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08 Oktober 2006

Die Religion der Marktwirtschaft -- Alexander Rüstow

Die Religion der Marktwirtschaft
Buch bei AMAZON kaufen EUR 9,90


Die neoliberale Wirtschaftspolitik versagt seit einem Vierteljahrhundert bei ihrer wichtigsten Aufgabe, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Trotzdem gilt der Neoliberalismus nach wie vor als die allein erfolgversprechende Orientierung der Wirtschaftspolitik. Diese erstaunliche Resistenz gegenüber wirtschaftlichen Fakten ist nur zu erklären mit einem festgefügten Vorverständnis, dessen Wurzeln jenseits wissenschaftlicher Ratio liegen.

...

http://www.metropolis-verlag.de/Das-Versagen-des-Wirtschaftsliberalismus/349/book.do

Alexander Rüstow dringt in einer tiefgreifenden geistesgeschichtlichen Analyse zum Ursprung wirtschaftsliberaler Heilsgewissheit vor. Die vor allem durch stoische Einflüsse auf die christliche Theologie und die neue Wissenschaft von der Ökonomie überlieferte Vorstellung einer vorgegebenen natürlichen Ordnung führte dazu, deren Ergebnisse für sakrosankt zu halten und zu glauben, Eingriffe in diese Ordnung könnten nur negative Folgen zeitigen. Laisser-Faire gilt deshalb als die alleinige politische Option. Entsprechend sind wirtschaftliche Krisen und soziales Elend als der »göttlichen Planwirtschaft« inhärent hinzunehmen.

Auch die Aufklärung hat es nicht vermocht, den Glauben an die Existenz einer gottgewollten Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft zu überwinden. Alle großen Ökonomen des 18. und 19. Jahrhunderts blieben dieser Vorstellung verhaftet. Ihr Interesse war darauf gerichtet, die in dieser Ordnung geltenden Funktionszusammenhänge zu ergründen. Deshalb stellen sie das Gleichgewicht in den Mittelpunkt aller ihrer Überlegungen. Und deshalb interpretieren und rechtfertigen sie auch alle auftretenden Probleme als notwendige Durchgangsstadien des Weges zum Gleichgewicht. Wenn Max Weber den »Geist des Kapitalismus« als säkularisierte protestantische Ethik entdeckte, so hat Rüstow den »Geist des Liberalismus« als Säkularisierung eines deistisch-stoischen Harmonieglaubens nachgewiesen. Die Herausgeber zeigen in ihrem eigenen Beitrag, dass auch der moderne Neoliberalismus dieser Harmonievorstellung verhaftet ist. Der dogmatische Glaube an den neoklassischen Gleichgewichtsautomatismus beherrscht die Problemwahrnehmung, die Analysen und die wirtschaftspolitischen Empfehlungen. Er liefert vermeintlich auch die Rechtfertigung für die liberalistische Aversion gegenüber dem Staat. An Hand verschiedener Politikfelder wird demonstriert, wie Gleichgewichtsverheißung und Laisser-Faire-Dogmatismus wirtschaftspolitische Entscheidungen prägen. Dem neoklassischen Liberalismus ist es nicht gelungen, seine subtheologische Prämisse, die Existenz einer vorgegebenen harmonischen Ordnung, auf die das System Wirtschaft selbsttätig zutreibt, nachzuweisen. Zu bieten hat er nur Verifizierungen durch Theoriestücke und Modelle, in denen mögliche Quellen für Instabilitäten von vornherein wegdefiniert sind. Und an erkenntnislogisch unabdingbaren Falsifizierungsversuchen hat die Gleichgewichtsökonomie ohnehin nie Interesse gezeigt. So blockiert der neoklassische Liberalismus den Zugang zu einer problemadäquaten Wirtschaftstheorie und einer wirksamen Wirtschaftspolitik. Deshalb kann er die Risiken dynamischer Entwicklungsprozesse in komplexen arbeitsteiligen Geldwirtschaften weder erfassen noch vermeiden. Und deshalb kann er auch die im offenen System Wirtschaft liegenden Chancen, die von Liberalen so sehr beschworen werden, nicht ausschöpfen. Kommentare »Ein wichtiges Buch, weil es erklärt, warum die Ökonomie in den letzten Jahrzehnten die inhärente Instabilität des Wirtschaftsprozesses aus ihrem Gesichtskreis verbannt hat. Die keynesianische Fragestellung wurde durch den Glauben an die Selbstheilungskräfte verdrängt. Die Analyse des Liberalen Rüstow aus den 40er Jahren liefert das geistesgeschichtliche Fundament für die Kritik am Neoliberalismus.«



