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21 März 2007

Kohl und Flick

Mittelfristige Planung eines Kanzlerwechsels

Zum besseren Verständnis vorausgeschickt: Im Juli 1976 - nur 13 Monate vor der Entführung und schließlichen Ermordung Dr. Hanns Martin Schleyers durch RAF-Terroristen - hatte der Autor dieses Schwarzbuchs ein längeres Gespräch mit diesem »Boß der Bosse«, der damals Vorstandsmitglied der Daimler- Benz AG, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Vertrauensmann der Flick- Gruppe war, bald darauf auch noch Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) wurde. Die Unterhaltung war auf Wunsch Dr. Schleyers zustande gekommen*.

*(Näheres darüber ist nachzulesen in: Bernt Engelmann, »Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern«, Steidl Verlag, Göttingen 1987.)

Bei dem gemeinsamen Mittagessen in einem Münchener Hotel zeigte sich Dr. Schleyer ungewöhnlich offen. Soweit es seine und seiner Freunde politischen Pläne betraf, erklärte er, es sei ein Irrtum zu glauben, Franz Josef Strauß sei ihr Favorit für das Kanzleramt. »Er hat große Qualitäten«, meinte damals Schleyer über Strauß, »aber er ist zu unkontrolliert und - zu angreifbar. «

Nun gab es wahrlich Gründe genug, den damaligen CSU Chef für »zu angreifbar« zu halten: Er stand, wie das Landgericht München ihm bescheinigt hatte, »im Ruch der Korruption«, und seine Laufbahn war seit den frühen fünfziger Jahren, als er Bundesverteidigungsminister Adenauers wurde, eine Kette von Skandalen und Affären. Aber Dr. Schleyer hatte, wie sich dann herausstellte, mit der »Angreifbarkeit« des FJS etwas anderes gemeint und dessen skandalöse Verquickung von politischer Amtsführung und privaten Geschäften unter die Rubrik »zu unkontrolliert« eingeordnet. Das ergab sich aus einem Zusatz, der sinngemäß etwa besagte: Ihm, Schleyer, sei es egal, daß die Leute nun wüßten, daß er mal SS-Führer gewesen sei; aber er wolle ja nicht Bundeskanzler werden..

Schleyers Bemerkung, Strauß wäre als Kanzler »zu angreifbar«, hatte sich also auf dessen Nazi-Vergangenheit bezogen, und zwar etwa in der Bedeutung: Als Ministerpräsident in Bayern kann ein Mann wie Strauß noch durchgehen, aber nicht als Bundeskanzler in Bonn.

Zur weiteren Klarstellung: Franz Josef Strauß leugnete zeitlebens seine Nazi-Vergangenheit; er hatte für alles ganz harmlose Erklärungen: Gewiß, er habe dem NSKK angehört, aber dieses NS-Kraftfahrkorps sei unpolitisch gewesen, er selbst nur Mitglied wegen seiner Leidenschaft fürs Motorradfahren; als Student habe er einer »Pflichtorganisation«, dem NS Deutschen Studentenbund (NSDStB) als einfaches Mitglied angehört; schließlich sei er gegen Kriegsende »Offizier für wehrgeistige Führung« gewesen, habe den Soldaten Geschichtsunterricht erteilt, aber als er dann NSFO, NS-Führungsoffizier, hatte werden sollen, da habe er abgelehnt und sich dem heimlichen Widerstand angeschlossen.

Tatsächlich ist urkundlich erwiesen, daß es mit alledem eine ganz andere Bewandtnis gehabt hat, und Dr. Schleyer wußte aus eigener Erfahrung, daß der NSDStB alles andere war als eine harmlose »Pflichtorganisation«, nämlich die - auf nur 5 000 Mitglieder im ganzen Großdeutschen Reich strikt begrenzte - Kaderschule für den SD, den gefürchteten Sicherheitsdienst der SS, dem ja auch Dr. Schleyer selbst angehört hatte.

Wenn aber Hanns Martin Schleyer und die ihm nahestehenden Kreise damals, 1976, von Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat nichts hielten, wen mochten er und seine Freunde dann im Auge haben? Der Autor stellte ihm diese Frage, und überraschenderweise erwiderte Dr. Schleyer ohne Zögern:

»Wir setzen auf das Tandem Kohl/Biedenkopf.« Professor Kurt Biedenkopf, der 1973 zur allgemeinen Überraschung Generalsekretär des CDU-Bundesvorstands geworden war, galt als »Vordenker« der Union. Im übrigen war er für die bundesdeutsche Öffentlichkeit im Wahljahr 1976 noch ein unbeschriebenes Blatt. Wer sich über den Professor, der bislang kein Bundestagsmandat gehabt hatte, näher informieren wollte, fand im »Wer ist wer?« folgenden, auf eigenen Angaben des Professors beruhenden Eintrag:

»BIEDENKOPF, Kurt H., Dr. jur. (habil.), LL. M., Professor, geboren am 28. Januar 1930 in Ludwigshafen/Rh. (Vater: Wilhelm Biedenkopf), verheiratet mit Sabine geb. Wäntig, 4 Kinder. - 1963-71 Lehrtätigkeit an der Universität Frankfurt/Main (Privatdozent) und Bochum (Ordinarius seit 1964; von 1967-69 Rektor). 1968ff. Vorsitzender der Mitbestimmungskommission der Bundesregierung. 1971ff. Vorstandsmitglied der C. Rudolf Poensgen-Stiftung; 1972ff. Vorsitzender des Landeskuratoriums des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft (Neugründung); seit 1973 Generalsekretär des CDU-Bundesvorstands. - Buchveröffentlichungen: Aktuelle Grundsatzfragen des Kartellrechts, 1957 (mit Callmann und Deringer); Vertragliche Wettbewerbsbeschränkungen und Wirtschaft, 1958; Unternehmer und Gewerkschaften im Recht der USA, 1961; Grenzen der Tarifautonomie, 1964; Thesen der Energiepolitik, 1967; Mitbestimmung, Beitrag zur ordnungspolitischen Diskussion, 1972; Fortschritt in Freiheit, Umrisse einer politischen Strategie, 1974.«

Diese Angaben waren nicht sehr aufschlußreich. Zunächst ließen sie vermuten, daß es sich bei Professor Biedenkopf um einen stillen Gelehrten handelte, der im In- und Ausland fleißig studiert hatte, um dann eine steile Universitätskarriere einzuschlagen. In rascher Folge war er Privatdozent, Ordinarius und sogar Rektor der Bochumer Ruhruniversität geworden, daneben mit zahlreichen Buchveröffentlichungen hervorgetreten und in Stifterverbänden aktiv gewesen. Aber dann hatte ihn plötzlich die Politik in Beschlag genommen, und er war, sozusagen aus dem Stand, CDU-Generalsekretär geworden.. .

Noch ein weiterer Umstand gab dem Leser der Kurzbiographie Rätsel auf, denn es fehlte darin selbst der kleinste Hinweis auf Herkunft, Schulzeit, Beruf des Vaters und dergleichen. Man konnte vermuten, daß da vielleicht ein schlichtes Proletarierkind aus Bescheidenheit oder falscher Scham seinen raschen Aufstieg ein wenig zu verschleiern trachtete.

Indessen war Professor Dr. Kurt H. Biedenkopf beileibe kein sozialer Aufsteiger, vielmehr der Sohn des Dipl. Ing. Wilhelm Biedenkopf aus Chemnitz, Jahrgang 1900, der bis zu seiner Pensionierung ordentliches Vorstandsmitglied einer Perle unter den zur Flick-Gruppe gehörenden Unternehmen, nämlich der »Dynamit-Nobel AG« in Troisdorf, gewesen war, zuvor technischer Direktor, vielfacher Aufsichts- und Beirat, während des Zweiten Weltkriegs auch ein - vom »Führer« besonders belobigter und belohnter - »Wehrwirtschaftsführer«. Ganz zufälligerweise war Vater Wilhelm Biedenkopf zuletzt auch Mitglied des Beirats jenes Unternehmens in Bergisch-Gladbach, das wesentlich zu den Gewinnen des »Pegulan«-Konzerns beigetragen hatte und an dem Frau Marianne Strauß, die Gattin des CSU-Chefs, von Konsul Dr. Ries hochherzigerweise mit zuletzt etwa 16 Prozent beteiligt worden war.

Ein weiterer Zufall: Sohn Kurt, der spätere CDU-Generalsekretär, war während eines beruflich bedingten Aufenthalts seines Vaters, als die BASF dessen Dienste in Anspruch genommen hatte, anno 1930 in Ludwigshafen/Rh. zur Welt gekommen, genau wie Helmut Kohl, und mit diesem hatte er auch gemeinsam die Volksschule besucht.

Dann aber hatten sich ihre Wege getrennt: Der aus unbemittelter Beamtenfamilie stammende Helmut Kohl mußte sich, wie wir bereits wissen, recht mühsam nach oben hangeln, und dabei spielte sein Förderer Dr. Ries eine wichtige Rolle; Kurt Biedenkopf hingegen hatte in den USA politische Wissenschaften, in München und Frankfurt Jura und Volkswirtschaft studiert, zum Doktor der Rechte und zum Master of Law promoviert, sich mit einer Arbeit über »Die Grenzen der Tarifautonomie« habilitiert (und damit zugleich die Aufmerksamkeit der Konzernherren und des Arbeitgeberverbands erregt) und war 1967 jüngster Rektor der Bundesrepublik in Bochum geworden.

In den folgenden Jahren hatte er sich gesellschafts- und wirtschaftspolitisch zu profilieren begonnen. »In seinem Bekenntnis zu einer funktionsfähigen Marktwirtschaft mit Wettbewerb und Privateigentum«, schrieb damals »Der Spiegel« über ihn, »läßt er sich von niemandem überbieten.«

Weithin bekannt geworden war der Professor aber erst 1968, als ihn Bundeskanzler Kiesinger mit der Leitung einer Kommission beauftragte, die für die Bundesregierung die Frage der betrieblichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer untersuchen sollte. Diese »Biedenkopf-Kommission«, wie sie dann genannt wurde, rang sich zwar zu einer Würdigung der gut funktionierenden paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie durch, entschied sich aber gegen die Ausdehnung dieses Modells auf die gesamte Wirtschaft, wie es Gewerkschaften, SPD und CDU-Sozialausschüsse gefordert, die Unternehmer jedoch als »ruinös für die Wirtschaft« abgelehnt hatten. Seither gilt Biedenkopf«, so damals »Der Spiegel«, »den Gewerkschaften, aber auch den parteieigenen CDU-Sozialausschüssen als überzeugter Unternehmerfreund, der jede Demokratisierung der Wirtschaft zu bekämpfen suche.« Umgekehrt fand nun einer der größten bundesdeutschen Konzerne, die Henkel-Gruppe, daß dieser so unternehmerfreundliche Professor genau der richtige Mann für sein Topmanagement sei. Anfang 1971 konnte Biedenkopf seine akademische Laufbahn vorerst beenden und Geschäftsführer der Henkel GmbH werden. Von diesem Kommandoposten des nicht nur im Waschmittelbereich führenden Chemie-Riesen, dessen Eigentümer als Großaktionäre des DEGUSSA-Konzerns und der NUKEM-Reaktorbau-Holding*

* Die NUKEM GmbH in Hanau gehört zu 35 Prozent der DEGUSSA, deren Großaktionär die Familie Henkel (»Persil« usw.) ist. Die NUKEM GmbH ist ihrerseits mit 40 Prozent des Kapitals an der ALKEM GmbH, Hanau, beteiligt. Der Geschäftsführer dieser Brennelementefabrik, Dr. Alexander Warrikoff, seit 1963 CDU-Bundestagsabgeordneter, sowie vier weitere ALKEMManager wurden im Sommer 1986 von der Staatsanwaltschaft beschuldigt, »wesentliche technische Änderungen im Produktionsablauf ohne atomrechtliche Genehmigungsverfahren vorgenommen und damit die Sicherheit der Anlage verringert zu haben«. Für Warrikoff fanden sich dann andere Verwendungsmöglichkeiten: Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Wirtschaftsverbandes Kernbrennstoff-Kreislauf, Vorsitzender des Verwaltungsrates der NVD -Nukleare Versicherungsdienst GmbH, Bundesvorstandsmitglied des CDU-Wirtschaftsrates.

beträchtlichen Einfluß auf die Wirtschaft und die Politik der Bundesrepublik ausüben, ließ sich Professor Biedenkopf zweieinhalb Jahre später weglocken und übernahm den Posten des Generalsekretärs der in die Opposition verbannten CDU.

