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30 Mai 2009

Ohnesorg Mörder im Auftrag anderer Dienste

Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg im Hof des Hauses Krumme Straße 66 in Charlottenburg während einer Demonstration gegen den Schah von Persien von einem Polizisten erschossen.

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http://www.ondamaris.de/wp-content/uploads/2008/03/ohnesorg01.jpg

Gedenkrelief "Tod des Demonstranten" von Alfred Hrdlicka für Benno Ohnesorg am U-Bahn-Ausgang zur Deutschen Oper, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin


Benno Ohnesorg ;Rechte: dpa

Benno Ohnesorg


Samstag, 23. Mai 2009
Stasi-Spitzel Kurras: Die ganze Wahrheit?
Kaum ist diese merkwürdige Kampagne "Stasi-Agent Kurras hat Benno Ohnesorg erschossen" ein paar Stunden alt, da zeigt sie auch schon die (beabsichtigte?) Wirkung. Der Polizist, der Benno Ohnesorg erschoss, ist praktisch nur noch Stasi-Spitzel und damit (selber) ein "Linker". Das zeigen ja schließlich die Akten - die so gut wie niemand außer ihren "Enthüllern" bislang gesehen hat - und die Photos von Kurras' SED-Mitgliedsausweis, die in praktisch keinem Artikel zum Thema fehlen dürfen. Es scheint nun wirklich keine Frage mehr offen zu sein. Endlich, so meint man offenbar, ist die volle Wahrheit an den Tag gekommen. Der Mann der Ohnesorg erschoss, war ein Stasi-Spitzel und zwar vor allem und zuerst, und - okay - dann auch Polizist (ein bisschen), aber das spielt ja jetzt eigentlich gar keine Rolle mehr, nicht wahr? Und da es reichlich Zeitgenossen gibt, denen diese (neue) Wahrheit, so wie sie sich jetzt darstellt (oder darstellen lässt) vortrefflich in den Kram passt, soll dies dann wohl eben auch die ganze und vollständige Wahrheit gewesen sein. Was mich angeht, so denke ich freilich, dass durch diese "neuesten Erkenntnisse" herzlich wenig klarer ist als vorher und eben keineswegs alle Fragen beantwortet, sondern - ganz im Gegenteil - die wirklich brisanten Fragen wohl gerade jetzt erst (erneut) zu stellen sind. Es ist doch schon ein wenig sehr schlicht, diese seit je ziemlich zwielichtige Gestalt namens Karl-Heinz Kurras nun einfach um 180 Grad zu drehen, und das Ergebnis dieser Wende dann für eine erschöpfende Erkenntnis zu halten. Auch wenn es manchem offensichtlich wie Oel runtergeht, dass er nun krakeelen darf, nicht etwa ein fanatischer Antikommunist, sondern im Gegenteil: ein "überzeugter Kommunist" habe Ohnesorg erschossen - ahm nein: ermordet, denn nun, wo es sich beim Täter ja nicht länger um einen "Gleichgesinnten" handelt, muss man auch nichts mehr beschönigen.

Aber was für ein Mensch war bzw. ist denn dieser Karl-Heinz Kurras überhaupt? Gibt es überhaupt Gründe, ihm dieses oder jenes Etikett zu verpassen und wenn ja - welche?

Schauen wir zunächst mal, was sich bei Wikipedia zu seiner Biographie findet:
Karl-Heinz Kurras wurde als Sohn eines Polizeibeamten in Ostpreußen geboren. Im Alter von fünf Jahren wurde er eingeschult und besuchte später die Oberschule. Als er sich 1944 als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldete, erhielt er ein Notabitur. Nach Kriegsende kam er nach Berlin. 1946 wurde er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach dreijähriger Haft in Sachsenhausen wurde er 1949 begnadigt und daraufhin in den Dienst der Westberliner Polizei gestellt. [1] Im März 1950 war er als Polizeimeister in Berlin-Charlottenburg tätig und versuchte 1955 in Ost-Berlin für die Deutsche Volkspolizei tätig zu sein. Nach einer "gründlichen Aussprache" wurde Kurras zum Verbleib bei der West-Berliner Polizei überzeugt. 1960 wechselte Kurras zur Kriminalpolizei. Seit Januar 1965 gehörte Kurras eine Sonderermittlungsgruppe an, die sich mit der "Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen" befasste.[2] Ebenso wurde Kurras zu einem Mitglied der Abteilung I für Staatsschutz in West-Berlin. Er galt als guter Schütze seiner Einheit und als "Waffennarr". [3] Kurras lebt heute in Berlin-Spandau.

In der Welt hingegen wird behauptet, Kurras habe sich schon 1950 bei der DDR-Polente beworben, sei aber bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen:

Nach Müller-Enbergs Recherchen bewarb sich Kurras 1950 bei der DDR-Volkspolizei, sei allerdings durch die Aufnahmeprüfung gefallen. Nur deshalb habe er dann für die West-Berliner Polizei gearbeitet. Seine Weltanschauung habe er aber nicht geändert. Rätselhaft ist am Lebenslauf von Kurras, dass er von 1946 bis 1950 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen eingesessen hatte. Illegaler Waffenbesitz hatte ihn dorthin gebracht. Gewöhnlich waren entlassene Häftlinge aus den Internierungslagern von jeder Begeisterung für den Sozialismus stalinistischer Prägung kuriert. Bei Kurras traf das offenbar nicht zu.
Für die Verurteilung werden unterschiedliche Gründe angegeben. Mal heißt es, (wie auch die Welt berichtet), er sei verurteilt worden, weil er nach Kriegsende eine Waffe nicht abgegeben habe, mal, man habe ihn wegen politischer Aktivitäten (als Wahlkämpfer) verurteilt und erst 1955 solle er dann versucht haben, bei der Volkspolizei in der DDR anzuheuern, wo man ihn aber als Polizisten nicht haben wollte, sondern ihn stattdessen eben als IM einsetzte.

Über "seine Weltanschauung", die Kurras angeblich "nicht geändert" hat, lässt sich ehrlicherweise nur spekulieren. Vielleicht stimmt dieser Satz (Zitat oben) sogar, und zwar insofern, als Kurras womöglich immer diejenige "Weltanschauung" beibehalten hat, die ihn motivierte, mit 17 Jahren, 1944, als der Krieg faktisch laengst verloren war, freiwillig in Hitlers Wehrmacht einzutreten. Seine Versuche sowohl in West wie in Ost in den Polizeidienst augenommen zu werden sind womöglich sehr viel weniger einer bestimmten politischen Weltanschauung geschuldet als vielmehr - in Anbetracht dessen, was über doch sein recht "inniges" Verhältnis zum "Schießsport" bekannt wurde - dem ausgeprägten Wunsch, eine tödliche Schusswaffe (legal) zu besitzen und bei sich zu führen, wenn nicht sogar dem heimlichen Verlangen diese Waffe auch einmal im "Ernstfall" einsetzen zu dürfen (bzw. sogar zu müssen). Darauf verweist m. E. recht deutlich der Umstand, dass Kurras hinsichtlich der Tötung Ohnesorgs offenbar nie ein Zeichen der Reue oder des Bedauerns zeigte, sondern vielmehr der verpassten Gelegenheit, bei der er hätte noch exzessiver "ballern" können, nachtrauerte:
"Fehler? Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So iss das zu sehen." (Stern)

Demo gegen den Vietnam-Krieg 1966 ;Rechte: dpa

In den 60er Jahren kam Bewegung in die politische Kultur der BRD



Dass Kurras (hinsichtlich seiner vorgeblichen "Liebe" zur DDR) tatsächlich ein "Überzeugungstäter" gewesen sein sollte, scheint mir dagegen wenig plausibel zu sein. Eher würde ich eher vermuten, dass die Stasi entweder etwas über Kurras wusste, mit dem sie ihn erpressen konnte oder aber, dass Kurras womöglich im Auftrag anderer Dienste überhaupt erst als IM angeheuert hat. Ein Verdacht, den offenbar auch seine Chefs bei der Stasi hegten:
In der Akte finden sich keine Hinweise darauf, dass Kurras Ohnesorg im Auftrag der Stasi erschoss, um Westberlin zu destabilisieren. Im Gegenteil: In Kurras SED-Parteibuch wurden nach dem 2. Juni 1967 keine Marken mehr geklebt. Die Stasi habe am 8. und 9. Juni geprüft, ob Kurras ein Doppelagent sei. Offenbar konnte sich die Stasi Kurras Schuss auf Ohnesorg nur erklären, indem sie ihn als U-Boot verdächtigte.(taz)
Als weitere Möglichkeiten bleiben schlichte Geldgeilheit und /oder die Möglichkeit, sich so (nebenbei) seine Lieblingsbeschäftigung ("Ballern wie die Blöden") auf vergleichsweise angenehme Weise zu finanzieren. Vielleicht gab ihm seine Doppelrolle (und das damit verbundene Bewusstsein mehr zu sein als zu scheinen) auch einen besonderen "Kick". Was immer ihn bewogen haben mag und was immer er wirklich für eine Rolle gespielt hat - von ihm selbst wird man es ganz sicherlich nicht erfahren, denn gleichgültig was er dazu zum Besten gibt, es gibt keinen Anlass ihm (noch) irgendetwas zu glauben, das nicht zugleich auch von anderer Seite ("objektiv")zu belegen ist.

Nachdenklich stimmt mich auch, dass die Stasi-Akte des Kurras dessen Original SED-Mitgliedsbuch enthalten haben soll. Warum? Damit es seine Kollegen (West) nicht "aus Versehen" bei ihm finden können? - Oder eher, um gegebenenfalls ein zusätzliches Druckmittel gegen ihn in der Hand zu haben? Jedenfalls scheint es mir keineswegs unvorstellbar, dass man Karl-Heinz Kurras womöglich (mit "freundlichem" Nachdruck) genötigt hat in die Partei einzutreten; "Wenn Du nicht spurst 'Genosse', dann geht das Ding postwendend an Deine Dienststelle West. Also mach ja keine Zicken." Dass Kurras so blöde gewesen sein sollte, das Ding freiwillig und aus freien Stücken der Stasi zu überlassen (vorausgesetzt es ist tatsächlich "echt", immerhin sieht es - soweit ich es beurteilen kann - auf den Fotos aus, als käme es frisch aus der Druckerpresse), mag ich jedenfalls nicht so recht glauben. Vielmehr neige ich dazu, diesen Umstand als ein Indiz dafür sehen, dass die Firma "Horch und Guck" dem lieben und angeblich ach so überzeugten Kollegen 'Genossen', wohl doch nicht so recht über den Weg getraut haben wird. Auch, dass Kurras seit 1965 einer Sonderermittlungsgruppe, die sich mit der "Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen" befasste und der Abteilung I für Staatsschutz in West-Berlin angehört haben soll, wirft doch geradezu zwingend die Frage auf, wie es denn wohl um die Kontrolle dieser Kontrolleure bestellt gewesen sein mag. Ein so hohes Tier, dass man ihn nach Gutdünken hätte schalten und walten lassen, scheint Kurras ja nun auch wieder nicht gewesen zu sein. Vielleicht sollte man sich also endlich auch mal bei BND, CIA, Verfassungsschutz usw. nach einer "Akte Kurras" umsehen?



http://einestages.spiegel.de/hund-images/2007/10/15/49/2e3e27369cc80244313c27bf15b18492_image_document_large_featured_borderless.jpg

In eher (neo-)konservativen und weiter rechten Kreisen meint man nun offensichtlich - das zeigen zahlreiche Kommentare zu Artikeln, sowie in diversen entsprechend ausgerichteten blogs und Foren zu denen ich hier "keinen Link habe" (© by feynsinn) - triumphieren zu dürfen. Allein, dazu besteht doch wenig Anlass. Nicht die (westdeutsche) Linke ist durch diese "neuen Erkenntnisse" blamiert, sondern (nun erst recht) die Berliner Polizei und der westdeutsche bzw. Westberliner Justizapparat, nebst all seinen "Abwehrdiensten". Entweder hatte man bei der Westberliner Polizei geradezu erschreckend niedrige Ansprüche an die Qualitaet des Personals - immerhin soll Kurras ja nicht einmal die Aufnahmeprüfung bei der VoPo bestanden haben - oder aber man hatte gute Gründe, den Mann nicht nur einzustellen, sondern auch noch ziemlich schnell in eine ziemlich brisante Position zu befördern.

Schlussendlich aber kann man es drehen und wenden wie man will: Benno Ohnesorg wurde nicht erschossen, weil Kurras ein IM und Mitglied der SED war (vorausgesetzt, dass das stimmt), sondern, weil er als Angehöriger der (West-)Berliner Polizei (und womöglich weiterer "Dienste"?) an jenem Tag und Ort im Einsatz war. Dafür, dass Kurras Ohnesorg im Auftrag der Stasi (als als IM) erschossen haben könnte, (eine These,an der man sich in oben erwähnten, hier nicht verlinkten Kreisen ausgiebig delektiert) spricht nach Aussage von Müller-Embergs nichts. Die Frage aber, ob Kurras (und seine Kollegen) evtl. von anderer Seite angehalten worden sein könnten, die Situation möglichst stark "anzuheizen", und Kurras diese Gelegenheit dann "nach besten Kräften" (und dazu in seinem ureigenen Sinne) beim Schopf ergriff, bleibt jedoch weiter offen.

Auch eine andere (geänderte) Wahrheit ist noch nicht die ganze Wahrheit.




Benno Ohnesorgs Tod (2. Juni 1967)

© Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz / Kunstbibliothek, SMB / Bernard Larsson



http://www.welt.de/multimedia/archive/00816/kurras_verpflichtun_816353a.jpg



Geheime Erklärung

Was Karl-Heinz Kurras der Stasi versprach

21. Mai 2009, 22:34 Uhr

Forscher haben sensationelle Dokumente über den Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras veröffentlicht. Er erschoss 1967 den Studenten Benno Ohnesorg. Nun ist bekannt geworden, dass Kurras sich mit der Stasi der DDR eingelassen haben soll. Wir dokumentieren die mutmaßliche Verpflichtungserklärung.


Erklärung von Kurras

Die Historiker Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs berichten in einem Aufsatz im "Deutschlandarchiv" über das Doppelleben des Westberliner Polizisten Karl-Heinz Kurras (geboren 1927). Der Kripo-Beamte in Zivil erschoss 1967 den Studenten Benno Ohnesorg.

Nach Angaben der Forscher hatte sich Kurras zuvor mit der Stasi der DDR eingelassen und jahrelang Interna aus der Westberliner Polizei an das Ministerium für Staatssicherheit verraten.

Die Forscher dokumentieren in dem Aufsatz auch die Verpflichtungserkärung, mit der sich Kurras zur Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit verpflichtet haben soll.

Hier das Transskript der Erklärung, die handschriftlich erfolgte.




„Berlin, den 26. April 1955



Verpflichtung!