Professor Jürgen Kromphardt
TU-Berlin, Mitglied des Sachverständigenrats
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung



»Seit zwei Jahrzehnten gibt es in Politik und Wirtschaftswissenschaften einen Mainstream, der Deregulierung und Flexibilisierung als aktive Wirtschaftspolitik und »niedrige Staats- und Sozialleistungsquoten als Benchmark für ökonomische Leistungsfähigkeit« erklärt, um gleichzeitig den Ordnungsfaktor Staat zum Störfaktor umzudeklarieren. Hier nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass Alexander Rüstow, einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft, schon 1932 mit einem Vortrag »Freie Wirtschaft – starker Staat« Aufsehen erregte, kann vielleicht das neoliberale Dogma wenigstens ankratzen. Vor allem »Modernisierern« und »Verschlankungsstrategen« sei dieses Buch empfohlen.«



Dr. Herbert Ehrenberg
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung von 1976-1982



»Die Kritik Rüstows wird von den Herausgebern folgerichtig auf den »neuen« Neoliberalismus übertragen. Die vermeintlichen ökonomischen Sachzwänge erweisen sich als ideologisch. Ihre wirtschaftspolitische Umsetzung behindert den evolutiven Korridor in die transindustrielle Gesellschaft. Gezeigt wird, dass auch die »Dritten Wege« längst von neoliberalen Denkmustern geprägt sind. Erst die Abkehr vom Axiom einer vorgegebenen harmonischen Ordnung kann wieder Raum schaffen für den Primat der Politik, die sich allerdings innovativen und zeitbewussten Strategien öffnen muss.«



Professor Carl Böhret
Lehrstuhl für Politische Wissenschaft,
Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer



Aus dem Inhalt



Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus
Alexander Rüstow


I. Liberalismus und Wirtschaft
II. Wirtschaftstheologie

1. Pythagoras, Heraklit, Stoa
2. Wirtschaftstheologie bei den Physiokraten
3. Wirtschaftstheologie bei Adam Smith
4. Wirtschaftstheologie bei den Nachfolgern
5. Zusammenfassung

III. Fehler

1. Passivismus
2. Glückseligkeitsdusel
3. Unbedingtheitsaberglaube
4. Soziologieblindheit
5. Übersehene institutionelle Randbedingungen

IV. Folgen

1. Behinderungskonkurrenz statt Leistungskonkurrenz
2. Megalomanie und Elephantiasis der Wirtschaft
3. Vermassung der Gesellschaft
4. Kollektivismus
5. Pluralistische Entartung des Staates
6. Fazit

V. Folgerung: Erneuerung des Liberalismus

Anhänge:
I. Religiös begründetes Laisser-faire im Islam
II. Stoizismus und Epikureismus bei Adam Smith
III. Laissez faire! Laissez passer!
IV. Außenhandel gottgewollt
V. Adam Smith gegen die Subventionsgier der Unternehmer
VI. Zur Geschichte der Begriffspopularität zwischen Leistungskonkurrenz und Behinderungskonkurrenz

