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26 März 2007

Kriegsgefangenen - Flucht in Russland 1945

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So weit die Füße tragen
von Josef Martin Bauer
Taschenbuch: 478 Seiten Verlag: Verlagsgruppe Lübbe Erscheinungsjahr: 2002 ISBN: 3404146662 Preis: 9,00 €

Hauptaussagen
• So weit die Füße tragen ist ein packender Abenteuerroman, der
die Odyssee des deutschen Kriegsgefangenen Clemens Forell
schildert, der im Oktober 1949 aus einem sowjetischen Arbeitslager
flieht, sich innerhalb von drei Jahren bis nach Teheran durchschlägt
und schließlich Ende 1952 nach Deutschland zurückkehrt,
das er seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr
gesehen hat.
• So weit die Füße tragen wurde 1955 veröffentlicht und insgesamt
in 15 Sprachen übersetzt. 2001 wurde der Roman von Hardy
Martins mit Bernhard Bettermann in der Rolle des Clemens Forell
an Originalschauplätzen verfilmt.
• So weit die Füße tragen basiert auf dem Erlebnisbericht eines
anonymen deutschen Kriegsgefangenen, den der Autor Josef
Martin Bauer zu einem Roman umarbeitete. Clemens Forell hat
tatsächlich existiert – auch wenn er nicht Clemens Forell hieß.
• So weit die Füße tragen ist nicht nur eine spannende, sondern
auch eine lehrreiche Lektüre. Die Schilderung der Zustände in
dem sowjetischen Arbeitslager, der faszinierenden Landschaft
Sibiriens und der Lebensgewohnheiten der sibirischen Ureinwohner
enthält eine Fülle authentischer und informativer Details.

„Als wirklich einziges sind ihm die Narben am Körper und an der Seele geblieben, die Zeichen vom Blei, und außer jenen Zeichen jene Furcht, die er drei Jahre lang sich selbst abzuleugnen
versuchte. Aus Furcht mag es verstanden werden, dass er seinen wirklichen Namen nicht genannt wissen will.“

Die unglaublichsten Geschichten schreibt das Leben selbst.

Im Jahr 1953 fällt einem Münchner Verleger einer seiner Druckereiangestellten auf, der erst vor wenigen Wochen in seinem Betrieb die Arbeit aufgenommen hat. In einem Gespräch mit dem Mann bekommt er Unglaubliches zu hören. Sein neuer Angestellter ist aus einem sowjetischen Strafgefangenenlager geflohen und hat eine über 14 000 Kilometer lange
Odyssee hinter sich, die ihn vom nordöstlichsten Zipfel Sibiriens zurück nach München führte. Der Verleger wittert sofort das enorme Potential dieses Stoffes und beauftragt den Autor Josef Martin Bauer, die Erzählungen des Heimkehrers zu einem Buch umzuarbeiten.

Bauer der selbst Kriegserfahrungen gesammelt hat, arbeitet die Erzählungen des Flüchtlings zu einem Tatsachenroman um, der 1955 unter dem Titel So weit die Füße tragen erscheint und in 15 Sprachen übersetzt wird. Da sein Gewährsmann anonym bleiben möchte, gibt ihm Bauer in
seinem Roman das Pseudonym „Clemens Forell“. So weit die Füße tragen ist auch nach über vierzig Jahren immer noch eine packende Lektüre, gerade weil der Roman auf authentischen Erlebnissen basiert und eine Fülle von Details enthält, die man unmöglich erfinden kann. Die Zustände in dem sowjetischen Strafgefangenenlager werden mit einer Präzision wiedergegeben, die streckenweise an Der Archipel Gulag von Alexander Solschenyzin erinnert. Bei der spannenden Schilderung von Forells Flucht erfährt der Leser ganz nebenbei Einiges über das ebenso endlose wie faszinierende Sibirien, seine nomadischen Ureinwohner und natürlich auch über Russland. Vor allem aber erfährt er viel über den Menschen ansich, der unter extremen Bedingungen seine schlechtesten, aber auch seine besten Seiten an den Tag legt, der sich in einem Augenblick noch grausam und egoistisch, im nächsten aber hilfsbereit und mitfühlend zeigt. So weit die Füße tragen hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt, weil seine Themen zeitlos sind. 2001 wurde der Roman von Hardy Martins mit Bernhard Bettermann in der Hauptrolle verfilmt. Der Film lief im Dezember letzten Jahres in den deutschen Kinos
an.

„Aus den Waggons, die der Tod seit dem letzten Anhalten besucht hat, werden die Leichen in den kalten Tag hinausgehoben und an die Böschung eines etwas höher gelegenen Nachbargleises gelegt.“

Der Weg in die Hölle

Clemens Forell, ehemaliger Oberleutnant der Wehrmacht, wird im Herbst 1945 in Moskau wegen angeblicher Kriegsverbrechen zu 25 Jahren Zwangsarbeit in einem sowjetischen Strafgefangenenlager verurteilt. In überfüllten Güterwaggons werden er und dreitausend andere deutsche Kriegsgefangene Richtung Sibirien verfrachtet, von denen ein gutes Drittel die Strapazen der zweieinhalbmonatigen Zugfahrt nicht übersteht, die in der sibirischen Stadt Tschita endet. Von dort aus werden sie zunächst mit Pferde-, dann mit Hundeschlitten weiter nach Norden transportiert und erreichen schließlich nach einem qualvollen Fußmarsch den Zielpunkt ihrer Reise, ein Arbeitslager am Kap Deschnew im nordöstlichsten Zipfel

„Man ist Vieh, solang man Gefangener ist. Eisemann, pass auf, was ich dir sage: Ich haue auf der Rückfahrt ab“ „Red keinen Papp!“ „Weißt du, wie breit die Beringstraße ist? Wenn du sie durchschwimmst, wird die Sowjetische Geographische Gesellschaft nicht nur deine Begnadigung erwirken, sondern vorschlagen, dass die Beringstraße auf deinen Namen umgetauft wird.“

„Das Spiel steht eins zu tausend.“ „Weiß ich.“ „Reden sie nicht! Ich höre hier oben mehr als Sie und weiß nichts. Was das Land hinter der Sowjetunion, jenseits des Polarkreises und fernab von jeder Zivilisation. Die 1280 Überlebenden werden in den Stollen eines Bleibergwerkes einquartiert. Auch auf sie wartet der sichere Tod. Wer nicht der mühseligen Arbeit des Bleiabbaus, den unzureichenden hygienischen Bedingungen, der schlechten Ernährung und dem feindseligen Klima zum Opfer fällt, wird langsam an einer Bleivergiftung dahinsiechen.

Forells erster Fluchtversuch

Nach ihrer Ankunft am Kap Deschnew bricht eine Ruhrepidemie unter den Gefangenen aus. Clemens Forell nutzt seinen Aufenthalt in dem nur notdürftig ausgestatteten Lazarett, um zusammen mit seinem Mitgefangenen Heinz Dechant Fluchtpläne zu schmieden. Schon kurz nach seiner Genesung verschafft ihm der deutsche Lagerarzt Dr. Stauffer, ein Bekannter seines gefallenen Bruders Ernst Forell, eine einmalige Chance. Die sowjetischen Bewacher suchen zwei körperlich widerstandsfähige deutsche Strafgefangene, die unter der Aufsicht eines russischen Soldaten aus der nächstgelegenen Stadt Medikamente und Decken für ihre kranken Kameraden heranschaffen. Auf Empfehlung Dr. Stauffers wird Forell für diese Aufgabe eingeteilt. Auf der Rückreise entschlüpft Forell seinem schlafenden Bewacher Wassilij und macht sich auf einen Fußmarsch durch die endlosen Eiswüsten Sibiriens. Bereits am elften Tag wird er von zwei russischen Soldaten aufgegriffen und in sein Straflager zurückgebracht. Er wird bereits von
seinen zornigen Kameraden erwartet. Die sowjetischen Bewacher hatten wegen seines Fluchtversuches ihre Essensrationen herabgesetzt und ihr Arbeitspensum drastisch erhöht. Forell muss einen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen und wird von seinen eigenen Kameraden beinahe zu Tode geprügelt. Er verdankt sein Leben einem Machtwort des ehemaligen Hauptmannes Leibrecht, der von den anderen deutschen Strafgefangenen
als moralische Autorität verehrt wird.

Kein Ausweg

Nachdem sich Forell von seinen Verletzungen einigermaßen erholt hat, beginnt auch für ihn die mühsame und eintönige Arbeit des Bleibergbaus. Schon bald muss er sich von der Vergeblichkeit aller Fluchtpläne überzeugen:
Der Strafgefangene Willi Baumann ergattert eine Stelle als Koch auf einem russischen Polarmeerdampfer. Als sein Schiff vor einer amerikanischen Polarinsel vor Anker geht, schwimmt er in einem unbeobachteten Augenblick ans Ufer, wird aber von den Amerikanern umgehend an die Russen ausgeliefert und muss bei seiner Rückkehr ins Lager den obligatorischen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen. Zwei weitere deutsche Strafgefangene, die auf dem Landweg entkommen wollten, werden nicht weit vom Lager entfernt erfroren aufgefunden.

Neue Hoffnung

Nach zwei Jahren Zwangsarbeit hat sich Forell, der erste Symptome einer Bleivergiftung aufweist, scheinbar mit seinem Schicksal abgefunden, als ihn Dr. Stauffer zu einem erneuten Fluchtversuch ermutigt. Der Lagerarzt hat bereits alle notwendigen Utensilien für seine eigene Flucht beisammen, ist aber unheilbar an Darmkrebs erkrankt und hat nur noch

„Forell ist schon wieder dabei, seine Schritte zu zählen. Solcher Stumpfsinn (...) lässt nie vergessen, dass in einer Marschnacht mindestens fünfzigtausend Schritte gemacht werden
müssen.“

„Semjon schießt früher als Anastas. Und dann fällt, schräg hinter Forell noch ein Schuss. Die frostbeulige Fratze zerplatzt.“ „Die Türme (...) stehen so eindeutig auf den höchsten Punkten des kahlen Landes, dass ihre Aufgabe und ihre Wirkungsweise über alle Zweifel erhaben sind.
Das ist die Grenze. Der zunächstehende Turm ist besetzt. Auf den anderen ist zwischen den Sparren der Soldat nicht zu erkennen. Natürlich ist auch er besetzt.“

wenige Monate zu leben. Nun soll Forell an seiner Stelle fliehen. Dr. Stauffers billigt Forell eine reelle Chance zu, sich quer durch Sibirien zur südlichen Grenze der Sowjetunion durchschlagen zu können, weil er ein starkes Motiv für den scheinbar aussichtslosen Fluchtversuch hat: Die
Liebe zu seiner Frau Kathrin, die er seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hat.

Die erste Etappe der Flucht

Im Oktober 1949 bricht Forell mit der Unterstützung des Lagerarztes aus dem Straflager aus. Er trägt sibirische Winterkleidung, fährt auf sibirischen Schneebrettern, ernährt sich von getrockneten Broten und Fischen und bereitet sich mit einem Spirituskocher Tee zu. Darüber hinaus hat ihm Dr. Stauffer neben einer russischen Pistole und einem sibirischen Messer auch eine von Hand gezeichnete Karte Sibiriens, die ein Mitgefangener angefertigt hat, und einen improvisierten Kompass mit auf den Weg gegeben. Nach drei Wochen Gewaltmarsch Richtung Westen wird Forell an den Ufern des Anadyr von den beiden Rentierhirten Pehtak und Laatmai aufgriffen. Als Laatmais Gast verbringt er den Winter in ihrem Dorf.

Im Bann der Gesetzlosen


Nach der Schneeschmelze zieht er mit einem Nomadenstamm Richtung Süden an und gerät schließlich an die entlaufenen russischen Strafgefangenen Anastas, Semjon und Grigorij, die vor der Staatsgewalt in die endlosen sibirischen Wälder geflohen sind. Forell, der sich inzwischen
Pjotr Jakubowitsch nennt und leidlich Russisch spricht, hilft den drei Gesetzlosen im Sommer beim Goldwaschen und begleitet sie im Winter auf die Pelzjagd. Stets bewegen sie sich fernab von jeder Zivilisation, um nicht ihren Verfolgern in die Hände zu fallen.

