Stoppt den Überwachungsstaat! Jetzt klicken & handeln Willst du auch an der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos und Materialien:

22 August 2009

Kapp Putsch und ander Geschichtsdaten

19. Februar 1942:
US-Präsident Roosevelt unterschreibt die Exekutiv-Order 9066


Zehn Wochen nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor authorisiert Franklin D. Roosevelt damit die Entfernung von bestimmten oder allen Personen aus militärischen Bereichen "as deemed necessary or desirable". Das Militär definiert daraufhin die gesamte Westküste, die Heimat des Großteils der aus Japan stammenden US-Bevölkerung, als „militärisches Gebiet“, und beginnt mit Zwangsräumungen. Bis Juni werden im „Land der Freiheit“ über 110.000 japanischstämmige Amerikaner in über das Land verteilte Lager der US-Armee interniert. Für die nächsten zweieinhalb Jahre müssen diese Menschen unwürdige Lebensbedingungen und Repressalien ihrer Militärbewacher ertragen.
Am 17. Dezember 1944 endlich erklärt Major General Henry C. Pratt in der Public Proclamation No. 21 dass die „Evakuierten“ ab dem 2. Januar 1945 wieder in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Das letzte Internierungslager wurde jedoch erst im März 1946 geschlossen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden insgesamt zehn Amerikaner als japanische Spione überführt – niemand davon war japanischer Abstammung. Erst 1988 entschuldigte sich die US-Regierung unter Ronald Reagan bei den überlebenden Internierten, und stellte ihnen eine Entschädigungszahlung von jeweils 20.000 $ zur Verfügung.

Hier gibt es die Proklamation von Lt.Gen. DeWitt an die zu internierenden japanischstämmigen Amerikaner.