Das neoliberale Projekt
von Frank P. Maier-Rigaud und Gerhard Maier-Rigaud



Vorbemerkung: Erwartungen und Zweifel




I. Ökonomisierung der Gesellschaft

1. Orientierungen der Wirtschaftspolitik.
2. Wettbewerb der Nationen?
3. Sozialkosten des Marktdogmas

II. Geistesgeschichtliche Quellen

1. Philosophie und Religion
2. Säkularisierung des Harmonieglaubens
3. Liberale Rechtfertigungslehre

III. Erkenntnisinteresse und Komplexitätsreduktion

1. Endzeitökonomie
2. Verifikation
3. Abstraktionen

IV. Theoriemuster und Politikfolgen

1. Rollenverteilung
2. Aktionismus
3. Diskriminierung

V. Akteure im neoklassisch-liberalen Modell

1. Wirte statt Unternehmer
2. Konsumentensouveränität und Präferenzenbildung
3. Staat als Mitspieler

VI. Grenzen struktureller Selbststeuerung

1. Der Freiburger Imperativ
2. Spielregeln für den Leistungswettbewerb
3. Externalitäten

VII. Notwendigkeit der Niveausteuerung

1. Exogene Geldversorgung
2. Wechselbäder durch Wechselkurse
3. Makroökonomische Instabilität

VIII. Gesellschaftspolitische Rezeptionen

1. Libertarians
2. Kommunitaristen
3. Neoliberalismus von links

IX. Politische Ökonomie der dritten Wege

1. Ökonomie und Ideologie
2. Theorie des dritten Weges?
3. Primat der Politik

Neoliberalismus als Glaube

... Alexander Rüstow, der große Soziologe und Vordenker des Ordoliberalismus, hat vor über 50 Jahren in einer akribischen geistesgeschichtlichen Analyse aufgezeigt, dass der Wirtschaftsliberalismus auf subtheologischen Vorstellungswelten gründet. Der Absolutheitsanspruch, mit dem die universelle Gültigkeit der Konkurrenzharmonie, das Übereinstimmen von Einzel- und Gesamtinteresse, postuliert wird, ist für Rüstow die wesentliche Ursache für das Scheitern des Wirtschaftsliberalismus in der Weltwirtschaftskrise.

Ökonomie als Religion? Wer glaubt, die Lehrsätze der Ökonomie würden ständig kritisch hinterfragt, der irrt. Deren Axiome sind weit mehr Ideologie und Glaubensbekenntnis als rational abgeleitetes und empirisch getestetes Grundwissen. Welcher Laie kann sich vorstellen, dass es die treibende Kraft jeder realen Ökonomie, den Gewinn der Unternehmen, im axiomatischen Gebäude der modernen Ökonomie überhaupt nicht gibt? Eine gründlich überarbeitete Neuauflage des im Istanbuler Exils während des Zweiten Weltkrieges verfassten und seit Jahrzehnten vergriffenen Werkes "Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus" ist jetzt von Frank und Gerhard Maier-Rigaud herausgegeben worden. Ihnen ist es nicht nur gelungen, dieses für einen aufgeklärten Liberalismus entscheidende Werk wieder zugänglich zu machen, sondern auch die subtheologische Prägung der modernen Wirtschaftstheorie und -politik aufzudecken. In einem eigenen ausführlichen Beitrag zeigen die Herausgeber, wie die Ökonomisierung der Gesellschaft mit Hilfe des Marktdogmas vorangetrieben wurde und der Harmonieglaube zur liberalen Rechtfertigungslehre mutierte. Dabei macht man eine abstrakte Tendenz zum Gleichgewicht zum zentralen Erklärungsbaustein für eine Welt, die niemals im Gleichgewicht ist. Nur deshalb kann in dieser fiktiven Welt der Arbeitsmarkt durch flexible Löhne geräumt werden. Und nur deshalb ist Geld neutral und die Geldpolitik allein für Preisniveaustabilität zuständig. Für die Überwindung von Krisen bietet diese Wirtschaftsreligion nicht einmal einen Fingerzeig. Noch erstaunlicher: Im Gleichgewichtsdogma ist gar kein Platz für die liberale Botschaft von individueller Freiheit, Unternehmertum und offener Gesellschaft, im Gegenteil. Das Versagen der Wirtschaftspolitik und die vermeintliche Notwendigkeit einer fortschreitenden Deregulierung stellen die liberalen Errungenschaften am Ende selbst in Frage."

Das Argument, 248/2002, S. 883-885 (Bernhard Walpen)  [ nach oben ]


"Die sorgfältig neu edierte Arbeit Rüstwos hat zum Ziel, die subtheologischen Vorstellungen des Wirtschaftsliberalismus herauszuarbeiten, die in einem 'Erlösungswissen' kulminieren. Er verfasste keine dogmengeschichtliche Arbeit, sondern eine Genealogie des wirtschaftsliberalen Diskurses. ...



