"Hilfe ist anzubieten, Hilfe ist aber auch anzunehmen"
 Kirsten Heisig
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 |  Kirsten Heisig. Foto: Robert Strasser   | 
 
  				 Von Ruth Pauli
 Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig  konstatiert eine Zunahme der Gewaltkriminalität bei Jugendlichen aus  Migrantenfamilien, und sie propagiert einen offensiven Umgang mit dem  Problem der Ghettoisierung.
  Wiener Zeitung:  Sie arbeiten  seit 1990 als Jugendrichterin in Berlin und sind derzeit für  Neukölln-Nord zuständig, das eine besondere Migrationsproblematik hat. 
 
  Kirsten Heisig: In Teilen Berlins, wo sich die  migrantischen Communities ausgeweitet haben, hat sich eine Kriminalität  entwickelt, derer wir mit rein justiziellen Mitteln nicht mehr Herr  werden. Dazu gehört ganz vorrangig Neukölln-Nord: 300.000 Einwohner,  davon 35.000 türkischstämmig und 10.000 staatenlose Palästinenser. In  dem Bezirk leben 88.000 Menschen, die Arbeitslosengeld beziehen. Die  Arbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent, unter Migranten aber bei 60  Prozent. Das ist sozialer Sprengstoff per se. Die Hauptschulen werden  überwiegend nur noch von migrantischen Kindern besucht – zu 95 Prozent,  fast 100 Prozent. Fast alle ihre Eltern sind Arbeitslosengeldempfänger.
  Und vor diesem Hintergrund hat sich eine neue Form der Jugendkriminalität entwickelt? 
 Sie ist von großer Gewalttätigkeit geprägt. Es wird nicht einfach nur  etwas weggenommen, sondern der Sinn der Straftat besteht darin, Gewalt  auszuüben. Früher hat eine Truppe migrantischer Jugendlicher eine oder  zwei Personen umringt und gesagt: "Handy raus!" Das war's. Jetzt beginnt  dann erst das wirklich Hässliche an der Tat. Mit dem Handy kann man ein  hübsches Video drehen. Das Opfer wird zusammengeschlagen, manchmal  werden ihm mit Eisenstangen die Zähne ausgeschlagen, und das wird  gefilmt. Dann werden andere Jugendliche herbeitelephoniert, die sich das  angucken können, das Video wird weiter versendet. Das Opfer wird auch  verbal erniedrigt. Oft sagen die Opfer mir, das Schlimmste sei gewesen,  am Boden zu liegen und als ungläubiger Schweinefleischfresser bezeichnet  zu werden.
  Wann hat das begonnen? 
 Mit fällt es seit fünf Jahren auf, dass die Erniedrigung und das  massive körperliche Attackieren in den Vordergrund gerückt sind. Nach  der Erklärung dafür suche ich noch. Es wird gesagt: Weil die soziale  Lage der migrantischen Familien so desolat ist, begehen sie vermehrt  Straftaten. Warum man aber ein Opfer zusätzlich zum materiellen Vorteil  so extrem körperlich attackieren und auch in seiner Würde herabsetzen  muss, kann mir keiner erklären.
  Was ist Ihre Erklärung? 
 Es ist eine Ghettoisierung eingetreten. Alle haben, was sie brauchen:  Es gibt den arabischen Metzger, den türkischen Bäcker, Rechtsanwalt und  Arzt. Man braucht nicht mehr Teil der Aufnahmegesellschaft zu werden,  um vernünftig existieren zu können. Nicht, dass die soziale Lage  brillant wäre – die Aufnahmegesellschaft ist hier weiter gefragt – aber  ich verspüre einen beidseitigen Rückzug, eine Abgrenzung – wir sind wir  und ihr seid ihr. Daraus wird die Berechtigung abgeleitet, diese  Abgrenzung in herabsetzende Worte zu kleiden.
 
 "Zufriedene  Menschen arbeiten besser als unzufriedene" – Kirsten Heisig im Gespräch  mit der "Wiener Zeitung"- Mitarbeiterin Ruth Pauli. Foto: Robert  Strasser  
 Geht das mit einer Islamisierung Hand in Hand? 
 Das könnte man denken. Ich bin nicht kompetent genug, das  abschließend beurteilen zu können. Aber die verbale Abgrenzung ist da.  Zwischen Arabern und Deutschen, Arabern und Türken. Man sagt: Der Araber  steht über dem Türken und über dem Deutschen erst recht. Aber meine  Jugendlichen erzählen mir nicht: "Ich gehe in eine Moschee und deshalb  weiß ich, das wir besser sind als ihr." Dieses Phänomen gibt es nicht.
  Nun passiert eine Entwicklung wie in Neukölln-Nord ja nicht über Nacht. . . 
 Man hat sie geschehen lassen. Als die Schulen 75 oder 80 Prozent  Migrantenkinder hatten, wurde das noch nicht thematisiert. Als wir bei  90 Prozent waren, stand dann in den Zeitungen: "Und was machen wir  jetzt?" Da wurden dann so geniale Sachen vorgeschlagen wie Bussing . . .
  . . . .also das Austauschen von Kindern aus verschiedenen Vierteln mit dem Schulbus. 
 Das ist nicht wirklich realistisch. Jetzt will man versuchen, die  Schulen zu mischen, indem man bei den Gymnasien eine Quote einführt. 30  Prozent der Gymnasiumsplätze sollen unter denen verlost werden, die  etwas benachteiligt sind. Die schickt man dann ins Gymnasium, ohne dass  sie räumlich oder sozial in der Nähe sind. Auch das halte ich für  fragwürdig.
  Privatschulen haben dann wohl noch mehr Zulauf? 
 Die Privatschulen schießen aus dem Boden. Es zeichnet sich eine klare  Spaltung ab. Dass man die Hauptschulen abschafft und Sekundarschulen  einführt, wo Real- und Hauptschule zusammengelegt sind, halte ich für  richtig. Weil sonst die Hauptschule ein reines Auffangbecken ist für die  mirgrantischen Kinder und das verbleibende arbeitslose Prekariat. Das  kann nicht integrativ wirken.
  Lässt sich die Situation in Neukölln-Nord noch ändern? 
 Das weiß ich nicht, aber man sollte in anderen Bezirken vermeiden,  dass sich eine ähnliche Entwicklung vollzieht. Dafür braucht man ein  attraktives Schulangebot, interessant für migrantische wie für  nicht-migrantische Familien. Denn wenn wir die Ethnien nicht gemischt  bekommen – am besten schon im Kindergarten –, dann fährt man alles an  die Wand. Es beginnt in den Elternhäusern, da bauen sich die Vorurteile  auf. Die migrantischen Eltern äußern sich nicht ausschließlich positiv  über die Aufnahmegesellschaft. Umgekehrt ist es genauso. So ist die  Auseinanderentwicklung programmiert, die in den Eltenhäusern installiert  wird.
  Das stimmt wohl auch für das Frauenbild. 
 Die Kopftuchfrage fällt natürlich in die Religionsfreiheit. Aber wenn  die Kinder damit aufwachsen und dann in der Kindertagesstätte und der  Grundschule der blonden Erzieherin in Minirock und Latschen sagen: "Du  hast mir gar nichts zu sagen, du trägst kein Kopftuch", dann ist für ein  friedliches Miteinander schon viel Boden verloren. Wir müssen Geld in  intelligente Erziehungskonzepte und nicht in einzelne über die Stadt  verstreute Projekte investieren. Es geht um attraktive Kindergärten und  Schulen. Gemischtethnisch, also 50 zu 50 muss der Standard sein, damit  die Kinder miteinander umgehen lernen, bevor sich das Vorurteil  ausgepägt hat. Das kostet natürlich Geld.
  Sie gehen als Richterin einen neuen Weg: Sie setzen die Schulpflicht durch. 
 Als Jugendrichterin komme ich an die Eltern erst heran, wenn die  Straftaten begangen worden sind, und das Jugendamt mir den Lebenslauf  schildert. Dann sehe ich den sozialen Hintergrund, ob die Eltern  arbeiten, wieviel Kinder vorhanden sind etc. Da sind wir häufig zu spät  dran. Wenn einer im Alter von 15 Jahren massive Gewaltdelikte begeht,  gar nicht oder sehr selten zur Schule gegangen ist, was soll ich da  machen? Da ist die Schulpflicht schon durch. Man muss auf die Familien  schauen, bevor das Schulversäumnis sich verfestigt hat. Und da habe ich  festgestellt, dass das Schulgesetz Bußgelder vorsieht bis zu 2500 Euro  oder zwei bis sechs Wochen Erzwingungshaft, wenn die Eltern die Kinder  schuldhaft nicht in die Schule schicken.
  Dieses Bußgeld hat Ihnen einen Hardliner-Ruf eingetragen. 
 Die Möglichkeit der Bußgelder ist geltendes Recht. Es wird aber nur  zögerlich angewendet, weil man sagt: "Die haben als  Arbeitslosengeldbezieher ohnehin kein Geld." Aber wer über eine rote  Ampel fährt, muss auch zahlen. Da ist die Schulpflicht allemal  wichtiger. Und es ist ein Ansatzpunkt, wo man die Familien nicht erst  kennen lernt, wenn einer mit 15 bei mir vor Gericht steht, sondern  schon, wenn die Schule anzeigt, dass der Achtjährige nicht in die Schule  geht und die Familie vier Wochen länger Türkeiurlaub macht. Da kann ich  schon anhand des Bußgeldverfahrens sehen, wie die Entwicklung ist. Da  gab es großes Geschrei: "Die Richterin sperrt die Eltern ein!" Aber es  ist uns wichtig, dass ein Kind in die Schule geht. Es ist eine Pflicht,  wer dagegen verstößt, muss mit Nachteilen rechnen.
  Verstehen das die bildungsfernen Eltern? 
 Die muss man eben darauf aufmerksam machen, dass sie in einer  Gesellschaft leben, in der Bildung wichtig ist. Darum führe ich  Elternabende durch, um ihnen unsere Rechtsordnung plausibel zu erklären –  nicht vom sozialarbeiterischen Ansatz her, sondern auch vom  repressiven. Wenn man mit ihnen spricht, dann ist es nicht besonders  kompliziert, das zu vemitteln. Man muss ihnen sagen, was hier anders  ist. Das verstehen sie. Auch das mit den Bußgeldern. Die Irritation ist  nur in meinem eigenen Umfeld, nicht bei den Migranten.
 Ich kombiniere das auch mit eigener präventiver Elternarbeit, gehe zu  den migrantischen Verbänden und sage: "Ich bin die böse Frau, die die  Eltern bestraft, aber ich möchte mit ihnen reden, wie man das vermeiden  kann. Mir geht es um das Fortkommen ihrer Kinder, damit die nächste  Generation als Lehrer, Erzieher, Polizeibeamte und Jugendamtsmitarbeiter  beschäftigt werden können."
 Da rennt man offene Türen ein. Ich bin noch nie von den  Migrantenvereinen zurückgewiesen worden. Im Gegenteil. Gerade der  türkische Mittelstand sagt mir häufig: "Setzt eure Gesetze durch." Ich  versuche auch immer zu betonen, dass es nicht zuletzt um zigtausende,  vollkommen unauffällige und integrierte Migranten geht, die davor  geschützt werden müssen, mit Intensivstraftätern in einen Topf geworfen  zu werden. Deshalb ist es wichtig hinzugehen, aufzuklären und das  Problem gemeinsam zu lösen.
  Das machen Sie freiwiliig? 
 Ja, in meiner Freizeit. Anders geht's nicht. Das ist sozusagen mein  zeitaufwendiges Hobby. Ich will mir nicht sagen lassen: "Du schwingst  die Keule, aber tust nichts, was den Missständen ursächlich  entgegenwirkt." Doch wenn wir trotz der Durchsetzung der Schulpflicht  Hinweise haben, dass das Kind weiter nicht in die Schule geschickt wird,  dass kriminelle Strukturen in der Familie bestehen, dann bin ich der  Meinung, dass man beim Bußgeld nicht stehen bleiben kann. Da muss das  Kind aus der Familie genommen werden.
 