Niemand, vermutlich nicht einmal Kurt Biedenkopf selbst, wird mit Bestimmtheit sagen können, wer oder was den Professor dazu bewogen hat, sich von der sicheren Kommandobrücke des Henkel-Konzerns in die Wogen der Politik zu stürzen. Verbürgt ist jedoch, daß Konsul Dr. Fritz Ries dem Wunsch seiner Gäste auf Schloß Pichlarn und inbesondere dem seines alten Freundes Hanns Martin Schleyer, doch einen »Intelligenzbolzen« zu finden, der bereit und imstande wäre, Helmut Kohls deutliche Mängel auszugleichen, sowie beide auf ihre gemeinsame Rolle »einzustimmen«, mit Eifer und Geschick nachgekommen ist.

Vom Herbst 1972 an organisierte Dr. Ries auf seiner steiermärkischen Besitzung sogenannte »Pichlarner Topmanager Gipfeltreffen«, die sich bald großer Beliebtheit erfreuten. Denn die zur Ries-Besitzung gehörende Prominentenherberge »Schloßhotel Pichlarn« eignete sich vorzüglich dazu, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.

Nützlich waren die Bekanntschaften, die man dort machen konnte, denn zu den Pichlarner Gästen gehörten Politiker, Industriekapitäne, Bankiers, Prälaten und Militärs; nützlich waren auch die Vorträge, die man dort hören konnte, und die anschließenden Diskussionen, und nützlich war schließlich auch die Möglichkeit, die Pichlarn bot, sich im Fitness-Zentrum, in der Schwimmhalle, beim Golfspiel, zu Pferde oder im Jagdrevier vom Streß des Alltags zu erholen und die überflüssigen Pfunde wegzutrimmen. Angenehm waren die schöne Umgebung, die gepflegte Gastronomie und nicht zuletzt die reizende Betreuung, teils durch attraktive Hostessen, teils durch die nicht minder liebenswürdigen Töchter des Hauses. Kein Wunder also, daß auch Professor Kurt Biedenkopf gern der Einladung folgte, an solchen »Pichlarner Topmanager-Gipfeltreffen« teilzunehmen, und da er - wie man der steiermärkischen »Süd-Ost-Tagespost« damals entnehmen konnte - der mit Abstand »prominenteste ausländische Teilnehmer und Vortragende« dieser Veranstaltungen war, ist es leicht begreiflich, daß ihm die ganz besondere Fürsorge des Schloßherrn Dr. Ries und seiner bei diesen Treffen stets anwesenden Tochter Ingrid Kuhbier galt. Beide ließen es sich nicht nehmen, Professor Biedenkopf nicht nur als bloßen Dozenten, prominenten Teilnehmer der »Gipfeltreffen« und Hotelgast zu behandeln, sondern vielmehr als einen engen Freund der Familie.

In der Folgezeit - Kurt Biedenkopf war nun schon Generalsekretär der CDU geworden - vertieften sich diese Beziehungen noch. Man besuchte sich häufiger, man telefonierte viel miteinander, und für die Zeit nach der Bundestagswahl 1976 wurden in Pichlarn, Frankenthal und Bonn gewisse Überraschungen erwartet, die des rührigen Konsuls Ansehen und Einflußmöglichkeiten weiter vermehren würden. Es dauerte jedoch bis 1980, die Wahlen des Herbstes 1976 brachten der von Helmut Kohl als Kanzlerkandidat, von Kurt Biedenkopf als CDU-Generalsekretär geführten Union nicht den erhofften Wahlsieg, und sowohl Konsul Dr. Ries als auch Hanns Martin Schleyer weilten schon nicht mehr unter den Lebenden, bis die Beziehungen Biedenkopfs zur Ries-Tochter Ingrid, nunmehr geschiedener Kuhbier, auch standesamtlich beurkundet wurden. Professor Biedenkopf, inzwischen ebenfalls geschieden von seiner Ehefrau Sabine, die ihm vier Kinder geboren hatte, heiratete also die mit ihm schon so lange befreundete Ries-Tochter (und Mitgesellschafterin von Frau Marianne Strauß bei der »Dyna-Plastik« und anderen »Pegulan«-Konzerntöchtern). In damaligen Ausgaben des Prominenten-Lexikons »Wer ist wer?« verschwieg Kurt Biedenkopf allerdings (und verschweigt noch immer), daß seine zweite Ehefrau ebenfalls geschieden und eine Tochter des verstorbenen Konsuls Dr. Ries ist.

Dort lautete der auf eigenen Angaben beruhende Eintrag: » . . . verheiratet in 2. Ehe mit Ingrid geborener Kuhbier.« wo es doch richtig heißen müßte: ». . . mit Ingrid geb. Ries gesch. Kuhbier. »Ob er sich nun seiner neuen familiären Beziehungen zu dem toten Industriellen schämte, der einen bedeutenden Teil seines Vermögens der Ausbeutung von Zwangsarbeitern in und um Auschwitz und Lodz zu verdanken hatte, oder ob es ihm für einen prominenten Christdemokraten unschicklich erschien, allzu viele Scheidungen bekannt werden zu lassen, bleibt Kurt Biedenkopfs Geheimnis.

Nach Auskunft des Testamentsvollstreckers des 1977 verstorbenen Konsuls Dr. Fritz Ries sind heute weder Frau Ingrid Biedenkopf geborene Ries oder deren Geschwisternoch die Erben der tödlich verunglückten Frau Marianne Strauß am »Pegulan«- Konzern oder dessen Tochterfirmen beteiligt; die »Pegulan AG« gehört heute mehrheitlich der bundesdeutschen Holdinggesellschaft der British American Tobacco Co (BAT). Besagter Testamentsvollstrecker ist übrigens der Münchener Fachanwalt für Steuerrecht, langjährige CSU-Bundestagsabgeordnete (seit 1969, ohne eigenen Wahlkreis, aber mit stets sicherem Listenplatz) und heutige GEMA-Chef Professor Dr. Reinhold Kreile (zeitweilig Mitglied des CSU-Parteivorstands und -Präsidiums), der bis zum Verkauf des bundesdeutschen Flick-Imperiums auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Konzern-Holdinggesellschaft, der »Friedrich Flick Industrieverwaltung Kommanditgesellschaft auf Aktien« in Düsseldorf, war.

Und damit schließt sich nun der Kreis. Denn es war der Personalchef der Daimler-Benz AG (damaliger Hauptaktionär: Flick), zugleich BDI- und BDA-Präsident, Dr. Hanns Martin Schleyer, der seinen alten Freund und Bundesbruder, Konsul Dr. Fritz Ries, 1972, nach den vergeblichen Versuchen, Willy Brandt durch ein konstruktives Mißtrauensvotum zu stürzen, in die Pläne einweihte, wie der zweite Versuch einer »Wende« gestartet werden sollte:

Der glücklose Barzel mußte Kanzlerkandidatur und CDUParteivorsitz aufgeben, bekam zum Trost viel Geld, größtenteils von Flick, dazu das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik (später auch noch einen Ministersessel und sogar das Amt des Bundestagspräsidenten - bis die Flick-Zahlungen ruchbar wurden und er zurücktreten mußte); statt Rainer Barzel sollte Helmut Kohl antreten, aber nicht allein, sondern auf dem »Tandem« mit Biedenkopf. Dabei war dem »Schwarzen Riesen« Kohl, von dessen Planungs- und Lenkfähigkeiten auch die Herren des Großen Geldes nicht so recht überzeugt waren, die Rolle des sich abstrampelnden und dabei immer fröhlich lächelnden Lieferanten der Antriebskraft zugedacht, hingegen dem unternehmerfreundlichen und konzernverbundenen »Intelligenzbolzen« Biedenkopf die Rolle des Strategen und Steuermanns.

Das »Tandem«-Team verfehlte aber 1976 das Wahlziel und zerstritt sich auf der Oppositionsbank bei gegenseitigen Schuldzuweisungen. Als Helmut Kohl 1982 im dritten Anlauf und wiederum durch ein-nun knapp gewonnenes -konstruktives Mißtrauensvotum Helmut Schmidt (SPD) stürzen und - endlich! - im Kanzleramt ablösen konnte, vollzog er, was er vollmundig eine »geistig-moralische Wende« nannte, ohne Biedenkopf - der von 1990 an als Gastprofessor in Leipzig die Studenten die Marktwirtschaft (und das Fürchten) lehrte und heute Ministerpräsident von Sachsen ist.

Die Erfinder und Bastler des »Tandems«, Ries und Schleyer starben 1977. Den Nachlaß des Kohl-Entdeckers, Marianne Strauß-Partners und Biedenkopf-Schwiegervaters Ries (und auch den von Marianne Strauß, die tödlich verunglückte) aber regelte dann wieder der Ranghöchste im Flick-Aufsichtsrat - was die Frage aufwirft, ob es in deutschen Landen seit dem Ersten Weltkrieg überhaupt irgend etwas in Politik und Wirtschaft Bedeutsames gegeben hat oder gibt, worauf das Haus Flick nicht auf die eine oder andere Weise Einfluß genommen hat.

Flick - Musterbeispiel für den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht

Natürlich sind sehr reiche Leute daran interessiert, daß die politischen Entscheidungen ihnen nicht schaden, sondern nützen, daß sie ihre Macht erhalten und ihren Profit mehren, beides nicht einschränken oder gar beseitigen. Deshalb versuchen sie, auf die politischen Entscheidungsprozesse Einfluß zu nehmen, teils indirekt, beispielsweise über die von ihnen beherrschten Medien, teils direkt und mit dem ihnen vertrautesten Mittel: mit viel Geld, das sie den Parteien und Politikern spenden, von denen sie sich die beste Vertretung ihrer eigenen Interessen versprechen.

Die Grenzen zwischen legitimer Interessenwahrung und mißbräuchlicher oder gar gesetzwidriger Ausübung wirtschaftlicher Macht sind fließend. Die moralische Beurteilung dessen, was noch als statthaft gelten kann und was nicht, wird in der Regel strenger ausfallen als die juristische Wertung, die an Gesetze gebunden ist, und diese werden ja von Politikern formuliert und beschlossen, die nicht nur gewählte Volksvertreter sind, sondern auch häufig den Einflüssen der wirtschaftlich Mächtigen unterliegen.