Alexander Rüstow gehört zusammen mit Walter Eucken und Franz Böhm zu den Mitbegründern des Ordoliberalismus. Er kämpfte für eine soziale Marktwirtschaft (in seinem Munde erhielt das Adjektiv "sozial" eine stärkere Betonung). Ferner trug er dazu bei, die "Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik" wieder ins Leben zu rufen. Auch geht das im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerte Konstruktive Misstrauensvotum teilweise auf Rüstows Kritik der Weimarer Verfassung zurück. Rüstows umfangreicher Nachlass befindet sich im Bundesarchiv in Koblenz.


Alexander Rustow (born Wiesbaden, April 8, 1885 -- died Heidelberg, June 30, 1963) was a German sociologist and economist. He is the father of the "Social Market Economy" that shaped the economy of West-Germany after World War II.

Schutzzoll oder Freihandel?, 1925
Das Fuer und Wider der Schutzzollpolitik, 1925
Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, 1945, Republished in 2001, ISBN 3895183490
Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, 1949
Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, 2nd edition, 1950
Ortsbestimmung der Gegenwart. Eine universalgeschichtliche Kulturkritik, ("Determination of the Present's Location"), 3 Volumes, 1950 - 1957

Volume 1: Ursprung der Herrschaft ("Origin of Rule")
Volume 2: Weg der Freiheit ("March of Freedom")
Volume 3: Herrschaft oder Freiheit? ("Rule or Freedom")

Wirtschaft und Kultursystem, 1955
Die Kehrseite des Wirtschaftswunders, 1961


Sache der Erziehung ist es, die jungen nach Betätigung drängenden Kräfte in positive und vernünftige Bahnen zu lenken, ihnen konstruktive, aufbauende Ziele zu zeigen. So lange wir das nicht zu Wege bringen, sind wir es selbst, bei denen wir uns über Halbstarkenkrawalle, Jugendkriminalität usw. zu beklagen haben.

"The aim of education is to direct the young and dynamic forces in a positive and meaningful direction and to show them constructive aims worth developing. As long as we do not achieve this it is us, ourselves, who we have to criticise for youth riots, juvenile crime, etc."

Alexander Ruestow, 1960



Hayekscher Neoliberalismus war aber etwas völlig anderes als der Neolibera-lismus im Sinne der Civitas humana von Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow, dem es um Revision, um Renovierung und Reformierung klassischer Positionen ging.

http:/www.die-neue-ordnung.de/Nr12003/HW.html




Vor 50 Jahren: Freiwirtschaft an der Wiege der Sozialen Marktwirtschaft




Vor rund fünfzig Jahren waren einige fachkompetente Vertreter der Freiwirtschaftstheorie mit ihren Reformvorschlägen recht nahe dran an der "großen" Politik. An der Wiege der bundesdeutschen sozialen Marktwirtschaft wurden sie gehört und respektiert. Ihre Aktivitäten fanden in den Medien zeitweise größere Beachtung.

Im Januar 1953 gründete der Freiwirtschaftler Otto Lautenbach die Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft (ASM). Im Juli 1954 verstarb er. Diese Daten markieren zum einen das Plateau einer Aufwärtsentwicklung, zum anderen den Beginn schwindenden Einflusses und abnehmenden allgemeinen Interesses.

Im Zuge des organisatorischen Wiederaufbaus der Freiwirtschaftsbewegung, deren Organisationen unter Hitler verboten waren, erfolgte 1946 auf Initiative Otto Lautenbachs die Neugründung des Freiwirtschaftsbundes (FWB), einer Organisation ohne Parteistatus. Dessen Mitglieder wurden auch von etlichen Wissenschaftlern, Spitzenpolitikern und wirtschaftlichen Führungskräften respektiert, einerseits wegen der wissenschaftlich und realpolitisch seriösen Argumentation ihrer Denkschriften und Eingaben, andererseits aufgrund starker öffentlicher Resonanz: Bei zahlreichen Veranstaltungen hohe Teilnehmerzahlen. Vor allem drei 1947/48 verfasste Denkschriften zur wirtschaftlichen und sozialen Neuordnung erzielten stärkere Wirkung.

