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07 Oktober 2008

Superreiche Moral

Wie soll ein Hartz IV-Empfänger Fairtrade-Schokolade kaufen?

Reinhard Jellen 07.10.2008

Interview mit Klaus Werner-Lobo

Der Journalist Klaus Werner-Lobo landete mit dem Schwarzbuch Markenfirmen vor einiger Zeit einen globalisierungskritischen Bestseller und widmet sich mit seiner neuesten Publikation [extern] Uns gehört die Welt! Macht und Machenschaften der Multis sehr anschaulich den Auswirkungen der weltweiten neoliberalen Wirtschaftspolitik auf unser Alltagsleben. Dabei hat er auf die illegalen Verstrickungen der Multinationalen Konzerne sein besonderes Augenmerk gerichtet.

Sie führen in ihrem Buch aus, dass den reichsten zwei Prozent der Weltbevölkerung über mehr als 50 Prozent des privaten Vermögens weltweit verfügt, während die ärmere Hälfte der Menschen knapp ein Prozent davon besitzt. Wo steht da der Otto Normalbürger der westlichen Hemisphäre? Über welche Möglichkeiten verfügen wir, um die Tendenz, dass mit zunehmendem Reichtum auch wachsende Armut produziert wird, zu stoppen?

Klaus Werner-Lobo: Das kommt darauf an, wen man als Otto Normalbürger bezeichnet, den gibt es nämlich zusehends nur noch rechnerisch, weil die Schere zwischen arm und reich auch in der westlichen Hemisphäre auseinandergeht, so dass die wenigsten das [extern] Durchschnittsvermögen erreichen.

Was das Einkommen betrifft, kann man sich unter [extern] www.globalrichlist.com ganz leicht selbst verorten: ich z.B. befinde mich dort in guten Jahren unter den reichsten 5 Prozent. Ich denke es geht vor allem um die Erkenntnis, dass wir ohne massive Umverteilung von Reich zu Arm sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene den sozialen Frieden und damit unsere eigene Freiheit und Sicherheit aufs Spiel setzen. Also: Besteuerung von Vermögen und Gewinnen, Schließung von Steueroasen, globale Steuerbehörde, Grundeinkommen et cetera - die Vorschläge liegen ja großteils eh auf dem Tisch...

Wie schätzen Sie momentan die Auswirkungen der amerikanischen [local] Immobilienkrise auf unser Leben ein? Könnte diese Einfluss auf Politiker nehmen und ein Umdenken herbeiführen - oder wird das neoliberale Wirtschaften ewig so weitergehen?

Klaus Werner-Lobo: Die Immobilien-, mittelfristig aber noch mehr die [local] Energiekrise gefährdet das bestehende Wirtschaftssystem natürlich massiv. Das kann bis zum Kollaps führen . vor allem in Gegenden, in denen Lebensmittelversorgung, Heizung und Mobilität stark erdölabhängig sind. Natürlich kann die Politik die extremsten Auswirkungen des neoliberalen Kapitalismus nicht völlig ignorieren, aber ich würde nicht darauf vertrauen, dass sie dem etwas entgegensetzen wird. Die Mächtigen werden immer Machtinteressen vertreten, die Veränderung muss also von unten . von uns . kommen.

Sie haben in ihrem Buch besonders die Ausbeutung von meist nahezu rechtlosen Arbeitnehmern aus dem Trikont durch weltweit erfolgreiche Konzerne wie Adidas, Coca Cola, Kraft, Nestle et cetera untersucht. Sind deren Praktiken überhaupt legal und wenn nicht, warum werden diese nicht rechtlich zur Verantwortung gezogen? Wie kann man ihrer Meinung nach diese Konzerne zum Umdenken bewegen?

