Alternative Nachrichten - Hintergrundinfo und zensierte Stories - Verbotene Analyse
Globalisierung überträgt das Modell der Dritten Welt
auf die Industrienationen.
Ein Sektor extrem reich, der andere besteht aus überflüssigen Menschen, die in Armut und Verzweiflung leben.
Die wahren Entscheidungen werden in den Konzernen getroffen.
Parlamente und Bürger haben immer weniger Einfluss.
Noam Chomsky
28 September 2008
Spiegel entdeckt die Neocons - LESENSWERT
Verschwörungstheorien: Die Neocons
Autor: ter • 28. September 2008
Wouw, endlich gibt es wieder eine vernünftige Verschwörungstheorie, die mehr ist als ein Anti-Amerikanisches- Geschwafel. Die Neocons.
Die Neocons sind die Anhänger der Lehre von Neokonservativismus und vergleichbar mit den Anhängern der Lehre eines Osama bin Laden – die sich ja angeblich auch alle in der Al-Qaida organisierten – haben sich die Neocons zu einer weltumspannenden Organisation der Manipulation und der Desinformation der öffentlichen Meinung zusammengefunden.
Selbst der SPIEGEL glaubt an die Existenz des Netzwerks der Neocons.
Ohne jeden Zweifel, nach dieser Verschwörungstheorie sind die Neocons die finanziellen Nutznießer der imperialen US- Politik. Ihre geistigen Väter sind alle Emporkömmlinge mit ostjüdischem Migrationshintergrund und selbst Wikipedia hat diesem Phänomen einen sehr langen Artikel gewidmet. “Wir sollten uns allerdings im Klaren sein, die Neocons haben sicherlich auch diesen Wikipedia-Artikel – in ihrem Sinne – beeinflusst.”
Im Unterkapitel „Denkfabriken und Machtapparat“ zählt Wikipedia die Anhänger der Neocons in der Regierung George W. Bush auf – darunter auch den US- Vize- Präsidenten Dick Cheney.
Dumm – ich habe diesen Dick Cheney bisher immer für einen Vertreter der Mafia gehalten – nun soll er Neocon sein. Nun ja – irren ist …….
Neocons als Global Players
Russophobie ist die Grundlage des neo- konservativen- Denkens. Die Ceiber Weiber brachten – basierend auf einem Film der BBC – sogar eine dreiteilige Artikelserie über die Parallelen der Neocons und des Islamismus. Und auch die FAZ konnte sich natürlich bei einem solchen Thema nicht zurückhalten und stellte ihren Lesern die „geistige Vorgeschichte der Neocon“ vor.
Diese öffentliche Publizität erlangten die Neocons als „Lehre“.
SPIEGEL-Online geht nun einen Schritt weiter und macht nun aus den Anhängern dieser Lehre eine politische Organisation in Form eines Netzwerkes – vergleichbar mit Al-Qaida.
Der konkrete Anlass ist das Votum der Iren gegen den Lissabon-Vertrag und führt uns in das Städtchen Tuam im irischen Landkreis Galway.
Dort hat der Milliardär Declan Ganley (40) seinen Wohnsitz und Ganley ist unbestritten mit geschäftlichen Aktivitäten im militärisch- nachrichtendienstlichen Bereich zum Milliardär geworden.
Dieser Declan Ganley ist Hauptsponsor des Vereins “Libertas”, welcher mit viel Geld die Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag unterstützte und damit die europäische Administrations-Verfassung in der Volksabstimmung in Irland zu Fall brachte.
Wir sollten uns nichts vormachen, egal was Ganley und dieser Verein behauptet: Die Gelder für diese Kampagne stammen auch nach meiner Überzeugung überwiegend von Declan Ganley und dürften keinesfalls (echte) Kleinspenden sein.
Hans-Jürgen Schlamp geht im SPIEGEL nun einen Schritt weiter und macht gedanklich Ganleys Anti-Lissabon-Vertrags- Kampagne zu einem Werk einer dubiosen Organisation der Neocons.
Zu diesem Zweck verbindet er die wirtschaftlichen Aktivitäten Ganleys im militärischen- nachrichtendienstlichen Bereich mit dessen Geschäftskontakte aus diesem Bereich, die natürlich schnurstracks zu Anhängern der Lehre des Neokonservativismus führen.
Nun benötigt er noch (ungenannte) Europapolitiker – die eine Verschwörung der Neocons vermuten – und fertig ist die Verschwörungstheorie.
Nachfolgende Zitate aus dem Artikel von Schlamp belegen, wie einfach es ist eine Verschwörungstheorie zu kreieren:
• „…Auch der französische Europaminister und derzeitige EU-Ratspräsident Jean-Pierre Jouyet forderte “volle Transparenz” bei den Finanzen der Ganley-Kampagne. Aber so leicht wird die nicht zu finden sein. Denn die Aktivitäten des mutmaßlichen Milliardärs liegen unter einem Grauschleier. Klar ist nur: Er hat beste Beziehungen zur militärisch-industriellen Oberklasse der USA.
• Seine Firma Rivada Networks etwa verkauft modernstes technisches Gerät, mit denen kämpfende Frontsoldaten im Hinterland abhörsicher kommunizieren können. Im Vorstand sitzen neben Ganley zwei US-Admirale und ein enger Berater von US-Präsident George W. Bush. Erst jüngst, so heißt es in Dubliner Regierungskreisen, habe Ganley einen neuen “militärischen Auftrag in einer Größenordnung von 200 Millionen Dollar” aus Washington bekommen…..
• …. Dass viele US-Militärs und Neocons kein Interesse an einem Europa haben, das als Konkurrent auf die weltpolitische Bühne steigen könnte, ist bekannt. Dass Gelder geflossen sind, beweist das alles nicht. Allenfalls zeigt es, dass sie womöglich gar nicht fließen mussten….“
Toll – zu den Terroristen des Al-Qaida-Netzwerkes bekommen wir jetzt noch die Terroristen der Neocons. Da kann es ja richtig losgehen mit dem Abbau der restlichen bürgerlichen Freiheiten.
Von wegen – Strategie der Spannung – wir stehen zwischen zwei terroristische Netzwerke, die unsere gute, europäische Diktatur der Bürokraten bekämpfen. Als Feindbild der ordentlichen, gutgläubigen Bürger haben wir die Al-Qaida und als künftiges Feindbild der Linken – die Neocons.
Für jeden etwas – nur nicht die Idee, dass ein Declan Ganley sich leisten kann, aus eigener Überzeugung – ohne jegliche Fremdsteuerung – Politik zu machen und Politik zu beeinflussen.
Ach ja, bei welcher Publikation finde ich jeden Montag Gedankengut der Neocons? Doch nicht etwa beim SPIEGEL?
EU will außenpolitisch gleichberechtigter Partner der USA sein.
Im Juni haben die Iren mit 53,4 Prozent gegen den EU-Reformvertrag von Lissabon gestimmt und damit dessen Inkrafttreten im Jänner 2009 verhindert. Dem Nein der Iren war eine großangelegte Anti-EU-Kampagne vorausgegangen.
EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering forderte nun, genau zu prüfen, woher das Geld für diese Kampagne stammte. Seit einiger Zeit gibt es in Irland Gerüchte, dass amerikanische Militär- und Geheimdienstkreise in die Nein-Kampagne verwickelt waren.
"Persönliches Darlehen" Hinter der Kampagne steckt die Organisation Libertas. Die zuständige irische Behörde müsse vor allem klären, woher das Geld stammte, mit dem Libertas-Gründer Declan Ganley die Kampagne finanziert hatte, forderte das EU-Parlament.
Ganley hatte in der "Irish Times" bestätigt, Libertas ein "persönliches Darlehen" von 200.000 Euro gegeben zu haben. Außerdem habe er "für eine Darlehensmöglichkeit gesorgt", auf die Libertas hätte "zurückgreifen können, wenn sie sie benötigt hätte".
Beziehungen zu US-Militär Laut Informationen der "Financial Times Deutschland" ("FTD") gibt es inoffizielle Untersuchungsberichte, die die geschäftlichen Beziehungen zwischen Ganley und US-Militär- und -Geheimdienstkreisen darlegen. Die Forderung des Europaparlaments, die Finanzierung von Libertas transparent zu machen, sei eine Reaktion auf diese Berichte.
"Ich habe keine Beweise für eine direkte Beeinflussung oder eine Finanzierung", sagte der irische Europaminister Dick Roche gegenüber der "FTD". "Tatsache ist aber, dass Ganley und das US-Militär sehr enge Beziehungen unterhalten."
Militärische Aufträge Ganley ist unter anderem Chef der US-Firma Rivada Networks, die besonders abgesicherte Kommunikationseinrichtungen herstellt. Größter Kunde von Rivada Networks ist die US-Armee.
EU-Parlamentspräsident Pöttering sagte, Ganley habe "mit dem Pentagon Verträge über die Abwicklung militärischer Aufträge in einer Größenordnung von 200 Millionen Dollar". Den Verdacht, es könnte auch Geld aus US-Geheimdienst- und -Militärkreisen in die Nein-Kampagne geflossen sein, wies Ganley aber als "absolut unverschämt" zurück.
EU als außenpolitischer Konkurrent Der Fraktionschef der Grünen, Daniel Cohn-Bendit, sieht allerdings gute Gründe für die USA, die Nein-Kampagne zu unterstützen: "Es gibt durchaus Kreise in den USA, die ein stärkeres Europa verhindern wollen."
Die EU-Außenminister hatten nach einem Treffen im September in Avignon erklärt, dass die Union gerne gleichberechtigter Partner der USA in außenpolitischen Angelegenheiten wäre.
Spaltung überwunden Das Verhältnis der EU zu den USA hatte wegen des Irak-Kriegs 2003 einen Riss bekommen und Europa gespalten.
Frankreich und Deutschland, von der US-Regierung als "altes Europa" verspottet, stellten sich gegen den Krieg. Großbritannien, Italien und osteuropäische EU-Länder unterstützten Washington. Inzwischen habe die EU ihre Spaltung überwunden, sagte ein EU-Diplomat nach dem Treffen in Avignon.
Kaukasus-Konflikt als Chance Der Kaukasus-Konflikt zwischen Georgien und Russland hatte die Chance gegeben, die EU als Akteur in der Weltpolitik zu stärken. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy trat in dem Konflikt als Vermittler auf und einigte sich mit dem russischen Präsidenten Dimitri Medwedew auf einen Truppenabzug aus Georgien.
Ginge es nach Sarkozy, könnten bald im Kaukasus wie in Nahost Europäer die Einhaltung des Friedens (mit)überwachen. Die Gelegenheit sei günstig, weil die USA in Nahost und Georgien wegen einseitiger Parteinahme unglaubwürdig geworden seien, hieß es aus Paris.
Wahlkampf lähmt Washington Zudem sei Washington durch den nahenden Regierungswechsel gelähmt.
"Das ist eine Zeit, in der die EU präsenter sein muss. Sie muss ihren Platz einnehmen - und zwar nicht nur als Geldgeber, sondern auch aktiver in Friedens- und Kriegseinsätzen", sagte der französische Außenminister Bernard Kouchner im September.
Der Baader Meinhof Komplex ist ein deutsches Filmdrama aus dem Jahr 2008. Regie führte Uli Edel, produziert wurde der Film von Bernd Eichinger, der auch das Drehbuch schrieb. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Sachbuchbestseller von Stefan Aust und kommt am 25. September 2008 in die deutschen Kinos. Die Filmbewertungsstelle Wiesbaden zeichnete ihn mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ aus.
Der Film zeigt die Geschichte der Roten Armee Fraktion von den Wurzeln in der Studentenbewegung und dem Tod Benno Ohnesorgs im Sommer 1967 bis zum Staats-Mord von Ensslin, Baader und Raspe in Stammheim und der Ermordung Schleyers im Herbst 1977.
(Irmgard Möller sticht sich selber 4 mal in die Brust? Haha!)