Als sich Grigorij weigert, einen Goldklumpen mit seinen Kameraden zu teilen, ist es um die Solidarität zwischen den vier Männern geschehen. Semjon stiehlt sich in einem unbeobachteten Augenblick auf dem gemeinsamen Rentierschlitten mit einem Großteil der gesamten Ausrüstung davon, muss aber schon bald feststellen, dass Grigorij das Gold in Forells Rucksack versteckt hat. Als er seinen ehemaligen Kameraden auflauert, kommen er und Anastas bei einem Schusswechsel um.

Der nächste Showdown zwischen den Überlebenden Grigorij und Forell ist bereits vorprogrammiert. Der eine will sich mit dem Gold Papiere besorgen und ein neues Leben aufbauen, der andere benötigt es für seine Flucht. In einem günstigen Augenblick stößt der Russe den Deutschen einen steilen Abhang hinunter und sucht mit beinahe der gesamten Ausrüstung das Weite. Der verletzte Forell ist ohne Waffen schutzlos einem gierigen Wolfsrudel ausgeliefert und wird buchstäblich in letzter Sekunde von den beiden jakutischen Schlittenhundezüchtern Kolka und Aljoscha gerettet. Er verbringt den Winter als ihr Gast in ihrem Zeltlager und kommt allmählich wieder zu Kräften.

Kurz vor dem Ziel

Im Sommer macht sich Forell erneut auf den Weg, begleitet von seinem Hund Willem, den ihm sein Gastgeber Kolka zum Abschied geschenkt hat. Als er unversehens auf einen Trupp sowjetischer Straßenbauarbeiter „Bilde dir aber nicht zuviel darauf ein, dass du jetzt in
Sicherheit bist! Die Grenze hier ist eine wässerige Sache. Zwanzig Kilometer
weit im Land kannst du jederzeit noch auf russische Streifen stoßen.“

„Also bist du doch Clemens!“ sagt Baudrexel leise. „Ich habe dich nicht erkannt, habe nichts von all dem geglaubt und kenne dich auch jetzt nicht. Aber es besteht kein Zweifel." „Die Ärzte haben es sich eine Weile überlegt, ehe sie dem heimgekehrten Clemens Forell (...) behutsam erklärten, dass er den Sinn für Farben verloren habe.“

stößt, gibt sich Forell als der ehemalige Strafgefangene Pjotr Jakubowitsch Lemengin aus, der sich nach der Ableistung von acht Jahren Zwangsarbeit in Tschita bei dem Polizeikommandanten von Sibirien zu melden hat. Er hat Glück und kann als Transportbegleiter mit dem Zug nach Tschita reisen, der südsibirischen Stadt, die Ende 1945 der Ausgangspunkt
des langen Marsches der deutschen Strafgefangenen nach Kap Deschnew gewesen war.
Die Grenze zur Mongolei ist nicht mehr weit, aber so stark abgesichert, dass sich ein Grenzübertritt als so gut wie unmöglich erweist. Als es Forell dennoch riskiert, wird sein treuer Hund Willem erschossen. Er selbst kommt mit knapper Not davon, schlägt sich entlang der transsibirischen Eisenbahn weiter nach Westen durch und bestreitet seinen Lebensunterhalt
durch Diebstahl, Raubüberfälle und Betteln.

Retter in der Not

Abermals findet Forell Helfer. Der Wiener Leopold Meßmer, der als österreichischer Kriegsgefangener nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Russland geblieben ist, gibt ihm den Rat, sein Glück an der sowjetischen Grenze zum Iran zu versuchen. Die junge Russin Ljuba, die ehemaligen Freundin eines alten Kriegskameraden, besorgt ihm einen Ausweis.
Schließlich vermittelt ihm der armenische Jude Igor Kontakte zu einer Widerstandsbewegung, die es ihm ermöglichen, mit der Hilfe einer Schmugglerbande im Sommer 1952 die Grenze zum Iran zu passieren

Die letzte Hürde

Seine Odyssee ist jedoch noch nicht beendet. Forell wird als mutmaßlicher sowjetischer Spion festgenommen und in ein iranisches Gefängnis geworfen. Auf seine Bitte informieren die iranischen Behörden seinen Onkel Erich Baudrexel. Baudrexel reist nach Teheran, vermag ihn aber bei der Gegenüberstellung nicht wieder zu erkennen, da ihn die vier Jahre in dem sowjetischen Strafgefangenenlager am Kap Deschnew und seine dreijährige Flucht schwer gezeichnet haben. Forell kann seine Identität nur bestätigen, indem er seine Widmung auf einem alten Familienfoto zitiert, das er einst seiner Mutter geschenkt hatte und das sein Onkel mit
nach Teheran gebracht hatte.

Traurige Heimkehr


Forell wird freigelassen und kehrt im Dezember 1952 endlich nach Deutschland zurück, wagt es aber nicht, mit seiner Frau Kathrin in Kontakt zu treten, aus Angst, sie würde ihn nicht mehr wieder erkennen. Dr. Stauffers Ehefrau informiert er brieflich über den Tod ihres Mannes. Als
Forell die Kirche in Ettal besucht, in der er als Kind mit seinem Vater oft gewesen war, wundert er sich, dass das satte Gold der Stukkaturen zu einem matten Silber, das Blutrot der Brokatstoffe zu einem fahlen Gelb und das Himmelblau der Deckenbemalung zu einem trostlosen Grau verblasst ist. Er ist aufgrund seiner Bleivergiftung farbenblind geworden.


Josef Martin Bauer wurde am 11. 3. 1901 in Taufkirchen an der Vils in Bayern geboren. Er wollte ursprünglich Priester werden, brach aber sein Theologiestudium ab und verdiente sich als Fabrikarbeiter, Journalist und Buchhalter seinen Lebensunterhalt, bis er endlich als Schriftsteller Erfolg hatte. 1930 erhielt er den Jugendpreis deutscher Erzähler. Neben So weit
die Füße tragen hat Bauer auch die Romane Achtsiedel, Die Salzstraße, Das Haus am Fischmarkt und Kranich mit dem Stein geschrieben. Wenige Tage nach seinem neunundsechzigsten Geburtstag verstarb Josef Martin Bauer am 15. 3. 1970 in Dorfen in Oberbayern.


So weit die Füße tragen
Ein Fernsehfilm nach dem Roman von Josef Maria Bauer
Drama, Literaturverfilmung ARD/NRWV

Drehbuch: Fritz Umgelter
Regie: Fritz Umgelter
Darsteller: Heinz Weiss (Clemens Forell) und Harri Rivière, Edgar Mandel, Ferdinand Anton, Hans Epskamp, Wolfgang Büttner u.a.

[Image]So weit die Füße tragen


Hinweis: Der Ruhm dieser Serie ist legendär. Es war die erste Unterhaltungsserie im Fernsehen mit "Anspruch". Erstmals wurden die erzählerischen Mittel des neuen Mediums konsequent eingesetzt. Diese Serie war so erfolgreich, daß sie noch im gleichen Jahr wiederholt wurde. Allerdings zeigte sich auch, daß sie recht zäh war. Der Westdeutsche Rundfunk hatte drei Jahre später Erbarmen mit den geplagten Zuschauern und strahlte am 25. 11. und 2. 12. 1962 eine auf zwei Teile zusammengeschnittene Kurzfassung des Fluchtdramas aus. Auch heute noch findet der Mehrteiler sein Publikums und wird jedes Jahr um Weihnachten herum von einem der zahlreichen "Dritten" Programme wiederholt. - 2001 wurde der Stoff in einem Spielfilm erneut verfilmt. Der Streifen lief am 27. Dezember 2003 in der ARD


So weit die Füße tragen

So weit die Füße tragen ist der Titel eines Romans von Josef Martin Bauer, einer Fernsehserie und eines Filmdramas um einen deutschen Kriegsgefangenen, der nach dem Zweiten Weltkrieg 1949 aus einem ostsibirischen Gefangenenlager flieht und eine abenteuerliche Flucht nach Hause antritt.


Handlung

Das Buch, dem eine wahre Begebenheit zugrunde liegt, erzählt die Geschichte des deutschen Soldaten Clemens Forell, der im Jahre 1945 in der Lubjanka in einem Massenprozess zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wird. Die Erzählung beginnt im westsibirischen Omsk. Forell und seine Kameraden befinden sich in einem Güterzug auf einem Gefangenentransport nach Tschita. Von dort aus geht es erst mit Hundeschlitten, dann zu Fuß bis in den äußersten Nordosten der Sowjetunion bis nach Kap Deschnjow an der Beringstraße. Die Überlebenden des Gewaltmarsches leben und arbeiten in den Stollen eines Bleibergwerkes. Bauer schildert ausführlich die Lebensumstände der Menschen, die kaum das Tageslicht zu Gesicht bekommen. Immer wieder wird von Flucht gesprochen. Als die Amerikaner einen Gefangenen wieder ausliefern, dem die Flucht nach Alaska gelungen ist, bleibt nur noch der fast aussichtslose Weg durch die Weiten Sibiriens, um zu entkommen.

Als sich Clemens Forell 1949 wegen einer schweren Erkrankung im Lazarett befindet, erwachen in ihm neue Fluchtgedanken. Unterstützt von dem krebskranken Lagerarzt Dr. Heinz Stauffer, der ursprünglich selbst fliehen wollte, gelingt ihm im Oktober die Flucht aus dem Lager. Die erste Zeit ist er ganz allein. Eines Nachts wird er von Rentierhirten gefunden. Zunächst ist er misstrauisch, aber nach einiger Zeit fasst er Vertrauen und schließt Freundschaft. Später trifft er auf Jakuten, die ihm weiterhelfen. Fast ein ganzes Jahr zieht er mit Zwei geflohenen russischen Strafgefangenen durch Ostsibirien. Nach einer Auseinandersetzung wegen eines Goldklumpens, den einer der Russen vor seiner Flucht aus einer Goldmine gestohlen hat, ist Forell wieder allein. Es gelingt ihm, eine Eisenbahnlinie zu erreichen und mit einem Holztransport über Tschita nach Ulan-Ude zu gelangen. Von dort aus gelingt es ihm, die Grenze zur Mongolei zu erreichen. Ein Fluchtversuch über diese stark bewachte Grenze misslingt.

Ein Waldarbeiter deutscher Abstammung rät ihm, weiter nach Westen zu gehen und die Flucht über den Iran zu versuchen. Fast ohne Hoffnung geht er weiter. Vor allem durch Diebstahl von Lebensmitteln gelingt ihm das Überleben. Über Abakan gelangt er nach Kasalinsk. Als er beginnt, sich mit einem Leben in der Sowjetunion abzufinden, trifft er auf den armenischen Juden Igor, der bereit ist, ihm zu helfen. Er hat zu einer Gruppe von Schmugglern Kontakt, die illegal Waren und manchmal auch Menschen in den Iran bringen. Er schickt Forell nach Uralsk, wo dieser Kontakt mit den Schmugglern aufnimmt. Über Alexandrowsk und Grosny, quer durch den Kaukasus erreicht er endlich die Grenze. Durch eine Furt in einem Grenzfluss gelangt er auf iranisches Staatsgebiet. Als er einige Tage später Täbris erreicht, wollen ihm die dortigen Behörden seine Geschichte nicht glauben. Das gelingt ihm erst mit der Hilfe seines Onkels Erich Baudrexel, der ihn identifiziert. Inzwischen ist es Dezember 1952 geworden. Über Ankara, Istanbul und Rom fliegt er nach München, wo er zu Weihnachten endlich wieder zu Hause ankommt.

Hintergrund

Josef Martin Bauer lernte einen Mann kennen, der an Leib und Seele schwere Schäden erlitten hatte. Er konnte sich an viele Dinge nur schwer erinnern, aber immer an die Umstände. Der Mann, der seinen richtigen Namen nie preisgab, legte von Kap Deschnjow bis Täbris über 14.000 Kilometer mit Rentierschlitten, Eisenbahnen, Lastwagen, aber vor allem zu Fuß zurück.

Das Magazin History des ZDF und die Passauer Neue Presse recherchierten im Jahre 2002 die Frage der wahren Identität. Es soll sich um Cornelius Rost gehandelt haben, einen 1922 geborenen Wehrmachtsoffizier, der 1949 floh und nach 3 Jahren über Persien entkam. Er starb 1983 in München und fürchtete sich Zeit seines Lebens vor Nachstellungen des KGB. Er soll darum vertraglich das Stillschweigen verlangt haben. [1]

Publikation

Der Roman wurde ein Welterfolg, der bis heute in 15 Sprachen übersetzt wurde (darunter Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Niederländisch, Finnisch, Dänisch, Norwegisch, Polnisch, Schwedisch, Tschechisch, Isländisch). Er wurde und blieb der größte Erfolg und berühmteste Roman von Josef Martin Bauer.

