Stoppt den Überwachungsstaat! Jetzt klicken & handeln Willst du auch an der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos und Materialien:

30 Mai 2009

Ohnesorg Mörder im Auftrag anderer Dienste

Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg im Hof des Hauses Krumme Straße 66 in Charlottenburg während einer Demonstration gegen den Schah von Persien von einem Polizisten erschossen.

ohnesorg.jpg


http://www.ondamaris.de/wp-content/uploads/2008/03/ohnesorg01.jpg

Gedenkrelief "Tod des Demonstranten" von Alfred Hrdlicka für Benno Ohnesorg am U-Bahn-Ausgang zur Deutschen Oper, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin


Benno Ohnesorg ;Rechte: dpa

Benno Ohnesorg


Samstag, 23. Mai 2009
Stasi-Spitzel Kurras: Die ganze Wahrheit?
Kaum ist diese merkwürdige Kampagne "Stasi-Agent Kurras hat Benno Ohnesorg erschossen" ein paar Stunden alt, da zeigt sie auch schon die (beabsichtigte?) Wirkung. Der Polizist, der Benno Ohnesorg erschoss, ist praktisch nur noch Stasi-Spitzel und damit (selber) ein "Linker". Das zeigen ja schließlich die Akten - die so gut wie niemand außer ihren "Enthüllern" bislang gesehen hat - und die Photos von Kurras' SED-Mitgliedsausweis, die in praktisch keinem Artikel zum Thema fehlen dürfen. Es scheint nun wirklich keine Frage mehr offen zu sein. Endlich, so meint man offenbar, ist die volle Wahrheit an den Tag gekommen. Der Mann der Ohnesorg erschoss, war ein Stasi-Spitzel und zwar vor allem und zuerst, und - okay - dann auch Polizist (ein bisschen), aber das spielt ja jetzt eigentlich gar keine Rolle mehr, nicht wahr? Und da es reichlich Zeitgenossen gibt, denen diese (neue) Wahrheit, so wie sie sich jetzt darstellt (oder darstellen lässt) vortrefflich in den Kram passt, soll dies dann wohl eben auch die ganze und vollständige Wahrheit gewesen sein. Was mich angeht, so denke ich freilich, dass durch diese "neuesten Erkenntnisse" herzlich wenig klarer ist als vorher und eben keineswegs alle Fragen beantwortet, sondern - ganz im Gegenteil - die wirklich brisanten Fragen wohl gerade jetzt erst (erneut) zu stellen sind. Es ist doch schon ein wenig sehr schlicht, diese seit je ziemlich zwielichtige Gestalt namens Karl-Heinz Kurras nun einfach um 180 Grad zu drehen, und das Ergebnis dieser Wende dann für eine erschöpfende Erkenntnis zu halten. Auch wenn es manchem offensichtlich wie Oel runtergeht, dass er nun krakeelen darf, nicht etwa ein fanatischer Antikommunist, sondern im Gegenteil: ein "überzeugter Kommunist" habe Ohnesorg erschossen - ahm nein: ermordet, denn nun, wo es sich beim Täter ja nicht länger um einen "Gleichgesinnten" handelt, muss man auch nichts mehr beschönigen.

Aber was für ein Mensch war bzw. ist denn dieser Karl-Heinz Kurras überhaupt? Gibt es überhaupt Gründe, ihm dieses oder jenes Etikett zu verpassen und wenn ja - welche?