Jugendliche Gewalttäter werden immer aggressiver. Foto: Bilderbox  
 Noch mehr Härte? 
 Natürlich muss das Jugendamt Angebote mit Familienhilfe vorschalten.  Aber bei Kindeswohlgefährdung ist eine Herausnahme aus der Familie  vorzusehen. Auch das ist geltendes Recht. Wer seine Kinder in  kriminellen Strukturen aufwachsen lässt, der macht sich strafbar. Darauf  muss man zumindest einmal hinweisen. Hilfe ist anzubieten, Hilfe ist  aber auch anzunehmen. Wir können nicht in einer Großfamilie drei Helfer  einsetzen, was ein Schweinegeld kostet, und dann, wenn die Hilfe nicht  angenommen wird, einfach sagen: "Bildungsfernes Elternhaus, da kann man  nichts machen". Damit geben wir die Kinder auf.
 Mir geht es ganz klar um das Kindeswohl. Denn jedes zweite Berliner  Kind hat einen Migrationshintergrund und soll doch diese Stadt einmal  gestalten, tragen, soll im positiven Sinne mitwirken. Das können wir  nicht erreichen, indem wir die Kinder im Ghetto lassen, in der  Hauptschule versacken lassen, in den Familien teilweise verkümmern  lassen, nur um politisch korrekt zu bleiben. Das kann sich die  Gesellschaft im Interesse der nachwachsenden Generation nicht erlauben.
  Schon durch den Islam gibt es aber die Unterschiede in den Grundwerten. Wie kann sich das annähern? 
 Das kann nur aus der Community heraus geschehen. Wir können es nur  vorleben und vorgeben, wie es sich in Mitteleuropa darstellt und dass  das Religiöse kein Übergewicht bekommen darf. Der Konsens kann doch  immer nur die Verfassung sein. Da steht alles drin, was für ein  friedliches Zusammenleben der Kulturen wichtig ist. Dort ist auch die  Religionsfreiheit garantiert, aber das ist kein Grundrecht de luxe. Da  steht auch Gleichbehandlung von Mann und Frau, oder: niemand darf  diskriminiert werden wegen seiner geschlechtlichen Neigungen. Das kann  man nur vorgeben und vorleben und darauf bestehen, dass die Grundrechte  das Maß der Dinge sind, die gemeinsame Schnittmenge, und nicht religiöse  Einstellungen.
  Schule und Bildung haben immer etwas mit Leistung zu tun. In der  westlichen Welt ist das ein hoher Wert, der in der islamischen Welt  nicht vorkommt. 
 Ich habe gedacht, dass sich das auswächst, dadurch dass die Menschen  über Generationen hier leben. Normalerweise, wenn ein Mensch anderswo  hin geht, lässt er seine Heimat hinter sich. Dieser Effekt ist aber  nicht eingetreten. Die erste Zuwanderergeneration der Ostanatolen kam  hierher und hat gedacht: "Wir arbeiten jetzt hier ein Ründchen,  verdienen Geld, bauen uns dann in unserer Heimat ein Haus und fertig."  Da kann man es noch nachvollziehen, dass sie sich nicht integriert  haben. Wozu man sagen muss: Sie haben sich durchaus an unsere  Rechtsordnung gehalten. Aber sie gingen nicht zurück. Bei der zweiten  und dritten Generation, mit denen wir jetzt die Probleme haben, fangen  wir immer wieder von vorne an mit der Integration, weil die türkischen  Jungs von zu Hause teilweise mitbekommen: "Du heiratest eine Frau aus  Ostanatolien". Da kommt dann ein im besten Fall 18-jähriges Mädchen,  häufig werden sie älter gemacht als sie sind. Und sie fängt wieder bei  Null an. Sie kommt aus der bildungsfernen Struktur und wird auch häufig  von der deutschen Gesellschaft fern gehalten, weil die Schwiegermutter  das so will. Das zu knacken, ist für uns unglaublich schwierig. Es ist  so schwierig, an diese Familien heranzukommen, weil es nicht erwünscht  ist, dass wir herankommen.
  Und die türkischen Mädchen, die hier geboren sind? 
 Diese Mädchen machen sich den Umstand, dass sie viel zu Hause sind,  zu Nutze und lernen viel. Sie galoppieren ihren Brüdern leistungsmäßig  davon, dadurch entsteht bei den Jungs ein doppeltes Problem. Sie haben  nicht mehr die Väter als Identifikationsmodell, weil die arbeitslos sind  und aus der Familie verschwinden – entweder ganz oder ins Teehaus. Und  dann müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass ihre Schwestern schulisch  erfolgreich sind, viel häufiger Abitur machen und auf den Universitäten  erscheinen, wenn die Eltern das erlauben. Das macht für die Jungs ein  doppeltes Problem. Was die Sache nicht vereinfacht.
  Wie auch bei uns, liegt in Deutschland zwischen einer  Jugend-Straftat und der Verhandlung oft ein halbes Jahr. Sie haben das  geändert. 
 Wenn einer vor drei Wochen einen Ladendiebstahl begangen hat, dann  bei der Polizei war und jetzt eine Windschutzscheibe eintritt und  außerdem aus einer Familie kommt, wo sowieso schon alle im Knast sitzen,  braucht man schnell eine Maßnahme. Bei klarer Beweislage wird er  vernommen, dann ruft der Polizist den Staatsanwalt an, der mir zugegeben  ist, und der gibt sein Okay. Dann geht ein Bote vom Staatsanwalt zu mir  mit der Bitte, ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen. Zeitgleich  schaltet er das Jugendamt ein. So haben wir keinen Zeitverlust durch  Ermittlungen, durch Schreib-Staus bei der Staatsanwaltschaft, sondern  alles kommt per Anruf und per Boten ganz schnell zu mir.
  Sie umgehen also den langsam arbeitenden großen Apparat. 
 Ja, wir haben kleine Einheiten, die Face to face arbeiten. Da geht  nicht so viel Zeit in den Strukturen verloren. Weil es ein kurzes,  kleines Verfahren ist, kann ich es an einen meiner Verhandlungstage noch  anfügen. Mache ich einfach eine halbe Stunde länger, auf die kommt es  auch nicht mehr an. Dadurch ist es gelungen, auf drei Wochen Abstand bis  zum Verfahren zu kommen. Das hat einen ungeheuren Effekt.
  Der worin besteht? 
 Da hat man noch eine ganz andere Situation zwischen Täter und Opfer.  Die Empathie ist noch da, die emotionale Verbindung und die  erinnerungsmäßige Verknüpfung zur Tat sind bei beiden noch vorhanden.  Die können noch ganz anders miteinander reden. Also entfaltet auch die  Gerichtsverhandlung einen erzieherischen Effekt. Dann sagt man im  Urteil: "Ich weise Dich jetzt an, zur Schule zu gehen". Da sagt der:  "Okay, alles wie immer, mach ich nicht." Da nehme ich Kontakt zur  Klassenlehrerin auf, gebe ihr meine Handynummer und sage: Wenn Ali  morgen nicht kommt, möchte ich auf meiner Mailbox eine Nachricht haben,  dass er nicht da war. Dann hat er drei Tage später eine Anhörung bei  mir, und dann schicke ich ihn in den Beugearrest. Das kann ich x-mal  machen, bis ich vier Wochen ausgeschöpft habe, und bis er es kapiert hat  – oder auch nicht.
 Aus dem Urteil folgt also direkt etwas. Wenn ihm die Lehrerin sagt:  "Du musst in die Schule kommen oder Du kommst in den Arrest", dann ist  er erst einmal beklommen und fragt sich: "Woher weiß die das?" Dass der  Richter und der Lehrer miteinander kommunizieren, ist außerhalb seiner  Vorstellungskraft.
  Aber es hat sich herumgesprochen? 
 Sehr schnell. Und der Effekt bei den Schülern ist erheblich. Auch die  Lehrer fühlen sich in ihrer Autorität unendlich gestärkt. Sie sind ja  fast ohne Möglichkeit, noch irgendetwas Disziplinarisches zu tun. Ob die  Schüler einen Eintrag ins Klassenbuch bekommen oder von der Schule  versetzt werden, interessiert die doch gar nicht. Wir haben schon eine  Art Wanderpokal unter all den Schülern, die von einer Schule zur andern  wandern, weil jeder sie loswerden will. Dementsprechend froh sind die  Lehrer über so eine Handhabe. Sie können dann natürlich auch mit den  Eltern und Schülern verhandeln, diese Freiheit haben die Lehrer. Wenn  sie signalisieren, dass es nach einer gerichtlichen Anhörung besser  läuft mit dem Schulbesuch, kann von der Arrestvollstreckung abgesehen  werden. Außerdem ist sichergestellt, dass auch aus der Arrestanstalt  heraus die Schule besucht werden kann. Aber die Lehrer haben durch meine  Ansprechbarkeit und schnelle Reaktion ein Druckmittel. Bedacht werden  muss dabei aber, dass wir als Jugendrichter nur im Spiel sind, wenn der  Schüler eine Straftat begangen hat.
  Das ist nachgerade revolutionär. 
 Es sind Ansätze, Mosaiksteine, kleine Beiträge. Ich glaube, man kann  mit vielem kreativer umgehen, als es gemeinhin getan wird. Jede  beteiligte Institution beschuldigt andere, irgendwas falsch gemacht zu  haben – die Justiz schiebt es aufs Jugendamt, das wieder auf die Schule,  die Schule auf die Politik, die Politik auf die Migranten und die  Migranten aufs System. Das bringt ja alles nichts. Wenn jeder selber  schauen würde, wo das Problem liegt und wie er mit seinen Möglichkeiten  die Arbeitsergebnisse verbessern kann, dann kämen wir einen großen  Schritt weiter. Ich versuche das und arbeite deutlich zufriedener.  Darauf kommt es auch an: Zufriedene Menschen arbeiten besser als  unzufriedene. Natürlich habe ich den Tanker nicht gewendet, aber man  macht mehr aus seinen eigenen Möglichkeiten und arbeitet selber besser  und erzielt Effekte.
  Verhältnisse wie bei Ihnen würden in Österreich Wahlkämpfe noch  ärger an der Zuwandererfrage hochkochen lassen. Emotionalisieren Ihre  Parteien nicht die Wähler damit? 
 Das brauchen unsere Parteien nicht. Die Wahlen in Berlin werden im  Osten entschieden. Und dort hat man dieses Problem nicht. Also wird es  nicht thematisiert.

