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25 Juni 2009

Leben ohne Gott = OK - aber Sterben ohne Gott ist Scheisse.

Das Christkind bin ich

Karsten Krampitz

Neuerdings höre ich eine Frage immer öfter, sei es bei Freunden, Zugbekanntschaften oder sogar im Krankenhaus: "Sind Sie/bist du Christ?" Besonders häufig in der Weihnachtszeit. Früher hat die Religion keinen interessiert. "Nee, ich bin normal", hieß es. Da wo ich herkomme, ist die Kirche ein Gerücht. In der Mark Brandenburg haben die Menschen vergessen, dass sie Gott vergessen haben. Schon meine Eltern waren, in den Worten von Friedrich Engels gesprochen, "mit Gott fertig". Aber darüber haben sich ganz andere bereits den Kopf zerbrochen - das alte Problem der Theodizee: Ist Gott gut oder ist er allmächtig? Wenn er allmächtig ist, warum lässt er dann so viel Elend geschehen? Anders gefragt: Warum soll ich an einen bösen Gott glauben? Oder gar an Gottes Sohn?!

Und ausgerechnet ich habe am Heiligabend Geburtstag. War doch ein gutes Timing. Meine Mutter hat sich jedenfalls gefreut, vor nunmehr 39 Jahren. Und noch nie habe ich verstanden, weshalb einige Leute mir deswegen ihr Mitgefühl ausdrücken. Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört, dass fremde Frauen mir die Haare streicheln und sagen: "Ah, ein Christkind! Du Armes, da kriegt man ja nur einmal Geschenke!" Unsinn. Für die Gegenwart mag das stimmen; früher aber war alles besser - erst recht an Weihnachten!

Ich hatte nicht einen Tag Geburtstag, sondern vier lange Wochen. Klar doch, einen Weihnachtsmann gab es nicht, und vom kleinen Jesus hatte ich nie etwas gehört. Also nahm ich alles persönlich: den Duft der Räucherkerzen, die festliche Musik, den Weihnachtsmarkt und und und - als würde sich alle Welt auf meinen großen Tag einstimmen. Manchmal kroch ich schon am ersten Advent zu meinen Eltern ins Bett, zeigte ihnen den leeren Schokoladenkalender als Beweis und rief: "Herzlichen Glückwunsch zu meinem Geburtstag!" Leider nur sind die mir nie auf den Leim gegangen. Geschenke gab es erst in der Nacht zum 24. Dezember. Gegen 0 Uhr weckte mein Vater mich, nahm mich an der Hand und führte mich in die Wohnstube, wo die ersten Kleinigkeiten bereitlagen. Zum Frühstück ging es munter weiter, und so zog sich das den Tag über hin. Die Großeltern schauten vorbei und andere Verwandte. Und alle brachten Geschenke mit. Zu Besuch kamen natürlich auch Freunde. Mitunter hatten wir schon zum Mittag das erste Spielzeug wieder kaputt gemacht. Aber es gab ja noch die Bescherung am Nachmittag - ohne diese Idioten. War ich bei anderen Kindern zum Geburtstag, empfand ich nur Mitleid. Dieses ewige Sackhüpfen im Sommer, das war ja gar nichts, verglichen mit dem, was ich im Dezember erlebte.

Und mit der Zeit wurde Weihnachten eben mehr, obwohl es für mich als Erwachsenen weniger Geschenke einbrachte. Von meiner Freundin bekam ich um Mitternacht immer eine Torte gereicht, mit Kerzen - um dann zur Bescherung so gut wie leer auszugehen, wohingegen ich mich völlig verausgabt hatte: Parfüm, Pralinen und andere Präsente. Ich kenne niemanden, der an seinem Geburtstag die Mitmenschen beschenkt. Wobei diese Frau aber jeden Cent wert war.

In diesem Jahr wird alles anders sein am Heiligabend. Pläne habe ich keine, aber ich hatte welche. Eigentlich war ich bei einem Freund zu Bier und Wildgulasch eingeladen. Vor ein paar Tagen ist er gestorben. Ein Herzinfarkt hat ihn im Schlaf überrascht. Für seine Frau und seine Tochter wird es kein frohes Fest werden. Und ich merke, wie schwer es ist, Trost zu geben. Vielleicht auch, weil wir keine Religion haben. Die Christen kann ich da nur beneiden. Leben ohne Gott ist ganz leicht - aber Sterben ohne Gott .

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