Schauen wir zunächst mal, was sich bei Wikipedia zu seiner Biographie findet:
Karl-Heinz Kurras wurde als Sohn eines Polizeibeamten in Ostpreußen geboren. Im Alter von fünf Jahren wurde er eingeschult und besuchte später die Oberschule. Als er sich 1944 als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldete, erhielt er ein Notabitur. Nach Kriegsende kam er nach Berlin. 1946 wurde er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach dreijähriger Haft in Sachsenhausen wurde er 1949 begnadigt und daraufhin in den Dienst der Westberliner Polizei gestellt. [1] Im März 1950 war er als Polizeimeister in Berlin-Charlottenburg tätig und versuchte 1955 in Ost-Berlin für die Deutsche Volkspolizei tätig zu sein. Nach einer "gründlichen Aussprache" wurde Kurras zum Verbleib bei der West-Berliner Polizei überzeugt. 1960 wechselte Kurras zur Kriminalpolizei. Seit Januar 1965 gehörte Kurras eine Sonderermittlungsgruppe an, die sich mit der "Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen" befasste.[2] Ebenso wurde Kurras zu einem Mitglied der Abteilung I für Staatsschutz in West-Berlin. Er galt als guter Schütze seiner Einheit und als "Waffennarr". [3] Kurras lebt heute in Berlin-Spandau.

In der Welt hingegen wird behauptet, Kurras habe sich schon 1950 bei der DDR-Polente beworben, sei aber bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen:

Nach Müller-Enbergs Recherchen bewarb sich Kurras 1950 bei der DDR-Volkspolizei, sei allerdings durch die Aufnahmeprüfung gefallen. Nur deshalb habe er dann für die West-Berliner Polizei gearbeitet. Seine Weltanschauung habe er aber nicht geändert. Rätselhaft ist am Lebenslauf von Kurras, dass er von 1946 bis 1950 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen eingesessen hatte. Illegaler Waffenbesitz hatte ihn dorthin gebracht. Gewöhnlich waren entlassene Häftlinge aus den Internierungslagern von jeder Begeisterung für den Sozialismus stalinistischer Prägung kuriert. Bei Kurras traf das offenbar nicht zu.
Für die Verurteilung werden unterschiedliche Gründe angegeben. Mal heißt es, (wie auch die Welt berichtet), er sei verurteilt worden, weil er nach Kriegsende eine Waffe nicht abgegeben habe, mal, man habe ihn wegen politischer Aktivitäten (als Wahlkämpfer) verurteilt und erst 1955 solle er dann versucht haben, bei der Volkspolizei in der DDR anzuheuern, wo man ihn aber als Polizisten nicht haben wollte, sondern ihn stattdessen eben als IM einsetzte.

Über "seine Weltanschauung", die Kurras angeblich "nicht geändert" hat, lässt sich ehrlicherweise nur spekulieren. Vielleicht stimmt dieser Satz (Zitat oben) sogar, und zwar insofern, als Kurras womöglich immer diejenige "Weltanschauung" beibehalten hat, die ihn motivierte, mit 17 Jahren, 1944, als der Krieg faktisch laengst verloren war, freiwillig in Hitlers Wehrmacht einzutreten. Seine Versuche sowohl in West wie in Ost in den Polizeidienst augenommen zu werden sind womöglich sehr viel weniger einer bestimmten politischen Weltanschauung geschuldet als vielmehr - in Anbetracht dessen, was über doch sein recht "inniges" Verhältnis zum "Schießsport" bekannt wurde - dem ausgeprägten Wunsch, eine tödliche Schusswaffe (legal) zu besitzen und bei sich zu führen, wenn nicht sogar dem heimlichen Verlangen diese Waffe auch einmal im "Ernstfall" einsetzen zu dürfen (bzw. sogar zu müssen). Darauf verweist m. E. recht deutlich der Umstand, dass Kurras hinsichtlich der Tötung Ohnesorgs offenbar nie ein Zeichen der Reue oder des Bedauerns zeigte, sondern vielmehr der verpassten Gelegenheit, bei der er hätte noch exzessiver "ballern" können, nachtrauerte:
"Fehler? Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So iss das zu sehen." (Stern)