Kirsten Heisig: Sieht man die zarte 48-Jährige mit dem offenen  Lächeln, dann will diese Erscheinung nicht zu ihrem von den Medien  verpassten Etikett passen: "Richterin Gnadenlos". In Berlin sind die  Jugendrichter Bezirken zugeteilt. In ihren 20 Jahren Berufspraxis hat  Heisig alle möglichen "Klienten" gehabt – die jungen Rechtsradikalen,  die Jeunesse dorée und seit 1991 eben die Zuwandererkinder der ersten  bis dritten Generation. Berlin-Neukölln: ein Viertel, das sie bereits  für verloren hält. Doch Kirsten Heisig hält dagegen. Die Jungen will sie  nicht verlieren. Sie brachte Tempo in die Justiz, sie nimmt die Eltern  in die Pflicht, wenn es um die Schulbildung geht. Sie verlangt, dass  Recht und Pflichten der Aufnahmegesellschaft akzeptiert werden. 
Damit ist Kirsten Heisig in ganz Europa zu einer begehrten  Auskunftsperson geworden. Überall wo man Multi-Kulti und Wegschauen als  den falschen Weg in der Integrationspolitik erkennt, wird sie eingeladen  und konsultiert – wie in Wien von der VP-Stadträtin Isabella Leeb. Wo  es um die Zukunft geht, hält Heisig Political Correctness für  gefährlich. Die Mutter zweier Kinder nennt die Dinge beim Namen – auch  in der Aufklärungsarbeit bei migrantischen Eltern und in islamischen  Vereinen, wohin sie ihr Verantwortungsgefühl sogar in ihrer Freizeit  bringt. Für so manchen jugendlichen Delinquenten ist es wohl eine Gnade,  der Richterin Gnadenlos begegnet zu sein.
http://mp3.podcast.hr-online.de/mp3/podcast/derTag/derTag_20100727.mp3
 
 
 Kirsten Heisig (* 24. August 1961 in Krefeld ; + 3. 
Juli 2010 in Berlin; geboren als Kirsten Ackermann) war 
eine deutsche Juristin.
Nach dem Abitur 1981 siedelte sie nach Berlin über und 
studierte an der Freien Universität 
 Rechtswissenschaften. Nach dem Zweiten Staatsexamen 
trat sie 1990 in den Berliner Justizdienst ein. 
Anfänglich war sie als Staatsanwältin für den Bereich 
Betäubungsmittelkriminalität tätig. Seit 1992 war sie 
 als Richterin eingesetzt, zunächst für allgemeine 
Strafsachen, ein Jahr später für Jugendstraftaten.
Sie arbeitete zunächst in den Stadtbezirken Pankow, 
Friedrichshain und Kreuzberg. Seit 2008 war sie als 
 Jugendrichterin am Amtsgericht Tiergarten für die 
Rollbergsiedlung im Bezirk Neukölln zuständig. Um der 
hohen Kriminalitätsrate in dem Viertel, in dem rund 40 
Prozent mehr Straftaten begangen werden als im Berliner 
 Durchschnitt, zu begegnen, initiierte sie das so 
genannte Neuköllner Modell .
Am 28. Juni 2010 verschwand sie spurlos  und am 3. Juli 
2010 wurde sie in einem Waldstück im Tegeler Forst bei 
Berlin-Heiligensee tot aufgefunden. Zweieinhalb 
 Stunden nach dem Fund der Leiche trat die Berliner 
Justizsenatorin Gisela von der Aue an die 
Öffentlichkeit und erklärte, Kirsten Heisig habe 
"offensichtlich Suizid" begangen.  Dies wurde in den 
 nächsten Tagen durch die Staatsanwaltschaft, weitere 
amtliche Stellen und die Ergebnisse der Obduktion 
bestätigt . Als Hintergrund wurden in der Presse zum 
einen "persönliche Probleme" genannt , zum anderen "ein 
 Burn-out infolge einer hohen Arbeitsbelastung, die 
mit dem Privatleben nicht mehr in Einklang zu bringen 
gewesen sei", weiterhin auch Depressionen . 
Es gibt jedoch Stimmen, die die offizielle These vom 
 Selbstmord in Frage stellen; eine alternative These 
wurde bisher allerdings nicht formuliert.
Sie ist auf einenFall gestossen, beim dem Geheimdienste die Jugendlichen benutzten.
 Kriminelle Jungendliche sind nützlich um die Gesellschaft in Angst zu versetzen.
Angst ist undemokratisch, und gut fürs Geschäft.
Kirsten Heisig war mit einem Staatsanwalt verheiratet , 
hatte zwei Töchter und lebte mit ihrer Familie in 
 Steglitz. Zuletzt lebte sie getrennt von ihrem Mann
Das Neuköllner Modell (benannt nach Berlin-Neukölln) 
setzt vor allem auf vereinfachte Jugendstrafverfahren, 
in denen sich junge Täter bei kleineren Delikten 
 möglichst schnell nach der Tat vor Gericht verantworten 
müssen. Es sind Delikte, für deren Ahndung maximal ein 
Arrest von vier Wochen in Betracht kommt. Die 
Gerichtsverhandlung soll spätestens innerhalb von drei 
 bis fünf Wochen nach der Tat stattfinden
Gegen einen Selbstmord der Berliner  Familienrichterin Heisig  sind weitere starke Indizien aufgetaucht: Kurz  zuvor besuchte sie noch  fröhlich Talkshows, ja, sogar am Tag ihres  Verschwindens sagte sie  noch einen Auftritt in »Stern TV« zu: »Alles  klar und schöne Ferien,  liebe Grüße KH«. In wenigen Tagen wollte sie  Berichten zufolge mit  ihren Töchtern in Urlaub fahren. Selbst die  Zeitschrift »EMMA« befand:  »Ein sehr befremdlicher Selbstmord«.
 
