In USA amtiert eine Schattenregierung
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Von Jürgen Elsässer
In dem Film "V wie Vendetta" hat sich die älteste Demokratie der Welt in eine Diktatur verwandelt: Im Vereinigten Königreich des Jahres 2018 schlägt Big Ben noch brav die Stunden, die BBC sendet weiter Nachrichten und Musik, im ehrwürdigen Parlament streiten Abgeordnete – doch all das ist nur noch Lüge und Fassade. Die alleinige Macht liegt in den Händen der Einheitspartei "Norsefire", die die Bürger mit umfassender Überwachung und nächtlichen Rollkommandos unter Kontrolle hält. Die christlich-fundamentalistische Diktatur fußt auf Furcht und Propaganda: "Strength through unity. Unity through strength." Die Insignien der Macht spielen auf den Faschismus an, ein Fernsehprediger ist der Talkmaster-Goebbels dieses Regimes.
Die Bevölkerung wird durch gleichgeschaltete TV-Sender permanent indoktriniert, Schwule sind im KZ, es gibt "Schwarze Listen" verbotener Dinge, auf denen sich der Koran ebenso findet, wie Tschaikowskis "1812"-Overtüre und die Bilder von Robert Mapplethorpe. Die Ultra-Evangelikalen kamen in Folge eines Giftgasanschlages mit mehreren tausend Toten zur Macht, der moslemischen Terroristen in die Schuhe geschoben, aber vom eigenen Geheimdienst inszeniert worden war. Die im Film eingespielten Doku-Fetzen von einem Terrorplot in der Londoner Innenstadt könnten Originale sein – aufgenommen am 7. Juli 2005.
Alles nur Social-fiction? Wie weit sind die westlichen Staaten von dieser Antiutopie entfernt? Während des Präsidentschaftswahlkampfes im Oktober 2000 witzelte George W. Bush: «Wenn wir in einer Diktatur leben würden, wäre es viel einfacher, jedenfalls solange ich Diktator wäre.»1 Lediglich ein schlechter Scherz? Selbst dem früheren Präsidenten-Berater John Dean ist es nicht ganz wohl: «Ich bin besorgt, weil ein proto-faschistisches Verhalten zu erkennen ist, ein Verhalten mit faschistischen Grundmustern. – Sind wir deswegen also auf dem Weg in den Faschismus? – Nein. Aber wir sind davon nicht weit entfernt. – Menschen, die davon etwas verstehen, sagen, dass der Faschismus bei uns mit einem lächelnden Antlitz auftritt und uns dazu bewegt, dort freiwillig Rechte aufzugeben, wo wir vielleicht einmal sagen werden: ‹Hätten wir das doch nie getan!›»2 Energischer die Warnung des US-amerikanischen Bestsellerautors Norman Mailer («Die Nackten und die Toten»). Er schlug im Jahr 2003 Alarm: «Wir sehen die Vorzeichen drastischer gesellschaftlicher Veränderungen. Wo werden sie enden? Die Antwort lautet: Es könnte eine Form von Faschismus kommen. Allerdings wird es eine banale Ausprägung des Faschismus sein, bis es wieder zu einer Katastrophe kommt. Drei oder vier Attentate wie am 11. September, und Amerika ist ein faschistisches Land.»3
Drei Jahre nach dem Kassandra-Ruf Mailers beseitigten US-Repräsentantenhaus und Senat beinahe einstimmig eines der Fundamente der angelsächsischen Demokratie. Vor 800 Jahren hat der niedere Adel in England sich mit der Magna Charta Freiräume gegen Papsttum und Königswillkür erkämpft, im 17. Jahrhundert wurde im Habeas-corpus-Act jedem Bürger rechtsstaatlicher Schutz gegen die Häscher der Obrigkeit verbürgt. Ende September 2006 verabschiedeten beide Häuser der US-Volksvertretung ein Gesetz, das – so die «New York Times» – «Herrn Bush die Macht gibt, so ziemlich jeden, den er will, und so lange, wie er will, ohne Anklage ins Gefängnis zu werfen, einseitig die Genfer Konvention auszulegen, das zu autorisieren, was normale Leute als Folter ansehen und Hunderten, die irrtümlich verhaftet wurden, Gerechtigkeit zu verweigern.»4