Dies vorausgeschickt, wollen wir uns nun mit einem Superreichen beschäftigen, der sechs Jahrzehnte lang starken Einfluß auf die deutsche Politik genommen hat. Er hat in der Politik stets nur ein Mittel zur Erhaltung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und zur Vergrößerung des eigenen Profits gesehen. Noch heute, über seinen Tod hinaus, beeinflußt das Geld, das er zu Lebzeiten in Politiker und Parteien investierte, in erheblichem Maße die Bonner Szene und von dort aus das gesamte politische Geschehen in Deutschland. Der Name dieses Superreichen, Friedrich Flick, ist zugleich zum Synonym für den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht geworden. Friedrich Flick kam 1883 in Ernsdorf bei Siegen als Holzhändlersohn zur Welt. Mit dem Zeugnis der mittleren Reife und dem Kaufmannsdiplom begann er 1906 als Prokurist der Bremer Hütte in Geisweid seine Karriere. 1913, gerade 30 Jahre alt, wurde er Direktor der »Eisenindustrie zu Menden und Schwerte«. 1915, im zweiten Jahr des Ersten Weltkriegs, wechselte der zwar wehrpflichtige und kerngesunde, 1,80 Meter lange Direktor Flick, der aber als »unabkömmlich«, vom Militärdienst befreit war, in den Vorstand der Charlottenhütte zu Niederschelden und wurde 1917 deren Generaldirektor.

Mit eigenen Ersparnissen und Bankkrediten verschaffte er sich bis 1918 die Mehrheit der Anteile an der Charlottenhütte, die am Krieg glänzend verdient hatte. Er nutzte diese Gewinne zu Modernisierungen, zum Ankauf kleinerer Unternehmen sowie zur Anlage riesiger Reserven an Schrott, der im Kriege spottbillig zu haben war. Auch sparte er Steuern, indem er insgesamt 17 Millionen Mark Kriegsanleihe zeichnete. Genau zwei Tage vor Waffenstillstand, als jedem klar wurde, daß Deutschland den Krieg verloren hatte, verkaufte Flick die gesamte von seiner Charlottenhütte gezeichnete Kriegsanleihe, die dann wertlos wurde, zu noch günstigem Kurs und erwarb mit dem Erlös Aktien oberschlesischer Zechen. Er konnte also mit dem Verlauf des Ersten Weltkriegs, bei dem die meisten schwerste Opfer hatten bringen müssen, für sich persönlich sehr zufrieden sein.

In den folgenden Jahren der totalen Geldentwertung setzte Flickjede Mark, die er einnahm oder sichvon den Banken noch borgen konnte, sofort in Sachwerte um, tilgte dann seine Schulden mit völlig wertlosem Bargeld, rückte aber die heißbegehrten, staatlich subventionierten Erzeugnisse seiner Betriebe nur noch gegen Devisen, Rohstoffe oder Aktien heraus. 1924, als die deutsche Inflation endete, zählte er zu deren großen Gewinnern. Er war 41 Jahre alt und bereits ein Industriemagnat mit einigen hundert Millionen Mark neuer, stabiler Währung und weitgestreutem Konzernbesitz.

1925/26 geriet die deutsche Stahlindustrie in eine Absatzkrise und mußte sich in Notgemeinschaften zusammenschließen. Der wichtigste Zusammenschluß war die »Vereinigte Stahlwerke AG«, kurz »Stahlverein« genannt, zu dem sich Thyssen, Rheinstahl, Phoenix und auch Flick zusammenfanden.

Für die Einbringung aller »Charlottenhütte«-Betriebe bekam Flick 20 Prozent der Stahlvereins-Aktien, und damit gehörte ihm genau ein Fünftel des neuen Konzerns, der seinerseits fast die Hälfte der gesamten Stahlerzeugung und rund ein Drittel der Kohleförderung des Deutschen Reiches beherrschte.

Noch erstaunlicher war, was folgte: Knapp vier Jahre später, mitten in der Weltwirtschaftskrise, die fast 10 Millionen Deutsche arbeitslos machte, gehörte Flick plötzlich die Mehrheit des »Stahlverein«-Kapitals, ohne daß er auch nur eine Mark zusätzlich investiert hätte! Er hatte sich dazu eines Tricks bedient, der im Grunde ganz simpel war:

Die Mehrheit der »Stahlverein«-Aktien war im Besitz der »Gelsenkirchener Bergwerks-AG« (»Gelsenberg«) gewesen. Wer »Gelsenberg« beherrschte, hatte damit auch den »Stahlverein« in der Tasche. Also verkaufte Flick heimlich seinen »Stahlverein«-Anteil und erwarb mit dem Erlös »Gelsenberg«-Aktien. Das reichte vollauf, sich die Kontrolle über »Gelsenberg« und damit über den ganzen »Stahlverein« zu verschaffen, und so hatte er plötzlich die beherrschende Stellung in der Montanindustrie und damit im gesamten Wirtschaftsleben des krisengeschüttelten Reiches.

Das war aber erst ein Zwischenziel seines Plans; der große Coup stand noch aus, der ihn in den Jahren des Elends und der Massenarbeitslosigkeit zum reichsten Mann Deutschlands machen sollte: Im November 1931 kam an den Börsen das Gerücht auf, der Crédit Lyonnais, die stärkste Bank Frankreichs, wolle sich die deutsche Not zunutze machen und mit einem Schlag die Kontrolle über die Industrie des Ruhrgebiets erobern-mit Hilfe der »Gelsenberg«-Mehrheit! »Gelsenberg«- Aktien wurden an den Börsen zu nur noch 20 Prozent des Nennwerts notiert, und die Franzosen sollten schon 100 Prozent geboten haben!

Diese Gerüchte, an denen kein wahres Wort war, alarmierten die Presse. Alle bürgerlichen Blätter forderten ein sofortiges Eingreifen der Reichsregierung, die auch eilig zu einer Sondersitzung zusammentrat und beschloß, den Ausverkauf des Ruhrgebiets um jeden Preis zu verhindern.

Zwar waren die Kassen leer, Renten, Beamtengehälter und Unterstützungssätze waren schon drastisch gekürzt worden. Aber dennoch - darin waren sich Regierung und Reichswehr-Generalität einig -, die Ruhrindustrie durfte nicht den Franzosen ausgeliefert werden! Also verhandelte Reichsfinanzminister Dr. Dietrich, ein Liberaler, mit Flick, und am Ende kaufte das arme Reich die »Gelsenberg«-Mehrheit zum Vierfachen des Kurses (aber immer noch unter dem Preis, den die Franzosen angeblich geboten hatten). Denn Flick wollte als guter Patriot erscheinen. Außerdem spendete er dem Finanzminister Dietrich und dem Kanzler Brüning (Katholisches Zentrum) zusammen rund eine Million Reichsmark für deren Wahlfonds.

Dazu ist etwas Grundsätzliches anzumerken, das noch heute gilt: Wenn ein Superreicher einem Politiker viel Geld »für Wahlkampfzwecke« spendet, dann ist es - so auch die Absicht des Spenders - dem Empfänger überlassen, was er damit macht: Er kann alles seiner Partei zukommen lassen, sich damit beliebt machen, Wahlplakate drucken und kleben lassen, Handgelder an Wahlhelfer verteilen - doch er kann auch die Summe für sich behalten und sein Gewissen -falls vorhanden - damit beruhigen, daß sein, des Spitzenkandidaten, persönliches Wohl letztlich auch dem Wahlkampf dient. Es empfiehlt sich dann, von erhaltenen 900 000 Mark zunächst 100 000 Mark dem Partei-Schatzmeister zu geben mit der Erklärung, dies sei eine Abschlagszahlung auf eine zu erwartende noch größere Summe. Später, wenn der Wahlkampf vorbei, die Parteikasse leer ist, kann er dem Schatzmeister noch etwas zukommen lassen und diesem raten, den genauen Gesamtbetrag zu vergessen und sich nur zu merken, daß es sich um eine sechsstellige Summe gehandelt habe, die der Parteiboß von einem edlen Spender »beschafft« und an die Parteikasse abgeführt hätte. Das eröffnet dem Schatzmeister ebenfalls Möglichkeiten, seine Zweifel und sein etwa vorhandenes Gewissen zu beruhigen. Alles, was der Spender derursprünglichen Summe für sein Geld erwartet, ist die Erfüllung seiner Wünsche.

Bei der »Gelsenberg«-Transaktion von 1931 bekam Flick fast alles, was erwollte: das etwa Vierfache dessen, was sein Aktienpaket wert war, dazu zunächst den Ruhm, ungemein patriotisch gehandelt und auf den möglichen Mehrerlös in Paris verzichtet zu haben. Dieser Ruhm verflog jedoch, als durchsikkerte, daß es ein französisches Angebot gar nicht gegeben hatte. »Die einzig mögliche Antwort«, schrieb damals ein führender Wirtschaftsjournalist, »wäre gewesen, daß die Reichsregierung den Schachtelkonzern Charlottenhütte-Gelsenberg Vereinigte Stahlwerke umgehend verstaatlicht hätte. Darüber hinaus hätte der vorliegende Tatbestand Anlaß genug geboten, Herrn Flick als Schädiger der Interessen des Deutschen Reiches zu enteignen...«

(Dieser Artikel stammte übrigens von dem konservativen Professor Friedrich Zimmermann, der schon damals das Pseudonym »Ferdinand Fried« benutzte, wie später als Leitartikler der Springer-Presse. Obwohl sich noch mancher Anlaß geboten hätte, forderte er nie wieder die Enteignung Flicks, was mit dessen Methoden der »Pressepflege« zusammenhängen mochte.)

Nachdem Friedrich Flick 1931 die Staatskasse um rund 100 Millionen Mark ärmer gemacht hatte, betätigte er sich als »Wirtschaftsführer«. Die ihm verbliebene Unternehmensgruppe wurde zum drittgrößten Stahlerzeuger Deutschlands (nach dem »Stahlverein« und Krupp) mit eigener Koks- und Kohlenbasis im Ruhrgebiet und knapp 100000 Beschäftigten. Auch trat Flick, kaum waren die Nazis an der Macht, dem exklusiven »Freundeskreis des Reichsführers SS« bei, pflegte dort Beziehungen zu den neuen Machthabern, besichtigte zusammen mit anderen Wirtschaftsbossen Ordensburgen und KZ-Lager und überwies alljährlich dem immer mächtiger werdenden »Reichsführer SS« Heinrich Himmler sechsstellige Beträge für dessen private Hobbies. Dies war sein bescheidener Dank für die vielen Vorteile, die die Nazis ihm und den anderen Bossen verschafften: die Zerschlagung der Gewerkschaften und Arbeiterparteien, das Verbot von Streiks, die Beseitigung der Tarifautonomie, die Festsetzung niedriger Löhne, die Einführung des »Führerprinzips« in der Industrie, wo es nur noch Befehl und Gehorsam gab, die Steuererleichterungen und Subventionen zur Förderung der heimischen Wirtschaft und nicht zuletzt die stürmische Nachfrage nach Stahl infolge der von den Nazis betriebenen Aufrüstung.