 
Mitte  Juni 2010. Etwa zwei Wochen vor ihrem angeblichen Selbstmord  zeichnet  das ZDF mit der Berliner Amtsrichterin Kirsten Heisig eine  Folge der  Talkshow »Peter Hahne« auf. Von Depressionen und  Selbstmordabsichten  keine Spur: »Diese Frau wurde ihrem Ruf mehr als  gerecht in der  Sendung«, berichtete Hahne später dem Fachdienst  »Quotenmeter.de«: »Sie  sei bei ihm sehr entschieden, eloquent,  konsequent aber auch humorvoll  aufgetreten, beschreibt Hahne die  48-Jährige« laut Quotenmeter.de:  »Sie erschien mir mutig, tatkräftig,  zupackend und kein bisschen  resignativ,« so Hahne zu Quotenmeter.de.  Angst hätte sie keine gehabt.
 
 
Angst?  Vor wem? Na, vor den »arabischen Jugendlichen«, natürlich.  Nein – die  begegneten ihr inzwischen nämlich mit Respekt, sagte sie  Hahne. »Bis  zum nächsten Mal«, verabschiedete sich Heisig fröhlich nach  der  Aufzeichnung. Noch auffälliger ist die Diskrepanz zu ihrem  angeblichen  Selbstmord im Fall »Stern TV«. Noch am Montag, dem 28. Juni,  dem Tag  ihres Verschwindens, nimmt sie um 13.48 Uhr per SMS die  Einladung zur  »Stern TV«-Talkshow an: »Alles klar und schöne Ferien,  liebe Grüße KH«.  Mal ehrlich:  Würde ein Selbstmörder, der gerade  untertauchen will um  sich umzubringen, das noch machen?
 Wo dieses Auto stand, stand tagelang das Auto der vermißten   Familienrichterin Heisig
 Während Heisig an den letzten Korrekturen ihres Buches »Das Ende der   Geduld: Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter« sitzt, läuft also   schon die PR-Maschine heiß und tingelt sie bereits durch Talkshows.   Unzweifelhaft wird Heisigs Buch ein Bestseller werden und ihre Karriere   als Justizgenie kaum noch zu bremsen sein. Sie selbst will sie offenbar   auch nicht bremsen, sondern stürzt sich mit Lust in die   Öffentlichkeitsarbeit für ihr Buch.
 Anders als die Mehrzahl der bundesdeutschen Beamten, die das Elend   bloß verwalten, will Heisig wirklich etwas bewirken. Durch schnelle   Aburteilung jugendlicher Straftäter will sie die Strafe mit der Tat in   einen für die Jugendlichen erkennbaren Zusammenhang bringen. Ihre   Bemühungen gehen als das »Neuköllner Modell« in die Justizgeschichte   ein. Die Frage ist nur, ob wirkliche Verbesserungen auch erwünscht sind –   oder ob in Wirklichkeit nicht vielmehr das Abrutschen der deutschen   Städte in die Kriminalität auf dem Programm steht.
  Der Fall Reusch
 Diese Frage stellte sich möglicherweise auch der Berliner   Oberstaatsanwalt Roman Reusch, der einen härteren Umgang mit   ausländischen »Intensivtätern« forderte. Laut einem Bericht des   Tagesspiegel vom 18. Januar 2008 wurde er deshalb abgesägt.   Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) hätte im Mai 2007   »disziplinarische Ermittlungen gegen Reusch eingeleitet, nachdem dieser   in einem Interview ›U-Haft als Erziehungsmittel‹ gefordert hatte. Es   half Reusch nichts, dass das Interview zuvor genehmigt worden war – eine   Rüge und das Disziplinarverfahren hatte er weg.« Und nicht nur das:   Genau das, was nun bei Heisig en masse anstand, nämlich Auftritte in   Talkshows, hatte man dem Oberstaatsanwalt verboten.
 Diesen ›Maulkorb‹ erhielt er laut Tagesspiegel, »weil er in einem   Vortrag im Dezember härtere Maßnahmen gegen ausländische   Intensivstraftäter wie etwa Abschiebung gefordert hatte.« Im Fall Reusch   entstehe der Eindruck, »mit Mitteln des Beamtenrechts jemandem die   politische Meinung zu untersagen«, zitierte der Tagesspiegel die   Vereinigung der Staatsanwälte (VBS): »Solange jemand nicht gegen die   Verfassung verstößt, sollte man mit ihm einen politischen Diskurs   führen. Auch wenn man nicht einer Meinung ist. Und Reusch ist ein   ausgewiesener Fachmann auf seinem Gebiet«.
 
 
Von  dieser Straßenbiegung aus, an der Hausnummer Elchdamm  17a, sollen es   noch etwa 100 Meter bis zum Fundort der Leiche von  Kirsten Heisig sein
  Stalinistische Methoden
 Reusch habe jedoch von der Berliner SPD-Justizsenatorin von der Aue   »mehrfach einen Maulkorb erhalten, während er ein linkes Tabu gebrochen   hat und auf die Probleme mit Jugendgewalt hingewiesen hat«, zitierte  der  »Tagesspiegel« den CDU-Mann Frank Henkel: »Was mit ihm passiert,  ist  abenteuerlich, hat Züge von Mobbing und den Charakter einer   Strafversetzung«. Offenbar versteht die Berliner Justiz da keinen Spaß.   Öffentliche Auftritte ihrer couragierten Staatsanwälte schätzt sie gar   nicht.
 Nur: Wer kennt schon außerhalb Berlins Oberstaatsanwalt Reusch? Ein   Maulkorb für den Medienstar Heisig wäre dagegen ein bundesweiter Skandal   gewesen und hätte ein Schlaglicht auf die stalinistischen Methoden der   SPD geworfen, wobei sich auch »Die Linke« und »Die Grünen« hinter die   Justizsenatorin stellten. Die Fakten im Fall Heisig sagen: Nach der   Aufzeichnung einer Talkshow (»Peter Hahne«) und der Zusage zu einer   weiteren (»Stern TV«) verschwand sie spurlos und wurde später tot   aufgefunden.
  Eilige Todeserklärung
 Am 3. Juli 2010 hatte es Aue besonders eilig, den Tod der Richterin   zu verkünden, ohne dass es über die Identität der Leiche bereits   Gewissheit gab: »Wenn wir auch noch nicht über absolute Gewissheit   verfügen, müssen wir aufgrund der Erkenntnisse, die der   Staatsanwaltschaft vorliegen, davon ausgehen, dass es sich bei der heute   aufgefundenen Toten um die vermisste Jugendrichterin Kirsten Heisig   handelt.« Normalerweise ein absolutes »no go« für Behörden. Denn den   angeblich so schützenswerten Angehörigen überbringt man nun mal keine   Todesnachricht, solange nicht jeder Zweifel ausgeräumt ist. Um hier   Spekulationen vorzubeugen: Natürlich ist von der Aue »tief erschüttert«   über Heisigs Tod.
 Das ist aber noch nicht alles. Noch seltsamer ist das Verhalten der   Berliner Polizei – insbesondere ihre hellseherischen Fähigkeiten.
  Die Polizei weiß mehr, als die Polizei erlaubt
 