Einschneidende Veränderungen wurden schon direkt nach dem 11. September durchgedrückt. Durch den Patriot Act und den Homeland Security Act wurden «in bisher nicht gekanntem Ausmass die Befugnisse der Exekutive erweitert und viele rechtsstaatliche Garantien aufgehoben».5 «Der Kongress verabschiedete dieses Gesetz mit atemberaubender Geschwindigkeit in einem Augenblick, als er gerade aus seinen von Milzbranderregern kontaminierten Büros ausquartiert worden war und die Vorhersage des Justizministers, dass weitere Terroranschläge drohten, sich zu bewahrheiten schien. Präsident Bush unterzeichnete das Gesetz am 26. Oktober 2001, nur sechs Wochen nach den Anschlägen vom 11. September. Abgeordnete beklagten sich, dass sie vor der Abstimmung kein Exemplar des Entwurfs erhalten hatten, ganz zu schweigen davon, dass ihnen Zeit eingeräumt worden wäre, ihn zu lesen. Obendrein hatte es zu diesem komplizierten und weitreichenden Gesetz so gut wie keine öffentliche Anhörung oder Debatte gegeben, es hatte keine Beratung stattgefunden, und es war auch kein Ausschussbericht erstellt worden.»6
Die Gesetze erlauben der Regierung eine umfassende Überwachung der Telekommunikation und des Internets und nahezu unbeschränkte Eingriffe in die Privatsphäre. Der Patriot Act «ermöglicht den Behörden unter anderem den Zugang zu den Ausleihdaten öffentlicher Bibliotheken. Oder: Wer sich zum Beispiel in der aktuellen Diskussion für eine liberale Einwanderungspolitik einsetzt, gilt dem offiziellen Washington rasch als Sympathisant von Terroristen. Dem Weissen Haus gegenüber kritisch eingestellte Politiker werden sogar von Regierungsmitgliedern als Helfer von al-Kaida diffamiert», bilanziert der Deutschlandfunk.7 Über die Folgen berichtet ein Zeitungsartikel Mitte Oktober 2006: «Agenten des US-Geheimdienstes haben eine 14jährige Schülerin mitten im Unterricht abgeführt und verhört, weil sie auf einer Internetseite drastische Kritik an Präsident George W. Bush geübt hatte. Die Agenten hätten Julia Wilson während der Biologiestunde an einer High School im kalifornischen Sacramento aufgegriffen und mitgenommen, berichtete die Tageszeitung ‹Sacramento Bee› […] Die sommersprossige Zahnspangenträgerin habe sich für eine Fotocollage rechtfertigen müssen, die sie auf der bei Teenagern beliebten Chat-Seite MySpace veröffentlich habe. Das Bild zeigte den Angaben zufolge den US-Präsidenten, in dessen Hand ein Messer steckt; darunter stand ‹Kill Bush› [‹Tötet Bush›].»8
Die Putschisten
Alles spricht dafür, dass es innerhalb der Staatsapparate eine Doppelstruktur gibt, die die Faschisierung gezielt betreibt. «Die Regierung des mächtigsten Landes der Welt ist politischen Extremisten in die Hände gefallen», klagt nicht etwa der Gesellschaftskritiker Noam Chomsky oder der Anarchodemokrat Michael Moore, sondern der Multimilliardär George Soros.9 Von einer «Parallel- oder Schattenregierung» warnt Bernd Greiner vom Hamburger Institut für Sozialforschung und fährt fort: «Wer nach einem politisch provokanten, aber begründeten Wortbild sucht, könnte von der Eroberung des Regierungsapparates durch skrupellose Autokraten sprechen – oder gleich die Vokabeln ‹Putsch› oder ‹Junta› verwenden.»