21. Februar 1848:
Das Kommunistische Manifest wird veröffentlicht


Das von Karl Marx und Friedrich Engels verfasste Werk wird in London vom „Bund der Kommunisten“, einer zunächst rein deutschen, später internationalen geheimen Arbeiterverbindung, unter dem deutschen Titel Manifest der kommunistischen Partei veröffentlicht. Das politische Pamphlet, unstrittig eines der einflussreichsten der Geschichte, bezeichnet die „Geschichte aller bisherigen Gesellschaft [als] die Geschichte von Klassenkämpfen“. Der bevorstehende Kampf zwischen Arbeitern und Kapital wird als die letzte Geburtswehe auf dem unabwendbaren Weg hin zur kommunistischen Gesellschaft, dem Ende aller Klassenkämpfe, gesehen. Gegliedert in vier Abschnitte (I: Bourgeois und Proletarier, II: Proletarier und Kommunisten, III: Sozialistische und kommunistische Literatur und IV: Stellung der Kommunisten zu den verschiedenen oppositionellen Parteien) legt das Manifest die Grundlagen der Kommunismus dar, und ruft am Ende auf: „PROLETARIER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH!“. Das 1850 auf englisch im Red Republican in London, und 1871 in Amerika erschienene Werk hatte zunächst kaum direkte Auswirkungen, entfaltete aber auf dem Weg ins 20te Jahrhundert ungeheure Kraft: 1917 entstand mit der Sowjetunion in Russland der erste Staat auf marxistischer Grundlage, und um 1950 lebte ca. die Hälfte der Weltbevölkerung unter sozialistischen Regierungen.
Karl Marx wurde 1818 in Trier in Preußen als Sohn eines jüdischen, später zum Protestantismus übergetretenen, Anwalts geboren. Er studierte Jura und Philosophie in Berlin und Jena, und war ein Schüler von Georg Friedrich Wilhelm Hegel, des deutschen Philosophen der die Dialektik (These – Antithese -> Synthese) entwickelte, und alles Irdische als Ausdrücke geistiger Prinzipien sah. 1842 wurde Marx Mitarbeiter der liberalen Rheinischen Zeitung in Köln. Die Zeitung wuchs unter seiner Führung kontinuierlich, und wurde 1843 von den preußischen Behörden wegen zu großer Offenheit geschlossen. Im gleichen Jahr reiste Marx nach Paris, um eine neue politische Zeitung herauszugeben.
Paris war zu dieser Zeit das Zentrum sozialistischer Ideen, und Marx übernahm die extremere Form des Sozialismus, bekannt als Kommunismus, der zu einer gewaltsamen Revolution der Arbeiterklasse aufrief, um den Kapitalismus zu stürzen. Marx freundete sich in Paris mit Friedrich Engels an, der ebenfalls aus Preußen emigriert war. 1845 wurde Marx aus Frankreich ausgewiesen und ging ebenso wie Engels nach Brüssel, wo er seine preußische Staatsbürgerschaft aufgab.
Während der nächsten zwei Jahre entwickelten Marx und Engels ihre Philosophie des Kommunismus und wurden die intellektuellen Führer der Arbeiterbewegung. 1847 wurden beide Mitglieder der „League of Just“, einer London ansässigen geheimen Gruppe von deutschen revolutionären Arbeitern. Marx und Engels benannten die Organisation in „Bund der Kommunisten“ um und planten die Vereinigung mit anderen deutschen Arbeiterkomitees in Europa. Auf einem im November abgehaltenen Kongress wurden sie mit der Abfassung eines „für die Öffentlichkeit bestimmten, ausführlichen theoretischen und praktischen Parteiprogramms“ (aus der Vorrede zur deutschen Ausgabe von 1872) beauftragt.
Marx schrieb das Manifest im Januar 1848 in Brüssel unter Zuhilfenahme eines bereits 1847 von Engels verfassten Traktats. Anfang Februar schickte Marx die Arbeit nach London, wo es der „Bund der Kommunisten“ als ihr Programm übernahm und am 21. Februar herausbrachte. Obwohl viele Ideen des Manifests nicht neu waren, gelang Marx eine kraftvolle Synthese seiner materialistischen Geschichtskonzeption und der kommunistischen Vision. Das Manifest beginnt mit den dramatischen Worten:
Zitat:
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten. [...] Der Kommunismus wird bereits von allen europäischen Mächten als eine Macht anerkannt. Es ist hohe Zeit, dass die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen.
Das Manifest sagte eine bevorstehende Revolution in Europa voraus. Das Manuskript war kaum aus der Druckerpresse, da brach tatsächlich eine Revolution aus – am 22. Februar in Frankreich. Auslöser waren Verbote von Versammlungen sozialistischer und anderer oppositioneller Gruppen. Zunächst vereinzelte Unruhen führten zu öffentlicher Revolte, und am 24. Februar wurde König Louis-Philippe zu Abdanken gezwungen. Die Revolution sprang wie ein Buschfeuer über Kontinentaleuropa. Marx war gerade auf Einladung der neuen Regierung in Paris, als ihn die belgische Regierung aus Furcht vor der Revolution verbannte. Marx ging später im Jahr ins Rheinland, und rief zum Aufstand auf. Die im März ausbrechende bürgerliche Revolution in Deutschland scheiterte letztlich jedoch an der Renitenz der reaktionären Mächte und der Uneinigkeit und –entschlossenheit der Revolutionäre.
Marx ging wieder nach London, schrieb weiter und organisierte mit Engels die internationale Arbeiterbewegung weiter. 1864 half Marx, die Erste Internationale zu gründen, und veröffentliche 1867 des ersten Teil seines Monumentalwerks Das Kapital. Bis zu seinem Tod 1883 war der Kommunismus eine ernsthafte und mächtige Bewegung in allen Ländern Europas geworden. Im Oktober 1917 schließlich führte Lenin die erste erfolgreiche kommunistische Machtübernahme durch. Die Revolution in Russland erfüllte jedoch nicht in allem die Vorhersagen von Marx: weder gab es in Russland (in dem erst im Februar der Zar gestürzt worden war) eine Dualismus zwischen Kapital und Arbeiterschaft (die kaum entwickelt waren), noch einen Massenaufstand der Arbeiter. Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime in Osteuropa 1990 bleibt die heftig umstrittene Frage, ob der Kommunismus an systemimmanten Widersprüchen, oder ungünstigen Umständen scheiterte.