Von 1938 an konnte sich Flick auch an der »Arisierung« jüdischer Unternehmen in Deutschland, dann auch in Österreich und der Tschechoslowakei beteiligen, ja wurde mit Görings Hilfe zum größten »Arisierungs«gewinnler des »Dritten Reiches«! (Noch im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß lobte Göring Herrn Flick, sehr zu dessen Leidwesen, als »absolut vertrauenswürdig« und »sehr großzügig«.)

Insgesamt spendete Flick den obersten Nazis rund 7,5 Millionen Mark. Dafür bekam er »Armisierungs«-möglichkeiten noch und noch, Arbeitssklaven für seine Hütten und Zechen zu Zigtausenden, gebot über das größte private Industrie-Imperium Mitteleuropas und wurde der Reichste im Großdeutschen Reich. »Niemand«, so lobte ihn damals das NS-Wochenblatt »Das Reich«, »hat die Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer mehr verdient als Friedrich Flick.«

Allerdings traf Flick schon von 1943 an Vorkehrungen für den Fall einer deutschen Niederlage: Er kannte durch seinen konzerneigenen Nachrichtendienst die Pläne der Alliierten für eine Aufteilung Deutschlands, und etwa 16 Monate vor Kriegsende begann sein Konzern mit der heimlichen »Verlagerung« seiner wertvollsten Besitztümer von Osten nach Westen, vor allem in die künftige amerikanische Zone. Während der von Goebbels proklamierte »totale Krieg« noch andauerte und täglich mehr Opfer an Gut und Blut forderte, packten Flick und seine engsten Mitarbeiter bereits ihre Koffer und setzten sich von Berlin ab. Familie Flick (und mit ihr der Sandkastenfreund des jüngsten Sohns Friedrich Karl, Eberhard v. Brauchitsch) zog auf das Hofgut Sauersberg bei Bad Tölz, das als Ausweichquartier angekauft worden war, und dort erwartete Flick die Ankunft der Amerikaner.

Am 13. Juni 1945 wurde der Konzernherr, der weit oben auf der Kriegsverbrecherliste stand, verhaftet. Nach zweieinhalbjähriger Untersuchungshaft kam er vor das Nürnberger Militärtribunal, zusammen mit seinem Vetter und Vertrauten, Konrad Kaletsch, und dem Chef seines Nachrichtendienstes, Otto Steinbrinck. Kaletsch wurde freigesprochen, Steinbrinck zu fünf, Flick zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt - aber schon Mitte 1950 waren beide wieder frei. Flick hatte seinen 67. Geburtstag schon hinter sich, aber das Beste in seinem Industriellenleben sollte erst noch kommen.

Schon im Gefängnis hatte sich Flick mit Hilfe der Unterlagen, die ihm Vetter Kaletsch und sein Anwalt Dr. Wolfgang Pohle (später Schatzmeister der CSU) allwöchentlich brachten, Gedanken über den Wiederaufbau seines Konzerns gemacht, von dem im Westen einiges übriggeblieben war: der »Maxhütte«-Konzern in der Oberpfalz, die - ehedem »arisierten« - Hochofenwerke Lübeck AG sowie Mehrheitsbeteiligungen an der Harpener Bergbau AG und der Essener Steinkohlenbergwerks AG. Treuhänder und Verwalter dieser Reste war übrigens der Bankier Robert Pferdmenges, ein enger Freund und Berater Adenauers; und Flicks langjähriger Privatsekretär Robert Tillmanns saß seit 1949 als CDU-Bundestagsabgeordneter in Bonn, wenig später als Bundesminister für besondere Aufgaben im Kabinett - glückliche Umstände für den gerade haftentlassenen, fast 70jährigen Kriegsverbrecher!

Der hatte schon von der Gefängniszelle aus den Verkauf seiner Ruhrkohlen-Interessen eingeleitet, konnte sie sogleich günstig abstoßen und verfügte im Herbst 1950 über fast eine Viertelmilliarde DM an flüssigen Mitteln, mit denen er sich in zukunftsträchtige Industriezweige einkaufte, vor allem in die Automobil-, Maschinen-, Papier- und Kunststoff-Industrie.

Es würde Bände füllen, wollte man alle Transaktionen schildern, mit deren Hilfe Flick sein Nachkriegs-Imperium aufbaute. Am Ende seines Lebens gehörten ihm jedenfalls die Feldmühle AG, die Maximilianshütte, eine starke Mehrheit an der Buderus AG in Wetzlar, zu deren Konzern auch die Münchener Panzerschmiede Krauss-Maffei zählte, die Dynamit- Nobel AG in Troisdorf sowie ein dickes Paket Daimler-Benz (»Mercedes«)-Aktien, das Anfang der siebziger Jahre allein einen Wert von mehr als zwei Milliarden DM darstellte!

Schon 1958, nur acht Jahre nach Flicks Haftentlassung, hatte Bundeskanzler Adenauer ihm zum 75. Geburtstag und »zum großen und staunenswerten Lebenswerk« gratuliert. Tatsächlich konnte man nur staunen, was der durch fünfjährige Kriegsverbrecherhaft ungebrochene alte Herr in so kurzer Zeit wieder zusammengerafft und wie fest er sein Industriereich im Griff hatte. Dagegen war es schlecht bestellt um die Erbfolge: Mit seinen beiden Söhnen Otto-Ernst und Friedrich-Karl stand sich der autokratische Übervater miserabel. Erst sollte Otto- Ernst (»OE«) alles übernehmen; Friedrich-Karl (»FK«) vom Vater »das Bürschchen« genannt, sollte mit ein paar hundert Millionen abgefunden werden. Dann gab es Krach mit »OE« mehrfache Änderungen des Testaments, jahrelange Prozesse, in denen Vater und Sohn, Großvater und Enkel, Brüder und Schwägerinnen vor den Gerichten stritten, was Hunderte von Millionen verschlang, schließlich einen Vergleich, durch den »OE«, hoch abgefunden, endgültig ausschied; seine beiden Söhne sollten, sobald sie 28 Jahre alt waren, ihre Beteiligungen am Konzern selbst vertreten (wurden aber später von ihrem Onkel »FK« abgefunden und ausgebootet). Übrig blieb als künftiger Alleinherrscher »das Bürschchen«, »FK«. Er erbte beim Tode des fast 90jährigen Vaters im Jahre 1972 das gesamte Flick-Imperium.

Zweifel an der Befähigung seines Jüngsten hatte Friedrich Flick stets gehabt und deshalb Eberhard v. Brauchitsch, »FKs«, Jugendfreund, diesem als Generalbevollmächtigten an die Seite gestellt. Aber 1971, ein Jahr vor dem Tod des alten Flick, war es zum Krach zwischen den Freunden gekommen. Brauchitsch hatte ein Angebot von Axel Springer angenommen und war dessen Generalbevollmächtigter geworden. Ein Jahr später, vom Totenbett des Vaters aus, rief »FK«, wie er nun genannt wurde, v. Brauchitsch zurück.

»In den frühen siebziger Jahren«, so »Der Spiegel«, »arbeiteten "FKF" und "v.B." zunächst bestens zusammen. Nach dem Tod des Alten halfv. B., die Alleinherrschaft des Sohnes abzusichern. Dann setzte das Duo zu seinem Herkules-Werk an: Um die Steuerbefreiung für die Daimler-Milliarden« - den Erlös des Verkaufs eines Teils von Flicks Daimler-Benz-Aktien - »durchzudrücken, mußte die traditionelle Spenden-Maschinerie des Hauses Flick auf höchste Touren gebracht werden. Geld spielte keine Rolle. Die schwarze Kasse quoll über von jenen Millionen, die v. Brauchitsch über die katholische Steyler Mission dem Staat direkt abgeluchst hatte. Doch fehlte es dem Konzernchef und seinem Helfer auch nicht an herkömmlich verdientem Geld.. «

Kein Wunder, denn auch nach dem Verkauf der Mehrzahl seiner Daimler-Aktien an einen Ölscheich war »FKF« noch mit zehn Prozent am Daimler-Konzern beteiligt; es gehörte ihm ein Drittel des US-Konzerns Grace; die Feldmühle AG samt riesigem Auslandsbesitz war 100prozentig in Flick-Eigentum, und er hielt weiterhin eine starke Mehrheit am Buderus-Konzern. An dessen Münchener Tochter Krauss-Maffei blieb Flick auch nach Verkauf der Waffenschmiede an MBB und den Diehl-Konzern mit zehn Prozent beteiligt, und schließlich war auch die Dynamit-Nobel AG zu fast 100 Prozent in Flick-Eigentum.

Was aber die laut »Spiegel« überquellende schwarze Kasse und die beim Auffüllen hilfreiche Steyler Mission betraf, so waren die Steuerfahnder Anfang 1982 einem abenteuerlichen Gegengeschäft auf die Spur gekommen: Ein Unternehmen, das die Finanzen der katholischen Steyler Mission verwaltet, die »Soverdia Gesellschaft für Gemeinwohl mbH«, hatte vom Haus Flick rund 10 Millionen DM an Spenden erhalten - auf den ersten Blick ein frommes Werk, wie man es von Flick gar nicht erwartet hätte. Doch bei näherem Hinsehen fanden die Fahnder heraus, daß Pater Josef Schröder, der »Soverdia«- Geschäftsführer, 80 Prozent der erhaltenen Summe gleich wieder an den Spender bar zurückgezahlt hatte! Dazu damals »Der Spiegel«: »Flick-Chefbuchhalter Diehl erinnert sich: "Etwa 1975/76 wurde ich erstmals von (dem damaligen Flick-Generalbevollmächtigten) Kaletsch angewiesen, von Herrn Pater Schröder Geld in Empfang zu nehmen. Es handelte sich um einen Betrag von 800000 DM. Mir war damals klar, daß zwischen diesem Betrag und der vorher gegebenen Spende (von 1.000.000 DM) ein unmittelbarer Zusammenhang bestand. Im folgenden Jahr ereignete sich der gleiche Vorgang mit demselben Betrag... "

Insgesamt zehn Millionen Mark flossen innerhalb von zehn Jahren an die Soverdia, acht Millionen kamen wieder in Flicks schwarze Kasse zurück.«

Zehn Prozent der Spendensumme durfte die Steyler Mission behalten, weitere zehn Prozent gingen an den damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Walter Löhr, der »die Sache« ausgetüftelt hatte. »Den besten Schnitt« - so »Der Spiegel« - »aber machte die Flick-Gruppe: Sie strich nicht nur die geheimen Rückflüsse in Höhe von 80 Prozent der Spenden ein (und konnte damit die schwarze Kasse füllen), sondern konnte auch Spendenbescheinigungen über 10 Millionen DM beim Finanzamt vorlegen. Die Steuervergünstigung betrug damals bis zu 51 Prozent der Spendensumme«, im Falle Flick also nochmals ein »Verdienst« von mehr als fünf Millionen DM.

Dennoch war diese krumme Spenden-Angelegenheit nur ein vergleichsweise unbedeutender Nebenaspekt des eigentlichen Skandals, des »Milliardendings«. Denn - so die Staatsanwälte -mit Unterstützung der zuständigen Bundesminister Friderichs und Graf Lambsdorff, gewiß aber unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, erreichte die Flick-Gruppe zu Unrecht eine Steuerbefreiung in Höhe von 450 Millionen DM! Um 800 Millionen DM aus dem Verkauf von Daimler-Aktien steuerfrei in eine starke Beteiligung an dem US-Chemiekonzern Grace investieren zu können, gab sie dieses Geschäft, die Verschiebung der Riesensumme ins Ausland, als volkswirtschaftliche Großtat aus.