Größeres allgemeines Interesse an freiwirtschaftlichen Ideen spiegeln auch einige Wahlergebnisse der freiwirtschaftlichen Partei der britischen Besatzungszone, der Radikalsozialen Freiheitspartei (RSF), wider: Bundestagswahl 1949: In Bremen und NRW je 2,1% der Stimmen. Landtagswahlen: 1949 in Hamburg 2,0%, 1950 in NRW ebenfalls 2,0%.

In der von Lautenbach herausgegebenen Halbmonatsschrift "Blätter der Freiheit" (sechs Jahrgänge von 1949 bis 1954) veröffentlichten wiederholt auch namhafte Wirtschaftswissenschaftler wie Franz Böhm, Ludwig Erhard (der spätere Wirtschaftsminister und Bundeskanzler), Fritz Hellwig, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow. Lautenbach seinerseits war vorübergehend Mitarbeiter der von Ludwig Erhard herausgegebenen Zeitschrift "Währung und Wirtschaft".

Mitglieder des FWB verhandelten mit wissenschaftlich kompetenten Organisationen und öffentlichen Instanzen, zum Beispiel 1952 zweimal mit dem Direktorium der Bank Deutscher Länder, dem Vorläufer der Deutschen Bundesbank. Hier wurde über die Bedeutung der Geldmenge und der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes für die Stabilisierung der Währung volle Übereinstimmung erzielt. Keine Zustimmung fanden dort die leider oft als "inflationsfördernd" missverstandenen geldtechnischen Vorschläge für eine Stabilisierung (Verstetigung) der Umlaufsgeschwindigkeit.

Individual- und Sozialprinzip

Der FWB vertrat eine möglichst reine Form von sozialer Marktwirtschaft. Eine andere, einflussreichere ideengeschichtliche Quelle einer konsequenten sozialen Marktwirtschaft war die ordoliberale Wirtschaftstheorie Walter Euckens (1891-1950). Diese auch als "Freiburger Schule" und Neoliberalismus bezeichnete Richtung (nicht zu verwechseln mit dem heutigen antisozialen Neoliberalismus!) forderte eine ausdrückliche Rahmenrechtsordnung für die Wirtschaft mit dem Ziel, das Individualprinzip mit verpflichtendem Sozialprinzip zu verknüpfen. Dazu sollten eine umfassende Antimonopolgesetzgebung und Korrekturen der Einkommensverteilung entscheidend beitragen.

Die ordoliberale Abgrenzung vom Liberalismus/Kapitalismus alten Stils hat Alexander Rüstow zum Beispiel mit folgenden Worten deutlich gemacht: "Diese Wirtschaftsform des traditionellen big-business-Kapitalismus oder wie man sie sonst nennen will, diese Wirtschaftsform paläoliberaler 'laissez-faire'-Wirtschaft ist in sich unstabil und führt auf dem Wege der eben angedeuteten Inkonsequenzen zur Monopolbildung, zu privaten Machtzusammenballungen..."

Das Konzept der Freiwirtschaftler stimmte mit Grundprinzipien Euckens überein, enthielt aber als Rahmenbedingung weitergehende Forderungen: eine Bodenrechtsreform und eine Geldreform, um damit Voraussetzungen zu schaffen für ein selbstregulatives soziales Gleichgewicht im Rahmen einer Rechtsordnung, um auf diese Weise eine Verknüpfung von Individual- und Sozialprinzip herzustellen und private und staatliche Vermachtung der Wirtschaft zu verhindern.

Kooperation von Freiwirtschaftlern und Ordoliberalen

Die beiden einerseits wesensverwandten, andererseits doch wieder unterschiedlichen Wirtschaftstheorien begegneten sich in ihren maßgebenden Vertretern in den Jahren 1951 bis 1954 zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Auf der einen Seite u.a. Ernst Winkler und vor allem Otto Lautenbach, auf der ordoliberalen Seite u.a. Franz Böhm, Fritz Hellwig und Alexander Rüstow. Die Tagungen des Freiwirtschaftsbundes wurden zunehmend ein öffentlich anerkanntes Forum der Erarbeitung und Darstellung wissenschaftlich begründeter und umsetzbarer Prinzipien für Wirtschaft und Gesellschaft.

