Die Weichenstellung für den Aufstieg Helmut Kohls
Allerdings waren den seit 1969 in Bonn regierenden Sozialdemokraten in dieser Frage die Hände gebunden; ihr Koalitionspartner, die F.D.P., hatte sich ausbedungen, das Thema »Mitbestimmung« für die Dauer des Regierungsbündnisses »auszuklammern«. Um so intensiver nahmen sich die nun in der Opposition stehenden Christdemokraten der gewerkschaftlichen Forderung an, zumindest ihr damals starker »linker« Flügel unter Führung von Norbert Blüm. Gemeinsam mit dem aufstrebenden Helmut Kohl, damals schon Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, erarbeitete Blüm einen Mitbestimmungs- Entwurf für das CDU-Parteiprogramm, der dann auf heftigen Widerstand der Herren des Großen Geldes stieß. Der CSU-Schatzmeister und Mitgesellschafter des Flick-Konzerns, Dr. Wolfgang Pohle, sah in dem Blüm/Kohl-Entwurf bereits »die Grenzen zur Planwirtschaft gefährlich verwischt«; der damalige IIenkel-Konzernmanager Kurt Biedenkopf stieß ins selbe Horn, und CDU-Rechtsaußen Alfred Dregger sah schon den »Kommunismus durch die Hintertür« in die Großunternehmen dringen.
Dennoch gab man dem Blüm/Kohl-Entwurf reelle Chancen, auf dem CDU-Parteitag vom Januar 1971 eine Mehrheit zu erhalten und ins Wahlprogramm der Union aufgenommen zu werden, zumal auch der damalige CDU-Vorsitzende Rainer Barzel Mitbestimmungs-Sympathien zu hegen schien.
Aber dann kam alles ganz anders: Nachdem Kohl von einem Flick-Vertrauensmann, dem Daimler-Personalchef Dr. Hanns Martin Schleyer, aufgesucht und ins Gebet genommen worden war, machte er sich daran, ein »Kompromiß-Papier« zu entwerfen.
Kohls neuer Entwurf sicherte dem Kapital die Herschaft, räumte aber den Arbeitnehmern gewisse Mitwirkungsrechte ein. Es lohnt indessen nicht, die Einzelheiten zu schildern. Denn kaum war der ursprüngliche Blüm/Kohl-Entwurf auf dem Parteitag erwartungsgemäß gescheitert, weil sich herumgesprochen hatte, daß Kohls »Kompromiß« allgemeine Zustimmung finden würde, da erwies es sich, daß nicht einmal Helmut Kohl selbst für seinen eigenen Plan einzutreten bereit war! Er empfahl statt dessen einen Entwurf der Industrie und stimmte für diesen.
Damit hatte Helmut Kohl -vom Standpunkt der Herren des Großen Geldes gesehen - seine Bewährungsprobe bestanden, auch wenn er dann bei der Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz gegen Rainer Barzel ein letztes Mal unterlag. Der erboste Norbert Blüm aber ließ sich vor der Presse zu der Äußerung hinreißen: »Wir sind eben doch eine Unternehmerpartei!« Rainer Barzel erkannte nun in Helmut Kohl seinen gefährlichsten Rivalen, den es abzuschütteln galt. So wagte er im Frühjahr 1972 den Versuch, Kanzler Willy Brandt durch ein konstruktives Mißtrauensvotum zu stürzen.
Der kühne Versuch, anstelle von Brandt Kanzler zu werden und damit jede innerparteiliche Konkurrenz auszustechen, mißlang, und überdies verlor die von Barzel geführte Union auch die Bundestagswahl vom November 1972. Der »glücklose« Barzel, den seine Partei und deren Geldgeber daraufhin gern kaltgestellt hätten, war aber keineswegs bereit, freiwillig einem anderen Platz zu machen, und er hielt auch noch einige Trümpfe bereit, die er auszuspielen drohte, falls man versuchen würde, ihn beiseite zu schieben. Seine Drohungen zeigten erhebliche Wirkung, und nun war guter Rat wirklich sehr teuer. Es begann, was in den geheimen, erst zehn Jahre später öffentlich bekanntgewordenen Aufzeichnungen des damaligen Flick-Bevollmächtigten Eberhard v. Brauchitsch als »konzertierte Aktion« bezeichnet wurde: Von CDU-Seite wurden Heinrich Köppler und Helmut Kohl aktiv, auf Unternehmerseite Professor Kurt Biedenkopf vom Henkel-Konzern, der unvermeidliche Flick-Vertrauensmann Dr. Hanns Martin Schleyer und natürlich auch v.Brauchitsch, sodann Guido Sandler vom Oetker-Konzern, endlich auch Konrad Henkel, der Chef des Henkel-Konzerns. Das Ergebnis war, daß Rainer Barzel ein »weicher Fall« angeboten werden konnte: Zu seinen stattlichen regulären Bezügen sollten jährlich 250 000 bis 300000 DM Honorare kommen, die ihm der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Paul zukommen lassen würde, der seinerseits das Geld von »Industriemandanten« bekäme. Und genauso geschah es.
Zehn Jahre später schrieb Erich Böhme darüber im »Spiegel« unter der Überschrift »wg. Dr. Kohl«:
»Rainer Candidus Barzel, der gescheiterte Kanzleraspirant des Jahres 1972, dessen salbungsvolle Tiraden die Deutschen Anfang der siebziger Jahre überreichlich genervt hatten und den die Union schließlich aus Fraktions- und Parteivorsitz hebelte, wäre nie zum >sozialen Fall< geworden. Trotz einschlägiger Sorgen, die der damalige Kohl-Intimus Kurt Biedenkopf dem Barzel-Nachfolger Kohl aktenkundig machte - Durchschlag an das Haus Flick, versteht sich. . Das Haus Flick zahlte, Barzel kassierte (mit zusätzlichen Garnierungen von der Chase Manhattan Bank und vom Hause Oetker), der erfolglose CDU-Chef räumte ohne Gezeter das Feld. . . Das Flick- Kürzel »wg. Dr. Barzel« hatte seinen Zweck erfüllt: wg. Dr. Kohl, dessen Chefstuhl mit eintausendsiebenhundert Flick- Tausendern (1,7 Millionen DM) freigefächelt worden war.« Auch Barzel-Nachfolger Kohl war zunächst glücklos: 1976 trat er als Kanzlerkandidat der Union an und unterlag bei den Bundestagswahlen; 1980 wurde Kohls Rivale Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat nominiert und scheiterte ebenfalls. Aber dann, am 1. Oktober 1982, kam Helmut Kohls große Stunde: Mit Hilfe der abgefallenen »Gruppe Genscher-Lambsdorff « der F.D.P. wurde der gewählte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) durch ein konstruktives Mißtrauensvotum gestürzt, Kohl zum Kanzler gewählt - mit einer Mehrheit von sieben Stimmen und gegen den erklärten Willen jener Wähler, denen Genscher im Herbst 1980 feierlich versprochen hatte, er werde »vier Jahre als zuverlässiger und aufrichtiger Partner« mit Helmut Schmidt und der SPD die Koalition fortsetzen. Ein Drittel der F.D.P.-Bundestagsfraktion, darunter fast alle Frauen, verweigerte Genscher und dem Grafen Lambsdorff die Gefolgschaft bei diesem Betrug am Wähler. Aber seither ist Kohl Bundeskanzler und regiert die BRD auf eine Weise, die haargenau den Wünschen derer entspricht, die mit Hilfe der Macht des Großen Geldes den Kanzlerwechsel langfristig vorbereitet und dann herbeigeführt hatten.