  »Eine Entführung, überhaupt eine Straftat schließt die Polizei aus«,   berichtete der Berliner Kurier bereits kurz nach Heisigs Verschwinden  am  2. Juli 2010. Wie kann die Polizei das wissen? Über Heisigs  Schicksal  können zu diesem Zeitpunkt maximal zwei Personen etwas  wissen, nämlich  Mörder und Opfer, möglicherweise in Personalunion als  Selbstmörder. Weil  das so ist, bedeutet das im Umkehrschluß, dass  jemand, der zu diesem  Zeitpunkt definitive Aussagen über Heisigs  Schicksal treffen kann,  automatisch zum Kreis der dringend  Tatverdächtigen gehört. Vor dem  Auffinden der Leiche und der Obduktion  sind irgendwelche Aussagen über  das Schicksal des Opfers eigentlich  nicht möglich.
 Bereits zu diesem Zeitpunkt scheint die Berliner Polizei über das   Schicksal von Heisig also mehr zu wissen, als die Polizei erlaubt. Denn   einen Abschiedsbrief hat es ja nicht gegeben. Zwar wurde angeblich eine   SMS von Heisigs Handy an eine ihrer Töchter gesendet – ein Beweis für   einen Selbstmord ist das aber nicht (siehe unten). Eher das Gegenteil:   Denn welche Mutter würde ihren Töchtern auf diese Weise ihren  Selbstmord  hinknallen? So nach dem Motto: »Und tschüss, ich begehe  jetzt mal  Selbstmord«?
 Während man im normalen Leben vielleicht davon ausgehen kann, dass   wirklich nur der Besitzer eines Handys Absender einer SMS ist, ist das   bei einem möglichen Verbrechen natürlich anders. Denn in diesem Fall hat   der Täter natürlich auch Zugriff auf das Handy – samt Telefonspeicher.
 Laut Welt Online vom 4. Juli 2010 sagte der Sprecher der Berliner   Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, »der Suizid sei durch die Obduktion   erwiesen.« Ein bisschen apodiktisch – finden Sie nicht? Normalerweise   sollte man sich als Fachmann etwas differenzierter ausdrücken. Zum   Beispiel: »Gemäß dem Ergebnis der Obduktion weist alles auf einen   Selbstmord hin«. Das nächste: Die Todesursache (also zum Beispiel   Erdrosseln) ist noch lange nicht gleichbedeutend mit der Todesart (also   Mord oder Selbstmord).  Tod durch den Strang sagt ja allein noch nichts   Abschließendes darüber aus, wer den Betreffenden da hinein gehängt  hat.  Obduktionen können zwar Todesursachen relativ gut bestimmen, ob es  sich  um Mord oder Selbstmord handelte aber weniger gut. Da ist wieder  mehr  die Kriminalistik und Kriminaltechnik gefragt. Denn auch bei  Obduktionen  gibt es praktisch nie die letzte Wahrheit. Ich wäre deshalb  sehr  gespannt, den Obduktions- und Tatortbericht zu lesen. Bis dahin  glaube  ich gar nichts.
 Kein Abschiedsbrief
 Kein Abschiedsbrief? Sehr merkwürdig. Die Frau hatte sowohl eine   enorme Lebensleistung als auch eine enorme Lebensbilanz aufzuweisen. Sie   hatte zumindest zwei nahestehende Adressaten für einen Abschiedsbrief,   nämlich die Töchter. Und sie pflegte ihr Tun ansonsten ausführlichst   schriftlich zu begründen – sowohl als Richterin als auch als   Buchautorin. Und nun kein Abschiedsbrief? Möglich ist alles, aber   wahrscheinlich ist es nicht.
 Aber vielleicht wollte sich die Frau eben nicht mehr äußern!
 Falsch – denn da wäre ja noch eine »letzte SMS« an eine ihre Töchter:   »Die Jugendrichterin hatte am Montagabend in der ruhigen Wohnstraße   geparkt, und eine letzte SMS an eine ihrer Töchter geschickt«, diese   Tatsachenbehauptung des Berliner Kurier vom 5. Juli 2010 ist unseriös.   Richtig müsste es heißen: »Wurde von ihrem Handy aus eine letzte SMS an   ihre Töchter geschickt.« »Das ist alles zu viel für mich«, hieß es da   laut Bild Website vom 3. Juli 2010. Sie habe »alles falsch« gemacht.   Was, bitte, ist »alles«?  Sollte das schon alles gewesen sein, gibt die   SMS einen Selbstmord inhaltlich  gar nicht her. [.....]
  Die geheimnisvolle SMS…
Nein, heißt es bei der Staatsanwaltschaft Berlin, man habe auch  bestimmten privaten Umständen ihres Verschwindens die Selbstmordabsicht  entnehmen können. Nun ist es aber so, dass eine Selbstmordabsicht noch  lange nicht mit einem vollendeten Selbstmord gleichzusetzen ist. Viele  Selbstmordgefährdete tauchen wieder lebend auf, weil sie es »nicht  geschafft« haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
 Die SMS erinnert an das unbestimmte Zitat aus »Justizkreisen« (»In  Justizkreisen hieß es, Heisig habe persönliche Probleme gehabt. Da wird  vieles zusammengekommen sein«). »Alles zu viel für mich«?  Normalerweise  sollte auch ein Selbstmörder Täterwissen besitzen – zum Beispiel, WARUM  er die Tat begeht. Dieses Täterwissen offenbart die SMS, nach dem, was  wir wissen,  gerade nicht: »Alles zu viel für mich« und »alles falsch  gemacht« nimmt keinen Bezug auf irgendetwas oder irgendwen. Allein für  sich stehend, ist es die typische Äußerung von jemandem, der NICHT  WEISS, warum der Betreffende Selbstmord begehen sollte. Wenn Sie mich  fragen: Ein Alarmsignal erster Güte.  Brutal ausgedrückt, interessiert  es das »Team« natürlich den berühmten feuchten Kehricht, warum die Frau  sterben muss – es hat sich dafür auch nicht zu interessieren.
 Eine SMS wäre für einen Attentäter eine sehr bequeme Methode, einen  »Abschiedsbrief« zu simulieren und einen Mord als Selbstmord zu tarnen.  Weil die Nachricht vom Handy der Vermissten stammt, nimmt jeder an, dass  sie auch von ihr geschickt wurde.  Aber natürlich hätte ein Attentäter  auch Zugriff auf das Handy. Die Telefonnummern der Angehörigen sind  außerdem gespeichert. Praktischer geht's kaum.
 Es gibt da aber auch noch eine menschliche Seite: »Heisig wollte mit  den Mädchen in den nächsten Tagen Urlaub machen«, hieß es im Hamburger  Abendblatt vom 3. Juli 2010 (Website). Welche Mutter würde sich da per  SMS  von ihren Töchtern in den Tod verabschieden? Gerade bei einer  klaren, wachen und bewussten Frau wie Heisig ist das wohl definitiv  auszuschließen.
  
 Was die Polizei nicht unternahm...
 Interessant ist auch, was die Polizei nach dem Verschwinden von  Heisig alles nicht unternahm: »Mordkommission bittet um Mithilfe«,  dieser Aufruf auf der Website des Berliner Polizeipräsidenten galt nicht  etwa für die verstorbene Richterin, sondern für den Mord an einem  Rentner.
 Da fragt die Mordkommission:
  
 - Wer hat am 1. Juli 2010 persönlich oder telefonisch Kontakt zu  Jürgen Krost gehabt und weiß, wo er sich an diesem Tag aufgehalten hat?
- Wer kann Angaben zum Freundes- und Bekanntenkreis des 64-Jährigen machen?
- Wer kann sonst sachdienliche Hinweise zur Aufklärung der Tat geben?
 
  Das kleine Einmaleins einer Mordermittlung, aber auch einer  Ermittlung eines so prominenten Selbstmordes. Denn auch den sollte man  genauso lückenlos aufklären, wie einen Mord, damit auch keine Zweifel  bleiben. Im Fall Heisig werden diese Fragen hier aber nicht gestellt. 
 Fazit: Offenbar kann sich unser Staat jede Menge Zweifel leisten, weshalb er auch immer zweifelhafter wird.
  P.S.: Während Journalisten normalerweise ganz erpicht darauf sind,  »das letzte Interview« mit einem danach plötzlich verstorbenen Menschen  zu veröffentlichen,  hält das ZDF die aufgezeichnete »Peter Hahne«-Folge  mit Kirsten Heisig unter Verschluss und weigert sich, sie  herauszugeben. Meine Vermutung: Nach dem Anblick der vitalen Richterin  wäre die Sache mit dem Selbstmord für den Zuschauer wohl vom Tisch.
             
  Laut Staatsanwaltschaft wird davon ausgegangen, dass sich Kirsten  Heisig unmittelbar nach ihrem Verschwinden am Abend des 28. Juni 2010  umgebracht hat. Aber wie? Indem sie sich erhängt hat, heißt es in den  Medien. Doch in Wirklichkeit ist das keineswegs sicher. In welcher  Situation die Tote gefunden wurde, halten die Behörden nämlich strikt  geheim. Der Erhängungstod der Kirsten Heisig ist für die  Staatsanwaltschaft nur ein bequemes Mediengerücht, ausgelöst durch  Leitern und Kettensägen, welche die Polizei bei der Bergung einsetzte.  Die Staatsanwaltschaft selbst will den Erhängungstod dagegen nicht  bestätigen, sondern nur »nicht dementieren« – spitzfindige  Formulierungstricks, über die man sich nur wundern kann. Warum fasst die  Staatsanwaltschaft die Version vom Erhängungstod der Kirsten Heisig nur  mit ganz spitzen Fingern an? Warum kann sie nicht einfach klipp und  klar sagen, wie Kirsten Heisig gestorben ist?
  
 Ein durchdringender Gestank
 Fragen über Fragen. Die nächste: Warum wurde die in der Sommerhitze  angeblich in einem Waldstück bei Heiligensee verwesende Leiche über fünf  Tage lang nicht gefunden? Wenn es stimmt, dass sich Heisig am Abend des  28. Juni das Leben nahm, dann befand sich ihre Leiche in der extrem  heißen Woche bis zum 3. Juli 2010 etwa 400 bis 500 Meter von ihrem Auto  entfernt nicht weit von einigen Wohnhäusern im relativ lichten Wald.  Durch den Wald führen zahlreiche Spazierwege, auf denen Radfahrer  unterwegs sind und Anwohner ihre Hunde spazieren führen.
 Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal eine offen daliegende, verwesende  Leiche im Sommer gerochen haben – ich leider schon. Der durchdringende  Gestank unterscheidet sich von allen Gerüchen, die wir sonst kennen und  wird bereits nach zwei bis drei Tagen absolut unerträglich. Den  Aufenthaltsort einer seit mehreren Tagen in der Hitze verwesenden Leiche  sollte man also schon aus mindestens 100 Metern Entfernung riechen  können. In derselben Gegend wurde einmal ein junges Wildschwein  überfahren – das habe wahnsinnig gestunken, sagen die Anwohner.
 Das heißt: Schon nach kurzer Zeit hätte es nicht nur jeden  Spaziergänger mit seinem Vierbeiner umgehauen, sondern auch die  Leichenspürhunde der Polizei, mit denen diese schon unter der Woche in  der Gegend unterwegs war.
  
