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31 Mai 2011

Benjamin Netanyahoo in USA - APPLAUS ZWANG

ISRAEL KANZLER REDE VOR USA PARLAMENT


Bibi und die Jojos

von Uri Avnery 28.05.2011

ES WAR alles ziemlich ekelhaft.

Sie waren dort, die Mitglieder der höchsten Legislative der größten
Supermacht der Welt und sprangen auf und nieder wie so viele Jojos,
applaudierten alle paar Minuten oder Sekunden wild zu den
unverschämtesten Lügen und Verdrehungen von Binjamin Netanyahu.

Es war schlimmer als im syrischen Parlament während einer Rede von
Bashar Assad, wo jeder, der nicht applaudierte, sich im Gefängnis
wiederfindet. Oder in Stalins Oberstem Sowjet: wenn man nicht genügend
Respekt zeigte, konnte das den Tod bedeuten.

Was die amerikanischen Senatoren und Kongressmänner fürchteten, war
ein Schicksal, das schlimmer als der Tod wäre. Jeder, der sitzen blieb
oder nicht begeistert genug applaudierte, konnte von der Kamera
eingefangen werden – und das bedeutete: politischer Selbstmord. Es
genügte, dass ein einziger Kongressmann aufstand und applaudierte, und
alle anderen folgten seinem Beispiel. Wer würde es gewagt haben, dies
nicht zu tun?

Die Ansicht dieser Hunderte von Parlamentariern, die aufsprangen und
wieder und wieder und noch einmal zusammen mit dem Führer
applaudieren, der dies gnädigerweise mit einer Handbewegung erwiderte,
erinnerte an andere Regime. Nur war es dieses Mal nicht der lokale
Diktator, der diese Verherrlichung abnötigte, sondern ein
ausländischer.

Der deprimierendste Teil war, dass es kein einziges Kongressmitglied
gab – Republikaner oder Demokrat – der es wagte, zu widerstehen. Als
ich, ein neun Jahre alter Junge in Deutschland war, wagte ich, meinen
Arm nicht zu heben, als alle meine Schulkameraden zum Hitlergruss den
Arm hoben und das Horst-Wessel-Lied sangen. Gibt es denn keinen in
Washington DC, der dieses bisschen Mut aufbringt? Ist Washington
wirklich IOT – israelisch besetztes Gebiet – wie die Antisemiten
behaupten?

Vor vielen Jahren besuchte ich den Senat und wurde den führenden
Senatoren vorgestellt. Ich war zu tiefst schockiert. Nachdem ich mit
großem Respekt vor dem Senat der USA aufgewachsen war, dem Land von
Jefferson und Lincoln, stand ich vor einem Haufen aufgeblasener
Trottel, viele von ihnen Idioten, die nicht die leiseste Ahnung von
dem hatten, über das sie sprachen. Mir wurde gesagt, dass es ihre
Assistenten seien, die die Dinge wirklich verstünden.

WAS HAT also der große Mann diesem erlesenen Publikum gesagt?

Es war eine ausgezeichnete Rede, die alle Standardtricks der
Professionellen anwandte – die dramatische Pause, der erhobene Finger,
die kleinen geistreichen Bemerkungen, wegen der Wirkung wiederholte
Sätze. Kein großer Redner, auf jeden Fall kein Winston Churchill, aber
gut genug für diese Zuhörer und diese Gelegenheit.

Aber die Botschaft konnte mit einem Wort zusammengefasst werden: NEIN.

Nach ihrem katastrophalen Debakel 1967 trafen sich die Führer der
arabischen Welt in Khartum und nahmen die berühmten Drei Neins an.
NEIN zur Anerkennung Israels. NEIN zu Verhandlungen mit Israel, NEIN
zum Frieden mit Israel. Es war genau das, was sich Israels Führung
wünschte. Sie konnten glücklich ihrem Geschäft nachgehen, die
Besatzung etablieren und die Siedlungen bauen.

Jetzt hatte Netanyahu sein Khartum. NEIN zur Rückkehr zu den
1967er-Grenzen. NEIN zur palästinensische Hauptstadt in Ost-Jerusalem.
NEIN auch zu einer symbolischen Rückkehr von einigen Flüchtlingen.
NEIN zum militärischen Rückzug vom Jordanufer. Das bedeutet, dass der
zukünftige palästinensische Staat vollkommen von Israels Armee
umzingelt sein würde. NEIN zu Verhandlungen mit einer
palästinensischen Regierung, die von Hamas „unterstützt" wird, selbst
dann, wenn keine Hamas-Mitglieder in der Regierung sein würden. Und so
weiter – NEIN. NEIN. NEIN.

Das Ziel ist klar: sicher zu stellen, dass kein palästinensischer
Führer jemals von Verhandlungen träumen kann, selbst bei einem
unwahrscheinlichen Fall, dass er für eine andere Bedingung bereit
wäre: Israel als „Nationalstaat des jüdischen Volkes" anzuerkennen –
was die Dutzenden jüdischer Senatoren und Kongressleute einschließt,
die die ersten beim Hoch- und Runterspringen waren - wie so viele
Marionetten.

Netanyahu als auch seine Komplizen und politischen Bettgenossen sind
entschlossen, mit allen Mitteln die Errichtung eines palästinensischen
Staates zu verhindern. Dies beginnt nicht mit der Politik der
gegenwärtigen Regierung – es ist ein Ziel, das tief in der
zionistischen Ideologie und Praxis liegt. Die Gründer der Bewegung
legten den Kurs fest; David Ben-Gurion handelte 1948 danach, um dies
in geheimer Absprache mit König Abdallah von Jordanien zu erfüllen.
Netanyahu fügt nur gerade seinen kleinen Teil bei.

