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28 Mai 2009

Staatsterror Gang und Gaebe - Kurras Ohnesorg

07. November 2005 Wer über den Terror spricht, der die Bundesrepublik in den siebziger Jahren in ihre schwerste Krise stürzte, der handelt für gewöhnlich von der RAF. Weitgehend in Vergessenheit geraten ist dagegen der rechte Terrorismus jener Jahre, obgleich allein Anfang der Achtziger mehr Menschen durch rechtsextreme Täter starben als in den Jahren der RAF zusammen.

So rechnen es der Autor Yury Winterberg und der Regisseur Jan Peter in ihrer verstörenden Dokumentation .Der Rebell. vor, die Arte an diesem Montag abend - leider viel zu spät - ausstrahlt. Von .einer der unheimlichsten Biographien der bundesrepublikanischen Geschichte., so das Duo, handele ihr Porträt. Mit gleichem Recht aber könnte man es mit Hannah Arendt einen Bericht von der Banalität des Bösen nennen. Im Fall des Odfried Hepp tritt es als Chamäleon auf.

Einer der meistgesuchten Terroristen der Welt

Bis zu seiner Festnahme 1985 war der Neonazi Odfried Hepp einer der meistgesuchten Terroristen der Welt, gleichzeitig im Südlibanon ausgebildeter Offizier der Palästinensischen Befreiungsfront und Stasi-Informant. 1982 verübte seine .Hepp-Kexel-Gruppe. mehrere durch Banküberfälle finanzierte Attentate auf Angehörige der amerikanischen Armee in Frankfurt, Butzbach, Darmstadt und Gießen. Versehen mit unzähligen Pseudonymen und Masken sowie einem falschen bundesrepublikanischen Paß, den ihm die Stasi besorgte, floh Hepp über Damaskus, Tunis und Barcelona nach Marseille, bevor er in Paris vom französischen Geheimdienst verhaftet wurde.

Dem .Spiegel. galt er als .Chefdenker der Neonazi-Szene., und selbst die .taz. druckte sein Manifest .Abschied vom Hitlerismus., in dem er den Schulterschluß mit der RAF suchte, um gemeinsam den .Befreiungskampf. zu führen, sprich die .amerikanische Besatzungsmacht. aus Westdeutschland herauszubomben.

Psychogramm eines politisierten Gewalttäters

Winterberg und Peter lassen den Aussteiger, der heute unauffällig lebt und nur gelegentlich Besuch vom Verfassungsschutz erhält, seine Lebensgeschichte an den Originalschauplätzen weitgehend unkommentiert, nur unterstützt durch die Schilderungen von Weggefährten, selbst erzählen. Mit den naheliegenden Folgen: Zwar glorifiziert Odfried Hepp, der in der Neonazi-Szene mittlerweile als Verräter gilt, weder seine einstige Gesinnung noch seine Gewalttaten, durchweg aber banalisiert er sie. Vom Tod des braunen Kameraden Kai-Uwe Bergmann, der von der berüchtigten .Wehrsportgruppe Hoffmann. im PLO-Lager wegen heimlichen Rauchens zu Tode gefoltert wurde, spricht er, als habe es sich um Sandkastenbübereien gehandelt - im übrigen eine der wenigen Stellen des Films, in denen der Kommentar die Darstellung Hepps direkt durch Ergänzungen konterkariert.

Darüber hinaus jedoch entsteht durch die rückschauend distanzierte Unmittelbarkeit, mit der Hepp über die Anfänge seiner nazistischen Weltsicht im Elternhaus berichtet, wie über die gewollte allgemeine Verunsicherung des Terrors (.die Masse unten kann man nicht schützen.) das exemplarische Psychogramm eines politisierten Gewalttäters, wie es aktueller nicht sein kann.

Ein Film, der sich die einfachen Antworten verkneift

Erschreckend ist, wie ungerührt Hepp heute wirkt. Nachdem er den Hauptteil seiner insgesamt vierzehnjährigen Freiheitsstrafe verbüßt hatte, ist er wieder ins Elternhaus nach Achern im Schwarzwald gezogen, wo einst das rechtsradikale Liedgut von Hepps .Kampfgruppe Schwarzwald. wohlwollend geduldet war, solange sie nicht nach 22 Uhr sangen, wie die jüngere Schwester berichtet. Als freundlicher Cicerone führt Hepp durch den Garten, zeigt hier des Großvaters .Hühnerhotel. und da den Kirschbaum und warnt fürsorglich vor unebenen Kellertreppenstufen. Nach seiner Entlassung hat er das Studium des Französischen und Arabischen mit Diplom abgeschlossen und beim Verfassungsschutz - vergeblich - um eine Festanstellung nachgesucht. Was er treibt, bleibt im dunkeln.

Ergänzt werden die Selbstauskünfte Hepps durch den ehemaligen Weggefährten Steffen Dupper, der die charismatische Persönlichkeit des Ex-Terroristen hervorhebt, sowie durch seinen ehemaligen Stasi-Führungsoffizier Eberhard Böttcher, den die Qualitäten seines einstigen .Spitzenmannes. begeistern. Doch wer ist der eigentliche Odfried Hepp? Das will die Dokumentation nicht abschließend beantworten. Seinen Selbstaussagen traut sie nur bedingt, und darin liegt ihre Qualität: Indem Yury Winterberg und Jan Peter eingangs Novalis zitieren, setzen sie den Ton und die folgenden neunzig Minuten in Anführungszeichen: .Das größte Geheimnis ist der Mensch sich selbst.. Und bleibt es den anderen. Im Guten wie im Bösen. Besonders aber im Bösen.

An diesem Montag um 23.35 Uhr bei Arte.

Text: F.A.Z., 07.11.2005, Nr. 259 / Seite 40
Bildmaterial: SWR/privat

Wehrsportgruppe Hoffmann und Gladio

Peter Mühlbauer 26.05.2009
Die Grünen fordern von der Bundesregierung Auskünfte zum Oktoberfest-Attentat
Am 26. September 1980 explodierte auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe, durch die 13 Menschen ums Leben kamen und Hunderte teilweise schwer verletzt wurden. Obwohl unter anderem Zeugenaussagen auf mehrere Täter hindeuteten, wurden die Ermittlungen damals mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass der Geologiestudent Gundolf Köhler den Anschlag, bei dem er selbst ums Leben kam, im Alleingang verübte.

Die Recherchen des Historikers Daniele Ganser und des Journalisten Tobias von Heymann[1] warfen in den letzten Jahren zahlreiche neue Fragen zu diesem Ereignis auf, von denen die Bundestagsfraktion der Grünen nun einige der Regierung vorlegte. Gleichzeitig will der Münchener Rechtsanwalt Werner Dietrich, der ein direktes und mehrere indirekte Opfer des Attentats vertritt, bei der Bundesanwaltschaft erreichen, dass die Ermittlungen mit "neuen kriminaltechnischen Erkenntnismöglichkeiten" wiederaufgenommen werden.

Letzteres dürfte sich allerdings insofern als schwierig erweisen, als nach Angaben des bayerischen Justizministeriums "keinerlei Asservate mehr vorhanden" sind, an denen Materialherkunfts- oder DNA-Tests vorgenommen werden könnten. Alle Gegenstände seien nämlich "entweder vernichtet oder zurückgegeben" worden. Bemerkenswert ist diese Auskunft nicht nur deshalb, weil man damals beträchtliche 1.500 Beweisstücke sicherstellte, sondern auch, weil eigentlich gerade die Asservaten aus einem so spektakulären Fall die Kriterien für Archivwürdigkeit erfüllen müssten. Man wird sehen, ob die Anfrage einer Bundestagsfraktion hier andere Antworten zu Tage bringt, als sie das bayerische Justizministerium der Presse gibt.
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Neben Beweisstücken könnten allerdings auch die etwa 1.800 Zeugenaussagen und rund 100 Gutachten zur Gewinnung neuer Erkenntnisse genutzt werden, weshalb die Grünen auch wissen wollen, was aus diesem Material wurde.