Die Namen der Putschisten sind bekannt. Sie gehören allesamt dem Project for A New American Century (PNAC, Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert) an, der 1997 gegründeten wichtigsten Organisation der sogenannten Neokonservativen (kurz Neocons). Zu seinen Unterzeichnern gehören Vizepräsident Dick Cheney, der im November 2006 zurückgetretene Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein zeitweiliger Stellvertreter und jetzige Weltbankpräsident Paul Wolfowitz, Douglas Feith als zeitweilige Nummer drei im Pentagon, Lewis Libby als Büroleiter von Cheney, der spätere Botschafter in Kabul und Bagdad Zalmay Khalizad, der Vize-Aussenminister Richard Armitage, der ehemalige CIA-Chef James Woolsey, der Gouverneur von Florida (und Bruder des Präsidenten) Jeb Bush sowie der aktuelle UN-Botschafter John R. Bolton. Sehr wichtig sind auch der Publizist William Kristol und Richard Perle als graue Eminenz des Pentagon. Zeitweilig hatten 10 der 18 PNAC-Führer Sitz und Stimme in der Bush-Regierung, vor allem das Pentagon war sehr weitgehend von ihnen beherrscht. In der Demokratischen Partei gehört der einflussreiche Ex-Senator Joseph Lieberman zu den Trojanischen Pferden der Neocons.
Im Konzept »A Clean Break« (Ein sauberer Bruch) von 1996 arbeiteten führende Köpfe des späteren PNAC bereits eine Aggressionsstrategie für den Nahen Osten aus. Darin schlugen sie dem damaligen israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, die Oslo-Politik des Verhandelns mit den Palästinensern aufzugeben und die Region politisch-militärisch aufzurollen: Am Anfang müsse als »äusserst wichtiges strategisches Ziel» der Regime-Change im Irak stehen. In Phase zwei müsse Syrien aus Libanon verdrängt werden. Israel könne mit US-amerikanischer Sympathie rechnen, wenn es «syrische Militäreinrichtungen in Libanon angreift und, wenn das nicht ausreicht, ausgewählte Ziele in Syrien selbst». Wie man sieht, entwickeln sich die Dinge genau in diese Richtung.
Ein Jahr nach seiner Gründung forderte das PNAC in einem Brief an den damaligen Präsidenten Bill Clinton einen Angriff auf den Irak. «Wir drängen […] auf eine neue Strategie, die die Interessen von uns, unseren Freunden und Verbündeten überall auf der Welt sichert. […] Diese Strategie sollte vor allem auf die Beseitigung Saddam Husseins von der Macht abzielen», heisst es in dem Schreiben von 1998.
Im Dokument «Rebuilding America’s Defenses: Strategies, Forces and Ressources for a New Century» (Der Neuaufbau der amerikanischen Verteidigung: Strategien, Streitkräfte und Ressourcen für ein neues Jahrhundert) aus dem Jahr 2000 wird auf 80 Seiten aufgeführt, dass die USA mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – einschliesslich der militärischen – unangefochtene Überlegenheit auf dem Globus erreichen müssten.10 Die Armee müsse «die Einrichtung amerikanischer Stützpunkte in ganz Zentralasien und dem Nahen Osten» betreiben und fähig sein, «auf verschiedenen Kriegsschauplätzen gleichzeitig zu kämpfen und zu siegen».11
«Die Welt begann mit 9/11» (Richard Perle)12
«Bis zum 11. September 2001 wurden die Ideologen des PNAC durch zwei Faktoren von der Umsetzung ihrer Strategie abgehalten», erläutert Soros. «Zum einen war Präsident Bush ohne eindeutiges Mandat ins Amt gelangt, denn er war erst durch ein mit knapper Mehrheit gefälltes Urteil des Obersten Gerichtshofs zum Präsidenten gekürt worden. Zum zweiten hatte Amerika keinen klar definierten Feind, der eine dramatische Steigerung der Militärausgaben gerechtfertigt hätte.»13