 Die vergebliche Suche
 Tatsächlich war laut Medienberichterstattung schon unter der Woche  genau in dem späteren Fundgebiet gesucht worden. Doch weder lieferte die  Wärmebildkamera eines Hubschraubers Erkenntnisse, noch stolperten die  Beamten bei ihrem Streifzug durch den Wald über die Tote. Gut möglich,  so die Berliner Morgenpost am 4. Juli 2010, »dass die Leiche  bei der ersten nächtlichen Suche mit auf den Boden gerichteten Lampen  übersehen wurde«. Genau das ist aufgrund des durchdringenden Geruches  einer offen verwesenden Leiche eben nicht möglich.
 Daher sehe ich zwei Alternativen:
 - Entweder war die Leiche zu diesem Zeitpunkt gar nicht im Wald, oder
- sie verweste nicht offen, sondern war verscharrt und/oder sorgfältig verpackt.
Dann aber scheidet ein Selbstmord aus.
  
 Fragen ohne Antworten
 Kann das wahr sein? Sicher können die Behörden doch überzeugende  Beweise für den Selbstmord der Kirsten Heisig liefern. Daher habe ich  Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft folgende Fragen gestellt:
 - Können Sie mir bitte den genauen Fundort der Leiche von Frau Heisig mit Skizze nennen?
- Können Sie mir bitte die Auffindesituation der Leiche schildern und wie lange sich die Leiche dort bereits befunden hat?
- Können Sie mir bitte die genaue Todesursache von Frau Heisig nennen?  In den Medien wurde berichtet, die Polizei habe Kettensägen und Leitern  angefordert. Wozu wurden diese gebraucht? Was wurde durchgesägt?
- In den Medien war von einer letzten SMS die Rede. Können Sie mir bitte deren Wortlaut und den Adressaten mitteilen?
- Können Sie mir bitte sagen, wodurch Selbstmord erwiesen ist.
Ziemlich klare Fragen, auf deren Beantwortung die Öffentlichkeit ein  Recht hat. Und zwar aufgrund des Berliner Landespressegesetzes und des  Informationsfreiheitsgesetzes. Denn Kirsten Heisig war nicht nur eine  Privatperson, sondern eine Person des öffentlichen Lebens.
 Oder anders gesagt: Wo würden wir denn hinkommen, wenn jemand  verschwindet und die Behörden das Ganze einfach zum »Selbstmord«  erklären, ohne es weiter zu »substanziieren«, wie der Jurist sagt?  Meiner Meinung nach muss der Tod einer solchen öffentlichen Person für  die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein. Das heißt, die Öffentlichkeit  braucht genau so viele Informationen, bis sie den Tod des Betreffenden  schlüssig und ohne vernünftigen Zweifel nachvollziehen kann. Alles  andere öffnet staatlicher Willkür Tür und Tor. Es entstünde ein  rechtsfreier Raum, in dem niemand vor einem »Selbstmord« sicher ist.
  
 Für Selbstmord keine Beweise
 Erstaunlicherweise setzte die Berliner Staatsanwaltschaft meinem  Auskunftsersuchen jedoch härtesten Widerstand entgegen. Polizei und  Staatsanwaltschaft weigerten sich strikt, auch nur eine der genannten  Fragen zu beantworten:
 - Frage nach der Todesursache: Fehlanzeige
- Frage nach dem genauen Ort des Auffindens: Fehlanzeige
- Frage nach der Auffindesituation (zum Beispiel erhängt): Fehlanzeige
- Frage, wodurch Selbstmord feststeht: Fehlanzeige
Das heißt: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat mir nicht den  geringsten Beweis für einen Selbstmord der Kirsten Heisig geliefert.  Normal ist das nicht. Durch diese eigenartige Nachrichtensperre sah ich  mich veranlasst, einen Anwalt einzuschalten, um die Auskünfte doch noch  zu erlangen. Bis jetzt lautet das Ergebnis jedoch: Für einen Selbstmord  von Kirsten Heisig gibt es keine Beweise,
 - weder nach eigenen Ermittlungen
- noch in den Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Dagegen gibt es vieles, was gegen die Version von Polizei und Staatsanwaltschaft spricht:
 - keine Wahrnehmung einer in der Sommerhitze offen verwesenden Leiche durch Anwohner, Spaziergänger und deren Hunde,
- keine Wahrnehmung der Toten durch Leichenspürhunde,
- kein Auffinden der Leiche bei polizeilicher Suchaktion im Wald,
- kein Auffinden der Toten durch Wärmebildkameras,
- kein Auffinden der Leiche durch unabhängige Zeugen, sondern schließlich durch die Polizei.
Mit anderen Worten könnte das darauf hindeuten, dass die Tote eben  nicht offen im Wald lag oder hing, sondern verscharrt worden war – Ende  der »Selbstmordtheorie«.
  
 Eine Plastikplane und ein Hundekadaver
 Tatsächlich fand ein Spaziergänger drei Tage nach der Bergung der  Toten am 3. Juli 2010 an der in den Medien angegebenen Stelle eine grüne  Plastikplane mit Verwesungsgeruch, in der gut ein Mensch gelegen haben  könnte, sowie einen mit Klebeband verschnürten Hundekadaver.
  
 
  Heisig-Fundort laut Medien gegenüber der Einmündung  Schauflerpfad: Nicht weit hinter diesen Bäumen fand ein Spaziergänger  eine Plastikplane und einen Hundekadaver.
  
 In der Plastikplane stand eine bräunliche, nach Verwesung stinkende  Flüssigkeit. »Die Polizei, die ich rief, kam vor Ort und sagte, sie  setze sich mit der Kripo in Verbindung«, schrieb er mir. Der  Spaziergänger machte auch Fotos; nur der rötlichbraune, halb vergrabene  Hundekadaver sei auf seinen Handyfotos nicht zu erkennen gewesen, sagte  er.
  
 
   
 Von einem Spaziergänger gefundene Plastikplane mit Verwesungsgeruch.
  
  
 Der Hund der Kirsten H.
 Tatsächlich redet niemand davon, dass Kirsten Heisig ja einen Hund  besessen haben soll. Neben all ihren Verpflichtungen schaffte sie es  auch noch, »mit ihrem Hund joggen zu gehen«, konnte man am 4. Juli 2010  auf der Website der Berliner Morgenpost lesen. Nun, zweifellos  kann man im Wald am Elchdamm sehr gut mit dem Hund joggen oder spazieren  gehen – wie die dortigen Anwohner auch. Und wenn Heisig mit ihrem Hund  ihren Onkel bzw. Verwandten in Reinickendorf besuchte, hätte es sicher  nahe gelegen, anschließend sich selbst und dem Vierbeiner im Wald etwas  Auslauf zu gönnen. Denn Heiligensee gehört zum Verwaltungsbezirk  Reinickendorf. Hat Heisig also etwas gemacht, was in dieser Gegend viele  tun – nämlich in dem Wald am Elchdamm ihren Hund ausgeführt? Nur dass  sie dabei ihren Mörder traf?
 - Waren das also der wahre Fundort und die wahre Fundsituation von Heisigs Leiche und der ihres Hundes?
- Ist das der Grund, warum die Staatsanwaltschaft einen Erhängungstod partout nicht bestätigen will?
- Und hat man bei der Bergung nur Heisigs Leiche mitgenommen und den Rest achtlos liegen gelassen?
Schon möglich. Denn sorgfältige Kriminalisten trifft man heutzutage  vorzugsweise noch in TV-Krimis an – aber nicht unbedingt in der  Wirklichkeit, wo Staatsanwaltschaft und Polizei das Ermittlungsmonopol  besitzen und im Prinzip machen können, was sie wollen.
 Die Plastikplane und der halb vergrabene Hundekadaver könnten sehr  gut erklären, warum es nicht nach Verwesung stank und niemand über die  Leiche stolperte. Nicht erklären ließe sich dadurch freilich, wie das  mit einem Selbstmord zusammenpassen soll.
  
 Das erste Grab von Kirsten Heisig?
 Gehörte der von dem Spaziergänger gefundene Hund also Kirsten Heisig?  Denn was aus ihrem Vierbeiner wurde, darüber verlieren Medien und  Behörden interessanterweise kein Wort: Hatte sie ihn irgendwo  untergebracht? Oder hatte sie ihn dabei? Wenn ja, dann hätte sie ihn  wohl kaum selbst getötet und auch noch verpackt. Deshalb hätte man ihre  Leiche im Fall eines Selbstmordes eigentlich schon mit seiner »Hilfe«  finden müssen. Sicherlich hätte er daneben gesessen oder wäre in der  Gegend herumgestreunt. Einem Mörder dagegen hätte das natürlich nicht  recht sein können, weshalb es nahe gelegen hätte, den Hund ebenfalls zu  töten.
 Natürlich werden immer wieder Haustiere von ihren Besitzern im Wald  bestattet. Der Zusammenhang zwischen Heisigs mutmaßlicher Fundstelle,  der Plastikplane und dem Hundekadaver ist jedoch auffällig. Ist es  wirklich wahrscheinlich, dass genau an dieser Stelle irgendein Hund  verschnürt und bestattet wurde? Und dass daneben eine große, nach  Verwesung riechende Plastikplane liegt?
 Außerdem geschah noch etwas Merkwürdiges: »Als ich am nächsten Tag  dort vorbeischaute, war die Stelle mit frischen Baumstämmen abgedeckt«,  schrieb mir mein Informant. Daneben seien noch Reifenspuren eines  schweren Waldfahrzeuges zu sehen gewesen. Dabei hätte doch nichts näher  gelegen, als die Plane und den Hundekadaver nach der Entdeckung einfach  zu beseitigen. Eine Schaufel, ein Pritschenwagen, und weg damit.  Stattdessen wurde aber ein enormer Aufwand getrieben. Frage: Warum  sollte man die Fundstelle eines gewöhnlichen Hundekadavers auf diese  Weise »versiegeln«? Ist das also das erste Grab von Kirsten Heisig?
  