Andreas Baader Kopfschuss -- Ensslin erhängt
„Edel und Eichinger haben […] gut daran getan, einer Methode zu vertrauen, die sich so nah wie möglich an die historischen Ereignisse heranpirscht, die Kulissen genau rekonstruiert und sich bis in die Dialoge weitgehend von faktischen Überlieferungen inspirieren lässt […] Sie haben sich […] getraut, die Ereignisse unverkrampft und nicht moralisierend zu erzählen. […] Das Tempo, das der Film dabei einschlägt, die Rasanz der Szenen-, Schauplatz- und Schusswechsel entspricht der damals so beschleunigten Entwicklung. […] Es ist eine der großen Leistungen dieses Films, dass er sein Starensemble die Protagonisten auf beiden Seiten als Menschen mit Gefühlen und Intelligenz darstellen lässt […]“
– Andreas Fanizadeh, die tageszeitung, 20./21. September 2008
„Der Baader Meinhof Komplex, [...] ist gut gemacht, mit hervorragenden Schauspielern und kraftvollen Bildern.[...] Er bietet keinerlei neue Erkenntnisse, und er gibt keinerlei Anlass, die Geschichte des deutschen Terrorismus neu zu schreiben. [...] Durch die Action-Dramaturgie entsteht die Gefahr, in den Aktivitäten der RAF nur eine Serie von Gemetzeln zu sehen.[...] Ohne das politische Umfeld ist die RAF nicht vor- oder darstellbar. [...] Der Baader Meinhof Komplex geht durchaus auf Zeitumstände ein, doch geraten sie in den zweieinhalb Stunden immer wieder aus dem Blick. [...] Es wird viel geschossen in diesem Film. Mitunter entsteht der irrige Eindruck, die Republik habe sich tatsächlich im Kriegszustand mit etwa 30 Terroristen befunden. Kein Wort darüber, wie die Politik den Terror missbraucht. [...] Wichtige Zeitumstände bleiben leider ausgeblendet – so der zeitweilig von Teilen der öffentlichen Meinung und der Politik aufgeheizte Taumel in Panik und Hysterie.[...] Es wäre gut gewesen, wenn der Film auch den im Ausnahmezustand der Angst ins Wanken geratenen Rechtsstaat thematisiert hätte. Denn das ist das Thema von heute, das mit der innenpolitischen Aufrüstung in der RAF-Zeit begann: Unsere Grundrechte werden im Kampf gegen den Terror beschädigt – damals wie heute.[...] Die RAF-Zeit ist in Wahrheit ein komplexes und schwer vermittelbares Stück Zeitgeschichte, das unterschiedlichste Deutungen erfährt. Sie ist nach wie vor eine offene Wunde.[...] Bedauerlich wäre auch, wenn sich die Debatte, befördert durch das filmische Action-Event, zu sehr auf die RAF fixierte. Denn die RAF darf keinesfalls zur Übergröße aufgeblasen werden. Das wichtigste Ereignis der damaligen Zeit ist nicht der Terror. Es sind die Reformen, die unsere Demokratie vertieft haben und bis heute fortwirken.[...] Wenn wir eines aus dem Umgang mit dem RAF-Terrorismus lernen können, dann ist es dies: Angst darf unser Denken nicht vergiften. Wir müssen uns auch heute dagegen wehren, dass uns Bedrohungen wie der Dschihad-Terrorismus mental beherrschen und zu Sicherheitsmaßnahmen verleiten, die die Freiheit ohne Not beschädigen. Wenn der Film zu dieser kritischen Diskussion beitragen würde, dann wäre das ein Ergebnis – weit über einen Kinoabend hinaus. “
MARCH 1968 MY LAI MASSACRE
– Gerhart Baum, Bundesinnenminister a. D. Zeit Online, 18. September 2008
„Eventkino ohne Impetus: Bernd Eichingers Großproduktion "Der Baader-Meinhof-Komplex" besticht durch gute Darsteller und eine detailgetreue Rekonstruktion des deutschen RAF-Traumas. Doch hinter Action und Filmfinesse verbirgt sich eine Historienlektion ohne Haltung. [...] Zu Beginn des Films löst Edel diese Aufgabe mit Bravour. Erst als Ulrike Meinhof sich in Stammheim umbringt, isoliert von Öffentlichkeit und Kampfgenossen, und damit auch der Film seine einzige Protagonistin verliert, beschränkt sich die Erzählung des "Baader-Meinhof-Komplexes" nur noch darauf, historische Haltestellen hastig abzuklappern, mit teils drastischen Szenen zu bebildern, aber ohne großen Effekt hinter sich zu lassen. Gerade der junge Zuschauer, der Austs Buch nicht kennt und zu jung war, um die Zeit zu erleben, wird hier viele Dinge, die nur angedeutet werden, nicht mehr nachvollziehen können.[...]. Ohne Geschichtsbuch auf dem Schoß verliert man da schon mal den Überblick. Wie schon beim "Untergang" scheut sich das Eichinger-Team auch hier, eine Haltung zu vertreten. [...] beim "Baader-Meinhof-Komplex" fehlt am Ende schlicht die moralische Einordnung, ein Urteil über den deutschen Herbst und seine Akteure. “
– Andreas Borcholte, Spiegel Online, 18. September 2008
Brigitte Mohnhaupt
Seit August 2007 produzierte Bernd Eichinger die Verfilmung des Buchs Der Baader Meinhof Komplex. Der Film wurde u. a. in Berlin, München, Stuttgart-Stammheim (Justizvollzugsanstalt Stuttgart), Rom und Marokko gedreht. Gefördert wurde die Verfilmung mit rund 6,5 Millionen Euro aus verschiedenen Filmförderungsprogrammen.[1]
Bereits im Vorfeld der Premiere sorgte die ungewöhnlich restriktive Pressepolitik des Verleihers Constantin Film für Aufsehen. Journalisten, die Mitte August 2008 an einer „Work-in-Progress“-Sondervorführung in der Münchener Constantin-Zentrale teilnehmen durften, mussten eine mit einer Konventionalstrafe von 100.000 Euro bewehrte Vereinbarung unterschreiben, bis zur offiziellen Premiere am 16. September nicht über Inhalte des Films zu berichten. Auch fanden vor der Filmpremiere keine regulären Presseaufführungen statt; nur ausgewählte Medienpartner wie Der Spiegel erhielten das Recht zur frühzeitigen Berichterstattung. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) protestierte gegen das branchenunübliche Vorgehen der Constantin.[1]
2008 konnte sich der Film gegen Tom Schreibers Dr. Alemán, Doris Dörries Kirschblüten – Hanami, Dennis Gansels Die Welle und Andreas Dresens Wolke Neun durchsetzen und wurde von der Organisation German Films als deutscher Bewerber für den Auslands-Oscar bekannt gegeben. Die Entscheidung durch eine neunköpfige Fachjury erfolgte am 16. September 2008
* Eichinger, Katja: Der Baader Meinhof Komplex Das Buch zum Film; Hoffmann und Campe Verlag 2008. ISBN 978-3-455-50096-7 * Stefan Aust: Der Baader Meinhof Komplex. Hoffmann und Campe, Hamburg 1985, 667 Seiten, ISBN 3-455-08253-X (erweitert und aktualisiert: 1997, ISBN 3-455-11230-7; Taschenbuchausgabe 1998, ISBN 3-442-12953-2; völlig überarbeitete und ergänzte Neuausgabe 2008, ISBN 978-3-455-50029-5)
Todesnacht in Stammheim und die makabre Geschichtsschreibwut der Herrschenden
Am 18. Oktober 1977 wurden die drei Gefangenen aus der RAF Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe tot und Irmgard Möller durch Messerstiche schwer verletzt in ihren Zellen im Hochsicherheitstrakt in Stuttgart-Stammheim aufgefunden. Bis heute sprechen in allen Fällen zahlreiche Indizien gegen die offiziellen Selbstmordversionen (ausführliche Fakten dazu in den unten verlinkten Texten und im Buch "Stammheim" von Pieter Bakker-Schutt). In Mogadischu stürmte zuvor die GSG9 ein Flugzeug, das zur Erzielung der Freilassung der RAF-Gefangenen von palästinensischen AktivistInnen entführt worden war. Das RAF-Kommando Siegfried Hausner erschoss am 19. Oktober, nach Bekanntwerden des Todes der drei RAF Gefangenen, den ehemaligen SS-Untersturmführer und damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer. Er war zuvor entführt worden, um die Gefangenen aus der RAF im Austausch zu befreien.
Zum 30. Jahrestag dieses sogenannten Deutschen Herbstes werden momentan unzählige entpolitisierende Bücher, Filme und Zeitungsartikel veröffentlicht. In der Bild-Zeitung und im Spiegel, auf Veranstaltungen mit den Schreibtischtätern von damals und heute, in Talkshows und Spielfilmen - bis hinein ins Theater nutzt das Bürgertum momentan jede zur Verfügung stehende Bühne um seine Sicht auf den revolutionären Widerstand im allgemeinen und auf die RAF im besonderen zu vermitteln. Kaum eine Lüge ist ihnen dabei zu peinlich, keine These zu absurd. Während es sich laut den einen schlicht um "unpolitische Kriminelle" handelte, ziehen andere gar Vergleiche die bis hin zur Gleichsetzung mit den Nazis reichen (etwa der "RAF-Experte" Aust). Nicht der barbarische Krieg der USA und ihrer deutschen Unterstützer in Vietnam, auch nicht die Repression gegen die kommunistische linke Bewegung in der BRD sollen Gründe für die RAF gewesen sein, den bewaffneten revolutionären Kampf aufzunehmen. Höchstens zweitrangig soll auch die Tatsache gewesen sein, dass die alte Nazi-Elite längst wieder hohe Posten innehatte und mit Duldung, wenn nicht mit Hilfe, der Sozialdemokratie ihre faschistischen Methoden nach Lateinamerika und Asien zur Niederschlagung von Befreiungsbewegungen und sozialen Protesten exportierte. Nicht Aufrüstung und politische Prozesse, nicht Gleichschaltung der Medien und Einschränkung der Freiheitsrechte und schon gar nicht die Perspektive einer Welt ohne Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung… Stattdessen werden die Familienverhältnisse der RAF-AktivistInnen und ihre "Mordlust" aufgeführt - wenn überhaupt nach Gründen "gesucht" und nicht ausschließlich die Wahrnehmung der Herrschenden dargestellt wird. So erfahren wir, dass Baader in einem Frauenhaushalt aufwuchs und sich eigentlich (bis hin zu seinem Tod in Stammheim!) nur selbstdarstellen wollte. Wir erfahren, wie schwer es die Schreibtischtäter, Kriegstreiber und tatsächlichen Mörder hatten und dass die kapitalistischen Verhältnisse ganz allgemein, vielleicht nicht perfekt, aber doch das Bestmögliche sind. Es bleibt die Frage, wer von denjenigen, die uns aktuell mit all den Weisheiten zur RAF überfluten, deren Politik nicht begriffen hat oder sich mit ihr nicht auseinandersetzte - und bei wem die Hetze gar Methode hat. Fest steht, dass sie sich ganz offensichtlich nicht auf den Boden einer sachlichen Debatte wagen. Es geht seit jeher dabei um nichts als eine Verteufelung der RAF und eine Positionierung auf Seite des Staates - nicht um eine sachliche politische Auseinandersetzung. Doch wer kann ihnen schon übel nehmen, dass sie sich nicht auf dieses Glatteis begeben, auf dem sie nur zu Fall kommen können: Man muss kein Kommunist sein um zu begreifen, dass die Anschläge der RAF auf US-Stützpunkte nicht vergleichbar sind mit den hunderttausenden Toten durch die Kriege der westlichen Staaten, die Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik in der BRD nicht mit den Folgen von deren Politik in der ganzen Welt, die Anschläge auf die Repressionsbehörden nicht vergleichbar sind mit deren systematischen Angriffen und Morden an linken AktivistInnen.
Wir sind also nicht verwundert über die aktuelle hysterische Hetze, die pseudopsychologischen Deutungen, die möchtegern-moralischen Selbstdarstellungen, die aufgebauschten Banalitäten und die Lügengeschichten. Sie sind der Ausdruck der bürgerlichen Ideologie, der Weltanschauung derjeniger, deren politisches System seine wahre Fratze längst gezeigt hat und das sich durch die penetrante Verbreitung ebensolcher Darstellungen auf der einen und durch direkte Gewalt wie Kriege und Repression auf der anderen Seite aufrechterhält.
BAADER IM O-TON vor seiner Ermordung.
Regie Uli Edel drehbuch Stefan Aust (Buch) Bernd Eichinger (Drehbuch) Musik Peter Hinderthür Florian Tessloff Kamera Rainer Klausmann Schnitt Alexander Berner Produktion Bernd Eichinger (Producer)
Darsteller Martina Gedeck - Ulrike Meinhof Moritz Bleibtreu - Andreas Baader Johanna Wokalek - Gudrun Ensslin Bruno Ganz - Horst Herold Simon Licht - Horst Mahler Jan Josef Liefers - Peter Homann Alexandra Maria Lara - Petra Schelm Heino Ferch - Horst Herold Assistent Nadja Uhl - Brigitte Mohnhaupt Hannah Herzsprung - Susanne Albrecht Niels-Bruno Schmidt - Jan Carl Raspe Stipe Erceg - Holger Meins Daniel Lommatzsch - Christian Klar Vinzenz Kiefer - Peter-Jürgen Boock Volker Bruch - Stefan Eckhard Dilssner - Horst Bubeck Bernd Stegemann - Hanns Martin Schleyer
Die Story
Alles nimmt seinen Anfang im Juni 1967, als in West-Berlin der Besuch des Schah von Persien und seiner Frau ansteht. Die Starkolumnistin Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) schreibt in der linken Zeitschrift “konkret” - die ihr damaliger Mann Klaus Rainer Röhl (Hans-Werner Meyer) herausgibt - einen offenen Brief an die Frau des Schahs und hat auch tausende Flugblätter vorbereitet, die an den Unis verteilt werden sollen. Beim eigentlichen Staatsbesuch des Schah in West-Berlin kommt es zu der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration, im Zuge dessen auch der Student Benno Ohnesorg unter ungeklärten Umständen von einem Kriminalobermeister erschossen wird.
Pic Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) mit ihrem Ehemann Klaus (Hans-Werner Meyer)
Nach einem Seitensprung ihres Mannes zerbricht die Ehe von Ulrike Meinhof und sie zieht mit ihren beiden Zwillingstöchtern von Hamburg nach Berlin. Hier setzt sie sich nun öffentlich für die Studentenbewegung ein, die sich insbesondere nach dem Tod von Benno Ohnesorg ausweitet und auch immer radikaler wird. Als am 11. April 1968 der Studentenführer Rudi Dutschke (Sebastian Blomberg) auf offener Straße vom jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann (Tom Schilling) angeschossen und schwer verletzt wird, nimmt auch Meinhof an den gewalttätigen Protesten gegen den Axel-Springer-Verlag teil, dessen Zeitungen zuvor monatelang gegen Rudi Dutschke agitiert hat und daher von den Studenten für das Attentat verantwortlich gemacht wird. Die “Bild” hatte z. B. Tage zuvor zum “Ergreifen” der “Rädelsführer” aufgerufen.
Während des “Frankfurter Kaufhaus-Brandstifterprozess”, über den Ulrike Meinhof schreibt, lernt sie die vier dort angeklagten Studenten Thorwald Proll, Horst Söhnlein, Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) kennen. Die vier hatten aus Protest gegen den “Völkermord in Vietnam” am 2. April 1968 in den beiden Frankfurter Kaufhäusern Schneider und Kaufhof Brandbomben gelegt. Im Oktober 1968 beginnt gegen die vier der Prozess, worauf sie zu drei Jahren Haft verurteilt wurden - aber schon im Juni 1969 werden sie wieder entlassen, bis das Gericht über die Revision ihrer Urteile entscheidet.
Als im November 1969 ihre Revision abgelehnt wird, tauchen Andreas Baader und Gudrun Ensslin in Frankreich und später Italien in den Untergrund ab. Doch schon im Februar des Folgejahres kehren sie wieder nach Berlin zurück und suchen Unterschlupf bei Ulrike Meinhof, die zu dieser Zeit mit Peter Homann (Jan Josef Liefers) und ihren beiden Kindern dort lebt. Während einer Fahrzeugkontrolle wird Andreas Baader im April 1970 festgenommen und inhaftiert, doch schon einen Monat später im Deutschen Zentralinstitut in Berlin durch Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin wieder befreit.
Während dieser Aktion wird ein Angestellter des Instituts angeschossen und schwerverletzt. Diese Befreiung gilt im Übrigen heute als die Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion (RAF).
Pic Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) und Horst Mahler (Simon Licht) im Palästinenser-Camp (Jordanien)
Zwischen Juni und August 1970 absolvieren einige RAF-Mitglieder, darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Horst Mahler in einem Lager der palästinensischen Befreiungsorganisation Al-Fatah in Jordanien eine Militärausbildung. Zurück in West-Berlin verübt die RAF Ende September des gleichen Jahres drei Banküberfälle, die zeitgleich über die Bühne gehen und bei denen insgesamt über 200.000,- DM erbeutet werden. In den Folgemonaten kommt es zu weiteren Banküberfällen, aber auch zu Verhaftungen seitens der RAF, unter anderem wird ihr Anwalt Horst Mahler und auch Astrid Proll - die Schwester von Thorwald Proll, der bei den Brandanschlägen in Frankfurt dabei war - in Gewahrsam genommen. Im Juli 1971 gibt es nach einer Großfahndung in Hamburg mit Petra Schelm (Alexandra Maria Lara) seitens der RAF die erste Tote, die von der Polizei in einem Hinterhof erschossen wird - anfänglich dachten die Beamten sogar, es handele sich bei der Toten um Ulrike Meinhof. Die DPA meldet dementsprechend um 16:16 Uhr den Tod Meinhofs, um 16:28 Uhr dementiert sie jedoch ihre Meldung wieder.
Am 1. September wurde Horst Herold (Bruno Ganz) zum neuen BKA-Präsident und revolutionierte durch den Einsatz modernster Technik die Fandungsmethoden - unter anderem wird unter ihm, im Zuge des innenpolitischen Kampfes gegen den Terror der Rote Armee Fraktion, die Rasterfahndung eingeführt. Im Mai 1972 kommt es durch die RAF zu insgesamt sechs Bombenanschlägen, die vier Tote und zahlreiche Verletzte fordern. Den Anfang macht am 11. Mai ein Anschlag auf das V. US-Korps in Frankfurt / Main, der 13 Verletzte und einen Toten fordert. Nur einen Tag später folgt ein Bombenanschlag auf die Polizeidirektion Augsburg mit fünf Verletzten und am gleichen Tag geht vor dem LKA München eine Autobombe hoch, die aber zum Glück nur Sachschaden verursacht. Am 15. Mai erfolgt ein Anschlag auf den Wagen des Bundesrichters Buddenberg, bei dem dessen Frau schwer verletzt wird. Vier Tage später explodiert im Axel-Springer-Gebäude eine Bombe, die insgesamt 17 Verletzte fordert. Am 24. Mai explodieren schließlich einige Autobomben vor dem Europaquartier der US-Armee in Heidelberg - dieser Anschlag fordert drei Tote und fünf Verletzte.