Die verheerenden Anschläge in New York und Washington passten den Neocons also wunderbar in ihre Strategie. Oder haben sie sogar nachgeholfen? Elektrisierend ist immerhin der Hinweis im oben bereits zitierten Dokument «Rebuilding America’s Defenses» aus dem Jahr 2000, dass es eines «katastrophalen und katalytischen Ereignisses – eines neuen Pearl Harbour» bedürfe, damit die US-Gesellschaft zu der in den Augen der Neocons erforderlichen militärischen Kraftanstrengung bereit sein würde.14 Mit schlafwandlerischer Sicherheit schrieb Präsident Bush am Abend des 11. September 2001 dieselbe Metapher in seinem Tagebuch nieder: «Das Pearl Harbour des 21. Jahrhunderts fand heute statt.»15
Alle Widersprüche der offiziellen Version von 9/11 an dieser Stelle zu behandeln, würde sicherlich den Rahmen des Buches sprengen. Beschränken wir uns auf den einen Punkt, der auch hartgesottene Bush-Freunde in Erklärungsnotstand bringt, nämlich warum an jenem Tag die Flugabwehr der grössten Militärmacht des Planeten so vollständig versagt hat. Dafür hätte eigentlich der zuständige Minister, Neocon Rumsfeld, zur Verantwortung gezogen werden müssen. Der sass am Morgen des 11. September in seinem Büro im Pentagon und wusste nach dem zweifachen Flugzeugeinschlag in das World Trade Center hellseherisch, dass «es ein weiteres Ereignis geben wird». Die Äusserung wurde um 9.25 Uhr protokolliert – 13 Minuten bevor das Pentagon selbst getroffen wurde, und zwar just in dem Gebäudekomplex, der wenige Monate zuvor über Stahlträger und feuerfeste Wandverkleidungen verstärkt worden war.16
Auch Vizepräsident Cheney wird durch eine Aussage schwer belastet. Sie wurde Ende September 2006 von Lauro Chavez in einem Leserbrief an die «Cincinatti Post» gemacht. Chavez war nach eigenen Angaben Angehöriger des United States-Zentralkommmandos CENTCOM und tat in dieser Funktion am 11. September 2001 Dienst auf der Mac Dill Airforce Base. Auch aus amtlichen Quellen wird bestätigt, dass es ausgerechnet an diesem Tag verschiedene Manöver gegeben hat, die von Flugzeugentführungen und Angriffen auf das World Trade Center ausgegangen sind. Dies hat die Flugabwehr verwirrt: Die Abfangjäger stiegen gegen die Todesmaschinen nicht auf, weil sie auch diese für Teilnehmer an den Manövern hielten. Chavez ergänzt diese Fakten durch den Hinweis, Cheney habe das Oberkommando über die Übungen gehabt – und er habe explizit angeordnet, die entführten Maschinen nicht abzuschiessen. Ob dies stimmt und ob es diesen Lauro Chavez wirklich gibt, ist auch unter 9/11-Skeptikern heiss umstritten. Immerhin hat der Publizist Gerhard Wisnewski mit ihm telefoniert, sich eine Radio-Sendung mit ihm angehört und sich von ihm seine Personaldokumente nebst CENTCOM-Entlassungsurkunde mailen lassen. Unstrittig ist jedenfalls, dass Cheney nach dem ersten Flugzeugeinschlag in den unterirdischen Befehlsbunker des Präsidenten gebracht wurde und – Bush selbst war bekanntlich beim Vorlesen in einer Grundschulklasse in Florida – dort den Oberbefehl übernahm. Er selbst gibt an, dass er dreimal den Befehl zum Abschuss der Pentagon-Maschine A77 gegeben habe – klärt aber nicht das Paradox auf, warum dieser Befehl, der doch von ihm als Oberbefehlshaber kam, nicht befolgt wurde und überhaupt dreimal wiederholt werden musste.17