27./28. Februar 1933:
Der Reichstag brennt


Knapp einen Monat nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler schlagen am Abend des 27. Februar hohe Flammen aus dem Berliner Reichstagsgebäude. Im Reichstag wird der niederländische Linksanarchist Marinus van der Lubbe mit einer brennender Fackel in der Hand, halbnackt und verwirrt festgenommen – er trägt ein kommunistisches Parteibuch mit sich. Die nationalsozialistische Parteiführung ist – obwohl sie ansonsten fast tagtäglich im tobenden Wahlkampf um die für den 5. März angesetzten Reichstagswahlen engagiert ist – sofort zur Stelle. Vor dem brennenden Reichstagsgebäude verkündet Hitler mit theatralischer Geste dem englischen Berichterstatter Sefton Delmer, der wie bestellt zur rechten Zeit am rechten Ort war, dies sei ein von Gott gegebenes Zeichen, um den Kommunismus mit eiserner Faust zu vernichten.

Bereits seit Beginn des Wahlkampfes, den der am 30. Januar zum Reichkanzler einer Minderheitenregierung von NSDAP und Deutschnationalen ernannte Hitler zur Erringung der absoluten Mehrheit nutzen wollte, wurde dieser mit äußerster Brutalität geführt. Der „Todeskampf der demokratischen Republik“ (Wilhelm Hoegner, SPD) forderte über 70 Todesopfer, die meisten davonm Sozialdemokraten oder Kommunisten. Nach dem Reichstagsbrandt fielen endgültig alle Hemmungen: Die Nazis erklärten, der Anschlag sei der Beginn eines kommunistischen Aufstands, und nutzten ihre Kontrolle der Staatsorgane zu unbarmherzigen Terror. Noch in der Nacht wurden an die 5000 Mitglieder und Funktionäre der KPD festgenommen, zugleich eine Reihe von missliebigen Akademikern und Schriftstellern wie der Anarchist Erich Mühsam und der Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky. Van der Lubbe, so erklärte Göring, sei nur Nebenfigur einer groß angelegten kommunistischen Verschwörung. Dabei hatte sich der KPD-Fraktionsvorsitzende Ernst Torgler freiwillig bei der Polizei gemeldet : Seine Partei habe mit der Sache nichts zu tun.
Am nächsten morgen ließ sich Hitler unter der Vorspiegelung des bevorstehenden Aufstands vom greisen Reichspräsidenten die Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat („Reichstagsbrandverordnung“) unterzeichnen – und setzte damit praktisch alle Grundrechte außer Kraft. Zudem ermächtigte sie die Reichsregierung, willkürlich Befugnisse in den Ländern an sich zu reißen oder Zeitungen zu verbieten, und sie verschärfte das politische Strafrecht. Die Todesstrafe wurde ausgeweitet - auch auf Brandstiftung in öffentlichen Gebäuden. Der so erklärte Ausnahmezustand blieb bis zum Ende des dritten Reiches in Kraft, und bildete so die „gesetzliche“ Grundlage der sich nun frei entfaltenden Terrorherrschaft.
Zehntausende Oppositionelle wurden in den nächsten Wochen verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt.
Bei den Reichstagswahlen im März errangen die Nationalsozialisten zusammen mit ihren Mehrheitsbeschaffern von den Deutschnationalen mehr als 50% der Stimmen. Doch die genaue Stimmzahl der Nazis war fast unwichtig – das eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordernde Ermächtigungsgesetz, mit dem sich die Demokratie praktisch selbst abschaffte, wurde von allen im Reichstag vertretenden Parteien mit Ausnahme der SPD mitgetragen – die Kommunistische Fraktion war vorher bereits aufgelöst worden. Im Sommer traf es dann auch Hitlers Steigbügelhalter – alle Parteien außer der NSDAP wurden verboten.