Demo gegen den Vietnam-Krieg 1966 ;Rechte: dpa

In den 60er Jahren kam Bewegung in die politische Kultur der BRD



Dass Kurras (hinsichtlich seiner vorgeblichen "Liebe" zur DDR) tatsächlich ein "Überzeugungstäter" gewesen sein sollte, scheint mir dagegen wenig plausibel zu sein. Eher würde ich eher vermuten, dass die Stasi entweder etwas über Kurras wusste, mit dem sie ihn erpressen konnte oder aber, dass Kurras womöglich im Auftrag anderer Dienste überhaupt erst als IM angeheuert hat. Ein Verdacht, den offenbar auch seine Chefs bei der Stasi hegten:
In der Akte finden sich keine Hinweise darauf, dass Kurras Ohnesorg im Auftrag der Stasi erschoss, um Westberlin zu destabilisieren. Im Gegenteil: In Kurras SED-Parteibuch wurden nach dem 2. Juni 1967 keine Marken mehr geklebt. Die Stasi habe am 8. und 9. Juni geprüft, ob Kurras ein Doppelagent sei. Offenbar konnte sich die Stasi Kurras Schuss auf Ohnesorg nur erklären, indem sie ihn als U-Boot verdächtigte.(taz)
Als weitere Möglichkeiten bleiben schlichte Geldgeilheit und /oder die Möglichkeit, sich so (nebenbei) seine Lieblingsbeschäftigung ("Ballern wie die Blöden") auf vergleichsweise angenehme Weise zu finanzieren. Vielleicht gab ihm seine Doppelrolle (und das damit verbundene Bewusstsein mehr zu sein als zu scheinen) auch einen besonderen "Kick". Was immer ihn bewogen haben mag und was immer er wirklich für eine Rolle gespielt hat - von ihm selbst wird man es ganz sicherlich nicht erfahren, denn gleichgültig was er dazu zum Besten gibt, es gibt keinen Anlass ihm (noch) irgendetwas zu glauben, das nicht zugleich auch von anderer Seite ("objektiv")zu belegen ist.

Nachdenklich stimmt mich auch, dass die Stasi-Akte des Kurras dessen Original SED-Mitgliedsbuch enthalten haben soll. Warum? Damit es seine Kollegen (West) nicht "aus Versehen" bei ihm finden können? - Oder eher, um gegebenenfalls ein zusätzliches Druckmittel gegen ihn in der Hand zu haben? Jedenfalls scheint es mir keineswegs unvorstellbar, dass man Karl-Heinz Kurras womöglich (mit "freundlichem" Nachdruck) genötigt hat in die Partei einzutreten; "Wenn Du nicht spurst 'Genosse', dann geht das Ding postwendend an Deine Dienststelle West. Also mach ja keine Zicken." Dass Kurras so blöde gewesen sein sollte, das Ding freiwillig und aus freien Stücken der Stasi zu überlassen (vorausgesetzt es ist tatsächlich "echt", immerhin sieht es - soweit ich es beurteilen kann - auf den Fotos aus, als käme es frisch aus der Druckerpresse), mag ich jedenfalls nicht so recht glauben. Vielmehr neige ich dazu, diesen Umstand als ein Indiz dafür sehen, dass die Firma "Horch und Guck" dem lieben und angeblich ach so überzeugten Kollegen 'Genossen', wohl doch nicht so recht über den Weg getraut haben wird. Auch, dass Kurras seit 1965 einer Sonderermittlungsgruppe, die sich mit der "Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen" befasste und der Abteilung I für Staatsschutz in West-Berlin angehört haben soll, wirft doch geradezu zwingend die Frage auf, wie es denn wohl um die Kontrolle dieser Kontrolleure bestellt gewesen sein mag. Ein so hohes Tier, dass man ihn nach Gutdünken hätte schalten und walten lassen, scheint Kurras ja nun auch wieder nicht gewesen zu sein. Vielleicht sollte man sich also endlich auch mal bei BND, CIA, Verfassungsschutz usw. nach einer "Akte Kurras" umsehen?



http://einestages.spiegel.de/hund-images/2007/10/15/49/2e3e27369cc80244313c27bf15b18492_image_document_large_featured_borderless.jpg