Warum war ihre Wahl auf den Pfälzer Helmut Kohl gefallen? Wodurch hatte er sich vor anderen Bewerbern um das Kanzleramt ausgezeichnet und die Gunst der Herren des Großen Geldes erworben, so daß sie ihm zunächst den Chef-Sessel der CDU mit fast zwei Millionen Mark Barzel-Abfindung »freigefächelt « und schließlich auch die zur Kanzlerwahl fehlenden Stimmen »beschafft« hatten? Ja, wer war überhaupt dieser Helmut Kohl, den die meisten Bundesbürger nur als jungen Landesvater von Rheinland-Pfalz und als Wahlverlierer von 1976 kannten?
Helmut Kohls politische Karriere begann in seiner - wirtschaftlich vom Chemie-Riesen BASF beherrschten, traditionell von der SPD regierten -Heimatstadt Ludwigshafen. Dort war er am 3. April 1930 als Sohn eines kleinbürgerlichen Finanzbeamten zur Welt gekommen.
Kohls autorisierter Biograph Karl Günter Simon, der dem heutigen Kanzler in seinem 1969 erschienenen Buch »Die Kronprinzen« immerhin schon ein knappes Dutzend Seiten gewidmet hat, berichtet darin, daß Helmut (»Helle«) Kohl »aus schwarzem Elternhaus« stamme; daß der kräftige, hochgewachsene Oberrealschüler schon 1949, im ersten Bundestagswahlkampf, für die CDU als Redner aufgetreten sei (und zwar, wie Freunde und Gegner übereinstimmend sich erinnern, »laut, hemdsärmelig und naßforsch«) und daß er dann langsam, »Schritt für Schritt«, Karriere gemacht habe.
Schon als 17jähriger war Kohl der Jungen Union beigetreten, mit 25 Jahren wurde er bereits Mitglied des rheinland-pfälzischen CDU-Landesvorstands, mit 28 Jahren Kreisvorsitzender in Ludwigshafen und jüngster Landtagsabgeordneter im Mainzer Parlament. Nach dem Wunsch seiner Eltern studierte er zunächst Rechtswissenschaft in Heidelberg, denn er sollte höherer Beamter werden. Aber er interessierte sich nur für Politik, genauer: für seine eigene politische Karriere. Geld verdiente er sich nebenher, erst als Praktikant bei der BASF, als Direktionsassistent bei der Eisengießerei Mock, als kaufmännischer Volontär bei der Miederwarenfabrik »Felina«, dann als Referent des Landesverbands der chemischen Industrie von Rheinland-Pfalz-Saar in Ludwigshafen. Ehe er dort -mit einem Anfangsgehalt von 1000 DM, später 3 000 DM-seine Tätigkeit aufnahm, erwarb er - nach immerhin neun Jahren oder 18 Semestern, die seit seinem Abitur vergangen waren! - den Doktorgrad, nicht den juristischen, denn er hatte im 5. Semester umgesattelt, sondern den Dr. phil. des Fachs Geschichte, mit einer 160 Schreibmaschinenseiten umfassenden, vornehmlich aus sorgsam gesammelten Zeitungsmeldungen bestehenden Arbeit zum Thema »Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945«.
Dr. Kohls Sternstunde kam, wenn man seinen Biographen Glauben schenken darf, am 3. April 1959, seinem 29. Geburtstag, mitten im rheinpfalzischen Landtagswahlkampf. Kohl kandidierte zum ersten Mal, und nun stand ihm - so beschrieb es Lothar Wittmann - »ein großer Auftritt bevor: Konrad Adenauer wird zu einer Großveranstaltung erwartet. Im hochroten Ludwigshafen soll der Besuch des Kanzlers zu einer eindrucksvollen Demonstration der Schwarzen« werden.. . Zu diesem Behuf hat CDU-Geschäftsführer Fritze Keller.. , zwei gewaltige Wurstmarktzelte aus Bad Dürkheim auf dem Marktplatz aufstellen lassen. . . (Sie) fassen 8 000 Besucher. Kleinmütige Zweifler haben Kohl vor solchen Ausmaßen gewarnt.. 20 Minuten vor Beginn der auf 20 Uhr angesetzten Versammlung ist die Nervosität groß. Über Polizeifunk wird angekündigt, daß der Kanzlerwagen bereits Darmstadt passiert hat, und die Zelte sind erst zu höchstens 20 Prozent gefüllt! Wenn der Besucherstrom so dünn bleibt, wird es eine Blamage geben. Kurz entschlossen dirigiert Kohl den Kanzlerkonvoi ins Hotel St. Hubertus um. Der geplagte Kanzler muß die Möglichkeit haben, sich vor dem Auftritt noch etwas frisch zu machen.
Als der Kanzler dann eintrifft, sind die Zelte brechend voll. . Der Zustrom hat in letzter Minute und schlagartig eingesetzt. Drei Redner an diesem Abend: Helmut Kohl hält eine schwungvolle Begrüßungsrede, dann Peter Altmeier, der (rheinland-pfalzische) Ministerpräsident, dann Konrad Adenauer. Helmut Kohl bringt enthusiastische Stimmung ins Zelt, er spricht angriffslustig, wettert gegen Herbert Wehners Agitationsbesuch in der BASF. Droht die Politisierung der Betriebe?
Konrad Adenauer wird aufmerksam, mustert interessiert den langaufgeschossenen Nachwuchsredner, fragt seinen Nachbarn Peter Altmeier, wer denn dieser hoffnungsvolle junge Mann sei...« und ernennt, so möchte man vermuten, wenn man dieser eindrucksvollen Schilderung gefolgt ist, Helmut Kohl sogleich zu seinem politischen Enkel und späteren Nachfolger. Dies war jedoch keineswegs der Fall; die Ernennung zum Adenauer-Enkel nahm Helmut Kohl später selber vor, und auch die wunderbare Publikumsvermehrung in den Ludwigshafener Zelten kam nicht von ungefähr. Sie hatte viel Arbeit, Anstrengung und Hilfe von den Unternehmern aus dem Umland erfordert, von denen einer sich rühmte, er habe es sich 12 000 DM kosten lassen, »seine Leute« in Bussen »heranzukarren, ihnen 5 Mark pro Kopf spendiert für Verzehr und damit Kohls Schau gerettet«.
Wie dem auch sei: Jedenfalls ist eines sicher, nämlich daß Helmut Kohl damals schon einen millionenschweren Industriellen zum Freund und Förderer hatte, der Kohls Talente ZU schätzen wußte und, wie er später wiederholt erklärte, »einen guten Riecher« für kommende Spitzenpolitiker hatte, die sich ihren Mäzenen dann als sehr nützlich erweisen konnten. Helmut Kohls damaliger reicher Gönner war übrigens der Großaktionär und Vorstandsvorsitzende eines aufblühenden Unternehmens mit über zweitausend Beschäftigten in der von Ludwigshafen nur acht Kilometer entfernten pfälzischen Kreisstadt Frankenthal. Fast zwei Jahrzehnte lang, während aus dem Ludwigshafener JU-Führer ein Stadtrat, dann ein CDULandtagsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender, schließlich sogar ein rheinland-pfälzischer Ministerpräsident, CDU-Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat wurde, war Helmut Kohl ein häufiger Gast in der Frankenthaler Industriellen-Villa. In allen diesen Jahren gab es zwischen Kohl und seinem reichen Gönner viele Gespräche über politische und wirtschaftliche Fragen. Der junge Politiker Kohl holte sich manchen Rat von seinem um 23 Jahre älteren, beinahe väterlichen Freund, ließ sich von diesem erzählen, wie man aus sehr bescheidenen Anfangen über Krieg, Niederlage und Währungsreform hinweg zu Multimillionärs- und Konzernherren-Höhen aufsteigt, und er scheint sich damals vorgenommen zu haben, es seinem Förderer gleichzutun, zumindest hinsichtlich eines rücksichtslosen Gebrauchs der Ellbogen und eines Mindestmaßes an moralischen Skrupeln sowie einer sorgfältigen Pflege dessen, was sein erfahrener Gönner »nützliche Beziehungen« zu nennen pflegte.