Kritik

Im allgemeinen wird der Roman von der Kritik sowohl als wertvolles als auch unterhaltsames Stück Zeitgeschichte gesehen. Rezensionen zur Verfilmung merken aber auch an, dass die Geschichte den Zweiten Weltkrieg als Hintergrund weitgehend ausblendet.

Adaptionen

1959, vier Jahre nach Erscheinen des Buches, wurde der Stoff von Fritz Umgelter werkgetreu für das Fernsehen in einem Sechsteiler erstmals verfilmt. Eine zweite Verfilmung aus dem Jahre 2001 von Hardy Martins wich erheblich von der Vorlage des Buches ab. Der Roman galt auch als Vorlage für ein gleichnamiges Hörspiel.

  1. Moritz Schwarz: Als Zerbrochener ans Ziel In: Junge Freiheit


22 März 2007

In USA amtiert eine Schattenregierung

Vorsicht Heuschrecken: Vorabdruck aus J. Elsässers neuem Buch

http://www.gerhard-wisnewski.de/


Von Jürgen Elsässer

In dem Film "V wie Vendetta" hat sich die älteste Demokratie der Welt in eine Diktatur verwandelt: Im Vereinigten Königreich des Jahres 2018 schlägt Big Ben noch brav die Stunden, die BBC sendet weiter Nachrichten und Musik, im ehrwürdigen Parlament streiten Abgeordnete – doch all das ist nur noch Lüge und Fassade. Die alleinige Macht liegt in den Händen der Einheitspartei "Norsefire", die die Bürger mit umfassender Überwachung und nächtlichen Rollkommandos unter Kontrolle hält. Die christlich-fundamentalistische Diktatur fußt auf Furcht und Propaganda: "Strength through unity. Unity through strength." Die Insignien der Macht spielen auf den Faschismus an, ein Fernsehprediger ist der Talkmaster-Goebbels dieses Regimes.



Die Bevölkerung wird durch gleichgeschaltete TV-Sender permanent indoktriniert, Schwule sind im KZ, es gibt "Schwarze Listen" verbotener Dinge, auf denen sich der Koran ebenso findet, wie Tschaikowskis "1812"-Overtüre und die Bilder von Robert Mapplethorpe. Die Ultra-Evangelikalen kamen in Folge eines Giftgasanschlages mit mehreren tausend Toten zur Macht, der moslemischen Terroristen in die Schuhe geschoben, aber vom eigenen Geheimdienst inszeniert worden war. Die im Film eingespielten Doku-Fetzen von einem Terrorplot in der Londoner Innenstadt könnten Originale sein – aufgenommen am 7. Juli 2005.

Alles nur Social-fiction? Wie weit sind die westlichen Staaten von dieser Antiutopie entfernt? Während des Präsidentschaftswahlkampfes im Oktober 2000 witzelte George W. Bush: «Wenn wir in einer Diktatur leben würden, wäre es viel einfacher, jedenfalls solange ich Diktator wäre.»1 Lediglich ein schlechter Scherz? Selbst dem früheren Präsidenten-Berater John Dean ist es nicht ganz wohl: «Ich bin besorgt, weil ein proto-faschistisches Verhalten zu erkennen ist, ein Verhalten mit faschistischen Grundmustern. – Sind wir deswegen also auf dem Weg in den Faschismus? – Nein. Aber wir sind davon nicht weit entfernt. – Menschen, die davon etwas verstehen, sagen, dass der Faschismus bei uns mit einem lächelnden Antlitz auftritt und uns dazu bewegt, dort freiwillig Rechte aufzugeben, wo wir vielleicht einmal sagen werden: ‹Hätten wir das doch nie getan!›»2 Energischer die Warnung des US-amerikanischen Bestsellerautors Norman Mailer («Die Nackten und die Toten»). Er schlug im Jahr 2003 Alarm: «Wir sehen die Vorzeichen drastischer gesellschaftlicher Veränderungen. Wo werden sie enden? Die Antwort lautet: Es könnte eine Form von Faschismus kommen. Allerdings wird es eine banale Ausprägung des Faschismus sein, bis es wieder zu einer Katastrophe kommt. Drei oder vier Attentate wie am 11. September, und Amerika ist ein faschistisches Land.»3

Drei Jahre nach dem Kassandra-Ruf Mailers beseitigten US-Repräsentantenhaus und Senat beinahe einstimmig eines der Fundamente der angelsächsischen Demokratie. Vor 800 Jahren hat der niedere Adel in England sich mit der Magna Charta Freiräume gegen Papsttum und Königswillkür erkämpft, im 17. Jahrhundert wurde im Habeas-corpus-Act jedem Bürger rechtsstaatlicher Schutz gegen die Häscher der Obrigkeit verbürgt. Ende September 2006 verabschiedeten beide Häuser der US-Volksvertretung ein Gesetz, das – so die «New York Times» – «Herrn Bush die Macht gibt, so ziemlich jeden, den er will, und so lange, wie er will, ohne Anklage ins Gefängnis zu werfen, einseitig die Genfer Konvention auszulegen, das zu autorisieren, was normale Leute als Folter ansehen und Hunderten, die irrtümlich verhaftet wurden, Gerechtigkeit zu verweigern.»4

Einschneidende Veränderungen wurden schon direkt nach dem 11. September durchgedrückt. Durch den Patriot Act und den Homeland Security Act wurden «in bisher nicht gekanntem Ausmass die Befugnisse der Exekutive erweitert und viele rechtsstaatliche Garantien aufgehoben».5 «Der Kongress verabschiedete dieses Gesetz mit atemberaubender Geschwindigkeit in einem Augenblick, als er gerade aus seinen von Milzbranderregern kontaminierten Büros ausquartiert worden war und die Vorhersage des Justizministers, dass weitere Terroranschläge drohten, sich zu bewahrheiten schien. Präsident Bush unterzeichnete das Gesetz am 26. Oktober 2001, nur sechs Wochen nach den Anschlägen vom 11. September. Abgeordnete beklagten sich, dass sie vor der Abstimmung kein Exemplar des Entwurfs erhalten hatten, ganz zu schweigen davon, dass ihnen Zeit eingeräumt worden wäre, ihn zu lesen. Obendrein hatte es zu diesem komplizierten und weitreichenden Gesetz so gut wie keine öffentliche Anhörung oder Debatte gegeben, es hatte keine Beratung stattgefunden, und es war auch kein Ausschussbericht erstellt worden.»6

Die Gesetze erlauben der Regierung eine umfassende Überwachung der Telekommunikation und des Internets und nahezu unbeschränkte Eingriffe in die Privatsphäre. Der Patriot Act «ermöglicht den Behörden unter anderem den Zugang zu den Ausleihdaten öffentlicher Bibliotheken. Oder: Wer sich zum Beispiel in der aktuellen Diskussion für eine liberale Einwanderungspolitik einsetzt, gilt dem offiziellen Washington rasch als Sympathisant von Terroristen. Dem Weissen Haus gegenüber kritisch eingestellte Politiker werden sogar von Regierungsmitgliedern als Helfer von al-Kaida diffamiert», bilanziert der Deutschlandfunk.7 Über die Folgen berichtet ein Zeitungsartikel Mitte Oktober 2006: «Agenten des US-Geheimdienstes haben eine 14jährige Schülerin mitten im Unterricht abgeführt und verhört, weil sie auf einer Internetseite drastische Kritik an Präsident George W. Bush geübt hatte. Die Agenten hätten Julia Wilson während der Biologiestunde an einer High School im kalifornischen Sacramento aufgegriffen und mitgenommen, berichtete die Tageszeitung ‹Sacramento Bee› […] Die sommersprossige Zahnspangenträgerin habe sich für eine Fotocollage rechtfertigen müssen, die sie auf der bei Teenagern beliebten Chat-Seite MySpace veröffentlich habe. Das Bild zeigte den Angaben zufolge den US-Präsidenten, in dessen Hand ein Messer steckt; darunter stand ‹Kill Bush› [‹Tötet Bush›].»8

Die Putschisten


Alles spricht dafür, dass es innerhalb der Staatsapparate eine Doppelstruktur gibt, die die Faschisierung gezielt betreibt. «Die Regierung des mächtigsten Landes der Welt ist poli­tischen Extremisten in die Hände gefallen», klagt nicht etwa der Gesellschaftskritiker Noam Chomsky oder der Anarchodemokrat Michael Moore, sondern der Multimilliardär George Soros.9 Von einer «Parallel- oder Schattenregierung» warnt Bernd Greiner vom Hamburger Institut für Sozialforschung und fährt fort: «Wer nach einem politisch provokanten, aber begründeten Wortbild sucht, könnte von der Eroberung des Regierungsapparates durch skrupellose Autokraten sprechen – oder gleich die Vokabeln ‹Putsch› oder ‹Junta› verwenden.»

Die Namen der Putschisten sind bekannt. Sie gehören allesamt dem Project for A New American Century (PNAC, Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert) an, der 1997 gegründeten wichtigsten Organisation der sogenannten Neokonservativen (kurz Neocons). Zu seinen Unterzeichnern gehören Vizepräsident Dick Cheney, der im November 2006 zurückgetretene Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein zeitweiliger Stellvertreter und jetzige Weltbankpräsident Paul Wolfowitz, Douglas Feith als zeitweilige Nummer drei im Pentagon, Lewis Libby als Büroleiter von Cheney, der spätere Botschafter in Kabul und Bagdad Zalmay Khalizad, der Vize-Aussenminister Richard Armitage, der ehemalige CIA-Chef James Woolsey, der Gouverneur von Florida (und Bruder des Präsidenten) Jeb Bush sowie der aktuelle UN-Botschafter John R. Bolton. Sehr wichtig sind auch der Publizist William Kristol und Richard Perle als graue Eminenz des Pentagon. Zeitweilig hatten 10 der 18 PNAC-Führer Sitz und Stimme in der Bush-Regierung, vor allem das Pentagon war sehr weitgehend von ihnen beherrscht. In der Demokratischen Partei gehört der einflussreiche Ex-Senator Joseph Lieberman zu den Trojanischen Pferden der Neocons.

Im Konzept »A Clean Break« (Ein sauberer Bruch) von 1996 arbeiteten führende Köpfe des späteren PNAC bereits eine Aggressionsstrategie für den Nahen Osten aus. Darin schlugen sie dem damaligen israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, die Oslo-Politik des Verhandelns mit den Palästinensern aufzugeben und die Region poli­tisch-militärisch aufzurollen: Am Anfang müsse als »äusserst wichtiges strategisches Ziel» der Regime-Change im Irak stehen. In Phase zwei müsse Syrien aus Libanon verdrängt werden. Israel könne mit US-amerikanischer Sympathie rechnen, wenn es «syrische Militäreinrichtungen in Libanon angreift und, wenn das nicht ausreicht, ausgewählte Ziele in Syrien selbst». Wie man sieht, entwickeln sich die Dinge genau in diese Richtung.
Ein Jahr nach seiner Gründung forderte das PNAC in einem Brief an den damaligen Präsidenten Bill Clinton einen Angriff auf den Irak. «Wir drängen […] auf eine neue Strategie, die die Interessen von uns, unseren Freunden und Verbündeten überall auf der Welt sichert. […] Diese Strategie sollte vor allem auf die Beseitigung Saddam Husseins von der Macht abzielen», heisst es in dem Schreiben von 1998.
Im Dokument «Rebuilding America’s Defenses: Strategies, Forces and Ressources for a New Century» (Der Neuaufbau der amerikanischen Verteidigung: Strategien, Streitkräfte und Ressourcen für ein neues Jahrhundert) aus dem Jahr 2000 wird auf 80 Seiten aufgeführt, dass die USA mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – einschliesslich der militärischen – unangefochtene Überlegenheit auf dem Globus erreichen müssten.10 Die Armee müsse «die Einrichtung amerikanischer Stützpunkte in ganz Zentralasien und dem Nahen Osten» betreiben und fähig sein, «auf verschiedenen Kriegsschauplätzen gleichzeitig zu kämpfen und zu siegen».11