Zum Segen für die deutsche Wirtschaft, so behaupteten die Flick-Bosse treuherzig, verschaffe diese Geldanlage der BRD den ersehnten Zugang zu neuesten amerikanischen Technologien. »In Wahrheit« - so »Der Spiegel« - »passierte gar nichts. Grace-Präsident Peter Grace . . . kehrte von einer Deutschland-Reise mit der Erkenntnis zurück, daß mit den neuen Eigentümern zwar.. . Spesen zu machen wären, aber kein Technologietransfer.«

Der Bonner Staatsanwaltschaft, die in den Flick-Chefetagen über hundert Aktenordner beschlagnahmte, wurde bald auch klar, von wem viele der steuersparenden Ratschläge stammten, nämlich von einem alten Freund des Hauses Flick: Franz Josef Strauß. Aus dessen Vernehmungsprotokoll konnte »Der Spiegel« folgendes zitieren:

»Ich (Franz Josef Strauß) habe, wie angegeben, Herrn Flick vor etwa acht Jahren geraten, in Nordamerika zu investieren. Ich habe ihm geraten, seine inländischen Betriebe zu entschulden und zu modernisieren. Ich habe in diesem Zusammenhang ihm einmal, wahrscheinlich im Jahre 1978, einen Brief geschrieben, in dem ich ihm geraten habe, die Voraussetzung des § 6b (Einkommensteuergesetz) und § 4 (Auslandsinvestitionsgesetz) sehr genau zu nehmen. Ich war damals der Meinung, daß für die Erfüllung der Kriterien unter anderem ein Kooperationsabkommen mit der Firma Grace die Prüfung der hiermit verbundenen steuerrechtlichen Frage erleichtern würde.«

Auf den Vorhalt des Staatsanwalts: »... Herr Ministerpräsident, wir haben Sie nunmehr davon in Kenntnis gesetzt, daß sich aus den im Jahre 1974 beginnenden Aufzeichnungen des Flick-Konzerns aus dem Hefter "CSU", der sich im Gewahrsam der Staatsanwaltschaft befindet, folgende Vermerke ergeben:

21.4. (75) Ka/vB wg FJS 200000,- 12. 7. (76) Dr. FKF wg FJS 250000,- 11. 7. (78) Dr. FKF wg FJS 250000,- 24.10. (79) Dr. FKF wg FJS 250000,-

Gemeint sind offensichtlich mit »Ka« Konrad Kaletsch, mit »v.B« Eberhard v. Brauchitsch, mit »Dr. FKF« Dr. Friedrich Karl Flick, mit »FJS« Franz Josef Strauß, damals bayerischer Ministerpräsident und CSU-Parteivorsitzender.

Können Sie dazu irgendeine Erklärung abgeben?« Antwort von Ministerpräsident Strauß:

»1. Ich bin am Zustandekommen keiner dieser Unterlagen beteiligt.

2. Offensichtlich gibt es auch keine Quittungen, die ich selbstverständlich bei eventuellen Auszahlungen, wenn gewünscht, ausgestellt hätte, zumal steuerlich relevante Vorgänge offensichtlich überhaupt nicht zugrunde liegen.

3. Der Beginn Ihrer Unterlagen ist deshalb verwirrend oder irreführend, womit ich keine Absicht unterstelle, weil neben unzähligen Kleinspendern auch einige Großspender, darunter die Flick-Unternehmungen, die CSU immer wieder unterstützt haben. Ich darf nebenbei bemerken, daß es sich hier nicht um die Honorierung von Ratschlägen handelt, sondern um eine bestimmte politische Linie im In- und Ausland. . . «

Diese Aussage des inzwischen verstorbenen Franz Josef Strauß, der sich, wenn er Gefahr witterte, wie ein Tintenfisch einzunebeln pflegte, läßt-wenn man den Schwall von Phrasen und Schutzbehauptungen beiseite läßt - zweierlei deutlich erkennen:

Strauß konnte nicht bestreiten, von Flick viel Geld bekommen zu haben. Aber er wollte das nicht als »Honorierung von Ratschlägen« verstanden wissen, weil ihn dies in den Verdacht der Anstiftung oder Beihilfe zu Straftaten hätte bringen können.

Statt dessen sollte es sich um eine »Unterstützung« einer - und zwar doch wohl seiner -»politischen Linie im In- und Ausland« gehandelt haben, wozu angemerkt sei, daß die ausländischen Politiker, mit denen Strauß enge Beziehungen unterhielt, meist Ultrarechte, Faschisten und Rassisten waren: Pinochet in Chile, dessen Regime er lobte; Südafrikas Apartheids- Fanatiker, spanische Neofaschisten und sogar die Führer der türkischen Grauen Wölfe, die für ihre Bluttaten berüchtigt waren.

Noch seltsamer als die Erklärung, die Strauß der Justiz für das viele Flick-Geld gab, das er erhalten hatte, war die Aussage von Dr. Friedrich Karl Flick im Prozeß gegen die Ex-Minister Friderichs und Graf Lambsdorff. Als der Richter den Zeugen Dr. Flick nach Wesen und Zweck der Spenden an »FJS« befragte, erwiderte dieser, von Spenden verstehe er nichts; er könne da »nur mutmaßen«.

Und das tat er dann auch. »Spenden«, so gab er zu Protokoll, »das war das berechtigte Anliegen, von demokratischen Parteien - wie’s auch beim Vater früher oder beim Onkel Kaletsch üblich gewesen sein mag, um ein offenes Ohr zu finden.«

Aber, so wollte der Richter wissen, ob er nie daran gedacht habe, sich damit Vorteile für den eigenen Betrieb zu verschaffen? Darauf Dr. Flick: »Diese Überlegungen sind mir unbekannt.«

Alsdann sollte dieser offenbarvöllig selbstlose Spender dem Gericht erklären, wie denn so eine Spendenzahlung an einen Spitzenpolitiker vor sich gegangen sei, zum Beispiel wenn Dr. Flick dem Ministerpräsidenten Strauß 250 Tausendmarkscheine überreicht habe.

Ausnahmsweise konnte Dr. Flick in diesem Fall mit einer klaren Antwort dienen: »Da ist er (Strauß) beim erstenmal ins Nebenzimmer gegangen und hat nachgezählt. Und dann ist er zurückgekommen und hat sich bedankt«.

Beim zweitenmal, so fügte er noch stolz hinzu, »hat er dann nicht mehr nachgezählt.«

Nun wollte der Richter auch noch wissen, warum das Haus Flick seine üppigen Spenden an Politiker stets in bar entrichtete. Dr. Flick: »Meines Wissens hat sich das einfach so ergeben: Wenn man sich im süddeutschen Raum so begegnet ist, hat man das Geld der Einfachheit halber gleich übergeben.«

Kein Gedanke an die Möglichkeit einer Steuerhinterziehung, auch nicht an die Eventualität, daß vielleicht die Empfänger lieber Bargeld nahmen, »um«- so fragte der offenbar durchaus mit dem praktischen Leben vertraute Richter - »nicht immer Rechenschaft bei ihren Schatzmeistern ablegen zu müssen?« Flick wußte es nicht.

Er erklärte dem Gericht, daß er eigentlich von gar nichts gewußt habe, schon überhaupt nichts von den angedeuteten Möglichkeiten. Kurz, Multimilliardär Dr. Flick überzog mitunter - so »Der Spiegel« - »allzu erkennbar seine Rolle als Konzerndepp« Übertroffen wurde er nur noch von einem seiner Großspenden-Empfänger, dessen Rolle vor Untersuchungsausschüssen, Justiz und Presse man analog die eines »Politdeppen« nennen müßte: Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Bei seiner Vernehmung durch die Bonner Staatsanwaltschaft am 5. Juli 1982 hatte Dr. Kohl, damals noch nicht Bundeskanzler, zugegeben, vom Haus Flick gelegentlich größere Bargeld- spenden erhalten zu haben. Daß es insgesamt 565000DM gewesen waren, die Flick-Chefbuchhalter Diehl zwischen 1974 und 1980 exakt verbucht hatte, war Kohl indessen, wie er sagte, »völlig unbekannt«.

Befragt, was ihm denn »völlig unbekannt« gewesen sei: die Höhe der Summe oder die Verbuchung durch Diehl, erwiderte Helmut Kohl pikiert, er könne »über Einzelheiten aus der Erinnerung keine Angaben machen«.

Indessen erinnerte er sich zwei Jahre später, am 7. November 1984, vor dem Flick-Untersuchungsausschuß des Bundestages genau daran, daß eine »kleinere« Flick-Spende, lumpige 30 000 DM, »bei uns nicht eingetroffen« sei - eine Zahlung, die der akribische Flick-Chefbuchhalter Diehl mit Datum vom 6. Dezember 1977 verbucht hatte.

Für diese »Nikolaus-Spende«, wie sie genannt wurde, gab es jedoch ganz besonders viele und starke Indizien: Am Nikolaus-Tag 1977 waren 60 000 DM von einem »inoffiziellen« Konto des Hauses Flick bei einer Düsseldorfer Filiale der Deutschen Bank bar abgehoben worden. Die Abbuchung bei der Bank und der Eintrag ins schwarze Kassenbuch bei Flick stimmten überein, und dazu paßte auch der Vermerk des pingelig genauen Chefbuchhalters vom 6. Dezember 1977: »vB wg Kohl 30 000 DM; vB wg Graf Lambsdorff 30 000 DM«, macht zusammen 60 000 DM. Parallel dazu hatte v. Brauchitsch am 6. Dezember 1977 den Erhalt eines Barbetrags von 60 000 DM korrekt quittiert, und auf der Rückseite der Quittung war vermerkt:

»30 Ko 30 GrLa«, womit ja auch nur gemeint sein konnte, das Geld ginge je zur Hälfte an Helmut Kohl und an Otto Graf Lambsdorff. Überdies trug der vorbildliche Flick-Chefbuchhalter ins Kassenbuch für »Inoffizielle Zahlungen« am 6. Dezember 1977 ein:

»vB wg Kohl und Lambsdorff 60 000«, und man darf wohl annehmen, daß mit der Zahl keine roten Rosen, weißen Mäuse oder grünen Äpfel gemeint waren, sondern bare DMark.

Doch auch damit noch nicht genug: Am Vorabend des Nikolaus-Tages 1977, am 5. Dezember, hatte eine Brauchitsch-Sekretärin ihrem Chef folgende Notiz vorgelegt, die sich bei den Gerichtsakten befindet: »Frau Weber/ Sekr. Kohl fragt an, ob es Ihnen recht ist, wenn sie morgen, Dienstag, 6.12., gegen 16 Uhr kurz bei Ihnen vorbeikommt«, und dazu hat Eberhard v. Brauchitsch im Dezember 1985 vor dem Bonner Landgericht ausgesagt: »Sie« - Frau Weber vom Sekretariat Kohl - »hat schon mal für Herrn Kohl Geld empfangen . . « - und dies, wie die Akten zeigen, nicht gerade selten: Mindestens vier Besuche Frau Webers bei v. Brauchitsch sind vermerkt, die mit Zahlungen von je 50000 DM und einer von 30000 DM, alle »wg Kohl«, übereinstimmten.