Zwei Schwerpunkte der Anfrage sind die Wehrsportgruppe Hoffmann und die Gladio-Strukturen. So möchte die Partei beispielsweise wissen, wer die vom der Generalbundesanwaltschaft nach dem Attentat vernommenen Mitglieder der von Karl-Heinz Hoffmann gegründeten Organisation waren, was bei den Durchsuchungen und Verhören heraus kam und woher der damalige bayerische Innenminister Gerold Tandler seine Einschätzung hatte, dass "alle Ermittlungen" dafür sprächen, "dass die Angehörigen der Wehrsportgruppe Hoffmann schuld sind an diesem Massenmord auf der Wies'n". Die Einschätzung, dass der Anschlag "durch rechts-extremistische Kreise inszeniert" war, sollen damals auch zwei Bonner Staatssekretäre geteilt haben, deren Identität die Bundestagsfraktion klären lassen will.

Aufklärung erhofft man sich außerdem über mögliche Verbindungen Hoffmanns zu den Olympia-Attentätern von 1972 sowie zur Herkunft des Geldes dieser Gruppe und zu den in- und ausländischen Kontakten mit anderen Organisationen - besonders zu solchen im südlichen Afrika, im Nahen Osten und in Italien. Auch zu den 20 Rechtsextremisten, die dort nach dem Attentat angeblich als Verdächtige festgenommen wurden, und zu einem Bekenneranruf der "Rechten von Bologna" will man Genaueres wissen. Weiterhin von Interesse sind für die Grünen die Rolle des mutmaßlichen BND-Agenten Udo Albrecht, der Doppelmord an Shlomo Levin und Frida Poeschke sowie der Foltermord an Kai-Uwe Bergmann.

Die Fragen zu Gladio und den Stay-Behind-Strukturen stützen sich zu einem großen Teil auf die bei der Birthler-Behörde gelagerten Akten der DDR-Staatssicherheit, die Wolfgang Schäuble vernichten lassen wollte. Dort finden sich unter anderem Berichte darüber, dass unter Anleitung und mit Hilfe westlicher Geheimdienste "im Zeitraum 1966 bis in die 70er Jahre hinein in Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland Waffenlager angelegt, Pläne für die Sprengung von Verkehrsknotenpunkten und Großbetrieben sowie Putschpläne ausgearbeitet und so genannte Antikommunistische Aktionsgruppen gebildet" wurden. Hinsichtlich dieser Spezialkräfte für den "subversiven Kampf" wollen die Grünen wissen, ob die Bundesregierung ausschließen kann, dass Organisationen wie die Deutschen Aktionsgruppen, die Aktionsfront Nationaler Sozialisten, der Heimatschutzverein Eifel, die Braunschweiger Gruppe oder die Wehrsportgruppe Hoffmann an solchen Strukturen beteiligt waren.

Ebenfalls in den MfS-Akten finden sich Hinweise darauf, dass eine italienische Terrorgruppe namens Kampf gegen den Kommunismus in einem "geheimen NATO-Stützpunkt auf Sardinien und in einem Lager in Bayern ausgebildet" und mit Waffen aus Westdeutschland ausgestattet wurde. Unter anderem deshalb enthält das offizielle Auskunftsersuchen auch Fragen dazu, inwieweit der Bundesnachrichtendienst, der im sardinischen Sassiri eine Residentur unterhält, in solche Aktivitäten verwickelt war.


[1]
Heymann, Tobias von: Die Oktoberfestbombe. Berlin: Nora 2008. Die hier behandelten Teile der Kleinen Anfrage stützen sich auf die Seiten 79, 175, 183, 192, 198, 200, 283, 286, 295 ff., 345, 357, 363, 370 ff., 377 ff. 393 ff., 415 ff. und 424


13. Mai 2009
Oktoberfestattentat in München endlich vollständig aufklären

Am 26. September 1980, zwei Tage vor einer Bundestagswahl, bei der der CSU-Vorsitzende FJ Strauß Bundeskanzler werden wollte, explodiert auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe, tötete 13 Menschen und verletzte fast 200, zum Teil sehr schwer.

29 Jahre danach ist diese Terrortat nicht vollständig aufgeklärt, an der These eines verwirrten jugendlichen rechten Einzeltäters gibt es mehr Zweifel denn je.

Nach jahrelangen Recherchen sind neue Hinweise auf eine organisierte rechtsradikale Tat aufgetaucht. Deutsche Geheimdienste stehen im Verdacht, über Agenten in dem Feld des rechten Terrors präsent gewesen zu sein. Die damalige Wehrsportgruppe Hoffmann, in der schon immer die Hintermänner des Anschlags vermutet wurden, soll genau in den Tagen der Terrortat unter Observation gestanden haben.

Die möglichen Verbindungen des Attentäters Köhler und der Materialien der verwendeten Bombe zum rechtsterroristischen Umfeld, zu deutschen Geheimdiensten und zu westeuropäischen Sabotageeinheiten in vielen NATO-Staaten sind durch Dokumente, die in den Unterlagen der Staatssicherheit der DDR gefunden worden, müssen restlos aufgeklärt werden. Noch vorhandene Beweismittel müssen mit modernen Methoden nochmals auf ihre mögliche Herkunft aus rechtsterroristischen Zusammenhängen untersucht werden. Beziehungen des getöteten Bombenlegers Köhler und seines Umfelds zu Geheimdienstkreisen in Deutschland, in den westeuropäischen Staaten und zur CIA der USA müssen jetzt endlich aufgedeckt werden. Mord kennt keine Verjährung, weshalb auch die seltsame Tatsache zu untersuchen ist, warum Beweismittel des Oktoberfestattentats nicht mehr auffindbar und angeblich aus dem Besitz der Generalbundesanwaltschaft verschwunden sind.

Wir GRÜNE haben deshalb eine umfangreiche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet und verlangen Aufklärung. Mir als Münchner Bundestagsabgeordneten liegt es besonders am Herzen, endlich Licht in das Dunkel des Oktoberfestattentats kommt und mögliche Täter und Hintermänner zur Verantwortung gezogen werden.


Inszenierter Terror

Reinhard Jellen 25.09.2008
Interview mit Daniele Ganser über die NATO-Armee Gladio. Teil 1
Daniele Ganser ist Historiker an der Universität Basel. In seinem Buch "NATO Geheimarmeen in Europa" untersuchte er die Verstrickungen der Organisation Gladio, die im Kalten Krieg Rechtsextremisten rekrutierte und für verschiedene Terroranschläge verantwortlich war.

Herr Ganser, zuerst einmal eine technische Frage: Wie schreibt man eine Doktorarbeit über ein Thema über das es nur wenige offizielle Dokumente gibt, weil die staatlichen Stellen die Existenz von militärischen Geheimtruppen in ihren Ländern leugnen?

Daniele Ganser: Ich konnte auf ein Dokument des italienischen Geheimdiensts SIFAR zurückgreifen, welches in den 50er Jahren verfasst wurde. Das Dokument trägt den Titel "Die Spezialeinheiten des SIFAR und die Operation Gladio". Dieses bestätigte, dass es in Italien eine Geheimarmee gab, dass zweitens diese Geheimarmee den Namen Gladio trug, dass drittens diese von der CIA aufgebaut, ausgerüstet und unterstützt wurde, dass viertens Gladioorganisatorisch innerhalb des italienischen militärischen Geheimdienst angesiedelt war und dass fünftens ähnliche Geheimarmeen auch im Ausland existieren und durch spezielle Ausschüsse innerhalb der NATO koordiniert werden.

Diese geheimen Ausschüsse sind in diesem Dokument auch noch benannt: Es sind das Allied Clandestine Commitee und das Clandestine Planning Committee. Dieses Dokument habe ich als Basis genommen und durch parlamentarische Untersuchungsberichte zu den Geheimarmeen in Italien, Belgien und der Schweiz und einschlägige Werken wie Memoiren und Erinnerungen von Generälen und Geheimdienstoffizieren und Forschungen von Journalisten ergänzt.

Sie schreiben in ihrem Buch es hätte im NATO-Vertrag einen Geheimpassus gegeben, der jedes Mitgliedsland verpflichtete inoffizielle militärischer Strukturen aufzubauen, um im Falle einer Machtübernahme der Kommunisten im Verbund mit Rechtsradikalen den Gegenschlag anzutreten...