„Kein palästinensischer Staat" bedeutet keinen Frieden, weder jetzt
noch später. Alles andere ist Quatsch. All die frommen Sprüche über
das Glücklichsein unserer Kinder, Wohlstand für die Palästinenser,
Frieden mit der ganzen arabischen Welt, eine glänzende Zukunft für
alle, sind genau das – nämlich Quatsch. Wenigstens einige der Zuhörer
müssten das bemerkt haben – selbst bei all dem Springen.

NETANYAHU SPUCKTE in Obamas Gesicht. Die Republikaner unter den
Zuhörern müssen sich darüber gefreut haben. Vielleicht auch einige
Demokraten.

Es kann vermutet werden, dass Obama sich nicht freute. Was wird er jetzt tun?

Es gibt einen jüdischen Witz über einen hungrigen Kerl, der ein
Gasthaus betrat und lautstark Essen forderte. Sonst würde er das tun,
was sein Vater getan habe. Der ängstliche Gastwirt gab ihm zu essen,
und am Ende fragte er zaghaft: „Aber was hat dein Vater getan?" Er
schluckte den letzten Bissen herunter und antwortete: „Er ging hungrig
ins Bett."

Es besteht die gute Chance, dass Obama dasselbe tun wird. Er wird
behaupten, dass die Spucke auf seiner Backe Regenwasser sei. Sein
Versprechen , eine Anerkennung des Staates Palästina durch die
UN-Vollversammlung zu verhindern, beraubt ihn seines wichtigsten
Druckmittels gegenüber Netanyahu.

Irgendjemand in Washington scheint die Idee zu haben, Obama solle nach
Jerusalem kommen und in der Knesset eine Rede zu halten. Es würde eine
direkte Vergeltung sein – Obama würde mit der israelischen
Öffentlichkeit über den Kopf des Ministerpräsidenten hinweg reden, so
wie Netanyahu sich gerade an die amerikanische Öffentlichkeit über den
Kopf des Präsidenten hinweg gewandt hatte.

Es würde ein aufregendes Ereignis sein. Als früheres Mitglied der
Knesset würde ich eingeladen werden. Aber ich würde nicht dazu raten.
Ich schlug es vor einem Jahr vor. Heute würde ich es nicht mehr tun.

Der offensichtliche Präzedenzfall ist Anwar Sadats historische Rede in
der Knesset. Aber das kann man wirklich nicht vergleichen. Ägypten und
Israel waren offiziell noch miteinander im Kriegszustand. In die
Hauptstadt des Feindes zu gehen, war ohne Präzedenz, um so mehr als
nur vier Jahre nach einer blutigen Schlacht vergangen waren. Es war
ein Akt, der Israel erschütterte und mit einem Schlag einen ganzen
Haufen von Vorstellungen löschte und die Gemüter für Neues öffnete.
Keiner von uns wird jemals den Moment vergessen, als die Tür des
Flugzeuges sich öffnete und er da war – stattlich und ernst – der
Führer des Feindes.

Als ich später einmal Sadat bei ihm zu Hause interviewte, erzählte ich
ihm: „Ich wohne in der Hauptstraße von Tel Aviv. Als Sie aus dem
Flugzeug kamen, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Nichts bewegte
sich auf der Straße außer einer Katze – und auch sie suchte
wahrscheinlich nach einem Fernseher."

Ein Besuch Obamas würde ganz anders sein. Natürlich würde er höflich
empfangen werden – zwar ohne das zwanghafte Aufspringen und Klatschen
– wenn auch wahrscheinlich von Knessetmitgliedern der extremen Rechten
durch Zwischenrufe gestört. Aber das würde alles sein.

Sadats Besuch war etwas Einzigartiges. Ein Besuch von Obama wäre etwas
ganz anderes. Er würde die israelische öffentliche Meinung nicht
erschüttern, es sei denn, er käme mit einem konkreten Aktionsplan –
einem detaillierten Friedensplan mit einem detaillierten Zeitplan,
unterstützt von klarer Entschlossenheit, das auch durchzusetzen, egal
wie hoch die politischen Kosten sein würden.

Noch eine nette Rede, die wunderbar formuliert ist, genügt nicht. Nach
der Redenflut der letzten Woche reicht es erst einmal. Reden können
bedeutsam sein, wenn sie Handlungen begleiteten, sie sind aber kein
Ersatz für Handlungen. Churchills Reden halfen, die Geschichte
gestalten – aber nur weil sie historische Taten reflektierten. Ohne
die Schlacht um England, ohne die in der Normandie und El-Alamein
hätten diese Reden lächerlich geklungen.

Nun, wo alle Wege zum Frieden blockiert sind, bleibt nur ein
Aktionskurs: die Anerkennung des Staates Palästina durch die Vereinten
Nationen, verbunden mit gewaltfreien Massenaktionen des
palästinensischen Volkes gegen die Besatzung. Die israelischen
Friedenskräfte werden dabei auch ihre Rolle spielen, weil das
Schicksal Israels genau wie das Schicksal Palästinas vom Frieden
abhängt.

Sicher werden die USA versuchen, dies zu blockieren, und der Kongress
wird auf und ab springen. Aber der israelisch-palästinensische
Frühling ist auf dem Weg.

Uri Avnery

Uri Avnery ist Gründer der Bewegung Gush Shalom. Der Publizist und
langjährige Knesset-Abgeordnete Avnery, 1923 in Beckum geboren und
1933 nach Palästina ausgewandert, gehört seit Jahrzehnten zu den
profiliertesten Gestalten der israelischen Politik.