Aus der Erkenntnis heraus, daß ich als Angehöriger der Stummpolizei* keiner guten Sache diene, habe ich mich entschlossen, meine Arbeitskraft dem Friedenslager zur Verfügung zu stellen.

Trotzdem ich politisch unbeschult bin, bin ich der Meinung, daß der Weg des Ostens die richtige Politik verkörpert.

Um bei dieser Entwicklung mitzuhelfen, bin ich bereit den mir bekannten Vertreter für Staatssicherheit Vorkommnisse aus der Stummpolizei wahrheitsgemäß zu berichten.

Ich erkläre mich bereit, gegenüber jedermann hinsichtlich meiner Tätigkeit größtes Stillschweigen zu wahren

Ich stehe mit keiner anderen Organisation bzw Personen betr. Dieser und ähnlicher Arbeit in Verbindung

Sollte ich angesprochen werden, so gebe sofort eine entsprechende Mitteilung.

Ich werde meine Berichte mit dem Decknamen „Otto Bohl“ unterzeichnen.

Karl-Heinz Kurras“

*Als Stumm-Polizei wurde in der DDR die Westberliner Polizei bezeichnet, die der Jurist und Sozialdemokrat Johannes Stumm (1897 bis 1978) ab 1948 aufgebaut hatte.



Benno Ohnesorgs Tod (2. Juni 1967)

Bei der Demonstration gegen den Schah-Besuch in West-Berlin am Abend des 2. Juni 1967 wurden von der Polizei auch Kriminalbeamte in Zivil eingesetzt, um Anführer des Protestes zu verhaften. Im Verlauf der Straßenschlacht fiel ein Schuss aus der Waffe des Kriminalpolizisten Karl-Heinz Kurras und traf den 26-jährigen Germanistikstudenten Benno Ohnesorg in den Kopf. Die zufällig anwesende Studentin Friederike Hausmann bemühte sich vergeblich, dem tödlich getroffenen Ohnesorg zu helfen. Vor Gericht wurde der Todesschütze Kurras am 21. November 1967 freigesprochen. Nach Ohnesorgs Tod weiteten sich Studentenbewegung und außerparlamentarische Opposition aus und radikalisierten sich. Rückblickend sagte Friederike Haumann, die damalige Befürchtung der Studenten war: „Wir blicken einem beginnenden Faschismus ins Gesicht.“ Foto von Bernard Larsson.




Politik: Kurras und das Modell Gladio

Rechter UND linker Terrorismus mit NATO-Geheimdienstlern infiltriert

Von Jürgen Elsässer

Wer meine These, dass der Ohnesorg-Mörder Kurras auch als Stasi-Mann noch von der westlichen Seite gelenkt worden sein könnte, vorschnell abtut, möge sich für einen Augenblick die Geschichte von Gladio anschauen – die Geschichte eines Spiels über Bande, zum Teil über doppelte Bande.

Diese von den US-Amerikanern geführte NATO-Geheimarmee war in der Zeit des Kalten Krieges in zahlreiche Terrranschläge verstrickt bzw. hat diese angestiftet – und zwar rechte wie linke. Besonders gut dokumentiert ist das im Falle Italien (Entführung Aldo Moro!), aber es gibt auch Hinweise auf Gladio-Einsätze in der Bundesrepublik. Kurras arbeitete in der Westberliner Polizei bis zum 2. Juni 1967 in jener Abteilung, die Verräter in den eigenen Reihen aufspüren sollte – das ging nur mit Geheimdienstkontakten, zum BND und zur CIA. Mit Gladiokontakten?

Andere Beispiele habe ich in meinem Buch “Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste” (Residenz Verlag 2008, 340 Seiten, 21.90 Euro; Bestellung AUCH über info@juergen-elsaesser.de) aufgeführt, u.a. mit Verweis auf den Schweizer Daniele Ganser, den besten Gladio-Kenner. Auszüge aus meinem Buch:

Ganser hat Hinweise gefunden, wie auch in der Bundesrepublik rechtsradikaler Terror mit Hilfe der Gladio-Strukturen durchgeführt worden sein könnte, und zwar der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest am 26. September 1980. Damals starben 13 Menschen, 219 wurden verletzt. Zwei Mitglieder der „Vereinigung Deutscher Aktionsgruppen“ gestanden bereits einen Tag später, dass der Nazi Heinz Lembke ihnen Waffen, Sprengstoff und Munition angeboten und von großen Lagern mit Militärgerät geredet habe.

Dieser Aussage gingen die Fahnder aber erst auf den Grund, als etwa ein Jahr später durch Zufall eines der Erddepots aufflog. Der schnell festgenommene Lembke offenbarte gegenüber den Verhörbeamten die Lage seiner 32 weiteren Waffen- und Sprengstoffvorräte in der Lüneburger Heide. Dort wurden unter anderem14.000 Schuss Munition, 50 Panzerfäuste, 156 kg Sprengstoff und 258 Handgranaten sichergestellt. Quantität und Qualität der sichergestellten Hardware sprechen laut Ganser dafür, dass es sich um Gladio-Bestände handelte.

Dies konnte jedoch nie bewiesen werden, da Lembke am 1. November 1981 erhängt in seiner Zelle aufgefunden wurde. Er hatte zuvor gedroht, am nächsten Tag gegenüber der Staatsanwaltschaft seine Hintermänner zu benennen. Ermittlungsbehörden und Politik einigten sich in der Folge darauf, dass Lembke ein Einzelgänger gewesen sei und es auch keine Verbindungen zum Oktoberfestattentat gebe.

Ob Gladio, wie südlich der Alpen, auch bei den Linksterroristen mitmischte? Hinweise auf geheimdienstliche Infiltration der Roten Armee Fraktion (RAF) fand jedenfalls neben Sachbuchautoren wie Gerhard Wisnewski und Ekkehard Sieker auch Michael Buback, dessen Vater Siegfried, der damalige Generalbundesanwalt, am Gründonnerstag 1977 samt seiner zwei Leibwächter erschossen worden war.

Buback ermittelte auf eigene Faust und stieß auf eindeutige Hinweise, dass die bisher wegen der Bluttat Verurteilten – die RAF-Mitglieder Christian Klar, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt – die tödlichen Schüsse nicht abgegeben haben konnten. Vielmehr sei mit ziemlicher Sicherheit die Terroristin, bei der später auch die Tatwaffe gefunden wurde, die Mörderin gewesen – Verena Becker. Diese war nicht nur RAF-Mitglied, sondern stand auch auf der Gehaltsliste der Gegenseite. „Uns ist klar geworden, dass Frau Becker eine dringend Tatverdächtige ist und gleichzeitig eine Informantin des Geheimdienstes,“ resümierte Michael Buback.

Im Zuge seiner Recherchen fand der Sohn des Ermordeten Hinweise und Augenzeugen, die seine These von der Todesschützin Becker untermauerten – aber bei den Ermittlungen der Polizei regelrecht unterdrückt worden waren. Buback suchte einen Grund für dieses Fehlverhalten der Strafverfolgungsbehörden: „Unter den Möglichkeiten, die wir auch mit Journalisten erörtert haben, ist die noch am wenigsten schlimme, dass Geheimdienste in den siebziger Jahren glücklich waren, eine Kontaktperson im RAF-Bereich (gemeint: Verena Becker, Anm. J.E.) gefunden zu haben.

Da stellt man plötzlich mit Schrecken fest, dass diese Person doch nicht voll unter Kontrolle war und sie den Generalbundesanwalt erschossen hat. In dieser misslichen Situation kann schon die Versuchung entstehen, diesen Tatbeitrag zu verbergen. Es gibt weitere, noch bedrückendere Denkmöglichkeiten. So könnte die Deckung eines Täters deshalb so rasch Wirkung entfaltet haben, da sie vorbereitet werden konnte, weil man von der Tat bereits vor deren Ausführung wusste. Ein schrecklicher Gedanke! Leider können wir auch diese Variante nicht mit Sicherheit ausschließen. Wir sind überzeugt, dass mein Vater neben der RAF noch andere Gegner hatte, und es gibt bedrückende Hinweise dafür.“

Wussten bundesdeutsche Staatsorgane also „von der Tat bereits vor deren Ausführung“? War Becker schon 1977 Mitarbeiterin eines westdeutschen Geheimdienstes? Ist die einzig offene Frage, ob sie am 7. April 1977 als wildgewordene Kombattantin ohne Auftrag ihres Dienstherren schoss – oder mit dessen Billigung?


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28 Mai 2009

Staatsterror Gang und Gaebe - Kurras Ohnesorg

07. November 2005 Wer über den Terror spricht, der die Bundesrepublik in den siebziger Jahren in ihre schwerste Krise stürzte, der handelt für gewöhnlich von der RAF. Weitgehend in Vergessenheit geraten ist dagegen der rechte Terrorismus jener Jahre, obgleich allein Anfang der Achtziger mehr Menschen durch rechtsextreme Täter starben als in den Jahren der RAF zusammen.

So rechnen es der Autor Yury Winterberg und der Regisseur Jan Peter in ihrer verstörenden Dokumentation .Der Rebell. vor, die Arte an diesem Montag abend - leider viel zu spät - ausstrahlt. Von .einer der unheimlichsten Biographien der bundesrepublikanischen Geschichte., so das Duo, handele ihr Porträt. Mit gleichem Recht aber könnte man es mit Hannah Arendt einen Bericht von der Banalität des Bösen nennen. Im Fall des Odfried Hepp tritt es als Chamäleon auf.

Einer der meistgesuchten Terroristen der Welt

Bis zu seiner Festnahme 1985 war der Neonazi Odfried Hepp einer der meistgesuchten Terroristen der Welt, gleichzeitig im Südlibanon ausgebildeter Offizier der Palästinensischen Befreiungsfront und Stasi-Informant. 1982 verübte seine .Hepp-Kexel-Gruppe. mehrere durch Banküberfälle finanzierte Attentate auf Angehörige der amerikanischen Armee in Frankfurt, Butzbach, Darmstadt und Gießen. Versehen mit unzähligen Pseudonymen und Masken sowie einem falschen bundesrepublikanischen Paß, den ihm die Stasi besorgte, floh Hepp über Damaskus, Tunis und Barcelona nach Marseille, bevor er in Paris vom französischen Geheimdienst verhaftet wurde.

Dem .Spiegel. galt er als .Chefdenker der Neonazi-Szene., und selbst die .taz. druckte sein Manifest .Abschied vom Hitlerismus., in dem er den Schulterschluß mit der RAF suchte, um gemeinsam den .Befreiungskampf. zu führen, sprich die .amerikanische Besatzungsmacht. aus Westdeutschland herauszubomben.

Psychogramm eines politisierten Gewalttäters

Winterberg und Peter lassen den Aussteiger, der heute unauffällig lebt und nur gelegentlich Besuch vom Verfassungsschutz erhält, seine Lebensgeschichte an den Originalschauplätzen weitgehend unkommentiert, nur unterstützt durch die Schilderungen von Weggefährten, selbst erzählen. Mit den naheliegenden Folgen: Zwar glorifiziert Odfried Hepp, der in der Neonazi-Szene mittlerweile als Verräter gilt, weder seine einstige Gesinnung noch seine Gewalttaten, durchweg aber banalisiert er sie. Vom Tod des braunen Kameraden Kai-Uwe Bergmann, der von der berüchtigten .Wehrsportgruppe Hoffmann. im PLO-Lager wegen heimlichen Rauchens zu Tode gefoltert wurde, spricht er, als habe es sich um Sandkastenbübereien gehandelt - im übrigen eine der wenigen Stellen des Films, in denen der Kommentar die Darstellung Hepps direkt durch Ergänzungen konterkariert.

Darüber hinaus jedoch entsteht durch die rückschauend distanzierte Unmittelbarkeit, mit der Hepp über die Anfänge seiner nazistischen Weltsicht im Elternhaus berichtet, wie über die gewollte allgemeine Verunsicherung des Terrors (.die Masse unten kann man nicht schützen.) das exemplarische Psychogramm eines politisierten Gewalttäters, wie es aktueller nicht sein kann.

Ein Film, der sich die einfachen Antworten verkneift

Erschreckend ist, wie ungerührt Hepp heute wirkt. Nachdem er den Hauptteil seiner insgesamt vierzehnjährigen Freiheitsstrafe verbüßt hatte, ist er wieder ins Elternhaus nach Achern im Schwarzwald gezogen, wo einst das rechtsradikale Liedgut von Hepps .Kampfgruppe Schwarzwald. wohlwollend geduldet war, solange sie nicht nach 22 Uhr sangen, wie die jüngere Schwester berichtet. Als freundlicher Cicerone führt Hepp durch den Garten, zeigt hier des Großvaters .Hühnerhotel. und da den Kirschbaum und warnt fürsorglich vor unebenen Kellertreppenstufen. Nach seiner Entlassung hat er das Studium des Französischen und Arabischen mit Diplom abgeschlossen und beim Verfassungsschutz - vergeblich - um eine Festanstellung nachgesucht. Was er treibt, bleibt im dunkeln.

Ergänzt werden die Selbstauskünfte Hepps durch den ehemaligen Weggefährten Steffen Dupper, der die charismatische Persönlichkeit des Ex-Terroristen hervorhebt, sowie durch seinen ehemaligen Stasi-Führungsoffizier Eberhard Böttcher, den die Qualitäten seines einstigen .Spitzenmannes. begeistern. Doch wer ist der eigentliche Odfried Hepp? Das will die Dokumentation nicht abschließend beantworten. Seinen Selbstaussagen traut sie nur bedingt, und darin liegt ihre Qualität: Indem Yury Winterberg und Jan Peter eingangs Novalis zitieren, setzen sie den Ton und die folgenden neunzig Minuten in Anführungszeichen: .Das größte Geheimnis ist der Mensch sich selbst.. Und bleibt es den anderen. Im Guten wie im Bösen. Besonders aber im Bösen.

An diesem Montag um 23.35 Uhr bei Arte.

Text: F.A.Z., 07.11.2005, Nr. 259 / Seite 40
Bildmaterial: SWR/privat

Wehrsportgruppe Hoffmann und Gladio

Peter Mühlbauer 26.05.2009
Die Grünen fordern von der Bundesregierung Auskünfte zum Oktoberfest-Attentat
Am 26. September 1980 explodierte auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe, durch die 13 Menschen ums Leben kamen und Hunderte teilweise schwer verletzt wurden. Obwohl unter anderem Zeugenaussagen auf mehrere Täter hindeuteten, wurden die Ermittlungen damals mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass der Geologiestudent Gundolf Köhler den Anschlag, bei dem er selbst ums Leben kam, im Alleingang verübte.

Die Recherchen des Historikers Daniele Ganser und des Journalisten Tobias von Heymann[1] warfen in den letzten Jahren zahlreiche neue Fragen zu diesem Ereignis auf, von denen die Bundestagsfraktion der Grünen nun einige der Regierung vorlegte. Gleichzeitig will der Münchener Rechtsanwalt Werner Dietrich, der ein direktes und mehrere indirekte Opfer des Attentats vertritt, bei der Bundesanwaltschaft erreichen, dass die Ermittlungen mit "neuen kriminaltechnischen Erkenntnismöglichkeiten" wiederaufgenommen werden.