Tatsächlich hatte dieser Frankenthaler Industrielle glänzende Verbindungen und sogar enge freundschaftliche Beziehungen zu bereits arrivierten und kommenden Spitzenleuten aus Politik und Wirtschaft. Einigen davon präsentierte und empfahl er seinen Schützling Helmut Kohl, und auch sonst konnte der steinreiche Konzernchef dem aufsteigenden Jungpolitiker auf mancherlei Weise behilflich sein.
Natürlich stellte Helmut Kohl seinem Förderer auch das Mädchen vor, mit dem er sich zu verloben und - wie es für einen christlichen Politiker obligatorisch war - in Bälde zu verheiraten gedachte, und erst nachdem Kohls einstige Tanzstundenfreundin und zukünftige Ehefrau Hannelore von der Familie des Frankenthaler Industriellen in Augenschein genommen worden war, traf der angehende Landespolitiker Vorbereitungen für die Gründung eines eigenen Hausstands. Zwei Monate nach seinem Einzug ins Mainzer Landesparlament verheiratete er sich mit Hannelore Renner.
Nun konnte Helmut Kohl seinem Förderer hie und da auch schon ein paar Gefälligkeiten erweisen, denn sein Einfluß in der Mainzer CDU-Fraktion war von Anfang an groß, und andererseits steigerte der reiche Industrielle das Ansehen des jüngsten Abgeordneten, indem er diesen mitnahm auf eine Afrikareise, wie sie sich damals, Anfang der sechziger Jahre, ein noch unbekannter Provinzpolitiker kaum zu erträumen wagte.
Frau Hannelore durfte derweilen mit der Gattin des Industriellen Ferien im schweizerischen Zermatt machen, wo den Damen ein luxuriöses Chalet Zurverfügung stand. Die Traumreise, auf die Kohl damals von seinem noblen Gönner mitgenommen wurde, ging ins Königreich Marokko, dessen Honorarkonsul für Rheinland-Pfalz sein väterlicher Freund geworden war, und sie wurde für Helmut Kohl zu einem Erlebnis wie aus Tausendundeiner Nacht. Übrigens, es sei hier nur am Rand vermerkt, weil es das harte Urteil vieler anderer, politischer Freunde wie Gegner, über den jungen Politiker Kohl bestätigt: Auch der ihm so wohlwollende Industrielle rügte, gerade im Anschluß an diese Marokkoreise, die miserablen Umgangsformen seines Schützlings. Wie schon gelegentlich zuvor und noch oftmals später, als Kohl schon längst Ministerpräsident in Mainz geworden war, bedauerte der Herr Konsul, wenngleich nur im engeren Familien- und Freundeskreis, das »ungehobelte Benehmen « Kohls und sein »schrecklich rücksichts- und taktloses Auftreten«. Der engste Freund des Herrn Konsuls, dem er davon erzählte, lachte indessen nur und sagte - wie er später dem Autor selbst erzählte -: »Laß man, Fritz, wenn er werden soll, was wir uns ausgedacht haben, kann er gar nicht rücksichtslos genug sein!«
Übrigens, der bislang verschwiegene Name des Kohl-Entdeckers und langjährigen -Gönners war Dr. Fritz Ries, damaliger Chef und Großaktionär des »Pegulan«-Konzerns mit Hauptsitz in Frankenthal. Dessen alter Freund, einstiger Kommilitone und »Leibfuchs« bei der Heidelberger schlagenden Verbindung »Suevia« und späterer stellvertretender Vorsitzender des »Pegulan«-Aufsichtsrats aber hieß Dr. Hanns Martin Schleyer, war bereits der Vertrauensmann des Daimler-Großaktionärs Friedrich Flick in der Untertürkheimer Konzernzentrale und bald auch stellvertretender Vorsitzender von »Gesamtmetall « sowie Vizepräsident der Arbeitgebervereinigung.
Er sollte noch höher aufsteigen, ehe er im Herbst 1977 von Terroristen entführt und ermordet wurde, doch in unserem Zusammenhang ist zunächst nur von Bedeutung, daß es Dr. Ries und Dr. Schleyer waren, die den Jungpolitiker Helmut Kohl »vormerkten« für zukünftige Jahre, wenn eine »Bundesregierung nach Maß« und nach dem Herzen der großen Konzerne aufzustellen sein würde.
Wir werden auf Dr. Fritz Ries und Dr. Hanns Martin Schleyer noch einmal zurückkommen, doch hier sei über Ries nur noch angemerkt, daß es für den »Pegulan«-Konzern und dessen Produkte, vor allem Fußbodenbeläge aus Kunststoff, 1975 eine Absatzkrise gab. Nur durch eine Landesbürgschaft in Millionenhöhe konnten die Banken bewogen werden, dem Unternehmen noch einmal über die Runden zu helfen. Das Fachblatt »Wirtschaftswoche« meldete dazu am 5. März 1976: »Tatsächlich müssen die Finanzkalamitäten bei Ries und den Pegulan-Werken noch gravierender sein, als in der WiWo vom 23. Januar 1976 dargestellt. Der rheinland-pfalzische Finanzminister Johann Wilhelm Gaddum mußte dem SPD-Abgeordneten Rainer Rund auf eine Anfrage zur Pegulan-Krise denn auch eingestehen: "Landesbürgschaften werden nur dann gewährt, wenn die Sicherheiten im Sinne der Beleihungsgrundsätze der Kreditinstitute nicht ausreichen." Im Klartext heißt das: Pegulan hätte ohne die Bürgschaft des Landes keinen Kredit mehr bekommen. Ob indes diese Landeshilfe allein wegen der gefährdeten Arbeitsplätze zugesagt wurde oder ob der CDUKanzlerkandidat und Rheinland-Pfalz-Chef Kohl zusätzlich ein gutes Wort für Ries einlegte, bleibt offen.«
Offen bleibt auch, ob der sowohl von der seriösen »Wirtschaftswoche« als auch vom exklusiven »Manager-Magazin« verbreitete angebliche Ries-Ausspruch über Kohl -»Auch wenn ich ihn nachts um drei anrufe, muss er springen!«- korrekt wiedergegeben worden ist. Immerhin bezeichneten Ries-Tochter Monika und deren Ehemann, Rechtsanwalt Herbert Krall, dieses Zitat als »durchaus der Riesschen Auffassung von Kohl entsprechend«.
Mit Gewißheit läßt sich nur sagen, daß das damals von Helmut Kohl geführte Land Rheinland-Pfalz den Konzern des Dr. Ries durch Übernahme von Bürgschaften in Millionenhöhe lange vor dem Zusammenbruch bewahrt hat. Dabei hat möglicherweise der Umstand eine Rolle gespielt, daß dem Ries-Konzern schon zuvor bedeutende Landesmittel zuteil geworden waren, deren Gesamthöhe von Fachleuten auf zig Millionen DM veranschlagt wurde.