Insbesondere zwei Tagungsprotokolle aus den Jahren 1951/52 - Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft und Das Programm der Freiheit - dokumentieren die Kooperation von Freiwirtschaftlern und prominenten ordoliberalen Gästen. Beide Seiten sahen in einer freien und sozial gerechten Marktwirtschaft vor allem auch ein entscheidendes Fundament der Demokratie und eines freien Europa. Und man war sich auch folgender Aussage Euckens bewusst: "Eine ethische Besserung des Menschen kann die Schäden der Ordnung nicht beseitigen...Die Gesamtordnung sollte so sein, dass sie den Menschen das Leben nach ethischen Prinzipien ermöglicht."

Über den Bundestag des FWB am 9./10. November 1951 in Heidelberg haben Zeitungen des In- und Auslandes zum Teil in längeren Beiträgen ausführlich positiv berichtet, u.a. FAZ, Rhein-Neckar-Zeitung, Rheinischer Merkur, Handelsblatt, Der Volkswirt und in der Schweiz die Wochenzeitung Freies Volk. DIE ZEIT vom 15.Nov.1951 schloß ihren zustimmenden Bericht mit dem Satz: "Das Attribut "sozial" muß mehr sein als ein zartrosa Etikett zur beliebigen Verwendung bei lediglich propagandistischem Bedarf: nämlich eine zu praktizierende Verpflichtung."

Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft

Otto Lautenbach, der in einem Zweckbündnis mit den Ordoliberalen eine Chance sah, schuf Anfang 1953 mit der "Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft" (ASM) einen organisatorischen Rahmen für die Zusammenarbeit mit den Ordoliberalen. Im achtköpfigen Vorstand saßen vier Freiwirtschaftler. Zu den neun Beiratsmitgliedern gehörten drei Freiwirtschaftler und drei prominente Ordoliberale, u.a. Franz Böhm und Alexander Rüstow. Ehrenmitglieder waren Ludwig Erhard und Wilhelm Röpke. Punkt 2 der programmatischen Richtlinien der ASM - "Thesen für ein Grundgesetz der Wirtschaftsordnung" - lautete: "Der freie Leistungswettbewerb ist unvereinbar mit monopolistischen Machtgebilden jeder Art, er ist deshalb unter den Schutz des Gesetzes zu stellen. Die natürlichen Monopole sind durch die Rechtsordnung unschädlich zu machen; solange die übrigen Monopole dem Wettbewerb bei freier und stetiger Kapitalbildung nicht unterliegen, ist ihr Entstehen durch die Rechtsordnung zu unterbinden."

Ludwig Erhard schrieb am 23.1.1953 an die Gründungsversammlung: "Ich brauche wohl nicht eigens zu versichern, daß das von Ihnen in sieben Thesen zusammengefasste Programm der Freiheit meine Zustimmung findet. Aus diesem Grunde wünsche ich Ihrer Arbeit und Ihren Bestrebungen den verdienten Erfolg."

Die zweite große Tagung der ASM am 18./19.Nov.1953 in Bad Godesberg mit über 600 Teilnehmern, mit einer wichtigen Rede Erhards, in der dieser bereits vor den Gefahren für die Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft warnte, hatte ebenfalls starke positive Resonanz in Presse und Rundfunk des In- und Auslandes. Die "Godesberger Erklärung" der ASM wurde durchweg als richtungsweisend für den Ausbau der Sozialen Marktwirtschaft angesehen. DIE ZEIT zum Beispiel kam in einem vierspaltigen Artikel in Nr 48 zu dem Schluß: "Der unbestreitbare Erfolg der Tagung spiegelte sich weniger in 'Rang und Namen' der anwesenden Persönlichkeiten wider, sondern mehr in dem Versuch, eine vorhandene Denklücke zu schließen - nämlich die Vollendung der 'Sozialen Marktwirtschaft' -, dem jetzt die Tat folgen muß." Aber es kam ganz anders.

Resignation

Infolge des frühen Todes von Otto Lautenbach am 18.7.1954 fand die Zusammenarbeit von Freiwirtschaftlern und Ordoliberalen ein rasches Ende. Der FWB zerfiel im Streit um eine Neugestaltung der Organisationsform. In der ASM ging der Einfluss der Freiwirtschaftler immer mehr zurück. Im Laufe der Jahre gelangten überwiegend Vertreter der Wirtschaft in den Vorstand.