Pic Die Verhaftung des Holger Meins (Stipe Erceg) in Frankfurt
Am 31. Mai 1972 startet mit “Aktion Wasserschlag” die größte Fahndung in der Geschichte der BRD. Diese Aktion stellt sich schnell als sehr erfolgreich heraus, denn nur einen Tag später wird nach einem Schusswechsel mit der Polizei Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe in Frankfurt / Main verhaftet. Eine Woche danach auch Gudrun Ensslin in einer Boutique in Hamburg festgenommen, am 9. Juni erfolgt die Verhaftung von Brigitte Mohnhaupt (Nadja Uhl) und Bernhard Braun und am 15. Juni 1972 kommen auch Ulrike Meinhof und Gerhard Müller endlich hinter Schloss und Riegel. Nachdem die Gründungsmitglieder der RAF allesamt verhaftet wurden, betrachtet die deutsche Regierung das Terrorismusproblem als gelöst - doch dies stellt sich sehr schnell als Irrtum heraus. Erst im Gefängnis entwickeln die Gründer der Rote Armee Fraktion ihre tatsächliche politische Macht. Dadurch wird nicht nur ihr Sympathisantenkreis vergrößert, sondern es treten auch immer mehr Mitglieder in die RAF ein und dadurch kommt es zur zweiten und dritten Generation, die auch brutaler und kaltblütiger agiert als die erste Generation.
Zwischen Januar und Februar 1973 erfolgt der 1. Hungerstreik der RAF-Gefangenen um damit zum einen gegen die langanhaltende Isolationshaft zu rebellieren und zum anderen den Status von Kriegsgefangenen einzufordern, für die eigene Regeln im Vollzug gelten. Von Anfang Mai bis Ende Juni kommt es zum zweiten Hungerstreik und zwischen Ende August 1974 und Anfang Februar 1975 folgt der dritte.
Am 9. November 1974 stirbt Holger Meins (Stipe Erceg) in der Haftanstalt Wittlich an den Folgen des Hungerstreikes. Er wog bei seinem Tod bei einer Größe von 1,86m nur noch 39 Kilogramm - Holger Meins ist somit nach Petra Schelm, die am 15. Juli 1971 erschossen wurde, das zweite Opfer auf Seiten der RAF-Terroristen. Auf seine Beerdigung am 18. November in Hamburg-Stellingen kommen über 5.000 Menschen, unter ihnen auch Rudi Dutschke, der direkt vor dem Grab und vor laufenden Kamera mit erhobener Faust ruft: “Holger, der Kampf geht weiter!”.
Pic Im Gerichtssaal von Stammheim: Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) und Andreas Baader (Moritz Bleibtreu)
Infolge des Todes von Holger Meins wird einen Tag danach im Zuge eines Racheakts, Berlins Oberster Richter Günter von Drenkmann in seinem Haus in Berlin angeschossen und verstirbt wenig später im Krankenhaus an der schweren Verletzung. Zu dieser Tat bekennen sich die Mitglieder der “Bewegung 2. Juni”. Im April 1975 besetzt das “Kommando Holger Meins” - zu dem unter anderem Karl-Heinz Dellwo, Bernhard Rössner und Siegfried Hausner gehören - die deutsche Botschaft in Stockholm. In ihrer Gewalt befinden sich zwölf Geiseln. Ziel ihrer Aktion ist es insgesamt 26 Gesinnungsgenossen, darunter natürlich Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl-Raspe freizupressen, die sich für ihren Prozess schon in der JVA Stuttgart-Stammheim befinden. Während dieser Aktion sterben mit Militärattaché Oberstleutnant Andreas von Mirbach und Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart zwei Geiseln - letzterer wird, nachdem der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt seinen Beschluss verkündete, dass auf die Forderung der Geiseln nicht eingegangen wird, von den Terroristen erschossen. Jedoch kurz bevor die schwedischen Sicherheitskräfte das Gebäude mit Betäubungsgas angreifen können, explodiert aus bislang ungeklärten Gründen eine von den RAF-Terroristen angebrachte Sprengladung. Durch diese Explosion erleiden alle sechs Kommandomitglieder und auch die Geiseln Verbrennungen. Ulrich Wessel stirbt noch in der gleichen Nacht an den erlittenen Verletzungen, Siegfried Hausner zehn Tage später in der JVA Stuttgart.
Am 21. Mai 1975 beginnt in der JVA Stuttgart-Stammheim der Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl-Raspe. Für diesen medienwirksamen Prozess wird eigens eine gepanzerte Mehrzweckhalle auf dem Gelände der JVA Stuttgart erbaut. Aus Furcht vor etwaigen Befreiungsversuchen mit Hubschraubern wird diese Halle - ebenso wie der Hofgang - großflächig mit Stahlnetzen überspannt. Die Baukosten für die Erweiterung betrugen damals 12 Mio. DM. Am Morgen des 9. Mai 1976 findet man Ulrike Meinhof mit einem in Streifen gerissenen und verknoteten Handtuch erhängt am Zellenfenster - lange Zeit kursiert bei den Sympathisanten und RAF-Mitgliedern das Gerücht von einem geplanten Mord durch den Staat. Kurz danach wird auch Brigitte Mohnhaupt nach Stuttgart-Stammheim verlegt und sagt dort am 22. Juli 1976 als Zeugin gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe aus. Die letzten Monate ihrer Haft verbringt sie oben im Hochsicherheitstrakt der JVA Stammheim und hat dort jeden Tag mehrere Stunden direkten Kontakt zu den drei RAF-Leuten. Mit diesen kommt sie überein, die RAF nach ihrer Haftentlassung am 27. Januar 1977 neu zu organisieren.
Am 7. April 1977 wird Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Begleiter in Karlsruhe ermordet. Zu diesem Anschlag bekennt sich wenig später das “Kommando Ulrike Meinhof”, dem Knut Folkerts, Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Günter Sonnenberg angehören. Drei Wochen später, am 28. April 1977 - nach 192 Prozesstagen im Stammheimer Prozess - werden Baader, Ensslin und Raspe unter anderem wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Pic Die Entführung von Hanns Martin Schleyers. Vorne Peter-Jürgen Book (Vinzenz Kiefer),auf dem Auto Willy Peter Stoll (Hannes Wegener)
Am 30. Juli 1977 wird Jürgen Ponto - Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG - in seinem Haus in Oberursel bei einem Entführungsversuch durch Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar (Daniel Lommatzsch) erschossen. Zu dem verabredeten Treffen kam es durch Susanne Albrecht (Hannah Herzsprung), der Tochter von Pontos ehemaligem Studienfreund. Dem Bankier war zwar bekannt, dass Susanne Albrecht politisch sehr weit links eingestellt war, er ahnte jedoch nichts von ihren Kontakten zur RAF. Am 5. September 1977 erfolgt in Köln die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer (Bernd Stegemann), bei dem vier seiner Begleiter ermordet werden - Rädelsführerin auch diesmal: Brigitte Mohnhaupt. Mit dieser Entführung sollten insgesamt elf inhaftierte RAF-Gefangene herausgepresst werden.
Ulrike Meinhof.
Ulrike Meinhof.
Am 22. September 1977 wird Knut Folkerts - der an der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback beteiligt war - im niederländischen Utrecht festgenommen, dabei erschießt er einen Polizisten. Im Oktober 1977 passiert das Kontaktsperregesetz den Bundestag, das die Möglichkeit zum Verbot von Gesprächen zwischen Inhaftierten und ihren Anwälten ermöglicht. Außerdem wurde im Schnellverfahren die Strafprozessordnung dahingehend geändert, dass ein Angeklagter in einem Strafverfahren höchstens drei Rechtsanwälte benennen darf. Andreas Baader und andere hatten sich zuvor von bis zu 15 Wahlverteidigern gleichzeitig vertreten lassen. Beide Gesetze wurden bereits im Oktober 1977 gegen die RAF-Häftlinge angewandt.
Pic Die Entführung Hanns Martin Schleyers (Bernd Stegemann)
Da die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt, nicht auf die Forderung der Entführer von Hanns Martin Schleyer eingeht, wird am 13. Oktober 1977 die Lufthansa-Maschine “Landshut” - die auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main war - von einem vierköpfigen palästinensischen Terrorkommando der PFLP namens Martyr Halimeh entführt, um palästinensische Gefangene und elf in Deutschland inhaftierte RAF-Terroristen freizupressen. Nach einem mehrtägigen Irrflug über Rom, Zypern, Bahrein und Dubai wird am 16. Oktober der Pilot der “Landshut” in Aden, Südjemen, von den Entführern erschossen. Am darauffolgenden Tag werden die Geiseln von der GSG 9 im somalischen Mogadischu befreit.
Nach dem Scheitern der Geiselnahme durch die zweite RAF-Generation, erschießen sich in der sogenannten Todesnacht von Stammheim, in der Nacht zum 18. Oktober 1977 Andreas Baader und Jan-Carl Raspe mit Pistolen, die zuvor von Rechtsanwalt Arndt Müller eingeschmuggelt wurden. Gudrun Ensslin erhängt sich mittels eines Kabels und Irmgard Möller - die nach dem Tod von Ulrike Meinhof gemeinsam mit Brigitte Mohnhaupt nach Stammheim verlegt wurde - fügt sich mit einem Besteckmesser mehrere Stichverletzungen in der Herzgegend zu, die allerdings nicht tödlich sind. Am 18. Oktober 1977 wird Hanns Martin Schleyer durch drei Kopfschüsse hingerichtet und am darauffolgenden Tag im französischen Mulhouse im Kofferraum eines Audi 100 tot aufgefunden. Die Identität des Mörders wird von den noch lebenden Beteiligten der Entführung bis heute geheim gehalten - in einer TV-Doku behauptete das Ex-RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock im September 2007, dass Rolf Heißler und Stefan Wisniewski die Täter gewesen seien… Brigitte Mohnhaupt: “Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren.”
Background
Pic Der “2. Juni 1967? vor der deutschen Oper, West-Berlin
Die Geschichte der RAF sollte im Großen und Ganze eigentlich jedem bekannt sein, egal ob man sich nun mehr oder weniger mit diesem Thema beschäftigt hat. Denn diese Thematik ist im Grunde immer noch regelmäßig in der Presse und den Medien präsent. Ende 2006 / Anfang 2007 war z.B. das Thema RAF wieder vermehrt in aller Munde, da zu dieser Zeit Brigitte Mohnhaupts gerichtlich festgelegte Mindesthaftzeit von 24 Jahren zu Ende war - sie wurde am 25. März 2007 auf Bewährung entlassen. Parallel dazu kämpften die beiden noch inhaftierten ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar und Birgit Hogefeld um ihre Gnadengesuche, die aber beide am 7. Mai 2007 von Bundespräsident Horst Köhler abgelehnt wurde. Im Herbst 2007 - zum 30-jährigen Jahrestag des “Deutschen Herbst” erschien z.B. im Spiegel eine sehr interessante und umfangreiche Serie zu dem Thema und zu dieser Zeit gab es natürlich mehrere TV-Dokumentationen, die sich allesamt mit der RAF beschäftigt haben.
Der Film Movie “Der Baader Meinhof Komplex” basiert auf Stefan Austs gleichnamigen Standardwerk, das der ehemaligen Chefredakteur des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel im Jahre 1985 veröffentlichte. Regie führt Uli Edel, zu dessen bekanntesten Film zweifelsohne Movie “Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” und Movie “Letzte Ausfahrt Brooklyn” gehören. Das Drehbuch stammt von Bernd Eichinger, der hier auch als Produzent tätig war. Die Dreharbeiten zu dieser Verfilmung begannen Anfang August 2007, gedreht wurde dabei in Berlin, in der JVA Stuttgart-Stammheim, im Studio in München, in Rom und auch in Marokko. Am 28. November 2007 fiel die letzte Klappe, wobei sich die Post-Produktions-Phase noch bis Ende Juli 2008 hinzog. Movie “Der Baader Meinhof Komplex” wurde mit rund 6,5 Mio Euro aus verschiedenen Filmförderungsprogrammen unterstützt.
Pic Kommunarde (Christian Näthe) während der Schah-Demo in West-Berlin
Noch ehe der Film einem ausgewählten Publikum gezeigt wurde, sorgte die ungewöhnliche Pressepolitik des Verleihers Constantin Film schon für große Aufregung in der Medienwelt. Der “Work-in-progress!”-Sondervorführung am 14. August 2008 sollte nur derjenige beiwohnen können, der eine Vereinbarung unterschreibt, dass bei einer etwaigen Veröffentlichung über Inhalte des Films vor dem 17. September eine saftige Konventionalstrafe fällig wird. Die Rede war dabei nicht von ein paar wenigen hundert Euro, sondern von gleich satten 50.000 Euro Strafe für den entsprechenden Journalisten und dem Medium, bei dem es veröffentlicht wird - also zusammen 100.000 Euro! Das der Deutsche Journalisten-Verband dagegen lauthals protestierte, dürfte ja jeden klar sein.
Der 17. September war als Deadline deswegen gesetzt, da am 16. September der Film in München seine ´Weltpremiere´ feierte und einen Tag darauf auch in Berlin mit viel Tamtam und Getröte einem ausgewählten Publikum gezeigt wurde. Parallel dazu wurde der Film am 16. September in München, einen Tag darauf in Hamburg, Berlin und Köln und am 18. September auch in Frankfurt und Stuttgart der Presse vorgeführt - natürlich ohne dass man irgendeine Vereinbarung bzw. Knebelvertrag unterschreiben musste. Offiziell startet Movie “Der Baader Meinhof Komplex” am 25. September 2008 in den deutschen Kinos - einen Tag später wird der Film auch in den österreichischen Lichtspielhäusern zu sehen sein. Ab Oktober und November wird das Werk dann auch schrittweise im Ausland gezeigt.
Wie man in den letzten Tagen der Presse und den Medien entnehmen konnte, wird Movie “Der Baader Meinhof Komplex” für Deutschland ins Oscar-Rennen geschickt - ob er letztendlich für die Kategorie “Bester fremdsprachiger Film” nominiert wird - stellt sich erst im Januar 2009 heraus, wenn sämtliche Oscar-Nominierungen bekanntgegeben werden - vorher sollte man seine Euphorie über den nächsten ´gewonnenen´ Oscar für Deutschland erstmal etwas dämpfen - denn wie sagt man so schön: “Andere Väter haben auch schöne Töchter”.
Regisseur // Drehbuchautor // Produzent // Der Autor
Pic Produzent und Drehbuchautor: Bernd Eichinger bei den Dreharbeiten
Bernd Eichinger, der hier nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch als Produzent tätig war, wollte eigentlich schon 1978 einen Film über Ulrike Meinhof drehen. Doch damals war das Thema deutscher Terrorismus noch nicht genügend recherchiert und zu vielschichtig und komplex für einen jungen Filmemacher. Anfang der 70er Jahre lernte er auf der Hochschule für Fernsehen und Film in München den zwei Jahre älteren Uli Edel kennen. Sie arbeiteten zu dieser Zeit an diversen Übungsfilmen und teilten sich die Faszination, sowohl an der Nouvelle Vague und dem Neo-Realismus, als auch an amerikanischen Mainstream-Kinofilmen.
1974 gründete Eichinger seine eigene Filmproduktionsgesellschaft Solaris Film, mit der er einige Autorenfilme von Regisseuren wie Wim Wenders (1975 Movie “Falsche Bewegung”), Edgar Reitz (1977 Movie “Stunde Null”) oder Hans-Jürgen Syberberg (1977 Movie “Hitler - ein Film aus Deutschland”) produzierte. 1978 kaufte er nach dem Zusammenbruch von Constantin Film 25% der Anteile und wurde geschäftsführender Gesellschafter der Neue Constantin Film GmbH. Zwei Jahre später erwarb er die Mehrheitsanteile dieser Firma. Den ersten großen und auch internationalen Erfolg feierte er 1981 mit dem Film Movie “Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” - bei dem natürlich Uli Edel Regie führte. Danach folgten so großartige Filme wie z.B. Movie “Die unendliche Geschichte” (1984 Wolfgang Petersen), Movie “Der Name der Rose” (1986 Jean-Jacques Annaud), Movie “Werner - Beinhart!” (1990 Gerhard Hahn + Michael Schaack) und natürlich Movie “Der bewegte Mann” (1994 Sönke Wortmann), bei denen er jeweils als Produzent tätig war. Ab 2000 folgten dann unter anderem die Produktionen zu Movie “Resident Evil” (2002 Paul W.S. Anderson), Movie “Der Untergang” (2004 Oliver Hirschbiegel), Movie “Fantastic Four” (2005 Tim Story) und natürlich auch Movie “Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders” (2006 Tom Tykwer).