Das für Helmut Kohl Ärgerliche ist, daß es für die meisten Flick-Spenden »wg Kohl« entsprechende Eingangsbuchungen bei der CDU-Schatzmeisterei gibt, nicht jedoch für die »Nikolaus-Spende« und auch nicht für weitere 25 000 DM, die ebenfalls fehlen.

Schließlich fehlt inzwischen noch etwas, nämlich Helmut Kohls Erinnerung an die Geldwaschanlagen von Rheinland-Pfalz, die die von der Industrie kommenden, sehr großzügigen Parteispenden am Finanzamt vorbei (und für die Spender enorm steuersparend) in die richtigen Tröge lenkten, Pater Josef von der Steyler Mission konnte ja nur einen Teil des enormen Bedarfs an »gewaschenem« Geld befriedigen, mit dem die Herren des Großen Geldes, allen voran das Haus Flick, die »geistig-moralische Wende« in Bonn vorfinanzierten.

Helmut Kohl, seit 1966 Landesvorsitzender der CDU, seit 1969 auch Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und seit 1975 Bundesvorsitzender der CDU, die neben CSU und F.D.P. von dem Spenden-Unwesen am meisten profitiert hatte, erinnerte sich als Kanzler an rein gar nichts mehr, überhaupt nicht an die Geldwaschanlagen in Rheinland-Pfalz. Kohl hatte, als es um vergleichsweise Bagatellen ging - die 30 000 DM der »Nikolaus-Spende« und die ebenfalls fehlenden 25 000 DM von Flick -, alles vergessen.

Allenfalls fielen ihm, wenn die Staatsanwälte nach der »Staatsbürgerlichen Vereinigung« (SV) in Koblenz fragten, die lustigen Abende ein, die er dort nachvorträgen mitunter verbracht hatte. Kohl hatte aber »keinerlei Erinnerung« daran, daß diese Koblenzer SV die wichtigste Geldsammelund -Waschanlage nicht nur für Rheinland-Pfalz, sondern für die ganze Bundesrepublik gewesen war und daß man in Koblenz auch deshalb feucht-fröhlich gefeiert hatte, weil dank der »besonderen Förderungswürdigkeit«, die der »gemeinnützigen« SV von der Landesregierung bescheinigt worden war, seiner CDU etliche hundert Millionen DM heimlicher Spenden der Industrie steuerbegünstigt zugeflossen waren.

Vielleicht hatte Helmut Kohl - so vermutete sein damaliger Schnelldenker und Wahlkampf-Manager, der von ihm inzwischen gefeuerte Heiner Geißler etwas vorlaut -bei seinen Aussagen über die »SV« aber auch nur Erinnerungslücken und gab irrige und unvollständige Antworten als Opfer eines »Blackout«. Diese von dem klugen, von Kohl ungnädig entlassenen Generalsekretär Heiner Geißler erwogene Möglichkeit, daß dem Kanzler mitunter, wenn auch nur vorübergehend, der Verstand abhanden komme, sollten die Wählerinnen und Wähler bedenken, denn ein Regierungschef mit gelegentlichen Ausfallerscheinungen ist keine angenehme Vorstellung für die Menschen in »diesem unserem Lande«.

Indessen gibt es für Helmut Kohls Vergeßlichkeit hinsichtlich des Verbleibs der »Nikolaus-Spende« oder auch der Machenschaften der Koblenzer »SV« noch eine andere Erklärung als die von Geißler vermuteten Gedächtnislücken infolge eines Blackouts. Um Kohls Zögern zu verstehen, darüber die Wahrheit zu sagen, muß man noch einmal zurück zu den Ursprüngen der steilen Karriere des Schwarzen Riesen - nach Ludwigshafen-Oggersheim und nach Frankenthal.

Die seltsamen Vorspiele der »geistig-moralischen Wende«

Im Frühjahr 1933, als sich die Hitler-Diktatur gerade etabliert hatte und mit immer neuen Wellen des Terrors zu konsolidieren begann, bereiteten sich drei Heidelberger Juristen gerade auf ihre unterschiedlichen Karrieren vor: Dr. Eberhard Taubert sah seiner Berufung ins neue Reichspropagandaministerium entgegen, wo er als jüngster Ministerialrat zunächst die »Aktivpropaganda gegen die Juden« leiten sollte; SS-Führer Dr. Hanns Martin Schleyer nahm die »Gleichschaltung« der Heidelberger Universität vor und betrieb ihre Einstimmung auf die am 10. Mai durchgeführte Bücherverbrennung; sein Freund Dr. Fritz Ries, der an diesem Akt der Barbarei als junger Doktorand teilnahm, schmiedete bereits Pläne, wie er auf Kosten der Juden rasch reich werden und zunächst zum Kondom-König des »Dritten Reiches« aufsteigen könnte; tatsächlich ließ er schon ein Jahr später die Verpackungen der Erzeugnisse eines gerade »übernommenen« Betriebs mit dem stolzen Aufdruck versehen: »Miguin-Kondome -jetzt arisch!«

Im selben Frühjahr 1933, am 13. März, kam im nahen Mannheim ein Knabe zur Welt, dessen spektakuläre Laufbahn sich mit den abenteuerlichen Karrieren der drei genannten Heidelberger Juristen durchaus messen kann. Auch kreuzten sich seine Wege wiederholt mit denen der Herren Doktoren Ries, Schleyer und Taubert und fast unvermeidlicherweise auch mit denen Helmut Kohls, der drei Jahre zuvor, 1930, im Mannheim gegenüberliegenden Ludwigshafen geboren war.

Der junge Mannheimer des Jahrgangs 1933 hieß Hans-Otto Scholl, besuchte - wie Kohl und auch Biedenkopf - die Schule in Ludwigshafen, studierte dann ebenfalls in Heidelberg Rechtswissenschaft und begann auch, kaum daß er sein Studium beendet hatte, Anfang der sechziger Jahre eine politische Karriere in Rheinland-Pfalz. Allerdings stellte Dr. Hans-Otto Scholl seine unbestreitbaren Talente nicht der CDU zur Verfugung, sondern der in Rheinland-Pfalz seit 1951 mit der CDU zusammen die Regierung bildenden F.D.P., daneben dem Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, dessen Hauptgeschäftsführer er wurde. Daß sich die mächtige Pharma- Industrie der Bundesrepublik den jungen Rechtsanwalt und Provinzpolitiker Dr. Scholl zum Cheflobbyisten erkor, hing mit den besonderen Verhältnissen in Rheinland-Pfalz zusammen, wo Dr. Scholl in kürzester Zeit zum F.D.P.-Fraktionsvorsitzenden im Landtag und dann auch zum Landesvorsitzenden aufsteigen konnte und eng befreundet war mit dem CDU-Nachwuchspolitiker Dr. Kohl, der 1963 ebenfalls Fraktions- und 1965 auch Landesvorsitzender seiner Partei wurde. So eng war das Verhältnis Dr. Scholl zum Dr. Kohl, daß die beiden sogar Villa an Villa wohnten, der eine in der Marbacher Straße9, der andere in Nummer 11, und die beiden Matadore der das Ländchen Rheinland-Pfalz regierenden Parteien machten sich gegenseitig auch mit ihren finanzstarken Gönnern und mit deren einflußreichen Freunden bekannt: Durch Helmut Kohl lernte Hans-Otto Scholl den Konsul Dr. Fritz Ries im nahen Frankenthal kennen und in dessen Haus die Duzfreunde des Hausherrn, Dr. Hanns Martin Schleyer und Franz Josef Strauß sowie die graubraune Eminenz Dr. Eberhard Taubert; umgekehrt wurde Helmut Kohl durch Dr. Scholl mit allen großen und steinreichen Unternehmern der Pharma-Industrie bekannt, von denen im einzelnen noch die Rede sein wird.

Es läßt sich heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen, wer aus diesem Freundes- und Bekanntenkreis den Einfall hatte, im Schutze der mit gesicherter Mehrheit das Land Rheinland- Pfalz regierenden Parteien eine Geldwaschanlage zu etablieren, aber vieles spricht dafür, daß es Dr. Fritz Ries gewesen ist und daß Kohl im Bunde mit Scholl die Idee in die Tat umsetze. Die Grundidee war einfach: Die Industriellen wollten eine ihnen genehme Politik und Gesetzgebung, die dazu bereiten Politiker wollten dafür Geld. Die Wirtschaftsbosse waren zwar willens, für volle Kassen zu sorgen, nur sollte sie das möglichst wenig kosten, sondern zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Nun gab es ja bereits Gesetze, die Spenden an Parteien steuer-abzugsfähig machten. Aber es gab da Höchstgrenzen, und die Politiker wollten weit mehr, als die Bestimmungen zuließen, und außerdem war bei regelrechten Parteispenden die Anonymität der Spender nicht zu wahren, die begreiflicherweise gern unbekannt bleiben wollten.

Also brauchte man eine Einrichtung, die jede Menge Geld entgegennehmen, dafür voll steuerabzugsfähige Quittungen ausstellen und die empfangenen Beträge diskret an diejenigen weiterleiten konnte, die sie letztlich bekommen sollten, weil sie die Entscheidungen trafen oder herbeiführten, die die Spender sich erhofften. Alle diesevoraussetzungen erfüllte die dann ins Leben gerufene »Staatsbürgerliche Vereinigung« (SV) in Koblenz, und natürlich bekam diese SV nicht nur sofort die staatliche Anerkennung als »gemeinnützig und besonders förderungswürdig«, sondern wurde auch so ausgestattet, daß sie ihre Gönner und Förderer aufs trefflichste bewirten konnte, zumal nachdem einer der Gründerväter, Helmut Kohl, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz geworden war und sein Spezi, Nachbar und Koalitionspartner Dr. Scholl als Landesfürst der - zum Zünglein an der Waage gewordenen - F.D.P. für Dr. Ries, Dr. Schleyer und deren Freunde an Bedeutung enorm hinzugewonnen hatte.

In Bonn war nämlich im Herbst 1969 erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik ein Sozialdemokrat im Kanzleramt. In Koalition mit der F.D.P. regierte nun Willy Brandt. Konsul Dr. Ries war von den besorgten Herren des Großen Geldes beauftragt worden, die F.D.P.-Politiker »umzustimmen« und die ungeliebte neue Regierung bei nächster Gelegenheit zu stürzen. Für Dr. Scholl gab es zudem eine spezielle Aufgabe: Zum Regierungsprogramm der sozialliberalen Bonner Koalition gehörte im Rahmen der Gesundheitsreform auch eine gründliche Novellierung der Arzneimittelgesetzgebung, und dies tangierte die wichtigsten Interessen (sprich: die enormen Profite) der Pharma-Industrie deren Verbandshauptgeschäftsführer er war. Von der Pharma-Industrie wurden deshalb hohe Millionenbeträge bereitgestellt, die Dr. Scholl, nachdem sie bei der »SV« in Koblenz »gewaschen« und steuerabzugsfähig gemacht worden waren, gezielt zu verteilen hatte. Es ging darum, diejenigen Politiker und auch Beamten zu »fördern«, die Einfluß auf die Arzneimittelgesetzgebung und die Gesundheitspolitik hatten.

