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19 November 2006

Deutsche antidemokratische Industrielle Naziverbrecher, Eliten und Sozialschmarotzer



Väter des Wirtschaftswunders mit brauner Vergangenheit


Nina Grunenberg: "Die Wundertäter. Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942-1966



Buch
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Rezensiert von Peter Merseburger



Die Wirtschaftsführer, die Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufbauten, hatten mit dem heutigen Bild eines Managers nichts zu tun. Nina Grunenberg beschriebt sie in ihrem Buch "Die Wundertäter" als "farbige und knorrige Figuren", die "patriarachalisch, ständestaatlich und antikommunistisch" dachten. Und: die trotz ihrer braunen Vergangenheit eine erstaunliche Karriere machten.



Kanzlerin Merkel träumt von einem neuen Wirtschaftswunder und hofft, die Deutschen in den Nächsten zehn Jahren wieder unter die ersten Drei Europas zu führen. Zu erwarten oder auch nur zu hoffen, dass sie dieses Ziel erreichen könnte und die richtigen Weichen stellt, erfordert nach einem Jahr Großer Koalition allerdings viel, sehr viel Optimismus. Über Erhard, auf den sich Angela Merkel so gern beruft, über seinen Lebensweg, seine Leistungen und auch seine Schwächen wissen wir dank mehrerer Biographien viel. Wer aber waren jene, die sein marktwirtschaftliches Konzept umsetzten, die in den Unternehmen die Verantwortung trugen und die gigantische Industrieruine, die von Hitlers Vernichtungskrieg übrig geblieben war, zu neuem Leben erweckten? Wie dachten sie, wie tickten sie, was gab ihnen Zuversicht, was trieb sie an? So fragt Nina Grunenberg, die sich auf an ihre Spur geheftet hat und sie die "Wundertäter" nennt.

"Die Wirtschaftsführer, die Westdeutschland aus den Trümmern des Nationalsozialismus aufbauten, waren Männer, die es in sich hatten: farbige, knorrige Figuren, kein glattes Holz, jeder auf seine Weise unverwechselbar. Der Begriff 'Manager' war ihnen fremd."

Viele dieser Erhardschen Wundertäter, schreibt die langjährige "ZEIT"- Autorin, waren meist im deutschen Kaiserreich zur Welt gekommen und in der vermeintlichen Sekurität des Wilhelminismus verwurzelt. Das gilt für einen Banker wie Abs so wie für den Autobauer Borgward, auch für die langjährigen Chefs von Thyssen und Mannesmann, Hans-Günther Sohl und Wilhelm Zangen. Wie es eine Stunde Null nach Niederlage, Kapitulation und Befreiung weder im Kalender noch in den Köpfen gegeben hat, fielen auch die Wundertäter nicht vom Himmel. Sie hatten eine sehr irdische, sehr deutsche Vergangenheit.

"Sie dachten meist patriarachalisch, ständestaatlich, antikommunistisch; politisch waren sie rechts bis Rechtsaußen angesiedelt... Nur die allerwenigsten, wie der Gründersohn Fritz Thyssen, der mit Hitler brach und 1939 emigrierte, fanden im Laufe der Jahre die Kraft, sich innerlich und äußerlich konsequent vom Nazi-Regime loszusagen. Hinterher hakten sie die zwölf Hitlerjahre ungerührt als 'accident de parcours' ab und machten weiter, sobald ihre 'Entnazifizierung' abgeschlossen war und die Alliierten grünes Licht gaben. Ihr geistiger Bezugspunkt war und blieb die Vorkriegszeit."

Viele waren NSDAP-Mitglieder und fast alle Wehrwirtschaftsführer, eingebunden in die Kriegsanstrengungen der Nation. Das gilt vor allem für die jüngere Generation von Wundertätern, die aus Albert Speers "Kindergarten" stammt - so genannt wegen dessen Vorliebe für junge Techniker und fähige Ingenieure. Wer über 55 war, den hielt der Lieblingsarchitekt und Rüstungsminister des Führers für der "Routine und Anmaßung" verdächtig. Und in der Tat gelang es dem Organisationstalent Speers, die deutsche Rüstung von Anfang 1942 bis Mitte 1944 trotz des alliierten Dauerbombardements um das Dreifache zu steigern. Ohne Zweifel war die Modernisierung der Industrie durch Nationalsozialismus und Aufrüstungsprogramme eine Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg. Dazu kommt, dass die Schäden in deutschen Industriebetrieben sich oft in relativ kurzer Zeit beheben ließen. Und es stimmt auch, was Sozialwissenschaftler wie Ralf Dahrendorf vornehm als "Sesshaftigkeit der Elite" beschrieben haben. Ernst Wolf Mommsen, während des Kriegs Verbindungsmann der Industrie zum Rüstungsminister und enger Vertrauter Speers, bringt es in der Bundsrepublik zum Krupp-Chef und wird unter Helmut Schmidt Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Willy H. Schlieker, einer der Meisterschüler Speers und bei ihm zuständig für die Zuteilung der Rohstoffe in der Stahlindustrie, macht Schlagzeilen als Großreeder und Werftbesitzer; Karl Maria Hettlage, Leiter der Finanzabteilung bei Speer, wird Finanzberater Adenauers und Staatsekretär im Bundesfinanzministerium. Josef Neckermann, durch Arisierung eines jüdischen Kaufhauses zu Wohlstand gekommen, fliegt mit Albert Speer zur Wolfsschanze, dem Hauptquartier des Diktators, führt Hitler Winteruniformen für die deutschen Landser in Russland vor und erhält den gewünschten, millionenträchtigen Riesenauftrag. Ausgerechnet über ihn gibt es dann den Wirtschaftswunderspruch: Was dem Goethe sein Eckermann, ist dem Erhard sein Neckermann. Und jener Mann, der Volkswagen später zum Symbol für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg der Bundesrepublik machen wird, Heinrich Nordhoff, Diplomingenieur und Vorstandsmitglied von Opel in Rüsselsheim, entspricht nach dem Urteil Nina Grunenbergs nahezu vollkommen Speers Idealtypus des jungen, unglaublich tüchtigen und unpolitischen Technikers.