Letzteres dürfte sich allerdings insofern als schwierig erweisen, als nach Angaben des bayerischen Justizministeriums "keinerlei Asservate mehr vorhanden" sind, an denen Materialherkunfts- oder DNA-Tests vorgenommen werden könnten. Alle Gegenstände seien nämlich "entweder vernichtet oder zurückgegeben" worden. Bemerkenswert ist diese Auskunft nicht nur deshalb, weil man damals beträchtliche 1.500 Beweisstücke sicherstellte, sondern auch, weil eigentlich gerade die Asservaten aus einem so spektakulären Fall die Kriterien für Archivwürdigkeit erfüllen müssten. Man wird sehen, ob die Anfrage einer Bundestagsfraktion hier andere Antworten zu Tage bringt, als sie das bayerische Justizministerium der Presse gibt.
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Neben Beweisstücken könnten allerdings auch die etwa 1.800 Zeugenaussagen und rund 100 Gutachten zur Gewinnung neuer Erkenntnisse genutzt werden, weshalb die Grünen auch wissen wollen, was aus diesem Material wurde.

Zwei Schwerpunkte der Anfrage sind die Wehrsportgruppe Hoffmann und die Gladio-Strukturen. So möchte die Partei beispielsweise wissen, wer die vom der Generalbundesanwaltschaft nach dem Attentat vernommenen Mitglieder der von Karl-Heinz Hoffmann gegründeten Organisation waren, was bei den Durchsuchungen und Verhören heraus kam und woher der damalige bayerische Innenminister Gerold Tandler seine Einschätzung hatte, dass "alle Ermittlungen" dafür sprächen, "dass die Angehörigen der Wehrsportgruppe Hoffmann schuld sind an diesem Massenmord auf der Wies'n". Die Einschätzung, dass der Anschlag "durch rechts-extremistische Kreise inszeniert" war, sollen damals auch zwei Bonner Staatssekretäre geteilt haben, deren Identität die Bundestagsfraktion klären lassen will.

Aufklärung erhofft man sich außerdem über mögliche Verbindungen Hoffmanns zu den Olympia-Attentätern von 1972 sowie zur Herkunft des Geldes dieser Gruppe und zu den in- und ausländischen Kontakten mit anderen Organisationen - besonders zu solchen im südlichen Afrika, im Nahen Osten und in Italien. Auch zu den 20 Rechtsextremisten, die dort nach dem Attentat angeblich als Verdächtige festgenommen wurden, und zu einem Bekenneranruf der "Rechten von Bologna" will man Genaueres wissen. Weiterhin von Interesse sind für die Grünen die Rolle des mutmaßlichen BND-Agenten Udo Albrecht, der Doppelmord an Shlomo Levin und Frida Poeschke sowie der Foltermord an Kai-Uwe Bergmann.

Die Fragen zu Gladio und den Stay-Behind-Strukturen stützen sich zu einem großen Teil auf die bei der Birthler-Behörde gelagerten Akten der DDR-Staatssicherheit, die Wolfgang Schäuble vernichten lassen wollte. Dort finden sich unter anderem Berichte darüber, dass unter Anleitung und mit Hilfe westlicher Geheimdienste "im Zeitraum 1966 bis in die 70er Jahre hinein in Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland Waffenlager angelegt, Pläne für die Sprengung von Verkehrsknotenpunkten und Großbetrieben sowie Putschpläne ausgearbeitet und so genannte Antikommunistische Aktionsgruppen gebildet" wurden. Hinsichtlich dieser Spezialkräfte für den "subversiven Kampf" wollen die Grünen wissen, ob die Bundesregierung ausschließen kann, dass Organisationen wie die Deutschen Aktionsgruppen, die Aktionsfront Nationaler Sozialisten, der Heimatschutzverein Eifel, die Braunschweiger Gruppe oder die Wehrsportgruppe Hoffmann an solchen Strukturen beteiligt waren.

Ebenfalls in den MfS-Akten finden sich Hinweise darauf, dass eine italienische Terrorgruppe namens Kampf gegen den Kommunismus in einem "geheimen NATO-Stützpunkt auf Sardinien und in einem Lager in Bayern ausgebildet" und mit Waffen aus Westdeutschland ausgestattet wurde. Unter anderem deshalb enthält das offizielle Auskunftsersuchen auch Fragen dazu, inwieweit der Bundesnachrichtendienst, der im sardinischen Sassiri eine Residentur unterhält, in solche Aktivitäten verwickelt war.


[1]
Heymann, Tobias von: Die Oktoberfestbombe. Berlin: Nora 2008. Die hier behandelten Teile der Kleinen Anfrage stützen sich auf die Seiten 79, 175, 183, 192, 198, 200, 283, 286, 295 ff., 345, 357, 363, 370 ff., 377 ff. 393 ff., 415 ff. und 424


13. Mai 2009
Oktoberfestattentat in München endlich vollständig aufklären

Am 26. September 1980, zwei Tage vor einer Bundestagswahl, bei der der CSU-Vorsitzende FJ Strauß Bundeskanzler werden wollte, explodiert auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe, tötete 13 Menschen und verletzte fast 200, zum Teil sehr schwer.

29 Jahre danach ist diese Terrortat nicht vollständig aufgeklärt, an der These eines verwirrten jugendlichen rechten Einzeltäters gibt es mehr Zweifel denn je.

Nach jahrelangen Recherchen sind neue Hinweise auf eine organisierte rechtsradikale Tat aufgetaucht. Deutsche Geheimdienste stehen im Verdacht, über Agenten in dem Feld des rechten Terrors präsent gewesen zu sein. Die damalige Wehrsportgruppe Hoffmann, in der schon immer die Hintermänner des Anschlags vermutet wurden, soll genau in den Tagen der Terrortat unter Observation gestanden haben.

Die möglichen Verbindungen des Attentäters Köhler und der Materialien der verwendeten Bombe zum rechtsterroristischen Umfeld, zu deutschen Geheimdiensten und zu westeuropäischen Sabotageeinheiten in vielen NATO-Staaten sind durch Dokumente, die in den Unterlagen der Staatssicherheit der DDR gefunden worden, müssen restlos aufgeklärt werden. Noch vorhandene Beweismittel müssen mit modernen Methoden nochmals auf ihre mögliche Herkunft aus rechtsterroristischen Zusammenhängen untersucht werden. Beziehungen des getöteten Bombenlegers Köhler und seines Umfelds zu Geheimdienstkreisen in Deutschland, in den westeuropäischen Staaten und zur CIA der USA müssen jetzt endlich aufgedeckt werden. Mord kennt keine Verjährung, weshalb auch die seltsame Tatsache zu untersuchen ist, warum Beweismittel des Oktoberfestattentats nicht mehr auffindbar und angeblich aus dem Besitz der Generalbundesanwaltschaft verschwunden sind.

Wir GRÜNE haben deshalb eine umfangreiche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet und verlangen Aufklärung. Mir als Münchner Bundestagsabgeordneten liegt es besonders am Herzen, endlich Licht in das Dunkel des Oktoberfestattentats kommt und mögliche Täter und Hintermänner zur Verantwortung gezogen werden.


Inszenierter Terror

Reinhard Jellen 25.09.2008
Interview mit Daniele Ganser über die NATO-Armee Gladio. Teil 1
Daniele Ganser ist Historiker an der Universität Basel. In seinem Buch "NATO Geheimarmeen in Europa" untersuchte er die Verstrickungen der Organisation Gladio, die im Kalten Krieg Rechtsextremisten rekrutierte und für verschiedene Terroranschläge verantwortlich war.

Herr Ganser, zuerst einmal eine technische Frage: Wie schreibt man eine Doktorarbeit über ein Thema über das es nur wenige offizielle Dokumente gibt, weil die staatlichen Stellen die Existenz von militärischen Geheimtruppen in ihren Ländern leugnen?

Daniele Ganser: Ich konnte auf ein Dokument des italienischen Geheimdiensts SIFAR zurückgreifen, welches in den 50er Jahren verfasst wurde. Das Dokument trägt den Titel "Die Spezialeinheiten des SIFAR und die Operation Gladio". Dieses bestätigte, dass es in Italien eine Geheimarmee gab, dass zweitens diese Geheimarmee den Namen Gladio trug, dass drittens diese von der CIA aufgebaut, ausgerüstet und unterstützt wurde, dass viertens Gladioorganisatorisch innerhalb des italienischen militärischen Geheimdienst angesiedelt war und dass fünftens ähnliche Geheimarmeen auch im Ausland existieren und durch spezielle Ausschüsse innerhalb der NATO koordiniert werden.

Diese geheimen Ausschüsse sind in diesem Dokument auch noch benannt: Es sind das Allied Clandestine Commitee und das Clandestine Planning Committee. Dieses Dokument habe ich als Basis genommen und durch parlamentarische Untersuchungsberichte zu den Geheimarmeen in Italien, Belgien und der Schweiz und einschlägige Werken wie Memoiren und Erinnerungen von Generälen und Geheimdienstoffizieren und Forschungen von Journalisten ergänzt.

Sie schreiben in ihrem Buch es hätte im NATO-Vertrag einen Geheimpassus gegeben, der jedes Mitgliedsland verpflichtete inoffizielle militärischer Strukturen aufzubauen, um im Falle einer Machtübernahme der Kommunisten im Verbund mit Rechtsradikalen den Gegenschlag anzutreten...

Daniele Ganser: Dazu muss man zunächst sagen, dass solche geheimen Zusätze zu den NATO-Verträgen im Original den Historikern nicht zugänglich sind, wenn es sie denn gibt. Ich nehme hier eine Diskussion auf, die existiert: Verschiedene Leute in der Forschung zu den Geheimarmeen haben behauptet, dass es diese geheimen Zusätze gab, aber erwiesen ist das nicht.
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Das muss man schon unterscheiden. Wenn ein Land Mitglied der NATO wird, unterzeichnet es einen Vertrag und der ist auch öffentlich einsehbar. Aber ob es dazu geheime Zusätze gibt, die den Aufbau einer Geheimarmee explizit fordern, kann man bis heute nicht beweisen. Was man aber weiß ist, dass in der Tat in allen NATO-Ländern Geheimarmeen aufgebaut wurden und da dies geschehen ist deutet dies darauf hin, dass dies von der NATO gefordert wurde.

Wer war an der Schaffung dieser Organisationen beteiligt?

Daniele Ganser: Wichtig und zentral waren die militärischen Geheimdienste des jeweiligen Landes, die beraten von den Siegermächten aus Washington und London überzeugte Anti-Kommunisten rekrutierten. Das waren zum einen Teil Rechtsextreme aber auch Konservative und Katholiken aus dem politischen Zentrum, die auch anti-kommunistisch eingestellt waren. Es wurden keine Linken rekrutiert, weil man die NATO einerseits durch eine Invasion durch die Sowjetunion, andererseits durch die Machtergreifung der Kommunisten in den Demokratien von Westeuropa gefährdet wähnte.

Es kam also am Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem Umdenken innerhalb der westlichen Alliierten, die bislang die kommunistischen Widerstandskämpfern in den besetzten Ländern unterstützt hatten ...

Daniele Ganser: Dies ist in der Tat eine der großen Kehrtwendungen in der Geschichte. Es ist richtig, dass im Zweiten Weltkrieg z. B. in Italien die Kommunisten gegen Mussolini und die Faschisten kämpften und so haben die Amerikaner mit den Kommunisten zusammengearbeitet. Das gleiche haben auch die Engländer in Griechenland gemacht. Am Schluss des Krieges, als absehbar war, dass Hitler und Mussolini den Krieg verlieren, dachten die Kommunisten in Italien, Griechenland und Frankreich, dass die Unterstützung der Amerikaner und der Briten echt war, aber sie war nur strategisch als so genannte Balance Of Power gedacht.

Organisation Gehlen

Die USA und die Briten stoppten am Ende des Krieges die Waffenlieferungen an ihre kommunistischen und sozialistischen Waffenbrüder. Diese waren sehr enttäuscht und erkannten, dass die Engländer und Amerikaner nach dem Prinzip vorgingen: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Und als der eine Feind geschlagen war, wurden nicht die gegnerischen Widerstandsbewegungen weiter unterstützt, sondern die ehemaligen Feinde, also plötzlich Faschisten und Rechtsextreme. Mit Moral hat das wenig zu tun, aber viel mit Strategie und Macht. In Deutschland gab es auch diese Kehrtwende. Als man die Niederlage Hitlers erreicht hatte, durchkämmten der amerikanische Geheimdienst Counter Intelligence Corps (CIC) ganz Deutschland nach Nazis, die im Kampf gegen den Kommunismus gebraucht werden konnten. Am bekanntesten ist der erste deutsche Geheimdienstchef nach dem Zweiten Weltkrieg, Reinhard Gehlen.

Dieser General von Hitler ist nur dadurch Geheimdienstchef geworden, weil das CIC herausgefunden hatte, dass Gehlen an der Ostfront im Kampf gegen die Kommunisten beteiligt gewesen war, dort sehr brutale Verhörmethoden z. T. mit Folterungen verwendete und die Ergebnisse aufzeichnete, welche dann am Ende des Krieges in den österreichischen Alpen vergraben wurden. Diese Daten offerierte Gehlen den Amerikanern, worauf er nach Washington zu Präsident Truman geladen und Direktor der Organisation Gehlen wurde. Die Amerikaner haben also in Nürnberg einen Teil der Nazis auf moralischer Basis abgeurteilt und einen anderen Teil der führenden Nationalsozialisten wiedereingesetzt, weil man sie im Kalten Krieg brauchte.

Wann wurde das Konzept von Stay-Behind-Strukturen zugunsten der Unterstützung Rechtsradikaler und terroristischer Aktivitäten aufgegeben?

Daniele Ganser: Man kann nicht sagen, dass das Netzwerk eine Zeit die eine Funktion ausgeführt hat, nämlich die Vorbereitung auf die sowjetische Besetzung und den darauf folgenden Kampf als Guerilla-Armee im Untergrund, diese dann aufgegeben und dann die Aufgabe der Bekämpfung der kommunistischen Bewegung in den westlichen Demokratien übernommen hat. Das lässt sich nicht trennen. Dieses Netzwerk hat in allen europäischen NATO-Ländern und auch in neutralen Nationen während des gesamten Kalten Krieges, d.h. von 1947 bis 1991 existiert und in allen diesen Ländern eine doppelte Aufgabe gehabt: Erstens sich gegen eine sowjetische Invasion zu wappnen, dazu hat man Trainings- und Waffenlager angelegt und zweitens hatte es die mögliche Funktion, dass es ganz unabhängig von einer Invasion gegen einen inneren Feind eingesetzt würde. So steht es auch im eingangs erwähnten Dokument des italienischen Geheimdienstes aus den 1950er Jahren. Es ist aber nur in wenigen Ländern zu diesem inneren Einsatz gekommen, dass also Rechtsextreme innerhalb dieser Gladio-Netzwerke in enger Zusammenarbeit mit den entsprechenden Geheimdiensten der Länder und in Kontakt mit den Geheimdiensten der Amerikaner und Engländer tatsächlich Terroranschläge ausgeübt haben.