Dass auch der Rechtsstaat am Ende war, zeigte der Prozess gegen van der Lubbe. Dem zuständigen Richter entzogen, wurden die polizeilichen Ermittlungen zum Reichstagsbrand einer von Göring eingesetzten Brandkommission der Politischen Polizei übertragen. Sie wurden tendenziös, d.h. aussschließlich in Richtung vermeintlicher kommunistischer Täter geführt. Die Zeugen hatten Grund, Angst um Leib und Leben zu haben; der Reichstagsbrandprozeß war eine Farce, vorgeplant und manipuliert, mit meineidigen NS-Zeugen und kommunistischen Zeugen, die aus dem Konzentrationslager vorgeführt wurden. Dennoch erreichten die Nazis nicht die beabsichtigte Verurteilung des Komunismus. Die Veröffentlichungen der deutschen Emigrantenpresse und ein in London tagender internationaler Gegenprozeß öffneten der Weltöffentlichkeit die Augen. Der kommunistische Angeklagte Dimitroff entlarvte vor dem Reichsgericht die von den Nazis inszenierte „Rechtstaatlichkeit“. Die Rundfunkübertragungen wurden deshalb bereits nach wenigen Sitzungen abgebrochen. Dimitroff und die mitangeklagten Kommunisten Popoff, Taneff und Torgler mußten „mangels Beweisen“ freigesprochen werden. Nur van der Lubbe wurde für schuldig befunden und im Januar 1934 hingerichtet – auf Grundlage eines Gesetzes, das erst nach der Tat erlassen worden war.

Bereits kurz nach dem Brand kam das Gerücht auf, die Nazis selbst hätten den Brand gelegt, um ihre Macht durchzusetzen. Lange Zeit galt diese Theorie als zumindest unbewiesen (maßgeblich befördert durch die Memoiaren des ehemaligen Gestapo-Chefs Diel und der SPIEGEL-Serie des Amateurhistorikers und Verfassungsschützers Frits Tobias), in neuerer Zeit erhärteten jedoch umfangreiche Untersuchungen der 50.500 Blatt umfassenden originalen Akten des Reichstagsbrandprozesses - Bestände des Reichsgerichts, des Oberreichsanwalts und der Gestapo (Fond 551, St 65; seit 1945 als Kriegsbeute im »Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU«, ab 1982 im »Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED« in Berlin/Ost unter Verschluß und nur einigen wenigen Historikern zugänglich) – diesen Verdacht erheblich. Danach wurde der Brand tatsächlich von einem SA-Kommando gelegt, das unter Führung eines gewissen Hans-Georg Gewehr, Chef der Stabswache des berüchtigten Berliner SA-Führers Karl Ernst, durch einen unterirdischen Heizungstunnel vom Reichstagspräsidentenpalais, dem Amtssitz Görings, in das Reichstagsgebäude eindrang. Van der Lubbe sei als Strohmann benutzt worden, um so die ungehemmte Verfolgung der Kommunisten durch die staatlichen Organe zu ermöglichen.
Eine umfangreiche (sehr empfehlenswerte) Bearbeitung dieser Vorgänge findet ihr hier.

beides von max:

8. März 1908:
Textilarbeiterinnenstreik begründet den Internationalen Frauentag am 8. März

Der Internationale Frauentag wird am 8.3. zu Gedenken an einen Streik von Textilarbeiterinnen am 8.3.1908 in New York gefeiert. Die Arbeiterinnen, hauptsächlich Einwanderinnen, protestierten gegen Kinderarbeit und die Arbeitsbedingungen (die den Bedingungen in heutigen Sweat-Shops entsprachen), sowie für Gewerkschaftsrechte und das Wahlrecht. Die Arbeiterinnen einer Fabrik wurden damals von den Besitzern und Aufsehern eingeschlossen. Aus ungeklärten Gründen brach in der Textilfabrik ein Brand aus und zerstörte sie gänzlich. Nur wenigen der eingesperrten Arbeiterinnen gelang die Flucht; 129 Arbeiterinnen starben in den Flammen. Es entstand darauf eine Bewegung, die eine massive Zunahme des gewerkschaftlichen Organisationsgrades bewirkte und 1909 in einem 13-wöchigen Streik, dem „Aufstand der 20 000“, gipfelte. Eine der Streikführerinen, Clara Lemlich sagte über die Bedeutung dieser Bewegung:
Zitat:
Sie pflegten zu sagen, dass es nicht möglich ist Frauen zu organisieren. Sie würden nicht zu Gewerkschaftstreffen kommen. Sie sind Leiharbeiter. Nun, wir haben ihnen es gezeigt.

1909 wurde das erste Mal in den USA der 8.3. als Kampftag für die Frauenrechte durchgeführt. Clara Zetkin, eine der bedeutendsten revolutionären Sozialistinnen der SPD, später der KPD, schlug den 8.3. für einen internationalen Frauentag auf einer sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910 vor. Es wurde folgende Erklärung verabschiedet:

Zitat:
In Übereinstimmung mit dem Klassenbewusstsein und den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats ihrer jeweiligen Länder werden die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr der Frauentag veranstalten, dessen erstes Ziel sein muss, dabei zu helfen das Frauenwahlrecht zu erlangen.
Der erste Internationale Frauentag wurde am 8.3.1911 gefeiert. Es gab grosse Demonstrationen in Deutschland und Österreich, in den kommenden Jahren wurde der Internationale Frauentag überall in Europa veranstaltet. Neben der sozialistischen Frauenbewegung, gab es auch eine bürgerliche, die sogenannten Suffragetten. Alexanda Kollontai, eine der bekanntesten russischen Sozialistinnen, beschrieb das Verhältnis zu den bürgerlichen Feministinnen so:

Zitat:
Was ist das Ziel der Feministinnen? Ihr Ziel ist es die selben Vorteile, die selbe Macht und die gleichen Rechte, die jetzt ihre Ehemänner, Väter und Brüder besitzen, innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zu erlangen. Was ist das Ziel der Arbeiterinnen? Ihr Ziel ist es alle Privilegien, die von Geburt oder Reichtum ausgehen, abzuschaffen. Für die Arbeiterinnen ist es gleichgültig, wer ihr Chef ist - ein Mann oder eine Frau.
Obwohl gleiche Rechte, also auch das Wahlrecht, in den meisten Staaten in der Folge der russischen und deutschen Revolution erkämpft werden konnte, werden Frauen heute noch benachteiligt. Frauen, wie Condeleezza Rice (Bushs National Security Adviser) oder Anne Krueger (Deputy Managing Director des Internationalen Währungsfonds), gehören zwar zu den mächtigsten Menschen der Welt. Aber immer noch werden Frauen insgesamt schlechter bezahlt, erhalten schlechtere Jobs und müssen meist die Doppelbelastung Familie/Beruf schultern.


8. März 1917:
Februarrevolution in Russland


Am 8. März (23. Februar des julianischen Kalenders) demonstrieren Textilarbeiterinnen in Petrograd am Internationalen Frauentag für Brot. Die Verbitterung über den Krieg und den Hunger führt dazu, dass die Bewegung rapide anwächst. Am nächsten Tag war die Hälfte der 400 000 ArbeiterInnen der Stadt beteiligt und die Forderungen wandelten sich von ‚Brot für die Arbeiter!‘ zu ‚Nieder mit der Autokratie!‘ und ‚Nieder mit dem Krieg!‘. Versuche des zaristischen Regimes, durch den brutalen Einsatz von Polizei und Truppen die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen, scheiterten. Am vierten Tag der Aufstände und Demonstrationen meuterten ein Großteil der Soldaten. Truppen, die von auswärts geschickt wurden um die Ordnung wieder herzustellen, liefen zu den Revolutionären über - das marode zaristische Regime kollabierte fast ohne ernsthaften Widerstand.