Pic Regisseur Uli Edel mit Benno Ohnesorg (Martin Glade)
Uli Edel´s Durchbruch kam 1981 mit dem oben schon angesprochenen Drama Movie “Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” - der Film wurde ein Welterfolg und heimste einige Preise ein. 1989 drehte er in New York das Drama Movie “Letzte Ausfahrt Brooklyn” - eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Autor Hubert Selby (u.a. auch Autor der Vorlage zum Film Movie “Requiem for a Dream” - 2000 von Darren Aronofsky verfilmt). Produziert wurde dieser Film - der 1990 u.a. den Deutschen Filmpreis als bester Film gewann - natürlich von Bernd Eichinger. Seit 1990 lebt Uli Edel in Los Angeles, wo er mit großem Erfolg als Regisseur von TV-Filmen und Serien für das amerikanische Fernsehen gearbeitet hat. So führte er unter anderem bei einer Folge von David Lynch´s Mystery-Serie Movie “Twin Peaks” Regie. 2004 drehte er den knapp 3-stündigen TV-Film Movie “Die Nibelungen” mit Benno Fürmann und Kristana Loken in den Hauptrollen - laut den Einschaltquoten von Sat1 war Movie “Die Nibelungen” die erfolgreichste Mini-TV-Serie des Jahres 2004.
Stefan Aust brach sein Soziologie-Studium ohne Abschluss ab und war von 1967 - 69 Redakteur der “St. Pauli Nachrichten” und der Zeitung “konkret” - die 1955 von Klaus Rainer Röhl gegründet wurde. Röhl war zwischen 1961 und 1968 mit der Journalistin Ulrike Meinhof (!!!) verheiratet und hat mir ihr Zwillingstöchter. 1970 befreite Stefan Aust auf eigene Faust und mit Hilfe des RAF-Aussteigers Peter Homann die beiden damals 8-jährigen Zwillinge Bettina und Regine Röhl - Töchter von Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhof. Diese waren von Mitgliedern der RAF nach Sizilien verschleppt worden, da sich Ulrike Meinhof zu dieser Zeit im Ausbildungscamp in Jordanien aufhielt. Aust arbeitete ab 1970 für den Norddeutschen Rundfunk (NDR) und zwischen 1972 und 1986 für das Fernsehmagazin “Panorama”. Im Mai 1988 übernahm er die Funktion des Chefredakteurs für die Fernsehausgabe “Spiegel TV Magazin”.
Pic Autor Stefan Aust + Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger
1985 veröffentlichte er sein Buch “Der Baader Meinhof Komplex”, das inzwischen als das Standardwerk zum Thema RAF-Terrorismus gilt - 1997 erfolgte eine Aktualisierung des Buches und parallel zum Kinostart der Verfilmung soll eine neue überarbeitete und erweiterte Ausgabe erscheinen, die erstmal Fotos und über 100 Seiten mit neuen Informationen aus bislang unzugänglichen Quellen enthält. In den 80ern erschienen von ihm auch einige Dokumentationen, wie z.B. Movie “Der Kandidat” (1980 Regie + Drehbuch) und Movie “Krieg und Frieden” (1982 Regie + Drehbuch). Außerdem schrieb er 1986 unter anderem das Drehbuch zu Reinhard Hauff´s Krimi-Drama Movie “Stammheim - Die Baader-Meinhof-Gruppe vor Gericht”, das auf der Berlinale 1986 mit dem Goldene Bären ausgezeichnet wurde. 2007 war er auch maßgeblich an der zweiteiligen und sehr interessanten Dokumentation Movie “Die RAF” beteiligt, die im Herbst 2007 in der ARD ausgestrahlt wurde. Am 16. Dezember 1994 wurde er zum Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel und knapp ein halbes Jahr danach auch zum Geschäftsführer der Spiegel TV GmbH und moderierte diese Fernsehsendung regelmäßig. Im November 2007 wurde bekannt, dass die Gesellschafter des Spiegel-Verlages einvernehmlich und auch auf Initiative der Mitarbeiter-KG beschlossen hatten, Stefan Austs Chefredakteurs-Vertrag nicht über den 31. Dezember 2008 hinaus zu verlängern.
Darsteller // Crew
Für die Darsteller in Movie “Der Baader Meinhof Komplex” wurden selbst für die kleinsten Nebenrollen zahlreiche bekannte deutsche Darsteller rekrutiert. Die Hauptrollen übernehmen Moritz Bleibtreu (Andreas Baader), Martina Gedeck (Ulrike Meinhof), Johanna Wokalek (Gudrun Ensslin), Nadja Uhl (Brigitte Mohnhaupt) und Bruno Ganz (BKA Präsident Horst Herold). Pic Regisseur Uli Edel
Auch hinter der Kamera fungierten einige namhafte deutsche Filmleute: Rainer Klausmann hat als Kameramann in den Bereichen Kinofilm, Fernsehspiel und Dokumentarfilm mit vielen bedeutenden Regisseuren des europäischen Kinos zusammengearbeitet. Unter anderem mit Werner Herzog (1991 Movie “Schrei aus Stein”, 1992 Movie “Lektionen der Finsternis”), Oliver Hirschbiegel (2001 Movie “Das Experiment”, 2004 Movie “Der Untergang”) und Fatih Akin (2002 Movie “Solino”, 2004 Movie “Gegen die Wand”). Auch Szenenbildner Bernd Lebel kann auf eine lange Tätigkeit beim Film zurückblicken. 1979 hatte er so unter anderem mit Volker Schlöndorff bei Movie “Die Blechtrommel” und 2004 auch bei Oliver Hirschbiegels Movie “Der Untergang” mitgewirkt. Der Münchner Alexander Berner hat unter anderem 1995 bei Joseph Vilsmaier´s Movie “Schlafes Bruder”, 2002 bei Movie “Resident Evil”, 2004 bei Movie “Alien Vs. Predator”, 2006 bei Movie “Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders” und 2008 bei Roland Emmerich´s Movie “10.000 BC” für den richtigen Schnitt gesorgt.
Filme + Bücher über das Thema RAF
Über das Thema RAF gibt es zahlreiche Bücher, aber leider nicht wirklich viele Filme, die sich direkt mit den Ereignissen zwischen 1967 und 1977 befassen. Ein absolut empfehlenswertes Buch ist natürlich das Standardwerk zum Thema RAF-Terrorismus: “Der Baader Meinhof Komplex” von Stefan Aust, auf dem dieser Film auch basiert. Das Buch wurde 1985 veröffentlicht und aktuell am 5. September 2008 erschien eine völlig aktualisierte und erweiterte 1000-seitige Ausgabe, die erstmal Fotos und über 100 Seiten mit neuen Informationen aus bislang unzugänglichen Quellen enthält. Ebenfalls parallel zur Verfilmung erschien am 17. September 2008 von Katja Eichinger - Ehefrau des Produzenten Bernd Eichinger - das Buch zum Film “Der Baader Meinhof Komplex”. Auf 224 Seiten beschreibt die Autorin darin den Werdegang des Films. Neben Buchautor Stefan Aust kommen auch der Regisseur Uli Edel und zahlreiche Teammitglieder zu Wort und auch die Schauspieler schildern, wie sie ihre Rollen als Terroristen sehen. In der zweiten Hälfte des Buches ist zudem das Drehbuch von Bernd Eichinger abgedruckt.
Pic Stefan Austs Standardwerk “Der Baader Meinhof Komplex” als Neuauflage
Im Juni 2005 erschien im Heyne-Verlag von Autor Kurt Oesterle das Buch “Stammheim”, das auf Erzählungen von Horst Bubeck basiert, der zwischen 1964 und 1991 Vollzugsbeamter in der JVA Stammheim und jahrelang für die Baader-Meinhof-Gruppe zuständig war. Passend zum 30. Jahrestag des Deutschen Herbstes erschien im Mai 2007 - ebenfalls im Heyne Verlag - das Sachbuch “Terrorjahr 1977: Wie die RAF Deutschland veränderte”, das die beiden stern-Reporter Martin Knobbe und Stefan Schmitz schrieben. Für dieses Buch haben die Autoren mit vielen Zeitzeugen gesprochen und in Archiven bislang unveröffentlichte Dokumente aufgespürt.
Neben diesen vier angesprochenen Büchern gibt es natürlich zahlreiche, sicher nicht minder interessante Werke, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Thema RAF und dem “Deutschen Herbst 1977? beschäftigen. Einige der ehemaligen RAF-Terroristen haben natürlich auch in den letzten Jahren Bücher veröffentlicht und darin ihre Sicht der Dinge niedergeschrieben. So gibt es z.B. von Stefan Wisniewski das Buch “Wir waren so unheimlich konsequent: Ein Gespräch zur Geschichte der RAF mit Stefan Wisniewski”, von Astrid Proll “Hans und Grete: Bilder der RAF 1967-1977?, von Gudrun Ensslin “Zieht den Trennungsstrich, jede Minute” in dem Briefe an ihre beiden Geschwister Christiane und Gottfried veröffentlicht sind, von Karl-Heinz Dellwo “Das Projektil sind wir: Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen”, von Inge Viett “Nie war ich furchtloser: Autobiographie” und sicher viele andere mehr.
Pic DVD-Sammlung: “Deutscher Herbst”
Bei den Filmen sieht es leider nicht ganz so umfangreich aus. Insbesondere Ende der 70er und den 80ern folgten einige wenige Filme, die sich indirekt mit dem Thema Rote Armee Fraktion und den Terrorjahren in Deutschland beschäftigten: Kinowelt Home Entertainment und Arthaus hatten am 20. März 2008 mit “Deutscher Herbst” eine sehr schöne und interessante Sammlung von sechs bewegenden und mehrfach ausgezeichneten Filmen der Regisseure Volker Schlöndorff (Movie “Die verlorene Ehre der Katharina Blum” 1975), Margarethe von Trotta (Movie “Die bleierne Zeit” 1981), Rainer Werner Fassbinder (Movie “Die dritte Generation” 1979) und Reinhard Hauff (Movie “Messer im Kopf” 1978 + Movie “Stammheim” 1985) über die Terrorjahre in Deutschland in einem DigiPak mit Schuber veröffentlicht. Neben den fünf schon genannten Filmen gibt es auch das einmalige Zeitdokument Movie “Deutschland im Herbst” (1977-78) an dem zahlreiche bekannte deutsche Regisseure wie Schlöndorff, Fassbinder, Kluge und Reitz beteiligt waren.
2000 entstand die TV-Produktion Movie “Das Phantom” von Regisseur Dennis Gansel (u.a. Movie “Die Welle”). Dieser Politthriller basiert auf der Grundlage des Buches “Das RAF-Phantom” - geschrieben von den Journalisten Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker -, der die verbreitete Verschwörungstheorie zum Attentat auf Alfred Herrhausen in Szene setzt. Im August 2002 erschien im X-Verleih die DVD zum Dokumentarfilm Movie “Black Box BRD” von Regisseur Andres Veiel. Diese Doku beschäftigt sich mit dem RAF-Aktivisten Wolfgang Grams - der im Juni 1993 auf dem Bahnhof in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) von GSG-9-Beamten festgenommen werden sollte und dabei unter bis heute ungeklärten Umständen erschossen wurde - und mit Top-Manager und Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen, der am 30. November 1989 bei einem Bombenattentat ums Leben kam - am 2. Dezember 1989 fand man dazu ein Bekennerschreiben der Rote Armee Fraktion.
Mein Fazit
Pic Studentenunruhen beim Schah-Besuch in West-Berlin 1967
Es ist schon sehr verwunderlich, dass wirklich SO viele Jahre ins Land gezogen sind, bis sich endlich mal jemand getraut hat die Geschichte der RAF, die 1977 beim “Deutschen Herbst” ihren Höhepunkt hatte, zu verfilmen. Zwar gibt es einige Filme zum Thema Terror in Deutschland, nur befassen die sich teilweise nur indirekt mit der RAF. Selbst Stefan Aust, der 1985 sein Buch “Der Baader Meinhof Komplex” veröffentlicht hatte, wunderte sich in einem Interview darüber, dass nicht schon viel früher jemand zwecks einer Verfilmung bei ihm angefragt wurde. Vielleicht hat man sich all die Jahre gescheut dieses heiße Eisen anzufassen, weil man befürchten musste, das Ganze nicht objektiv genug in Szene zu setzen.
Das einfachste und beste ist natürlich all die Fakten - die z.B. im Buch “Der Baader Meinhof Komplex” zu finden sind - zu nehmen und daraus einen Film zu machen - was Bernd Eichinger, den man weitestgehend nur als Produzent kennt, auch endlich gemacht hat. In seinem - ich nenne es mit Absicht so - 150-minütigen Spielfilm handelt er sämtliche uns schon bekannte Tatsachen ab, die sich zwischen 1967 und 1977 abgespielt haben: Angefangen vom Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der für eine radikale Revolution unter den Studenten gesorgt hatte, über die ersten Bombenanschläge und Toten durch die RAF bis hin zur Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine und natürlich dem daraus resultierenden kollektive Selbstmord der RAF-Riege der ersten Generation.
Pic Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek)
Der Film bietet zwar Spannung von der ersten bis zur letzten Minute - was bei einem 150 Minuten-Film nicht einfach ist -, bietet aber im Grunde nichts Neues zum Thema. Regisseur Uli Edel hatte zwar vor kurzen in einem Interview behauptet, er wüsste wer Hanns Martin Schleyer umgebracht hat - was bis heute ja noch nicht wirklich eindeutig bewiesen ist - aber da er es nicht beweisen kann, sondern sein Wissen nur die Aussagen der Ex-RAF-Terroristen zugrunde liegen - mit denen er im Zuge der Dreharbeiten gesprochen hatte - habe er diese neuen Erkenntnisse nicht verwenden können. Sorry, als ich dies gelesen hatte, konnte ich nur mit dem Kopf schütteln. Denn solche Aussagen lesen sich für mich eher wie ein schlechter PR-Scherz um das Ganze auch schön im Kino ab dem 25. August 2008 ordentlich in die Höhe zu puschen. Und solche Art von PR hat der Film absolut nicht nötig!!!
Ich persönlich bin Jahrgang 1975 und habe mich auch erst ab Mitte der 90er Jahre langsam und stetig mit dem Thema RAF befasst - denn irgendwie hatte mich dieser Teil der deutschen Geschichte sehr fasziniert. In den letzten Jahren habe ich diverse Bücher mit großem Interesse gelesen, wie z.B. “Der Baader Meinhof Komplex”, “Stammheim” und “Terrorjahr 1977: Wie die RAF Deutschland veränderte” - alle drei habe ich weiter oben schon erwähnt und kann ich ausnahmslos empfehlen. Dazu kamen natürlich noch die mehrteilige Serie, die Der Spiegel im September / Oktober letzten Jahres veröffentlicht hatte und diverse Dokumentationen, die insbesondere im vergangenen Jahr permanent im deutschen Fernsehen liefen. Aus diesem Grund habe ich mich auch ganz arg auf die Verfilmung gefreut und dem deutschen Kinostart am 25. September 2008 regelrecht entgegengefiebert. Zum Glück konnte ich am Donnerstag, dem 18. September - also eine Woche vorher - der Einladung zur Pressevorführung in Stuttgart nachkommen.