Hierzu gibt es in Italien den bestdokumentierten Fall: Der Anschlag von Peteano aus dem Jahre 1972, also nach 1968, als die Linke Zulauf hatte und die politische Rechte und die Amerikaner wegen des Vietnamkrieges heftig kritisiert wurden. Peteano wurde zuerst den linken Terroristen, den Roten Brigaden in die Schuhe geschoben. Das war der Trick, man wollte die Kommunisten schwächen. Erst Jahre später fand man, dass Vincenzo Vinciguerra mit Hilfe der Geheimdienste den Terroranschlag ausführte, und das auch gestand.

"Andreotti hat im Sommer 1990 zugegeben, dass es diese Geheimarmee gibt"

Das war die extreme Rechte, und führte später zur Aufdeckung der Gladio- Geheimarmeen. Diese Funktion des Eingreifens in das Innere der Demokratien Westeuropas ist bestimmt der brisanteste Aspekt dieser Geheimarmeen und sehr kompliziert. Man getraut sich ja heute kaum, über manipulierten amerikanischen Terror in Europa nachzudenken, geschweige denn, darüber zu schreiben. Das ist eine Tabuzone. Aber ich glaube, die Wissenschaft muss das nun aufarbeiten

Wann und wie ist die Existenz von Gladio-Einheiten in Europa erstmals an die Öffentlichkeit gedrungen und wie haben die offiziellen Stellen reagiert?

Daniele Ganser: Das war 1990 als in Italien der Untersuchungsrichter Felice Casson, der den Terroranschlag von Peteano untersuchte, im Archiv des italienischen Geheimdienstes SIFAR eine umfangreiche Untersuchung durchgeführt hatte und eben auf die Existenz dieser Geheimarmee gestoßen war und dies mit Dokumenten belegen konnte. Daraufhin hat Casson den italienischen Senat eingeschaltet, weil seine Entdeckung eine Antwort auf viele ungeklärte Terroranschläge in Italien zu geben schien. Danach hat der italienische Senat den Premierminister Giulio Andreotti gezwungen, eine Erklärung abzugeben, ob es diese Geheimarmeen tatsächlich gäbe, warum und wie diese funktioniert. So hat Andreotti im Sommer 1990 zugegeben, dass es diese Geheimarmee gibt. Er hat zwar behauptet, diese sei nur für den Fall einer sowjetischen Invasion geschaffen worden, aber um sich selber zu schützen, hat er gleich angeführt, es sei nicht nur in Italien zum Aufbau einer solchen Organisation gekommen, sondern die NATO halte solche Geheimarmeen überall in ganz Europa. Dann hat auch Griechenland die Existenz einer Geheimarmee zugegeben.

In Frankreich hat dies Francois Mitterand abgestritten, worauf Andreotti aussagte, beim letzten Geheimtreffen dieser Armeen in Brüssel wären auch die Franzosen dabei gewesen und so mussten auch die Franzosen letztendlich zugeben, dass man eine Geheimarmee unterhalte. Auch in Deutschland hat man zunächst abgestritten und abgewartet. Es war kurz vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen, die regierende CDU wollte nicht darüber sprechen, doch Abgeordnete der oppositionelle SPD, darunter Hermann Scheer kritisierten die Geheimarmee scharf, diese sei ja fast wie ein Ku-Klux-Klan", es wäre illegal, eine solche Geheimarmee zu haben. Scheer forderte, die deutsche Justiz müsse diese Sache untersuchen. Dann hat die CDU die SPD darauf hingewiesen, dass auch während der Regentschaft Willy Brandts und Helmut Schmidts von der SPD solche Geheimeinheiten aktiv waren. Daraufhin wollte auch die SPD nicht mehr öffentlich über das Thema sprechen, und das Dossier Geheimarmeen wurde in die Parlamentarische Kontroll-Kommission PKK abgeschoben, wo dieses hinter verschlossen Türen behandelt wurde.

Die Öffentlichkeit weiß bis heute sehr wenig über das Thema Geheimarmeen, auch weil die NATO nie wirklich darüber informiert hat. Nach den Enthüllungen von Andreotti hat die NATO die Existenz von Geheimarmeen zuerst abgestritten, so was gäbe es nicht bei der NATO, am nächsten Tag musste die NATO aber dann doch zu, dass es solche Geheimarmeen gebe, aber man dürfe nichts darüber sagen. Es gab dann eine geheime Konferenz der NATO-Botschafter, wo sie von amerikanischen Generälen darüber informiert wurden, dass die Geheimarmeen nur ein Widerstandsnetz gebildet hätten und niemals in Terrorgruppen aktiv waren. Doch das Parlament der Europäischen Union wollte und konnte dies nicht glauben und drängte auf die Untersuchung von Anschlägen. Zudem hat das EU-Parlament bei der NATO, der CIA und den hiesigen Geheimdiensten vehement protestiert, die Existenz von Geheimarmeen in Europa sei nicht hinnehmbar, diese würden fundamentale Verfassungs- und demokratische Prinzipien verletzen, aber diese Forderungen des EU-Parlaments wurden nie erfüllt. D.h. es gibt bis heute keine umfassende Untersuchung der EU über die Geheimarmeen der NATO, obschon die EU jedes Jahr tonnenweise Text produziert, aber zu den Geheimarmeen schweigt sie, und daher ist den meisten Leuten in Europa auch überhaupt nicht bekannt, dass es die NATO-Geheimarmeen gegeben hat.

Wie oft und bei welcher Gelegenheit sind Gladio-Einheiten in Öffentlichkeit getreten?

Daniele Ganser: Man hat in der Öffentlichkeit, nie gemerkt wenn eine Gladio-Einheit im Einsatz war. Was wir im Rückblick rekonstruieren können ist, dass diese Organisationen in den verschiedenen Ländern unter verschiedenen Namen existierten: In Italien war es z.B. Gladio, in der Schweiz P 26, in Belgien SDRA 8 und in Deutschland Stay Behind. In Deutschland gab es eine Verbindung zum Bund deutscher Jugend technischer Dienst (BDJTD). Diese war ein Teil der deutschen Geheimarmee. In den fünfziger Jahren ist dann ein Mitglied des BDJTD, aus Gründen welche die Forschung nicht mehr rekonstruieren kann, an die hessische Polizei herangetreten und erklärt, er sei Mitglied einer Geheimarmee, wolle aber aussteigen.

Todeslisten

Danach fand die Polizei Proskriptionslisten bei der Deutschen Geheimarmee, auf denen Sozialisten und andere Linke aufgeführt waren, die man im Falle einer Invasion durch die Sowjetunion umbringen wollte, weil man sie der Kollaboration verdächtigte. Es sind also immer wieder Hinweise und Indizien aufgetaucht, man hat auch Waffenlager gefunden, die aber isolierte Phänomene blieben. Es gab auch in Norwegen Entdeckungen, aber die internationale Struktur blieb verborgen. In Italien gab es Diskussionen über den Parallelgeheimdienst, den so genannten Parallel SID". D.h. man hat immer wieder vermutet, dass es im Geheimdienst Parallelstrukturen gab, wusste aber nicht, dass dies Gladio war, der Begriff war gar nicht bekannt. Bis 1990 blieben dies alles isolierte Phänomene und erst jetzt können wir ein gemeinsames Muster rekonstruieren. Natürlich weiß auch die historische Forschung heute nicht alles über die NATO-Geheimarmeen, aber wir wissen schon ziemlich viel.

Wäre es also nach einem Wahlsieg der Kommunisten in einem westeuropäischen Land zu ähnlichen militärischen Aktionen gekommen wie z. B. in Südamerika?

Daniele Ganser: Meinen sie die CIA-Intervention in Chile 1973, die zum Sturz von Alliende und zur Installation von Diktator Pinochet führte? Das ist zumindest denkbar, obschon natürlich Südamerika im Kalten Krieg viel mehr unter Terror litt als Europa, denken sie an die Todesschwadrone in Nicaragua. Aber auch in Europa hatte man Geheimarmeen. Denn man wollte in Italien auf alle Fälle verhindern, dass die Kommunisten, die ja in den Parlamenten sehr stark vertreten waren in die Exekutive gelangen, also in einer Regierung Ministerposten bekommen, weil Washington und London befürchtete, dass ein kommunistischer Verteidigungsminister NATO-Geheimnisse an Moskau verraten würde.

Als Aldo Moro, der frühere italienische Premierminister der Christdemokraten nach Washington flog und dem Außenminister von Richard Nixon, Henry Kissinger von seinen Plänen über eine Koalition mit den Kommunisten unterrichtete, hat dieser ihm dringend davon abgeraten und gesagt, er würde das bereuen. Moro wollte trotzdem die Kommunisten die Regierung holen und dies öffentlich verkünden. Auf dem Weg zu genau jener Sitzung ist Moro dann in Rom entführt und später umgebracht worden. Offiziell hat man gemutmaßt, es wären die Roten Brigaden, also die Linken gewesen, aber in der Forschung ist dies keinesfalls sicher.

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Gladio und Terror in Deutschland: Das Oktoberfestattentat

Reinhard Jellen 26.09.2008
Teil 2 des Interviews mit Daniele Ganser über Terroranschläge in Westeuropa, blockierte Ermittlungen in Deutschland und die These vom manipulierten Terror im "War against terror".

Welche Terroranschläge in Deutschland tragen ihrer Meinung nach die Handschrift von Gladio?
Bild: Wikimedia Commons

Daniele Ganser: Der einzige Terroranschlag in Deutschland, der in Deutschland in dieser Richtung diskutiert wird, ist das Oktoberfestattentat von 1980. Damals konnte von der Polizei festgestellt werden, dass die Wehrsportgruppe Alfred Hoffmann hinter diesem Anschlag steckt und dass ein Mitglied dieser rechtsextremistischen Organisation ums Leben gekommen war. Offiziell hat man das abgehakt als ein Anschlag einer isolierten rechtsextremen Truppe. Was man aber nicht untersucht hat war, inwiefern rechtsextreme Gruppen in Geheimarmeen involviert und integriert waren. Auf diesen Gedanken ist seinerzeit niemand gekommen. Es kam aber ein Jahr danach zu einem spektakulären Waffenfund und ein gewisser Heinz Lembke wurde als Halter des Waffenlagers identifiziert, in dem Sprengstoff, Handfeuerwaffen etc. zu finden waren. Da kam die Frage auf, ob aus diesem Waffenlager nicht der Sprengstoff für das Oktoberfest stammen könnte. Denn die Polizei hatte bereits vorher die Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann befragt und diese hatten ausgesagt, sie hätten ihren Sprengstoff von einem Heinz Lembke und der hätte noch viel davon.

Spektakulärer Waffenfund

Aber man ging diesem Hinweis nicht nach. Dies war eine Spur, die nicht verfolgt wurde. Aber als das Waffenlager durch Wanderer ein Jahr später zufällig entdeckt wurde hat man diesen Lembke festgenommen. Die Frage drängte sich auf, ob dessen Waffenlager nicht Teil eines Stay Behind-Netzwerkes ist. Man wollte dies dann auch heraus finden und Lembke dazu befragen, aber er wurde dann erhängt in seiner Zelle gefunden. Daraufhin sind die Ermittlungen wieder versandet. Die deutsche SPD-Abgeordnete Hertha Däubler-Gmehlin fragte dann noch einmal im Bundestag nach, ob es eine Verbindung zwischen Lembkes Waffenlager und dem Anschlag in München gäbe, worauf dies die hiesige Bundesregierung verneint hat. Und hier ruht der Fall, denn er ist nie wieder untersucht worden.
Gedenksäule auf dem Oktoberfest (Bild: Wikimedia Commons)

Also gilt in Deutschland weiterhin die Einzeltäterthese?

Daniele Ganser: So ist es.

Wie viele Todesopfer haben die Gladio-Einsätze in Westeuropa insgesamt gefordert?

Daniele Ganser: Das kann man nicht bestimmen. Die Studie über die militärischen Geheimstrukturen in Europa ist eine Forschungsarbeit, die man nur gegen größte Widerstände führen kann. Was man bisher sicher sagen kann ist, dass die Geheimarmeen wirklich existierten, sie mit der NATO koordiniert waren, die CIA und MI6 diese Geheimarmeen trainierten und Rechtsextreme involviert waren.

Terroranschlag von Peteano

Es ist auch gesichert, dass man sich auf die Invasion durch die Sowjetunion vorbereitete und in allen Ländern über geheime Waffenlager verfügte. Was nicht klar ist: Wie stark die Gladio-Armeen bei den Anschlägen, wie dem in München oder die in Italien von 1969, 1972, 1974 und 1980 oder der Putsch in Griechenland von 1967 oder beim Regierungsputsch in der Türkei 1980 oder beim Kampf in Frankreich zwischen De Gaulle und der Organisation Armee Secrete, kurz OAS, während des Algerienkrieges involviert waren. Denn dazu braucht es ja Namen. Andererseits gibt es eine lange Kette von Indizien. Es gibt z. B. in Italien Leute, die behaupten mit den Geheimarmeen in Kontakt gewesen zu sein. Vincenzo Vinciquerra ist so jemand. Dieser hat den Terroranschlag von Peteano im Jahr 1972 angeführt.

Dieser Anschlag hat überhaupt erst dazu geführt, dass man die Existenz von Gladio-Armeen aufgedeckt hat. Denn damals hat der Untersuchungsrichter Felice Casson den Anschlag genau durchleuchtet. In Frankreich hat der ehemalige Direktor des Geheimdienstes, Admiral Pierre Lacoste, gegen Präsident De Gaulle erklärt, die französischen Geheimarmeen seien in Terroranschläge involviert gewesen. Es ist also schon wichtig zu verstehen, dass man den Geheimarmeen erst auf die Spur gekommen ist, als man begann, Terroranschläge genau zu untersuchen.

