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10 Juni 2011

Einzelfal? Altenpflege in Deutschland (anderswo noch schlimmer)

Skandalfotos in der Pflege: Kündigung unwirksam

zuletzt aktualisiert: 07.06.2011 - 02:30

Düsseldorf (bu). Mit Erfolg hat ein Pfleger gegen die fristlose Kündigung durch ein Hildener Pflegeheim der Graf-Recke-Stiftung geklagt. Das Arbeitsgericht Düsseldorf gab dem Kläger gestern in erster Instanz Recht. Die zweite, fristlose Kündigung sei hinfällig. Vielmehr gelte ein zuvor getroffener Kündigungs-Vergleich beider Parteien mit Abfindung. Um Missstände zu dokumentieren, hatte der Mann in dem Pflegeheim Fotos gemacht und veröffentlicht.

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„Skandalfotos" von der Station des Vergessens

Von Stefan Schneider

Die vermeintliche Misshandlung von Demenzkranken hält Prüfung nicht stand.

Hilden. Auf den ersten Blick sind die Fotos eindeutig: Sie zeigen einen umgekippten Rollstuhl. Darin sitzt ein fixierter Mann, der hilflos seinem Schicksal ausgeliefert ist. Aufgenommen wurden die Bilder in der gerontopsychiatrischen Pflegestation "Haus Ahorn" im Seniorenzentrum Dorotheenpark in Hilden - und zwar von Pflegekräften.

"Ja, die Fotos gibt es. Sie wurden von uns gemacht", sagt Geschäftsführer Peter Jaspert im WZ-Gespräch. "Allerdings nicht aus Spaß, sondern zur Dokumentation. Genauso wie der Mann nicht liegen gelassen wurde und die ganze Situation weder ein Unfall und schon gar kein Übergriff war. Der Patient wollte das."

"Die Menschen bei uns sind krank. Sie wissen nicht, was sie tun."

Dieses Schild und diese Bilder mit eindeutiger Botschaft – in der Toilette schwimmen Seerosen – hängen an der Eingangstür zur geschlossenen Abteilung des Seniorenzentrums Dorotheenpark in Hilden.

"Liebe Gäste, Sie verlassen jetzt Ihre Welt und betreten unsere Welt, die Welt der Dementen", heißt es auf einem Schild am Eingang. "Damit jeder Besucher daran erinnert wird, dass er mit dem Überschreiten der Türschwelle alles Rationale hinter sich lässt", sagt Jaspert zur Erklärung.

119 Bewohner, die meisten jenseits der 70 Jahre, sind auf der geschlossenen Abteilung im Dorotheenpark, die zur Düsseldorfer Graf-Recke-Stiftung gehört, untergebracht.

In der Regel liegt ein richterlicher Beschluss auf Einweisung vor, weil die Senioren ihre Alltagskompetenz durch das Erkrankungsbild oft vollständig eingebüßt haben. Und dazu gehört nach Ansicht der Richter auch das Fixieren der Patienten - zur ihrer eigenen Sicherheit und zu der ihrer Mitbewohner.
Mit einem "normalen" Heim nicht zu vergleichen

"Bei uns passieren Dinge, die ein Gesunder nicht für möglich hält", erklärt Heike Zoike, die seit 15Jahren in "Haus Ahorn" als Pflegekraft arbeitet. "Unsere Einrichtung ist keinesfalls mit einem normalen Pflegeheim zu vergleichen." Zoike erzählt von Menschen, die sich auf den nackten Boden legen.

Nicht, weil sie gestürzt sind und Hilfe benötigen, "sondern, weil sie das einfach so wollen. Die Menschen bei uns sind krank. Sie wissen nicht, was sie tun." Daher sei es wichtig, die Hintergründe für ihr Handeln zu kennen. "Fotos ohne diese Zusatzinformationen vermitteln natürlich ganz andere, falsche Eindrücke", sagt Heike Zoike.

    * Fixierung
    * Gerontopsychiatrie

"Solche Maßnahmen werden richterlich angeordnet", sagt Manfred Vollmer von der Heimaufsicht des Kreises Mettmann. Im Rahmen einer unangemeldeten Überprüfung im Februar dieses Jahres seien "Mängel im Umgang mit Fixierungen" festgestellt worden. Allerdings seien diese umgehend behoben worden - zum Beispiel, indem die Mitarbeiter Zusatzschulungen erhielten. "Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler", sagt der Pflegeheim-Experte. "Die Einrichtung ,Haus Ahorn' arbeitet vorbildlich und dokumentiert alles - und wenn Fehler passieren, werden sie umgehend behoben."