Pic Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) vor seiner Verhaftung
Wie weiter oben geschrieben, bietet Movie “Der Baader Meinhof Komplex” 150 Minuten Spannung pur und gönnt dem Zuschauer kaum eine Atempause - selbst für diejenigen, die sich etwas mit dem Thema auskennen und wissen was und wie es damals abgelaufen ist. Die Inszenierung des Films ist im chronologischen Stil aufgebaut und wird durch ´echte´ Nachrichtenberichte und Medienaufnahmen etwas im dokumentarischen Stil aufgelockert. Für Regisseur Uli Edel stand in erster Linie auch die Authentizität im Vordergrund und nicht das Genrekino, was man dem Film auch jederzeit ansieht. Er verzichtete bewusst auf ´Kinolicht´, gezirkelte Kamerafahrten oder ausgefallene Kamerapositionen - alles wurde aus einer Hand gedreht, was den Schauspielern die größtmögliche Freiheit gibt. Obendrein wurde Movie “Der Baader Meinhof Komplex” natürlich an Originalschauplätzen in Berlin und auch Stuttgart-Stammheim gedreht.
Gerade diese Authentizität wird einige Zuschauer schocken, insbesondere natürlich die Angehörigen der Beteiligten und natürlich der Opfer. Im Film wird nix beschönigt oder überdramatisiert - was im Grunde auch Quatsch wäre, denn die Terrorjahre der RAF bieten interessanten Filmstoff für mehr als einen Film. Bernd Eichinger und Uli Edel haben sich so wenige Freiheiten wie nur möglich genommen und sich strikt an die Buchvorlage gehalten. Einzig die Figur von Horst Herold´s Assistenten Dietrich Koch - der hier im Film von Heino Ferch dargestellt wird - ist erfunden.
Pic Brigitte Mohnhaupt (Nadja Uhl) und Christian Klar (Daniel Lommatzsch)
Gerade die enorme Anzahl der verschiedene Darsteller, egal ob nun in größeren oder ganz kleinen Rollen, wird einige Zuschauer vielleicht etwas strapazieren. Laut Presseheft gibt es in Movie “Der Baader Meinhof Komplex” satte 123 Sprechrollen, 52 kleine Rollen und 6.300 Komparsen! Viele Darsteller bleiben namenlos, tauchen kurz auf und tauchen - insofern sie für den weiteren Verlauf nicht ´nötig´ sind - auch namenlos wieder ab.
Kommen wir nun zu den Darstellern: Der Film ist - anhand der enormen Anzahl an Rollen - natürlich bis in die kleinste Nebenrolle mit bekannten deutschen Darstellern besetzt. Im Großen und Ganzen agieren die jeweiligen Schauspieler auch sehr gut und überzeugend, dennoch bleiben mir viele Besetzungen ein Rätsel und lassen mich vermuten, dass es zu diesem Film gar kein großes Casting gegeben hat. Es sieht für mich so aus, als hätte man einfach alle bekannten deutschen Darsteller zusammengetrommelt um diese für den Film zu verpflichten.
Moritz Bleibtreu - im Grunde ein toller Schauspieler, den ich in vielen seiner Rollen, wie z.B. Movie “Das Experiment”, sehr schätze - hat nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit Andreas Baader - am besten mal dessen Name bei der Bildersuche von Google eingeben, dann wisst ihr was ich meine - und bei seiner Darstellung hab ich irgendwie immer seinen “Abdul” aus Movie “Knockin’ on Heaven’s Door” vor meinen Augen. Ebenso Bruno Ganz - ohne jeden Zweifel ein großartiger Darsteller - der hier seine Rolle als BKA-Präsident Horst Herold gut spielt - aber mit seiner Mimik und Gestik erinnert er mich irgendwie eher an seine Rolle in Movie “Der Untergang” - und wenn er dort gespielt hat, muss ich sicher nicht extra erwähnen. Sorry!
Pic Ruth (Sandra Borgmann) bei der Schleyer Entführung
Keine Angst, das ist kein typisches Problem der deutschen Darsteller, sowas passiert mir auch immer wieder bei diversen US-Darstellern. Ich erinnere da nur an den Typ in Movie “American Pie”, der auf dem Küchentisch einen Apfelkuchen vögelt - egal welche Rolle Jason Biggs in seinem Leben noch spielen wird, ich werde ihn IMMER in dieser einen Rolle vor Augen haben!
Aber es gibt auch positive Beispiele. Martina Gedeck kann als Ulrike Meinhof schon überzeugen, aber die beste Leistung liefert - meiner Meinung nach - Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin und auch Nadja Uhl als Brigitte Mohnhaupt ab. Die beiden Frauen spielen ihre Rolle dermaßen überzeugend, dass es einen teilweise eiskalt den Rücken runter läuft.
Unterm Strich gesehen ist Movie “Der Baader Meinhof Komplex” ein sehr guter Film und absolut empfehlenswerter Film, der auf schonungslose Art und Weise den Zuschauer 10 Jahre des Terrors in Deutschland nochmal vor Augen führt. Die 150 Minuten sind keinesfalls zu lang, eher sogar viel zu kurz für all die verschiedenen Personen und die komplexe Handlung. Ich denke mal hier wird es wieder im TV und auch auf DVD eine längere - sogenannte TV-Fassung - geben. Zumindest lese ich das aus der Stellungsnahme heraus, die Constantin Film Mitte Juli letzten Jahres veröffentlicht hatte (Infos siehe News vom 17. Juli 2007). Ich hätte mir ein besseres Händchen beim Casting, bzw. der daraus resultierenden Auswahl an Darstellern gewünscht. Weniger ist manchmal halt doch mehr, und meiner Meinung nach muss ein wirklich guter Film nicht immer mit der gesamten deutschen Darstellerriege ´vollgestopft´ werden - es gibt genügend talentierte und weniger bekannte Schauspieler in Deutschland, die auf eine Chance hoffen!
Irmgard Maria Elisabeth Möller (* 13. Mai 1947 in Bielefeld) ist ein ehemaliges Mitglied der linksextremistischen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF)
Die Tochter eines Oberstudienrats studierte Germanistik. 1971 wurde sie Mitglied der Rote Armee Fraktion. Sie soll die Aktionen der Gruppe im Raum Stuttgart koordiniert und organisiert haben. Im Juli 1972 nahm die Polizei sie fest. 1976 verurteilte man sie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Nach dem Tod Ulrike Meinhofs 1976 wurde sie in das Gefängnis Stuttgart-Stammheim verlegt und war mit anderen Gefangenen aus der RAF zusammengelegt.
Als einzige der RAF-Gefangenen in Stammheim überlebte sie die so genannte Todesnacht von Stammheim. Am 18. Oktober 1977 waren Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Hochsicherheitstrakt der JVA Stuttgart tot aufgefunden worden, Irmgard Möller wurde mit zahlreichen Messerstichen in die Chirurgische Klinik Tübingen geflogen und notoperiert.
Sie bestreitet bis heute die offizielle Version eines kollektiven Suizids und spricht von staatlich angeordneten Morden. Unabhängige Untersuchungen konnten diese Vorwürfe weder bestätigen noch endgültig aus der Welt schaffen.
Im Mai 1979 wurde sie wegen zwei Bombenanschlägen und Schüssen auf Polizeibeamte während ihrer Festnahme unter anderem wegen dreifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach dem Urteil wurde sie nach Lübeck verlegt und hatte jahrelang täglichen Umschluss mit der ebenfalls dort inhaftierten RAF-Gefangenen Hanna Krabbe. In der Nachfolge dieser Ereignisse bildete sich aus verschiedenen Frauengruppen ein Solidaritätskomitee für Möller. Möller verbüßte 23 Jahre Haft und wurde 1995 aus der Justizvollzugsanstalt Lübeck entlassen. Seit 2006 lebt sie in Hamburg und äußert sich hin und wieder in Interviews.
Wer kein Geld hat, druckt sich welches: Im Ersten Weltkrieg taten das viele deutsche Städte und Gemeinden, selbst Firmen bezahlten ihre Belegschaft mit selbstgemachten Scheinen. Der Staat sah ohnmächtig zu - und eine Druckerei in Goslar hatte eine geniale Idee. Von Michael Heim
In den "Farbwerken vorm. Meister Lucius & Brüning, Hoechst" drohte die Lage außer Kontrolle zu geraten. Alarmiert und in äußerster Eile telegrafierte die Geschäftsführung in die Reichshauptstadt, direkt an das Finanzministerium.
Reichsbank ohne Barmittel Punkt Löhnung unserer fünfzehntausend Arbeiter und Angestellten in Frage gestellt Punkt Bitten angesichts Notgeldgesetz vom siebzehnten Juli um schwere Unruhen zu vermeiden um Erlaubnis kurzfristige Gutscheine ausgeben zu dürfen Punkt Dringende Drahtantwort schnellstens erbeten
Ein solches Telegramm musste jeden Banker, jeden Finanzbeamten erschauern lassen. Das Management der Farbwerke, der späteren Hoechst AG, hatte zum Zahltag nicht genug Bares in der Kasse. Und wollte deshalb selbstgemachtes Ersatzgeld benutzen.
Es hatte viel geschehen müssen, bis zu diesem Tag im Herbst 1922, dass eine Anfrage wie diese nicht rundweg absurd erschien. Doch die Idee, mit hausgemachtem Geld statt offizieller Reichsmark zu zahlen, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Tradition. Die ersten Vorstöße in diese Richtung waren noch ganz vorsichtig verlaufen – acht Jahre zuvor, in den ersten Tagen des beginnenden Weltkrieges.
"Im festen Glauben an den Sieg!"
Die Stimmung war euphorisch gewesen, im August 1914. Die Nation bejubelte den Aufbruch in den Krieg, am raschen Sieg gab es keinen Zweifel. Welcher Kleingeist wollte da an Bunkern, an Hamstern, an Horten denken?
Einige wollten: diejenigen, die dem Krieg am nächsten waren. In den frontnahen Gebieten, im Elsass und in Ost- und Westpreußen, brachte man sein Geld vor dem nahen Feind in Sicherheit. Damit Handel und der alltägliche Einkauf überhaupt noch möglich waren, gaben Gemeinden und große Arbeitgeber Ersatzgeld aus - als Akt der Selbsthilfe, ohne Genehmigung aus der Hauptstadt. Deshalb nannte man das Kind auch lieber nicht beim Namen und druckte "Gutschein", "Anweisung", "Spareinlage" auf die Scheine. Keinesfalls sollten Zweifel an der patriotischen Gesinnung aufkommen, nur weil man seine Schäfchen ins Trockene brachte. Der Magistrat im ostpreußischen Bischofswerder versah sein Notgeld daher entschlossen mit dem Zusatz: "Im festen Glauben an den Sieg!"
Der Notgeld-Druck zu Kriegsbeginn blieb zunächst eine kurzlebige Episode. Im Verlauf des ersten Kriegsjahres wurde wieder mit Mark und Pfennig gezahlt. Doch das sollte nicht lange so bleiben - und als das Notgeld zurückkehrte, kam es mit Macht. Denn diesmal waren die Kräfte der Kriegswirtschaft am Werk, und die erfassten das ganze Land.
Den Deutschen geht das Kleingeld aus
Der schnelle Sieg, an den man 1914 felsenfest geglaubt hatte, war zwei Jahre später in weite Ferne gerückt. Regierung und Reichsbank mussten nun einen lang anhaltenden Krieg finanzieren, und sie griffen dazu auf ein Mittel zurück, dessen sich schon die römischen Kaiser gerne bedient hatten: das Münzrecht des Staates. Während jedoch die Römer das Silber in den Münzen strecken mussten, um bei leeren Kassen neues Geld zu prägen, brauchte man in der modernen Welt den Silbergehalt der Markstücke nicht anzutasten. Denn Münzen waren nur Peanuts. Wer einen Krieg bezahlen wollte, musste im großen Stil tätig werden - und setzte die Druckerpresse in Gang.
Die Inflation stieg und das Geld verlor durch seine Vermehrung an Wert, bis es 1916 schließlich soweit war: Das Silber in einem Markstück war mehr wert als die Mark, zu der es geprägt war. Wer mit dieser Münze ganz normal bezahlte, gab sie unter Wert aus der Hand. Rasch verschwand das Silbergeld deshalb in den Schatullen und war an der Kasse nicht mehr zu sehen. Die Pfennige ereilte ein ähnliches Schicksal: Denn Fünfer und Zehner enthielten Nickel, in Ein- und Zweipfennigstücken steckte Kupfer. Beides war begehrt, denn es wurde in der Rüstungsproduktion dringend gebraucht. Und so verschwanden auch die Pfennige.
Den Deutschen ging das Kleingeld aus. Von einem "ernsten Notstand" berichtete im März 1917 die Herzoglich Anhaltinische Finanzdirektion: "Die hiesige Reichsbanknebenstelle erklärt sich außerstande, dem dringendsten Bedürfnis nach Kleingeld abzuhelfen." Wer nicht passend zahlte, ging immer öfter leer aus. Die Auszahlung der Löhne geriet in Gefahr. Selbst Rentenempfänger mussten das Wechselgeld selbst zum Schalter mitbringen.
Schöne Scheine
Die Kommunen hatten keine Wahl: Sie mussten Abhilfe schaffen, brachten Notgeld heraus, und diesmal nannte man es auch so. Angesichts der dramatischen Situation hatte sich die Reichsbank dazu durchringen müssen, die Aushöhlung ihres Monopols bei der Notenausgabe zähneknirschend zu dulden. Noch 1918 versuchte sie jedoch, mit Appellen an die Bevölkerung die Lage unter Kontrolle zu bekommen: "Wer sein Kleingeld sinnlos zurückhält", verlautbarten die Finanzbürokraten mit drohendem Unterton, "bringt Handel und Wandel ins Stocken und bewirkt letzten Endes Stockungen in der Herstellung von Rüstung und Munition, schwächt die Front und hilft dem Feind zum Siegen. Kleingeldhamsterei ist Landesverrat." Genützt hat es nichts.
Immer wieder zwang die pure Not Gemeinden und Händler zu schmucklosen Kleingeldausgaben, auch nachdem der Krieg längst zu Ende war. Als 1920 die Inflation den Kupferpreis erneut nach oben trieb, verschwanden wieder einmal die Pfennige. Diesmal waren es nicht die Gemeinden, sondern vor allem zahllose kleine Händler, die ihren Wechselgeldbedarf in Eigenregie deckten. Schon der Name verriet, wo der Bedarf am größten war: "Bäckerpfennige" und "Gastwirtpfennige" nannte man die Zettel und Kartonstückchen. Allein in München gab es mehr als 400 Ausgabestellen dieses Do-it-yourself-Geldes. Selbst die Kantine des Telegrafenamtes fühlte sich berufen, ihr eigenes Geld in Umlauf zu bringen.
Doch jenseits der blanken Notwendigkeit begann sich etwas Neues abzuzeichnen - ein stiller Trend zunächst, den aufmerksame Geschäftsleute jedoch schon zu Zeiten des Krieges erkannt hatten. "Das Papiergeld müsste ferner ein geschmackvolles, künstlerisches Gepräge erhalten", empfahl bereits 1917 die Druckerei Flemming den Stadtvätern in Goslar und warb für ihr Notgeld-Design. Denn je attraktiver das Notgeld, "desto mehr geht es zu Gunsten der Gemeinde und Kasse in Sammler Hände über." Die Drucker hatten recht: Wer Notgeld in Umlauf brachte, also die Empfänger damit bezahlte, der konnte sich freuen, wenn es später nicht mehr zu ihm zurück kam und gegen richtige Mark eingelöst werden musste. Sammler von Notgeld waren deshalb die perfekte Zielgruppe. Die Scheine wurden schön.
Die Mark im freien Fall
Und weil allem Sammeln das Streben nach Vollständigkeit innewohnt, begannen Städte und Gemeinden, ganze Serien von aufwendig gestalteten Scheinen zu entwerfen, nur für die Liebhaber und ihr vorzügliches Hobby. Ganz bequem konnte der Interessent die "Serienscheine", wie man sie nannte, gleich im Komplettpaket erwerben. Die Strategie ging auf: Sammler trafen sich zu Notgeld-Ausstellungen, Zeitschriften wurden gegründet, Fachgeschäfte eröffnet. Zu Beginn der zwanziger Jahre erlagen mehr und mehr Menschen der Sammelleidenschaft, es wurde getauscht, gehandelt und zunehmend auch spekuliert. Im politischen Chaos und der Tristesse dieser Jahre barg das Notgeld-Sammeln für viele die Hoffnung, dass all die bunten Scheine vielleicht einmal sehr wertvoll werden würden – und ihre Besitzer ein bisschen reich.