«Die Welt begann mit 9/11» (Richard Perle)12


«Bis zum 11. September 2001 wurden die Ideologen des PNAC durch zwei Faktoren von der Umsetzung ihrer Strategie abgehalten», erläutert Soros. «Zum einen war Präsident Bush ohne eindeutiges Mandat ins Amt gelangt, denn er war erst durch ein mit knapper Mehrheit gefälltes Urteil des Obersten Gerichtshofs zum Präsidenten gekürt worden. Zum zweiten hatte Amerika keinen klar definierten Feind, der eine dramatische Steigerung der Militärausgaben gerechtfertigt hätte.»13
Die verheerenden Anschläge in New York und Washington passten den Neocons also wunderbar in ihre Strategie. Oder haben sie sogar nachgeholfen? Elektrisierend ist immerhin der Hinweis im oben bereits zitierten Dokument «Rebuilding America’s Defenses» aus dem Jahr 2000, dass es eines «katastrophalen und katalytischen Ereignisses – eines neuen Pearl Harbour» bedürfe, damit die US-Gesellschaft zu der in den Augen der Neocons erforderlichen militärischen Kraftanstrengung bereit sein würde.14 Mit schlafwandlerischer Sicherheit schrieb Präsident Bush am Abend des 11. September 2001 dieselbe Metapher in seinem Tagebuch nieder: «Das Pearl Harbour des 21. Jahrhunderts fand heute statt.»15

Alle Widersprüche der offiziellen Version von 9/11 an dieser Stelle zu behandeln, würde sicherlich den Rahmen des Buches sprengen. Beschränken wir uns auf den einen Punkt, der auch hartgesottene Bush-Freunde in Erklärungsnotstand bringt, nämlich warum an jenem Tag die Flugabwehr der grössten Militärmacht des Planeten so vollständig versagt hat. Dafür hätte eigentlich der zuständige Minister, Neocon Rumsfeld, zur Verantwortung gezogen werden müssen. Der sass am Morgen des 11. September in seinem Büro im Pentagon und wusste nach dem zweifachen Flugzeugeinschlag in das World Trade Center hellseherisch, dass «es ein weiteres Ereignis geben wird». Die Äusserung wurde um 9.25 Uhr protokolliert – 13 Minuten bevor das Pentagon selbst getroffen wurde, und zwar just in dem Gebäudekomplex, der wenige Monate zuvor über Stahlträger und feuerfeste Wandverkleidungen verstärkt worden war.16

Auch Vizepräsident Cheney wird durch eine Aussage schwer belastet. Sie wurde Ende September 2006 von Lauro Chavez in einem Leserbrief an die «Cincinatti Post» gemacht. Chavez war nach eigenen Angaben Angehöriger des United States-Zentralkommmandos CENTCOM und tat in dieser Funktion am 11. September 2001 Dienst auf der Mac Dill Airforce Base. Auch aus amtlichen Quellen wird bestätigt, dass es ausgerechnet an diesem Tag verschiedene Manöver gegeben hat, die von Flugzeugentführungen und Angriffen auf das World Trade Center ausgegangen sind. Dies hat die Flugabwehr verwirrt: Die Abfangjäger stiegen gegen die Todesmaschinen nicht auf, weil sie auch diese für Teilnehmer an den Manövern hielten. Chavez ergänzt diese Fakten durch den Hinweis, Cheney habe das Oberkommando über die Übungen gehabt – und er habe explizit angeordnet, die entführten Maschinen nicht abzuschiessen. Ob dies stimmt und ob es diesen Lauro Chavez wirklich gibt, ist auch unter 9/11-Skeptikern heiss umstritten. Immerhin hat der Publizist Gerhard Wisnewski mit ihm telefoniert, sich eine Radio-Sendung mit ihm angehört und sich von ihm seine Personaldokumente nebst CENTCOM-Entlassungsurkunde mailen lassen. Unstrittig ist jedenfalls, dass Cheney nach dem ersten Flugzeugeinschlag in den unterirdischen Befehlsbunker des Präsidenten gebracht wurde und – Bush selbst war bekanntlich beim Vorlesen in einer Grundschulklasse in Florida – dort den Oberbefehl übernahm. Er selbst gibt an, dass er dreimal den Befehl zum Abschuss der Pentagon-Maschine A77 gegeben habe – klärt aber nicht das Paradox auf, warum dieser Befehl, der doch von ihm als Oberbefehlshaber kam, nicht befolgt wurde und überhaupt dreimal wiederholt werden musste.17

Während die wirkliche Geschichte des 11. September noch geschrieben werden muss, sind die weiteren Abläufe gut belegt. Greiner zeichnet mit Verweis auf jüngste Buchveröffentlichungen von US-Politikwissenschaftern nach, wie sich die «Juntokratie» der Neocons schrittweise durchsetzte: «Die neuen Texte zeigen im Detail, wie Vizepräsident Richard Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seit Mitte September 2001 – wenige Tage nach den Attacken auf New York und Washington D.C. – die traditionell für den aussen- und sicherheits­poli­tischen Entscheidungsprozess zuständigen Gremien, Ämter und Abteilungen ausschalteten und durch handverlesene Ad-hoc-Gruppen ihrer Wahl ersetzten. Noch vor dem Sturz der Taliban in Afghanistan war der Inner Circle um Bush zum Krieg gegen den Irak entschlossen. Allerdings rechnete er zugleich mit erheblichen Zweifeln und Widerständen im nationalen Sicherheitsapparat. Daher die Eile und Skrupellosigkeit. Am Ende hatten buchstäblich alle, die bei der zügigen Vorbereitung des Krieges gegen Saddam Hussein im Weg standen oder der ideologischen Unzuverlässigkeit verdächtig waren, keinen Einfluss mehr auf den Gang der Dinge: weder die für den Nationalen Sicherheitsrat tätigen Experten noch die Chefs der Teilstreitkräfte, weder das Büro der Vereinten Stabschefs noch die CIA, nicht die vierzehn anderen Geheimdienste der Regierung und schon gar nicht das Aussenministerium.»18

Die Machtorgane der Schattenregierung


Zügig haben sich die Neocons nach dem 11. September 2001 ihre eigenen Institutionen geschaffen, eine autonome «Befehlskette» –, wie es im Titel eines Buches von Bestsellerautor Seymor M. Hersh heisst –, parallel zu den offiziellen Institutionen. Dazu gehören:

• Eine Propagandaleitstelle nach dem Vorbild des Wahrheitsministeriums, das George Orwell in «1984» schildert. Zuerst im Herbst 2001 von Verteidigungsminister Rumsfeld und seinem Stellvertreter Wolfowitz als Office of Strategic Influence gegründet, musste es nach heftigen Protesten seinen Namen in Office of Special Plans ändern. Sein Gründungsauftrag war derselbe: «Beweise für das zu finden, was Wolfowitz und […] Rumsfeld für die Wahrheit hielten», wie Hersh gallig schreibt.19 Alle grossen Propagandalügen – Saddams Massenvernichtungswaffen, Saddams Beziehungen zu al-Kaida – wurden in dieser Giftküche produziert, was im Falle der angeblichen Uran-Käufe Saddams in Afrika bis hin zur Fälschung nigerianischer Regierungsdokumente ging. Auch die vermeintlichen Beweise, mit denen Aussenminister Colin Powell Ende Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat die Notwendigkeit eines Angriffs auf Irak begründete, wurden von dieser Stelle zusammengefälscht. Parallel entstand im Weissen Haus das Office of Global Communication mit einer ähnlichen Aufgabenstellung.20

• Ein eigener Geheimdienst, der direkt dem Pentagon unterstellt ist. Am 19. Februar 2002 erliess Verteidigungsminister Rumsfeld die Direktive 5105.67 zur Gründung einer Abteilung Counter Intelligence Field Activity (CIFA) mit insgesamt neun Unterabteilungen.21 Der Haushalt und die Personalstärke von CIFA sind nicht veröffentlich worden. Einem Pentagon-Mitarbeiter zufolge beschäftigt CIFA mindestens tausend Vollzeitkräfte.22 Laut der Direktive ist es Aufgabe der neugeschaffenen Behörde, «Gegenaufklärungsprogramme und -mass­nahmen des Verteidigungsministeriums zu entwickeln und durchzuführen». Der «New York Times» zufolge «schenken Wolfowitz und Konsorten keiner Analyse Glauben, die nicht ihre eigene vorgefasste Meinung stützt. Die CIA ist in dieser Hinsicht feindliches Terrain».23 So wurden die Einwände gegen den Irak-Krieg, die bisweilen aus Langley kamen, überspielt. Ein Ex-Geheimdienstler äusserte gegenüber Hersh, Rumsfeld müsse «die CIA-Analysen diskreditieren, damit seine eigenen Informationen zuverlässiger wirken».24 CIFA rückte ins Rampenlicht, als NBC News im Dezember 2005 ein geheimes 400seitiges Dokument aus dem Verteidigungsministerium zum Überwachungsprogramm TALON zugespielt wurde. TALON richtet sich auch gegen Antikriegsgruppen und andere politische Aktivisten ohne jede Verbindung zu al-Kaida oder anderen Terrorgruppen. Am 19. Dezember 2005 schrieb Walter Pincus in der «Washington Post», die Aufgaben der CIFA erstreckten sich von «Patrouillengängen um Militärstützpunkte und -einrichtungen bis hin zur Überwachung von Personen oder Organisationen in den Vereinigten Staaten, von denen poten­tiell eine Bedrohung ausgeht». Aus den TALON-Dokumenten wird ersichtlich, dass CIFA darüber hinaus aus Datenbanken von Behörden, Wirtschaft und Handel Informationen über Kreditkarten, berufliche Laufbahn und viele andere persönliche Daten von vielleicht Millionen unbescholtener Amerikaner sammelt. Es besteht weithin der Verdacht, dass das berüchtigte Pentagon-Programm TIA (Total Information Awareness) – ein früheres Spionageprogramm der Regierung Bush unter dem aus dem Iran-Contra-Skandal berüchtigten Admiral John Poindexter – , das angeblich eingestellt wurde, zum Teil auf CIFA überging. Luftwaffenoberst a D George Lotz, der von 1998 bis Mai 2005 Verteidigungs-Staatssekretär für Geheimdienstkontrolle war, sagte NBC: «Jemand muss sie beaufsichtigen, damit sie nicht völlig durchdrehen und ohne jeden Sinn und Verstand alles mögliche über amerikanische Bürger berichten.» Jeffrey Steinberg, der das hier skizzierte Programm ausführlicher dargestellt hat, resümiert mit Verweis auf die Antiutopie von Anthony Burgess: «Wenn das alles wie ein ‹Uhrwerk Orange› im Riesenformat aussieht – das ist es auch.»25

• Eigene bewaffnete Streitkräfte ausserhalb der US-Army. Unter der Regierung Bush/Cheney flossen schätzungsweise 150 Milliarden Dollar an private Sicherheitsfirmen.26 Zu diesem «Rising Corporate Military Monster» – so das Internetmagazin Mother Jones27 – gehören Firmen wie Blackwater Security, DynCorp oder MPRI. Mit ihrer Hilfe kann das Pentagon die nach der Iran-Contra-Affäre in den achtziger Jahren strenger gewordenen Genehmigungsbestimmungen für verdeckte Operationen umgehen. Privatsöldner sind – so die offizielle Lesart Washingtons – weder der Jurisdiktion der US-Armee unterstellt noch der im Gastland. Für Straftaten können sie nur belangt werden, wenn die US-Regierung ihre Auslieferung verlangt. Die Konsequenzen dieser stark verminderten Haftung zeigten sich im Irak, wo nach dem Krieg rund 20 000 private Söldner beschäftigt sind. Dabei geht es um Personenschutz, Sicherung von Ölfeldern und von anderem Privatbesitz – und um Spezialaufträge der US-Armee. So arbeiteten im Folter-Gefängnis von Abu Ghraib 37 solcher «Contractors» (im Lager Guantánamo auf Kuba sind es übrigens 30).28 Am 9. Oktober 2004 fand am Middlebury College im Bundesstaat Vermont eine Konferenz zum Thema «Die Privatisierung der nationalen Sicherheit» statt. Die Konferenz wurde u.a. vom «Projekt für Nationale Sicherheit» des ehemaligen Aussenministers George Shultz ausgerichtet. Etwa ein Dutzend Professoren, ehemalige Regierungsmitglieder und Offiziere a. D. diskutierten auf dem Treffen die massive «Auslagerung» militärischer Aufgaben an private Söldnerfirmen. Ein energischer Befürworter dieser Entwicklung ist Peter Feaver, Direktor des «Triangle-Instituts für Sicherheitsstudien» an der Duke-Universität. Er fasste die Stossrichtung der Konferenz so zusammen: «Was wir hier erleben, ist eigentlich eine Rückkehr zum Neofeudalismus. Wenn man daran denkt, wie die Ostindiengesellschaft am Aufstieg des britischen Empire mitwirkte, gibt es Parallelen zum Aufstieg des amerikanischen Quasi-Imperiums.» Feaver wurde im Juni 2005 «Sonderberater für strategische Planungen und institutionelle Reform» im Nationalen Sicherheitsrat (NSC). Er war der Hauptautor der 35seitigen «Nationalen Strategie für einen Sieg im Irak» der Regierung Bush, die das Weisse Haus am 30. November 2005 veröffentlichte.29

