Freie Radios - LIZENZ kritik
Lokalradio nur noch Wirtschaftsgut?
Seit Sommer 2007 sind sie da, die neuen Landesmediengesetze der Schwarz-Gelben NRW-Regierung. Wie befürchtet haben sich dort voll und ganz die Positionen von FDP und Verlegerverbänden durchgesetzt. Trotz Unterschriftenlisten und Resolutionen von Ausländerbeiräten, von Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften pro Bürgerfunk, trotz stundenlanger Expertenanhörungen im Landtag: CDU und FDP wichen keine Zeile von Ihrer im Koalitionsvertrag festgelegten Linie ab. Selbstorganisierte Bürgerradiosendungen zu selbst gesteckten Themen werden 2008 in NRW keine öffentlichkeitswirksame Rolle mehr spielen. Übrig bleibt eine Sendestunde ab 21.00 Uhr, die unter strenge formelle Auflagen gestellt wird:
Nur mit ausdrücklichem Lokalbezug und dem Verbot fremdsprachiger Beiträge sind Bürgerfunksendungen noch zulässig. Für jede Radiosendung haben drei Verantwortliche aus dem Sendegebiet ihre Unterschrift zu leisten. Die Bürgerfunker müssen dazu Nachweise über den erfolgreichen Abschluss eines 36 Unterrichtsstunden umfassenden Kurses bei einer von der Landesanstalt für Medien . LFM lizensierten Einrichtung erbringen.
Tatsächlich wurden auch Dinge vereinfacht:
Die bisherige so genannte .Minutenförderung. der LFM fällt weg. Aus einem Etat von 2 Millionen . hatte die LFM bisher Bürgerfunkgruppen und damit insbeson-dere gemeinnützige Bürgerradiowerkstätten in nachträglicher Förderung bereits ausgestrahlter Sendungen unterstützt.
Nur Schule- sonst nichts
Diese 2 Millionen . sollen jetzt der verbesserten Medienerziehung von SchülerInnen zugute kommen. Radioarbeit mit Kulturinitiativen, Eine-Welt-Gruppen, Migranten, Umweltinitiativen oder Senioren ist zumindest zuschusstechnisch irrelevant geworden.
Von der LFM werden nur noch Gelder für Schulprojekte vergeben. Hier dürfen sich natürlich auch Bürgerradiowerkstätten als Kooperationspartner bewerben. Für solche Schulproduktionen kann es dann in Absprache mit der Lokalradioredaktion auch die Möglichkeit geben, an Wochenenden in der Zeit von 18.00 Uhr oder 19.00 Uhr einen Sendeplatz zu finden.
Ein Großteil des alten LfM-Etatpostens wird sicherlich durch die neuen Pflichtkurse für Bürgerfunker verbraucht, denn edle Weiterbildungseinrichtungen wie die Deutsche Hörfunk-Akademie kosten viel Geld. Noch ist ungeklärt, ob und in welcher Größenordnung sich Bürgerfunkgruppen an den Kurskosten beteiligen müssen.
Klassisches Bürgerradio wird auf 60 Minuten täglich begrenzt. Ab 21.00 Uhr können diese Sendungen aber nur stattfinden, wenn keine wichtigen Ereignisse wie Fußballspiele oder sonstige Veranstaltungen dem Lokalsender eine Verschiebung ratsam erscheinen lassen.
Spielball der Medienpolitik
Medienpolitisch war die Entsorgung des lästigen rot-grünen Überbleibsels .flächendeckender lokaler Bürgerfunk. der Landtags- FDP vor die Füße geworfen worden.
Allen voran hatte sich der Essener FDP Landtagsabgeordnete Ralph Witzel zum Ziel gesetzt, den Privatradios an Rhein und Ruhr künftig ungestört von .formatfeindlichen. Sendeinhalten und Musikfarben maximale Gewinne zu ermöglichen.
Betriebsgesellschaften der Lokalradios, wie die .West-Funk. der WAZ -Gruppe, die mehrheitlich die Lokalsender z. B. im Ruhrgebiet betreiben, erwirtschaften schwarze Zahlen. Bis heute fehlt deshalb die Begründung, wieso die Bürgerfunker Ursache für unzureichende Renditen aus Sendern wie .Radio-Essen. sein sollten.
Für Essen zumindest belegen die vorhandenen Höreruntersuchungen nicht, dass zu Bürgerfunkzeiten die HörerInnen massenhaft das Programm wechseln würden.
Weil die Landtagsmehrheit lokalen Rundfunk nur als Wirtschaftsgut betrachtet, hätte sie sicherlich die über 17 Jahre gewachsene Bürgerbeteiligung im Radio gern ganz zu den Akten gelegt.