Die Wirklichkeit meldete sich jedoch schnell zurück. Der Staatshaushalt geriet immer mehr aus den Fugen, und plötzlich ging es Schlag auf Schlag: Frankreich besetzte im Januar 1923 das Ruhrgebiet, als Pfand für die deutschen Reparationszahlungen. Regierung und Gewerkschaften riefen zum passiven Widerstand auf. Der Fiskus, seiner Einnahmen aus dem wichtigsten deutschen Industriegebiet beraubt, sollte den Widerstand finanzieren. Seitdem stand die Druckerpresse der Reichsbank nicht mehr still. Der Wert der Mark befand sich im freien Fall: Die Hyperinflation war gekommen.
Das vor kurzem noch gediegene Notgeld kehrte nun in die Welt des Mangels zurück. Die Preise stiegen schneller, als die Reichsbank Scheine herstellen konnte - deshalb halfen alle mit: Banken, Firmen und Städte druckten, was die Presse hergab. Manche verlegten sich darauf, ihre Eigenwährung nicht mit Reichsmark zu decken, sondern mit Naturalien: Die Oldenburgische Staatsbank brachte Gutscheine in Umlauf, die dem Überbringer 150 Kilogramm Roggen zusicherten. Die Idee erwies sich als ausbaufähig. Nachahmer bezogen ihre Scheine nun auf Feingold, Speck oder den Kubikmeter Gas.
Die Einführung der Rentenmark machte dem Spuk ein Ende. Am 15. Oktober 1923 galt im ganzen Reich wieder eine Währung mit stabilem Wert. Das Notgeld wurde nur noch nach Gewicht als Altpapier verramscht. Es verschwand für immer aus dem Alltag und fiel dem Vergessen anheim. Die Mark hatte sich ihr Monopol zurückerobert - nur bei den Sammlern nicht.
Zeit ist Geld
Galoppierende Preise, heiß laufende Gelddruckereien: Vor 85 Jahren war fast jeder Deutsche Millionär - und verfluchte seinen Reichtum bitterlich. Die Hyperinflation von 1923 war eines der dramatischsten Wirtschaftsdesaster der deutschen Geschichte. Von Katja Iken
Es war nicht die Sehnsucht nach ihren Männern, die die Frauen schon am frühen Morgen in die Fabriken trieb. Auch nicht die Gier. Es war die blanke Not. Mit Wäschekörben und Koffern behängt, drangen sie in die Betriebe, um ihren Ehegatten den Lohn direkt nach der täglichen Auszahlung aus den Händen zu reißen. Zeit ist Geld - selten war diese Parole so wörtlich zu nehmen. Schwer bepackt eilten die Frauen, allesamt Millionärinnen, in die Geschäfte, um dort die Geldscheine abzuladen und beizeiten das Nötigste zu ergattern. Bevor ihnen das Geld zwischen den Fingern zerrann - und schon wieder wertlos wurde.
Doch so sehr sich die Frauen auch beeilten: Den Wettlauf gegen die galoppierende Inflation konnten sie nicht gewinnen. Vor 85 Jahren geriet das Deutsche Reich in den Strudel der turbulentesten Geldentwertung, die das Land bislang je erlebt hat. Ausgangspunkt: der Erste Weltkrieg, ein Krieg, den sich die Deutschen nicht leisten konnten.
Am Ende kapitulierte die Regierung - und stand nicht nur bei den Gegnern, sondern auch bei der eigenen Bevölkerung tief in der Kreide. Mit sogenannten Kriegsanleihen hatten die deutschen Bürger ihrem Staat die Kriegskosten vorgestreckt. Um die Schulden zu begleichen, kurbelte der Staat die Notenpresse an - und die Mark verlor rapide an Wert. Denn für die immer größeren Geldmengen im Umlauf gab es keine materiellen Gegenwerte im Land.
Eine Fahrkarte für 150 Milliarden Mark
Mit dem Mord an Walther Rathenau im Juni 1922, der das Vertrauen in die Stabilität der jungen Weimarer Republik im In- und Ausland tief erschütterte, verschärfte sich die Geldentwertung weiter. Als die Franzosen Anfang 1923 wegen ausstehender Reparationszahlungen das Ruhrgebiet besetzten, eskalierte die Situation vollends: Um die streikende Bevölkerung finanziell unterstützen zu können, kurbelte die Regierung die Geldproduktion abermals an - mit der Folge, dass die krisengeschüttelte Wirtschaft endgültig zusammenbrach.
Immer rasanter drehte sich die Inflationsspirale: Kostete ein Roggenbrot im Oktober 1922 noch 23 Mark, musste man im Juli darauf bereits 2000 Mark und im Herbst sogar 260 Millionen Mark dafür hinblättern. Wer die öffentlichen Verkehrsmittel nehmen wollte, musste das Geld für die Fahrkarte in einer Schubkarre mitführen. Betrug der Preis für eine Berliner Straßenbahnfahrt Anfang 1923 noch 50 Mark, so waren dies im Juli 1000 und Mitte November 150 Milliarden Mark. Unvorstellbare Summen, deren Produktion einen enormen Aufwand darstellte.
Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation waren rund 30.000 Menschen mit der Herstellung der Geldscheine beschäftigt. Rund um die Uhr arbeiteten im Herbst 1923 bis zu 133 Fremdfirmen mit knapp 1800 Druckmaschinen für die Reichsdruckerei. 30 Papierfabriken produzierten das hierzu notwendige Banknotenpapier - eine Entwicklung, die Hans Fallada in seinem 1937 erschienen Inflations-Roman "Wolf unter Wölfen" aufgegriffen hat: "Irgendwo in dieser Stadt stand eine Maschine und erbrach Tag und Nacht Papier über der Stadt. 'Geld' nannten sie es. Sie druckten Zahlen darauf, wunderbare, glatte Zahlen mit vielen Nullen, die immer runder wurden. Und wenn du gearbeitet hast, wenn du dir etwas erspart hast auf deine alten Tage - es ist alles wertlos geworden; Papier, Papier und Dreck."
Wäschekorb für die Kollekte
Wie von Fallada beschrieben, gehörten insbesondere ältere Menschen, deren Erspartes zum Teufel ging, zu den Verlierern der Inflation - die Selbstmordrate bei Senioren stieg in dieser Zeit sprunghaft an. Doch auch kleine Gewerbetreibende, Arbeiter, Kriegerwitwen und Kriegsinvaliden traf die rasante Geldentwertung besonders schlimm. Während die Arbeitslosigkeit stieg, fielen die Reallöhne ins Bodenlose, mit fatalen Folgen: Verarmung und Verelendung griffen um sich, Plünderungen und Krawalle gehörten zur Tagesordnung, Einbrecher wurden immer dreister. Hatten sie es in vergangenen Zeiten auf Geld abgesehen, griffen sie nun lieber nach Wertsachen und gingen sogar soweit, ihren Opfern die Goldzähne auszureißen.
Die Währung verkam zum Spielgeld, im wörtlichen Sinne: Mit den wertlosen Bündeln bauten die Kinder hohe Türme auf der Straße; lastwagenweise karrte die Müllabfuhr die Scheine zur Verbrennung. Lohnverhandlungen fanden wöchentlich statt, Bankbeamte durften ihren Arbeitsplatz nicht vor Geschäftsschluss verlassen - schließlich kannten sie die aktuellen Wechselkurse. Und in der Kirche hielten die Pfarrer den Gläubigen einen Wäschekorb für die Kollekte hin.
Wer irgendwie konnte, versuchte die Situation zu seinen Gunsten zu nutzen. Unternehmer wie etwa Hugo Stinnes nahmen Schulden auf, die am nächsten Tag leicht zu begleichen waren und vergrößerten so ihr Wirtschaftsimperium. Doch auch das Spekulantentum explodierte, Tag um Tag zog die neugegründete Wucherpolizei über die Märkte, um Preisbetrüger zu stellen - meist vergeblich. Da das Geld trotz der Nachtschichten in den Papierfabriken und Druckereien nicht reichte, gingen mehr als 5800 Städte, Gemeinden und Firmen dazu über, eigene Notgeldscheine herauszugeben.
"Oha, wat is dat för 'ne Welt"
Regional trieb dies zum Teil bizarre Blüten, da viele ihre Scheine mit eigenen Sprüchen bedrucken ließen. Der Hamburger Hagenbecks Tierpark etwa mahnte die Bevölkerung ironisch: "Mensch, schimp nich op de slechte Tied - wi hebbt hüt mehr Geld noch als Schiet". Auf anderen Scheinen der Hansestadt war zu lesen: "Oha, wat is dat för 'ne Welt, so so'n Lappen 'n Markstück gellt!" Am Ende kursierten mehr als 2800 verschiedene Geldscheinsorten in Deutschland.
Als der US-Dollar schließlich bei knapp 4,2 Billionen Mark stand und die Inflationsrate sich auf geschätzte 750 Milliarden Prozent belief, musste die Regierung handeln. Nachdem Reichskanzler Gustav Stresemann zunächst die Notenpresse stilllegen ließ und das offizielle Ende des Ruhrkampfs verkündete, beendete er den monetären Spuk am 15. November 1923 mit der Währungsreform und der Einführung der Rentenmark.
gold pfennig 1923
Weil das Deutsche Reich zur Deckung des Grundkapitals der neugegründeten Rentenbank nicht die nötigen Goldvorräte aufweisen konnte, wurde der Grundbesitz von Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe mit einer Hypothek von 3,2 Milliarden Rentenmark belastet. Für eine Billion Papiermark erhielten die Menschen nun eine Rentenmark - die dem Wert von 15,4 Pfennigen des Jahres 1914 entsprach. Ab dem 30. August 1924 wurde schließlich die Reichsmark zur offiziellen Währung - und Geld war wieder etwas wert.
provisorisches geld auf bierdeckeln ausgestellt
Knöllchen* für die Spekulanten!
* Das „Knöllchen“ ist die rheinländische Form des Strafzettels.
Mit ihm wird man gemahnt, zu unterlassen, was der Allgemeinheit schadet.
Immer mehr Menschen stoßen bei ihren Bemühungen, gesellschaftliche Widersprüche zu begreifen, auf die Konzeption der Natürlichen Wirtschaftsordnung. Die Analyse und die daraus resultierenden Forderungen nach einem gegen Null tendierenden Zinsniveau leuchten schnell ein. Die Last von über 1.000 Millionen Euro, die täglich in Form von Zinsen von den Arbeitenden zu den Besitzenden fließen, ist eine unübersehbare Mahnung. Ein verteilungsneutrales Geld ist die Voraussetzung für eine soziale und ökologische Gesellschaft.
Dauerhaft niedrige Zinssätze mit einem Geld, das den Menschen und Märkten tatsächlich dient, statt sie zu beherrschen, bieten die Grundlage für viele positive gesellschaftliche Entwicklungen. Eine funktionierende Währung muß gewährleisten, dass bei gesättigten Märkten und bei ausreichender Geldversorgung das Zinsniveau langfristiger Anlagen gegen Null tendiert.
Eine Geldumlaufgebühr, wie sie die INWO fordert, garantiert einen stetigen Geldumlauf und ermöglicht daher der Europäischen Zentralbank (EZB), die Bargeldmenge aktiv zu regulieren. Dies ist eine Voraussetzung für eine inflationsfreie Währung. Gleichzeitig setzt diese Umlaufgebühr das Geldkapital unter Angebotsdruck. Das bietet Gewähr dafür, dass der Markt immer - auch bei niedrigsten Zinssätzen - ausreichend mit langfristigem Finanz- kapital versorgt wird.
Wie wirkt eine Umlaufgebühr und wie oft muß sie angewendet werden?
Eine konstruktive Umlaufsicherung in Form einer Geldgebühr ist dann notwendig und sinnvoll, wenn die beiden anderen umlaufsichernden Mechanismen (der Zins und die Inflation) ihren Dienst versagen. Dies geschieht immer dann, wenn die Inflationsrate sinkt,wodurch der Wertverlust bei Bargeldhaltung bedeutungslos wird, sowie wenn die Zinssätze fallen. Bei niedrigen Zinssätzen halten Anleger überproportional viel Finanzkapital liquide. Sie verweilen gerne in kurzfristigen Anlageformen und vermehren ihre Bargeldbestände, um bei günstigen Gelegenheiten rasch zugreifen zu können. Dieses Verhalten aber zwingt die Zentralbank, mehr Geld herauszugeben, als es für den realen Zuwachs beim Bruttoso- zialprodukt notwendig und wünschenswert ist. Steigen die Zinsen wieder an und wird in Folge die Geldzurückhaltung wieder aufgegeben, kann dieses überschüssige Geld inflati- onsfördernd wirken.
Folgenschwer ist, dass der Hang zur Liquidität ein Defizit an langfristigen Geldanlagen verursacht. Dieses Defizit vergrößert sich mit sinkenden Zins- und Inflationsraten, so wünschenswert und entlastend diese auch für die Wirtschaft sind. Bei einem allzu starken Absinken der Zinssätze kann es sogar zu deflationären Wirschafts-lagen kommen. Sowohl die Kreditverknappung als auch die Deflationsgefahr können mit einer konstruktiven Umlaufsicherung vermieden werden:
Registriert die EZB eine überproportionale Zunahme der Bargeldmenge, kann sie einzelne Stückelungen, also 50 EURO -, 200 EURO -, oder 500 EURO -Scheine zum Umtausch aufrufen.
Um die Geldhalter schon im Voraus zur Freigabe der gehorteten Bestände zu motivieren, erhebt sie eine Umtauschgebühr. Die Höhe der Gebühr und die Häufigkeit der Aktion kann sie flexibel regeln. Wichtig ist, dass beide Faktoren mäßig eingesetzt werden, um das Vertrauen in die Währung nicht zu gefährden. Möglicherweise genügt schon die Ankündigung einer gebührenpflichtigen Umtauschaktion, um die Bargeldnachfrage auf das gewünschte Maß zu beschränken und eine regelmäßige Weitergabe zu gewährleisten. Der eintretende Effekt muss so groß sein, dass die nachgefragte Geldmenge dem aktuell berechneten Bedarf - also der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Um ihre Liquidität zu behalten, gleichzeitig aber der Umtauschgebühr zu entgehen, könnten die Geldhalter jetzt noch auf Girobestände ausweichen. Eine ergänzende Gebühr auf die Bestände der Girokonten sorgt für den notwendigen Anreiz, überschüssige Guthaben längerfristig auszuleihen.
Wie verändert sich das Zinsniveau?
Die Unterschiede zwischen verschiedenen Laufzeiten und den diversen Kreditkriterien bleiben in den unterschiedlichen Zinshöhen erhalten. Das Niveau der Zinstreppe wird letztlich nur nach unten verlagert. Daraus ergibt sich, dass es sich für Anleger rechnet, selbst bei niedrigen Zinssätzen langfristige Anlageformen zu akzeptieren. Es wird somit auch bei niedrigsten Zinssätzen ein ausreichendes Kreditangebot zur Verfügung stehen. Durch die Gebühren gerät das Geldvermögen unter Angebotsdruck.
Es ist leicht zu erkennen, dass ein solcher Mechanismus das überschüssige Spekulationskapital dazu zwingt, sich gegenseitig im Preis zu unterbieten.
Wer anderen gern das Geld entzieht . . . . . . zahlt selber drauf.