Ebenfalls durch Kohl zuteil geworden war Dr. Fritz Ries im Februar 1972 der Stern zum Großen Bundesverdienstkreuz, eine ungewöhnliche Ehrung für einen Mann, dessen »unternehmerische Leistung und Engagement für die Gesellschaft«, wie es in der Verleihungsurkunde hieß, wahrlich nicht unumstritten waren. Denn Fritz Ries, Kohls »Weichensteller«, von ihm auch manchmal als »der gute Mensch von Frankenthal« bezeichnet, hatte eine recht dunkle unternehmerische Vergangenheit: Der am 4. Februar 1907 in Saarbrücken geborene Fritz Ries, Sohn des Inhabers einer Möbelhandlung, hatte nach dem Abitur ein Jurastudium begonnen, erst in Köln, dann in Heidelberg, wo er-wie schon kurz erwähnt - den acht Jahre jüngeren Korpsstudenten Hanns Martin Schleyer als »Leibfuchs« unter seine Fittiche nahm.
Schleyer, es sei hier nur am Rande angemerkt, war als Sohn eines Landgerichtsdirektors in Offenburg/Baden 1915 geboren worden und bereits als Schüler 1931 der Hitlerjugend beigetreten, 1933 in die SS aufgenommen worden (Mitgliedsnummer 227014) und galt mit 19 Jahren schon als »Alter Kämpfer«, der von 1934 an die Universität Heidelberg in eine »Forschungsund Erziehungsanstalt nationalsozialistischer Prägung« zu verwandeln sich bemühte. Er leitete dort, später auch in Innsbruck, dann in Prag, das sogenannte »Studentenwerk«, aus dessen SS-Mannschaftshäusern der Sicherheitsdienst (SD) der Nazis seinen Nachwuchs rekrutierte. Von 1939 an stand der SS-Führer Dr. Schleyer im neuen »Protektorat Böhmen und Mähren« an der Spitze der gesamten SS-»Hochschularbeit«; ihm unterstanden rund 160 Angestellte, und sein Jahresetat betrug rund zehn Millionen Reichsmark.
Von 1939 an war SS-Hauptsturmführer Dr. Schleyer einem Mann direkt unterstellt, der als Chef des »Reichssicherheitshauptamtes « an der Spitze des SD, der Gestapo und der gesamten Polizei stand: SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich.
Im September 1941 wurde Heydrich unter Beibehaltung seiner Machtstellung im Reich auch noch Stellvertreter des Reichsprotektors von Böhmen und Mähren und damit der eigentliche Herrscher in der Tschechoslowakei, Dr. Schleyer seine rechte Hand und Kontrolleur der tschechoslowakischen Industrie bis zum letzten Tag der deutschen Besatzung. Erst am 8. Mai 1945 schlug er sich mit den letzten SS-Verbänden unter Mitnahme von Geiseln, tschechischen Frauen und Kindern, zu den schon kurz vor Prag stehenden Amerikanern durch und wurde von diesen interniert und einige Jahre lang gefangengehalten.
Doch zurück zu Fritz Ries, der sich beim Heidelberger Korps »Suevia« bei Mensuren jene »Schmisse« genannten Fechtnarben holte, die für eine Karriere damals sehr förderlich waren. Unmittelbar vor dem Verbot der korpsstudentischen Mensuren forderte Ries noch einen Kommilitonen, der seine Ehre verletzt hatte, auf Pistolen, wobei ihm sein »Leibfuchs« Schleyer - wie dieser sich erinnerte und dem Autor lachend erzählte - die Waffe zum Kampfplatz trug. Schon kurz darauf beendete Fritz Ries sein Studium als Dr. jur. und begann sogleich -- im Herbst 1934 -- seine Unternehmerkarriere, nachdem er im Jahr zuvor der Nazipartei beigetreten war und die Tochter des wohlhabenden Rheydter Zahnarztes Dr. Heinemann geheiratet hatte. Mit schwiegerväterlichem Geld entfaltete er -- wie er selbst in einem Schreiben an eine hohe Nazi-Parteistelle ohne falsche Bescheidenheit anführte -- »eine außerordentliche unternehmerische Aktivität«. Er hatte eine Leipziger Gummiwarenfabrik, Flügel & Polter, erworben und diesen 120-Mann-Betrieb in wenigen Jahren zu einem mittleren Konzern ausgebaut - fast ausschließlich mit Hilfe sogenannter »Arisierungen«.
Durch die judenfeindliche Politik der Nazis waren die früheren Eigentümer gezwungen, ihre Unternehmen weit unter dem tatsächlichen Wert und zu demütigenden Bedingungen an »Arier« wie Dr. Ries zu verkaufen. Anzumerken ist, daß Dr. Ries innerhalb kürzester Zeit zum branchenbeherrschenden Präservativ-Hersteller des »Großdeutschen Reiches« aufrückte und für seine rüde, auch im »angeschlossenen« Österreich praktizierte »Arisierungs«politik starke Rückendeckung durch die Nazi-Partei erhielt.
Vom Herbst 1939 an, also gleich nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurde der Ries-Konzern »auf den Kriegsbedarf der Wehrmacht umgestellt und stark erweitert«. Die Beschäftigtenzahl hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt verzehnfacht, der Umsatz war auf mehr als das Zwanzigfache gestiegen, und bald erreichten die Umsätze und Gewinne geradezu schwindelnde Höhen. Denn von 1941 an konnte Dr. Ries seinen Gummikonzern auf die eroberten polnischen Gebiete ausdehnen, immer neue Betriebe »übernehmen«, dabei unterstützt von einem eigens für solche Aufgaben engagierten SS-Standartenführer im Sicherheitsdienst (SD), Herbert Packebusch.
Packebusch, nach dem die Staatsanwaltschaft Kiel wegen dringenden Verdachts des Mordes in zahlreichen Fällen noch Jahrzehnte nach Kriegsende vergeblich fahndete, half Dr. Ries auch bei der Beschaffung von Arbeitskräften. So arbeiteten allein in einem der Ries-Betriebe im eroberten Polen, den »Oberschlesischen Gummiwerken« in Trzebinia (Westgalizien), laut einer »Gefolgschaftsübersicht« vom 30. Juni 1942, insgesamt 2 653 jüdische Zwangsarbeiter, davon 2 160 Frauen und Mädchen. Vornehmlich mit deren Hilfe, sprich: aufgrund rücksichtsloser Ausbeutung, stieg der Umsatz in Trzebinia von 101.861 RM im Dezember 1941 auf 1.300.619 RM im April 1942, also binnen vier Monaten auf mehr als das Zwölffache! Die erhalten gebliebenen Berichte des deutschen Aufsichtspersonals geben Einblick in die im Ries-Werk Trzebinia damals herrschenden schrecklichen Zustände, zeigen die rigorose Ausbeutung und die täglichen Mißhandlungen der für Dr. Ries schuftenden Frauen und Mädchen.
So erging folgende Anordnung: »Wir haben den Arbeitskräften erklärt, daß die Arbeitsleistung in den nächsten Tagen wesentlich gesteigert werden muß, da wir sonst annehmen, daß die Arbeit sabotiert wird«; was nach Lage der Dinge eine klare Morddrohung war, denn nachlassende Leistung oder gar Sabotage wurde mit sofortiger »Umsiedlung« in das knapp 20 Kilometer entfernte KZ Auschwitz geahndet, wo »Arbeitsunfähige« sofort vergast wurden.