• Die Einrichtung einer speziellen Einheit für verdeckte Operationen. Spezialkommandos wie die Greenberets und Delta Force haben in den vergangenen Jahrzehnten schon eine traurige Berühmtheit erreicht, erstere im Vietnam-Krieg, letztere bei der misslungenen Befreiung der US-Geiseln im Iran 1980. Die teils rivalisierenden Gruppen wurden 1997 im Special Operations Command mit dem Hauptquartier auf dem Luftwaffenstützpunkt MacDill in Tampa/Florida zusammengefasst, ihre Mannstärke liegt bei 47 000 Elitesoldaten.30 Was Rumsfeld im September 2002 vorgeschlagen hat, geht darüber hinaus: Die Einrichtung einer Proactive Preemptive Operations Group (P2OG), die – so die Nachrichtenagentur UPI – «Al-Kaida zu Operationen verleiten soll». Die Einheit soll demnach aus mindestens 100 Kämpfern mit einem Jahresbudget von mindestens 100 Millionen Dollar bestehen.31 «Anders als die bisherige Strategie, terroristische Pläne aufzudecken und zu vereiteln, würde […] P2OG […] Operationen der Terroristen stimulieren», schreibt UPI weiter. Webster Griffin Tarpley, Buchautor und Spezialist für inszenierte Anschläge, kommentiert: «Wenn das Ziel darin besteht, die Terroristen zu stimulieren, kann nichts die P2OG davon abhalten, Agenten in bestehende Terrorgruppen einzuschleusen oder eigene Terrorgruppen aufzubauen.»32 Tatsächlich ist auffällig, dass bei den grossen Terroranschlägen in Madrid 2004 und in London 2005 die mutmasslichen Attentäter jeweils Kontakte zu westlichen Geheimdiensten hatten, von ihnen den Sprengstoff und/oder Anweisungen bekamen.33 Vor diesem Hintergrund gefriert einem das Blut in den Adern, wenn US-General Tommy Franks, der Oberkommandierende bei den Angriffen auf Afghanistan und den Irak, im Falle eines neuen grossen Terroranschlages die Ausserkraftsetzung der US-amerikanischen Verfassung vorschlägt. Im November 2003 beschrieb er ein Szenario, welches zur Einführung einer Militärdiktatur führen würde: «Ein zivile Opfer in grosser Menge fordernder terroristischer Anschlag wird irgendwo in der westlichen Welt eintreten – es könnte in den USA sein. Dies wird die Bevölkerung dazu veranlassen, unsere eigene Verfassung in Frage zu stellen und der Militarisierung unserer Gesellschaft zuzustimmen, um ein weiteres solches Ereignis zu verhindern.»34

Die jüngste Entwicklung

Bei den Nachwahlen zum Kongress im November 2006 verloren die Republikaner deutlich. Die Niederlage wurde den Neocons angelastet, und Rumsfeld verlor seinen Posten. Doch vor Optimismus wird gewarnt. Zum einen könnten auch die Demokraten selbst vor dem Hintergrund der immer schlechteren Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten in die Neocon-Kabale einbezogen werden. Hillary Clinton, aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatin für 2008, scheint sich regelrecht darum zu reissen: Sie kritisiert die Bush-Politik im Irak als zu nachgiebig. Zum anderen könnten auch die republikanischen Neocons wieder in die Offensive kommen, in dem sie erneut die israelische Karte spielen. Ein israelischer Angriff auf den Iran würde die USA in den Krieg hineinreissen, egal wer im Kapitol oder im Weissen Haus das Sagen hat.

Website von Jürgen Elsässer

1 z. n. Chalmers Johnson, Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie, München 2003, S. 399
2 z. n. Michael Kleff, Furcht vor schleichendem Rechtsruck, Deutschlandfunk vom 4.9.2006
3 Norman Mailer, «Es droht eine Form von Faschismus», Greenpeace Magazine 2/2003
4 Editorial Desk, Rushing off a Cliff, New York Times vom 28.9.2006
5 George Soros, Die Weltherrschaft der USA – eine Seifenblase, München 2004, S. 47
6 Nancy Chang, How Democracy Dies, z. n. George Soros, a. a. O., S. 46/47
7 Michael Kleff, Furcht vor schleichendem Rechtsruck, Deutschlandfunk vom 4.9.2006
8 Welt.de/AFP, Agenten führen Mädchen aus Schulunterricht ab, Welt vom 14.10.2006
9 George Soros, Die Vorherrschaft der USA – eine Seifenblase, München 2004, S. 11
10 vgl. Michel Chossudovsky, Geostrategische Erfolge der USA, in: Ronald Thoden (Hg.), Terror und Staat, Berlin 2004, S. 295ff.
11 z. n. Michel Chossudovsky, a. a. O.
12 z. n. Bernd Greiner, Dunkelmänner als Illuminati, Fünf Jahre nach «9/11»: Wie konnte der Regierungsapparat der amerikanischen Demokratie zur Beute von Glaubenskriegern werden?, literaturen 07-08/2006
13 George Soros, a. a. O., S. 21
14 z. n. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 305
15 Dan Balz / Bob Woodward, America’s Chaotic Road to War, Washington Post vom 27.2.2002
16 Zitat und Angaben nach Mathias Bröckers/Andreas Hauss. Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9., Frankfurt 2003, S. 163 und S. 180
17 Gerhard Wisnewski, Ex-CENTCOM-Militär packt aus: 9/11 was an inside job!, 27.09.2006, (www.gerhard-wisnewski.de/modules.php?name=News&file=article&sid=287)
18 Bernd Greiner, a. a. O.
19 Seymour Hersh, Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib, Reinbek 2004, S. 237
20 vgl. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 413 ff.
21 Jeffrey Steinberg, Die Privatisierung der Nationalen Sicherheit, Neue Solidarität 14/2006; vgl. auch Walter Pincus, CIA, Pentagon Seek to Avoid Overlap, Washington Post vom 4.7.2005
22 vgl. Jeffrey Steinberg, a. a. O.
23 Eric Schmitt und Thom Shanker, New York Times vom 24.10.2002, z. n. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 176
24 Seymor M. Hersh, a. a. O., S. 239
25 Jeffrey Steinberg, a. a. O.
26 Jeffrey Steinberg, a. a. O.
27 Russell Mokhiber / Robert Weissman, The Rising Corporate Military Monster, in: Commondreams vom 23.4.2004 (www.commondreams.org)
28 A.R., Heikles «Outsourcing», in: Neue Zürcher Zeitung vom 11.5.2004
29 vgl. Jeffrey Steinberg, a. a. O.
30 vgl. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 178
31 z. n. Webster Griffin Tarpley, 9/11 Synthetic Terror – Made in USA, California 2005, S. 107
32 Webster Griffin Tarpley, a. a. O., S. 107
33 vgl. Jürgen Elsässer, Comment le Djihad est arrivé en Europe, Vevey 2005
34 z. n. Michel Chossudovsky, The Criminalization of the State, 23.11.2003 (http://globalresearch.ca/articles/EDW311A.html)


Notiz:
Lesungen/Veranstaltungen:


3. April 2007, Würzburg, 20.15 Uhr Buchladen Neuer Weg

9. Mai 2007, Berlin, 18.30 Uhr Volkssolidarität-Begegnungsstätte, Torstraße 203

19. Juni 2007, Dienstag, Osnabrück: 19.00 Uhr, Universität

21 März 2007

Maismenschen Königin - Wie Margaret Thatcher Kriegstreiberin

Aufstieg und Untergang der Maya-Kultur

Im 8. Jahrhundert nach Christus herrscht Aufruhr im Lande der Maya. Plündernde Banden, selbsternannte Kriegsherren, grausame Kämpfer, zerstören die einst blühenden Städte der Gottkönige. Eingeleitet hat den Kollaps der uralten Hochkultur eine machtgierige Königin.

Über zwölf Jahrhunderte lagen die Pyramiden und Paläste der Maya unter der dichten Pflanzendecke des tropischen Regenwaldes begraben. Inzwischen sind viele der architektonischen Meisterwerke freigelegt. Sie offenbaren eine großartige Kultur mit Schrift, Mathematik und Malerei. Nikolai Grube von der Universität Bonn will das Rätsel um den Untergang der Maya lösen. Das Maya-Reich wurde eigentlich von Männern regiert. Wie konnte in Naranjo eine Frau an die Macht kommen? Hier in den Ruinen von Naranjo, einem Stadtstadt, könnte der Schlüssel liegen.

Eine Frau und zwei Großmächte

Die Geschichte der Maya ist die Geschichte eines andauernden Konflikts zweier Großmächte: Tikal im Süden und Calakmul im Norden. In Naranjo herrschte am Ende des 7. Jahrhunderts die Königin "Sechs Himmel". Antworten auf einer alten Grabsäule: Ihr Vater, ein Vasall Calakmuls, schickte seine Tochter nach Naranjo, um die Stadt fester in das Bündnis gegen Tikal zu binden. Gleich nach ihrer Ankunft opferte sie den Göttern Blut aus ihrer Zunge. Ihre Blut-Seele verschmolz mit dem Geist des Kosmos und machte sie so zur neuen Herrscherin.

Frau Sechs Himmel wurde zur Herrin von Naranjo, zur treuen Verbündeten Calakmuls und damit zur erbitterten Feindin des Nachbarn Tikal. "Für mich ist Frau Sechs Himmel eine der beeindruckendsten Frauengestalten der Maya-Geschichte", meint Nikolai Grube. "Sie ist die einzige Frau, die wirklich über lange Zeit als Königin auftritt und sich in dieser männerdominierten Welt auch politisch zu bewähren weiß.

Zu Beginn ihrer Regierungszeit sorgte das Gleichgewicht der beiden Supermächte für Frieden im Land der Maya. Die Gottkönige befanden sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht: Die Künste gediehen, die Dörfer blühten, die Bevölkerungszahl wuchs auf über zehn Millionen Menschen.
Der Mais war das Hauptnahrungsmittel der Maya. Maya das heißt Maismenschen. Glaubt man ihren Schöpfungsmythen, dann formten die Götter den ersten Menschen aus Maismehl. Ihr höchster Gott war der Maisgott. Der Maisgott wurde jedes Jahr erneut geboren.



Im Mai, am Ende der Trockenzeit befreite Chaak, der Gott des Regens, den gefangenen Maisgott. Mit Regen, Blitz und Donner öffnete Chaak die Tore zur Unterwelt. Mit seiner Hilfe bewies die Herrin von Naranjo ihrem Volk, dass sie mit den Göttern im Bunde war. Sie garantierte die Fruchtbarkeit der Äcker.

... zerstört von Frau "Sechs Himmel"

Im Jahr 693 aber begann die Herrscherin "Sechs Himmel" das Maya-Tiefland mit einer beispiellosen Serie von Kriegen zu überziehen. Von nun an hieß sie die Krieger-Königin. Der Anfang vom Ende der Maya hat ein konkretes Datum: Es ist der 29. Januar 695: Die Krieger-Königin lässt einen Adligen aus Tikal entführen. Für Tikals Gottkönig Jasaw eine demütigende Attacke - durchgeführt von einer Frau - eine Kriegserklärung.



Er rüstete zum Gegenschlag, aber nicht gegen die Maya-Königin, sondern gegen ihren mächtigen Schutzpatron, den Drahtzieher, den alten Erzrivalen aus Calakmul.

Nur sieben Monate nach der Attacke stürzte Tikal den Gottkönig von Calakmul in einem kurzen und heftigen Krieg. Jetzt war Tikal die mächtigste Stadt im Maya-Reich. Nikolai Grube: "Als dieses Gleichgewicht des Schreckens, wie ich das mal mit modernen Worten skizzieren will, auseinander brach, im Jahr 695 nach Christus, als Tikal zu mächtig wurde und Calakmul eroberte, gelang es Tikal aber nicht, die nun freiwerdenden und eroberten Gebiete wirklich zu integrieren und zu regieren."