(griechisch "geron", "der Greis") Diese Art der Psychiatrie beschäftigt sich mit älteren Menschen und ihren psychischen Erkrankungen (Demenz, Depression, Angststörungen, Wahn- oder Suchterkrankungen).

Aber warum hat sich der Mitarbeiter dann an die Öffentlichkeit gewendet und prangert "unhaltbare Zustände" an? "Er wollte eine bevorzugte Behandlung an seinem Arbeitsplatz", sagt Jaspert. "Und hat versucht, die Heimleitung unter Druck zu setzen." Als die sich nicht einschüchtern ließ, habe er die Fotos an die Öffentlichkeit lanciert. "Er hatte uns das sogar angedroht."

Mittlerweile ist der Mitarbeiter vom Dienst freigestellt und hat Hausverbot. Zudem prüft die Graf-Recke-Stiftung straf- und arbeitsrechtliche Schritte.

"Die im Raum stehenden Vorwürfe sind absolut haltlos", sagt Manfred Vollmer von der Heimaufsicht des Kreises Mettmann. "Als wir die Bilder gesehen hatten, waren wir zuerst schockiert", sagt der Experte. "Daher sind wir sofort rausgefahren."
"Lückenlose Dokumentation" der Ereignisse soll vorliegen

Allerdings sei schon kurz darauf und nach dem Studium der "lückenlosen Dokumentation die Wahrheit ans Licht gekommen". Zum Beispiel, dass der Mann im Rollstuhl absichtlich Unfälle baue, "damit ihm danach wieder aufgeholfen wird", wie es der Theologische Vorstand der Graf-Recke-Stiftung, Ulrich Lilie, beschreibt.

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Schläge und sexuelle Gewalt: Schutzlos im Pflegeheim

VON BERND BUSSANG UND ULLI TÜCKMANTEL - zuletzt aktualisiert: 03.12.2010 - 07:20

Düsseldorf (RPO). Detaillierte Pflegeprotokolle, Fotos und Filme aus dem Hildener Haus Ahorn der Graf-Recke-Stiftung belegen, wie Senioren Schlägen und sexueller Gewalt durch Mitbewohner ausgesetzt waren. Zudem seien Unfälle und unsachgemäße Fixierungen an der Tagesordnung, berichtet eine Pflegekraft.

Das Haus Ahorn im Hildener Seniorenzentrum Dorotheenpark ist kein schlechtes Heim. Bei der Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) hat es die Note 1,4 erhalten. Aber das Haus Ahorn ist eine geschlossene Einrichtung für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen, die nicht mehr wissen, was sie tun. Was für Außenstehende bedrückend aussieht, ist für Bewohner wie Herrn P. vielleicht ein ganz guter Tag.

Am 8. September 2009 zum Beispiel lässt er sich – laut Pflegeprotokoll – ohne Probleme versorgen. Das kommt nicht häufig vor. 10. September: Auch gutes Zureden hilft nicht, er will sich nur das Gesicht waschen lassen. Er hält sich an diesem Tag im Garten auf, trotz des Regens will er nicht ins Haus, auch abends ist keine Versorgung möglich. Wenn Herr P. einen schlechten Tag hat, kommt es schlimmer – für ihn selbst, für die Mitbewohner und für das Personal.

Er vergreift sich sexuell an Mitbewohnern, er schlägt Patienten und Pflegekräfte. Eine der Pflegekräfte schildert gegenüber der Rheinischen Post, wie überfordert die manchmal nur drei bis vier Mitarbeiter damit seien, 40 Bewohner vor sich und anderen zu schützen. Detaillierte Pflegeprotokolle aus der Einrichtung der Düsseldorfer Graf-Recke-Stiftung belegen: An Demenz erkrankte Menschen wurden von Mitbewohnern geschlagen, waren sexuellen Übergriffen mitunter schutzlos ausgesetzt. Um die geistig verwirrten alten Menschen unter Kontrolle zu halten, wurden sie an Rollstühlen und Stühlen fixiert, die wiederum an der Heizung festgebunden waren.