Da die deutschen Behörden aber bereits damit begannen, alle Juden der Gegend, ohne Rücksicht auf ihren Wert als Arbeitskräfte der »Oberschlesischen Gummiwerke« des Dr. Ries nach Auschwitz zu schaffen, beschloß dieser »Vollblutunternehmer«, aus der Not eine Tugend zu machen, zumindest für sich selbst. Weil am Ende sicherlich auch diese letzten Fachkräfte »umgesiedelt« werden würden - zwecks späterer Ermordung, wie alle Beteiligten wußten -, galt es Vorsorge für seinen Konzern zu treffen. Da hatte nun ein trefflicher Ries-Mitarbeiter die Idee, die nach Auschwitz »umgesiedelten« und dort auf ihren Tod wartenden Juden nicht unproduktiv im KZ herumsitzen zu lassen, sondern ihre Wartezeit mit nutzbringender Arbeit für den Ries-Konzern auszufüllen.
Und so geschah es: Im Lager Auschwitz wurde eine »Großnebenstelle« errichtet. »Es stehen in Kürze etwa 3 000 bis 5 000 weibliche Arbeitskräfte zur Verfügung«, heißt es in der Meldung vom 10. Juli 1942. Die erforderlichen Näh- und sonstigen Maschinen aus dem Besitz schon ermordeter jüdischer Handwerker kaufte der Ries-Konzern der SS billig ab, und fortan brauchte sich Dr. Ries, der in einer schönen, eigens für ihn »beschlagnahmten« Villa in Trzebinia wohnte, um die »Arbeitsmoral« seiner Belegschaft nicht mehr zu sorgen. Darum kümmerte sich die SS, und die »Oberschlesischen Gummiwerke« lieferten nur das zu verarbeitende Material und holten die fertige Ware im KZ ab, um sie mit sattem Gewinn an die Wehrmacht und andere Abnehmer zu verkaufen. Wie in Ostoberschlesien und Galizien, so hatte Dr. Ries noch einige weitere Produktionsstätten im annektierten Polen in Konzernbesitz gebracht, unter anderen einen Großbetrieb in Lodz, das die Deutschen in »Litzmannstadt« umgetauft hatten.
Natürlich arbeiteten auch die »Gummiwerke Wartheland«, wie Dr. Ries seine Lodzer Erwerbung nannte, erst mit jüdischen, dann mit polnischen Zwangsarbeitern; nur die Aufseher und das Wachpersonal erhielten reguläre Bezahlung. Nebenbei bemerkt, auch die deutschen »Gefolgschaftsmitglieder« wurden bespitzelt und »vertraulich« gemeldet, etwa wenn sie den katholischen Gottesdienst besucht hatten. Und schließlich ging die Brutalität im Ries-Konzern so weit, daß die polnischen Arbeitskräfte, zumeist junge Frauen und Mädchen, nicht nur nach beendeter Schicht in einem Barackenlager unter Aufsicht gestellt, sondern auch während der Arbeitszeit im Saal eingeschlossen und nach Schluß der Arbeit durchsucht wurden. Verantwortlich für diese und andere »energische« Maßnahmen war ein von Dr. Ries im zweiten Halbjahr 1944 eingestellter neuer Direktor, der am 30. Oktober 1944 auch schriftlich anordnete, daß jeder »Mitarbeiter«, der mehr als einmal an seinem Arbeitsplatz unentschuldigt fehlte, zur »außerbetrieblichen Bestrafung« - durch die Gestapo - zu bringen sei. Zu dieser Zeit war die »Verlagerung«- das heißt: der Abtransport nach Westen von allem, was nicht niet- und nagelfest war - bereits in vollem Gange, und der neue Direktor erwarb sich bei der Rettung des Ries-Besitzes vor der anrückenden Roten Armee »durch Umsicht, Schneidigkeit und Härte«, wie Dr. Ries ihm bescheinigte, große Verdienste.
Der Name dieses neuen Direktors, der ein »Alter Kämpfer« der Nazipartei und zuletzt Leiter einer Dienststelle im schon geräumten Krakau gewesen war, soll hier nicht verschwiegen werden: Es handelte sich um Artur Missbach, einen späteren CDU-Bundestagsabgeordneten, der als solcher vor allem dadurch von sich reden machte, daß er Ende der sechziger Jahre auf amtlichem Papier des Bundestags Werbebriefe für die Investment-Schwindelfirma IOS verschickte. Mit dem Bundesadler im Briefkopf pries MdB Missbach damals die IOS-Zertifikate als »die derzeit beste und sicherste Anlage mit der höchsten Rendite« an, und gleichzeitig verkaufte er - unter dem Decknamen »Sebastian Bach« - für mindestens drei Millionen Dollar IOS-Anteile an deutsche Sparer, die den -- wegen Steuerhinterziehung landesflüchtigen -- »Sebastian Bach« dann ebenso verfluchten wie ihre wertlos gewordenen Papiere.
Doch zurück zu Dr. Ries, dem mit seinem Direktor Missbach sehr zufriedenen Konzernchef, der im Winter 1944/45 seine riesige Beute aus Polen mit Lastwagen-Konvois und Güterzügen weit nach Westen »verlagerte«; und was die Bargeldbestände des Konzerns betraf, so erinnerte sich Ries-Tochter Monika - der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart im Prozeß um das Buch »Großes Bundesverdienstkreuz«* als Zeugin benannt - deutlich daran, wie sich ihr Vater im Familienkreis am abendlichen Kaminfeuer häufig mit Stolz dazu bekannt hat, anno 1945 »Riesensummen persönlich und kofferweise nach Westen geschafft« zu haben.
Fünf Jahre später indessen, am 28. November 1950, schilderte Dr. Ries seine Lage gegen und nach Kriegsende folgendermaßen: »1944 gründete ich die Gummiwerke Hoya GmbH. Mit dieser Gründung wollte ich lediglich einen Teil der Maschinen aus den mir gefährdet erscheinenden östlichen Gebieten retten. Tatsächlich waren bei Kriegsende in Hoya neue Maschinen für etwa 1,5 Millionen RM gelagert.. Weiterhin standen mir bei Beendigung des Krieges einige hunderttausend Meter Stoff zur Verfügung.« Um einen Teil des kofferweise geretteten, aber immer wertloser werdenden Bargelds anzulegen, erwarb Dr. Ries kurz nach Kriegsende auf der am weitesten westlich gelegenen deutschen Nordseeinsel Borkum »Köhlers Strandhotel«, das größte Haus am Platze. Es stellte nach heutigen Maßstäben ein Multimillionenobjekt dar. Was aber der Besitz von »einigen hunderttausend Metern Stoff« in den Notjahren 1945-48 bedeutete, läßt sich heute überhaupt nicht mehr ermessen. Schon mit drei Metern Anzug- oder Mantelstoff konnte man bis zur Wahrungsreform vom Juni 1948 durch Tausch oder Verkauf auf dem Schwarzen Markt die Ernährung einer fünfköpfigen Familie für mindestens zwei Monate sicherstellen. Mit »einigen hunderttausend Metern Stoff« hätte man die Lebensmittelversorgung einer Großstadt während sechs Dekaden gewährleisten können, als die amtlichen Rationen, wie 1947 in Wuppertal, bei nur noch 650 Kalorien pro Tag lagen!