Im gesamten Maya-Reich erhoben sich nun die Herren kleiner Stadtstaaten. Provinzfürsten und gut organisierte Krieger versuchten das Machtvakuum zu füllen. Von nun an herrschte Chaos. Das war das Erbe der Maya-Königin!

Soziale und ökologische Katastrophe

Parallel geriet auch das ökologische Gleichgewicht im Reich aus den Fugen. Um Ackerflächen zu schaffen, waren immer größere Flächen des Regenwaldes gerodet und abgebrannt worden, in immer kürzeren Abständen. Die Böden konnten sich nicht mehr erholen. Und dann veränderte sich im folgenden 8. Jahrhundert auch noch das Klima: Dürre breitete sich aus. Chaak der Regengott verweigerte sich den Menschen. Die letzten Herrscher der Maya verloren ihre Glaubwürdigkeit beim Volk.

Als die Krieger-Königin Sechs Himmel 741 starb, hinterließ sie ein zerfallendes Reich, dessen Untergang sie selbst eingeleitet hatte. Nichts konnte den Fall der Maya mehr aufhalten.

Noch mehr Privatisierungen?

Was wir von Kohl noch alles zu erwarten haben - und wie wir es verhindern können

»Diese neue Regierung ist notwendig geworden, weil sich die alte, die bisherige Regierung als unfähig erwies, gemeinsam die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, das Netz sozialer Sicherheit zu gewährleisten und die zerrütteten Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen.« So begründete Dr. Helmut Kohl, nachdem er durch den Wortbruch der F.D.P Kanzler geworden war, die damalige »Wende« Mehr als ein Jahrzehnt später ist die Massenarbeitslosigkeit zur Dauerplage geworden, die sich immer weiter ausbreitet. In das Netz sozialer Sicherheit hat die Regierung des Großen Geldes ein Loch nach dem anderen gerissen, so daß mehr und mehr Menschen hindurchfallen. Und die Staatsfinanzen sind so zerrüttet, daß noch Generationen zu schuften haben werden, um den gigantischen Schuldenberg abzutragen.

Daß eine neue Regierung notwendig geworden ist, wird jetzt auch in Kreisen der Wirtschaft erörtert - und zwar im Zusammenhang mit den Folgen der Rezession, die 1992/93 viele mittelständische Unternehmen in rote Zahlen oder ganz in den Ruin gestürzt hat.

Die Krise gehört zum Kapitalismus wie die Konjunktur.

Beide lösen sich regelmäßig ab. In der Rezession macht das Große Geld jedesmal reiche Beute; denn was die kleinen und mittleren Unternehmer aufgeben müssen, krallen sich die großen. Die jeweilige Regierung ist an der Tatsache zyklischer Krisen unschuldig. Insofern müssen wir ausdrücklich auch die Regierung des Dr. Helmut Kohl in Schutz nehmen. Doch damit sich der Zorn des Mittelstandes nicht etwa gegen das Große Geld richtet, muß in Krisenzeiten die jeweilige Regierung als Sündenbock herhalten. Daher droht Kohl jetzt auch Gefahr aus den Kreisen, denen er immer treu gedient hat. In der ersten schweren Wirtschaftskrise der Bundesrepublik 1965/66 mußte der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard abtreten, in der sogenannten »Ölkrise« 1972/73 Willy Brandt, für die Krise 1981/82 wurde Helmut Schmidt verantwortlich gemacht. Ist jetzt, infolge der vierten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik, Helmut Kohl an der Reihe? Notfalls werden seine Auftraggeber ihn fallenlassen. Aber nicht deswegen, weil sie mit seiner Politik nicht mehr einverstanden wären - im Gegenteil: Für sie ist die Hauptsache, daß Kohls Politik weitergeführt wird, notfalls auch ohne Kohl. Die Opfer dieser Politik hingegen hätten davon nur weiteren Schaden. In ihrem Interesse kommt es also hauptsächlich darauf an, daß in Bonn endlich eine grundlegend andere Politik eingeleitet wird: eine Politik, die auf soziale Gerechtigkeit orientiert ist, auf mehr Demokratie, auf Schutz der Menschenrechte und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

Mit einem bloßen Austausch des Personals in Bonn ist es nicht getan. Er ist ohnehin längst im Gange. Immer schneller dreht sich das Personalkarussell. Insgesamt 20 Minister sind seit 1982 aus den von Helmut Kohl geführten Bundeskabinetten vorzeitig ausgeschieden. Anfangs geschah das selten, inzwischen immer häufiger. 1992 traten vier Minister zurück, 1993 fünf, darunter Jürgen Möllemann (F.D.P) nach seiner Briefbogenaffäre und Günther Krause (CDU) nach seinen diversen Autobahnbau-, Raststättenkonzessions-, Umzugs- und Putzfrauenaffären.

Auch in den unionsgeführten Länderregierungen - in Westdeutschland sind es noch zwei, in Ostdeutschland (Berlin eingeschlossen) fünf - bröckelt es. Bayerns Ministerpräsident Max Streibl (CSU) stolperte über die Amigo-Affäre. In Baden-Württemberg mußte Lothar Späth unter dem Verdacht der Bestechlichkeit abtreten, und sein Nachfolger mußte, weil die F.D.P bei der Landtagswahl durchfiel, mit der SPD koalieren. Späth wurde dann zum Trost ähnlich wie sein abgewählter niedersächsischer Amtskollege Ernst Albrecht von der Treuhandanstalt mit dem Aufsichtsratsvorsitz eines früher volkseigenen Unternehmens betraut. In Sachsen konnte sich der Schwiegersohn von Konsul Dr. Fritz Ries, Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, als Ministerpräsident fest etablieren. Aber in Thüringen, Mecklenburg- Vorpommern und Sachsen-Anhalt sah sich die CDU schon nach kurzer Zeit zur Auswechslung der von ihr gestellten Regierungschefs gezwungen, in Sachsen-Anhalt inzwischen sogar zweimal. Beim zweiten Male mußte gleich das ganze Kabinett umgebildet werden. Mehrere westdeutsche CDUund F.D.P-Politiker, die in Magdeburg als Minister eingesetzt worden waren, um die »Ossis« fachmännisch in demokratische Rechtsstaatlichkeit einzuüben, hatten zusätzlich zu ihren offiziellen Amtsbezügen »Besitzstandswahrung« beansprucht und zu diesem Zweck unter anderem frühere Eisenbahnfreikarten, Tagegelder, Aufsichtsratstantiemen, Vortragshonorare, steuerfreie Kostenpauschalen oder den Geldwert der Gratisbenutzung eines Dienstwagens anrechnen lassen. So hatte sich zum Beispiel der frühere Fachhochschullehrer und Europaparlamentarier Werner Münch aus dem niedersächsischen Vechta zum Spitzenverdiener hochgerechnet - so dreist, daß er sich, als der Landesrechnungshof nachzurechnen begann, nicht mehr im Amt halten konnte.

Eine Schlüsselrolle in der Zulagen-Affäre spielte der Staatssekretär im Magdeburger Finanzministerium, Eberhard Schmiege, den Münch dort eingesetzt hatte. Bis 1990 hatte Schmiege unter Ministerin Birgit Breuel die Haushaltsabteilung des niedersächsischen Finanzministeriums geleitet. Kaum waren diverse Minister ausgewechselt - abtreten mußte zum Beispiel Sozialminister Werner Schreiber, Bundesvorsitzender der CDU-Sozialausschüsse, der an sich selbst besonders sozial gedacht hatte -, da stellte sich heraus, daß auch Schmiege und die anderen dreizehn Staatssekretäre stattliche »Amtszulagen« kassiert hatten.

Solche Affären ließen sich propagandistisch allzu schlecht mit Bescheidenheits-, Spar-, Opfer- und Solidaritätsappellen der »Wende«-Koalition an die Bevölkerung vereinbaren. Auch arglose, gutgläubige bisherige CDU-Wählerinnen und -Wähler schärften inzwischen ihr Gehör für die zynischen Untertöne in Kohl-Reden. Beispiel: die Rede des Kanzlers am 21. Oktober 1993 im Bundestag, die nur als Verhöhnung der Opfer seiner Politik, der nunmehr (ohne statistische Tricks gerechneten) mehr als fünf Millionen Arbeitslosen, verstanden werden konnte. »Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, daß wir unser Land als einen kollektiven Freizeitpark organisieren «, tönte Dr. Kohl. Zugleich propagierte der Chef der »Wende«-Koalition die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche und die Abschaffung von zwei Feiertagen. Beides zusammengenommen würde die Arbeitslosenzahl in Deutschland nochmals um nahezu eine Million hochschnellen lassen.

Der Eiserne Kanzler des Großen Geldes hat zur Genüge gezeigt, wie man einen Staat ruiniert. Er ist reif zur Ablösung, die aber schwerlich gelingen kann, wenn viele Wählerinnen und Wähler verbittert zu Hause bleiben, und besonders gefährlich würde es, wenn sie ihr Heil rechtsaußen suchen würden. Notwendig ist jetzt eine selbstbewußte Antwort des betrogenen Volkes.

Um es zu einem solchen demokratischen Urteil nicht kommen zu lassen, versuchen die Bonner Regierenden und ihre Hintermänner mit Hilfe ihres Propaganda-Apparats, die Wählerinnen und Wähler irrezuführen und einzuschüchtern. Experten dafür sind der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Schäuble, Innenminister Manfred Kanther, Finanzminister Theo Waigel und ihre Verbündeten in der Springer-Presse. Nach der Methode »Haltet den Dieb!« wollen sie Angst und Zorn, die sich in der Bevölkerung angestaut haben, ausgerechnet auf diejenigen Menschen lenken, die schon ganz unten gelandet sind, auf die Opfer, denen es am schlechtesten geht, auf die Sozialhilfeempfänger, die pauschal verdächtigt werden, Sozialleistungen zu mißbrauchen, auf die mit ihrer dürftigen Habe in Häusernischen kampierenden Obdachlosen, denen vorgeworfen wird, sie störten das Stadtbild, auf Ausgegrenzte, die im Alkohol letzte Zuflucht suchen, oder auf Ausländer. Beispiel: die generalstabsmäßig geplante Kampagne des zeitweiligen CDU-Generalsekretärs (jetzt Bundesverteidigungsministers) Volker Rühe gegen das Asylrecht.

Als die sozialen Folgen der hastigen DDR-Vereinnahmung spürbar wurden, luden die CDU/CSU und die publizistischen Wegbereiter ihrer Politik, zu denen an erster Stelle der Springer- Konzern gehört, den Asylbewerbern die Schuld auf. Wohnraum wurde knapp - am wenigsten durch Asylbewerber, weit mehr durch Aussiedler und Übersiedler, die jetzt nicht mehr Übersiedler genannt und überhaupt nicht mehr registriert werden (aber es sind immer noch jährlich Hunderttausende), am meisten aber durch die katastrophale Bonner Wohnungspolitik, die immer mehr Wohnraum von unten nach oben umverteilt. Dieses soziale Problem wurde nun ins Nationalistische gedreht. Springers BILD-Zeitung beteiligte sich daran mit Schlagzeilen wie »Miethai kündigt Deutschen für Asylanten«. Man bedenke, daß BILD gewöhnlich nicht dazu neigt, Hausbesitzer als Miethaie zu bezeichnen. In diesem Zusammenhang aber geschah es als Mittel zum Zweck: die Leserinnen und Leser zu ängstigen, eine Verdrängung durch Flüchtlinge als akute Bedrohung vorzuspiegeln und auf solche Weise Aggressionen anzustacheln.