Während die wirkliche Geschichte des 11. September noch geschrieben werden muss, sind die weiteren Abläufe gut belegt. Greiner zeichnet mit Verweis auf jüngste Buchveröffentlichungen von US-Politikwissenschaftern nach, wie sich die «Juntokratie» der Neocons schrittweise durchsetzte: «Die neuen Texte zeigen im Detail, wie Vizepräsident Richard Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seit Mitte September 2001 – wenige Tage nach den Attacken auf New York und Washington D.C. – die traditionell für den aussen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozess zuständigen Gremien, Ämter und Abteilungen ausschalteten und durch handverlesene Ad-hoc-Gruppen ihrer Wahl ersetzten. Noch vor dem Sturz der Taliban in Afghanistan war der Inner Circle um Bush zum Krieg gegen den Irak entschlossen. Allerdings rechnete er zugleich mit erheblichen Zweifeln und Widerständen im nationalen Sicherheitsapparat. Daher die Eile und Skrupellosigkeit. Am Ende hatten buchstäblich alle, die bei der zügigen Vorbereitung des Krieges gegen Saddam Hussein im Weg standen oder der ideologischen Unzuverlässigkeit verdächtig waren, keinen Einfluss mehr auf den Gang der Dinge: weder die für den Nationalen Sicherheitsrat tätigen Experten noch die Chefs der Teilstreitkräfte, weder das Büro der Vereinten Stabschefs noch die CIA, nicht die vierzehn anderen Geheimdienste der Regierung und schon gar nicht das Aussenministerium.»18
Die Machtorgane der Schattenregierung
Zügig haben sich die Neocons nach dem 11. September 2001 ihre eigenen Institutionen geschaffen, eine autonome «Befehlskette» –, wie es im Titel eines Buches von Bestsellerautor Seymor M. Hersh heisst –, parallel zu den offiziellen Institutionen. Dazu gehören:
• Eine Propagandaleitstelle nach dem Vorbild des Wahrheitsministeriums, das George Orwell in «1984» schildert. Zuerst im Herbst 2001 von Verteidigungsminister Rumsfeld und seinem Stellvertreter Wolfowitz als Office of Strategic Influence gegründet, musste es nach heftigen Protesten seinen Namen in Office of Special Plans ändern. Sein Gründungsauftrag war derselbe: «Beweise für das zu finden, was Wolfowitz und […] Rumsfeld für die Wahrheit hielten», wie Hersh gallig schreibt.19 Alle grossen Propagandalügen – Saddams Massenvernichtungswaffen, Saddams Beziehungen zu al-Kaida – wurden in dieser Giftküche produziert, was im Falle der angeblichen Uran-Käufe Saddams in Afrika bis hin zur Fälschung nigerianischer Regierungsdokumente ging. Auch die vermeintlichen Beweise, mit denen Aussenminister Colin Powell Ende Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat die Notwendigkeit eines Angriffs auf Irak begründete, wurden von dieser Stelle zusammengefälscht. Parallel entstand im Weissen Haus das Office of Global Communication mit einer ähnlichen Aufgabenstellung.20
• Ein eigener Geheimdienst, der direkt dem Pentagon unterstellt ist. Am 19. Februar 2002 erliess Verteidigungsminister Rumsfeld die Direktive 5105.67 zur Gründung einer Abteilung Counter Intelligence Field Activity (CIFA) mit insgesamt neun Unterabteilungen.21 Der Haushalt und die Personalstärke von CIFA sind nicht veröffentlich worden. Einem Pentagon-Mitarbeiter zufolge beschäftigt CIFA mindestens tausend Vollzeitkräfte.22 Laut der Direktive ist es Aufgabe der neugeschaffenen Behörde, «Gegenaufklärungsprogramme und -massnahmen des Verteidigungsministeriums zu entwickeln und durchzuführen». Der «New York Times» zufolge «schenken Wolfowitz und Konsorten keiner Analyse Glauben, die nicht ihre eigene vorgefasste Meinung stützt. Die CIA ist in dieser Hinsicht feindliches Terrain».23 So wurden die Einwände gegen den Irak-Krieg, die bisweilen aus Langley kamen, überspielt. Ein Ex-Geheimdienstler äusserte gegenüber Hersh, Rumsfeld müsse «die CIA-Analysen diskreditieren, damit seine eigenen Informationen zuverlässiger wirken».24 CIFA rückte ins