ab.

Sichtlich genervt

Doch nicht nur inhaltlich blieb Reuß ein Solitär. Auch seine polemischen Provokationen, die bis zum obligaten Nazi-Vergleich reichten (open access ist ein Eingriff in die Forschungsfreiheit und so hat es schon einmal angefangen), fanden keine Abnehmer. Die übrigen Teilnehmer sahen sich kaum veranlasst, von einem gelassenen Plauderton abzuweichen. Dabei enthielt das Thema der Konferenz durchaus Sprengkraft. Hatte Ministerin Zypries eingangs noch optimistisch formuliert, "wir alle" wollten ein "möglichst starkes Urheberrecht", wurde sie bereits durch die beiden Eröffnungsredner widerlegt. Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, ging es vor allem um die Einbettung des Urheberrechts in einen wettbewerbsfreundlichen Rahmen. Dort darf das Urheberrecht gerade so stark sein, dass es Anreize für weitere Kreativleistungen und deren Verwertung bietet, die größer sind als die Nachteile, die der Markt durch eine zeitweilige Monopolstellung des Urhebers erleidet. Maßvolle Schutzfristen, eine Differenzierung des Schutzniveaus je nach Produkt, im Einzelfall auch Zwangslizenzen tragen zu einem "gesunden Wettbewerb" bei, der alles weitere dem Markt überlassen kann.

Ähnliche Forderungen erhob auch der Münchener BWL-Professor Dietmar Harhoff, der verschiedene Faktoren wie einen monopolbedingten Wohlfahrtsverlust, die Verfallsrate verschiedener Werkgattungen und die monetäre Motivation bei der Schöpfung neuer Werke zusammenwarf, um daraus eine angemessene urheberrechtliche Schutzfrist zu errechnen. Herauskamen fünf bis dreißig Jahre ab Erstellung eines Werkes, weshalb Harhoff die jüngste europäische Richtlinie zur Verlängerung der Schutzfristen auf siebzig Jahre heftig kritisierte. Dagegen wiederum setzte sich, sichtlich genervt, Tilman Lüder, Referatsleiter Urheberrecht bei der Kommission, zur Wehr, der wie sein Kollege Jacques Toubon vom Europäischen Parlament jeden Verdacht von Lobbyismus und Industriefreundlichkeit mit Verweis auf die verschiedenen Kompromisszwänge in der politischen Behandlung des Urheberrechts beiseite zu wischen versuchte. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen: Da Harhoff nicht offenlegte, wie er die einzelnen Faktoren gewichtet hatte, hätte man sich damit trösten können, dass ein anderer Rechner zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

Das Recht hinkt hinterher

Aber das war nicht das einzige Problem der Tagung. Denn das zu Beginn ebenfalls angekündigte Interesse an großen Linien und Grundfragen des Urheberrechts ging allzu schnell verloren. Die Frage etwa, inwieweit geistiges Eigentum überhaupt noch Eigentum ist, wenn es nach der Amortisation von Investitionen an die Allgemeinheit fällt, verschwand nahezu vollständig hinter dem Nebel von ökonomischen Interessenabwägungen. Dadurch blieb auch die persönlichkeitsrechtliche Komponente des Urheberrechts, die in der kontinentaleuropäischen Tradition stark verwurzelt ist, weitgehend ausgeblendet. Lediglich der norwegische Jazz-Musiker Bendik Hofseth rief zurecht in Erinnerung, dass sich die grundlegenden Verbindungen des Urheberrechts zur individuellen Autonomie der europäischen Aufklärung auch in Differenzierungswut nicht ersticken lassen.

Doch auch in Einzelfragen kam man wenig weiter. Einigkeit bestand zwar in einer allgemeinen Skepsis gegenüber Google Books. Aber schon die wirtschaftlichen Auswirkungen von open access auf wissenschaftliches Publizieren konnten nicht geklärt werden. Eric Merkel-Sobotta vom Wissenschaftsverlag Springer verwies zwar auf Gewinnmargen von bis zu 25 Prozent beim Vertrieb von Zeitschriften; Reto Hilty aber ging davon aus, dass dieser Gewinn vollständig verschluckt werde, wenn die Publikation in die Verantwortung der deutlich weniger effizient arbeitenden öffentlichen Hand fiele. Open access würde dann lediglich ein Umschichtungsverfahren von Subventionen. Genauso offen blieben kausale Zusammenhänge zwischen digitaler Revolution und den Umsatzeinbrüchen der Tonträgerindustrie. Nachdrücklich bestritten wurden sie von dem Publizisten Matthias Spielkamp, erwartungsgemäß . aber mit deutlich schwächeren Argumenten . unterstrichen von Shira Perlmutter von der Internationalen Vereinigung der phonographischen Industrie.

Immerhin wurde deutlich, dass das traditionell schwerfällige Recht den leichtfüßigen Entwicklungen der Technik nur hinterherhinken kann. Francis Gurry, Generaldirekter der World Intellectual Property Organization, wies deshalb allzu große Hoffnungen an das Recht zurück und forderte stattdessen eine allgemeine Debatte darüber, wie in Zukunft Kultur finanziert und wirtschaftlich gestaltet werden könne. Und was die Situation der Künstler betrifft, wurde vielfach darauf hingewiesen, dass ihnen am ehesten durch Änderungen des Urhebervertragsrechts . vor allem auf internationaler Ebene . zu helfen sei. Der einzelne Kreativmensch ist in seinem Wirken häufig genauso schutzbedürftig wie ein Arbeitnehmer oder Wohnungsmieter. Der Anspruch auf angemessene Vergütung muss daher nicht nur gewährt, sondern auch durchgesetzt werden. Ein leerer Bauch hindert den Kopf schließlich auch dann am Schöpfen, wenn es sich um den Kopf eines Genies handelt.