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16 Oktober 2009

CDU schreibt aus Baghdad - USA Kriegsverbrecher

Eine Leidensgeschichte aus Bagdad

Von Jürgen Todenhöfer, 09.10.09, 21:56h, aktualisiert 10.10.09, 00:16h

Noch immer kein Frieden: Noch immer gibt es in Bagdad täglich über zehn .militärische Zwischenfälle.. Ein Gastbeitrag über die Not und das Elend der vom Krieg gezeichneten Bevölkerung der irakischen Hauptstadt.


Bagdad, Spätsommer 2009, 11.00 Uhr. Das Thermometer zeigt 48 Grad. Hinter mir liegt eine 20-Stunden-Taxifahrt voller Hindernisse von Syrien in den Irak. In der syrischen Hauptstadt Damaskus hatte ich Gespräche mit irakischen Flüchtlingen geführt. Mit Muslimen und Christen, die alles verloren haben, Familie, Gesundheit, Hab und Gut.

Eine dieser Geschichten geht mir nicht aus dem Sinn - die der heute 28-jährigen Schiitin Manal. Ihre Berichte sind symbolhaft für das Schicksal des irakischen Volkes. Im Winter 2004 hatten GI's das Haus Manals gestürmt. Gefesselt, mit einem schwarzen Sack über dem Kopf wurde sie mit ihrer Mutter ins Flughafengefängnis Bagdad geflogen. Die Amerikaner warfen beiden vor, sie seien Terroristen. Als die Vorwürfe in sich zusammenfallen, werden die Verhörmethoden verschärft. Manal wird nachts mit dröhnender Musik beschallt und mit eiskaltem Wasser begossen. Betrunkene Gi's drohen, man werde sie vergewaltigen, falls sie nicht gestehe.

Eines Abends wird sie in einen Raum geführt. Ein nackter junger Iraker wird hereingezerrt und mit dem Oberkörper auf einen Tisch gepresst. Mit einem Fußtritt werden seine Beine gespreizt. Dann wird er von einem Amerikaner vergewaltigt. Manal versucht verzweifelt, zu Boden zu schauen, aber ihr Kopf wird immer wieder nach oben gerissen.

Zurück in der Zelle werden ihr die langen schwarzen Haare abgeschnitten. Sie waren ihr ganzer Stolz. Wenige Tage später drohen die Wärter, falls sie störrisch bleibe, werde ihre Mutter erschossen. Da Manal noch immer nichts zu gestehen hat, stülpt man ihr erneut einen Sack über den Kopf. Dann peitscht ein Schuss durch den Nebenraum. Seelenruhig erklären die GI's, der Schuss habe ihrer Mutter gegolten. Manal bricht weinend zusammen.

Am nächsten Tag spielen die GI's das gleiche Folterspiel mit ihrer Mutter. Nach 33 Tagen wird Manal nachts auf einer kaum befahrenen Straße ausgesetzt. Ihre Mutter muss noch ein halbes Jahr nach Abu Ghoreib. Heute leben beide in Jaramana, einem ärmlichen Vorort von Damaskus. Hier haben auch tausende irakische Christen Zuflucht gefunden.

Manal ist eine Kämpferin. Sie hat die US-Regierung verklagt. Auch ihre Träume hat sie nicht aufgegeben. In wenigen Tagen will sie den 29-jährigen irakischen Sunniten Hayder heiraten. Ein Hochzeitskleid kann sie sich nicht leisten. Die GI's haben bei ihrer Festnahme alle Wertgegenstände mitgenommen.
Unzählige Straßensperren

Mein schnurbärtiger irakischer Fahrer reißt mich aus meinen Gedanken: .Noch eine Stunde bis Bagdad., kauderwelscht er mit knorriger Stimme. Dass wir uns der Hauptstadt nähern, erkennt man an den unzähligen Straßensperren. Im Schritttempo kämpfen wir uns Richtung Stadtmitte. Aus der legendären Stadt der Märchen von .1000 und einer Nacht. ist eine düstere Festung, ein Hochsicherheitsgefängnis mit 1000 Betonmauern, 1000 Schießtürmen und 1000 Checkpoints geworden.