In eher (neo-)konservativen und weiter rechten Kreisen meint man nun offensichtlich - das zeigen zahlreiche Kommentare zu Artikeln, sowie in diversen entsprechend ausgerichteten blogs und Foren zu denen ich hier "keinen Link habe" (© by feynsinn) - triumphieren zu dürfen. Allein, dazu besteht doch wenig Anlass. Nicht die (westdeutsche) Linke ist durch diese "neuen Erkenntnisse" blamiert, sondern (nun erst recht) die Berliner Polizei und der westdeutsche bzw. Westberliner Justizapparat, nebst all seinen "Abwehrdiensten". Entweder hatte man bei der Westberliner Polizei geradezu erschreckend niedrige Ansprüche an die Qualitaet des Personals - immerhin soll Kurras ja nicht einmal die Aufnahmeprüfung bei der VoPo bestanden haben - oder aber man hatte gute Gründe, den Mann nicht nur einzustellen, sondern auch noch ziemlich schnell in eine ziemlich brisante Position zu befördern.

Schlussendlich aber kann man es drehen und wenden wie man will: Benno Ohnesorg wurde nicht erschossen, weil Kurras ein IM und Mitglied der SED war (vorausgesetzt, dass das stimmt), sondern, weil er als Angehöriger der (West-)Berliner Polizei (und womöglich weiterer "Dienste"?) an jenem Tag und Ort im Einsatz war. Dafür, dass Kurras Ohnesorg im Auftrag der Stasi (als als IM) erschossen haben könnte, (eine These,an der man sich in oben erwähnten, hier nicht verlinkten Kreisen ausgiebig delektiert) spricht nach Aussage von Müller-Embergs nichts. Die Frage aber, ob Kurras (und seine Kollegen) evtl. von anderer Seite angehalten worden sein könnten, die Situation möglichst stark "anzuheizen", und Kurras diese Gelegenheit dann "nach besten Kräften" (und dazu in seinem ureigenen Sinne) beim Schopf ergriff, bleibt jedoch weiter offen.

Auch eine andere (geänderte) Wahrheit ist noch nicht die ganze Wahrheit.




Benno Ohnesorgs Tod (2. Juni 1967)

© Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz / Kunstbibliothek, SMB / Bernard Larsson



http://www.welt.de/multimedia/archive/00816/kurras_verpflichtun_816353a.jpg



Geheime Erklärung

Was Karl-Heinz Kurras der Stasi versprach

21. Mai 2009, 22:34 Uhr

Forscher haben sensationelle Dokumente über den Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras veröffentlicht. Er erschoss 1967 den Studenten Benno Ohnesorg. Nun ist bekannt geworden, dass Kurras sich mit der Stasi der DDR eingelassen haben soll. Wir dokumentieren die mutmaßliche Verpflichtungserklärung.


Erklärung von Kurras

Die Historiker Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs berichten in einem Aufsatz im "Deutschlandarchiv" über das Doppelleben des Westberliner Polizisten Karl-Heinz Kurras (geboren 1927). Der Kripo-Beamte in Zivil erschoss 1967 den Studenten Benno Ohnesorg.

Nach Angaben der Forscher hatte sich Kurras zuvor mit der Stasi der DDR eingelassen und jahrelang Interna aus der Westberliner Polizei an das Ministerium für Staatssicherheit verraten.

Die Forscher dokumentieren in dem Aufsatz auch die Verpflichtungserkärung, mit der sich Kurras zur Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit verpflichtet haben soll.

Hier das Transskript der Erklärung, die handschriftlich erfolgte.




„Berlin, den 26. April 1955



Verpflichtung!

Aus der Erkenntnis heraus, daß ich als Angehöriger der Stummpolizei* keiner guten Sache diene, habe ich mich entschlossen, meine Arbeitskraft dem Friedenslager zur Verfügung zu stellen.

Trotzdem ich politisch unbeschult bin, bin ich der Meinung, daß der Weg des Ostens die richtige Politik verkörpert.

Um bei dieser Entwicklung mitzuhelfen, bin ich bereit den mir bekannten Vertreter für Staatssicherheit Vorkommnisse aus der Stummpolizei wahrheitsgemäß zu berichten.