Daniele Ganser: Dazu muss man zunächst sagen, dass solche geheimen Zusätze zu den NATO-Verträgen im Original den Historikern nicht zugänglich sind, wenn es sie denn gibt. Ich nehme hier eine Diskussion auf, die existiert: Verschiedene Leute in der Forschung zu den Geheimarmeen haben behauptet, dass es diese geheimen Zusätze gab, aber erwiesen ist das nicht.
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Das muss man schon unterscheiden. Wenn ein Land Mitglied der NATO wird, unterzeichnet es einen Vertrag und der ist auch öffentlich einsehbar. Aber ob es dazu geheime Zusätze gibt, die den Aufbau einer Geheimarmee explizit fordern, kann man bis heute nicht beweisen. Was man aber weiß ist, dass in der Tat in allen NATO-Ländern Geheimarmeen aufgebaut wurden und da dies geschehen ist deutet dies darauf hin, dass dies von der NATO gefordert wurde.

Wer war an der Schaffung dieser Organisationen beteiligt?

Daniele Ganser: Wichtig und zentral waren die militärischen Geheimdienste des jeweiligen Landes, die beraten von den Siegermächten aus Washington und London überzeugte Anti-Kommunisten rekrutierten. Das waren zum einen Teil Rechtsextreme aber auch Konservative und Katholiken aus dem politischen Zentrum, die auch anti-kommunistisch eingestellt waren. Es wurden keine Linken rekrutiert, weil man die NATO einerseits durch eine Invasion durch die Sowjetunion, andererseits durch die Machtergreifung der Kommunisten in den Demokratien von Westeuropa gefährdet wähnte.

Es kam also am Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem Umdenken innerhalb der westlichen Alliierten, die bislang die kommunistischen Widerstandskämpfern in den besetzten Ländern unterstützt hatten ...

Daniele Ganser: Dies ist in der Tat eine der großen Kehrtwendungen in der Geschichte. Es ist richtig, dass im Zweiten Weltkrieg z. B. in Italien die Kommunisten gegen Mussolini und die Faschisten kämpften und so haben die Amerikaner mit den Kommunisten zusammengearbeitet. Das gleiche haben auch die Engländer in Griechenland gemacht. Am Schluss des Krieges, als absehbar war, dass Hitler und Mussolini den Krieg verlieren, dachten die Kommunisten in Italien, Griechenland und Frankreich, dass die Unterstützung der Amerikaner und der Briten echt war, aber sie war nur strategisch als so genannte Balance Of Power gedacht.

Organisation Gehlen

Die USA und die Briten stoppten am Ende des Krieges die Waffenlieferungen an ihre kommunistischen und sozialistischen Waffenbrüder. Diese waren sehr enttäuscht und erkannten, dass die Engländer und Amerikaner nach dem Prinzip vorgingen: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Und als der eine Feind geschlagen war, wurden nicht die gegnerischen Widerstandsbewegungen weiter unterstützt, sondern die ehemaligen Feinde, also plötzlich Faschisten und Rechtsextreme. Mit Moral hat das wenig zu tun, aber viel mit Strategie und Macht. In Deutschland gab es auch diese Kehrtwende. Als man die Niederlage Hitlers erreicht hatte, durchkämmten der amerikanische Geheimdienst Counter Intelligence Corps (CIC) ganz Deutschland nach Nazis, die im Kampf gegen den Kommunismus gebraucht werden konnten. Am bekanntesten ist der erste deutsche Geheimdienstchef nach dem Zweiten Weltkrieg, Reinhard Gehlen.

Dieser General von Hitler ist nur dadurch Geheimdienstchef geworden, weil das CIC herausgefunden hatte, dass Gehlen an der Ostfront im Kampf gegen die Kommunisten beteiligt gewesen war, dort sehr brutale Verhörmethoden z. T. mit Folterungen verwendete und die Ergebnisse aufzeichnete, welche dann am Ende des Krieges in den österreichischen Alpen vergraben wurden. Diese Daten offerierte Gehlen den Amerikanern, worauf er nach Washington zu Präsident Truman geladen und Direktor der Organisation Gehlen wurde. Die Amerikaner haben also in Nürnberg einen Teil der Nazis auf moralischer Basis abgeurteilt und einen anderen Teil der führenden Nationalsozialisten wiedereingesetzt, weil man sie im Kalten Krieg brauchte.

Wann wurde das Konzept von Stay-Behind-Strukturen zugunsten der Unterstützung Rechtsradikaler und terroristischer Aktivitäten aufgegeben?

Daniele Ganser: Man kann nicht sagen, dass das Netzwerk eine Zeit die eine Funktion ausgeführt hat, nämlich die Vorbereitung auf die sowjetische Besetzung und den darauf folgenden Kampf als Guerilla-Armee im Untergrund, diese dann aufgegeben und dann die Aufgabe der Bekämpfung der kommunistischen Bewegung in den westlichen Demokratien übernommen hat. Das lässt sich nicht trennen. Dieses Netzwerk hat in allen europäischen NATO-Ländern und auch in neutralen Nationen während des gesamten Kalten Krieges, d.h. von 1947 bis 1991 existiert und in allen diesen Ländern eine doppelte Aufgabe gehabt: Erstens sich gegen eine sowjetische Invasion zu wappnen, dazu hat man Trainings- und Waffenlager angelegt und zweitens hatte es die mögliche Funktion, dass es ganz unabhängig von einer Invasion gegen einen inneren Feind eingesetzt würde. So steht es auch im eingangs erwähnten Dokument des italienischen Geheimdienstes aus den 1950er Jahren. Es ist aber nur in wenigen Ländern zu diesem inneren Einsatz gekommen, dass also Rechtsextreme innerhalb dieser Gladio-Netzwerke in enger Zusammenarbeit mit den entsprechenden Geheimdiensten der Länder und in Kontakt mit den Geheimdiensten der Amerikaner und Engländer tatsächlich Terroranschläge ausgeübt haben.

Hierzu gibt es in Italien den bestdokumentierten Fall: Der Anschlag von Peteano aus dem Jahre 1972, also nach 1968, als die Linke Zulauf hatte und die politische Rechte und die Amerikaner wegen des Vietnamkrieges heftig kritisiert wurden. Peteano wurde zuerst den linken Terroristen, den Roten Brigaden in die Schuhe geschoben. Das war der Trick, man wollte die Kommunisten schwächen. Erst Jahre später fand man, dass Vincenzo Vinciguerra mit Hilfe der Geheimdienste den Terroranschlag ausführte, und das auch gestand.

"Andreotti hat im Sommer 1990 zugegeben, dass es diese Geheimarmee gibt"

Das war die extreme Rechte, und führte später zur Aufdeckung der Gladio- Geheimarmeen. Diese Funktion des Eingreifens in das Innere der Demokratien Westeuropas ist bestimmt der brisanteste Aspekt dieser Geheimarmeen und sehr kompliziert. Man getraut sich ja heute kaum, über manipulierten amerikanischen Terror in Europa nachzudenken, geschweige denn, darüber zu schreiben. Das ist eine Tabuzone. Aber ich glaube, die Wissenschaft muss das nun aufarbeiten

Wann und wie ist die Existenz von Gladio-Einheiten in Europa erstmals an die Öffentlichkeit gedrungen und wie haben die offiziellen Stellen reagiert?

Daniele Ganser: Das war 1990 als in Italien der Untersuchungsrichter Felice Casson, der den Terroranschlag von Peteano untersuchte, im Archiv des italienischen Geheimdienstes SIFAR eine umfangreiche Untersuchung durchgeführt hatte und eben auf die Existenz dieser Geheimarmee gestoßen war und dies mit Dokumenten belegen konnte. Daraufhin hat Casson den italienischen Senat eingeschaltet, weil seine Entdeckung eine Antwort auf viele ungeklärte Terroranschläge in Italien zu geben schien. Danach hat der italienische Senat den Premierminister Giulio Andreotti gezwungen, eine Erklärung abzugeben, ob es diese Geheimarmeen tatsächlich gäbe, warum und wie diese funktioniert. So hat Andreotti im Sommer 1990 zugegeben, dass es diese Geheimarmee gibt. Er hat zwar behauptet, diese sei nur für den Fall einer sowjetischen Invasion geschaffen worden, aber um sich selber zu schützen, hat er gleich angeführt, es sei nicht nur in Italien zum Aufbau einer solchen Organisation gekommen, sondern die NATO halte solche Geheimarmeen überall in ganz Europa. Dann hat auch Griechenland die Existenz einer Geheimarmee zugegeben.