Jedenfalls darf man sagen, daß Dr. Ries die Nazi-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg nicht nur heil, sondern geradezu glänzend überstanden hatte, ebenso die Wirren, das Elend und den Hunger der ersten Nachkriegsjahre. In Polen waren ihm Abermillionen an Kriegsbeute zuteil geworden, nicht nur wertvolle, zum Teil fabrikneue Maschinen, waggonweise Textilien, Autoreifen, Gummistiefel, -schuhe und Mäntel, sondern auch kofferweise Bargeld, dazu Unmengen von Kunstgegenständen, Teppichen und Juwelen sowie - wie die erhalten gebliebenen Dokumente beweisen - die Wertsachen seiner Arbeitssklaven, der Schmuck und das Zahngold der geschundenen Männer, Frauen und Kinder.
Um so erstaunlicher ist es, daß Dr. Ries, obwohl aus Saarbrücken und später in Leipzig beheimatet, zeitweise in Trzebinia bei Auschwitz und zuletzt auf Borkum wohnhaft, mit Konzernsitz in Leipzig, dann in Hoya an der Weser und schließlich in Frankenthal, von den dortigen rheinpfalzischen Behörden dennoch als »Heimatvertriebener« anerkannt wurde. Ja, man bescheinigte ihm, dem großen Beutemacher, sogar einen »Vertreibungsschaden«! Am 10. Oktober 1953 - sein Schützling Helmut Kohl war bereits ein Lokalmatador der CDU mit guten Beziehungen - bestätigte ihm das Ausgleichsamt bei der Stadtverwaltung Frankenthal - Aktenzeichen 16/M/ke -, daß »der Antragsteller Dr. Fritz Ries hier die Feststellung der folgenden Vertreibungsschäden beantragt hat:
1. Geschäftsanteil an der Oberschlesischen Gummiwerke GmbH, Trzebinia, über Nennbetrag (Kapitalforderung) 1445 000 RM
2. Geschäftsanteil an der »Gummiwerke Wartheland AG«, Litzmannstadt, über 500 000 RM
3. Verlust eines Einfamilienhauses mit 10 Zimmern in Trzebinia Kreis Krenau (Oberschlesien) - Grundvermögen -
Weiter wird bestätigt, daß die Angaben des Antragstellers in dem Feststellungsantrag hinreichend dargetan sind.«
Mit anderen Worten: Einem Saarländer, der mit Wohn- und Konzernsitz in Leipzig das eroberte Polen ausgeplündert, Sklavenarbeiter aufs grausamste ausgebeutet und sich deren Besitz widerrechtlich angeeignet hatte, wurde amtlich bescheinigt, daß nicht seine Opfer, sondern er selbst zu entschädigen sei und daß seine dreisten Behauptungen als Beweis ausreichten! Und so wie in diesem Fall ging es dutzendfach weiter:
An jeder Finanzquelle, die die öffentliche Hand damals einem schuldlos verarmten und unterstützungsbedürftigen Heimatvertriebenen sprudeln ließ, wenn er einerseits im Osten Millionenverluste erlitten hatte, andererseits an seinem Aufnahmeort neue Arbeitsplätze zu schaffen bereit war, labte sich Dr. Ries mit Hilfe seiner politischen Freunde von der CDU in reichem Maße.
Glücklicherweise - für ihn - hatte man Dr. Fritz Ries als bloßen »Mitläufer« der Nazi-Partei eingestuft, und damit galt der millionenschwere Kriegsgewinnler und als V-Mann der Gestapo auserwählte, »absolut zuverlässige Nationalsozialist« Dr. Ries in Rheinland-Pfalz (und damit in der ganzen Bundesrepublik) als politisch völlig unbelasteter Ehrenmann.
Wann immer sich bei den Lastenausgleichs- und anderen Ämtern Zweifel regten, etwa was die behauptete Höhe der »Vertreibungsschäden« des Dr. Ries betraf, wurden sie - so nachzulesen in den Akten des damaligen Ries-Generalbevollmächtigten für die Regelung seiner »Ansprüche«, Dr. Grote-Mismahl durch starken politischen Druck von oben beseitigt.
Wer diesen Druck ausübte, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen, und es wäre unfair, diese Machenschaften allein dem 1953 gerade erst zum Mitglied des Geschäftsführenden Landesvorstands der regierenden CDU aufgerückten Ries- Günstling Helmut Kohl anzulasten, von dem allerdings feststeht, daß er in den folgenden Jahren, als er zum einflußreichsten Politiker des fest in der Hand seiner Partei befindlichen Bundeslands Rheinland-Pfalz aufstieg, seinem langjährigen Förderer Dr. Ries wiederholt sehr behilflich gewesen ist.
So stellt sich die Frage, ob Helmut Kohl über die düstere Vergangenheit seines großzügigen Förderers und dessen dreiste Lügen hinsichtlich seiner angeblichen »Vertreibungsschäden« genau Bescheid gewußt hat. Ries-Tochter Monika Krall, anwaltlich als Zeugin gehört, war sich nicht absolut sicher, ob ihr »Vater auch in Gegenwart von Dr. Kohl sich seiner so profitablen Unternehmertätigkeit in Polen gerühmt hat, und wenn ja, ob dann nur so allgemein oder mit genauen Einzelheiten«.
Eine damalige Ries-Angestellte, die sich ihrerseits genau daran erinnert, gab indessen zu Protokoll, daß »Herr Konsul Dr. Ries dem Herrn Dr. Kohl stolz von seinen "kriegswichtigen" Betrieben in Polen und von den glücklicherweise« in großer Anzahl zur Verfügung stehenden jüdischen und polnischen Zwangsarbeitern erzählt hat«. Sie wußte sogar noch das ungefahre Datum: »Es war im Frühjahr 1967 - der Herr Konsul Dr. Ries bekam das Große Bundesverdienstkreuz, das Herr Dr. Kohl, damals CDU-Landesvorsitzender, ihm verschafft hatte.
Dr. Ries erzählte ihm dann, er hätte schon damals in Polen das Kriegsverdienstkreuz verliehen bekommen... « Diese Zeugin, die in Frankenthal beschäftigt ist, wollte begreiflicherweise nicht namentlich genannt werden.
Indessen spielt die Frage, ob Helmut Kohl schon damals, im Frühjahr 1967, die ganze scheußliche Wahrheit über die Vergangenheit seines langjährigen Förderers kannte, keine große Rolle. Denn schon fünf Jahre später heftete Kohl, seit 1969 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, dem Dr. Ries auch noch den Stern zum Großen Bundesverdienstkreuz an die Brust, und zu diesem Zeitpunkt war Helmut Kohl, wie sich beweisen läßt, voll unterrichtet über den Werdegang dieses Mannes, der ihn als jungen Politiker »entdeckt«, nach Kräften gefördert und die Karriere erst ermöglicht hatte: Kohl wußte Bescheid über die skrupellose »Arisierungen« des »Kondom-Königs« Ries, dessen Beziehungen zur Gestapo und über dessen Raubzüge in Polen.
Er war darüber im Bilde, daß sich Ries bei und in Auschwitz bereichert und Tausende von Arbeitssklavinnen für sich hatte schuften lassen. Desgleichen wußte er, daß die Entschädigungen für angebliche »Vertreibungsschäden« seines Gönners erschwindelt waren. Trotzdem zeichnete er ihn mit dem zweithöchsten Orden aus, den die Bundesrepublik zu vergeben hatte, pries öffentlich »das staunenswerte Lebenswerk« und »die vorbildlichen unternehmerischen Leistungen« des Dr. Ries und war ihm weiterhin bei jeder sich bietenden Gelegenheit gefällig.