Die Generäle zwangen den Zaren zur Abdankung, da sie dies als einzige Möglichkeit für das Überleben des Regimes sahen. Sie bildeten zusamen mit bürgerlichen Kräften die sog. Provisorische Regierung vornehmlich aus Industriellen und Großgrundbesitzern unter dem Prinzen Lwow, die sich auf die alte Duma stützte. Diese beruhte auf einem auf Besitz basierenden Wahlsystem, daß die Reichen überrepräsentierte. Diese neue Regierung weigerte sich, sich aus dem desaströs verlaufenden Krieg zurückzuziehen, und eine Landreform durchzuführen. Einer der führenden Politiker der alten Duma, Rodzianko, schrieb:
Zitat:
Die gemäßigten [bürgerlichen] Parteien sehnten sich nicht nur nicht nach der Revolution, sie hatten einfach Angst vor ihr. Insbesondere die Kadetten, eine Partei, die auf dem linken Flügel der gemäßigten Parteien stand und deshalb mehr Kontakt mit den revolutionären Parteien des Landes hatte, sorgte sich mehr über die zunehmende Katastrophe als alle anderen zusammen.
Der Menschewik (gemäßigtere Sozialisten) Suchanow:
Zitat:
Unsere Bourgeoisie verriet, anders als die anderen, das Volk nicht an dem Tag nach dem Umsturz, sondern bevor der Umsturz stattfand
Parallel zu der Provisorischen Regierung entstanden die Sowjets (russ. Räte), die aus Koordinierungskomitees von streikenden ArbeiterInnen hervorgingen. Auch die aufständischen Regimenter schickten Abgeordnete in die Sowjets, die dadurch zu einem Fokus für die revolutionäre Bewegung wurden.

Die Abgeordneten der Sowjets unterstützten anfangs die provisorische Regierung. Auch die ersten bekannteren Bolschewiki, die aus der Verbannung eintrafen (u.a. Stalin) unterstützten, wie die anderen linken Parteien, die Regierung. Für sie war der Krieg kein Eroberungskrieg des Zaren mehr, sondern ein Krieg für die Verteidigung der Revolution. Dabei waren die Bolschewiki die einzige Partei gewesen, die gegen den 1. Weltkrieg Stellung bezogen. Die Position der Bolschewiki änderte sich entscheidend, als Lenin im April aus dem Exil zurückkehrte. Er forderte in den ‚Aprilthesen‘ den Sturz der provisorischen Regierung und ein Ende des Krieges. Diese Position setzte er in den Bolschewiki durch. Die Hauptforderungen wurden ‚Land, Brot, Frieden‘ und ‚Alle Macht den Räten‘.

Den größten Einfluß in den Räten hatten in den ersten Monaten der Revolution die Sozialrevolutionäre. Diese Partei war nicht marxistisch. Sie betonten die Forderungen der Bauern nach einer Landreform, wollten diese aber durch terroristische Methoden (Guerilla) durchsetzen. Als sie aber an der Provisorischen Regierung beteiligt wurden, stellten sie sich gegen ihr eigenes Programm.

Im Mai stimmten in den Wahlen für den Petrograder Sowjet 20% für die Bolschewiki, 3% für die Menschewiki und 50% für die Sozialrevolutionäre. Das Versagen der Provisorischen Regierung führten nicht nur zu einem Split der Sozialrevolutionäre, sondern auch zu einem massiven Stimmungsumschwung zugunsten der Bolschewiki. Bei den Wahlen im Oktober 1917 (vor der Oktoberrevolution) für den 2. all-russischen Sowjet-Kongress gewannen die Bolschewiki 51% und die verbündeten Linken Sozialrevolutionäre 21%. Nachdem die provisorische Regierung im Laufe des Jahres so ziemlich jede Unterstützung verloren hatte, wurde sie schließlich in der Oktoberrevolution gestürzt.