In Frankreich hat dies Francois Mitterand abgestritten, worauf Andreotti aussagte, beim letzten Geheimtreffen dieser Armeen in Brüssel wären auch die Franzosen dabei gewesen und so mussten auch die Franzosen letztendlich zugeben, dass man eine Geheimarmee unterhalte. Auch in Deutschland hat man zunächst abgestritten und abgewartet. Es war kurz vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen, die regierende CDU wollte nicht darüber sprechen, doch Abgeordnete der oppositionelle SPD, darunter Hermann Scheer kritisierten die Geheimarmee scharf, diese sei ja fast wie ein Ku-Klux-Klan", es wäre illegal, eine solche Geheimarmee zu haben. Scheer forderte, die deutsche Justiz müsse diese Sache untersuchen. Dann hat die CDU die SPD darauf hingewiesen, dass auch während der Regentschaft Willy Brandts und Helmut Schmidts von der SPD solche Geheimeinheiten aktiv waren. Daraufhin wollte auch die SPD nicht mehr öffentlich über das Thema sprechen, und das Dossier Geheimarmeen wurde in die Parlamentarische Kontroll-Kommission PKK abgeschoben, wo dieses hinter verschlossen Türen behandelt wurde.

Die Öffentlichkeit weiß bis heute sehr wenig über das Thema Geheimarmeen, auch weil die NATO nie wirklich darüber informiert hat. Nach den Enthüllungen von Andreotti hat die NATO die Existenz von Geheimarmeen zuerst abgestritten, so was gäbe es nicht bei der NATO, am nächsten Tag musste die NATO aber dann doch zu, dass es solche Geheimarmeen gebe, aber man dürfe nichts darüber sagen. Es gab dann eine geheime Konferenz der NATO-Botschafter, wo sie von amerikanischen Generälen darüber informiert wurden, dass die Geheimarmeen nur ein Widerstandsnetz gebildet hätten und niemals in Terrorgruppen aktiv waren. Doch das Parlament der Europäischen Union wollte und konnte dies nicht glauben und drängte auf die Untersuchung von Anschlägen. Zudem hat das EU-Parlament bei der NATO, der CIA und den hiesigen Geheimdiensten vehement protestiert, die Existenz von Geheimarmeen in Europa sei nicht hinnehmbar, diese würden fundamentale Verfassungs- und demokratische Prinzipien verletzen, aber diese Forderungen des EU-Parlaments wurden nie erfüllt. D.h. es gibt bis heute keine umfassende Untersuchung der EU über die Geheimarmeen der NATO, obschon die EU jedes Jahr tonnenweise Text produziert, aber zu den Geheimarmeen schweigt sie, und daher ist den meisten Leuten in Europa auch überhaupt nicht bekannt, dass es die NATO-Geheimarmeen gegeben hat.

Wie oft und bei welcher Gelegenheit sind Gladio-Einheiten in Öffentlichkeit getreten?

Daniele Ganser: Man hat in der Öffentlichkeit, nie gemerkt wenn eine Gladio-Einheit im Einsatz war. Was wir im Rückblick rekonstruieren können ist, dass diese Organisationen in den verschiedenen Ländern unter verschiedenen Namen existierten: In Italien war es z.B. Gladio, in der Schweiz P 26, in Belgien SDRA 8 und in Deutschland Stay Behind. In Deutschland gab es eine Verbindung zum Bund deutscher Jugend technischer Dienst (BDJTD). Diese war ein Teil der deutschen Geheimarmee. In den fünfziger Jahren ist dann ein Mitglied des BDJTD, aus Gründen welche die Forschung nicht mehr rekonstruieren kann, an die hessische Polizei herangetreten und erklärt, er sei Mitglied einer Geheimarmee, wolle aber aussteigen.

Todeslisten

Danach fand die Polizei Proskriptionslisten bei der Deutschen Geheimarmee, auf denen Sozialisten und andere Linke aufgeführt waren, die man im Falle einer Invasion durch die Sowjetunion umbringen wollte, weil man sie der Kollaboration verdächtigte. Es sind also immer wieder Hinweise und Indizien aufgetaucht, man hat auch Waffenlager gefunden, die aber isolierte Phänomene blieben. Es gab auch in Norwegen Entdeckungen, aber die internationale Struktur blieb verborgen. In Italien gab es Diskussionen über den Parallelgeheimdienst, den so genannten Parallel SID". D.h. man hat immer wieder vermutet, dass es im Geheimdienst Parallelstrukturen gab, wusste aber nicht, dass dies Gladio war, der Begriff war gar nicht bekannt. Bis 1990 blieben dies alles isolierte Phänomene und erst jetzt können wir ein gemeinsames Muster rekonstruieren. Natürlich weiß auch die historische Forschung heute nicht alles über die NATO-Geheimarmeen, aber wir wissen schon ziemlich viel.

Wäre es also nach einem Wahlsieg der Kommunisten in einem westeuropäischen Land zu ähnlichen militärischen Aktionen gekommen wie z. B. in Südamerika?

Daniele Ganser: Meinen sie die CIA-Intervention in Chile 1973, die zum Sturz von Alliende und zur Installation von Diktator Pinochet führte? Das ist zumindest denkbar, obschon natürlich Südamerika im Kalten Krieg viel mehr unter Terror litt als Europa, denken sie an die Todesschwadrone in Nicaragua. Aber auch in Europa hatte man Geheimarmeen. Denn man wollte in Italien auf alle Fälle verhindern, dass die Kommunisten, die ja in den Parlamenten sehr stark vertreten waren in die Exekutive gelangen, also in einer Regierung Ministerposten bekommen, weil Washington und London befürchtete, dass ein kommunistischer Verteidigungsminister NATO-Geheimnisse an Moskau verraten würde.

Als Aldo Moro, der frühere italienische Premierminister der Christdemokraten nach Washington flog und dem Außenminister von Richard Nixon, Henry Kissinger von seinen Plänen über eine Koalition mit den Kommunisten unterrichtete, hat dieser ihm dringend davon abgeraten und gesagt, er würde das bereuen. Moro wollte trotzdem die Kommunisten die Regierung holen und dies öffentlich verkünden. Auf dem Weg zu genau jener Sitzung ist Moro dann in Rom entführt und später umgebracht worden. Offiziell hat man gemutmaßt, es wären die Roten Brigaden, also die Linken gewesen, aber in der Forschung ist dies keinesfalls sicher.

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Gladio und Terror in Deutschland: Das Oktoberfestattentat

Reinhard Jellen 26.09.2008
Teil 2 des Interviews mit Daniele Ganser über Terroranschläge in Westeuropa, blockierte Ermittlungen in Deutschland und die These vom manipulierten Terror im "War against terror".

Welche Terroranschläge in Deutschland tragen ihrer Meinung nach die Handschrift von Gladio?
Bild: Wikimedia Commons

Daniele Ganser: Der einzige Terroranschlag in Deutschland, der in Deutschland in dieser Richtung diskutiert wird, ist das Oktoberfestattentat von 1980. Damals konnte von der Polizei festgestellt werden, dass die Wehrsportgruppe Alfred Hoffmann hinter diesem Anschlag steckt und dass ein Mitglied dieser rechtsextremistischen Organisation ums Leben gekommen war. Offiziell hat man das abgehakt als ein Anschlag einer isolierten rechtsextremen Truppe. Was man aber nicht untersucht hat war, inwiefern rechtsextreme Gruppen in Geheimarmeen involviert und integriert waren. Auf diesen Gedanken ist seinerzeit niemand gekommen. Es kam aber ein Jahr danach zu einem spektakulären Waffenfund und ein gewisser Heinz Lembke wurde als Halter des Waffenlagers identifiziert, in dem Sprengstoff, Handfeuerwaffen etc. zu finden waren. Da kam die Frage auf, ob aus diesem Waffenlager nicht der Sprengstoff für das Oktoberfest stammen könnte. Denn die Polizei hatte bereits vorher die Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann befragt und diese hatten ausgesagt, sie hätten ihren Sprengstoff von einem Heinz Lembke und der hätte noch viel davon.