Im Sommer und Herbst 1991 brachte dieses Blatt (gedruckte Auflage: etwa fünf Millionen Exemplare) eine Serie über »Die Asylanten«. Dort war beispielsweise zu lesen: »Stellen Sie sich diesen Fall vor: Ein Mann klingelt bei Ihnen, möchte hereinkommen. Der Mann sagt, daß er mächtige Feinde habe, die ihm ans Leben wollen. Sie gewähren ihm Unterschlupf. Doch schnell stellen Sie fest: Der Mann wurde gar nicht verfolgt, er wollte nur in Ihrem Haus leben. Und: Er benimmt sich sehr, sehr schlecht. Schlägt Ihre Kinder. Stiehlt Ihr Geld. Putzt sich seine Schuhe an Ihren Gardinen. Sie würden ihn gerne los. Sie werden ihn aber nicht los. Deutsche Asyl-Wirklichkeit 1991.« Parallel zur BILD-Serie, mit gleicher Stoßrichtung setzte Rühe seine Kampagne in Gang. Er schrieb an alle Untergliederungen der CDU: »Ich bitte Sie, in den Kreisverbänden, in den Gemeinde- und Stadträten, den Kreistagen und Länderparlamenten die Asylpolitik zum Thema zu machen und die SPD dort herauszufordern.« Rühe lieferte mit diesem Rundschreiben Argumentationsleitfaden, Vorlagen für Anträge und Anfragen in Kommunal- und sonstigen Parlamenten sowie eine Muster-Presseerklärung. Zum Beispiel sollte landauf, landab gefragt werden, ob Asylbewerber etwa in Hotels untergebracht seien, was das kosten könne und ob Ausländer womöglich zuviel staatliche Unterstützung in Anspruch nähmen und so weiter.

Der SPD-Vorstand prangerte diese Kampagne in einer überzeugenden Broschüre an. Unter der Überschrift »Grundrecht auf Asyl. Das anständige Deutschland zeigt Flagge« hieß es am Schluß der Broschüre: »Einer Änderung des Grundgesetzes stimmt die SPD nicht zu. « Doch nach einigen Monaten gab der Parteivorstand der Sozialdemokraten der Kampagne nach. Die Broschüre wurde nicht weiterverbreitet. Ein Teil der SPD-Fraktion im Bundestag stimmte der Grundgesetzänderung zu und verhalf ihr damit zur Zweidrittelmehrheit. Die Kampagne hatte noch einen zweiten Effekt, den der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Eckart Werthebach, folgendermaßen beschreibt: »Hier wurde ein Acker bestellt, auf dem der Rechtsextremismus seine fremdenfeindliche Ernte noch auf geraume Zeit einfahren wird« (»Die Welt«, 30. November 1993). Das ist offenkundig: Die Propaganda für die Aushebelung von Grund- und Menschenrechten ermunterte Neonazis zur Gewalt. Nach Angaben des Vorsitzenden der Vereinigung »Gegen Vergessen - für Demokratie«, Hans Jochen Vogel, kamen innerhalb von gut zwei Jahren bis Herbst 1993 durch 4761 rechtsextremistische Gewalttaten in Deutschland 26 Menschen ums Leben und 1783 wurden verletzt. 1281mal wurden Anschläge auf Asylbewerber-Wohnungen verübt, 209mal auf jüdische Einrichtungen, 13mal wurden KZGedenkstätten geschändet (»Die Zeit«, 5. November 1993).

Den Kanzler der »geistig-moralischen Erneuerung« kümmerte das wenig. Neonazi-Aufmärsche wie in Rostock und Fulda, auch die Ermordung türkischer Frauen und Kinder in Mölln und Solingen durch neonazistische Brandstifter tat er ab, als wären sie kaum der Erwähnung wert. Von den Orten der Untaten hielt er sich fern, und er vermied es auch, an den Trauerfeiern teilzunehmen, was er durch seinen Regierungssprecher damit begründen ließ, daß er »Beileidstourismus« ablehne. (Bei Trauerfeiern für ermordete Industriemanager hatte er nie gefehlt, auch nicht bei der Trauerfeier für einen in Kambodscha ermordeten Bundeswehr-Feldwebel, und der pathetische Staatsakt, zu dem er den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan vor den Gräbern von SS-Männern auf dem Friedhof von Bitburg nötigte, erregte Aufsehen in aller Welt.)

Systematisch bemühte sich die Bundesregierung, den Rechtsextremismus herunterzuspielen. So verbreitete das Bundesinnenministerium eine Studie unter dem Titel »Hat Rechtsextremismus in Deutschland eine Chance?« Sie kam zu dem Ergebnis, »daß Rechtsextremismus in Deutschland bedeutungslos ist«. Seine Bedeutung, so hieß es dort, »scheint nur in den Vorstellungen seiner Gegner zu liegen«. Das »rechtsextremistische Schreckbild« diene den Antifaschisten als Mittel zur Destabilisierung der Demokratie, erfuhr man aus der Bonner Publikation. Zu einem Zeitpunkt, als die Blutspur des braunen Terrors gegen Flüchtlinge, aber auch gegen Behinderte und andere Minderheiten längst nicht mehr zu übersehen war, suggerierte die Studie (Verfasser: Prof. Dr. H. H. Knütter), der Rechtsextremismus sei kaum mehr als eine bloße Behauptung der Antifaschisten, die eigentliche Gefahr liege im Antifaschismus. Ähnlich leugnete Generalbundesanwalt Alexander von Stahl (F.D.P), bevor er über einen Wust von Widersprüchen bei der Verfolgung mutmaßlicher RAF-Terroristen stolperte, beharrlich jeden organisierten Terror von rechts und unterließ deswegen auch dessen Bekämpfung, obwohl in Neonazi-Gruppen längst steckbriefartige Dossiers über Gewerkschafter, Grüne, Jungsozialisten und andere Antifaschisten kursierten. Den Kanzler selbst, der seinen Aufstieg den einstigen Nazis Dr. Ries, Dr. Schleyer und Dr. Taubert verdankt, interessiert die Bedrohung von rechts überhaupt nicht. Vor Herausforderungen, sich ernsthaft mit der Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen, schützt er sich mit der »Gnade der späten Geburt«. Den Opfern des von seinen Mentoren mitbetriebenen staatlichen Terrors versagt er ehrendes und mahnendes Gedenken, indem er sie - wie bei der Neugestaltung der »Alten Wache« unter den Linden in Berlin - einfach unter die »Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« subsumiert. Zu solchem Gedenken können dann auch die Traditionsverbände von SS und Ritterkreuz-Orden aufmarschieren.

Zu den »Republikanern« des ehemaligen Waffen-SS-Mannes Franz Schönhuber, zur Deutschen Volks-Union (DVU) des schwerreichen Münchener Verlegers (»Deutsche National-Zeitung«) und Immobilienspekulanten Dr. Gerhard Frey und zu anderen Rechtsaußen-Gruppen haben CDU und CSU manche untergründigen Beziehungen. Gelegentlich deckt Frey sie nach dem Tode von Verbindungsmännern auf, denen er dann stolze Nachrufe widmet wie dem einstigen bayerischen Kultusminister und Verfassungsrechtslehrer Prof. Dr. Theodor Maunz (CSU) oder dem ehemaligen Geheimdienst-Chef Reinhard Gehlen. In eigens gegründeten Akademien, Foren oder in Zeitschriften wie »Mut« kommunizieren CDU/CSU-Rechte und Ultrarechte miteinander. Wer mit wem gemeinsame Sache macht und gegen wen, ist da längst keine Frage mehr.

Michael Glos, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe in Bonn, sagt es so: »Die linksradikale PDS und die Grünen sind eine größere Gefahr für unser Land als die Republikaner und die Rechten.«

Ein Neonazi-Führer wie der Hamburger Christian Worch macht sich solche Ermunterungen sofort zunutze und leistet seinerseits Unterstützung. In einem Aufruf für den sächsischen Justizminister Steffen Heitmann (CDU), den Kohl für das Amt des Bundespräsidenten nominiert hatte, schrieb Worch: »Wer will uns wegen unserer strikten Einstellung zum Ausländerund vor allem Asylantenproblem noch als >Verfassungsfeinde< und >extremistische Minderheit< disqualifizieren, wenn zumindest Ansätze unserer Vorstellungen selbst vom ersten Mann im Staate öffentlich verbreitet werden?«

Wenn CDU/CSU-Politiker den »starken Staat« propagieren, also den Abbau von Bürgerrechten (zum Beispiel durch die Ermächtigung des Staates zur Verwanzung von Privaträumen, die nicht dadurch harmloser wird, daß ihr jetzt auch Sozialdemokraten zustimmen), und wenn der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Schäuble, vor Weihnachten 1993 sogar vorschlägt, bei einer »größeren Sicherheitsbedrohung im Innern« die Bundeswehr einzusetzen (es gehe darum, durch eine entsprechende Grundgesetzänderung »das Haus wetterfest zu machen«, erläuterte Schäuble), wenn schließlich der Kanzler und sein jetziger Bundesverteidigungsminister Volker Rühe immer offener für die Beteiligung deutscher Truppen an Militäraktionen eintreten, die mit dem Verfassungsauftrag der Bundeswehr zur Landesverteidigung nichts zu tun haben, dann ist das alles ganz im Sinne der Ultrarechten.

Frühere Bonner Bekenntnisse zur Friedensstaatlichkeit sind immer leiser geworden. Das Rüstungsgeschäft hat sich unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl kräftig weiterentwickelt und ist auch nach dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes, die bis dahin als einzige Bedrohung der Bundesrepublik und als alleinige regierungsamtliche Begründung für Bundeswehr und Rüstungsausgaben gegolten hatten, nicht zum Erliegen gekommen. Daimler-Benz gehört zwar nicht mehr zum Flick-Konzern, aber auch jetzt, unter der Regie der Deutschen Bank, dringt dieses Unternehmen weiterhin auf Bonner Milliarden für Projekte wie den »Jäger 90«, inzwischen umbenannt in »Eurofighter 2000«. Deutsche Waffen im Werte von mehreren Milliarden Mark werden seit Jahren zum Beispiel an die Türkei und an Indonesien geliefert, wo das Militär sie zur blutigen Unterdrückung und Ausrottung nationaler Minderheiten verwendet.

Laut UN-Waffenregister geht weltweit der Waffenhandel seit einigen Jahren zurück, die deutschen Waffenexporte dagegen nehmen zu. In dieser Branche ist Deutschland an die zweite Stelle nach den USA aufgerückt. Beim Export von Waffensystemen zur Landkriegführung (großkalibrige Artillerie, Panzer und gepanzerte Kampffahrzeuge) führt Deutschland in Stückzahlen etwa ebenso viel aus wie Rußland, Frankreich, Großbritannien und China zusammengenommen. Bei Raketen und Raketenwerfern nimmt es bereits die Spitzenstellung ein.

Mit 18 Milliarden Mark beteiligte sich die - auf sozialem Gebiet so sparsame - Bundesregierung am Golf-Krieg, mit dem der zeitweilige US-Präsident George Bush eine »neue Weltordnung « herbeiführen wollte. Sie äußerte bei dieser Gelegenheit ihr Bedauern darüber, daß das Grundgesetz sie hindere, sich auch mit Bundeswehreinheiten zu beteiligen. Diese Bedenken wurden dann bald aufgegeben. Inzwischen setzte die Bundesregierung wiederholt deutsche Militärverbände außerhalb des NATO-Gebietes ein, wobei sie sich immer weiter vom grundgesetzlichen Auftrag der Bundeswehr entfernte. Die Expedition von 1500 Bundeswehrsoldaten nach Somalia hatte mit Landesverteidigung nicht das geringste zu tun.

Zweck war angeblich die Versorgung indischer UN-Truppen, die jedoch nie in Somalia auftauchten. Einige Wochen vor der Expedition hatte Minister Rühe noch versichert, vor einem solchen Bundeswehreinsatz werde selbstverständlich die Zustimmung des Bundestages eingeholt. Aber dann wartete die Bundesregierung ab, bis der Bundestag in die Weihnachtsferien 1992193 gegangen war. Das Parlament erhielt keine Gelegenheit, über diesen ersten Auslandseinsatz einer geschlossenen Einheit seit Gründung der Bundeswehr auch nur zu diskutieren. Nicht einmal der Auswärtige Ausschuß wurde unterrichtet. Die Kosten des Einsatzes summierten sich innerhalb eines Jahres auf rund 300 Millionen Mark, wofür, wie die Stellvertretende SPD-Vorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul vorrechnete, in Deutschland jeden Tag eine Kindertagesstätte hätte gebaut werden können.

Bei den europäischen Nachbarn und langjährigen Verbündeten der Bundesrepublik wächst unüberhörbar das Mißtrauen gegenüber dem von Kohl regierten Deutschland, das sich ehrgeizig reckt, um neben den USA zweiter oder gar erster Weltpolizist zu werden. Wenn der griechische Vize-Außenminister Theodoros Pangalos, 1994 Vorsitzender des Ministerrats der Europäischen Union, Deutschland »einen Riesen mit bestialischer Kraft und dem Hirn eines Kindes« nennt, dann ist das nicht als Beleidigung des deutschen Volkes gemeint, wohl aber als Charakterisierung der gegenwärtigen Bonner Politik. Wesentlichen Anlaß zu solchem Mißtrauen gab das Vorpreschen der Bundesregierung bei der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens als eigenständige Staaten, womit Jugoslawien zerschlagen und ein furchtbarer Konflikt zwischen den vermischt lebenden Völkern angefacht wurde. Waffenschmieden wie die Gewehrfabrik Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar profitieren jetzt - direkt oder indirekt - von dem Krieg aller gegen alle im ehemaligen Jugoslawien.