Helmut Kohl warjedoch zu dieser Zeit längst nicht mehr der einzige Spitzenpolitiker der Unionsparteien, von dem Dr. Ries stolz behaupten zu können meinte: »Wenn ich den nachts um drei anrufe, muß er springen!« Dazu muß man wissen, daß sich Konsul Dr. Ries, dessen »Pegulan«-Konzern damals noch florierte, einen -wie er fand - »standesgemäßen« Landsitz nebst Jagdrevier, Golfplatz und Schloß zugelegt hatte: das als »Perle der Steiermark« gerühmte Schloßgut Pichlarn, eine der schönsten Besitzungen Österreichs. Dort verkehrten als Gäste des Schloßherrn Dr. Ries - nach den Veröffentlichungen der Lokalpresse in den frühen siebziger Jahren - etliche führende Persönlichkeiten der bundesdeutschen Wirtschaft und Politik, von denen wir hier ein knappes Dutzend als repräsentative Auswahl nennen und zu jedem Namen ein paar Erläuterungen geben wollen:
»Herr Generalbevollmächtigter Tesmann (es handelte sich um Rudolf Tesmann, geboren 1910 in Stettin, einen früheren hohen SS-Führer - letzter bekannter Dienstgrad [1943]: SS-Obersturmbannführer -, vom März 1944 bis Kriegsende Verbindungsmann zu Reichsleiter Martin Bormann; Tesmann wurde 1945 von den Engländern interniert und von seinem Mitgefangenen, dem Kaufhauskönig Helmut Horten, nach beider Entlassung 1948 in den Horten-Konzern, zuletzt als Generalbevollmächtigter, übernommen. Tesmann war außerdem damals Präsidiumsmitglied des "Wirtschaftsrats der CDU");
Herr Dr. Hanns Martin Schleyer, Vorstandsmitglied der Daimler- Benz AG, mit Frau (den wir bereits kennengelernt haben und von dem noch im Zusammenhang mit der weiteren politischen Karriere Helmut Kohls die Rede sein wird);
Herr Dr. Alfred Dregger mit Frau (damals Vorsitzender der hessischen CDU, seit 1982 Fraktionsvorsitzender der CDU/ CSU im Bundestag und inoffiziell Führer des rechten, sogenannten »Stahlhelm«-Flügels der Union);
Herr Bundestagsabgeordneter Siegfried Zoglmann (geboren 1913 in Böhmen, seit 1928 Mitglied der - in der CSR illegalen - Hitlerjugend (HJ), 1934 HJ-Führer in der Reichsjugendführung in Berlin, 1939 Oberster HJ-Führer im Protektorat Böhmen und Mähren und Abteilungsleiter des Reichsprotektors. 1940 erbat und erhielt Zoglmann vom Reichsführer SS Heinrich Himmler persönlich die Erlaubnis, als SS-Führer in die Leibstandarte SS Adolf Hitler einzutreten. Nach 1945 Werbefachmann im Rheinland, 1950 Mitglied des NRW-Landesvorstands der F.D.P., bis 1958 Landtagsabgeordneter, von 1957 bis zu seinem Ausscheiden aus Altersgründen Mitglied des Bundestags, zunächst F.D.P.-, seit 1972 CSU-Abgeordneter. Mit Hilfe Zoglmanns und anderer F.D.P.-Überläufer sollte damals Willy Brandt gestürzt werden; die Verhandlungen hierüber wurden auf dem Ries-Schloß Pichlarn geführt);
Herr Dr. Eberhard Taubert (geboren 1907 in Kassel, Jurist, seit 1931 Mitglied der NSDAP, seit 1932 enger Mitarbeiter des Nazi- Propagandachefs und damaligen >Gauleiters< von Groß-Berlin, Dr. Josef Goebbels, in dessen Reichsministerium >für Volksaufklärung und Propaganda< Taubert 1933 eintrat, zunächst als Referatsleiter, zuständig für >Aktivpropaganda gegen die Juden<. Von 1942 an Chef des >Generalreferats Ostraum<, daneben seit 1938 auch Richter am 1. Senat des berüchtigten >Volks- gerichtshofs< und beteiligt an Todesurteilen gegen Widerstandskämpfer. Außerdem lieferte Ministerialrat Dr. Taubert Text und Idee zu dem 1940 uraufgeführten Hetzfilm »Der ewige Jude«, worin die in KZs und Gettos eingepferchten Juden mit Ratten und anderem »lebensunwertem« Ungeziefer verglichen wurden. 1945 tauchte der als Kriegsverbrecher gesuchte Dr. Taubert mit Hilfe westlicher Geheimdienste zunächst unter, um 1950 jedoch in Bonn wieder auf, leitete die Kalte Kriegs-Propaganda gegen die DDR, dann für Verteidigungsminister Franz Josef Strauß den Aufbau der psychologischen Kriegführung bei der Bundeswehr. Scharfe Proteste des Zentralrats der Juden führten dazu, daß Strauß sich von Dr. Taubert offiziell trennen mußte, und dieser trat dann als Leiter der Rechtsabteilung und des Persönlichen Büros von Konsul Dr. Fritz Ries beim »Pegulan«-Konzern in Frankenthal ein. In enger Abstimmung mit Ries und Strauß sowie mit finanzieller Hilfe aus Bonn und von etlichen Industriellen leitete Dr. Taubert die Hetzkampagnen gegen Willy Brandt und den Aufbau ultrarechter und neonazistischer Gruppen und Presseorgane.)
Und schließlich zählte zu den Gästen des Dr. Ries auf Schloß Pichlarn auch
Herr Bundesminister a. D. Franz Josef Strauß, Vorsitzender der bayerischen CSU, mit Frau, damals noch nicht Ministerpräsident in München, und er fand in der Berichterstattung der österreichischen Presse über die Gäste auf Schloß Pichlarn damals die meiste Beachtung.
Was die steiermärkischen Zeitungen indessen nicht wußten: Der CSU-Chef Strauß und Konsul Dr. Ries waren damals längst Duzfreunde, und überdies hatte Dr. Ries die Ehefrau seines Spezis, Frau Marianne Strauß geborene Zwicknagl, zu seiner Teilhaberin gewonnen, dies übrigens, ohne daß es Frau Strauß einen Pfennig gekostet hätte!
Frau Strauß war in die am 23. Februar 1971 gegründete Ries-Gesellschaft »Dyna-Plastik« in Bergisch-Gladbach eingetreten, laut Handelsregister zunächst mit einer Kommanditeinlage von 304 500 DM, was damals einer Beteiligung von etwa 14 Prozent entsprach. 1973 wurde das »Dyna-Plastik«-Kapitel erhöht, wobei der Anteil von Frau Strauß auf 406 000 DM oder 16 Prozent Kapitalanteil stieg. Frau Strauß hatte jedoch weder die erste Einlage noch die spätere Erhöhung einzuzahlen brauchen; diese sollten sich vielmehr »aus den Gewinnen auffüllen« - im Klartext: Dr. Ries hatte der Frau seines so einflußreichen Duzfreundes ein kleines Geschenk gemacht, eine erst 14-, dann 16prozentige Beteiligung an einer gutgehenden Konzern- Tochtergesellschaft, wohl in der richtigen Annahme, daß kleine Geschenke die Freundschaft erhalten, weshalb weitere ähnliche Beteiligungen der Frau Marianne Strauß an blühenden Unternehmen der Ries-Gruppe folgten.