Die Umlaufgebühr wird eingesetzt wie Strafzettel für falsches Parken. Beeinträchtigen Falschparker die Sicherheit im Straßenverkehr oder den Verkehrsfluss, werden sie durch kostspielige Strafzettel zur Unterlassung ihres Verhaltens ermahnt. Im Interesse aller werden jene zur Kasse gebeten, die zum eigenen Vorteil eine Störung der Übrigen in Kauf nehmen. Schmerzlich sind diese „Knöllchen“ nur für notorische Verkehrssünder. Im Bereich des Geldes trifft die Gebühr vor allem die Spekulanten und jene, die auf hohe Zinsen warten. Wer aus spekulativen Gründen viel Bargeld hält, wird sich bei einer anstehenden Umtausch- aktion überlegen müssen, ob der zu erwartende Gewinn die anfallenden Kosten erbringen wird. Gegebenenfalls wird er seinen Bargeldbestand reduzieren - zum Vorteil für die Allgemeinheit. Durch die Umtauschgebühr begrenzt sich die Nachfrage nach Bargeld, und so wird die umlaufende Geldmenge konkret, und nicht wie heute nur indirekt, steuerbar.Welche Kosten verursacht dieses verteilungsneutrale Geld beim Verbraucher?
Für den durchschnittlichen Verbraucher sind die Gebühren für den Bargeldumtausch verschwindend gering. Geht man davon aus, dass sich die Banknoten bis zu einem Wert von 50 EURO kaum zur spekulativen Hortung eignen, wird ein Umtausch dieser Noten nur sehr selten notwendig sein. Doch selbst wenn der Umtausch aller Banknoten innerhalb eines Jahres ratsam erschiene, bliebe die Belastung gering.
Bei einer durchschnittlichen Bargeldhaltung von 500 EURO und einer Umtauschgebühr von 6% p.a. würde ein Haushalt hierfür gerade mal mit 30 EURO im Jahr zur Kasse gebeten. Die Belastung auf den Girokonten würde bei einem durchschnittlichen Guthaben von 1.000 EURO und einer angenommenen Gebühr von 5% p.a. nochmals 50 EURO ausmachen.
Langfristig angelegte Sparguthaben bleiben ohnehin unbelastet, behalten aber durch die Preisstabilität ihren realen Wert. Wer nach Abzug von Miete und Fixkosten nur noch geringfügige Beträge auf dem Girokonto behält, braucht entsprechend weniger zu zahlen.
Firmen, die üblicherweise mit größeren Geldmengen und Kontobeständen arbeiten, müssten ihre Zahlungsgewohnheiten den veränderten Gegebenheiten anpassen, um nicht übermäßig belastet zu werden.
Bedenkt man, dass allein die Zinsen für die Konsumentenschulden jeden Haushalt im Durchschnitt mit jährlich ca. 400 EURO belasten und die Zinszahlungen der öffentlichen Haushalte pro Erwerbstätigen über 2.000 EURO ausmachen, wird deutlich, dass eine Entlastung durch sinkende Zinssätze die anfallende Umtauschgebühr um ein Vielfaches kompensiert. Verteilt man die Last der gesamten Bankzinserträge von 382 Mrd. EURO (2001) auf alle Haushalte, ergibt sich ein Anteil von rund 10.600 Euro. Diese Kosten sind vermeidbar. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um eine stabile und verteilungsneutrale Währung einführen zu können?
Um das Geld den Menschen dienstbar zu machen, braucht es keine revolutionären Veränderungen. Auch braucht niemand zu fürchten, dass er enteignet werden soll. Man muss auch nicht darauf warten, dass alle Menschen gut und einsichtig werden, um die Vorteile einer funktionierenden Geldordnung nutzen zu können.
Genau genommen ist lediglich ausreichend öffentlicher Druck nötig, um die Notwendigkeit und den Willen zur Durchsetzung eines verteilungsneutralen Geldes zu dokumentieren. Auf der politischen Ebene muss durchgesetzt werden, dass die Chancen und Risiken einer gebührengestützten Umlauf-sicherung wissenschaftlich geprüft und breit diskutiert werden. Wenn die Kriterien dieses Steuerungsmechanismus ausreichend untersucht und etwaige Risiken abgewogen wurden, werden selbst die maßgeblichen Herren der Deutschen Bundes- bank und der EZB ihren Widerstand gegen eine Geldreform nur schwer aufrecht erhalten können.
Die umlaufende Geldmenge gegen Gebühr zum Umtausch aufzurufen, wäre der EZB auch ohne Gesetzesänderungen schon heute möglich, da es ihrem Auftrag der Geldmengensteue- rung dient. Die Gratwanderung zwischen hohen Zinsen und Inflation wäre damit überwunden. Welche Vorteile ergeben sich aus der vorgeschlagenen Geldreform? Die Belastungen durch die Zinsforderungen sind schier unvorstellbar. Die Summe der Zinsen, die Produzenten und Händler an die Endverbraucher weitergeben müssen, macht mittlerweile im Durchschnitt ein Drittel der Preise aus. In den Wohnungsmieten sind über 70 Prozent der Kosten reine Zinszahlungen.
Niedrige bzw. fallende Zinssätze haben positive Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft:
• Sie erhöhen die Kaufkraft der arbeitenden Menschen. • Sie bremsen die Vermögenszunahme der Reichen. • Sie verringern die Schuldenlast der öffentlichen Haushalte. • Sie führen zur Bildung neuer Arbeitsplätze und ermöglichen Vollbeschäftigung. • Sie machen ökologisch sinnvolle Projekte rentabel. • Sie senken die Baufinanzierungskosten und damit die Wohnkosten.
In Verbindung mit einer Umlaufgebühr ergeben sich diese Effekte, wenn Zins- und Inflationsraten gegen Null tendieren.
Die INWO setzt sich für eine funktionierende und gerechte Wirtschaftsordnung als Grundlage einer wirklich sozialen Marktwirtschaft ein. Sie stützt sich dabei u. a. auf die Werke des Sozialreformers Silvio Gesell und die Erkenntnisse des Wirtschaftsanalytikers Helmut Creutz. Unterstützen Sie unsere Ziele mit einer Spende oder fördern Sie die Arbeit der INWO durch Ihre Mitarbeit oder eine Mitgliedschaft. Besuchen Sie uns im Internet und fordern Sie weitere Informationsmaterialien an:
www.INWO.de
Scheine aus Freital: Auch die Stadt Freital druckte in den Zwanzigern ihr eigenes Notgeld, wie in einer sonderausstellung zum Thema Geld im Februar 2003 zu sehen war. Die Scheine bestanden nicht immer nur aus Papier, teilweise wurden auch Holz, Stoff und Aluminium bedruckt und zu Notgeldscheinen umfunktioniert.
Marktwirtschaft ohne Kapitalismus
Eine Übersicht über die Grundgedanken, die ideengeschichtliche Herkunft und den derzeitigen Entwicklungsstand, über Organisationen und weiterführende Literatur
Von Werner Onken
Geld: Vom Beherrscher der Märkte ...
1891 veröffentlichte der deutsch-argentinische Kaufmann Silvio Gesell (*1862 in St. Vith bei Eupen/Malmedy, + 1930 in der bodenreformerischen Genossenschaftssiedlung Eden-Oranienburg) in Buenos Aires seine erste Broschüre "Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum sozialen Staat". Sie bildete den Grundstein für ein umfangreiches Werk über die Frage nach den Ursachen der sozialen Frage und nach Wegen zu ihrer Lösung. Praktische Erfahrungen, die Gesell während einer Wirtschaftskrise im damaligen Argentinien gesammelt hatte, führten ihn zu einer Sichtweise, die dem Marxismus widersprach: die Ausbeutung der menschlichen Arbeit habe ihre Wurzel nicht im privaten Eigentum an den Produktionsmitteln, sondern in strukturellen Fehlern des Geldwesens. Wie schon der antike Philosoph Aristoteles erkannte er die widersprüchliche Doppelrolle des Geldes als ein dem Markt dienendes Tauschmittel und als ein den Markt zugleich beherrschendes Machtmittel.
Gesells Ausgangsfrage lautete: Wie läßt sich die Eigenschaft des Geldes als wucherndes Machtmittel überwinden, ohne es dabei als neutrales Tauschmittel zu beseitigen? Die Macht des Geldes über die Märkte führte er auf zwei Ursachen zurück: Erstens ist das herkömmliche Geld als Nachfragemittel anders als die menschliche Arbeitskraft oder die Güter und Dienste auf der Angebotsseite der Wirtschaft hortbar - ohne nennenswerten Schaden für seinen Besitzer kann es aus spekulativen Gründen vorübergehend von den Märkten zurückgehalten werden. Zweitens hat das Geld den Vorteil, daß es sehr viel flüssiger ist als Waren und Dienstleistungen; wie der Joker im Kartenspiel ist es zu jeder Zeit und an jedem Ort einsetzbar. Diese beiden Eigenschaften verleihen dem Geld - vor allem den Besitzern größerer Summen - ein besonderes Privileg: Sie können den Kreislauf von Käufen und Verkäufen, Sparen und Investieren unterbrechen oder von den Produzenten und Konsumenten einen Zins als besondere Prämie dafür verlangen, daß sie auf die spekulative Kassenhaltung verzichten und das Geld in den wirtschaftlichen Kreislauf weitergeben.
Die strukturelle Macht des Geldes beruht nicht allein auf seiner tatsächlichen Hortung, sondern es genügt bereits die Möglichkeit von Kreislaufunterbrechungen, um den wirtschaftlichen Stoffwechsel im sozialen Organismus an die Bedingung zu knüpfen, daß dabei zuerst das Geld mit einem Zins bedient werde. Die Rentabilität erhält den Vorrang vor der Wirtschaftichkeit, die Produktion wird mehr am Zins des Geldes als an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet. Dauerhaft positive Zinssätze stören die für eine dezentrale Selbstordnung der Märkte notwendige Balance von Gewinnen und Verlusten. Gesell zufolge führen sie zu einer Erkrankung des sozialen Organismus mit einer sehr komplexen Symptomatik: Das zinstragende und darum nicht-neutrale Geld bewirkt eine leistungswidrige, ungerechte Einkommensverteilung, welche ihrerseits zu einer Konzentration von Geld- und Sachkapital,und damit zu einer Monopolisierung der Wirtschaft führt. Da die Geldbesitzer Herren über Bewegung oder Stillstand des Geldes sind, kann das Geld nicht 'von selbst' durch den sozialen Organismus fließen wie das Blut durch den menschlichen Körper. Deshalb sind eine gesellschaftliche Kontrolle des Geldumlaufs und eine richtige Dosierung der Geldmenge nicht möglich; deflationäre und inflationäre Schwankungen des allgemeinen Preisniveaus lassen sich nicht vermeiden. Und wenn sich im Auf und Ab der Konjunkturen größere Geldsummen wegen eines zeitweise sinkenden Zinsniveaus solange von den Märkten zurückziehen, bis die Aussichten auf rentable Anlagen wieder besser werden, ergeben sich Absatzstockungen und Arbeitslosigkeit.
... zum neutralen Diener der Märkte
Als Weg zur Entmachtung des Geldes dachte Gesell nicht an einen Rückgriff auf das kanonische Zinsverbot der mittelalterlichen Scholastik oder gar an die Beseitigung von sogenannten 'jüdischen Wucherern'. Vielmehr stellte er sich eine institutionelle Änderung des Geldwesens in der Weise vor, daß die Kassenhaltung des Geldes mit Kosten verbunden wird, welche die Vorteile der Hortbarkeit und Liquidität neutralisieren. Sobald das Geld mit einer Gebühr auf Kassenhaltung belegt wird - vergleichbar dem Standgeld für Güterwaggons im Verkehrswesen -, verliert es seine Überlegenheit über die Märkte und erfüllt dann nur noch seine dienende Funktion als Tauschmittel. Sobald seine Zirkulation nicht mehr von Spekulationsmanövern gestört werden kann, wird es möglich, die Menge des zirkulierenden Geldes fortlaufend so an das Gütervolumen anzupassen, daß die Kaufkraft der Währung über lange Zeiträume genau so stabil wird wie die Maße und Gewichte.
In seinen Frühschriften sprach Gesell ausdrücklich von "rostenden Banknoten" als Mittel zu einer "organischen Reform des Geldwesens". Durch sie werde das Geld, das bislang ein "toter Fremdkörper" sowohl im sozialen Organismus als auch in der gesamten Natur war, in das ewige Stirb und Werde allen Lebens integriert; es werde gleichsam vergänglich und verliere seine Eigenschaft, sich durch den Zins und Zinseszins bis ins Unendliche zu vermehren. Eine solche Reform des Geldwesens wäre eine ganzheitliche Regulationstherapie, welche die Blockaden im Geldfluß auflöst und dem kranken Sozialorganismus eine Hilfe zur allmählichen Selbstheilung von den vielfältigen konjunkturellen und strukturellen Krisensymptomen gibt, so daß er sich in seinem Gleichgewicht stabilisieren und sich in die harmonische Gesamtordnung der Natur einfügen könnte.
In seinem 1916 in Berlin und Bern erschienenen Hauptwerk "Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld" legte Gesell ausführlich dar, wie sich bei einer störungsfreien Geldzirkulation Kapitalangebot und -nachfrage ausgleichen, so daß das Zinsniveau unter seine bisherige Untergrenze von real drei Prozent absinken kann. Der "Urzins", der Tribut der arbeitenden Menschen an die Macht des Geldes, verschwindet aus dem Zins, welcher nun nur noch aus der Risikoprämie und der Bankvermittlungsgebühr besteht. Die Schwankungen der Marktzinssätze um diesen neuen Gleichgewichtszins sorgen für eine dezentrale Lenkung der Ersparnisse in bedarfsgerechte Investitionen. Sie heben sich aber gegenseitig auf. "Freigeld" als ein vom " Urzins" befreites Geld wird verteilungsneutral und kann auch keinen gegen die Interessen von Anbietern und Nachfragern verstoßenden Einfluß auf Art und Umfang der Produktion mehr ausüben. Der volle Arbeitsertrag werde, so Gesells Erwartung, breite Bevölkerungsschichten in die Lage versetzen, lohn- und gehaltsabhängige Beschäftigungsverhältnisse aufzugeben und sich in privaten und genossenschaftlichen Betriebsformen selbständig zu machen.
Boden: Treuhänderische Lebensgrundlage statt Handelsware und Spekulationsobjekt
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erweiterte Gesell seine Konzeption einer Reform des Geldwesens um die Forderung nach einer Reform des Bodenrechts. Die Anregung hierzu erhielt er durch die Lektüre der Werke des nordamerikanischen Bodenreformers Henry George ( 1839 - 1897 ), dessen Gedanken in Deutschland durch Michael Flürscheim ( 1844 - 1912 ) und Adolf Damaschke ( 1865 - 1935 ) weitergetragen wurden. Im Gegensatz zu Damaschkes Bestreben, bei Fortbestand des privaten Bodeneigentums lediglich den Wertzuwachs zugunsten der Allgemeinheit zu besteuern, folgte Gesell dem Vorschlag Flürscheims, den Boden gegen eine Entschädigung der bisherigen privaten Eigentümer in die Hände des Staates zu überführen und zur privaten Nutzung an Meistbietende zu verpachten. Solange der Boden eine private Handelsware und ein Spekulationsobjekt bleibe, werde die organische Verbindung des Menschen mit der Erde gestört. Anders als völkischen Ideologen ging es Gesell nicht um eine Verbindung von Blut und Boden. Als Weltbürger betrachtete er die ganze Erde als ein Organ jedes einzelnen Menschen. Alle Menschen sollten unbehindert über die Erde wandern und sich unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe und Religion überall ansiedeln können.
Wirtschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern
Zunächst dachte Gesell wie andere Bodenreformer, daß der Staat durch die Einnahmen aus der Verpachtung des Bodens in die Lage versetzt würde, seine Aufgaben zu finanzieren, ohne dafür noch weitere Steuern zu erheben ( Single - Tax ). Doch führte ihn die Frage, wem die Pachteinnahmen nach dem Verursacherprinzip wirklich zustehen, zu der Überlegung, daß die Höhe der Pachteinnahmen von der Bevölkerungsdichte abhängt, letztlich also von der Bereitschaft der Frauen, Kinder zur Welt zu bringen und aufzuziehen. Deshalb wollte Gesell die Pachteinnahmen als Entgelt für Erziehungsleistungen an die Mütter nach der Zahl ihrer minderjährigen Kinder in Monatsbeträgen auszahlen - auch an die Mütter nichtehelicher Kinder und an die in Deutschland lebenden Ausländerinnen. Alle Mütter sollten aus der ökonomischen Abhängigkeit von den erwerbstätigen Vätern befreit werden. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern sollte dadurch auf die Grundlage einer von Machteinflüssen freien Liebe gestellt werden. In einem Vortrag "Der Aufstieg des Abendlandes" gab Gesell seiner Hoffnung Ausdruck, daß die vom Kapitalismus körperlich, seelisch und geistig krank gemachte Menschheit in einer von Privilegien und Monopolen freien, natürlichen Wettbewerbsordnung allmählich wieder gesund werden und zu einer neuen Kulturblüte aufsteigen könne.
Weitere Wegbereiter einer Marktwirtschaft ohne Kapitalismus
Die Freiland - Freigeld - Theorie war eine Reaktion sowohl auf das Laissez - faire - Prinzip des klassischen Liberalismus, als auch auf planwirtschaftliche Vorstellungen des Marxismus. Sie ist kein dritter Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus im Sinne späterer Konvergenztheorien oder sogenannter 'mixed economies', d. h. vom Staat global gesteuerter kapitalistischer Marktwirtschaften, sondern eine Alternative jenseits der bislang verwirklichten Wirtschaftssysteme. Ordnungspolitisch läßt sie sich als eine "Marktwirtschaft ohne Kapitalismus" charakterisieren. Eigenständig weitergedacht hat Gesell damit die Überlegungen des französischen Sozialreformers Pierre Joseph Proudhon ( 1809 - 1865 ), der schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts die private Aneignung des Bodens und die Macht des zinstragenden Geldes dafür verantwontlich gemacht hatte, daß nach dem Ende des Feudalabsolutismus keine herrschaftsfreie Gesellschaft entstanden war. Die private Bodenrente hatte Proudhon als Raub und den Geldzins als krebsartigen Wucher verurteilt. Diese ausbeuterischen Einkommensarten führten zur Entstehung des Großbürgertums als neue herrschende Klasse, die sowohl den Staat als auch die Kirchen zu Instrumenten ihrer Herrschaft über das Kleinbürgertum und die Arbeiterschaft machen konnte. Verwandt ist Gesells ökonomisches Alternativmodell auch mit dem ebenfalls von Proudhon angeregten libertären Sozialismus des Kulturphilosophen Gustav Landauer (1870 - 1919 ), der seinerseits Martin Buber ( 1878 - 1965 ) stark beeinflußte. Gedankliche Parallelen gibt es auch zum Liberalsozialismus des Arztes und Soziologen Franz Oppenheimer ( 1861-1943 ) und zur Sozialen Dreigliederung des Begründers der Anthroposophie, Rudolf Steiner ( 1861 - 1925 ).
Erste Organisationen in Deutschland und in der Schweiz während des Ersten Weltkriegs
Gesells erster Mitarbeiter Georg Blumenthal ( 1879 - 1929 ) verband die Bodenrechts- und Geldreform mit der Idee einer "natürlichen Ordnung" der Gesellschaft, mit der Francois Quesnay ( 1694 - 1774 ) und andere Physiokraten zur Zeit der französischen Aufklärung dem Feudalabsolutismus entgegengetreten waren. 1909 gründete er die Physiokratische Vereinigung als erste Organisation der Anhänger Gesells, die in Berlin und Hamburg aus den Reihen der Bodenreformer, Individualanarchisten und Syndikalisten kamen. Als die Zeitschrift "Der Physiokrat" während des ersten Weltkriegs der Zensur zum Opfer fiel, siedelte Gesell in die Schweiz über, wo er aus den Kreisen der dortigen Bodenreformer, Reformpädagogen und Lebensreformer Anhänger fand. Sie schlossen sich im Schweizer Freiland-Freigeld-Bund zusammen. In zwei Vorträgen "Gold und Frieden?" und "Freiland, die eherne Forderung des Friedens" arbeitete Gesell die Bedeutung seiner Reformvorschläge als Weg zur sozialen Gerechtigkeit und zum Völkerfrieden heraus.
Zwischen den beiden Weltkriegen
Nach dem Ende des ersten Weltkriegs und der deutschen Novemberrevolution führte Gesells Verbindung mit Landauer zu seiner kurzzeitigen Mitwirkung als Volksbeauftragter für das Finanzwesen in der ersten bayrischen Räteregierung. Nach deren Sturz wurde er zunächst des Hochverrats angeklagt, von dieser Anklage aber wieder freigesprochen. Sodann zog er in die Nähe von Berlin, wo er die Entwicklung der Weimarer Republik beobachtete und in zahlreichen Broschüren und Aufsätzen kommentierte. Mit einer gestaffelten, bis zu 75%igen Vermögensabgabe wollte Gesell den Großgrundbesitz und das Großkapital zur Tilgung der Kriegsfolgen heranziehen und zugleich mit seiner Boden- und Geldreform eine inländische Kapitalbildung einleiten, die Deutschland in die Lage versetzen sollte, die Reparationsforderungen der Siegermächte zu erfüllen. Unermüdlich protestierte Gesell dagegen, daß die rasch wechselnden Regierungen stattdessen die mittleren und unteren Bevölkerungsschichten durch eine große Inflation noch mehr zugunsten der Wohlhabenden ausraubten, daß sie die Reparationszahlungen verschleppten, Deutschland vom Zufluß ausländischen Kapitals abhängig machten und daß sie die stabile Rentenmark durch die krisenträchtige Goldwährung ersetzten.
Frühzeitig distanzierte sich Gesell von rassistischen und antisemitischen Ideologien. Obgleich er stark von Darwins Evolutionslehre beeinflußt war, widersprach er sozialdarwinistischem Denken. Einem übersteigerten Nationalismus entgegentretend, setzte er sich für eine Verständigung mit den westlichen und östlichen Nachbarn Deutschlands ein. Die Expansionspolitik der Nationalstaaten sollte durch eine machtfreie Föderation europäischer Staaten abgelöst werden. Darüber hinaus entwickelte Gesell auch Ansätze für eine nachkapitalistische Weltwährungsordnung. Er trat für einen offenen Weltmarkt ohne kapitalistische Monopole und ohne Zollgrenzen, ohne nationalen Handelsprotektionismus und ohne koloniale Eroberungen ein. Im Gegensatz zu den späteren Institutionen IWF und Weltbank, die innerhalb bestehender Unrechtsstrukturen die Interessen der Mächtigen vertreten, und auch im Gegensatz zu den gegenwärtigen Vorbereitungen einer europäischen Währungsintegration wollte Gesell eine "Internationale Valuta-Assoziation" einrichten, die ein über allen Landeswährungen stehendes neutrales Weltgeld ausgibt und so verwaltet, daß es einen Ausgleich der freien Weltbandelsbeziehungen herbeiführt.
Die große Inflation der frühen Nachkriegsjahre begünstigte ein rasches Anschwellen von Gesells Anhängerschaft auf schätzungsweise 15.000 Personen. Sie zerfiel jedoch 1924 in den gemäßigten liberalen Freiwirtschaftsbund und in den radikalen individualanarchistischen Fysiokratischen Kampfbund. Zu dieser Spaltung trug eine harte Kontroverse bei, die sich an Gesells weitreichenden Vorstellungen über einen "Abbau des Staates" entzündet hatte. Innere Flügelkämpfe schwächten die Anhängerschaft. Da es ihr nicht gelang, zu einer Massenbewegung zu werden, unternahm sie während der gesamten Weimarer Zeit vielfaltige Annäherungsversuche an die Sozialdemokratie und an die Gewerkschaftsbewegung sowie an die damaligen Friedens-, Jugend- und Frauenbewegungen. Während der großen Weltwirtschaftskrise richtete der Freiwirtschaftsbund Denkschriften an sämtliche im deutschen Reichstag vertretenen Parteien, in denen er vor den verheerenden Folgen der damaligen Deflationspolitik warnte und Vorschläge zur Überwindung der Krise unterbreitete. Diese Denkschriften blieben ohne Resonanz. Als praktische Experimente des Fysiokratischen Kampfbundes mit Freigeld öffentliches Aufsehen erregten, wurden sie 1931 im Zuge der Brüningschen Notverordnungen vom deutschen Reichsfinanzministerium verboten. Bei den Reichstagswahlen 1932 blieb eine Freiwirtschaftliche Partei ohne Erfolg. Nach der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus verdrängten schließlich viele Anhänger Gesells ihre Einsichten in den wahren Charakter der NS-Ideologie und gaben sich trügerischen Hoffnungen hin, daß Hitler und Gottfried Feder eine 'Brechung der Zinsknechtschaft' vielleicht doch ernsthaft anstreben könnten. Sie versuchten deshalb, die NSDAP von innen durch eine Beeinflussung von Spitzenfunktionären wirtschaftspolitisch umzusteuern. Trotz bedenklicher taktischer Anpassungen an das Regime wurden die freiwirtschaftlichen Organisationen und ihre Medien im Frühjahr 1934 verboten bzw. sie lösten sich selbst auf. Zu ihrer anfänglichen Fehleinschätzung des totalitären Regimes dürften nicht nur die schmerzlichen Zurückweisungen durch die Weimarer Parteien beigetragen haben, sondern vor allem auch die Unklarheit über einen geeigneten Weg zur Realisierung der Boden- und Geldreform. In Österreich (bis 1938) und in der Schweiz bestanden Freiwirtschaftsbünde fort. Von Gesells Hauptwerk erschienen auch englische, französische und spanische Übersetzungen. Einführende Broschüren entstanden außerdem in den niederländischen, portugiesischen, tschechischen, rumänischen und serbokroatischen Sprachen sowie in Esperanto. Dementsprechend gab es kleinere Gruppen in England, Frankreich, Holland, Belgien, in der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien. In Nord- und Südamerika, Australien und Neuseeland gingen solche Gründungen von deutschen Auswanderern aus.
Nach 1945: Neuanfang, Vergessenwerden und Wiederaufleben seit dem Ende der 70er Jahre
In allen damaligen Besatzungszonen Deutschlands kam es zur Neugründung freiwirtschaftlicher Organisationen. In der SBZ wurden sie 1948 aufgelöst; die dortigen Machthaber betrachteten Gesell entweder als einen 'Apologeten der Monopolbourgeoisie' oder wie Marx' Gegenspieler Proudhon als einen 'kleinbürgerlichen Sozialisten', dessen Ziele mit dem 'wissenschaftlichen Sozialismus' unvereinbar waren. In Westdeutschland entschied sich die Mehrzahl der noch verbliebenen Anhänger Gesells aufgrund ihrer Erfahrungen mit den Weimarer Parteien für ein eigenes parteipolitisches Engagement. Sie bildete eine Radikalsoziale Freiheitspartei, die 1949 bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag knapp 1 % der Stimmen bekam. Danach benannte sie sich in Freisoziale Union um und erzielte bei weiteren Wahlen nur noch minimale Stimmenergebnisse. Als Tagungsstätte bestand jedoch ein Silvio-Gesell-Heim auf dem Asbruch zwischen Wuppertal und Neviges fort.
Das westdeutsche Wirtschaftswunder brachte während der 50er und 60er Jahre das öffentliche Interesse an wirtschaftspolitischen Systemalternativen zum Erliegen, obwohl namhafte Nationalökonomen wie Irving Fisher und John Maynard Keynes die Bedeutung Silvio Gesells anerkannt hatten. Erst seit dem Ende der 70er Jahre führten die Massenarbeitslosigkeit, die Umweltzerstörung und die internationale Schuldenkrise zu einem Wiederanstieg des Interesses an Gesells fast vergessenem Modell einer alternativen Ökonomie. Dadurch wurde auch ein Generationenwechsel innerhalb seiner Anhängerschaft möglich.
Im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv in Basel gibt es eine Schweizerische Freiwirtschaftliche Bibliothek. In Deutschland hat die Stiftung für persönliche Freiheit und soziale Sicherheit 1983 mit dem Aufbau einer Freiwirtschaftlichen Bibliothek begonnen. Als Grundstein für eine wissenschaftliche Forschung über Silvio Gesells Theorien gibt sie seit 1988 eine auf 18 Bände angelegte Gesamtausgabe seiner Werke heraus. Hierauf baut eine Buchreihe mit dem Titel "Studien zur natürlichen Wirtschaftsordnung" auf, die mit einer Gesamtübersicht über die einhundertjährige Geschichte der NWO-Bewegung und mit einer Auswahl aus den Werken von Gesells bedeutendstem Schüler Karl Walker begann. Die Stiftung fördert auch andere Buchpublikationen zu Fragen des Bodenrechts und der Geldordnung und gibt gemeinsam mit der Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft eine " Zeitschrift für Sozialökonomie" heraus. Außerdem hat sie 1988 und 1995 einen "Karl-Walker-Preis" für wissenschaftliche Arbeiten über die Verselbständigung der Finanzmärkte gegenüber der Realwirtschaft sowie über Wege zur Überwindung der Arbeitslosigkeit verliehen. Das Seminar für freiheitliche Ordnung publiziert die Schriftenreihe "Fragen der Freiheit". Daneben gibt es eine Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung, die sich zusammen mit befreundeten Organisationen in der Schweiz und in Österreich um eine Popularisierung von Gesells Gedanken bemüht. Eine Vereinigung Christen für Gerechte Wirtschaftsordnung verbindet den Denkansatz der Boden- und Geldreform mit der jüdisch christlich - moslemischen Kritik an der Bodenspekulation und am Zinsnehmen. Margrit Kennedy, Helmut Creutz und andere AutorInnen arbeiten an einer Aktualisierung von Gesells Denkansatz. Dabei geht es unter anderem um die Frage nach dem Zusammenhang des exponentiellen Wachstums der Geldvermögen und Schulden mit dem die Umwelt zerstörenden Wachstum der realen Wirtschaft, um eine Überwindung des Wachstumszwangs und um eine Verbindung der Boden- und Geldreform mit einem ökologischen Steuersystem. Einen Überblick über den derzeitigen Stand der Theorieentwicklung gibt das Buch "Gerechtes Geld - Gerechte Welt". Es enthält die Beiträge zu einer 1991 in Konstanz veranstalteten Tagung "100 Jahre Gedanken zu einer Natürlichen Wirtschaftsordnung - Auswege aus Wachstumszwang und Schuldenkatastrophe ".
Der Zusammenbruch des Staatssozialismus in Mittel- und Osteuropa brachte einen vorläufigen Triumph des westlichen Kapitalismus im Wettkampf der Systeme. Solange jedoch die Gegensätze zwischen Armut und Reichtum und als Folge davon Krisen und Kriege fortbestehen, solange die Umwelt durch exponentielles Wirtschaftswachstum zerstört wird und solange der industrialisierte Norden den Süden rücksichtslos ausplündert, bleibt es notwendig, nach Alternativen zu den herkömmlichen Wirtschaftssystemen zu suchen. Darin könnte eine Zukunftsperspektive auch für Silvio Gesells Freiland - Freigeld - Modell liegen.
Wo nicht der Mensch, sondern das zinstragende Kapital der
Gegenstand ist, dessen Erhaltung und Mehrung der Sinn und
das Ziel der politischen Ordnung ist, da ist der Automatismus
schon im Gang, der eines Tages die Menschen zum Töten und
Getötetwerden auf die Jagd schicken wird.
Karl Barth