Klaus Werner-Lobo: Ich nenne das immer das "gut organisierte Verbrechen". Das ist so gut organisiert, dass es nicht mehr als Verbrechen verfolgbar ist. Die Konzerne verhindern . z. B. mithilfe der WTO - erfolgreich global einklagbare Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechte, aber auch eine Verbesserung der ökologischen und sozialen Standards in den Produktionsländern. Außerdem lagern sie die Verantwortung auf Zulieferbetriebe aus, die zwar rechtlich unabhängig, wirtschaftlich aber in völliger Abhängigkeit von den Multis agieren. Konzerne sind nicht zum Denken und schon gar nicht zum Umdenken da. Sie sind dazu da, höchstmögliche Rendite zu erwirtschaften. Es gibt also nur zwei Wege: Entweder zwingt man sie durch Gesetze zur Einhaltung von Mindeststandards, oder man erhöht - zum Beispiel durch Protestaktionen, Boykotte, Streiks et cetera. - die sogenannten Konfliktkosten: Das sind jene Kosten, die durch den Imageverlust entstehen, so dass es sich nach betriebswirtschaftlicher Kosten-Nutzen-Rechnung für sie rentiert, in Verbesserungsmaßnahmen zu investieren.

Partizipative Demokratie

Bei letzterem fließt allerdings ein großer Teil des investierten Geldes ins Marketing und die tatsächliche Verbesserung ist oft schwer messbar. Der beste Weg wären sicher global einklagbare gesetzliche Mindeststandards oder z.B. nationale bzw. EU-weite Importverbote oder Strafzölle für Güter, die solchen Standards nicht genügen.

Wäre ihrer Meinung nach die Umstellung von einer parlamentarischen zu einer direkten Demokratie ein Hebel um die Politik der Lobbies zu stoppen?

Klaus Werner-Lobo: Ich bin weder ein Fan der repräsentativen noch der direkten Demokratie. Erstere ist anfällig für wirtschaftlich starke Lobbygruppen, letztere für Populismus. Ich sehe die Zukunft in der partizipativen Demokratie, also höchstmöglicher Beteiligung aller Betroffenen und Interessensgruppen in alle sie betreffenden Entscheidungsprozesse.

Das funktioniert bereits jetzt sehr gut auf lokaler und regionaler Ebene, z.B. in der brasilianischen Millionenstadt Porto Alegre, wo die Bürger sogar Budgetentscheidungen gemeinsam und im Konsens beschließen. Dafür bräuchte es eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips, d.h. Entscheidungen werden auf der niedrigstmöglichen Ebene getroffen - eben dort, wo man auch davon betroffen ist. Globale und überregionale Probleme - Klimaschutz, globale Ressourcenverteilungen und Konflikte - sollten aber auch global bzw. überregional geregelt werden können. Das geht nur, indem man die demokratischen Kontrollmechanismen internationaler Institutionen wie UNO, EU et cetera. stärkt, Transparenz herstellt und so weiter.
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Jean Ziegler sagt, ein Kind das des Hungers stirbt würde ermordet. Stimmen Sie dem zu? Kann man die Superreichen direkt für die Armut verantwortlich machen? Einerseits schreiben Sie, der "Hauptgrund für die Ungerechtigkeiten in unserer Welt liegt [...] nicht im bösen Verhalten einzelner Personen, sondern im allgemeinen Gewinnstreben, wie es die Basis der kapitalistischen Wirtschaftsordnung bildet." Andererseits behaupten Sie, jeder Mensch sei für sein Handeln verantwortlich. Wie geht das zusammen? Setzt Verantwortung nicht eine Gesellschaft voraus, in welcher die Individuen gemäß ihren Absichten agieren können? Und was bedeutet Verantwortung für eine Gesellschaft, in der die Zwänge des Wirtschaftswachstums herrschen und in der es zunehmend unmöglich wird, die Folgen des Handelns zu überblicken?

Klaus Werner-Lobo: Strafrechtlich gesehen ist es wohl eher fahrlässige Tötung als Mord. Aber jedenfalls wird der Hunger in Kauf genommen, damit einige wenige daraus Profite ziehen können. Ich würde sagen, beides stimmt: Selbstverständlich sind wir alle für unser Handeln und Nichthandeln - und zu einem guten Teil auch für unsere Ignoranz - verantwortlich. Wobei meiner Meinung nach der Grad der Verantwortung mit dem Grad des Einflusses, also der ökonomischen und politischen Macht, steigt. Gleichzeitig will ich nicht einzelne Personen dämonisieren, weil das den Blick davon ablenkt, dass diese Personen . egal ob z.B. Wirtschaftsboss, Politiker oder Konsument - ja im Wesentlichen systemkonform handeln und wir daher das System an und für sich hinterfragen müssen.