Spektakulärer Waffenfund

Aber man ging diesem Hinweis nicht nach. Dies war eine Spur, die nicht verfolgt wurde. Aber als das Waffenlager durch Wanderer ein Jahr später zufällig entdeckt wurde hat man diesen Lembke festgenommen. Die Frage drängte sich auf, ob dessen Waffenlager nicht Teil eines Stay Behind-Netzwerkes ist. Man wollte dies dann auch heraus finden und Lembke dazu befragen, aber er wurde dann erhängt in seiner Zelle gefunden. Daraufhin sind die Ermittlungen wieder versandet. Die deutsche SPD-Abgeordnete Hertha Däubler-Gmehlin fragte dann noch einmal im Bundestag nach, ob es eine Verbindung zwischen Lembkes Waffenlager und dem Anschlag in München gäbe, worauf dies die hiesige Bundesregierung verneint hat. Und hier ruht der Fall, denn er ist nie wieder untersucht worden.
Gedenksäule auf dem Oktoberfest (Bild: Wikimedia Commons)

Also gilt in Deutschland weiterhin die Einzeltäterthese?

Daniele Ganser: So ist es.

Wie viele Todesopfer haben die Gladio-Einsätze in Westeuropa insgesamt gefordert?

Daniele Ganser: Das kann man nicht bestimmen. Die Studie über die militärischen Geheimstrukturen in Europa ist eine Forschungsarbeit, die man nur gegen größte Widerstände führen kann. Was man bisher sicher sagen kann ist, dass die Geheimarmeen wirklich existierten, sie mit der NATO koordiniert waren, die CIA und MI6 diese Geheimarmeen trainierten und Rechtsextreme involviert waren.

Terroranschlag von Peteano

Es ist auch gesichert, dass man sich auf die Invasion durch die Sowjetunion vorbereitete und in allen Ländern über geheime Waffenlager verfügte. Was nicht klar ist: Wie stark die Gladio-Armeen bei den Anschlägen, wie dem in München oder die in Italien von 1969, 1972, 1974 und 1980 oder der Putsch in Griechenland von 1967 oder beim Regierungsputsch in der Türkei 1980 oder beim Kampf in Frankreich zwischen De Gaulle und der Organisation Armee Secrete, kurz OAS, während des Algerienkrieges involviert waren. Denn dazu braucht es ja Namen. Andererseits gibt es eine lange Kette von Indizien. Es gibt z. B. in Italien Leute, die behaupten mit den Geheimarmeen in Kontakt gewesen zu sein. Vincenzo Vinciquerra ist so jemand. Dieser hat den Terroranschlag von Peteano im Jahr 1972 angeführt.

Dieser Anschlag hat überhaupt erst dazu geführt, dass man die Existenz von Gladio-Armeen aufgedeckt hat. Denn damals hat der Untersuchungsrichter Felice Casson den Anschlag genau durchleuchtet. In Frankreich hat der ehemalige Direktor des Geheimdienstes, Admiral Pierre Lacoste, gegen Präsident De Gaulle erklärt, die französischen Geheimarmeen seien in Terroranschläge involviert gewesen. Es ist also schon wichtig zu verstehen, dass man den Geheimarmeen erst auf die Spur gekommen ist, als man begann, Terroranschläge genau zu untersuchen.

"Mit Terroranschlägen kann man Menschen gut in Kriege hetzen"

Das bedeutet nun wiederum nicht, dass hinter jedem Terroranschlag Gladio stecken muss, aber dies ist einfach ein Feld, dem man sich in Europa stellen muss und hier wird einfach strikt gemauert. Weil dies würde bedeuten, dass die Geheimdienste kein Schutz für die Bevölkerung waren, sondern selber Terror ausgeübt haben um bei der Bevölkerung Angst zu schüren und dies ist eine komplett andere Sichtweise als die offizielle. Denn die NATO, die z. B. in Afghanistan vorgibt, gegen den Terror zu kämpfen, wäre somit selbst Quelle des Terrors, auch in ihren Mitgliedsstaaten. Aber dies sind fundamentale Neuinterpretationen des Zeitgeschehens, die auf größte Schwierigkeiten stoßen. Was die Friedensforschung, die mir sehr am Herzen liegt, in diesem Zusammenhang betont ist, dass Terroranschläge nicht verhindert werden können. Es wird immer wieder Terroranschläge geben. Auch der totale Überwachungsstaat, den wir alle nicht wollen, könnte das nicht verhindern. Aber mit dem Terror, bzw. der Angst vor Terror werden die Leute in Kriege hineingehetzt. Man hat nach 9/11 die Anschläge mit dem Irak in Verbindung gebracht, eine dreiste Lüge, aber wir haben jetzt dort Krieg. Zudem hat man den 9/11-Terror mit Afghanistan in Verbindung gebracht und auch die Bundeswehr kämpft jetzt in Afghanistan, weil dort Osama Bin Laden gelebt hat, der als der weltweit schlimmste Terrorist gilt. Wir sehen also, dass man mit Terroranschlägen die Menschen gut in Kriege hetzen kann, ohne dass überhaupt erklärt wird, wer hinter dem Terror steckt. Denn dies herauszufinden ist immer sehr schwierig, wie man ja bei Gladio sieht, und da sind viele Jahre vergangen. Ich halte nichts davon, wenn Politiker nach einem Terroranschlag den Schuldigen benennen und zum Krieg aufrufen. Denn Terror wird zu oft manipuliert und so ist es wichtig zu sagen, wegen eines Terroranschlages bin ich nicht für Krieg und das wird auch weiterhin wichtig sein.

Gibt es Publikationen über versteckte Aktionen in Amerika selber? Wird irgendwo z. B. die Eliminierung der Kennedy-Brüder, von Martin Luther King und der Black Panther mit militärischen Geheimorganisationen in Verbindung gebracht?

Daniele Ganser: Das habe ich nicht untersucht. Ich habe mich auf Europa beschränkt. Zwar gibt es freilich in Amerika die Diskussion, ob die Geheimdienste an diesen Morden beteiligt waren, aber ich denke, es ist sehr unklar, wie dort die Sachen gelaufen sind.

Könnten sie sich vorstellen, dass - wie z. B. Jürgen Elsässer in seinem neuen Buch "Terrorziel Europa . Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste" ausführt - bei den Anschlägen islamischer Terroristen in West-Europa westliche Parallelarmeen oder Geheimorganisationen involviert sind?

Daniele Ganser: Es ist die These von Jürgen Elsässer, dass das, was wir als muslimischen Terror vorgeführt bekommen, manipuliert durch die Geheimdienste ist, um mit der Verunsicherung der Bevölkerung einen Abbau der Bürgerrechte zu erreichen und die Ölkriege im Irak und in Afghanistan zu legitimieren. Das ist zumindest möglich und es ist auf jeden Fall wichtig, dass man das untersucht. Ich selbst habe das Buch von Jürgen Elsässer, das soeben erschienen ist, noch nicht gelesen, aber es gibt diese Debatte.

"Manipulierter Terror"

Ich denke, Elsässer ist ein ehrlicher Mann, der den Dingen auf den Grund gehen will. Ob er in jedem Punkt richtig liegt, weiß ich nicht. Aber dass er von manipulierten Terror spricht, finde ich ganz wichtig, diese Debatte gibt es noch viel zu wenig. Denn immer mehr Indizien zeigen, dass es nicht nur im Kalten Krieg manipulierten Terror gab. Vor einigen Jahren kam es z. B. im Irak zu einem Zwischenfall als Mitglieder einer englischen Spezialeinheit in [local] Basra festgenommen wurden. Diese fuhren als Muslime verkleidet ein Auto, das mit Sprengstoff beladen war. Man ging davon aus, dass diese Agenten das Auto in der Menge sprengen wollten, um den Terror den Muslimen anzuhängen. Leider kam es nicht zum Prozess, weil die britische Armee die Agenten mit Panzern aus dem Gefängnis befreite. Das hat natürlich wenig mit Transparenz und Rechtstaatlichkeit zu tun. Und so bleibt die Frage, ob es solche Operationen nicht auch in Europa geben hätte können, vielleicht auch von Muslimen organisiert, die für den Geheimdienst arbeiten. D.h. man kommt in ein Forschungsgebiet, das sich "inszenierter Terrorismus" nennt. Dies ist ein sehr kompliziertes Forschungsgebiet aber mit den Gladio-Geheimstrukturen konnte ich für den Kalten Krieg aufzeigen, dass es inszenierten Terrorismus gibt. Das ist ein Begriff, der aber in der Terrordebatte noch gar nicht auf dem Radar ist.