Ich erkläre mich bereit, gegenüber jedermann hinsichtlich meiner Tätigkeit größtes Stillschweigen zu wahren

Ich stehe mit keiner anderen Organisation bzw Personen betr. Dieser und ähnlicher Arbeit in Verbindung

Sollte ich angesprochen werden, so gebe sofort eine entsprechende Mitteilung.

Ich werde meine Berichte mit dem Decknamen „Otto Bohl“ unterzeichnen.

Karl-Heinz Kurras“

*Als Stumm-Polizei wurde in der DDR die Westberliner Polizei bezeichnet, die der Jurist und Sozialdemokrat Johannes Stumm (1897 bis 1978) ab 1948 aufgebaut hatte.



Benno Ohnesorgs Tod (2. Juni 1967)

Bei der Demonstration gegen den Schah-Besuch in West-Berlin am Abend des 2. Juni 1967 wurden von der Polizei auch Kriminalbeamte in Zivil eingesetzt, um Anführer des Protestes zu verhaften. Im Verlauf der Straßenschlacht fiel ein Schuss aus der Waffe des Kriminalpolizisten Karl-Heinz Kurras und traf den 26-jährigen Germanistikstudenten Benno Ohnesorg in den Kopf. Die zufällig anwesende Studentin Friederike Hausmann bemühte sich vergeblich, dem tödlich getroffenen Ohnesorg zu helfen. Vor Gericht wurde der Todesschütze Kurras am 21. November 1967 freigesprochen. Nach Ohnesorgs Tod weiteten sich Studentenbewegung und außerparlamentarische Opposition aus und radikalisierten sich. Rückblickend sagte Friederike Haumann, die damalige Befürchtung der Studenten war: „Wir blicken einem beginnenden Faschismus ins Gesicht.“ Foto von Bernard Larsson.




Politik: Kurras und das Modell Gladio

Rechter UND linker Terrorismus mit NATO-Geheimdienstlern infiltriert

Von Jürgen Elsässer

Wer meine These, dass der Ohnesorg-Mörder Kurras auch als Stasi-Mann noch von der westlichen Seite gelenkt worden sein könnte, vorschnell abtut, möge sich für einen Augenblick die Geschichte von Gladio anschauen – die Geschichte eines Spiels über Bande, zum Teil über doppelte Bande.

Diese von den US-Amerikanern geführte NATO-Geheimarmee war in der Zeit des Kalten Krieges in zahlreiche Terrranschläge verstrickt bzw. hat diese angestiftet – und zwar rechte wie linke. Besonders gut dokumentiert ist das im Falle Italien (Entführung Aldo Moro!), aber es gibt auch Hinweise auf Gladio-Einsätze in der Bundesrepublik. Kurras arbeitete in der Westberliner Polizei bis zum 2. Juni 1967 in jener Abteilung, die Verräter in den eigenen Reihen aufspüren sollte – das ging nur mit Geheimdienstkontakten, zum BND und zur CIA. Mit Gladiokontakten?

Andere Beispiele habe ich in meinem Buch “Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste” (Residenz Verlag 2008, 340 Seiten, 21.90 Euro; Bestellung AUCH über info@juergen-elsaesser.de) aufgeführt, u.a. mit Verweis auf den Schweizer Daniele Ganser, den besten Gladio-Kenner. Auszüge aus meinem Buch:

Ganser hat Hinweise gefunden, wie auch in der Bundesrepublik rechtsradikaler Terror mit Hilfe der Gladio-Strukturen durchgeführt worden sein könnte, und zwar der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest am 26. September 1980. Damals starben 13 Menschen, 219 wurden verletzt. Zwei Mitglieder der „Vereinigung Deutscher Aktionsgruppen“ gestanden bereits einen Tag später, dass der Nazi Heinz Lembke ihnen Waffen, Sprengstoff und Munition angeboten und von großen Lagern mit Militärgerät geredet habe.