"Man braucht sich nicht wundern wenn viele Menschen Arschlöcher werden"

Und ich würde verneinen, dass "Zwänge des Wirtschaftswachstums herrschen", diese Zwänge herrschen nur dann wenn man sie als solche anerkennt indem man sie gebetsmühlenartig wiederholt. Wirtschaftswachstum ist eine realitätsferne Illusion, die nur zum ökologischen Kollaps führen kann - und die Verantwortung besteht zuerst einmal darin sich von dieser Illusion zu befreien.

Was ist für Sie das schwerwiegendere Problem: Die anscheinend nichtvorhandene Ethik der Reichen, Mächtigen und Konzerne, oder ein Wirtschaftssystem, das auf Sachzwänge und Eigengesetzlichkeiten beruht und von dem der neoliberale Theoretiker Friedrich August von Hayek gesagt hat, von diesem Gerechtigkeit zu fordern wäre in etwa so sinnvoll wie der Ruf nach einem gerechten Luftdruck? Anders gefragt: Liegt es an den Leuten oder liegt es am System?

Klaus Werner-Lobo: Da hatte Hayek völlig Recht. Es ist ja nicht so, dass die keine Ethik hätten, nur lautet die halt heute "Geiz ist geil". Das verträgt sich bei manchen auch durchaus mit am Sonntag in die Kirche gehen oder daheim den Hund streicheln und für Waisenkinder spenden. Es liegt natürlich an den Leuten und am System. Die Frage ist, wann mich das System belohnt: Wenn ich solidarisch bin oder wenn ich egoistisch bin? Der Mensch selbst hat laut anerkannten Hirn- und Sozialforschern wie [extern] Arno Grün die Anlage zum Gutsein, zu Solidarität und Liebe. Aber natürlich auch einen starken Überlebenstrieb. Das kapitalistische System belohnt die Ellbogentechnik und den Zynismus - und wenn man damit besser überlebt, dann braucht man sich nicht wundern wenn viele Menschen Arschlöcher werden. Das ist als Analyse gemeint, nicht als Entschuldigung, denn "belohnen" ist etwas anderes als "zu etwas zwingen."

Wie schätzen Sie bei tendenzieller Massenverarmung die Schwierigkeiten für ethische Maßstabe im Konsumverhalten ein? Wie und warum sollten z.B. Hartz IV-Empfänger ethische Waren kaufen?

Klaus Werner-Lobo: Als nächstes verlangen wir vielleicht noch von den westafrikanischen Kindersklaven, dass sie nur Fairtrade-Schokolade essen dürfen! Ich würde so sagen: Eher kommt ein Hartz IV-Empfänger ins Himmelreich, der bei Lidl eine Packung Nestlé-Kaffee mitgehen lässt, als ein Reicher, der mit seinem Toyota Prius seine moralische Überlegenheit zur Schau stellt.

Ihr Buch wendet sich auch an junge Menschen ab 14 Jahre. Wie sind ihre Erfahrungen mit den Heranwachsenden? Wie entwickelt sich deren politisches Bewusstsein? Und wie äußert es sich?

Klaus Werner-Lobo: Bei mittlerweile über hundert Vorträgen in Schulen konnte ich feststellen, dass das mit der jugendlichen Politikverdrossenheit eine Lüge ist. Wenn Jugendlichen gesagt wird "du darfst da nicht mitreden" braucht man sich nicht wundern wenn sie das Interesse verlieren. Je jünger die Leute sind, desto natürlicher und selbstverständlicher ist ihr ethischer Bezug zu ihrer Umwelt, zu anderen Lebewesen. Zyniker bezeichnen diesen Bezug als naiv, dabei ist es genau dieser Zynismus der das große ethische und soziale Potenzial junger Menschen zerstört. Jugendliche empfinden noch so etwas wie Mitgefühl, wollen solidarisch sein, sind unzynisch. Was ihnen fehlt, ist Selbstvertrauen und Information - vor allem die Information, dass sie durchaus schlau genug sind, um mitzureden. Das war eigentlich für mich der Grund, dieses Buch zu schreiben: Weil ich so hohe Achtung vor der ethischen Kompetenz von Jugendlichen empfinde, weil ich so viel von ihnen lerne und weil ich sie gerne ermutigen würde mehr mitzureden und sich von den Zynikern nichts gefallen zu lassen.

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