Der Krieg der Banken gegen das Volk
Krieg der Banken gegen das Volk
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton, 03.12.2011
Oligarchie der Finanz, von Michael Hudson
Bankstrategen haben gelernt, über ihre Pläne nicht demokratisch
abstimmen zu lassen, nachdem die Isländer 2010 und 2011 es zweimal
abgelehnt haben, der Kapitulation ihrer Regierung vor Großbritannien
und den Niederlanden nach den massiven Verlusten isländischer Banken
zuzustimmen. Und den Griechen, denen in diesem Herbst ein Referendum
verwehrt wurde, blieb nichts übrig, als massenhaft auf die Straßen zu
gehen, um ihren Widerstand gegen die von der Europäischen Zentralbank
geforderten Privatisierungen zu zeigen.
Das Problem ist, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen
kann. Die EZB verlangt den Verkauf von Staatsbesitz - Land, Wasser,
Häfen - sowie eine Kürzung von Renten und anderen Sozialleistungen.
Die „untersten 99 Prozent" sind verständlicherweise empört, wenn sie
hören, dass die Spitzenverdiener 45 Milliarden Euro allein in
Schweizer Banken geparkt haben sollen und damit weitgehend für das
Haushaltsdefizit verantwortlich sind. Dass normale Steuerzahler für
Steuerflüchtlinge geradestehen sollen - und für die allgemeine
Nichtversteuerung von Vermögen seit den Zeiten der Militärjunta -,
sorgt natürlich für Wut. Wenn die Troika aus EZB, Europäischer Union
und IWF verkündet, dass die Bevölkerung aufkommen müsse für das, was
die Reichen sich nehmen, stehlen, am Finanzamt vorbeischleusen, so ist
das keine politisch neutrale Haltung. Hier wird unfair erlangter
Reichtum privilegiert.
Nützliche Idioten
Ein demokratisches Fiskalregime würde progressive Steuern auf
Einkommen und Grundbesitz erheben und Steuerflucht ahnden. Seit dem
19. Jahrhundert haben demokratische Reformer versucht,
Volkswirtschaften von Verschwendung, Korruption und Einkommen aus
Vermögen zu befreien. Doch die „Troika" schreibt eine regressive
Besteuerung vor, die nur durchzusetzen ist, wenn die Regierung in die
Hände nicht gewählter „Technokraten" gelegt wird.
Die Bezeichnung „Technokraten" für die Administratoren einer derart
undemokratischen Politik ist ein zynischer Euphemismus für
Finanzlobbyisten oder Finanzbürokraten, die im Namen ihrer
Auftraggeber als nützliche Idioten fungieren. Ihre Ideologie sieht den
gleichen Sparkurs vor, der verschuldeten Staaten in der Dritten Welt
zwischen den 1960ern und 1980ern vom Internationalen Währungsfonds
aufgezwungen wurde. Diese Bürokraten sprachen von Stabilisierung der
Zahlungsbilanz, öffneten zugleich den Markt und verkauften
Exportbetriebe und Infrastruktur an ausländische Gläubiger. Die Folge
war, dass die betroffenen Länder sich bei ausländischen Banken und
ihren einheimischen Oligarchen noch weiter verschuldeten.
Faule Kredite
Dieser Weg wird nunmehr den Sozialdemokratien im Euroraum
vorgeschrieben. Die Löhne sollen gekürzt, der Lebensstandard soll
verringert werden und die politische Macht auf Technokraten übergehen,
die im Auftrag großer Banken und Finanzinstitutionen agieren. Der
öffentliche Sektor soll privatisiert, der Arbeitsmarkt dereguliert,
Leistungen der Sozial-, Renten- und Krankenversicherung sollen
eingeschränkt werden.
Die Lösung eines jeden größeren sozialen Problems schafft - nicht
immer unbeabsichtigt - oft noch größere Probleme. Aus Sicht des
Finanzsektors besteht die „Lösung" der Eurokrise darin, die
Errungenschaften der Reformer im letzten Jahrhundert (John Maynard
Keynes sprach 1936 freundlich von der „Euthanasie des Rentiers")
rückgängig zu machen. Das Bankensystem sollte der Wirtschaft dienen
und nicht umgekehrt. Doch nun ist der Finanzsektor zu einer neuen Form
der Kriegsführung angetreten - scheinbar weniger blutig, aber mit den
gleichen Zielen wie bei den Wikingereinfällen vor mehr als tausend
Jahren und beim Vorgehen der europäischen Kolonialmächte, die sich
Land und Bodenschätze, Infrastruktur und andere profitable
Einnahmequellen aneigneten. Genau darum ging es, als Wilhelm der
Eroberer nach 1066 das Domesday Book erstellen ließ - ein Modell für
die heutige Politik von EZB und IWF.
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