Rampenlicht, als NBC News im Dezember 2005 ein geheimes 400seitiges Dokument aus dem Verteidigungsministerium zum Überwachungsprogramm TALON zugespielt wurde. TALON richtet sich auch gegen Antikriegsgruppen und andere politische Aktivisten ohne jede Verbindung zu al-Kaida oder anderen Terrorgruppen. Am 19. Dezember 2005 schrieb Walter Pincus in der «Washington Post», die Aufgaben der CIFA erstreckten sich von «Patrouillengängen um Militärstützpunkte und -einrichtungen bis hin zur Überwachung von Personen oder Organisationen in den Vereinigten Staaten, von denen potentiell eine Bedrohung ausgeht». Aus den TALON-Dokumenten wird ersichtlich, dass CIFA darüber hinaus aus Datenbanken von Behörden, Wirtschaft und Handel Informationen über Kreditkarten, berufliche Laufbahn und viele andere persönliche Daten von vielleicht Millionen unbescholtener Amerikaner sammelt. Es besteht weithin der Verdacht, dass das berüchtigte Pentagon-Programm TIA (Total Information Awareness) – ein früheres Spionageprogramm der Regierung Bush unter dem aus dem Iran-Contra-Skandal berüchtigten Admiral John Poindexter – , das angeblich eingestellt wurde, zum Teil auf CIFA überging. Luftwaffenoberst a D George Lotz, der von 1998 bis Mai 2005 Verteidigungs-Staatssekretär für Geheimdienstkontrolle war, sagte NBC: «Jemand muss sie beaufsichtigen, damit sie nicht völlig durchdrehen und ohne jeden Sinn und Verstand alles mögliche über amerikanische Bürger berichten.» Jeffrey Steinberg, der das hier skizzierte Programm ausführlicher dargestellt hat, resümiert mit Verweis auf die Antiutopie von Anthony Burgess: «Wenn das alles wie ein ‹Uhrwerk Orange› im Riesenformat aussieht – das ist es auch.»25
• Eigene bewaffnete Streitkräfte ausserhalb der US-Army. Unter der Regierung Bush/Cheney flossen schätzungsweise 150 Milliarden Dollar an private Sicherheitsfirmen.26 Zu diesem «Rising Corporate Military Monster» – so das Internetmagazin Mother Jones27 – gehören Firmen wie Blackwater Security, DynCorp oder MPRI. Mit ihrer Hilfe kann das Pentagon die nach der Iran-Contra-Affäre in den achtziger Jahren strenger gewordenen Genehmigungsbestimmungen für verdeckte Operationen umgehen. Privatsöldner sind – so die offizielle Lesart Washingtons – weder der Jurisdiktion der US-Armee unterstellt noch der im Gastland. Für Straftaten können sie nur belangt werden, wenn die US-Regierung ihre Auslieferung verlangt. Die Konsequenzen dieser stark verminderten Haftung zeigten sich im Irak, wo nach dem Krieg rund 20 000 private Söldner beschäftigt sind. Dabei geht es um Personenschutz, Sicherung von Ölfeldern und von anderem Privatbesitz – und um Spezialaufträge der US-Armee. So arbeiteten im Folter-Gefängnis von Abu Ghraib 37 solcher «Contractors» (im Lager Guantánamo auf Kuba sind es übrigens 30).28 Am 9. Oktober 2004 fand am Middlebury College im Bundesstaat Vermont eine Konferenz zum Thema «Die Privatisierung der nationalen Sicherheit» statt. Die Konferenz wurde u.a. vom «Projekt für Nationale Sicherheit» des ehemaligen Aussenministers George Shultz ausgerichtet. Etwa ein Dutzend Professoren, ehemalige Regierungsmitglieder und Offiziere a. D. diskutierten auf dem Treffen die massive «Auslagerung» militärischer Aufgaben an private Söldnerfirmen. Ein energischer Befürworter dieser Entwicklung ist Peter Feaver, Direktor des «Triangle-Instituts für Sicherheitsstudien» an der Duke-Universität. Er fasste die Stossrichtung der Konferenz so zusammen: «Was wir hier erleben, ist eigentlich eine Rückkehr zum Neofeudalismus. Wenn man daran denkt, wie die Ostindiengesellschaft am Aufstieg des britischen Empire mitwirkte, gibt es Parallelen zum Aufstieg des amerikanischen Quasi-Imperiums.» Feaver wurde im Juni 2005 «Sonderberater für strategische Planungen und institutionelle Reform» im Nationalen Sicherheitsrat (NSC). Er war der Hauptautor der 35seitigen «Nationalen Strategie für einen Sieg im Irak» der Regierung Bush, die das Weisse Haus am 30. November 2005 veröffentlichte.29