Dieser Aussage gingen die Fahnder aber erst auf den Grund, als etwa ein Jahr später durch Zufall eines der Erddepots aufflog. Der schnell festgenommene Lembke offenbarte gegenüber den Verhörbeamten die Lage seiner 32 weiteren Waffen- und Sprengstoffvorräte in der Lüneburger Heide. Dort wurden unter anderem14.000 Schuss Munition, 50 Panzerfäuste, 156 kg Sprengstoff und 258 Handgranaten sichergestellt. Quantität und Qualität der sichergestellten Hardware sprechen laut Ganser dafür, dass es sich um Gladio-Bestände handelte.

Dies konnte jedoch nie bewiesen werden, da Lembke am 1. November 1981 erhängt in seiner Zelle aufgefunden wurde. Er hatte zuvor gedroht, am nächsten Tag gegenüber der Staatsanwaltschaft seine Hintermänner zu benennen. Ermittlungsbehörden und Politik einigten sich in der Folge darauf, dass Lembke ein Einzelgänger gewesen sei und es auch keine Verbindungen zum Oktoberfestattentat gebe.

Ob Gladio, wie südlich der Alpen, auch bei den Linksterroristen mitmischte? Hinweise auf geheimdienstliche Infiltration der Roten Armee Fraktion (RAF) fand jedenfalls neben Sachbuchautoren wie Gerhard Wisnewski und Ekkehard Sieker auch Michael Buback, dessen Vater Siegfried, der damalige Generalbundesanwalt, am Gründonnerstag 1977 samt seiner zwei Leibwächter erschossen worden war.

Buback ermittelte auf eigene Faust und stieß auf eindeutige Hinweise, dass die bisher wegen der Bluttat Verurteilten – die RAF-Mitglieder Christian Klar, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt – die tödlichen Schüsse nicht abgegeben haben konnten. Vielmehr sei mit ziemlicher Sicherheit die Terroristin, bei der später auch die Tatwaffe gefunden wurde, die Mörderin gewesen – Verena Becker. Diese war nicht nur RAF-Mitglied, sondern stand auch auf der Gehaltsliste der Gegenseite. „Uns ist klar geworden, dass Frau Becker eine dringend Tatverdächtige ist und gleichzeitig eine Informantin des Geheimdienstes,“ resümierte Michael Buback.

Im Zuge seiner Recherchen fand der Sohn des Ermordeten Hinweise und Augenzeugen, die seine These von der Todesschützin Becker untermauerten – aber bei den Ermittlungen der Polizei regelrecht unterdrückt worden waren. Buback suchte einen Grund für dieses Fehlverhalten der Strafverfolgungsbehörden: „Unter den Möglichkeiten, die wir auch mit Journalisten erörtert haben, ist die noch am wenigsten schlimme, dass Geheimdienste in den siebziger Jahren glücklich waren, eine Kontaktperson im RAF-Bereich (gemeint: Verena Becker, Anm. J.E.) gefunden zu haben.

Da stellt man plötzlich mit Schrecken fest, dass diese Person doch nicht voll unter Kontrolle war und sie den Generalbundesanwalt erschossen hat. In dieser misslichen Situation kann schon die Versuchung entstehen, diesen Tatbeitrag zu verbergen. Es gibt weitere, noch bedrückendere Denkmöglichkeiten. So könnte die Deckung eines Täters deshalb so rasch Wirkung entfaltet haben, da sie vorbereitet werden konnte, weil man von der Tat bereits vor deren Ausführung wusste. Ein schrecklicher Gedanke! Leider können wir auch diese Variante nicht mit Sicherheit ausschließen. Wir sind überzeugt, dass mein Vater neben der RAF noch andere Gegner hatte, und es gibt bedrückende Hinweise dafür.“

Wussten bundesdeutsche Staatsorgane also „von der Tat bereits vor deren Ausführung“? War Becker schon 1977 Mitarbeiterin eines westdeutschen Geheimdienstes? Ist die einzig offene Frage, ob sie am 7. April 1977 als wildgewordene Kombattantin ohne Auftrag ihres Dienstherren schoss – oder mit dessen Billigung?


http://www.welt.de/multimedia/archive/00816/kurras_verpflichtun_816353a.jpg




http://www.berlinerumschau.com/upload/images/ImageGallery/kurrat2.jpg