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26 November 2006

Bei Tonga Neue Insel geboren .. und bald wieder abgetaucht

Land and in Sicht

Im Meer brodeln Millionen Schlünde. Skipper Fredrik Fransson wurde im
Südpazifik Zeuge, wie die Erde eine Insel gebärt. Ein gefährliches Wunder.

Von Axel Bojanowski (Text) und Fredrik Fransson (Foto)

Man soll nicht an einem Freitag in See stechen, lautet eine alte
Seglerweisheit. Der Spruch war das Erste, was Kapitän Fredrik Fransson in
den Sinn kam, als er sich mit seiner Jacht «Maiken» am Freitag, dem 11.
August 2006, mitten im Pazifik in einem breiten Teppich schwimmender
Bimssteine und Asche gefangen sah. Das schmierige Zeug verstopfte die
Kühlung des Schiffsmotors, Motorschaden drohte. Dazu herrschte Flaute.
Erst am nächsten Morgen entdeckte Franson die Quelle der Unbill: eine
rauchende Vulkaninsel – an einer Stelle, wo auf der Seekarte nichts
eingezeichnet war. Sie musste sich soeben aus dem Meer erhoben haben. Bis
auf zweieinhalb Kilometer habe er sich dem etwa zweitausend Meter breiten
Eiland genähert, berichtet Fransson. Aus einem von vier Hügeln umgebenen
Krater schossen Asche und Gestein.
Erst jetzt, nachdem das Abenteuer des schwedischen Seglers bekannt wurde,
bestätigen Wissenschaftler, dass im Südpazifik nahe Tonga tatsächlich eine
neue Insel entstanden ist. Ob sie sich wie ihre Nachbarn zu einem
Tropenparadies entwickelt und besiedelt werden kann, ist allerdings
ungewiss.
Die US-Weltraumbehörde Nasa hat unterdessen Satellitenbilder der Insel
veröffentlicht. Die Hoffnung Franssons, als Entdecker die Insel taufen zu
dürfen, erfüllt sich nicht – sie hatte bereits einen Namen. «Er lautet
Home Reef», sagt der Geologe Richard Wunderman vom Fachdienst Bulletin of
the Global Volcanism Network. Der Vulkan habe sich bereits 1984 und 2004
über die Meeresoberfläche erhoben, sei jedoch beide Male nach einigen
Monaten von den Fluten abgetragen und verschluckt worden.
Alle 169 Eilande des Inselstaats Tonga verdanken ihr Dasein dem
Vulkanismus: Unter dem Südpazifik ruckelt die pazifische Erdplatte mit
drei Millimetern pro Woche unter die indisch-australische Platte, wobei
regelmässig die Erde bebt. Die Nahtzone markiert der knapp elf Kilometer
tiefe Tongagraben. Die mit Meerwasser durchtränkte pazifische Platte wird
in der Tiefe unter hohem Druck ausgequetscht und verliert dabei ihr
Wasser, es quillt empor und bringt das darüberliegende rund 1000 Grad
heisse Gestein zum Schmelzen. Die zähflüssige Masse ist leichter als der
umliegende Fels und steigt – untermeerische Vulkane entstehen. Allein im
Pazifik gibt es mehr als eine Million davon.
Wenige dieser Berge wachsen über die Wasseroberfläche, so dass Inseln
entstehen. Doch der Hawaii-Vulkan Mauna Kea zum Beispiel ist vom
Meeresgrund aus gerechnet mit 10 205 Metern der höchste Berg derWelt, er
ragt 4200 Meter über den Meeresspiegel. Auch die Kanaren und Island sind
Vulkaninseln. Die Eilande des Tonga-Archipels sind indes meist niedriger
als 1000 Meter. Sie erheben sich auf der Kante des Tongagrabens, der im
Osten der Inselkette steiler und siebenmal tiefer abfällt als der Grand
Canyon.
Das Ende vieler junger Vulkaninseln ist besiegelt, sobald die vulkanische