• Die Einrichtung einer speziellen Einheit für verdeckte Operationen. Spezialkommandos wie die Greenberets und Delta Force haben in den vergangenen Jahrzehnten schon eine traurige Berühmtheit erreicht, erstere im Vietnam-Krieg, letztere bei der misslungenen Befreiung der US-Geiseln im Iran 1980. Die teils rivalisierenden Gruppen wurden 1997 im Special Operations Command mit dem Hauptquartier auf dem Luftwaffenstützpunkt MacDill in Tampa/Florida zusammengefasst, ihre Mannstärke liegt bei 47 000 Elitesoldaten.30 Was Rumsfeld im September 2002 vorgeschlagen hat, geht darüber hinaus: Die Einrichtung einer Proactive Preemptive Operations Group (P2OG), die – so die Nachrichtenagentur UPI – «Al-Kaida zu Operationen verleiten soll». Die Einheit soll demnach aus mindestens 100 Kämpfern mit einem Jahresbudget von mindestens 100 Millionen Dollar bestehen.31 «Anders als die bisherige Strategie, terroristische Pläne aufzudecken und zu vereiteln, würde […] P2OG […] Operationen der Terroristen stimulieren», schreibt UPI weiter. Webster Griffin Tarpley, Buchautor und Spezialist für inszenierte Anschläge, kommentiert: «Wenn das Ziel darin besteht, die Terroristen zu stimulieren, kann nichts die P2OG davon abhalten, Agenten in bestehende Terrorgruppen einzuschleusen oder eigene Terrorgruppen aufzubauen.»32 Tatsächlich ist auffällig, dass bei den grossen Terroranschlägen in Madrid 2004 und in London 2005 die mutmasslichen Attentäter jeweils Kontakte zu westlichen Geheimdiensten hatten, von ihnen den Sprengstoff und/oder Anweisungen bekamen.33 Vor diesem Hintergrund gefriert einem das Blut in den Adern, wenn US-General Tommy Franks, der Oberkommandierende bei den Angriffen auf Afghanistan und den Irak, im Falle eines neuen grossen Terroranschlages die Ausserkraftsetzung der US-amerikanischen Verfassung vorschlägt. Im November 2003 beschrieb er ein Szenario, welches zur Einführung einer Militärdiktatur führen würde: «Ein zivile Opfer in grosser Menge fordernder terroristischer Anschlag wird irgendwo in der westlichen Welt eintreten – es könnte in den USA sein. Dies wird die Bevölkerung dazu veranlassen, unsere eigene Verfassung in Frage zu stellen und der Militarisierung unserer Gesellschaft zuzustimmen, um ein weiteres solches Ereignis zu verhindern.»34
Die jüngste Entwicklung
Bei den Nachwahlen zum Kongress im November 2006 verloren die Republikaner deutlich. Die Niederlage wurde den Neocons angelastet, und Rumsfeld verlor seinen Posten. Doch vor Optimismus wird gewarnt. Zum einen könnten auch die Demokraten selbst vor dem Hintergrund der immer schlechteren Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten in die Neocon-Kabale einbezogen werden. Hillary Clinton, aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatin für 2008, scheint sich regelrecht darum zu reissen: Sie kritisiert die Bush-Politik im Irak als zu nachgiebig. Zum anderen könnten auch die republikanischen Neocons wieder in die Offensive kommen, in dem sie erneut die israelische Karte spielen. Ein israelischer Angriff auf den Iran würde die USA in den Krieg hineinreissen, egal wer im Kapitol oder im Weissen Haus das Sagen hat.