"Mit Terroranschlägen kann man Menschen gut in Kriege hetzen"

Das bedeutet nun wiederum nicht, dass hinter jedem Terroranschlag Gladio stecken muss, aber dies ist einfach ein Feld, dem man sich in Europa stellen muss und hier wird einfach strikt gemauert. Weil dies würde bedeuten, dass die Geheimdienste kein Schutz für die Bevölkerung waren, sondern selber Terror ausgeübt haben um bei der Bevölkerung Angst zu schüren und dies ist eine komplett andere Sichtweise als die offizielle. Denn die NATO, die z. B. in Afghanistan vorgibt, gegen den Terror zu kämpfen, wäre somit selbst Quelle des Terrors, auch in ihren Mitgliedsstaaten. Aber dies sind fundamentale Neuinterpretationen des Zeitgeschehens, die auf größte Schwierigkeiten stoßen. Was die Friedensforschung, die mir sehr am Herzen liegt, in diesem Zusammenhang betont ist, dass Terroranschläge nicht verhindert werden können. Es wird immer wieder Terroranschläge geben. Auch der totale Überwachungsstaat, den wir alle nicht wollen, könnte das nicht verhindern. Aber mit dem Terror, bzw. der Angst vor Terror werden die Leute in Kriege hineingehetzt. Man hat nach 9/11 die Anschläge mit dem Irak in Verbindung gebracht, eine dreiste Lüge, aber wir haben jetzt dort Krieg. Zudem hat man den 9/11-Terror mit Afghanistan in Verbindung gebracht und auch die Bundeswehr kämpft jetzt in Afghanistan, weil dort Osama Bin Laden gelebt hat, der als der weltweit schlimmste Terrorist gilt. Wir sehen also, dass man mit Terroranschlägen die Menschen gut in Kriege hetzen kann, ohne dass überhaupt erklärt wird, wer hinter dem Terror steckt. Denn dies herauszufinden ist immer sehr schwierig, wie man ja bei Gladio sieht, und da sind viele Jahre vergangen. Ich halte nichts davon, wenn Politiker nach einem Terroranschlag den Schuldigen benennen und zum Krieg aufrufen. Denn Terror wird zu oft manipuliert und so ist es wichtig zu sagen, wegen eines Terroranschlages bin ich nicht für Krieg und das wird auch weiterhin wichtig sein.

Gibt es Publikationen über versteckte Aktionen in Amerika selber? Wird irgendwo z. B. die Eliminierung der Kennedy-Brüder, von Martin Luther King und der Black Panther mit militärischen Geheimorganisationen in Verbindung gebracht?

Daniele Ganser: Das habe ich nicht untersucht. Ich habe mich auf Europa beschränkt. Zwar gibt es freilich in Amerika die Diskussion, ob die Geheimdienste an diesen Morden beteiligt waren, aber ich denke, es ist sehr unklar, wie dort die Sachen gelaufen sind.

Könnten sie sich vorstellen, dass - wie z. B. Jürgen Elsässer in seinem neuen Buch "Terrorziel Europa . Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste" ausführt - bei den Anschlägen islamischer Terroristen in West-Europa westliche Parallelarmeen oder Geheimorganisationen involviert sind?

Daniele Ganser: Es ist die These von Jürgen Elsässer, dass das, was wir als muslimischen Terror vorgeführt bekommen, manipuliert durch die Geheimdienste ist, um mit der Verunsicherung der Bevölkerung einen Abbau der Bürgerrechte zu erreichen und die Ölkriege im Irak und in Afghanistan zu legitimieren. Das ist zumindest möglich und es ist auf jeden Fall wichtig, dass man das untersucht. Ich selbst habe das Buch von Jürgen Elsässer, das soeben erschienen ist, noch nicht gelesen, aber es gibt diese Debatte.

"Manipulierter Terror"

Ich denke, Elsässer ist ein ehrlicher Mann, der den Dingen auf den Grund gehen will. Ob er in jedem Punkt richtig liegt, weiß ich nicht. Aber dass er von manipulierten Terror spricht, finde ich ganz wichtig, diese Debatte gibt es noch viel zu wenig. Denn immer mehr Indizien zeigen, dass es nicht nur im Kalten Krieg manipulierten Terror gab. Vor einigen Jahren kam es z. B. im Irak zu einem Zwischenfall als Mitglieder einer englischen Spezialeinheit in [local] Basra festgenommen wurden. Diese fuhren als Muslime verkleidet ein Auto, das mit Sprengstoff beladen war. Man ging davon aus, dass diese Agenten das Auto in der Menge sprengen wollten, um den Terror den Muslimen anzuhängen. Leider kam es nicht zum Prozess, weil die britische Armee die Agenten mit Panzern aus dem Gefängnis befreite. Das hat natürlich wenig mit Transparenz und Rechtstaatlichkeit zu tun. Und so bleibt die Frage, ob es solche Operationen nicht auch in Europa geben hätte können, vielleicht auch von Muslimen organisiert, die für den Geheimdienst arbeiten. D.h. man kommt in ein Forschungsgebiet, das sich "inszenierter Terrorismus" nennt. Dies ist ein sehr kompliziertes Forschungsgebiet aber mit den Gladio-Geheimstrukturen konnte ich für den Kalten Krieg aufzeigen, dass es inszenierten Terrorismus gibt. Das ist ein Begriff, der aber in der Terrordebatte noch gar nicht auf dem Radar ist.

Wie viel wird es zu künftig noch ihrer Einschätzung nach über die Gladio-Einheiten zu entdecken geben? Werden hier eines Tages noch Archive geöffnet?

Daniele Ganser: Es gibt zwei Möglichkeiten: Einerseits die Parlamente drängen darauf hin, dass die Geheimarmeen untersucht werden. Das war in Deutschland und in Österreich bis zum heutigen Tag nicht der Fall. Immerhin gab es in der Schweiz eine solche Untersuchung und ein Bericht zur Geheimarmee P26, das ist auch für die historische Forschung wertvoll. Ich denke, auch in Deutschland und Österreich müsste es eine intensive parlamentarische Untersuchung der Geheimarmeen geben, die zum Schluss vielleicht in einem zweihundertseitigen Bericht zusammengefasst wird. Aber so eine historische Untersuchung macht man nicht. Und solange dieser Wille zur Aufklärung fehlt wird es sehr schwierig bleiben, dies wissenschaftlich aufzuarbeiten.
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Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass ehemalige Mitglieder dieser Geheimarmeen Memoiren schreiben. Dies wäre eine Informationsquelle. Wiederum aber wäre diese Quelle unsicher, weil sich die Leute in ihren Memoiren oft vorteilhaft darstellen möchten, das ist bei jeder Geschichtsschreibung so. Es wäre also notwendig, diesen Themenkomplex, wie vom Europäischen Parlament bereits 1990 gefordert, zu untersuchen. Mein Buch ist hierzu eine Basis, aber dazu braucht es noch mehr. Das Wissen und die öffentliche Debatte über den verdeckten Bereich der internationalen Politik steckt noch in den Kinderschuhen.

Werden Sie in dieser Richtung weiterarbeiten?

Daniele Ganser: Was mich im Moment interessiert, ist die Energiedebatte und der Kampf um Erdöl und Erdgas. Man muss sich nur in Erinnerung rufen, dass im Kalten Krieg die globale Erdölproduktion von 6 Millionen Fass im Jahre 1945 auf heute 86 Millionen Fass pro Tag gestiegen ist. Im Rückblick betrachtet war der Kalte Krieg ein Erdölrausch, damals hatten wir Wirtschaftswachstum und Wohlstand in weiten Gebieten der Welt. Jetzt aber gelangen wir an einen Punkt, wo [local] peak oilerreicht wird, wo also die Erdölförderung nicht ausgebaut wird, sondern zurückgeht.

Wann genau dieser peak oil kommt, weiß man zwar nicht. Aber ich erwarte im 21. Jahr zugespitzte Kämpfe um Gas und Erdöl. Ich beobachte bereits, dass in Afghanistan eine Pipeline gelegt werden soll vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean und diese Pipeline verläuft durch Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan, Indien. - Diese Dinge interessieren mich. Ich frage mich, inwiefern spielt inszenierter Terrorismus im Kontext mit den sich zuspitzenden Energiekämpfen eine Rolle und hier stütze ich mich auf Erfahrungen, die ich im Gladio-Buch gemacht habe, bzw. ich wende sie auf die Energie-Krise und .Kämpfe des 21. Jahrhunderts an.

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Undercover und schwer bewaffnet unterwegs in Basra

Alfred Hackensberger 30.09.2005
Die gewaltsame Befreiung von zwei britischen Geheimagenten war Anlass zu zahlreichen Spekulationen, das britische Militär schweigt noch immer über den Zweck des Einsatzes der SAS-Männer
Vor gut einer Woche befreiten britische Truppen gewaltsam nach der Erstürmung eines Gefängnisses zwei Soldaten aus einem Haus. Sie waren von der irakischen Polizei verhaftet und dann schiitischen Milizen übergeben worden ([local] Showdown in Basra). Die beiden hatten bei einer Kontrolle auf die Polizisten geschossen. Sie waren als Araber verkleidet in einem Zivilfahrzeug unterwegs, im Kofferaum des Wagens fand man Sprengstoff und Zünder mit Fernbedienungen. Ein Vorfall, der erneut die Reputation der Koalitionstruppen im Irak schwer erschüttert und Anlass für vielerlei Spekulationen ist.

Für den Vize-Kommandeur der Islamischen Revolutionären Garden im Iran, Mohammed Baqer Zolqadr, hat die Verhaftung und Befreiung der Soldaten nur das bestätigt, was für ihn schon lange feststand. "Wir haben Informationen, dass die Wurzeln der Instabilität im Irak ein Resultat amerikanischer und israelischer Spione ist." Die USA bräuchten Attacken, um ihre Präsenz immer weiter rechtzufertigen. "Sie wollen die Resourcen des Iraks plündern, den ganzen Millteren Osten unter ihre Kontrolle bringen und Sicherheit für Israel erzeugen." Die iranische Führung ist bekannt für vereinfachende Weltbilder von Gut und Böse. Verschwörungstheorienkursieren auch in den iranischen Medien, die zu erklären suchen, warum Amerikaner und Briten in einer Doppelstrategie mit den Terroristen zusammen kämpfen, um den schiitischen Einfluss abzuwehren.

Der Brigade-General der Revolutionären Islamischen Garden steht mit seiner Meinung nicht alleine. Abdel al Daraji, der in Sadr City in Bagdad an der Spitze der schiitischen Organisation des Klerikers al Sadr steht, hatte nach den Vorfällen in Basra dem britischen Telegraph gesagt, dass "die Briten versuchten, einen ethnischen Krieg zu erzeugen, indem sie Bombenanschläge auf schiitische Zivilisten verüben, um sie sunnitischen Gruppen in die Schuhe zu schieben". Verschwörungstheorie eines radikalen Geistlichen? Vielleicht, jedenfalls nähren die als Araber verkleideten Soldaten mit Bomben im Kofferaum das sowieso bestehende Misstrauen. Ein syrischer Journalist in Baghad, Ziyad al Munajjid, sprach aus, was viele im Irak und auch in anderen arabischen Ländern denken. "Viele Beobachter hatten schon lange Vermutungen, dass die Okkupationsarmee in einigen bewaffneten Operationen gegen Zivilisten, Pilgerstätten und bei der Tötung von Wissenschaftlern involviert war. Bisher aber fehlte der Beweis. Durch die Verhaftung der beiden britischen Soldaten, während sie Bomben auf einer Strasse in Basra plazierten, ist es nun endgültig bewiesen."

Von "endgültigen Beweisen" zu sprechen, ist natürlich absurd, schließlich sind die beiden Männer nicht bei der Platzierung von Bomben erwischt worden. Gleichwohl bleiben manche Fragen bei diesem Vorfall offen. Zwei Briten sind in zivil unterwegs, weswegen man von Mitgliedern des Special Air Service (SAS) ausgeht, eröffnen angeblich ohne Vorwarnung das Feuer auf die irakische Polizei, obwohl sie bei einer Kontrolle nur ihren Ausweis vorzeigen müssten. Was man ihrem Auto später findet, "ist sehr irritierend", wie es Sheik Hassan al Zarqani, der Sprecher der Mehdi Armee bezeichnete. "Wir fanden Waffen, Sprengstoff und Fernzünder." Deshalb glaube er, "dass diese Soldaten einen Anschlag auf einen Markt oder andere zivile Ziele vorhatten".
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Aber genau diese Vermutung nennt die britische Tageszeitung Telegraph eine "schmutzige Kampagne, anti-britische Ressentiments im Süden Iraks zu erzeugen". Stattdessen erklärt man den Besitz der Waffen und des Sprengstoff, ähnlich wie die BBC, als normale Ausrüstung von SAS-Offizieren. In der selben Richtung argumentiert die Sunday Times, die sich dabei auf eine "Insiderinformation" beruft und behauptet, dass verhaftete SAS-Team sei in eine "Counter-Operation" unterwegs gewesen, gegen Milizen, die vom Iran unterstützt würden. Es ginge um einen "Geheimkrieg" gegen aufständische Gruppen, die Bomben aus dem Iran in den Irak schmuggeln. Ein 24-köpfiges Team habe außerhalb Basra gearbeitet, um ein Sicherheitsnetz gegen diese Infiltrierung aufzubauen. "Das Ziel ist, die Schmugglerrouten herauszufinden und die Aufständischen zu verhaften oder zu töten."

Das aber würde nicht erklären, warum die beiden SAS-Männer nach Angaben der Polizei das Feuer auf die irakische Polizei eröffneten und dabei einen Menschen töteten und mehrere verletzten. Und das erklärt auch nicht, warum die beiden Männer neben einer Anzahl von Schusswaffen in ihrem Auto Sprengstoff und ein Arsenal unterschiedlicher Zünder mit sich führten, die die irakische Polizei sicherstellten. Wollte man etwa die Schmuggler per ferngezündeter Bomben unschädlich machen?

Basra ist eine der "failed cities" im Irak

Von offizieller Seite im Irak wird der Schusswechsel damit begründet, dass die britschen Soldaten die Anweisung haben, die irakische Polizei wie Aufständische zu behandeln. Und das nicht ohne Grund: Bereits im Mai diesen Jahres hatte Hassan al Sade, der Polizeichef von Basra erklärt, dass er die Kontrolle über 75% seiner 13.750 Mann starken Truppe verloren habe. Seine Polizisten würden entweder für politische Fraktionen arbeiten oder seien an Anschlägen auf die Koalitionstruppen beteiligt. Für seine ehrliche Meinung wurde der Polizeichef vom Gouverneur Mohammed Al Waili kurzerhand gefeuert.

Drei rivalisierende schiitische Gruppen kontrollieren heute Basra. Das ist die Medi Armee des jungen Klerikers al Sadr, die Badr Brigarden des Obersten Rates für eine islamische Revolution im Irak und die Fudala Partei, die von Mohammed Yacubi angeführt wird. Die Mitglieder dieser konkurrierenden Milizen tragen Polizeiuniformen, aber weniger um Recht und Ordnung herzustellen, sondern sie missbrauchen ihre Macht für Geschäfte, Korruption und um unliebsame Rivalen loszuwerden. Die Leichen entsorgt man bekanntermaßen auf der hiesigen Müllkippe. Vor kurzem wurden zwei Journalisten hingerichtet, die über die Infiltrierung der Polizei von Basra durch radikale schiitische Milizen recherchierten. So ist durchaus verständlich, dass die beiden Undercover-Agenten des SAS in Zivilkleidung und mit einem Kofferraum voll Sprengstoff nicht in die Hände der Polizei geraten wollten.