Wie viel wird es zu künftig noch ihrer Einschätzung nach über die Gladio-Einheiten zu entdecken geben? Werden hier eines Tages noch Archive geöffnet?

Daniele Ganser: Es gibt zwei Möglichkeiten: Einerseits die Parlamente drängen darauf hin, dass die Geheimarmeen untersucht werden. Das war in Deutschland und in Österreich bis zum heutigen Tag nicht der Fall. Immerhin gab es in der Schweiz eine solche Untersuchung und ein Bericht zur Geheimarmee P26, das ist auch für die historische Forschung wertvoll. Ich denke, auch in Deutschland und Österreich müsste es eine intensive parlamentarische Untersuchung der Geheimarmeen geben, die zum Schluss vielleicht in einem zweihundertseitigen Bericht zusammengefasst wird. Aber so eine historische Untersuchung macht man nicht. Und solange dieser Wille zur Aufklärung fehlt wird es sehr schwierig bleiben, dies wissenschaftlich aufzuarbeiten.
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Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass ehemalige Mitglieder dieser Geheimarmeen Memoiren schreiben. Dies wäre eine Informationsquelle. Wiederum aber wäre diese Quelle unsicher, weil sich die Leute in ihren Memoiren oft vorteilhaft darstellen möchten, das ist bei jeder Geschichtsschreibung so. Es wäre also notwendig, diesen Themenkomplex, wie vom Europäischen Parlament bereits 1990 gefordert, zu untersuchen. Mein Buch ist hierzu eine Basis, aber dazu braucht es noch mehr. Das Wissen und die öffentliche Debatte über den verdeckten Bereich der internationalen Politik steckt noch in den Kinderschuhen.

Werden Sie in dieser Richtung weiterarbeiten?

Daniele Ganser: Was mich im Moment interessiert, ist die Energiedebatte und der Kampf um Erdöl und Erdgas. Man muss sich nur in Erinnerung rufen, dass im Kalten Krieg die globale Erdölproduktion von 6 Millionen Fass im Jahre 1945 auf heute 86 Millionen Fass pro Tag gestiegen ist. Im Rückblick betrachtet war der Kalte Krieg ein Erdölrausch, damals hatten wir Wirtschaftswachstum und Wohlstand in weiten Gebieten der Welt. Jetzt aber gelangen wir an einen Punkt, wo [local] peak oilerreicht wird, wo also die Erdölförderung nicht ausgebaut wird, sondern zurückgeht.

Wann genau dieser peak oil kommt, weiß man zwar nicht. Aber ich erwarte im 21. Jahr zugespitzte Kämpfe um Gas und Erdöl. Ich beobachte bereits, dass in Afghanistan eine Pipeline gelegt werden soll vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean und diese Pipeline verläuft durch Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan, Indien. - Diese Dinge interessieren mich. Ich frage mich, inwiefern spielt inszenierter Terrorismus im Kontext mit den sich zuspitzenden Energiekämpfen eine Rolle und hier stütze ich mich auf Erfahrungen, die ich im Gladio-Buch gemacht habe, bzw. ich wende sie auf die Energie-Krise und .Kämpfe des 21. Jahrhunderts an.

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Undercover und schwer bewaffnet unterwegs in Basra

Alfred Hackensberger 30.09.2005
Die gewaltsame Befreiung von zwei britischen Geheimagenten war Anlass zu zahlreichen Spekulationen, das britische Militär schweigt noch immer über den Zweck des Einsatzes der SAS-Männer
Vor gut einer Woche befreiten britische Truppen gewaltsam nach der Erstürmung eines Gefängnisses zwei Soldaten aus einem Haus. Sie waren von der irakischen Polizei verhaftet und dann schiitischen Milizen übergeben worden ([local] Showdown in Basra). Die beiden hatten bei einer Kontrolle auf die Polizisten geschossen. Sie waren als Araber verkleidet in einem Zivilfahrzeug unterwegs, im Kofferaum des Wagens fand man Sprengstoff und Zünder mit Fernbedienungen. Ein Vorfall, der erneut die Reputation der Koalitionstruppen im Irak schwer erschüttert und Anlass für vielerlei Spekulationen ist.

Für den Vize-Kommandeur der Islamischen Revolutionären Garden im Iran, Mohammed Baqer Zolqadr, hat die Verhaftung und Befreiung der Soldaten nur das bestätigt, was für ihn schon lange feststand. "Wir haben Informationen, dass die Wurzeln der Instabilität im Irak ein Resultat amerikanischer und israelischer Spione ist." Die USA bräuchten Attacken, um ihre Präsenz immer weiter rechtzufertigen. "Sie wollen die Resourcen des Iraks plündern, den ganzen Millteren Osten unter ihre Kontrolle bringen und Sicherheit für Israel erzeugen." Die iranische Führung ist bekannt für vereinfachende Weltbilder von Gut und Böse. Verschwörungstheorienkursieren auch in den iranischen Medien, die zu erklären suchen, warum Amerikaner und Briten in einer Doppelstrategie mit den Terroristen zusammen kämpfen, um den schiitischen Einfluss abzuwehren.

Der Brigade-General der Revolutionären Islamischen Garden steht mit seiner Meinung nicht alleine. Abdel al Daraji, der in Sadr City in Bagdad an der Spitze der schiitischen Organisation des Klerikers al Sadr steht, hatte nach den Vorfällen in Basra dem britischen Telegraph gesagt, dass "die Briten versuchten, einen ethnischen Krieg zu erzeugen, indem sie Bombenanschläge auf schiitische Zivilisten verüben, um sie sunnitischen Gruppen in die Schuhe zu schieben". Verschwörungstheorie eines radikalen Geistlichen? Vielleicht, jedenfalls nähren die als Araber verkleideten Soldaten mit Bomben im Kofferaum das sowieso bestehende Misstrauen. Ein syrischer Journalist in Baghad, Ziyad al Munajjid, sprach aus, was viele im Irak und auch in anderen arabischen Ländern denken. "Viele Beobachter hatten schon lange Vermutungen, dass die Okkupationsarmee in einigen bewaffneten Operationen gegen Zivilisten, Pilgerstätten und bei der Tötung von Wissenschaftlern involviert war. Bisher aber fehlte der Beweis. Durch die Verhaftung der beiden britischen Soldaten, während sie Bomben auf einer Strasse in Basra plazierten, ist es nun endgültig bewiesen."

Von "endgültigen Beweisen" zu sprechen, ist natürlich absurd, schließlich sind die beiden Männer nicht bei der Platzierung von Bomben erwischt worden. Gleichwohl bleiben manche Fragen bei diesem Vorfall offen. Zwei Briten sind in zivil unterwegs, weswegen man von Mitgliedern des Special Air Service (SAS) ausgeht, eröffnen angeblich ohne Vorwarnung das Feuer auf die irakische Polizei, obwohl sie bei einer Kontrolle nur ihren Ausweis vorzeigen müssten. Was man ihrem Auto später findet, "ist sehr irritierend", wie es Sheik Hassan al Zarqani, der Sprecher der Mehdi Armee bezeichnete. "Wir fanden Waffen, Sprengstoff und Fernzünder." Deshalb glaube er, "dass diese Soldaten einen Anschlag auf einen Markt oder andere zivile Ziele vorhatten".
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Aber genau diese Vermutung nennt die britische Tageszeitung Telegraph eine "schmutzige Kampagne, anti-britische Ressentiments im Süden Iraks zu erzeugen". Stattdessen erklärt man den Besitz der Waffen und des Sprengstoff, ähnlich wie die BBC, als normale Ausrüstung von SAS-Offizieren. In der selben Richtung argumentiert die Sunday Times, die sich dabei auf eine "Insiderinformation" beruft und behauptet, dass verhaftete SAS-Team sei in eine "Counter-Operation" unterwegs gewesen, gegen Milizen, die vom Iran unterstützt würden. Es ginge um einen "Geheimkrieg" gegen aufständische Gruppen, die Bomben aus dem Iran in den Irak schmuggeln. Ein 24-köpfiges Team habe außerhalb Basra gearbeitet, um ein Sicherheitsnetz gegen diese Infiltrierung aufzubauen. "Das Ziel ist, die Schmugglerrouten herauszufinden und die Aufständischen zu verhaften oder zu töten."