Noch immer gibt es in der total militarisierten Stadt pro Tag über zehn .militärische Zwischenfälle. - inszeniert von irakischen Widerstandskämpfern, überforderten Besatzungssoldaten, fanatisierten Milizen sowie ferngesteuerten und freischaffenden, in- und ausländischen Terroristen. Viele Iraker behaupten, bei Anschlägen, die gezielt ethnische und religiöse Rivalitäten schürten, hätten ausländische Geheimdienste und Todesschwadrone sowie .Sicherheitsfirmen. wie Blackwater ihre Hände im Spiel. Orientalische Verschwörungstheorie oder bittere Realität:

Westliche Politiker, die trotzdem von einer .deutlich verbesserten Sicherheitslage" schwärmen, und die die Irakstrategie der USA am liebsten auf Afghanistan übertragen würden, waren noch nie wirklich in Bagdad. Ihr Ziel sind stets nur einige verschanzte Sicherheitstrakte im Inneren der Stadt - in der .Grünen Zone. oder im Stadtteil Mansour, wo sich die Deutsche Botschaft eingegraben hat. Unsere Diplomaten dürfen das zubetonierte Botschaftsgelände nicht eine Minute verlassen. Sie leben im .geschlossenen Vollzug.. Nur der deutsche Botschafter darf mit seiner GSG-9-Truppe manchmal in benachbarte Festungsanlagen. Wie sich Politiker in dieser verbarrikadierten Scheinwelt ein Urteil über die Lage im Irak bilden, bleibt ihr Geheimnis.

Gegen 12.00 Uhr bin ich in meinem Hotelbunker .Milia Mansour.. Er gilt als sicher, seit 2007 bei einem Bombenanschlag in der Lobby 17 Menschen getötet und 70 verletzt wurden.

Nach einem kurzen Stopp geht es mit Freunden weiter nach Sabah Qusur, einem Elendsviertel im Norden Bagdads. Inzwischen ist es 52 Grad heiß. In Sabah Qusur sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Das Transportwesen wird hier noch weitgehend über Eselskarren abgewickelt.
Bei einem Bombenangriff ein Bein verloren

In Sabah Qusur wohnt die 18-jährige Marwa mit ihrer Mutter und ihren vier Geschwistern. Sie hatte im April 2003 bei einem Bombenangriff ein Bein verloren. Ihre kleine Schwester Azra wurde getötet. Wir hatten Marwa in Deutschland operieren lassen und ihr eine Prothese beschafft. Voller Hoffnung war sie zurückgeflogen. Sie wollte Ärztin werden.

All das ist ausgeträumt. Marwa geht nicht mehr zur Schule. Frauen gehören im befreiten Irak wieder an den heimischen Herd.

Das Glück macht um Marwas Familie seit langem einen großen Bogen. Ihr jüngerer Bruder Ahmed ist auf der Flucht vor GI's im Euphrat ertrunken. Ihre Mutter Faleeha, einst eine fröhliche, rundliche Frau lacht kaum noch. Sie hat Diabetes und wiegt nur noch 40 Kilo. Irgendwann konnte sie nicht mehr und warf sich vor ein Auto. Aber auch der Tod wollte nichts von ihr wissen.

Wie alle irakischen Frauen steht sie einmal im Monat Schlange, um mit ihrer Lebensmittelkarte subventionierte Nahrungsmittel zu ergattern. Pro Person gibt es neun Kilo Mehl, drei Kilo Reis, zwei Kilo Zucker, 1,25 Kilo Speiseöl, ein Kilo Salz und ein paar 100 Gramm Bohnen, Linsen, Erbsen, Trockenmilch und Tee sowie etwas Waschpulver und zwei Stück Seife. Kosten pro Kopf 15 Dollar. Aber meist fehlt die Hälfte. Millio-nen Iraker hungern, vor allem Kinder.