13. März 1920:
Lüttwitz-Kapp-Putsch in Berlin


Um 4 Uhr morgens marschiert die Marinebrigade Erhardt (benannt nach ihrem Gründer Hermann Erhart) unter dem Kommando von Reichswehrgeneral von Lüttwitz mit Hakenkreuzen auf den Stahlhelmen in Berlin ein, besetzen alle Ministerien und setzen den konservativen ostspreußischen Generallandschaftsdirektor Kapp als Regierungschef ein. Das Kampflied der Aufständischen lautet:
Zitat:
"Hakenkreuz am Stahlhelm,
schwarz-weiß-rotes Band,
die Brigade Ehrhardt
werden wir genannt.
Die Brigade Ehrhardt
schlägt alles kurz und klein,
wehe Dir, wehe Dir,
du Arbeiterschwein.“
Die Putschisten schlugen früher als geplant los, da die Siegermächte des 1. Weltkriegs die Auflösung der 6000 Mann starken Brigade Erhardt, die ein Teil der auf dem Baltikum aktiven Freikorps war, gefordert hatten.

http://www.bwbs.de/UserFiles/Image/1913-1920/Kapp-Putsch.jpg

Dieser Putsch hatte sich aber schon die Monate zuvor angekündigt. General von Lüttwitz hatte dem SPD-Kriegsminister Gustav Noske selbst im Juni 1919 eine Diktatur vorgeschlagen. Noske ging noch Stunden vor dem Putsch von der Loyalität der Generäle aus. Aber sowohl die Reichswehr, als auch die Polizei weigerte sich die Regierung zu verteidigen, die daraufhin über Dresden nach Stuttgart floh. Der Chef des Allgemeinen Truppenamts und spätere Oberkommandierende der Reichswehr General Hans von Seeckt sagte: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr.“

Die Truppen, die Noske zuvor aufgebaut und eingesetzt hatte, um die revolutionäre Arbeiterbewegung blutig zu unterdrücken, und die in den Monaten zuvor über 20 000 Menschen umgebracht hatten, fielen jetzt über den „Bluthund“ (Noske über sich selbst) her. Die maßgeblich beteiligten Offizieren hatten sich bereits im Kampf gegen die Revolutionäre hervorgetan: Marineoffizier Erhardt hatte auf dem Baltikum gegen die russische Revolution gekämpft, von Lüttwitz die Aktionen gegen die ArbeiterInnen in Berlin im Januar und März 1919 geleitet, Pabst war in die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verwickelt und Oven leitete die Niederschlagung der Bayerischen Räterepublik, an der auch die Brigade Erhart teilnahm. Die Putschisten glaubten deshalb, dass Ebert und Noske die neue konterrevolutionäre Regierung unterstützen würden.

Reichspräsident Ebert und Noske hatten in den Monaten zuvor alles dafür getan, den kaiserlichen Staats- und Verwaltungsapparat zu retten und dafür gesorgt, dass er der direkten Kontrolle der Bevölkerung entzogen war. Sie hatten geholfen, dass fast das gesamte Offizierskorps an monarchistischen und konservativen Prinzipien festhalten konnte. Ebert und Noske gingen nicht so weit den Putsch zu unterstützen, aber sie hatten auch nicht die Macht ihn zu stoppen. Die Mehrheit der Militärs, der Kapitalisten und der bürgerlichen Parteien sympathisierten mit den Putschisten, wartenden aber passiv ab, ob der Putsch erfolgreich sein würde.