In der Bundesrepublik wurden zu Beginn der Aktivitäten des Dr. Scholl jährlich etwa acht Milliarden DM für Arzneimittel ausgegeben. Als seine Tätigkeit Anfang der achtziger Jahre endete, waren es jährlich rund 17 Milliarden DM, also mehr als das Doppelte. »Fast die Hälfte dieser gigantischen Steigerung, die alle Bundesbürger belastet, hätte« - so »Der Spiegel« im Juni 1985 - »sich einsparen lassen«, wären damals nicht die Kernpunkte der geplanten Reform der Arzneimittelgesetzgebung »von der Pillen-Lobby herausgeschossen« worden.

Die vom damaligen Pharmaverbands-Hauptgeschäftsführer Dr. Scholl mit sehr viel Geld betriebene Beeinflussung des Gesetzgebungsverfahrens hat sich für die Arzneimittelhersteller also glänzend gelohnt. Sie lohnte sich aber auch für Dr. Scholls Freunde von der CDU:

So hatte CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep »zugleich im Namen von Herrn Dr. Kohl und Herrn Professor Biedenkopf« runde 70 000 DM kassiert - von Curt Engelhorn, Chef des Familienunternehmens »Boehringer Mannheim GmbH« (damaliger Pharma-Umsatz. 1,2 Milliarden DM), und zwar über Dr. Scholl und die »SV«.

Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger hatte -so die Staatsanwaltschaft - »einige hunderttausend Mark abkassiert« - bei der »Wella AG« in Darmstadt und ebenfalls über Dr. Scholl und die »SV«. Vom Pharma-Werk E. Merck in Darmstadt erhielt die CDU-Prominenz rund eine Million DM, und wären die Spendenlisten, zumal deren wichtigste Teile, nicht durch besondere Umstände dem Einblick der Öffentlichkeit entzogen worden, ließen sich gewiß noch weitere, zusammen mehr als 20 Millionen DM nachweisen, die Dr. Scholl an CDU- und F.D.P.-Prominenz, zumal an seine engsten Spezis, großzügig verteilt hat.

Indessen war Dr. Scholl mit dem Pharma-spendengeld mitunter allzu großzügig, zumal sich selbst gegenüber. Als der Verbandsvorstand dies bemerkte, wurde Dr. Scholl »wegen zu eigenmächtigen Umgangs mit dem Verbandsvermögen« gefeuert und mußte sich verpflichten, dem Verband 1,6 Millionen DM zurückzuerstatten. Erstaunlicherweise erhielt Dr. Scholl aber dennoch nach seiner Entlassung eine monatliche Pension vom Pharma-Verband in Höhe von 5700 DM -»Schweigegeld?« fragte »Der Spiegel« damals, und solche Vermutung erscheint nicht ganz abwegig, zumal im Lichte späterer Erkenntnisse.

Noch erstaunlicher war es, daß der gefeuerte Verbandsgeschäftsführer, der 1981 auch als F.D.P-Landesvorsitzender zurücktreten mußte, wenig später im Mainzer Landtag von den Freidemokraten wieder zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde. Aber bei den Neuwahlen vom März 1983 kam die F.D.P. mit nur noch 3,5 Prozent der Wählerstimmen nicht mehr in den Mainzer Landtag. Dr. Scholl war damit auch als Politiker arbeitslos, brauchte aber nicht zu darben: Als ehemaliger Abgeordneter bezog er ein Übergangsgeld von monatlich 5 400 DM, mit seiner Pension vom Pharmaverband also zusammen 11100 DM im Monat.

Indessen sah er sich selbst - und dann sahen ihn auch seine politischen Freunde -als dringend unterstützungsbedürftig an. CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel, damals noch nicht in Thüringen, sondern in Rheinland-Pfalz, Kohl-Nachfolger und ebenfalls Empfänger beträchtlicher Pharma-Spenden aus der Hand des Dr. Scholl, besorgte dem nun arbeitslosen Freund deshalb einen - mit 5000 DM monatlich honorierten - Beratervertrag bei der »Deutschen Anlagen-Leasing« (DAL) in Mainz, an der die rheinpfalzische Landesbank erheblich beteiligt ist. Aber auch mit den auf 16 100 DM monatlich gestiegenen Bezügen war Dr. Scholl noch nicht zufrieden. Er wandte sich hilfesuchend an seinen langjährigen Freund und Nachbarn Helmut Kohl, seit 1982 Bundeskanzler in Bonn.

Klugerweise - so stellt es jedenfalls ein mit der Angelegenheit bestens vertrauter Bonner Beamter dar-wählte Dr. Scholl einen privaten Weg, dem Kanzler seine Not zu schildern. Über jene Frau Juliane Weber, die wir schon flüchtig kennengelernt haben aus den Notizen des Flick-Bevollmächtigten Eberhard v. Brauchitsch und zwar als Abholerin der offenbar verlorengegangenen »Nikolaus-Spende« von 30 000 DM »wg Kohl«, ließ er Helmut Kohl wissen, daß nun er es sei, der finanzielle Unterstützung benötige.

Ob nun Frau Weber ein gutes Wort für den Freund aus Mainzer Tagen eingelegt hat oder ob Kohl aus eigenem Antrieb tätig wurde: Jedenfalls setzte sich der Bundeskanzler sofort und in einer Weise für Dr. Scholl ein, daß bei dem Kohl nahestehenden und treuergebenen Beamten die Befürchtung aufkam, der Kanzler könnte erpreßbar sein. Denn dieser verschaffte dem längst nicht mehr in bestem Ruf stehenden Duzfreund, den er 1982 noch mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet hatte, unverzüglich einen Beratervertrag bei der Deutschen Lufthansa (an der der Bund mit mehr als 50 Prozent beteiligt ist). Dadurch erhöhten sich Dr. Scholls feste Bezüge um weitere 10 000 DM Monatsgehalt sowie 5000 DM monatliche »Aufwandsentschädigung« auf nunmehr insgesamt 31100 DM.

Die Befürchtungen des um Kohl besorgten Beamten waren jedoch sicherlich unbegründet. Kohl hat sich wohl lediglich dem Spezi Dr. Scholl, der ihm und Seinerpartei jahrelang finanziell so überaus behilflich gewesen war, »geistig-moralisch« verpflichtet gefühlt. Auch konnte Helmut Kohlja nicht ahnen, daß ihn der Freund herb enttäuschen würde.

Gut ein Jahr nachdem Dr. Scholls Bezüge dank des Kanzlers Fürsorge auf über 31000 DM monatlich erhöht worden waren, ereignete sich ein auf den ersten Blick ganz gewöhnlicher Raubüberfall:

Am 28. Dezember 1984 drang ein bewaffneter Mann in ein Baden-Badener Juweliergeschäft ein und entkam, nachdem er die Anwesenden bedroht und den Inhaber niedergeschlagen hatte, mit einer Beute im Verkaufswert von 2,6 Millionen DM. Bei der Fahndung nach den geraubten Juwelen fand die Polizei in einem Bankschließfach in Zürich nicht nur einen Teil des fehlenden Schmucks, sondern auch eine Menge Papiere, die Einblick gaben in die Spendenpraxis der bundesdeutschen Pharma-Industrie.

Damit war klar, daß der bereits gefaßte Verdächtige tatsächlich der Räuber von Baden-Baden war: Rechtsanwalt Dr. Scholl, der zwei Jahrzehnte lang führende F.D.P.-Politiker von Rheinland-Pfalz und ehemalige Hauptgeschäftsführer des Pharma-Verbands, ein Intimus des amtierenden Bundeskanzlers!

Lassen wir diese für Helmut Kohl schockierende Angelegenheit damit ihr Bewenden haben; Dr. Scholls Motive hatten mit Politik nichts zu tun, und er hat seine Freiheitsstrafe längst verbüßt. Allerdings hätte sich Helmut Kohl schon früher darüber im klaren sein müssen, daß großzügige ‘Geldspender nicht völlig selbstlos handeln.

Lange vor dem ersten Händedruck mit dem damaligen Pharma-Lobby-Häuptling Dr. Scholl hätte Kohl wissen müssen: Wenn steinreiche Industrielle dicke Geldbündel verteilen oder durch ihre Beauftragten verteilen lassen, so ist dies im allgemeinen kein Ausdruck uneigennütziger Nächstenliebe.

Vielmehr erwarten die Spender in aller Regel Gegendienste, die ihnen ein Vielfaches dessen einbringen, was sie gespendet haben, und dabei verlangen sie mituntervon den Beschenkten sogar Ungesetzliches, ja schlimmer noch: Sie fordern eine Änderung der Gesetze und Vorschriften zu ihren Gunsten und zum großen Schaden für die Allgemeinheit oder vereiteln -wie es der Pharma-Industrie mit Hilfe der von Dr. Scholl verteilten Millionen gelang - ein dringend gebotenes Reformwerk.

Helmut Kohls Verhalten gegenüber Spendenverteilern, ob sie Dr. Scholl oder v. Brauchitsch, Flick, Henkel oder Oetker heißen, setzt ihn dem Verdacht aus, daß er den von ihm geschworenen Eid, »Schaden abzuwenden und den Nutzen zu mehren«, nicht auf das deutsche Volk bezieht, wie es die Eidesformel fordert, sondern nur auf einen winzigen Teil dieses Volkes, nämlich auf die spendablen Herren des Großen Geldes sowie auf sich selbst und einige wenige Personen, die ihm nahestehen.

Das Ganze wird noch erheblich verschlimmert durch ein Benehmen Helmut Kohls im privaten Umgang mit den Repräsentanten des Großen Geldes, das seinen Wählerinnen und Wählern, wenn sie davon erfahren, die Schamröte ins Gesicht treiben müßte. Nehmen wir als Beispiel einen scheinbar nebensächlichen, im Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Flick-Spendenaffäre aktenkundig gewordenen Vorgang:

Da rief Kanzler Kohl eines Tages bei Eberhard v. Brauchitsch an, dem Flick-Generalbevollmächtigten, der seinem Konzern etliche Hundert Millionen Mark fälliger Steuern sparen will und dafür mit Bargeldbündeln den stets bedürftigen Politikern gefällig ist. Zweck des Anrufs ist die Mitteilung des Bundeskanzlers:

»Du, hör mal, Eberhard, ich komme morgen abend bei euch vorbei. . . Ich würde gern mal wieder anständig Kaviar essen.«

Natürlich ging v. Brauchitsch sofort auf diesen Wunsch seines Duzfreundes ein, der sich bei nur knapp 40000 DM Monatsgehalt sein -neben Saumagen -liebstes Essen offenbar nicht leisten konnte oder wollte. Aber damit nicht genug: Ein paar Tage später wieder ein Anruf bei v. Brauchitsch, diesmal von Frau Hannelore Kohl aus Oggersheim: »Du weißt doch, Eberhard, wie gern ich Kaviar esse - aber den gibt’s bei euch ja nur, wenn ich nicht dabei bin.. . «

»Und was macht man dann als guterzogener Mensch? Als ich das nächste Mal mit Herrn Kohl zusammen war«, so berichtete Herr v. Brauchitsch, »da habe ich ihm eine Dose Kaviar mitgegeben: Den möchte er doch bitte mit Frau Gemahlin essen.. . « Auch damit noch nicht genug, denn die Schilderung des Flick-Repräsentanten geht weiter:

»Nach einer gewissen Zeit gibt es wieder ein Telefonat zwischen Frau Kohl und mir.« Bei dieser Gelegenheit fragte v. Brauchitsch:

»Du hättest eigentlich was sagen können -wie war denn der Kaviar?« Darauf Hannelore Kohl: »Kaviar? Ich habe keinen gekriegt! Du kennst doch den Helmut. Der hat ihn mit in seine Wohnung in Bonn genommen und ihn selber aufgegessen... «

Woraufhin der wohlerzogene v. Brauchitsch das Haus Flick abermals in Unkosten stürzte - das halbe Kilo Kaviar kostete seinerzeit 560 DM - und seinen Fahrer beauftragte, der Kanzlergattin rasch eine Dose vom Feinsten nach Ludwigshafen- Oggersheim zu bringen. ». . . Mit einen dreizeiligen Begleitbrief:

"Damit die russische Marmelade wirklich in Deine Hände kommt - anbei direkt - herzliche Grüße..." «

Übrigens, der Untersuchungsausschuß und damit auch die Presse und die Öffentlichkeit hätten von alledem wohl nie etwas erfahren, wäre im Privatsekretariat des Flick-Beauftragten eine kurze Danksagung für die erwiesene Aufmerksamkeit eingegangen. Da diese ausblieb, wurden die - sonst längst vernichteten - Kopien und Belege säuberlich abgeheftet, und die Staatsanwälte, die den Vorgang für strafrechtlich relevant hielten, beschlagnahmten die Akte.. .