Solche Probleme kennen GI's hier nicht. Während die Iraker hungern, haben die meisten US-Soldaten Gewichtsprobleme. Von den kulinarischen Genüssen ihrer Militärbasen schwärmen selbst verwöhnte westliche Diplomaten. Staunend stehen sie vor endlosen Theken feinster Vorspeisen, erlesener Fleisch- und Fischgerichte und Bergen von Kuchen, Obst und Eis.
Schlaraffenland für die GI's

Der Irak 2009 ist ein Schlaraffenland - leider nur für GI's. Die Iraker nehmen Berichte über diese andere Welt staunend zur Kenntnis. Ebenso wie Meldungen, dass die Europäer ernsthaft diskutieren, Tony Blair, einen der Hauptverantwortlichen des Krieges, zum EU-Ratspräsidenten zu wählen. Aber wirklich überrascht ist niemand. Scham erwartet keiner mehr vom Westen.

Gegen 18.00 Uhr geben uns Faleehas Nachbarn ein Zeichen, aus Sicherheitsgründen bald abzufahren. Ich lade die Familie ein, mich am nächsten Tag im Hotel zu besuchen. Doch sie wird nicht kommen. Nach schweren Schießereien riegeln GI's Saba Qusur ab. Faleeha informiert uns telefonisch, dass wir auch nicht mehr zu ihr nach Hause kommen könnten. Man hat ihr gedroht, den nächsten Besuch würden wir nicht überleben. Stunden später erfahren wir, dass unser irakisches Kamerateam, das wir für Stadtaufnahmen engagiert hatten, beim Filmen eines Überwachungszeppelins von Militärpolizisten zusammengeschlagen und festgenommen wurde. Die Kamera wurde beschlagnahmt, ein Laptop zertrümmert. Das Filmen der Unfreiheit ist im befreiten Irak nicht erlaubt.

Am folgenden Abend sind wir in Sadr City zu Gast bei Scheich Jamal, dem 29-jährigen Führer eines der größten schiitischen Stämme im Irak. Drei Gassen weiter wohnt die Familie von Muntasser al-Saidi, dem .Schuhwerfer von Bagdad.. Er ist der Held der meisten Iraker.

Sadr City ist wie Sabah Qusur selbst für Iraker absolute .No-Go-Zone.. Aber ich habe Freunde, die mich überall hinschleusen. Ich frage den Scheich, ob es den Schiiten jetzt nach der Befreiung von Saddam besser gehe. Erstaunt schüttelt er den Kopf. Selbst unter Saddam habe es nie ein solches Chaos gegeben. Die sechseinhalb Jahre Krieg und Besatzung hätten mehr Iraker das Leben gekostet als die 35 harten Saddam-Jahre. Weit über eine Million Iraker seien getötet wor-den. Es gebe weniger Arbeitsplätze, weniger medizinische Versorgung, weniger sauberes Wasser und weniger Elektrizität als vorher. Gerade einmal drei Stunden Strom gebe es in Sadr City. Einkaufen sei nur unter Lebensgefahr möglich. Man könne zwar frei wählen, sich aber nicht mehr frei bewegen. Der Krieg habe nur jenen Irakern genutzt, die auf den Gehaltslisten der USA stünden oder lukrative US-Aufträge erhalten hätten. Scheich Jamal klingt bitter - und müde. Er hat durch den Krieg zwölf Familienmitglieder verloren.
Kaum noch ziviler Verkehr

Auf der nächtlichen Rückfahrt gibt es kaum noch zivilen Verkehr. Dafür tauchen umso mehr US-Militärfahrzeuge auf. Sie verlangsamen den Verkehr, drängen uns an den Straßenrand, richten ihre gleißenden Scheinwerfer und einmal auch den grünen Laserstrahl eines Geschützes ins Wageninnere. Ein Hubschrauber donnert wie eine Hornisse im Tiefflug über uns. Es ist wie ein völlig irrealer Albtraum. Allein an diesem Tag gibt es in Bagdad nach UN-Angaben 15 Anschläge mit zehn Toten und 43 Verletzten - die Opfer amerikanischer Militäraktionen nicht mitgezählt.

Die USA haben den Irak nicht befreit, sie haben ihn vergewaltigt und zerbrochen. Gott bewahre Afghanistan vor dieser Befreiungsstrategie!

Zurück in meiner Hotelburg finde ich eine Nachricht von Manal und ihrem frischgebackenen Ehemann. Sie bedanken sich für das Hochzeitskleid, das ich heimlich für sie gekauft hatte.