Das aber würde nicht erklären, warum die beiden SAS-Männer nach Angaben der Polizei das Feuer auf die irakische Polizei eröffneten und dabei einen Menschen töteten und mehrere verletzten. Und das erklärt auch nicht, warum die beiden Männer neben einer Anzahl von Schusswaffen in ihrem Auto Sprengstoff und ein Arsenal unterschiedlicher Zünder mit sich führten, die die irakische Polizei sicherstellten. Wollte man etwa die Schmuggler per ferngezündeter Bomben unschädlich machen?

Basra ist eine der "failed cities" im Irak

Von offizieller Seite im Irak wird der Schusswechsel damit begründet, dass die britschen Soldaten die Anweisung haben, die irakische Polizei wie Aufständische zu behandeln. Und das nicht ohne Grund: Bereits im Mai diesen Jahres hatte Hassan al Sade, der Polizeichef von Basra erklärt, dass er die Kontrolle über 75% seiner 13.750 Mann starken Truppe verloren habe. Seine Polizisten würden entweder für politische Fraktionen arbeiten oder seien an Anschlägen auf die Koalitionstruppen beteiligt. Für seine ehrliche Meinung wurde der Polizeichef vom Gouverneur Mohammed Al Waili kurzerhand gefeuert.

Drei rivalisierende schiitische Gruppen kontrollieren heute Basra. Das ist die Medi Armee des jungen Klerikers al Sadr, die Badr Brigarden des Obersten Rates für eine islamische Revolution im Irak und die Fudala Partei, die von Mohammed Yacubi angeführt wird. Die Mitglieder dieser konkurrierenden Milizen tragen Polizeiuniformen, aber weniger um Recht und Ordnung herzustellen, sondern sie missbrauchen ihre Macht für Geschäfte, Korruption und um unliebsame Rivalen loszuwerden. Die Leichen entsorgt man bekanntermaßen auf der hiesigen Müllkippe. Vor kurzem wurden zwei Journalisten hingerichtet, die über die Infiltrierung der Polizei von Basra durch radikale schiitische Milizen recherchierten. So ist durchaus verständlich, dass die beiden Undercover-Agenten des SAS in Zivilkleidung und mit einem Kofferraum voll Sprengstoff nicht in die Hände der Polizei geraten wollten.

Die Regierung in Bagdad hatte die unverzügliche Freilassung der beiden Briten angeordnet, aber die lokalen Behörden in Basra waren diesen Anweisungen nicht gefolgt. Aus Angst, die beiden Gefangenen könnten zu Geiseln in den Händen einer dieser radikalen schiitischen Milizen werden, startete das britische Militär ihre Befreiungsaktion Mit 10 gepanzerten Fahrzeugen und einem Hubschrauber wurde das Gefängnisgebäude gestürmt. Dabei wurden von den rund 1000 Demonstranten einige getötet und andere verletzt.

Nach der Befreiung wurde der Haftbefehl durch den zuständigen Richter Raghib Hasan erneut bestätigt. Er wirft den beiden Undercover-Agenten Mord und schwere Körperverletzung sowie den Besitz unerlaubter Waffen und falscher Dokumente vor. Für das britische Verteidigungsministerium haben diese Haftbefehle allerdings keine legale Basis. "Alle britischen Soldaten stehen unter der Jurisdiktion von Grossbritannien", sagte ein Sprecher des Ministeriums in London.

In Basra wird vermutet, dass die beiden SAS-Männer keine britische Staatsbürgerschaft besitzen, sondern anderer Nationalität sind, was das schnelle und rigorose Eingreifen des britischen Militärs erklären würde. Britische Soldaten hätten die irakischen Behörden sofort übergeben müssen. Angeblich seien die konfiszierten Waffen kanadischen Ursprungs. Es wird gemunkelt, die beiden verhafteten Soldaten seien "contractors" gewesen, die im Irak zum militärischen Alltag gehören. Vielleicht aus Kanada, vielleicht auch aus Israel, das immer wieder ein beliebter Sündenbock in der arabischen Gerüchteküche ist und im Notfall immer für unerklärte Dinge herhalten muss.

"Was haben unsere beiden SAS-Jungs tatsächlich gemacht, als sie in arabischen Klamotten, mit aufgeklebten Schnurrbärten und Waffen durch Basra fuhren?"

Robert Frisk, der langjährige Korrespondent des Independent im Mittleren Osten, ein erfahrener und seriöser Journalist, hält sich zwar aus derartigen Spekulationen heraus. Aber er zieht historische Paralellen, behauptet der britische Imperialismus habe stets sektirerische Konflikte provoziert und politische Attentate durchgeführt, um die Macht zu erhalten. "In Nordirland haben SAS-Agenten die Mitglieder der IRA aus dem Hinterhalt getötet.". In Sachen Irak bleiben ihm nur Fragen, die wie üblich bei derartigen Zwischenfällen, nur unzureichend oder nicht beantwortet werden: "Was haben unsere beiden SAS-Jungs tatsächlich gemacht, als sie in arabischen Klamotten, mit aufgeklebten Schnurrbärten und Waffen durch Basra fuhren? Warum fragt niemand? Wie viele SAS-Männer sind im Süden des Iraks stationiert? Warum sind sie dort? Was sind ihre Aufgaben? Welche Waffen tragen sie? Niemand hat das gefragt."

In der Regel handelt es sich um "schmutzige Operationen", in denen Undercover-Agenten in bürgerkriegsähnlichen Situationen wie heute im Irak verwickelt sind. Das lehrt die Geschichte und war der Fall in Vietnam, Chile, Nicaragua, El Salvador oder im Libanon, um nur einige Länder zu nennen. Dass die Geheimdienste hinter den Bombenanschlägen auf Pilger und Zivilisten stehen könnten, wie Manche behaupten, trifft sicherlich nicht zu. Im Irak gibt es genug Unruhe, um die Anwesenheit der Koalitionstruppen zu rechtfertigen. Weder die USA, noch die Briten müssen da mit Attentaten nachhelfen, um die Situation noch chaotischer zu machen, als sie schon ist.

Sicher ist hingegen, dass man erade an einem Ort wie Basra mit drei feindlichen Milizen das eine oder andere für den eigenen Vorteil unternehmen. Nicht nur der Bürgerkrieg im Libanon hat gezeigt, dass Geheimdienste bei ihrer Vorteilssicherung keine Rücksicht auf Menschenleben nehmen. Im Irak wird es nicht anders sein. Vergessen sollte man nicht, dass der Irak nicht nur eine Spielwiese amerikanischer und britischer Geheimdienste ist. Agenten aus dem Iran, Syrien, Saudi Arabien, Jordanien und aus anderen arabischen Ländern gehen im Irak ein und aus. Oft sind die Länder nicht direkt präsent, sondern nur über die "Contractors", die bekanntlich weniger politische Absichten haben, dafür aber mehr finanzielle Interessen. Bürgkriegsländer sind für sie ein gutes Pflaster, weil hier Recht und Ordnung nicht existieren und sich eine seltsame Eigendynamik aus Politik und Kriminalität entwickelt, schon alleine aus dem Grund, um die Wünsche nach Waffen und Munition der Aufständischen und nach Drogen für die Koalitionssoldaten zu erfüllen.

Unabhängig davon, welche Erklärungen von der Regierung in London oder von der britischen Militärbehörde im Irak im Laufe der nächsten Tage und Wochen noch nachgereicht werden, die Ereignisse in Basra haben nun auch den Ruf der britischen Truppen ruiniert. Der Süden des Irak war im Vergleich zu Bagdad bislang relativ ruhig. Nun wird es dort ebenfalls zu mehr Widerstand kommen, die Sympathien bei der überwiegend schiitischen Bevölkerung dürften schwer geschädigt, wenn nicht verspielt sein.