Ordoliberale Vorstandmitglieder zogen sich in den Beirat zurück. Sie resignierten in ihrer Reformfreude angesichts der Entwicklung der ASM und der Sozialen Marktwirtschaft. (Der Verein mutierte zu einem Unternehmer- und Kapital-Interessenverband, er besteht heute noch. In seiner Info-Broschüre wird der Gründer Lautenbach nicht genannt.)

Ludwig Erhard konnte ein freiheitlich-soziales Programm im Sinne der "Thesen für ein Grundgesetz der Wirtschaftsordnung" politisch nicht durchsetzen. Schon am 9.9.1953 hatte DER SPIEGEL über den Wirtschaftsminister geschrieben: "Während die Oppositionsparteien in der Adenauerschen Außenpolitik ein dankbares Feld für ihre Kritik fanden, stießen Erhards freiwirtschaftliche Ideen in seiner eigenen Umgebung auf Hemmnisse. Auch im Kabinett." Der ehemalige Schüler des Soziologen Franz Oppenheimer konnte nur eine von A.Müller-Armack unter deutlicher Abgrenzung von Euckens ordoliberalem Konzept vorgeschlagene marktwirtschaftliche Variante, eine "sozial gesteuerte" Marktwirtschaft, realisieren, für die sich der Name "Soziale Marktwirtschaft" einbürgerte. Eine umfassende Antimonopol-Gesetzgebung blieb auf der Strecke, freiwirtschaftliche Reformvorschläge wurden ignoriert. An eine "Vollendung" der Sozialen Marktwirtschaft war nicht mehr zu denken.

Im Zuge des westdeutschen "Wirtschaftswunders" ging allgemein das Interesse an Rahmenbedingungen im Sinne Euckens und der Freiwirtschaftstheorie immer mehr zurück. Die Freisoziale Union (FSU), 1950 gegründet als Zusammenschluß der freiwirtschaftlichen Parteien der drei Besatzungszonen, erzielte zum Beispiel bei Wahlen im Jahre 1965 in keinem Bundesland mehr als 0,1% der Stimmen.

Freiwirtschaft wieder im Aufwind?

Seit etlichen Jahren stoßen freiwirtschaftliche Reformvorschläge zweifellos wieder auf größere Resonanz. Werden sie demnächst auf der politischen Ebene vom Aufwind etwaiger ernsthafter sozialer Reformbemühungen erfasst werden? Wenn aus der Geschichte zu lernen ist, dann müsste sich folgende Erkenntnis breit machen: Die rheinische Variante einer Sozialen Marktwirtschaft hat zwar zu Wohlstand geführt und den Aufbau eines Sozialstaates ermöglicht, aber die bisherigen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen reichen langfristig nicht aus zur Stabilisierung des erreichten Niveaus. Schon seit längerem konnte der Sozialstaat nur mit Hilfe steigender Staatsverschuldung einigermaßen gehalten werden. Nun ist diese Politik an ihre Grenzen gestoßen, und es zeigen sich immer deutlicher Phänomene, die mit den freiwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hätten vermieden werden können, zum Beispiel: Progressive Ungleichheit der Einkommensverteilung, Akkumulation der Geldvermögen in Händen weniger bei entsprechenden Abströmen immer größerer Anteile der Arbeitseinkommen, ferner Massenarbeitslosigkeit und wachsende soziale Probleme. Die Vollendung der Sozialen Marktwirtschaft bleibt eine Aufgabe für Gegenwart und Zukunft. Zunächst einmal wäre, wie es in dem oben erwähnten Pressebeitrag heißt, "eine vorhandene Denklücke zu schließen". Das Füllmaterial liegt seit über fünfzig Jahren bereit.