Die Regierung in Bagdad hatte die unverzügliche Freilassung der beiden Briten angeordnet, aber die lokalen Behörden in Basra waren diesen Anweisungen nicht gefolgt. Aus Angst, die beiden Gefangenen könnten zu Geiseln in den Händen einer dieser radikalen schiitischen Milizen werden, startete das britische Militär ihre Befreiungsaktion Mit 10 gepanzerten Fahrzeugen und einem Hubschrauber wurde das Gefängnisgebäude gestürmt. Dabei wurden von den rund 1000 Demonstranten einige getötet und andere verletzt.

Nach der Befreiung wurde der Haftbefehl durch den zuständigen Richter Raghib Hasan erneut bestätigt. Er wirft den beiden Undercover-Agenten Mord und schwere Körperverletzung sowie den Besitz unerlaubter Waffen und falscher Dokumente vor. Für das britische Verteidigungsministerium haben diese Haftbefehle allerdings keine legale Basis. "Alle britischen Soldaten stehen unter der Jurisdiktion von Grossbritannien", sagte ein Sprecher des Ministeriums in London.

In Basra wird vermutet, dass die beiden SAS-Männer keine britische Staatsbürgerschaft besitzen, sondern anderer Nationalität sind, was das schnelle und rigorose Eingreifen des britischen Militärs erklären würde. Britische Soldaten hätten die irakischen Behörden sofort übergeben müssen. Angeblich seien die konfiszierten Waffen kanadischen Ursprungs. Es wird gemunkelt, die beiden verhafteten Soldaten seien "contractors" gewesen, die im Irak zum militärischen Alltag gehören. Vielleicht aus Kanada, vielleicht auch aus Israel, das immer wieder ein beliebter Sündenbock in der arabischen Gerüchteküche ist und im Notfall immer für unerklärte Dinge herhalten muss.

"Was haben unsere beiden SAS-Jungs tatsächlich gemacht, als sie in arabischen Klamotten, mit aufgeklebten Schnurrbärten und Waffen durch Basra fuhren?"

Robert Frisk, der langjährige Korrespondent des Independent im Mittleren Osten, ein erfahrener und seriöser Journalist, hält sich zwar aus derartigen Spekulationen heraus. Aber er zieht historische Paralellen, behauptet der britische Imperialismus habe stets sektirerische Konflikte provoziert und politische Attentate durchgeführt, um die Macht zu erhalten. "In Nordirland haben SAS-Agenten die Mitglieder der IRA aus dem Hinterhalt getötet.". In Sachen Irak bleiben ihm nur Fragen, die wie üblich bei derartigen Zwischenfällen, nur unzureichend oder nicht beantwortet werden: "Was haben unsere beiden SAS-Jungs tatsächlich gemacht, als sie in arabischen Klamotten, mit aufgeklebten Schnurrbärten und Waffen durch Basra fuhren? Warum fragt niemand? Wie viele SAS-Männer sind im Süden des Iraks stationiert? Warum sind sie dort? Was sind ihre Aufgaben? Welche Waffen tragen sie? Niemand hat das gefragt."

In der Regel handelt es sich um "schmutzige Operationen", in denen Undercover-Agenten in bürgerkriegsähnlichen Situationen wie heute im Irak verwickelt sind. Das lehrt die Geschichte und war der Fall in Vietnam, Chile, Nicaragua, El Salvador oder im Libanon, um nur einige Länder zu nennen. Dass die Geheimdienste hinter den Bombenanschlägen auf Pilger und Zivilisten stehen könnten, wie Manche behaupten, trifft sicherlich nicht zu. Im Irak gibt es genug Unruhe, um die Anwesenheit der Koalitionstruppen zu rechtfertigen. Weder die USA, noch die Briten müssen da mit Attentaten nachhelfen, um die Situation noch chaotischer zu machen, als sie schon ist.

Sicher ist hingegen, dass man erade an einem Ort wie Basra mit drei feindlichen Milizen das eine oder andere für den eigenen Vorteil unternehmen. Nicht nur der Bürgerkrieg im Libanon hat gezeigt, dass Geheimdienste bei ihrer Vorteilssicherung keine Rücksicht auf Menschenleben nehmen. Im Irak wird es nicht anders sein. Vergessen sollte man nicht, dass der Irak nicht nur eine Spielwiese amerikanischer und britischer Geheimdienste ist. Agenten aus dem Iran, Syrien, Saudi Arabien, Jordanien und aus anderen arabischen Ländern gehen im Irak ein und aus. Oft sind die Länder nicht direkt präsent, sondern nur über die "Contractors", die bekanntlich weniger politische Absichten haben, dafür aber mehr finanzielle Interessen. Bürgkriegsländer sind für sie ein gutes Pflaster, weil hier Recht und Ordnung nicht existieren und sich eine seltsame Eigendynamik aus Politik und Kriminalität entwickelt, schon alleine aus dem Grund, um die Wünsche nach Waffen und Munition der Aufständischen und nach Drogen für die Koalitionssoldaten zu erfüllen.

Unabhängig davon, welche Erklärungen von der Regierung in London oder von der britischen Militärbehörde im Irak im Laufe der nächsten Tage und Wochen noch nachgereicht werden, die Ereignisse in Basra haben nun auch den Ruf der britischen Truppen ruiniert. Der Süden des Irak war im Vergleich zu Bagdad bislang relativ ruhig. Nun wird es dort ebenfalls zu mehr Widerstand kommen, die Sympathien bei der überwiegend schiitischen Bevölkerung dürften schwer geschädigt, wenn nicht verspielt sein.

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Wirklich und wahr

Peter Mühlbauer 25.05.2009
Die Enthüllungen um die Agententätigkeit des Polizisten, der Benno Ohnesorg erschoss, beweisen vor allem eines: Dass die Welt komplexer ist als die meisten ihrer Darstellungen in Medien
Als herauskam, dass bei den diesjährigen Maikrawallen auch ein hessischer Polizist als Chaot agierte, verneinten dessen Kollegen der Süddeutschen Zeitung gegenüber eine Funktion als agent provocateur mit dem Hinweis, dass es dafür andere Dienste gebe. Allerdings bestreiten auch solche anderen Dienste im Regelfall, dass sie [local] Schwarze Propaganda, False-Flag-Operationen oder ähnliches betreiben. Heraus kommt so etwas - wenn überhaupt - meist nur nach relativ langer Zeit und einer Öffnung der Archive.

Nun brachte solch ein Archiv ans Tageslicht, dass der Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, seit 1955 unter dem Decknamen "Otto Bohl" für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet haben soll. Das entdeckten Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs in Dokumenten, die Wolfgang Schäuble eigentlich vernichten lassen wollte. Allerdings steht in den Akten nichts davon, dass Kurras den Studenten absichtlich oder gar im Auftrag erschoss. Stattdessen wies man ihn nach der Tat eilig an, alle Unterlagen zu vernichten und seine Arbeit für den Osten bis auf weiteres einzustellen. Weil sein Name nach Beendigung der Agententätigkeit aus der Kartei entfernt wurde, konnte nicht gezielt nach ihm gesucht werden, weshalb sein Fall erst jetzt ans Licht kam.

Trotz einer Ende der 1940er Jahre (angeblich wegen illegalen Waffenbesitzes) erfolgten Inhaftierung in der sowjetischen Besatzungszone konnte Kurras 1950 Kriminalbeamter bei der Westberliner Polizei werden, wo er unter anderem als verdeckter Ermittler in der Abteilung "politische Delikte" arbeitete. Zu seinen Aufgaben in einer Sonderermittlungsgruppe des Staatsschutzes gehörte auch das Enttarnen von "Verrätern" bei der Polizei. Den Erkenntnissen des Politologen und der Historikerin zufolge informierte er seit 1955 gleichzeitig das MfS über "Mitarbeiter, Ausbildung, Arbeitsweise und Personalveränderungen" bei seinem offiziellen Arbeitgeber, schlüsselte Festnahmen anderer Agenten auf und berichtete von "Überläufern, Quellen des amerikanischen Geheimdienstes [und] Entführungsfällen". Darüber hinaus soll er Fotos und Nachschlüssel von Polizeidienststellen besorgt haben und auch mit der Installation von Abhörmikrofonen betraut gewesen sein. Vergütet wurden Kurras diese Leistungen im ersten Quartal 1967 mit dreitausend Westmark, was damals relativ viel Geld war.
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Allerdings ist in den Akten der DDR-Staatssicherheit auch von einer besonderen Zuverlässigkeit des Polizisten die Rede, dem man praktisch jede Aufgabe übertragen könne. Müller-Enbergs und Jabs nennen ihn eine "Spitzenquelle mit besonderen Talenten". In den Akten selbst ist davon die Rede, dass Kurras bereit sei, "jeden Auftrag für das MfS durchzuführen" und mit "Mut und Kühnheit" auch schwierige Aufgaben lösen könne.[1] Das klingt fast wie eine Empfehlung für einen weiteren Akteur, von dem dann wiederum ein nicht aktenkundiger Auftrag erteilt worden sein könnte.

Offen ist jedoch, wer solch ein weiterer Akteur gewesen sein könnte. Ob es im Osten einflussreiche Persönlichkeiten oder Gruppen gab, denen so viel an der Meldung von einem toten Demonstranten lag, dass sie dabei einen wertvollen Agenten riskierten, scheint zumindest fragwürdig. Zudem war keineswegs vorhersehbar, dass der Tod von Benno Ohnesorg in der historischen Rückschau als Signal für ein Gewaltförmigwerden der Studentenproteste gesehen würde. Ebensowenig, wie absehbar war, dass ausgerechnet die wenig medienkompetenten Bonnie-and-Clyde-Romantiker der Baader-Meinhof-Bande das Aufmerksamkeitserbe der 1968er antreten und so der außerparlamentarischen Opposition den Garaus machen würden.

Doppel- oder Dreifachagent?

Etwas unwahrscheinlicher (aber immerhin möglich) ist, dass Kurras ein Doppel- beziehungsweise Dreifachagent war und eventuell auch über seine Tätigkeit als verdeckter Polizeiermittler hinaus für einen weiteren westlichen Dienst arbeitete. Selten waren solche Fälle, wie unter anderem die verhältnismäßig [local] gut aufbereitete Geschichte des britischen Geheimdienstes zeigt, keineswegs. Zudem gab es auch in Deutschland, und vor allem in der "Frontstadt" Berlin, durchaus interessante Verpflichtungsgemenge.

Walter Barthel etwa, der im Kölner Stadtanzeiger mit einem sehr polizeikritischen Augenzeugenbericht vom 2. Juni 1967 zu Wort kam, arbeitete nicht nur für die DDR-Staatssicherheit und den Westberliner Verfassungsschutz, sondern spielte auch eine wichtige Rolle im "Republikanischen Club" von Hans Magnus Enzensberger. Ein anderer erwiesener Verfassungsschutzagent in diesem Milieu war der agent provocateur Peter Urbach, der sich als Handwerker in Wohngemeinschaften unentbehrlich machte. Er verteilte bei einer Anti-Springer-Demonstration am 11. Mai 1968 nicht nur Molotow-Cocktails, sondern leitete auch zum Umkippen und Anzünden von Autos an.[2] Darüber hinaus lieferte er mehrfach funktionstüchtige Sprengsätze und versuchte Schusswaffen an den Mann zu bringen. Zudem stammt auch die Bombe am Jüdischen Gemeindehaus von ihm, die am 9. November 1969 eine Gedenkfeier zum Holocaust in die Luft gesprengt und viele Menschen getötet hätte, wenn sie explodiert wäre.

Doch auch für den Fall einer Tätigkeit für einen zweiten westlichen Dienst stellt sich die Frage, was dieser von der Erschießung eines Studenten gehabt hätte, wenn man die Tat nicht einem Ostagenten in die Schuhe schieben konnte?

Indes ist jedoch auch die Erzählung, die Kurras vor Gericht abgab, keineswegs frei von Unwahrscheinlichkeiten: Dort sagte der Polizeibeamte, dass er sich bedroht fühlte und darauf mit der Waffe reagierte. Ohnesorg soll jedoch von drei anderen Polizisten festgehalten worden sein und wurde nachweislich in den Hinterkopf geschossen. Auch eine vor zwei Jahren gegenüber einem Stern-Reporter abgegebene Erklärung spricht zumindest für einen vorsätzlichen Notwehrexzess: "Fehler?", meinte der Polizist da auf eine vorwurfsvolle Frage. "Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So iss das zu sehen."

Carl-Wolfgang Holzapfel, der Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni, stellte nach dem Bekanntwerden von Kurras' Doppelleben noch einmal Strafanzeige und forderte eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Die Frage, ob der beste Schütze in seiner Einheit den Schuss in den Hinterkopf des Romanistikstudenten mit oder ohne Tötungsabsicht abgab, dürfte jedoch auch mit dem neu entdeckten Material nicht anders zu beantworten sein als in den Gerichtsverfahren von 1967 und 1970 - nämlich im Zweifel für den Angeklagten.

Immerhin gaben die Enthüllungen aber dem FAZ-Feuilleton einmal Gelegenheit, mit der bereits etwas ermüdenden [local] Kampagne für neue Verlags-Leistungsschutzrechte ein wenig zu pausieren und wieder einmal einen der mit angenehmen Abstand gesprochenen Sätze zu formulieren, für die man sich früher Zeitungen kaufte:

Alles wird zweifelhaft und scheint sich zu verwischen. Günter Grass war als Soldat in der Waffen-SS, Kurras in der SED: verkehrte Welt. Ach nein, die wirkliche und wahre.


DAS IST UNSER PROBLEM...

Terrorcamps - Kronzeugen - Wirtschafts gilden kriminelle

Strafminderung gegen Geständnis

Bundestag entscheidet über Absprachen in Strafverfahren

Von Claudia Sanders

Deals im Gerichtssaal, wie sie im Fall des ehemaligen Postchefs Zumwinkel die Öffentlichkeit beschäftigten, sind auch bei weniger spektakulären Fällen keine Seltenheit mehr. Das Strafrecht sei bereits zu einem Handelsrecht verkommen, argwöhnen Kritiker, die Wahrheitsfindung bleibe auf der Strecke. Was bislang im Hinterzimmer abläuft, soll eine gesetzliche Grundlage erhalten und zugleich transparenter werden.


Louis & Michaelis
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Verfahrensabsprache . Der Deal im Strafprozess: Was ist das?

Die strafrechtliche Literatur verwendet verschiedene Bezeichnungen für die unterschiedlichen Arten von Absprachen. Die Literatur behandelt den Begriff der Absprache zum Teil positiv als .gentlemen.s agreement., aber auch negativ als .Deal. oder .Kungelei..