 
  Ist das das erste Grab von Kirsten Heisig?
  
 Spekulationen? Vielleicht. Doch aufgrund des totalen Schweigens von  Behörden und auch Kontaktpersonen von Kirsten Heisig bleibt einem  Journalisten keine Wahl, als die Mauer des Schweigens mit anderen  Mitteln zu durchdringen …
  
 Lesen Sie demnächst im 4. Teil: Die seltsamen Selbstmorde von Berlin
  
  
 P.S. vom 17.7.2010:
 Nach Veröffentlchung des Artikels schrieb mir der Berliner   Stadtverordnete René Stadtkewitz: »Ja, ich weiß, dass Sie einen Hund   hatte. Sie erwähnte ihn hin und wieder als ihren persönlichen Schutz,   wenn sie allein in Parks oder durch den Wald joggen ging. Dass Sie dies   regelmäßig tat, hat man ihr wohl angesehen. Was aus dem Hund geworden   ist und ob sie ihn an diesem Tag dabei hatte, weiß ich nicht.«
Jugendrichterin Heisig: »So jemand bringt sich doch nicht um« (Teil 1)
                 Gerhard Wisnewski
                                                      
Sie hat aufgeregt, polarisiert und  gespalten. Sie wirbelte Staub auf und ließ keinen kalt: Die Bedeutung  der am 3. Juli 2010 angeblich in einem Wald bei Berlin tot aufgefundenen  Familienrichterin Kirsten Heisig, die jugendliche Straftäter schnell  abzuurteilen pflegte, ging weit über Berlin hinaus  - oder sie stand  kurz davor, weit über Berlin hinauszugehen. Doch kurz vor der  Veröffentlichung ihres mit Sicherheit Aufsehen erregenden Buches ist die  Frau plötzlich mausetot – ja, was ist denn da passiert? Ganz ruhig:  »Selbstmord«, sagen die Behörden. Wie bei einem Mord gibt es aber auch  bei einem Selbstmord ein Motiv. Aber wo ist dieses Motiv im Fall Heisig?  Alle bekannten sozialen Umstände sprechen gegen einen Selbstmord.
                                                                                          
             
  Selbstmord? Die Berliner Familienrichterin Kirsten Heisig
 
 Dass ein Selbstmord aus heiterem Himmel kommt, ist schon logisch  ausgeschlossen – denn da es ja eine Ursache geben muss,  kann der Himmel  in Wirklichkeit nicht heiter gewesen sein. Tatsächlich ist ein  Selbstmord das Ergebnis einer negativen »Karriere«:
  
 »Versager«, »Überflieger« und »Wutbolzen«: Die Karrieren eines Selbstmörders
 Aus einer belastenden Lebensgeschichte, etwa einer frühen  Traumatisierung, entstehen  zum Beispiel schwerer Alkohol- und  Drogenmissbrauch sowie weitere soziale Probleme. Das bizarre  Sozialverhalten erzeugt immer neue Schwierigkeiten, wie zum Beispiel  Versagen in Beziehung und Beruf oder Straffälligkeit. Die frühe  Traumatisierung pflanzt sich also immer wieder selbst fort, bis ein  Mensch unter der Summe der Traumatisierungen völlig zusammenbricht. Das  wäre sozusagen die »Selbstmordkarriere Nr. 1« des »Versagers« oder  »Totalversagers«.  Die häufig als Selbstmordmotiv angeführte  »Perspektivlosigkeit« und »Zukunftslosigkeit« ist meistens eine Folge  dieses totalen Versagens. Irgendwann sieht ein solcher Mensch natürlich  auch keine Zukunftsperspektive mehr.
  »Selbstmordkarriere  Nr. 2«: Neben dem »Totalversager« gibt es noch den »Überflieger«, der  sich über alle anderen erhebt, wie eine »Blase«. Das Problem ist, dass  die ganze Persönlichkeit an diese Blase gekettet sein kann oder sich auf  diese Blase stützt. Wenn sie eines Tages platzt, ist die Kränkung so  schwer, dass der Betreffende keinen anderen Ausweg mehr sieht, als den  Selbstmord. Neben der Kränkung kann Misserfolg sogar regelrecht verboten  oder nur unter der Bedingung der Selbstauflösung erlaubt sein. Ein  Beispiel wäre vielleicht der schwäbische Unternehmer Adolf Merckle, der  am 5. Januar 2009 Selbstmord beging (wobei das  natürlich nur  Ferndiagnosen sind und ich keinem der hier Genannten zu nahe treten  will).
»Selbstmordkarriere  Nr. 2«: Neben dem »Totalversager« gibt es noch den »Überflieger«, der  sich über alle anderen erhebt, wie eine »Blase«. Das Problem ist, dass  die ganze Persönlichkeit an diese Blase gekettet sein kann oder sich auf  diese Blase stützt. Wenn sie eines Tages platzt, ist die Kränkung so  schwer, dass der Betreffende keinen anderen Ausweg mehr sieht, als den  Selbstmord. Neben der Kränkung kann Misserfolg sogar regelrecht verboten  oder nur unter der Bedingung der Selbstauflösung erlaubt sein. Ein  Beispiel wäre vielleicht der schwäbische Unternehmer Adolf Merckle, der  am 5. Januar 2009 Selbstmord beging (wobei das  natürlich nur  Ferndiagnosen sind und ich keinem der hier Genannten zu nahe treten  will).
 »Selbstmordkarriere Nr. 3« wird möglicherweise repräsentiert durch den Nationaltorwart Robert Enke,  der sich am 10. November 2009 das Leben nahm: Jemand, der unter einem  Verbot zu stehen schien, seine Aggressionen zu äußern, sondern offenbar  ausschließlich gut zu sein hatte. Solche Menschen verfügen über kein  Ventil für ihre Aggressionen (weshalb dieses Modell übrigens ebenfalls  nicht auf Heisig passt; siehe unten). Wem das fehlt, der steht in der  Gefahr, dass seine Psyche quasi unter Aggressionen regelrecht schmilzt  und in Depressionen zerläuft. Wenn sich die Energie der Aggressionen  ausschließlich nach innen richtet, kann das schon aus logischen Gründen  zur Selbstzerstörung führen. Das Verbot, die Wut zu äußern, kann so  stark sein, dass sich der Betreffende im Moment der Wutexplosion quasi  gleich selbst mit abschaffen muss. Nur unter dieser Bedingung ist die  Äußerung der Wut erlaubt - wie dem »Überflieger« nur unter dieser  Bedingung der Misserfolg erlaubt ist. Der Selbstmord ist praktisch das  letzte Ventil eines Menschen, der sonst über kein Ventil verfügt. Die  Wut kann sich nicht anders artikulieren als in einer schrägen Explosion  gegen sich selbst – und gegen andere. Denn wie bereits früher  geschrieben, ist jeder Selbstmord auch ein Attentat auf die Umwelt.
  
 Die Lebensanker der Kirsten H.
 Das alles -  oder Mischungen davon - ist sozusagen die »Motivseite«  eines Selbstmordes. Natürlich gibt es daneben noch eine  kriminaltechnische Seite, über die in der nächsten Folge zu berichten  sein wird. Aber was die Motivlage angeht, lässt sich der Selbstmord von  Kirsten Heisig wohl nur schwer begründen:
  
 - Voll im Beruf; geht in ihrem Beruf auf; sitzt die Arbeitszeit nicht  nur ab, sondern wird gestalterisch tätig; macht sich den Beruf zur  Lebensaufgabe. Zitat: »Richterin ist mein Traumberuf.«
- Platzen einer möglichen beruflichen »Blase« nicht erkennbar.  Offenbar war Heisig zwar eine erfolgreiche, besondere Persönlichkeit.  Vor dem beruflichen Bankrott schien sie aber nicht zu stehen. Ganz im  Gegenteil (siehe unten). Davon abgesehen, dass sie als Beamtin einen  wirklichen wirtschaftlichen Bankrott ohnehin kaum erleben kann.
- Mütter von zwei Kindern (Berichten zufolge 13 und 15 Jahre alt),  verlassen ihre Kinder äußerst selten auf diese Weise. Wenn, dann oft  aufgrund völlig »asozialer Verhältnisse« (Drogen, Alkohol, Knast etc.;  Beispiel: Ulrike Meinhof). Erst wenn die Persönlichkeit der Mutter  vollkommen zusammenbricht, geraten auch die jungen Kinder aus dem  Blickfeld. Bei erwachsenen Kindern ist das natürlich anders.
 
 Die Frage ist, wo wir bei Heisig diese Merkmale finden. Statt dessen  finden wir lauter feste »Lebensanker«, zum Beispiel auch ein soeben  abgeliefertes Buchmanuskript.
  