Quellenverzeichnis:

Freiwirtschaftsbund: Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft. 1952. Vorträge von Ernst Winkler, Alexander Rüstow, Werner Schmid und Otto Lautenbach vom 9. und 10. November 1951.
Freiwirtschaftsbund: Das Programm der Freiheit. Wortlaut der Vorträge am 6. u. 7.11.1952.
Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft: Tagungsprotokolle aus 1953.
Schmid, Werner: Neoliberalismus und Freiwirtschaft. Zürich 1957.
Winkler, Ernst: Freiheit? - Die zentrale Frage im politischen Ringen um eine gerechte Sozialordnung. 1980.
Stöss, Richard (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980.

von Redaktion - 07. Jan 2004

http://www.inwo.ch/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=112&mode=thread&order=0&thold=0




Man reibt sich die Augen, relevante Zitate bringen Licht. Man war auf einmal selbst dabei. Mit Alexander Ruestow navigiert man wie mit einem Eisbrecher "querfeldein", ohne die Angst des betriebsblinden Durchschnittsoekonomen von seiner eigenen Wissenschaft ueber Bord gespuelt zu werden. Grundbegriffe werden mit der Leichtigkeit des Lebens, im Sinne Heidegger'scher Wissenschaftsdynamik (Sein & Zeit, Einleitung; 1,§ 3), aus- und umgegraben. Und dann wird es einem klar, warum mathematische Institute Modelle ohne Symetrie und auf der Basis von zunehmenden Grenznutzen nicht ins Bild bringen wollen: die eingefleischte Gleichgewichtsfunktion kommt in Gefahr und ohne diese sind Prognosen statistisch wertlos.

Das Leben ist nun aber nicht immerzu symmetrisch. Stabilisierender Feedback ist sozial und technisch eine Selbstverständlichkeit. Homeostasen sind hier und da von Gottes Gnaden, aber keine marktwirtschaftliche Gegebenheit. Und Prognosen, anders als kurzfristiges Trendverlaengern in vorzugsweise geschlossenen Systemen, erweisen sich als Sackhupfen und Wurstschnappen.

Alexander Ruestow zeigt in seiner Untersuchung, wie sich religioese Gleichgewichtsfiktionen pästabilisierter Harmonien in die Wirtschaftswissenschaft eingefressen haben. In grossen Linien begann es vor langer Zeit mit den Stoikern und deren fester Überzeugung von sich letztendlich immerzu einstellenden kosmischen Gleichgewichten zum Nutzen der Upperclass; alles stroemt als Argument gegen jegliche Erneuerung (keep the change).

Im ausgehenden Mittelalter und der Aufklärung verhärten sich die Positionen. Kreislauftheoretiker predigen, wie nach ihnen Calvin und Rousseau, Francis Quisnay (1694-1774), mit seinen gottgegebenen Adern, Leitungen und Bahnen und Adam Smith (1723-1790), mit seiner mehr innerweltlichen "invisible hand", kommen unters Messer.

Moderne Rechts-Liberale (F.von Hayek, M. Friedman), Kalvinisten und der zeitgenössische Islam, sie alle verurteilen Interventionen (Europäischer Stabilitaetspakt) noch immr mit theologischem Eifer als Zerstoerung goettlicher Ordnung. In der Praxis aber unterwandert liberaler Protektionismus das liberale wirtschaftstheoretisch-religiöse Schönheitsideal. Sogar im sowjetisch-stalinistischen "Produktionsroman" siegte die Wirklichkeit Ueber idiologische Phantasmen. Dies kommt heute nur noch in der Wirtschaftstheorie vor.




Wenn man die der Aufklaerung zuzurechnende Grundhaltung des Ordoliberalismus, seinen auf Veränderung gerichteten Schwung erfassen will, muss man Ruestow lesen.
Gleichgueltig, wie man ueber Monopole und Kartelle denkt: Man erfasst, wenn man sich von Ruestow anstecken laesst, den gegenwärtigen Zeitgeist in seiner Passivitaet, Lethargie und Fauligkeit. Natuerlich hat sich dieser Geist nicht explizit unter die Fahne dieser Begriffe gestellt - er verwendet zur Rechtfertigung seiner Untuechtigkeit Begriffe wie Selbstregulierung, Selbstreflexitaet und Autopoiesis. Er kennt keine Subjekte, die planvoll in ausserhalb ihrer selbst liegende Zusammenhaenge eingreifen, sondern nur das unendliche Zusammenspiel auf Selbsterhaltung ausgerichteter Systeme. Die Benennung von Ross und Reiter, die Kennzeichnung absichtsvoll agierender Individuen oder Gruppen ist ihm fremd.

Die Religion der Marktwirtschaft
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