Die enge Freundschaft des CSU-Bosses, dessen Bewunderung für die unternehmerischen Leistungen des Dr. Ries und die Beteiligung von Frau Marianne Strauß am Ries-Konzern, dessen finanzielle Grundlagen ja, wie wir bereits wissen, mindestens teilweise in Auschwitz, im Getto von Lodz (Litzmannstadt) sowie in weiteren Leidensstätten der versklavten Juden gelegt worden waren, erklären vielleicht das von der »Frankfurter Rundschau« 1969 zitierte Strauß-Wort (von dem er erst etwa zwei Jahre vor seinem Tod abgerückt ist): »Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen erbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen!«
Helmut Kohl beobachtete das »Techtelmechtel« seines Freundes Dr. Ries mit dem CSU-Boß Strauß von Mainz aus mit sehr gemischten Gefühlen: Nicht zuletzt dank der Starthilfe und langjährigen Förderung durch Dr. Ries hatte er es dort inzwischen zum Ministerpräsidenten gebracht, Ende Mai 1970 auch schon seine Kandidatur für den CDU-Bundesvorsitz angemeldet, sich aber im Oktober 1971 auf dem CDU-Parteitag eine Abfuhr geholt - statt seiner war Rainer Barzel gewählt worden. Kohl war jedoch entschlossen, es nochmals zu probieren und 1975 zugleich ein noch höheres Ziel anzustreben, nämlich Kanzlerkandidat der Union zu werden, und spätestens dann würde er in Strauß seinen gefährlichsten Rivalen haben! Indessen hätte ihn sein langjähriger Gönner Dr. Ries schon damals beruhigen können: Ries und seine Freunde aus der bundesdeutschen Konzernwelt hatten bereits ganz bestimmte Pläne, und tatsächlich waren sie sich schon darin einig geworden, es mit Helmut Kohl als Kanzlerkandidaten zu versuchen, wogegen sie nach langem Hin und Her den CSU-Chef Franz Josef Strauß als zwar sehr nützlich im Rüstungszentrum München, aber als »wenig geeignet« als Regierungschef in Bonn angesehen und von der Liste der möglichen Kanzlerkandidaten gestrichen hatten. Allerdings, auch darin waren sich die Herren des Großen Geldes einig geworden, sollte Helmut Kohl »eine intellektuelle Stütze« erhalten. Denn so unbestritten Kohls demagogische Talente und sein rücksichtsloser Gebrauch der Ellenbogen waren, so wenig vertraute man seinen geistigen Fähigkeiten.
Deshalb war - ebenfalls auf Schloß Pichlarn - schon zu Beginn der siebziger Jahre entschieden worden, dem Dr. Kohl fürs künftige Kanzleramt eine »Nummer zwei« an die Seite zu stellen, einen - wie der damalige Hauptbeteiligte es nannte - »Intelligenzbolzen«, der Kohls erkennbares intellektuelles Defizit ausgleichen und in Wahrheit »die Richtlinien der Politik« bestimmen sollte. Wieder war es Dr. Fritz Ries, der von den ganz großen Bossen dazu ausersehen wurde, einerseits die schon erkorene »Nummer zwei« auf den gemeinsam gefaßten Plan »einzustimmen«, andererseits seinem Schützling Kohl klarzumachen, daß er solche »intellektuelle Stütze« brauchen würde und zu akzeptieren hätte, denn schließlich wolle er doch der Nachfolger Adenauers und womöglich sogar Bismarcks werden. Auch diese, so erklärte der gewiefte Geschäftsmann Dr. Ries dem unbedarften Doktor der Geschichte Kohl, hätten eine graue Eminenz im Kanzleramt gehabt, der eine seinen Staatssekretär Dr. Globke, der anderen seinen Geheimrat v. Holstein.
Helmut Kohl schien-wie eine Zeugin dieses Gesprächs sich deutlich erinnert - zwar über Adenauers Staatssekretär im Kanzleramt, Dr. Hans Maria Globke, Bescheid zu wissen; es war ihm wohl nicht entgangen, daß dieser Dr. Globke bis zu Adenauers Rücktritt im Jahre 1963 die Bonner Personalpolitik von der Gründung der BRD an maßgeblich beeinflußt, auch die westdeutschen Geheimdienste geleitet und zugleich das Vertrauen des hohen katholischen Klerus genossen hatte (dies übrigens auch schon zur Zeit der Nazi-Diktatur als damaliger Judenreferent des Reichsinnenministeriums, erst unter dem - 1946 in Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher hingerichteten - Dr. Wilhelm Frick, dann unter dessen Nachfolger, dem »Reichsführer SS« Heinrich Himmler, weshalb er selbst als Nr. 101 auf der Kriegsverbrecherliste der Alliierten verzeichnet gewesen war).
Aber Helmut Kohl hatte, wie er dem Konsul Dr. Ries freimütig gestand, von einer »grauen Eminenz« Bismarcks namens Friedrich v. Holstein noch nie etwas gehört, was von seinem väterlichen Freund und Gönner schmunzelnd zur Kenntnis genommen worden war, und er hatte dann gesagt, Kohl müsse noch einiges lernen; Spitzenpolitiker brauchten, genau wie die Inhaber großer Unternehmen, hochintelligente und fleißige Ratgeber, zumal dann, wenn diplomatische Meisterstücke gefordert seien. Dabei gab er Kohl augenzwinkernd zu verstehen, daß Intelligenz, Fleiß und diplomatisches Geschick nicht gerade zu dessen hervorstechenden Eigenschaften zählten.
Wie Konsul Dr. Ries dann die heikle Aufgabe löste, dem künftigen Kanzlerkandidaten des Großen Geldes eine - von ihm und seinen mächtigen Freunden ausgesuchte -»Nummer zwei« schmackhaft zu machen, verdient uneingeschränkte Bewunderung und wird im übernächsten Kapitel geschildert werden. Doch zunächst ließ Ries seinen Schützling Kohl im unklaren darüber, wen er für ihn als »intellektuelle Stütze« im Auge hatte. Er ging statt dessen, so erinnert sich die Zeugin deutlich, zu seinem Lieblingsthema über und lobte die geniale Strategie des »Reichsgründers« Bismarck. Man müsse sie den gewandelten Verhältnissen und der abermaligen Notwendigkeit wirtschaftlicher Expansion, diesmal nicht mit militärischen Mitteln, geschickt anpassen. Ein »Überrollen der Zone bei der ersten Gelegenheit« bezeichnete Dr. Ries damals als »durchaus machbar«, und er sah sein aufmerksam lauschendes politisches Ziehkind Helmut Kohl bereits als »möglichen Eisernen Kanzler dieser neuen ökonomischen Großmacht«.
Was nun diese - heute fast prophetisch anmutenden - Visionen des Dr. Fritz Ries zu Beginn der siebziger Jahre angeht, so waren sie damals bei westdeutschen Industriellen seines Alters und Schlages durchaus keine Seltenheit. Ratgeberwie Dr. Eberhard Taubert und andere frühere »Ostraum«-Experten bestärkten ihre Brotherren fleißig in solchen Wunschträumen, und was die Bismarck-Schwärmerei des Dr. Ries betraf, so war sie ebenfalls in Mode, zumal in konservativen Kreisen und bei »Alten Herren« schlagender Studentenverbindungen.
Warum - das bedarf einer kurzen Erläuterung.
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