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Wirklich und wahr

Peter Mühlbauer 25.05.2009
Die Enthüllungen um die Agententätigkeit des Polizisten, der Benno Ohnesorg erschoss, beweisen vor allem eines: Dass die Welt komplexer ist als die meisten ihrer Darstellungen in Medien
Als herauskam, dass bei den diesjährigen Maikrawallen auch ein hessischer Polizist als Chaot agierte, verneinten dessen Kollegen der Süddeutschen Zeitung gegenüber eine Funktion als agent provocateur mit dem Hinweis, dass es dafür andere Dienste gebe. Allerdings bestreiten auch solche anderen Dienste im Regelfall, dass sie [local] Schwarze Propaganda, False-Flag-Operationen oder ähnliches betreiben. Heraus kommt so etwas - wenn überhaupt - meist nur nach relativ langer Zeit und einer Öffnung der Archive.

Nun brachte solch ein Archiv ans Tageslicht, dass der Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, seit 1955 unter dem Decknamen "Otto Bohl" für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet haben soll. Das entdeckten Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs in Dokumenten, die Wolfgang Schäuble eigentlich vernichten lassen wollte. Allerdings steht in den Akten nichts davon, dass Kurras den Studenten absichtlich oder gar im Auftrag erschoss. Stattdessen wies man ihn nach der Tat eilig an, alle Unterlagen zu vernichten und seine Arbeit für den Osten bis auf weiteres einzustellen. Weil sein Name nach Beendigung der Agententätigkeit aus der Kartei entfernt wurde, konnte nicht gezielt nach ihm gesucht werden, weshalb sein Fall erst jetzt ans Licht kam.

Trotz einer Ende der 1940er Jahre (angeblich wegen illegalen Waffenbesitzes) erfolgten Inhaftierung in der sowjetischen Besatzungszone konnte Kurras 1950 Kriminalbeamter bei der Westberliner Polizei werden, wo er unter anderem als verdeckter Ermittler in der Abteilung "politische Delikte" arbeitete. Zu seinen Aufgaben in einer Sonderermittlungsgruppe des Staatsschutzes gehörte auch das Enttarnen von "Verrätern" bei der Polizei. Den Erkenntnissen des Politologen und der Historikerin zufolge informierte er seit 1955 gleichzeitig das MfS über "Mitarbeiter, Ausbildung, Arbeitsweise und Personalveränderungen" bei seinem offiziellen Arbeitgeber, schlüsselte Festnahmen anderer Agenten auf und berichtete von "Überläufern, Quellen des amerikanischen Geheimdienstes [und] Entführungsfällen". Darüber hinaus soll er Fotos und Nachschlüssel von Polizeidienststellen besorgt haben und auch mit der Installation von Abhörmikrofonen betraut gewesen sein. Vergütet wurden Kurras diese Leistungen im ersten Quartal 1967 mit dreitausend Westmark, was damals relativ viel Geld war.
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Allerdings ist in den Akten der DDR-Staatssicherheit auch von einer besonderen Zuverlässigkeit des Polizisten die Rede, dem man praktisch jede Aufgabe übertragen könne. Müller-Enbergs und Jabs nennen ihn eine "Spitzenquelle mit besonderen Talenten". In den Akten selbst ist davon die Rede, dass Kurras bereit sei, "jeden Auftrag für das MfS durchzuführen" und mit "Mut und Kühnheit" auch schwierige Aufgaben lösen könne.[1] Das klingt fast wie eine Empfehlung für einen weiteren Akteur, von dem dann wiederum ein nicht aktenkundiger Auftrag erteilt worden sein könnte.

Offen ist jedoch, wer solch ein weiterer Akteur gewesen sein könnte. Ob es im Osten einflussreiche Persönlichkeiten oder Gruppen gab, denen so viel an der Meldung von einem toten Demonstranten lag, dass sie dabei einen wertvollen Agenten riskierten, scheint zumindest fragwürdig. Zudem war keineswegs vorhersehbar, dass der Tod von Benno Ohnesorg in der historischen Rückschau als Signal für ein Gewaltförmigwerden der Studentenproteste gesehen würde. Ebensowenig, wie absehbar war, dass ausgerechnet die wenig medienkompetenten Bonnie-and-Clyde-Romantiker der Baader-Meinhof-Bande das Aufmerksamkeitserbe der 1968er antreten und so der außerparlamentarischen Opposition den Garaus machen würden.

Doppel- oder Dreifachagent?

Etwas unwahrscheinlicher (aber immerhin möglich) ist, dass Kurras ein Doppel- beziehungsweise Dreifachagent war und eventuell auch über seine Tätigkeit als verdeckter Polizeiermittler hinaus für einen weiteren westlichen Dienst arbeitete. Selten waren solche Fälle, wie unter anderem die verhältnismäßig [local] gut aufbereitete Geschichte des britischen Geheimdienstes zeigt, keineswegs. Zudem gab es auch in Deutschland, und vor allem in der "Frontstadt" Berlin, durchaus interessante Verpflichtungsgemenge.

Walter Barthel etwa, der im Kölner Stadtanzeiger mit einem sehr polizeikritischen Augenzeugenbericht vom 2. Juni 1967 zu Wort kam, arbeitete nicht nur für die DDR-Staatssicherheit und den Westberliner Verfassungsschutz, sondern spielte auch eine wichtige Rolle im "Republikanischen Club" von Hans Magnus Enzensberger. Ein anderer erwiesener Verfassungsschutzagent in diesem Milieu war der agent provocateur Peter Urbach, der sich als Handwerker in Wohngemeinschaften unentbehrlich machte. Er verteilte bei einer Anti-Springer-Demonstration am 11. Mai 1968 nicht nur Molotow-Cocktails, sondern leitete auch zum Umkippen und Anzünden von Autos an.[2] Darüber hinaus lieferte er mehrfach funktionstüchtige Sprengsätze und versuchte Schusswaffen an den Mann zu bringen. Zudem stammt auch die Bombe am Jüdischen Gemeindehaus von ihm, die am 9. November 1969 eine Gedenkfeier zum Holocaust in die Luft gesprengt und viele Menschen getötet hätte, wenn sie explodiert wäre.

Doch auch für den Fall einer Tätigkeit für einen zweiten westlichen Dienst stellt sich die Frage, was dieser von der Erschießung eines Studenten gehabt hätte, wenn man die Tat nicht einem Ostagenten in die Schuhe schieben konnte?

Indes ist jedoch auch die Erzählung, die Kurras vor Gericht abgab, keineswegs frei von Unwahrscheinlichkeiten: Dort sagte der Polizeibeamte, dass er sich bedroht fühlte und darauf mit der Waffe reagierte. Ohnesorg soll jedoch von drei anderen Polizisten festgehalten worden sein und wurde nachweislich in den Hinterkopf geschossen. Auch eine vor zwei Jahren gegenüber einem Stern-Reporter abgegebene Erklärung spricht zumindest für einen vorsätzlichen Notwehrexzess: "Fehler?", meinte der Polizist da auf eine vorwurfsvolle Frage. "Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So iss das zu sehen."

Carl-Wolfgang Holzapfel, der Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni, stellte nach dem Bekanntwerden von Kurras' Doppelleben noch einmal Strafanzeige und forderte eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Die Frage, ob der beste Schütze in seiner Einheit den Schuss in den Hinterkopf des Romanistikstudenten mit oder ohne Tötungsabsicht abgab, dürfte jedoch auch mit dem neu entdeckten Material nicht anders zu beantworten sein als in den Gerichtsverfahren von 1967 und 1970 - nämlich im Zweifel für den Angeklagten.

Immerhin gaben die Enthüllungen aber dem FAZ-Feuilleton einmal Gelegenheit, mit der bereits etwas ermüdenden [local] Kampagne für neue Verlags-Leistungsschutzrechte ein wenig zu pausieren und wieder einmal einen der mit angenehmen Abstand gesprochenen Sätze zu formulieren, für die man sich früher Zeitungen kaufte:

Alles wird zweifelhaft und scheint sich zu verwischen. Günter Grass war als Soldat in der Waffen-SS, Kurras in der SED: verkehrte Welt. Ach nein, die wirkliche und wahre.


DAS IST UNSER PROBLEM...