Aktivität nachlässt. Der Magma-Nachschub bricht ab, und die Insel wird vom
Ozean ausgewaschen. Unter Wasser wachsen auf den runden Vulkanen häufig
Korallen. Wie weisse Kronen leuchten diese Atolle im Meer. Viele
Seefahrergeschichten berichten davon, wie Segler zu neu entdeckten Inseln
aufbrachen und sie vergeblich suchten. Manches Eiland wurde voreilig als
Militärstützpunkt in Besitz genommen. Im Sommer 1831 etwa hisste der
italienische König Ferdinand II. die Flagge seines Landes auf einer Insel,
die sich im Juni des Jahres im Mittelmeer zwischen Afrika und Sizilien
erhoben hatte. Nur ein halbes Jahr später war Graham Island mitsamt der
Flagge versunken. Heute liegt sie 20 Meter unter der Wasseroberfläche.
Manche frisch geborene Insel jedoch hält sich – und wird langsam von Flora
und Fauna in Besitz genommen. Am 14. November 1963 entdeckte die Besatzung
eines Fischkutters 35 Kilometer vor der Südküste Islands einen Glut und
Asche speienden Vulkan. Die neue Insel wurde Surtsey getauft und zum
wissenschaftlichen Sperrgebiet erklärt. Forscher beobachteten fortan, wie
das Leben den sterilen Flecken eroberte.
So gewährt Surtsey den Blick in eine mögliche Zukunft neuer Inseln. Die
Zementierung von Vulkanasche dauert 15 Jahre und nicht Jahrhunderte wie
früher vermutet. Ihr Lebenslauf hielt weitere Überraschungen parat. Nicht
Pflanzen siedelten sich zuerst an, sondern Krabbeltiere: Spinnen gelangten
auf Treibholz zur Insel, und manche Insekten – ihr Futter – überlebten gar
eine zweiwöchige Reise im Wasser. Erst später keimten einfache Pflanzen
wie Moose.
Einen Besiedelungsschub lösten Möwen aus, die sich in den Achtzigerjahren
einnisteten. Ihre Exkremente düngten den Boden. Im Gefieder brachten sie
Bodentiere und Pflanzensamen mit. In den Neunzigern tauchten die ersten
Regenwürmer und Schnecken auf. Drei Viertel der ansässigen Pflanzen
gelangten mit Vögeln auf das Eiland. So wandelt sich Surtsey langsam zu
einer grünen Insel.
Auch Home Reef könnte zum grünen Paradies werden – und damit zu einem
neuen Touristenmagneten im Tropenarchipel Tonga. Doch noch hält sich im
Staat die Freude über den Landzuwachs in Grenzen. Meldungen über Pläne für
die Insel gibt es nicht. Der Grund der Zurückhaltung ist wohl, dass auch
auf Tongas Gebiet mehrfach neue Inseln nach kurzer Zeit wieder im Meer
verschwanden. 1865 entdeckten europäische Seefahrer die 150 Meter hohe und
drei Kilometer breite Falcon-Insel (heute Fonuafo'ou genannt), die seither
jedoch immer wieder in den Fluten untergetaucht ist. Und nahe Home Reef
brach 1995 für kurze Zeit die Insel Metis Shoal aus dem Meer hervor.
Der örtliche Geologe David Tappin vermutet, auch der jüngsteVorstoss des
Berges über Wasser werde keinen Bestand haben: «Der Vulkanismus in Tonga
hat sich geändert. Deshalb haben es neue Inseln schwer zu überdauern.» Vor
Jahrmillionen sei mehr Lava und weniger Asche und Gestein als heute an die
Oberfläche gelangt. Lava festigt die Inseln, während das so genannte
pyroklastische Material, das heute aufsteige, leicht verwittert. Skipper
Fredrik Fransson sieht die Entwicklung seiner Insel gelassen. Er geniesst
die Erinnerung an sein Segelabenteuer.
«Denn», sagt er, «wer entdeckt heute noch eine Insel?»