Griechenland mußte als besondere Provokation die Anerkennung des eigenständigen Staates »Mazedonien« verstehen, denn die Masse der Mazedonier wohnt in Griechenland. Auf ausländische Äußerungen des Mißtrauens pflegt Kohl patzig mit der Bemerkung zu reagieren, daß sich dahinter »Neid« verberge.

Und wenn er an den von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg erinnert wird, verbittet er sich jeden Vergleich mit dem heutigen, von ihm regierten Deutschland. Aber niemand anderes als die Bundesregierung ist dafürverantwortlich, daß in der Bundeswehr Nazi-Traditionen wachgehalten werden, daß zum Beispiel die »Dietl-Kaserne« in Füssen nach jenem Generaloberst benannt ist, von dem Hitler sagte: »Dietl hat den Typ des nationalsozialistischen Offiziers geschaffen, eines Offiziers, der nicht weichlich ist im Verlangen und Fordern, nicht schwächlich im Einsatz der Menschen, sondern der genau weiß, daß für diesen Kampf kein Opfer zu groß oder zu teuer ist.«

Weil nach dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes von einer militärischen Bedrohung des deutschen Territoriums keine Rede mehr sein konnte, entstand im Januar 1992 ein Positionspapier des Bundesverteidigungsministeriums unter dem Titel »Militärpolitische und militärstrategische Grundlagen und konzeptionelle Grundrichtung der Neugestaltung der Bundeswehr«. Darin ist zu lesen, »unter Zugrundelegung eines weiten Sicherheitsbegriffs« könnten »die Sicherheitsinteressen für den Zweck dieser militärpolitischen Lagebeurteilung « unter anderem wie folgt definiert werden: »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zuganges zu strategischen Rohstoffen«. Von derartigen Aufgaben der Bundeswehr steht im Grundgesetz kein Wort.

Mit dem Streben nach einer Weltpolizisten-Rolle verbindet sich auch der dringende Wunsch nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Bei Gründung der UN 1945 hatten deren Mitglieder den fünf Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkrieges das Privileg zugesprochen, ständig im Sicherheitsrat vertreten zu sein, dessen zehn andere Mitglieder wechselweise gewählt werden. Damit wurde vor allem die Verantwortung dieser fünf Staaten anerkannt, eine stabile Nachkriegsordnung zu schaffen und ein Wiederaufleben des deutschen Militarismus zu verhindern.

Es mag jetzt Gründe geben, dieses Privileg abzuschaffen. Das könnte der Demokratisierung der Vereinten Nationen dienen. Den gegenteiligen Effekt aber hätte es, wenn, wie Dr. Kohl wünscht, der UN-Sicherheits- rat zu einer Art Weltregierung der wirtschaftlich Mächtigsten gemacht würde.

Längst ist Deutschland Exportweltmeister. Je Beschäftigten ist die Exportleistung dreimal so hoch wie in den USA oder in Japan. Doch das genügt Kohl und seinen Hintermännern noch nicht. Darum bestehen sie darauf, daß die Sozialpolitik dem angeblichen Erfordernis, Deutschlands Position in der Weltwirtschaft zu stärken, untergeordnet werden müsse.

Was hilft es der eingangs erwähnten arbeitslos gewordenen alleinerziehenden Mutter Katrin Krause in Halle an der Saale und ihrem Kind, wenn sich die Regierung des Dr. Helmut Kohl imstande zeigt, trotz gegenteiliger Verfassungsgebote ein Bundeswehr- Bataillon in Ostafrika zu stationieren? Was würde es dem unter Druck großer Konzerne geratenen mittelständischen Unternehmen in Limburg an der Lahn, wo Katrin Krauses Vetter Norbert um seinen Arbeitsplatz zu fürchten beginnt, nützen, wenn es Kohl und seinem Außenminister, dem früheren Geheimdienstchef Klaus Kinkel (F.D.P) gelänge, einen ständigen Sitz im UN-Weltsicherheitsrat zu erlangen? Die unsoziale Auspowerung der eigenen Bevölkerung, angeblich notwendig zur »Standortsicherung«, kann früher oder später genau das Gegenteil bewirken. Die Wirtschaft kann mit den Mitteln, die sie stärken sollen, ruiniert werden. Die Untauglichkeit der von Kohl, Lambsdorff, Rexrodt, Waigel und Blüm angewendeten Mittel ist in den USA durch Reagan und Bush und in Großbritannien durch den Thatcherismus längst erwiesen.

Wenn immer mehr Menschen arbeitslos sind, weil sie für die Warenproduktion nicht mehr gebraucht werden, wenn zugleich Löhne und Gehälter stagnieren oder real sinken, wenn Sozialabgaben wachsen und Leistungen gekürzt werden, dann sinken zwangsläufig Kaufkraft und Absatz. Wenn zugleich die armen Länder der Erde auf Grund ungerechter, von den reichen Ländern diktierter Handelsbeziehungen noch ärmer werden, fallen sie als Absatzmärkte aus. Die Industrie stößt dadurch an Expansionsgrenzen. Der Konkurrenzkampf wird härter. Hauptwaffe in diesem Kampf ist die weitere Absenkung der Kosten, sprich Personalabbau. Läßt sich so auf die Dauer die deutsche Wirtschaft stärken?

Kohl, Waigel, Rexrodt beklagen, in Deutschland werde zu wenig in Forschung, Entwicklung und Berufsbildung investiert. Aber sie selbst streichen den Forschungshaushalt zusammen. Solche Widersprüche mehren sich und werden zu einer akuten Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung. Jahrelang versprach der Kanzler den Deutschen, die Gewinne von heute seien die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Seine Politik erlaubte den Unternehmen, wor allem den großen Konzernen, gewaltige Gewinnsteigerungen, aber von den Gewinnen wurde nur wenig investiert, und die Investitionen dienten hauptsächlich zur Wegrationalisierung von Beschäftigten. Arbeitsplätze wurden so nicht geschaffen, sondern vernichtet. Und wenn die Massenkaufkraft weiter sinkt, wenn also noch weniger Waren abgesetzt werden können als bisher, dann werden noch viel mehr Menschen arbeitslos werden.

Das ist es, was wir bei einer Fortsetzung der Politik des Dr. Helmut Kohl zu erwarten haben. Und sein Wirtschaftsminister Rexrodt, qualifiziert durch seine Treuhand-Erfahrungen im Plattmachen, hat nun tatsächlich eine Idee, wie er Arbeitslosigkeit bekämpfen will: durch stärkere steuerliche Entlastung reicher Leute, die Dienstmädchen einstellen.

Was wir zu erwarten haben, ist weitere Privatisierung nach dem Programm von Birgit Breuel - trotz solcher niederschmetternder Erfahrungen wie mit dem »Grünen Punkt«, der alle Prinzipien des Umweltschutzes verhöhnt und die Verbraucher zusätzlich belastet. Allerletzte Koalitionsabsicht Anfang 1994: Privatisierung von Arbeitsämtern.

Die Folgen der bisherigen Umverteilung von unten nach oben sind schon schlimm genug, als daß diese Politik fortgeführt werden dürfte. Nach zwölf Jahren Kohl-Regierung ist es in Deutschland dahin gekommen, daß Hospitäler Patienten mit schweren Krankheiten ablehnen, weil die Behandlung zu teuer wäre. Und dahin, daß in den Städten die Mieten für Neubauwohnungen, das heißt für nach 1948 gebaute Wohnungen, Jahr für Jahr um rund zehn Prozent steigen, während die Netto-Einkommen stagnieren oder sinken. Und dahin, daß immer mehr Menschen, um überhaupt arbeiten zu können, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse ohne Sozialversicherungsschutz annehmen (was auch die Einnahmen von Krankenkassen und Rentenversicherungen mindert).

»Für den weiteren Verlauf der neunziger Jahre«, heißt es im Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und des DGB, sei »davon auszugehen, daß sich durch die anhaltende Massenarbeitslosigkeit und die fehlenden beziehungsweise auslaufenden Mindestsicherungselemente in der Sozialversicherung das Problem der arbeitsmarktbedingten Armut im Sinne von Sozialhilfebedürftigkeit zu einem sozialpolitischen Problem ersten Ranges entwickeln wird«. Aber dieser Fortgang der Geschichte ist nicht zwangsläufig Ihm muß Einhalt geboten werden. Und das müssen wir selber tun.

Selbst im schicken München lebten Ende 1993 bereits 140 000 Menschen in Armut. 50 000 waren arbeitslos, 60 000 Familien überschuldet, 12 000 hatten keine Bleibe, 1200 lebten auf der Straße. Angesichts solcher Zustände machte ein erfahrener Kommunalpolitiker, der frühere Münchener Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD), folgenden Vorschlag: Wenn sich der Staat endlich entschließe, Einkommen aus Arbeit und aus Vermögen gleichwertig zu besteuern, könne er von den Superreichen mit einer 15prozentigen Sondersteuerjährlich 60 Milliarden Mark holen, in zehn Jahren also 600 Milliarden Mark. Das sei ihnen durchaus zuzumuten, erklärte Kronawitter, denn seit 1970 habe sich das Privatvermögen der Westdeutschen auf 9492 Milliarden Mark versechsfacht. Die Hälfte davon gehöre den oberen zehn Prozent der Haushalte. Kleine und mittlere Vermögen, beispielsweise derjenigen, die sich ein Häuschen vom Mund abgespart oder geerbt haben, könnten und müßten von der Sondersteuer freigestellt bleiben (»Der Spiegel«, 22. November 1993).

Dieser Vorschlag bedeutet Umverteilung andersherum: von oben nach unten. Darauf kommt es jetzt an. Von Kohl und seiner Koalition können wir eine solche Abkehr von ihrer bisherigen Politik nicht erwarten. Was wir von anderen Parteien zu erwarten haben, sollten wir deren Kandidaten eingehend fragen. Und wir sollten sie ebenfalls an ihrem bisherigen Verhalten messen.

Am Wahltag ist dreierlei nötig, um die Mehrheitsverhältnisse in Deutschland zu ändern, damit Helmut Kohl seine verhängnisvolle Politik nicht fortsetzen kann:

1. Keine Stimme darf dadurch verloren gehen, daß Wahlberechtigte der Wahl fernbleiben. Wer Politik zu »doof« oder zu »schmutzig« findet, soll wissen, daß sie erst wirklich ärgerlich und schmutzig wird, wenn sich die Verantwortlichen nicht selbst darum kümmern. Verantwortlich aber ist jeder und jede Wahlberechtigte! Das gilt besonders für die Jungwähler, um deren eigene Zukunft es geht.

2. Keine Stimme darf einer Partei gegeben werden, die nicht eindeutig klargestellt hat, daß sie gegen Kohl und dessen Politik angetreten ist und keinesfalls mit der CDU/CSU ein Regierungsbündnis eingehen wird.

3. Den Rechtsaußen-Parteien darf es nicht gelingen, in den Bundestag einzuziehen. Wie einst am Ende der Weimarer Republik würden sie sich als Trumpf in der Hinterhand des Großen Geldes erweisen.

Aber die Bundesbürgerinnen und -bürger haben noch mehr Möglichkeiten, als am Wahltag ihre Stimme abzugeben. Als Demokraten können und müssen sie zum Beispiel den Mund aufmachen, wenn in ihrer Gegenwart soziale, menschenverachtende Parolen aufkommen. Das heißt: Zivilcourage beweisen. Außerdem hat jede und jeder von uns die Möglichkeit, im Bekanntenkreis Informationen weiterzugeben - was um so nötiger ist, wenn aufwendige Propaganda zu vernebeln versucht, was der Eiserne Kanzler des Großen Geldes bisher angerichtet hat. Nicht zuletzt gilt es, in Mieter- und Verbraucherverbänden, in Umwelt- und Friedensinitiativen und vor allem in den Gewerkschaften demokratischen Widerstand gegen rücksichtslose Ausbeutung und Entrechtung zu leisten.

Solche Möglichkeiten gibt es nicht nur einmal alle vier Jahre, sondern jeden Tag.