"Seit 1942 leitete er mit Geschick und Erfolg das Opel-Lastkraftwagenwerk in Brandenburg, das größte seiner Art in Europa. Dass seine Laster für die Wehrmacht und für Hitlers Krieg bestimmt waren, bekümmerte Nordhoff nicht. Seine Verantwortung endete am Werktor, mit der ordnungsgemäßen Auslieferung des Produkts. Was das Regime dann damit machte, lag jenseits seines Horizonts."

Nordhoff war nie Mitglied der NSDAP, aber wie nahezu jeder Leiter eines Rüstungswichtigen Betriebs erhielt er automatisch den Titel "Wehrwirtschaftsführer". Die Amerikaner stuften ihn bei der Entnazifizierung deshalb zunächst als "Hauptschuldigen" ein, bis sie ihn Anfang 1947 schließlich als entlastet einstufen. Ende 1947 treten die Briten an ihn heran, die Führung des Wolfsburger Werks zu übernehmen, das unter seiner Leitung dann zum größten Automobilhersteller Europas avanciert. Bis zu dieser Offerte hat er sich bei einem Hamburger Opelhändler recht und schlecht in der Kundendienst-Annahme durchschlagen müssen.

So sehr in Nina Grunenbergs Untersuchung die Kontinuität der wirtschaftlichen Elite vom Kaiserreich über Weimar und die Jahre des Dritten Reichs deutlich wird, ist doch den Karrieren all dieser Wundertäter gemein, dass sie durch eine kürzer oder länger bemessene Zwangspause unterbrochen werden, ehe sie- wie Sohl oder Zangen - wieder in alte Positionen einrücken können. Oft sind es Positionen, die sich in durch alliierten Octroi entflochtenen Betrieben ihrer ehemaligen Großkonzerne finden, die sie in den boomenden 50er Jahren jedoch schnell hoch wirtschaften und wieder zu Marktführern werden lassen. Und die Zwangspause wird oft in alliierten Internierungslagern verbracht, welche die inhaftierten Manager und Unternehmer geschickt zu nutzen wissen, Netzwerke für die kommenden Jahre zu knüpfen.

Nina Grunenberg hat mit ihrem spannend geschriebenen, sehr lesbaren Buch eine Lücke der Zeitgeschichte gefüllt, die schon Joachim Fest beklagte. Wenn sie die Männer, von denen sie berichtet, persönlich nicht sympathisch findet, kann man dies sehr wohl nachvollziehen. Ob sie ihnen historisch gerecht wird, bleibt allerdings die Frage. Mussten sie im Kriege nicht als Soldaten der Wirtschaft dienen, ob sie wollten oder nicht? Und wurde der Krieg nach der deutschen Kapitulation wirtschaftlich nicht etliche Jahre weitergeführt - durch Demontagen, Patentbeschlagnahme und Produktionsverbote, um die deutsche Wirtschaft als Konkurrenten vom Weltmarkt fernzuhalten? Vielleicht überfordert sie ihre "Wundertäter" im nach hinein, wenn sie ihnen zwar unerhörte Energie bescheinigt und Respekt vor ihrer Aufbauleistung bekundet, sich jedoch erschreckt zeigt über ihre moralische Unempfindlichkeit. Ungerührt wie eine Büffelherde seien sie von Weimar über das Dritten Reich einfach weiter gezogen in die Bundesrepublik. Wer die frühe Mentalitätsgeschichte der zweiten deutschen Demokratie kennt, wird sich fragen, ob die Männer der Wirtschaft damit eine Ausnahme darstellten - oder vielleicht die Regel im Nachkriegsdeutschland.

Nina Grunenberg: Die Wundertäter. Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942-1966
Siedler Verlag, München 2006





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