Der Vorfall der ein Schlaglicht auf den miserablen Stil wirft, der im Hause Kohl die Arroganz der Macht begleitet, ist indessen nur ein typisches Beispiel für die Dreistigkeit, mit der sich dieser Politiker und die Seinen über alle Normen gesitteten Zusammenlebens hinwegsetzen, von der ständigen Mißachtung der Gesetze und Vorschriften durch den amtierenden Kanzler ganz zu schweigen.

Zum besseren Verständnis sei hier noch aus der Fülle der Skandale, die für die bisherige Amtszeit des Kanzlers Kohl kennzeichnend waren, einer herausgegriffen, der ganz zu Anfang stand:

Am 11. Januar 1983, also nur wenige Wochen nach Genschers Betrug am Wähler und dem konstruktiven Mißtrauensvotum, durch das Helmut Schmidt (SPD) gestürzt und Helmut Kohl (CDU) Bundeskanzler wurde, drangen Beamte der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamts in die Redaktionsräume der Hamburger Monatszeitschrift »konkret« ein. Sie durchsuchten alle Büros und dann auch die Privatwohnungen des damaligen Chefredakteurs Manfred Bissinger und des »konkret«-Autors Jürgen Saupe - angeblich wegen des dringenden Verdachts der »Preisgabe von Staatsgeheimnissen«. Sie wiesen eine besondere Ermächtigung des Bundeskanzleramts vor, unterschrieben von Kohls Schulfreund, engem Vertrauten und damaligen Staatssekretär für die Geheimdienste, Waldemar Schreckenberger.

Dies ließ darauf schließen, daß Kohl selbst oder seine nächste Umgebung die spektakuläre Aktion veranlaßt hatte, denn üblicherweise ist es der Generalbundesanwalt, der seine Behörde und die Beamten des BKA tätig werden läßt. Tatsächlich wurden aber die Durchsuchungen bei »konkret« von der Bundesanwaltschaft eilig zur »Routineangelegenheit« heruntergespielt und der Presse gegenüber begründet mit einer mehr als ein Jahr zurückliegenden »konkret«-Veröffentlichung über den früheren BND-Spitzenfunktionär Hans Langemann, eine zwielichtige Gestalt, die unter Franz Josef Strauß zum Chef der bayerischen Staatsschutzdienste avanciert und später gefeuert worden war, teils wegen Unfähigkeit und Geschwätzigkeit, teils wegen des Sicherheitsrisikos, das sein Privatleben bot.

Indessen lag der Verdacht sehr nahe, daß es sich in Wahrheit nicht um diese weit zurückliegende Veröffentlichung handelte, sondern um einen erst gerade erschienenen »konkret«-Artikel und einen damit zusammenhängenden privaten Racheakt Helmut Kohls. In der Ausgabe vom Januar 1983 hatte Chefredakteur Manfred Bissinger den Kanzler in einem Artikel scharf angegriffen, und es hieß darin: »Wie ein Mann seine Familie behandelt und über die Familie spricht, kann im Gegensatz nicht krasser sein als bei Helmut Kohl. Seine Worte sind scheinheilig und verlogen, wenn man weiß, wie er lebt. . «

Gemeint war das Privatleben des Kanzlers im Bereich Ehe und Familie, den Lieblingsthemen des salbadernden Volksredners Kohl. »Ich spreche so leidenschaftlich zu diesem Thema«, hatte er gerade erst getönt, »weil für mich ganz klar ist, daß die immer wieder notwendige geistig-moralische Erneuerung unseres Landes eben nur dann kommen kann, wenn die Jungen ihr Beispiel zu Hause erfahren. . und eingeübt werden in die Tugenden unseres Landes am Beispiel der eigenen Eltern, in der Wärme und Geborgenheit der eigenen Familie.« Doch als Helmut Kohl von Mainz nach Bonn umgezogen war, hatte er seine Frau Hannelore und seine beiden Söhne im Oggersheimer Bungalow zurückgelassen. Seine Sekretärin Juliane Weber aber war mit ihm umgezogen, nicht nur ins Bonner Büro, sondern auch in sein neues Haus in Bonn-Pech.

Am 14. Oktober 1982, zwei Wochen nach Kohls Einzug ins Bundeskanzleramt, hatte »BILD« aus der »geheimnisvollen Welt der neuen Nr. 1« der Kanzlergattin Hannelore Kohl gemeldet: Sie »kam nach Bonn selten, übernachtet hat sie dort so gut wie nie«. »In Bonn ist es ein offenes Geheimnis«, hatte Bissinger in »konkret« über das Verhältnis Kohls mit seiner Sekretärin geschrieben. »Die Journalisten kennen nicht nur Juliane Weber (die übrigens auch verheiratet ist)«, sie wissen auch, wie Kohl zu ihr steht. »Die Wahrheit schreiben will keiner.. . Das höchste der Gefühle ist mal ein Scherz für Insider. Der "Spiegel" über Juliane Weber: "Sie schlägt ihm auch die Eier auf, weil der Kanzler sie so heiß nicht anfassen mag." Normalerweise würde man darüber zur Tagesordnung übergehen.

Soweit die wesentlichen Stellen aus dem für Helmut Kohl und seine Gefährtin so ärgerlichen »konkret«-Artikel, der gewiß nicht geschrieben - und bestimmt nicht hier zitiert - worden wäre, hätte Kohl nicht selbst dafür gesorgt, daß man über seine Intimsphäre eben nicht taktvoll schweigen kann!

Der Kanzler selbst hat aus seiner privaten eine öffentliche Angelegenheit gemacht, denn zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik, ja - wenn man die Hitler-Diktatur ausnimmt - in der ganzen neueren deutschen Geschichte hat ein Kanzler die Finanzierung seines Verhältnisses nicht aus eigener Tasche vorgenommen, sondern sie dreist dem Steuerzahler aufgebürdet! Damit nicht genug, Helmut Kohl hat seiner Juliane Weber, die für ihn, wie wir bereits wissen, auch öfters das von der Industrie gespendete Bargeld kassieren darf, auch eine Pfründe verschafft, die ihr nicht zusteht. Gegen das Beamtenrecht und gegen die Einwände des Personalrats, der darauf hinwies, daß Frau Weber sogar die in den Richtlinien vorgeschriebene Oberschul- und Universitätsbildung fehle, ganz zu schweigen vom Staatsexamen, wurde die Kanzler-Gefährtin mit den Bezügen eines Regierungsdirektors als persönliche Referentin eingestellt, weil Kohl das »einzigartige« Vertrauen Verhältnis geltend machte, das zwischen ihm und Juliane Weber bestehe, und sich damit durchsetzte.

Erst diese von Kohl eingeführte »Mätressenwirtschaft« (wie Beamte des Kanzleramts seinen Regierungsstil nennen, der es Frau Weber gestattet, mit der einleitenden, keinen Widerspruch duldenden Formel »Der Kanzler wünscht...« ihre eigenen Forderungen durchzusetzen) hat »konkret« dazu veranlaßt, die Öffentlichkeit darüber zu informieren.

Kohl selbst informierte die Öffentlichkeit auf seine Weise. In derselben Woche, in der das Kanzleramt die Haussuchungen bei »konkret« vornehmen ließ, verkündete er vollmundig: »Es gilt für uns der Satz: Eine gesunde Familie ist die Voraussetzung eines gesunden Staates, und Staatspolitik muß sich täglich an diesen Satz erinnern.«

Ein paar Tage später bemühten sich Kanzlergehilfen, die Bonner Journalisten davon zu überzeugen, daß die Aktion gegen »konkret« nichts zu tun gehabt hätte mit der dort veröffentlichten Geschichte über die zur Regierungdirektorin ernannte Kanzler-Gefährtin. Denn diese Veröffentlichung hätte ja Kohl und Frau Weber noch gar nicht zur Kenntnis gelangt sein können, weil sie im Januar-Heft stand; der Durchsuchungsbefehl aber sei bereits am 29. Dezember 1982 unterzeichnet worden! Die Wahrheit hingegen ist, daß »konkret« wegen der Feiertage seine Januar-Ausgabe bereits am 21. Dezember ausgeliefert hatte. So war also Zeit genug gewesen, etwaige Rachegelüste reifen zu lassen und dann auch zu stillen.

Indessen ist der Vorfall samt seinem skandalösen Hintergrund, der Einsetzung der »einzigartigen« Gefährtin als Direktorin ins Kanzleramt, nur ein weiteres Beispiel für den miserablen Stil des Politikers Helmut Kohl, der ständig von »geistigmoralischer Erneuerung« redet, sich aber nicht scheut, den Superreichen Steuergeschenke in Milliardenhöhe auf Kosten der Allgemeinheit, vor allem der Lohnsteuerpflichtigen, zu machen und dafür bei den Herren des Großen Geldes abzukassieren.

Bleibt noch zu fragen, welche unsittlichen Forderungen, außer den bereits genannten speziellen Wünschen des Hauses Flick und denen der Pharma-Industrie die Konzerngewaltigen an Helmut Kohl und dessen Regierung noch gestellt haben und inwieweit diese Forderungen bereits erfüllt worden sind. Denn natürlich wollen die milliardenschweren Herren für ihre hohen Spenden, auch wenn diese Beträge durch Schwindeleien und Steuerhinterziehung ergaunert worden sind, die gewünschten Resultate sehen.

Aber mit den vom Großen Geld erhofften Ergebnissen kann die Regierung Kohl in reichem Maße aufwarten. Ihre Bilanz nach zwölf Jahren »Wende«politik ist für die Superreichen der Bundesrepublik so zufriedenstellend, daß sie sich vergnügt die Hände reiben können.

Sehen wir uns an, wie Kohl sich ihnen gleich in seinen ersten Regierungsjahren nützlich gemacht hat.