Website von Jürgen Elsässer
1 z. n. Chalmers Johnson, Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie, München 2003, S. 399
2 z. n. Michael Kleff, Furcht vor schleichendem Rechtsruck, Deutschlandfunk vom 4.9.2006
3 Norman Mailer, «Es droht eine Form von Faschismus», Greenpeace Magazine 2/2003
4 Editorial Desk, Rushing off a Cliff, New York Times vom 28.9.2006
5 George Soros, Die Weltherrschaft der USA – eine Seifenblase, München 2004, S. 47
6 Nancy Chang, How Democracy Dies, z. n. George Soros, a. a. O., S. 46/47
7 Michael Kleff, Furcht vor schleichendem Rechtsruck, Deutschlandfunk vom 4.9.2006
8 Welt.de/AFP, Agenten führen Mädchen aus Schulunterricht ab, Welt vom 14.10.2006
9 George Soros, Die Vorherrschaft der USA – eine Seifenblase, München 2004, S. 11
10 vgl. Michel Chossudovsky, Geostrategische Erfolge der USA, in: Ronald Thoden (Hg.), Terror und Staat, Berlin 2004, S. 295ff.
11 z. n. Michel Chossudovsky, a. a. O.
12 z. n. Bernd Greiner, Dunkelmänner als Illuminati, Fünf Jahre nach «9/11»: Wie konnte der Regierungsapparat der amerikanischen Demokratie zur Beute von Glaubenskriegern werden?, literaturen 07-08/2006
13 George Soros, a. a. O., S. 21
14 z. n. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 305
15 Dan Balz / Bob Woodward, America’s Chaotic Road to War, Washington Post vom 27.2.2002
16 Zitat und Angaben nach Mathias Bröckers/Andreas Hauss. Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9., Frankfurt 2003, S. 163 und S. 180
17 Gerhard Wisnewski, Ex-CENTCOM-Militär packt aus: 9/11 was an inside job!, 27.09.2006, (www.gerhard-wisnewski.de/modules.php?name=News&file=article&sid=287)
18 Bernd Greiner, a. a. O.
19 Seymour Hersh, Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib, Reinbek 2004, S. 237
20 vgl. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 413 ff.
21 Jeffrey Steinberg, Die Privatisierung der Nationalen Sicherheit, Neue Solidarität 14/2006; vgl. auch Walter Pincus, CIA, Pentagon Seek to Avoid Overlap, Washington Post vom 4.7.2005
22 vgl. Jeffrey Steinberg, a. a. O.
23 Eric Schmitt und Thom Shanker, New York Times vom 24.10.2002, z. n. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 176
24 Seymor M. Hersh, a. a. O., S. 239
25 Jeffrey Steinberg, a. a. O.
26 Jeffrey Steinberg, a. a. O.
27 Russell Mokhiber / Robert Weissman, The Rising Corporate Military Monster, in: Commondreams vom 23.4.2004 (www.commondreams.org)
28 A.R., Heikles «Outsourcing», in: Neue Zürcher Zeitung vom 11.5.2004
29 vgl. Jeffrey Steinberg, a. a. O.
30 vgl. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 178
31 z. n. Webster Griffin Tarpley, 9/11 Synthetic Terror – Made in USA, California 2005, S. 107
32 Webster Griffin Tarpley, a. a. O., S. 107
33 vgl. Jürgen Elsässer, Comment le Djihad est arrivé en Europe, Vevey 2005
34 z. n. Michel Chossudovsky, The Criminalization of the State, 23.11.2003 (http://globalresearch.ca/articles/EDW311A.html)
Notiz:
Lesungen/Veranstaltungen:
3. April 2007, Würzburg, 20.15 Uhr Buchladen Neuer Weg
9. Mai 2007, Berlin, 18.30 Uhr Volkssolidarität-Begegnungsstätte, Torstraße 203
19. Juni 2007, Dienstag, Osnabrück: 19.00 Uhr, Universität
1 Comments:
Das Thema einer Schattenregierung scheint teilweise bizzare Züge anzunehmen:
http://disclosureproject.blog.de
VORSICHT. Das Blog scheint vielleicht erst wie völliger Quatsch zu wirken, hat aber mehr Substanz, als man annehmen möchte.
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