Kennzeichnend für die Absprache im Strafprozess ist das wechselseitige Nachgeben der Beteiligten. Häufig wird es sich so darstellen, dass ein Geständnis abgelegt wird, woraufhin im Gegenzug ein .diskretes. Vorgehen im Ermittlungsverfahren gewährleistet wird bzw. im Hauptverfahren Zusagen im Hinblick auf das Strafmaß gemacht werden.

Das Bundesverfassungsgericht verwendet den Begriff .Verständigung., wenn die Beteiligten über .den Stand und Aussichten. der Verhandlung verhandeln. Im Falle einer Kontaktaufnahme über das zu sprechende Urteil verwendet das Bundesverfassungsgericht das Wort .Vergleich..

Der Bundesgerichtshof hingegen benutzt in seinen Urteilen die Begriffe .Vorgespräch., .Verständigung. und .Absprache..

Rechtsanwalt Louis

Die Absprache im Strafprozess: Die Waffe des Verteidigers!

Sie haben einen Prozess vor dem Amtsgericht, Schöffengericht oder Landgericht. Dann werden Sie erleben, dass ich schon vor der Hauptverhandlung einen Deal mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht abstimmen kann. Dieser Deal dient einem optimalen Ergebnis für Ihr Verfahren.

Bedenken Sie, dass Richter und Verteidiger die gleiche Sprache sprechen und sich häufig aus anderen Verfahren kennen. Dieses Vertrauensverhältnis führt dazu, dass eine gute Gesprächsbasis für Ihren Prozess geschaffen wird. Strafprozesse werden heute oft außerhalb vom Gerichtsaal geklärt. Absprachen gehören zum Alltag. Absprachen gibt es in jedem Verfahrensabschnitt.

Der Grund hierfür ist recht simpel zu erklären. Die Staatsanwaltschaften sind dermaßen überlastet, dass Sie froh sind, wenn Ihnen ein Verteidiger ein vernünftiges Angebot macht. Sie können somit diese Akte schließen und sich der nächsten widmen. So einfach kann das sein. Der Strafprozess wird zum Geben und Nehmen.

Das gleiche gilt für die Hauptverhandlung: Richter wollen ein schnelles Verfahren. Ein geständiger Angeklagter ist die Voraussetzung für eine schnelle Verfahrensbeendigung. Im Gegenzug muss das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft aber auch etwas in die Waagschale legen. Dies erfolgt meist in der Form, dass ein mildes Urteil in Aussicht gestellt wird. Angebote von Gerichten und Staatsanwaltschaften sollten immer überprüft werden. Manchmal kann der Angeklagte ein Schnäppchen machen.

Hervorzuheben ist, dass der Angeklagte nie etwas gestehen sollte, wenn er nicht der Täter war. Drängt das Gericht - auch mit dem besten Angebot - auf ein Geständnis, sollte man sich auf einen solchen Deal nicht einlassen.

Ich werde auf jedem Fall einen guten Deal für Sie aushandeln. Dies gilt insbesondere für größere Prozesse vor dem jeweiligen Landgericht. Überlassen Sie diesbezüglich nichts dem Zufall.

Ein Deal setzt meist voraus, dass der Tatvorwurf sich bestätigt hat. Sollte dies nicht der Fall sein, dann ist kein Raum für einen Deal: Ich kämpfe dann um Ihren Freispruch.

Sind Absprachen im Strafprozess zulässig?

Absprachen in der Hauptverhandlung sind grundsätzlich zulässig, soweit hierdurch nicht die besonderen strafprozessualen Grundsätze unterlaufen werden.

Unter dem Aspekt des Beschleunigungsgrundsatzes sind meines Erachtens Absprachen vielfach wünschenswert, um eine schnellere Bewältigung der Verfahrensflut zu ermöglichen. Es besteht ein berechtigtes Interesse an Absprachen, welche für die Effektivität des Justizapparates unabdingbar geworden sind.

Zudem dient eine verfahrensvereinfachende Absprache, die ein Geständnis des Angeklagten enthält, dem Opferschutz, da sie die Vernehmung des Opfers vor Gericht überflüssig machen kann. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit Gewaltdelikten.

Wegen möglichen Verstößen gegen die Grundsätze der Strafprozessordnung wird der Verteidiger immer ein wachsames Auge auf den Deal werfen.

Darf dem geständigen Angeklagten eine feste Strafe in einer Absprache durch das Gericht in Aussicht gestellt werden?

Nein, das Gericht darf im Rahmen der Absprache keine verbindliche Zusage zur Höhe der zu verhängenden Strafe machen, da ansonsten ein Verstoß gegen die §§ 260 I, 261 StPO vorliegt. Danach wäre ein Verstoß zu bejahen, wenn das .in Aussicht stellen. eine Verbindlichkeit hätte.

Zwar will der Angeklagte regelmäßig vom Gericht exakt wissen, was ihm ein Geständnis an Vorteil bezüglich des Strafmaßes einbringt. Gerade die Ungewissheit über das Verfahrensergebnis soll beseitigt werden und dabei ein Ausgleich der widerstreitenden Prozessziele herbeigeführt werden.

Das Gericht muss jedoch aus dem Inbegriff der Verhandlung und der Urteilsberatung über die Strafe entscheiden. Diese richterliche Entscheidungsfindung darf nicht durch Festlegung auf eine konkrete Strafe vorweggenommen werden. Das Gericht könnte ansonsten bei der Urteilsberatung nicht mehr frei über die Strafhöhe anhand der maßgeblichen Strafzumessungskriterien nach der Schuld des Täters entscheiden.

Die Bezeichnung einer konkreten Strafe kann aus Sicht des Angeklagten auf Voreingenommenheit hindeuten und die Besorgnis der Befangenheit begründen

Beispiel:

1.

Das Gericht bietet dem Angeklagten 2 Jahre auf Bewährung an, wenn er die Tat gesteht. Eine solche Absprache ist unzulässig, da eine konkrete Strafe .angeboten. wird.

2.

Bei einem Geständnis des Angeklagten stellt das Gericht eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung in Aussicht. Das .in Aussicht stellen. zeigt, dass der Richter sich einen möglichen Spielraum in der Urteilsfindung vorbehalten hat. Die 2 Jahre stellen insoweit lediglich eine Obergrenze im Gegensatz zu einer konkreten Strafzusage dar.

Im Hinblick auf den Grundsatz des .fair trials. ist das Gericht bei strafprozessualen Absprachen grundsätzlich an die Einhaltung einer solchen aufgezeigten Obergrenze gebunden.

Das Gericht sagt bei dem Deal zu, es werde eine bestimmte Strafobergrenze nicht überschreiten. Ist dies zulässig?

Ja, dies ist ebenfalls zulässig und begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit des Gerichts. Im Zweifel sollte die Zusicherung einer Strafobergrenze jedoch in jedem Fall protokolliert werden.

Die Entscheidung des Gerichtes wird abermals nicht vorweggenommen, da die Festlegung der konkreten Strafe unter Abwägung aller strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkte der Urteilsberatung vorbehalten bleibt.

Es wird also nicht - was unzulässig ist, da es den Grundsätzen der Strafprozessordnung widersprechen würde - die Absprache an die Stelle eines Urteils gesetzt.

Das Vorgehen wird auch nicht im Nachhinein dadurch bedenklich, dass die schließlich gefundene Strafe der Prognose entspricht" denn gleichwohl bleibt dem Gericht die Befugnis erhalten, nach dem Beratungsergebnis eine noch unter dieser Grenze liegende Strafe zu verhängen.

In welchen Prozessen kommen regelmäßig Absprachen im Strafprozess vor?

Primär im Drogenprozess / Verstoß gegen das BtMG.

Aber auch bei:
Körperverletzung, Betrug, Bedrohung, Nötigung, Hehlerei
Verstoß gegen das BtMG BtM, Brandstiftung, Drogen am Steuer
Raub, Computerbetrug, Diebstahl, Erpessung,
Falschaussage, Meineid, Fahrlässige Körperverletzung,
Gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Vergewaltigung,
Gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Meineid,
Räuberischer Diebstahl, Sachbeschädigung, Strafvereitelung
Besitz & Verbreitung von Kinderpornographie, Beleidigung,
Urkundenfälschung, Sexueller Missbrauch von Kindern, Mord
Verstoß gegen das Waffengesetz, Vortäuschung einer Straftat
Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten
Trunkenheit im Straßenverkehr, Fahren ohne Fahrerlaubnis
Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Schwarzarbeit
Begünstigung, Strafvereitelung, Unfallflucht, Menschenhandel
Beleidigung, Verstoß gegen das WaffenG,
- Versuch - gewerbsmäßig - Bande - besonders schwere Fall -

Termin vereinbaren mit Strafverteidiger Clemens Louis

Strafverteidiger & Pflichtverteidiger im Ruhrgebiet für Strafrecht:

Amtsgericht und Landgericht: Bochum - Bottrop - Dortmund - Duisburg - Essen - Gelsenkirchen - Hagen - Hamm - Herne - Mülheim an der Ruhr - Oberhausen - Recklinghausen - Unna - Wesel - Ennepe - Kleve - Münster - Krefeld - Bocholt - Ahaus - Lüdinghausen - Nordhorn - Siegen - Dinslaken - Geldern - Haltern - Marl - Dorsten - Gladbeck - Hattingen - Sprockhövel - Gütersloh - Coesfeld - Borken - Dülmen - Rheine - Senden - Nottuln - Gronau


Wie lange es sie genau gibt, weiß keiner so recht.

"Na ja, als ich 1975 als Anwalt angefangen habe zu arbeiten - ich habe von Anfang an Strafrecht gemacht - hat es keine Deals in der Münchner Justiz gegeben",

sagt Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag und zuckt mit den Schultern. Sicher ist nur eines: Irgendwann waren sie da und sind heutige gängige Praxis: die Absprachen im Strafverfahren - die Deals. Das, was man sonst nur aus amerikanischen Krimis kennt: Staatsanwalt und Verteidiger sitzen sich mit reglosen Minen gegenüber und handeln aus, was den Angeklagten erwartet. Und in der Regel sieht ein Deal so aus: Der Tatverdächtige legt ein Geständnis ab. Im Gegenzug dafür, fällt seine Strafe milder aus. So kurz und knapp lässt sich ein Deal zusammenfassen.

In den Gerichtsälen wurden diese Deals bisher nicht ausgehandelt. Eher auf dem Flur, in der Kantine, und sogar auf der Herrentoilette sollen Deals schon zustande gekommen sein. Eine ganz und gar undurchsichtige Sache also, die geradezu ein "Geschmäckle" hat. Wer entschieden hat, dass Deals auch in Deutschland ein Teil der Strafprozessordnung werden können? Winfried Hassemer, Bundesverfassungsrichter a.D., zieht die Augenbrauen hoch:

"Das war gar keine Entscheidung, sondern das war so wie die Entwicklung einer Krankheit. Das hat niemand entschieden, sondern das ist Schritt für Schritt in der Praxis passiert."

Eine geradezu anrüchige und ansteckende Krankheit - mit der in der Öffentlichkeit niemand in Verbindung gebracht werden wollte. 1982 werden die Deals erstmals in der juristischen Fachliteratur erwähnt. Doch der Autor möchte lieber unerkannt bleiben und nutzt für seinen Artikel ein Synonym: Detlef Deal aus Mauschelhausen.

Heute, 27 Jahre später, braucht es keine Pseudonyme mehr. Die Absprachen sind tägliche Praxis geworden. Morgen wollen die Bundestagsabgeordneten sie durch ein Gesetz reglementieren, das von der Bundesregierung ausgearbeitet worden ist.

Einer der Deals, die jüngst durch die Presse gegangen sind, ist der Fall von Ex-Postchef Klaus Zumwinkel. Es spricht viel dafür, dass hier eine Absprache - oder um den korrekten Begriff aus dem Gesetzesentwurf zu benutzen: eine "Verständigung" - stattgefunden hat. Zumwinkel war Steuerhinterziehung in Millionenhöhe vorgeworfen worden, und die Ermittler schleppten gleich kistenweise Unterlagen aus seinem Büro und Privathaus. Zumwinkel gestand sofort und ersparte sich und der Justiz damit ein jahrelanges, aufwändiges Verfahren. Das Urteil: zwei Jahre auf Bewährung und eine Strafzahlung von einer Million Euro.

Diese großen Wirtschaftsstrafsachen sind zwar die, die für Aufsehen sorgen. Doch tatsächlich hat sich die Praxis schon viel weiter entwickelt:

"Die heutige Praxis ist eigentlich sehr lebendig und hat sich auch in den letzten 20 Jahren, als die Deals aufgekommen sind, recht gut eingefahren. Es ist sowohl in kleinen Strafverfahren, also in Fällen der alltäglichen Kriminalität üblich, heute über Verständigungen nachzudenken, wie auch bei schwereren Delikten, wo erhebliche Haftstrafen im Raum stehen. Der Deal kommt immer dann aufs Tapet, wenn für das Gericht die Aufklärung des Sachverhaltes sehr umfangreich wäre, das heißt also, wenn unglaublich viele Zeugen gehört werden müssten, wenn vielleicht mehrere Sachverständigengutachten erforderlich sind, und das Ganze, um es auf den Punkt zu bringen, sehr viel Arbeit und Mühe macht."

Udo Vetter ist Strafverteidiger in Düsseldorf, und der Deal gehört zu seinem täglichen Geschäft. Eben auch bei den nicht so spektakulären Fällen, sagt er:

"Die Verständigung hat dann auch Einzug in den Alltag der Amtsgerichte und Schöffengerichte und auch der Landgerichte genommen, einfach aus einem Grund: Die Gerichte sind finanziell nicht gerade gut bestellt. Es gibt einen erheblichen Verhandlungsdruck, es gibt Verfahrensstaus, und je größer diese Staus geworden sind, also die Wartezeiten auf Prozesse, die Probleme mit inhaftierten Angeklagten, die ja einen Freiheitsanspruch haben, wenn sie in Untersuchungshaft sitzen, desto eher war die Neigung da, auch das im Kleinen zu machen. Und es gibt auch vor dem Amtsgericht immer wieder Situationen, wo in kleinsten Fällen ein Deal nahe liegt."

Wobei nicht nur Verteidiger und Mandant von so einer Verständigung profitieren können. Auch manche Richter schätzen in der Praxis offenbar den kurzen Prozess.

"Es ist richtig, dass viele Gerichte in den vergangenen Jahren dazu übergegangen sind, den Spieß umzudrehen, da hat nicht mal die Verteidigung mit einem umfangreichen, langwierigen Verfahren gedroht, sondern die Gerichte haben gesagt: Ach wisst ihr was, wir haben Zeit, wir machen das, wenn Ihr das wollt. Aber stellt Euch mal darauf ein, wenn sich am Ende die Schuld des Angeklagten erweist, dann kriegt er - ich sage jetzt mal ein Beispiel - für den Bankraub zehn Jahre. Wenn du aber einen Deal mit uns machst und hier und heute ein Geständnis ablegst und wir alle rechtzeitig zum Mittagessen das Verfahren beendet haben, dann kriegst du nur dreieinhalb Jahre."