Noch gibt es aber das Sendemonopol . pro Verbreitungsgebiet, also Landkreis oder Großstadt vergibt die LfM immer nur eine Sendelizenz mit dem Erstzugriffsrecht des örtlichen Zeitungsverlegers. Den Bürgerfunk völlig abzuschaffen, hätte Risiken bedeutet, dass andere kommerzielle Lokalradiobetreiber dieses Sendemonopol gerichtlich anfechten könnten. Ein freier Markt würde entstehen, der z. B. die WAZ-Gruppe zwingen würde, mehr Kapital in die Ausstattung ihrer journalistisch knapp ausgestatteten Lokalsender zu stecken. Sicherlich hätte sich dieser un-freundliche Akt gegenüber der WAZ-Gruppe und anderen NRW-Großverlegern schnell in schlechter Stimmung gegen die Landesregierung niedergeschlagen. So viel freien Markt wollen dann aber selbst CDU und FDP in NRW nicht haben.
Die Bürgerfunker wissen recht gut, dass sie medienpolitisch nur auf einem Neben-kriegsschauplatz stehen und der ignorante Umgang der Landtagsmehrheit mit Ihnen mehr Symptom als ausdrückliche Gegnerschaft ist.
Zerstören der Professionalität
Die Beerdigung des Bürgerfunks wird über viele Monate gestreckt bis zum Sommer 2008. Die seit 1. Januar 2008 durchgesetzte Reduzierung auf 7 Sendestunden wöchentlich von bislang 19, für die es auch keine Zuschüsse mehr gibt, trifft das deshalb vor allem freie Bürgerradiowerkstätten wie die Neue Essener Welle. Bisher wurden hier gut zwei Drittel der wöchentlichen Programme hergestellt. Mit einem Erfahrungsschatz von anderthalb Jahrzehnten Bürgerradiopraxis konnten dort zwei Hauptamtliche in einer Vollzeit- und einer Halbtagsstelle technische wie auch journalistische Betreuung von Bürgerradiogruppen leisten. Deren Kündigung ist nach dem neuen Landesmediengesetz unvermeidlich.
Unter Einsatz der Vereinsrücklagen ist es jetzt zumindest möglich die gesetzlichen halbjährlichen Kündigungsfristen zu gewährleisten. Da die LfM für allgemeine Bürgerradioarbeit keine Zuschüsse mehr vergibt, werden die Finanzierungslücken für medienpädagogische Personalstellen höchstens von Großverbänden wie Stadtsportbund ESPO, den Falken oder dem Unternehmerverband zu füllen sein.
Einige Radiowerkstätten in anderen Städten stellen schon in diesem Jahr ihren Betrieb ein. In Münster haben die bisher recht rührigen katholischen Bürgerradiowerkstätten schon die Tore geschlossen.
Bürgerradio wird in NRW nur noch mit ehrenamtlicher Mitarbeit, bzw. mit Werkverträgen für bestimmte Projekte möglich sein. Die bisher erworbenen hohen Standards für Bürgerradioproduktionen werden ebenso fraglich. Wie das Heranführen neuer Gruppen in die Radiotechnik .
Medienrendite maximieren
Natürlich geht es im neuen Landesmediengesetz nicht hauptsächlich darum, bisherige Bürgerfunk-Strukturen zu zerschlagen. Eigentlich lautet die Devise, je einheitlicher die Musikformate und je kürzer die Wortbeiträge, um so besser für den Gewinn. Aber das Ziel aus dem Koalitionsvertrag der CDU/FDP, den Lokalfunk .auf wirtschaftlich bessere Füße. zu stellen, beißt sich mit alten, noch unter Landesvater Rau geborenen Konzepten. Auch privatwirtschaftlich organisierten Rundfunk hatte sich als Kulturgut zu begreifen.
Stattdessen klingt ab dem 1. Januar 2008 auch in Essen der Lokalfunk wie überall in NRW . von 22.00 Uhr nachts bis 6.00 Uhr morgens das (Musik) Mantelprogramm von Radio NRW, lokale Sendestrecken von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Die dann folgenden drei Stunden .Drive Time. als Ruhrgebietsfenster der Westfunk/WAZ-Radios soll schließlich neue Chancen der regionalen Hörfunk-Werbung wie auch des Versponserns bestimmter Sendungen nutzen. Die Stunde Bürgerfunk von 21.00 Uhr bis 22.00 Uhr stört mögliche Werbekunden dann kaum mehr, obwohl die Radiobetriebsgesellschaft eigentlich sogar einen Bürgerfunk erst ab 22.00 Uhr gefordert hatten..
Essener Sparkasse und die Stadtwerke können sich vielleicht Hoffnungen machen, dass ihre Geschäftsanteile an Radio Essen damit bessere Renditen erwirtschaften.
Stattdessen werden die verbliebenen Bürgerfunkgruppen abwarten müssen, wie viel Sinn künftig der ganze ehrenamtliche Aufwand für ihre Radiosendungen noch macht. Nach dem erwartbaren drastischen HörerInnenschwund kann der späte Sendeplatz zusammen mit den neuen formalistischen Hürden zur grundsätzlichen Funkstille für Bürgerradios in NRW führen.
Natürlich wollen wir verhindern . unter anderem mit einer Verfassungsgerichtsklage gegen das Landesmediengesetz . dass der Bürgerfunk auf so kaltschnäuzige Art erledigt wird. . Totgesagte leben oft länger. In diesem Sinne . keine Funkstille für NRW!
Walter Wandtke
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