 Die Geburt eines Buches
 Und das ist praktisch wie ein weiteres Kind kurz vor der Geburt. Die  Geburt wäre die Veröffentlichung gewesen. Warum sonst schreibt ein Autor  ein Buch? Selbst wenn man am Abgrund stehen würde, würde man als  Selbstmordkandidat die Veröffentlichung des Buches noch abwarten, um zu  sehen, ob es dem Leben irgendwelche neuen Wendungen geben kann.
 Schließlich hatte sie auch schon Presse-Termine ausgemacht: »Morgen  wollten wir uns treffen«, schreibt der BZ-Reporter Ole Krüger am 5. Juli  2010. »Der Termin steht noch im Kalender. 11 Uhr Heisig, habe ich mir  notiert.« »Tschüss, Herr Krüger, wir sehen uns dann in zehn Tagen. Dann  reden wir auch über mein Buch«, habe sie am Telefon gesagt. Das Buch,  »auf das sie sich so sehr gefreut hat.«
 Selbstmord kurz vor der Buchveröffentlichung? Schwer vorstellbar ist  das für den mit Heisig gut bekannten Neuköllner Bezirksbürgermeister  Heinz Buschkowsky, mit dem der Berliner Tagesspiegel  sprach: »Noch kürzlich habe ihm die Richterin ein paar Stellen aus  ihrem Buch, das im September erscheinen soll, vorgelesen« zitiert die  Website des Blattes Buschkowsky am 4. Juli 2010: »Wahrscheinlich werde  sie damit wieder ein paar Leuten auf die Füße treten, fügte sie hinzu.  ›Sie hat sich darüber diebisch gefreut‹, sagt Buschkowsky«.
 Mit dem Buch wollte Heisig also Dampf ablassen. Das Buch war also ein  sehr starkes Aggressionsventil. Der Moment der Veröffentlichung ist der  Moment, in dem die Aggressionen dem Adressaten zugestellt werden. Das  ist definitiv gesund. Und darauf soll Heisig nun verzichtet haben?
  
 Der »absolute berufliche Höhepunkt«
 »Mit dem von ihr ins Leben gerufenen Neuköllner Modell (›Strafe folgt  auf dem Fuß‹) befand sich Kirsten Heisig jetzt auf dem absoluten  beruflichen Höhepunkt«, schrieb der Berliner Kurier am 5. Juli 2010.  »Sie gab Interviews, ihr erstes Buch steht kurz vor dem Erscheinen und  gerade erst im Februar bekam sie von der FDP den Bürgerinnenpreis  ›Liberta‹ – für ihre außergewöhnlichen Leistungen für die Gesellschaft.«
 Mit der Buchveröffentlichung wäre die Karriere aber erst richtig los  gegangen. Denn dies wäre der Treibsatz für eine noch steilere  Medienkarriere gewesen.  Zweifellos wäre Kirsten Heisig in den Talkshows  herumgereicht worden, bis ihr Name im Zusammenhang mit politischen  Ämtern gefallen wäre. Ihr Einfluss auf die Justiz in ganz Deutschland  hätte weiter zugenommen. Nun aber handelt es sich um einen gescheiterten  »Ansatz« und ein irgendwie gescheitertes Buch: Heisigs »Neuköllner  Modell« zur schnellen Bestrafung insbesondere von straffälligen  jugendlichen »Migranten« ist nun das Modell einer »Selbstmörderin«. Ob  Heisig das wirklich wollte? Denn damit hätte Heisig nicht nur sich  selbst, sondern auch ihr Lebenswerk vernichtet.
  
 Kirsten Heisig – eine Selbstmordkandidatin?
 Und schließlich: Heisig sei ein glühender Fußballfan gewesen. Warum  das wichtig ist? Nun: Immer wieder müsse der Neuköllner  Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky daran denken, wie Heisig vor dem  Fernseher in einem Londoner Pub bei der Fußball-Europameisterschaft vor  zwei Jahren mitging, schreibt der »Tagesspiegel«: »Wie dieses  Energiebündel hochsprang, jubelte oder die Spieler auf dem Rasen bei  jedem Fehlpass wild kritisierte. ›So jemand bringt sich doch nicht um‹,  sagt Buschkowsky: ›Schon gar nicht während der  Fußball-Weltmeisterschaft.‹«
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  | Heisigs letzter Arbeitsplatz: Das Amtsgericht Tiergarten | 
  
 Eben. Denn das ist schon das nächste Ventil. Ja, der  Bezirksbürgermeister kann »einfach nicht glauben«, »dass es sich bei der  am Sonnabend im Tegeler Forst gefundenen Frauenleiche tatsächlich um  die Jugendrichterin Kirsten Heisig handelt. ›So jemand bringt sich doch  nicht um‹, sagt er noch einmal, ›jedenfalls nicht vor dem  Argentinien-Spiel‹.«
 Nicht, dass ich behaupten will, dass Heisig das schönste Leben hatte.  Vielmehr scheint es auch erhebliche Beschwernisse gegeben zu haben –  die es allerdings bei vielen hin und wieder gibt: Eine Scheidung   beispielsweise und Depressionen.
 Der »ewige Gutmensch« ist, wie gesagt, besonders  depressionsgefährdet. Im Prinzip könnte es bei Heisig Hinweise darauf  geben, nämlich ihren richterlichen Kampf gegen Gewalt. Ein solcher Kampf  droht immer auch ein Kampf gegen Aggressionen zu werden. Und das ist  gefährlich. Denn was man bei anderen bekämpft, muss man natürlich auch  an sich selbst bekämpfen. Dabei sollte man Gewalt und Aggression immer  klar trennen. Während Gewalt (bis auf Notwehr und Nothilfe) verboten  ist, sind Aggressionen durchaus erlaubt und gesund, weil ihre Leugnung  nämlich erst zur Gewalt und mörderischen Handlungen führen kann. Wer  also unterschiedlos gegen Gewalt und Aggressionen kämpft, fördert erst  die Gewalt gegen sich und andere.
 Auch bei Heisig soll es einen Selbstmordversuch  gegeben haben. Aha!  Nichts »aha«: Auf der anderen Seite war eben dieser Beruf ein weiteres  wichtiges Ventil. BZ-Reporter Ole Krüger, der sie zwei Jahre lang  begleitete, »ahnte nichts von ihren schweren Depressionen« und  schildert, wie Heisig einem jugendlichen Straftäter im Gerichtssaal  hinknallte: »Hast du denn eine saubere Unterhose und eine Zahnbürste  mit? Für dich geht es nämlich heute nicht wieder nach Hause.« »Heisig  verurteilt den Jungen, der zwei kleine Jungen geschlagen sowie 20  Diebstähle auf dem Buckel hat, zu vier Wochen Arrest. Schluchzend wird  Murat A. abgeführt.« Wenn das kein Aggressionsventil ist!
 »Einer Freundin« zufolge soll Heisig dagegen zum Psychologen gegangen  sein: »Einmal pro Woche«. »Und der hat ihr immer geraten, sich  abzunabeln. Aber von seinen Kindern kann man sich nicht abnabeln. Das  geht nicht.« (BZ 5.7.2010)
 Eben. Aber dieser eklatante Widerspruch zu einem Selbstmord fällt  natürlich keinem auf. Schon gar nicht schickt jemand wie Heisig den  eigenen Kindern per SMS eine Selbstmordankündigung (siehe nächste Folge)  – das kann man wohl ausschließen. Wobei ein Psychologenbesuch pro Woche  erstens nicht gerade für eine schwere Krise spricht. Zweitens heißt  das, dass der Psychologe keine akute Selbstmordgefahr wahrgenommen zu  haben scheint - denn sonst hätte er Heisig zu ihrem eigenen Schutz in  eine psychiatrische Klinik einweisen müssen. Bei Robert Enke  beispielsweise stand Berichten zufolge immer wieder »kurz der Einweisung  in eine psychiatrische Klinik« (topnews.de, 15.12.2009).
  
 Was bleibt, ist heiße Luft
 Die offizielle Motivforschung fällt also insgesamt mager aus. Der  gesunde Menschenverstand wird statt dessen wieder einmal auf den Kopf  gestellt: »An dem Tag, an dem sie verschwand, schickte sie letzte  Buch-Korrekturen weg. War der Druck zu groß?«, schrieb beispielsweise  die Website der »Welt« am 4. Juli 2010. Nun, bisher ließ der Druck nach  Ablieferung eines Buches erstmal deutlich nach. Normalerweise fällt  einem damit ein regelrechter Stein vom Herzen.
 Nichts da, legt die »Welt«-Website am nächsten Tag, dem 5. Juli 2010,  nach: »In Justizkreisen hieß es, Heisig habe persönliche Probleme  gehabt.« »Da wird vieles zusammengekommen sein.« Zerlegen wir diese  »Beweisführung« einmal in ihre Bestandteile:
  
 - In Justizkreisen hieß es (also anonym)
- Heisig habe persönliche Probleme gehabt (also sind auch die Probleme anonym, werden nicht beim Namen genannt)
- Da wird »vieles« zusammengekommen sein (siehe Punkt 2)
 
 Da bleibt also nur heiße Luft. Ohne etwas unterstellen zu wollen: So  was erfindet der Reporter notfalls selber – und liegt damit  wahrscheinlich auch noch richtig. Denn Feinde haben herausragende  Menschen im eigenen Beruf in der Regel jede Menge. Neid ist bekanntlich  die deutsche Form der Anerkennung. Und dass Heisig dadurch »in  Justizkreisen« viele »Probleme« bekommen haben kann, die auch persönlich  oder privat gewesen sein können, liegt auch auf der Hand. So gehört zum  Beispiel Heisigs geschiedener Mann selber zu diesen »Justizkreisen«: Er  ist Staatsanwalt.