Solche freien "Verständigungen" lagen schon zweimal beim Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor. Und jedes Mal haben die Bundesrichter Grenzen gezogen. Am deutlichsten in ihrem jüngsten Urteil aus dem Jahr 2005: Wenn man denn schon solche Absprachen tätige, dann müssten diese auch gesetzlich geregelt sein. Seitdem gab es verschiedene Entwürfe, die den Deal in die Strafprozessordnung integrieren sollten. Der Entwurf aus dem Haus von Bundesjustizministerien Brigitte Zypries (SPD), der morgen dem Bundestag vorgelegt wird, ist heftig debattiert, bearbeitet und verändert worden, bevor er nun zum Gesetz werden soll.

"Ziel ist es, die Absprache im Strafprozess rechtsstaatlicher zu machen. Wir wollen, dass sie künftig in öffentlicher Hauptverhandlung stattfindet und damit transparent wird für jedermann. Und wir wollen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit erhalten, anschließend gleichwohl Rechtsmittel einzulegen."

Die Absprache oder Verständigung rüttelt massiv an den Grundfesten des deutschen Rechtssystems, sagen die Kritiker. Und es gibt nicht wenige, die den Deal am liebsten ganz aus der deutschen Justiz verbannen wollen. Allen voran der Präsident des Bundesgerichtshofes, Klaus Tolksdorf. Der Deal sei für das Ansehen der Justiz verheerend, befand er in einem Interview. Die Strafen seien für die Schuld zu niedrig, und damit im Verhältnis nicht mehr angemessen. Das erschüttere das Vertrauen in den Rechtsstaat und könne sogar den Eindruck eines Zwei-Klassen-Rechtssystems herbeiführen.

Die Befürworter des Deals argumentieren da pragmatischer, so wie Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag:

"Also, wenn Sie so wollen, ein solches Zwei-Klassen- oder unterschiedliches Strafrecht hatten wir schon immer. Derjenige, der sich einen teuren Verteidiger leisten kann, der viel Geld aufwenden kann für seine Verteidigung, in manchen Fällen derjenige, der mit viel Geld Detektive anheuern kann, um Entlastungsmaterial zu suchen, der ist bei Gericht immer in einer besseren Position als derjenige, der mangels materieller Ressourcen dem Gericht und der Staatsanwaltschaft ohne Verteidigung ausgeliefert ist."

Auch Wolfgang Bosbach, der stellvertretender Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verteidigt die gesetzliche Regelung. Da der Deal sich nun einmal in die deutschen Gerichte eingeschlichen habe und dort mittlerweile zu den täglichen angewendeten Mitteln gehöre, sei es besser, für diese Absprachen feste Grenzen zu ziehen:

"Zukünftig gibt es ihn in bestimmten Grenzen, nach bestimmten Regeln. Wenn wir das Gesetz nicht verabschieden würden, würde der Deal trotzdem stattfinden. Wer sagt, der Deal ist etwas Böses schlechthin, der leugnet die Lebenswirklichkeit, denn er findet ja statt. Wenn wir jetzt alle gesetzgeberischen Bemühungen einstellen würden, aus welchen Gründen auch immer, würde es morgen den nächsten Deal geben."

Doch damit würde das Strafrecht zum "Handelsrecht", bemängeln Kritiker. Statt die individuelle Schuld unter die Lupe zu nehmen und angemessen zu bestrafen, trete mit diesen Absprachen eine verhandelbare Beliebigkeit in den Vordergrund. Strafverteidiger Udo Vetter:

"Aus meiner doch nun fast 15-jährigen beruflichen Praxis als Strafverteidiger muss ich sagen, das Strafrecht ist in weiten Teilen schon zu einem Handelsrecht verkommen, weil natürlich jede Seite, egal, ob Gericht, Staatsanwaltschaft oder Verteidigung dann den Verständigungshebel ansetzt, wenn sie dafür Ansätze sieht. Das ist einfach der Not des Faktischen geschuldet. Den Gerichten geht es finanziell schlecht, es herrscht Personalmangel, die Akten stapeln sich, und die Prozesse können nicht so abgearbeitet werden, wie das von einer funktionierenden Justiz verlangt werden könnte. Wenn wir uns nicht immer auf vernünftiger Ebene oder sehr häufig auf vernünftiger Ebene verständigen würden, dann wage ich mal die Prognose, dann wäre zumindest die Strafjustiz heute schon längst am Ende, und wir hätten einen Stillstand der Rechtspflege."

Diese Argumentation fällt unter das Stichwort: Prozessökonomie. Eine bescheiden ausgestatte Justiz; eine schlechte technische Ausstattung und zu wenig Personal, bei gleichzeitig immer mehr Fällen: Warum sollten Richter und Staatsanwälte die Deals nicht nutzen? So werden unnötig lange Verfahren vermieden, sagen die Befürworter. Jerzy Montag von Bündnis 90/Die Grünen:

"Es kann ein mieses Geschäft mit der Gerechtigkeit sein, es kann eine unangemessene Reaktion des Staates auf das Verhalten eines Straftäters sein, das darf es nicht werden. Es kann aber auch zu einer Abkürzung sinnloser Verfahren führen, es kann dazu führen, dass ein gerechtes, vernünftiges Urteil nach zwei Verhandlungstagen ausgesprochen wird und nicht nach 200, und wenn das Ergebnis richtig ist, dann ist gegen eine solche Vorgehensweise aus meiner Sicht auch nichts zu sagen."

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2005 ganz klare Forderungen formuliert - was gesetzlich geregelt werden muss, wenn der Deal denn in deutschen Gerichtsälen weiter erwünscht sein sollte. Diese Punkte setzt der jüngste Gesetzesentwurf um. Dazu gehört ganz wesentlich der Aspekt der Transparenz: Keine Absprachen mehr in Hinterzimmern, sondern sie müssen bei der Hauptverhandlung in aller Öffentlichkeit besprochen werden, erklärt Wolfgang Bosbach.

"Für mich ist insbesondere der Begriff Transparenz von Bedeutung, denn das Verfahren muss transparent sein. Transparenz ist immer gut, um Mauscheleien vorzubeugen. Was hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wird, das ist eher suspekt als das, was öffentlich ganz transparent in mündlicher Verhandlung zu Protokoll gegeben wird."

Das alleine reicht den Kritikern aber noch nicht aus. Denn mit den Absprachen stehe ein wesentliches Element des deutschen Strafverfahren zur Disposition: Bisher ist es ein unabdinglicher Grundsatz, dass in einem Strafprozess die Wahrheit eruiert werden muss. Ist der Angeklagte aber von Beginn an geständig und wird ein Deal ausgehandelt, dann - so die Skeptiker - stehe der Konsens im Vordergrund und nicht mehr die Wahrheitsfindung. Denn statt aufwändig den Sachverhalt bis ins kleinste Detail zu ermitteln, könnten sich Staatsanwaltschaft und Gericht auf das Geständnis stützen. Doch Befürworter Wolfgang Bosbach (CDU) versichert:

"Auch wenn der Deal jetzt in Gesetzesform gegossen wird, können wir nicht auf die Ermittlung des Sachverhaltes verzichten. Das Gericht wird nach wie vor verpflichtet sein, den wahren Sachverhalt zu ermitteln. Daraus kann man dann unterschiedliche rechtliche Schlüsse ziehen, aber auf die Ermittlung des Sachverhaltes können wir schon deshalb nicht verzichten, weil ja sonst niemand mit Bestimmtheit sagen kann, ob der Deal auch tatsächlich Bestands- bzw. Rechtskraft erlangen wird, und daran müssen ja alle Beteiligten ein überragendes Interesse haben, dass das, was besprochen und abgesprochen wird, am Ende auch hält."

Doch wie realistisch wird das in der Praxis sein? Werden Richter und Staatsanwalt tatsächlich jeden Aktenkilometer auf seinen Wahrheitsgehalt hin prüfen, wenn der Angeklagte sofort gesteht? Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, hat da schwerwiegende Bedenken, die er im Interview mit dem ARD-Magazin Monitor äußerte:

"Der Deal bringt uns entschieden weg von der Wahrheit, weil's um die Wahrheitsermittlung nicht geht, sondern es geht um den Konsens am Schluss. (...) Wir verabschieden uns jedenfalls von dem Prinzip der Wahrheitsvermittlung, wie es unsere Tradition ist. Unsere Tradition ist so, dass der Konsens des Beschuldigten nicht alles ist. Also selbst wenn ein Geständnis vorliegt, muss das Gericht der Wahrheit dieses Geständnisses auf die Schliche kommen, es muss dem nachgehen."

Und noch ein wesentliches Prinzip des deutschen Strafrechts stehe mit den Absprachen auf der Kippe, moniert Winfried Hassemer. Verurteilt werden darf nur der, den der Richter auch für schuldig hält - weil er auf Grund der Ermittlungsergebnisse zu diesem Schluss gekommen ist. Beim Deal sei dieses Prinzip aber nicht mehr gegeben, da der Angeklagte ja geständig und das intensive Aktenstudium so verkürzt werden könne, fürchten Kritiker: Denn warum noch lange recherchieren, wenn die vermeintlichen Fakten in Form eines Geständnisses schon auf dem Tisch liegen?

"Und er bringt uns auch weg vom Schuldprinzip. Das Schuldprinzip bedeutet, dass ich jemanden nur verurteilen darf, von dessen Schuld ich überzeugt bin ... überzeugt bin. Oder wenn man genauer sagt: Ich mich überzeugt habe."

Und noch ein Punkt beunruhigt die Kritiker: Gerade bei den spektakulären Wirtschaftsstrafsachen - jüngstes Beispiel ist der Fall Zumwinkel - scheint einigen das Strafmaß im Rahmen einer "Verständigung" zu gering. Doch hier argumentieren die Befürworter, wie Wolfgang Bosbach von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aus der heute gängigen Praxis heraus:

"Ansonsten haben wir Strafrahmen, die im übrigen erstaunlich groß sind. Und wenn man beispielsweise einen Strafrahmen hat zwischen ein und fünf Jahren, müsste man ja statistisch mathematisch nach einem längeren Zeitraum zu dem Ergebnis gelangen, dass im Durchschnitt die Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe drei Jahren betragen haben. Das ist aber nicht richtig. Die Verurteilungen pendeln sich eher immer am unteren Maß dieses Strafrahmens ein. So wird es auch in Zukunft sein."

Im Gesetzentwurf, der morgen verabschiedet werden soll, wird ein weiteres wichtiges Detail geregelt, welches - trotz deutlicher Vorgabe des Bundesgerichtshofs - bisher in der Praxis schon einmal aus dem Blick gerät. Strafverteidiger Udo Vetter:

"Die langjährige Praxis, seit die Deals vor ungefähr 20, 25 Jahren ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt sind, war immer so, dass eine Verständigung erzielt wird, und dann muss sozusagen der Angeklagte, und auch die Staatsanwaltschaft mussten auf Rechtsmittel verzichten. Ein Richter hat das mal so formuliert: Ich mache hier nur was, wenn heute die Klappe zugemacht wird, wenn die Sache erledigt wird. Das bedeutete immer Rechtsmittelverzicht."

Sprich: Man einigt sich und verzichtet freiwillig auf weitere juristische Überprüfungsmöglichkeiten. Ein unhaltbarer Zustand, befand der Bundesgerichtshof. Denn schließlich müsse immer die Möglichkeit erhalten bleiben, gegen Urteile, auch wenn sie auf Grund eines Deals zustande gekommen sind, Rechtsmittel einzulegen. Mit dem nun vorliegenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung, soll der Verzicht auf weitere rechtliche Schritte ausgeschlossen werden. Doch Udo Vetter hat Bedenken, ob eine gesetzliche Regelung hier wirklich etwas nützt:

"Lassen Sie mich aus meiner Praxis sagen, dass es natürlich in den allermeisten Fällen nach wie vor anders läuft. Da wird zwar treu und brav und sorgfältig, vollständig über diesen Umstand belehrt, nämlich dass man keinen Rechtsmittelverzicht erklären muss, aber stillschweigend wird natürlich vorausgesetzt, dass der Angeklagte es dann doch macht. Aus meiner Sicht ist das auch gar nicht so wahnsinnig schlimm, weil wenn der Angeklagte einem Deal zugestimmt hat, mit dem er und sein Verteidiger leben können, also wenn sie damit zufrieden sind, dann gibt es eigentlich auch keinen Grund in den allermeisten Fällen, auf Rechtsmittel zu verzichten."

Aus Sicht des Verteidigers vielleicht nicht. Im morgen abzustimmenden Entwurf wird aber auf jeden Fall geregelt, dass Rechtsmittel nicht ausgeschlossen sind. Denn der Verzicht auf den Rechtsweg aufgrund eines Deals - auch das würde einen erheblichen Einschnitt für den Rechtsstaat bedeuten, formulieren Kritiker und Befürworter des Gesetzesentwurfs gleichermaßen. Bleibt die Frage, ob der Deal überhaupt geregelt werden sollte.

"Also, ich bin sehr skeptisch, ob es Sinn macht, den mittlerweile doch sehr lebendig und gut praktizierten Deal in ein Gesetz zu gießen, einfach weil dann die Gefahr besteht, dass bei jedem Gerichtsverfahren zunächst einmal sozusagen unter Bezug auf das ja bestehende Gesetz geprüft wird, können wir nicht einen Deal abschließen? Ich sage immer, das klingt so wie im Zivilprozess, bevor man sich streitet und das Gericht ein Urteil fällen muss, soll erst einmal eine Güteverhandlung stattfinden, das heißt, wir gucken, ob wir uns nicht alle an einen Tisch setzen und uns die Hände geben und sagen, gut, wir einigen uns auf das und das und gehen da raus. Die gesetzliche Verankerung des Deals bringt diese Gefahr nach meiner Meinung mit sich, weil dann eben jeder Beteiligte sagen kann: Moment mal, bevor wir uns jetzt hier streiten, müssen wir erst mal der gesetzlichen Vorgabe Folge leisten und über eine Verständigung nachdenken. Also ich persönlich halte es für einen typischen Ausdruck deutscher Regulierungsfreude."

Übrigens: Der Gesetzesentwurf zur Verständigung im Strafverfahren ist ... ein Deal innerhalb der Großen Koalition. Die CDU/CSU stimmt dem nur zu, weil die SPD im Gegenzug dafür einer großen Kronzeugenregelung zustimmt. Und die Kronzeugenregelung steht morgen auch zur Abstimmung im Deutschen Bundestag. Einen Tagesordnungspunkt vor dem Gesetzesentwurf zum Deal.


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gilde conspirologische wirschaftskriminalitaet
terrorcamps unsere zivilisation bedroht mit aller gewalt
untersuchungshaft betucht

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rechtswirklichkeit... wir schreiben geschichte.