Die Fixierung von Bewohnern sei immer nur "das letzte Mittel", betont Ulrich Lilie, Theologischer Vorstand der Graf-Recke-Stiftung, gestern. Zwar habe es Fälle unsachgemäßer Fixierung gegeben, doch seien diese sofort abgestellt worden, sagt der Stiftungs-Chef. Für jede Fesselung sei eine richterliche Erlaubnis eingeholt worden.

Herr P. hingegen konnte sich meist frei im Heim bewegen. So auch am 18. September: Da kommen Mitarbeiter abends gerade noch rechtzeitig dazu, als er eine Mitbewohnerin sexuell bedrängt. "Hr. P. ließ sich danach anstandslos versorgen, zeigte keine Aggressionen oder sonstiges Abwehrverhalten (wie sonst häufig), war freundlich u. versuchte diese Situation sichtlich zu überspielen. Ging danach zu Bett", vermerkt das Protokoll.

Wie aus den Protokollen ersichtlich, bleibt Herr P. auf der gerontopsychiatrischen Pflegestation im Haus Ahorn. Wiederholt bedroht er das Pflegepersonal. Am 1.  Oktober um 17.50 Uhr schlägt er einem Mitbewohner mit der Faust ins Gesicht. Am 3. Oktober um 19.30 Uhr attackiert er zwei Bewohnerinnen. Eine so heftig, dass deren Lippe blutet. Zwei Tage später führt er "mehrere Übergriffe" an namentlich genannten Bewohnerinnen aus. Erst am Tag darauf wird laut Protokoll anlässlich einer Arztvisite über Schritte zu einer Einweisung ins Landeskrankenhaus gesprochen. Doch es geschieht zunächst wieder nichts.

Fast einen Monat später, am 2. November, schlägt Herr P. einen Mann und eine Frau gleich mehrmals und bekommt Beruhigungsmedikamente. Zwei Tage darauf gibt es erneute Einträge über Schläge gegen Bewohnerinnen "mitten ins Gesicht und auf den Kopf". Weitere Gewalttätigkeiten folgen am 9.  November. Am 10. November wird Herr P. ins Landeskrankenhaus eingewiesen, kehrt aber nach einiger Zeit zurück. Sein Zustand hat sich offenkundig nicht gebessert. Am 18. Mai 2010 um 18 Uhr kommt es zu einem erneuten Zwischenfall, bei dem Herr P. mit einem Mitbewohner in einem Gebüsch des Gartens vom Pflegepersonal in eindeutig sexueller Pose entdeckt wird.

Am Morgen des 30. Mai erfolgt ein sexueller Übergriff auf den gleichen Mitbewohner. Gemeldet wurden die Vorfälle fast nie. Die Heimaufsicht des Kreises Mettmann erklärt, sie sei nur über einen Fall eines sexuellen Übergriffs informiert worden – nicht über Ausmaß und Zahl der Vorfälle. Heimleiterin Silvia Bach sagt, die Heimaufsicht habe auch gar nicht informiert werden müssen: "Die Heimaufsicht beaufsichtigt uns als Einrichtung, aber nicht die Bewohner." Auch die Angehörigen der Opfer haben als richterlich bestellte Betreuer offenbar nichts von den Übergriffen erfahren. Das ist zumindest in dem Fall des von P. belästigten Mannes gewiss. "Da es nicht zum Vollzug einer Straftat kam, haben wir die Ehefrau nicht informiert, es hätte sie überfordert", so die Heimleiterin.

Überfordert scheint nach dem Bericht der Pflegekraft vor allem das Personal zu sein: "Einem Kollegen wurde die Nase gebrochen, einer Kollegin in den Unterleib getreten, einer weiteren der Finger gebrochen. Es gibt einen hohen Krankenstand, einige sind gegangen, andere befinden sich in psychiatrischer Behandlung."

Trotz der Note 1,4, die der MDK vergab, sieht inzwischen offenbar auch die Heimleitung Handlungsbedarf. Man denke über die Intensivbetreuung besonders problematischer Bewohner nach, teilt Geschäftsführer Peter Jaspert mit. "Doch das erfordert mehr Personal und kostet Geld." Herr P. bereitet keine Schwierigkeiten mehr. Er wurde in ein Landeskrankenhaus eingewiesen.