Die Gewerkschaftsfunktionäre waren aber in einer anderen Lage. Sie hatten nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch die Möglichkeit gewerkschaftlich und politisch aktiv zu sein, zu verlieren. Ausgehend von dem Chef des Gewerkschaftsbundes ADGB Legien wurde ein Generalstreik organisiert. Auf dem Aufruf waren auch die Unterschriften der SPD-Regierungsmitglieder und des SPD-Vorsitzenden Otto Wels, wobei Noske und Reichskanzler Gustav Bauer sich bezeichnenderweise davon distanzierten. Der Aufruf wurde am 13.März um 11 Uhr herausgegeben. Mittags begann der Streik und breitete sich auf das ganze Land aus: auf das Ruhrgebiet, Sachsen, Thüringen, Hamburg, Bremen, Bayern und sogar auf die ostpreußischen Landgüter. An dem Generalstreik beteiligten sich nicht nur IndustriearbeiterInnen, sondern auch zum ersten Mal auf der Seite der Linken auch viele der traditionell konservativen Angestellten und Beamten.

Angesichts der Erfahrungen mit den Militärs während der Streiks in den Monaten zuvor, bewaffneten sich die Arbeiter. Sie sahen, dass es der Revolution von 1918/19 nicht gelungen war den alten reaktionären Apparat zu entfernen. Im Ruhrgebiet entstand eine „Rote Ruhrarmee“ mit 50.000 Mann unter Waffen, die das Militär aus dem Ruhrgebiet vertrieben, wobei es besonders schwere Kämpfe um Dortmund und Essen gab.
Auch Mitteldeutschland bewaffneten sich die Arbeiter. Arbeiter übernahmen die Kontrolle über alle größeren Städte in Thüringen bis auf Erfurt. Auch in Sachsen wurden mehrere kleine Städte kontrolliert. In Chemnitz wurde ein Arbeiterrat gewählt, der die Kontrolle übernahm. Im sächsischen Plauen rief der als „Roter Robin Hood“ verehrte Max Hoelz die Räterepublik aus und kontrollierte bis Mitte April das Vogtland. Trotz einer relativ starken Arbeiterbewegung gelang es aber nicht, Leipzig zu kontrollieren. Auch Dresden blieb unter Kontrolle der Reichswehr.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d6/Bundesarchiv_Bild_183-R16976,_Kapp-Putsch,_Berlin.jpg

In Norddeutschland wurde in Wismar eine Räterepublik ausgerufen. Rostock wurde von einer bewaffneten Arbeiterwehr kontrolliert. In Kiel meuterten die Matrosen gegen ihre Offiziere und unterstützten die Arbeiter in den Kämpfen. In den beiden Zentren der Revolution von 1918/19 - Hamburg und Bremen - blieb es dagegen relativ ruhig.
Auch in Berlin blieb trotz einzelner Aufstände in den Arbeitervierteln relativ ruhig. In den landwirtschaftlich geprägten Gegenden östlich der Elbe, wo die Putschisten die größte Unterstützung erwartet hatten, beteiligten sich die LandarbeiterInnen an dem Streik und entwaffneten Militärs und Polizei. Auch die Eisenbahner streikten deutschlandweit, womit die Verlagerung von Truppen für die Reichswehr massiv behindert wurde.

Kapp konnte gegen den bewaffneten Generalstreik nichts ausrichten, obwohl er über die Reichswehr und die Freikorps verfügen konnte. Er drohte mit der Erschießung aller Streikenden, zog aber den Befehl zurück, als er sah, dass er ihn nicht durchsetzen konnte. Zusätzlich zum Streik weigerten sich große Teile der Ministerialbürokratie, den Anweisungen Kapps Folge zu leisten. Der „starke Staat“, auf den sich Kapps „Regierung der Tat“ stützen sollte, konnte nichts durchsetzen. Als ein Teil der Truppen in Berlin gegen die Offiziere meuterte und die Polizei die Seite zu wechseln begann, brach der Putsch am 17. März zusammen.

Damit war aber noch nicht der Streik beendet. Die reaktionären Generäle hatten mit ihren Anstrengungen, die Reste der alten Revolution von 1918/19 zu beerdigen, die Anfänge einer neuen Revolution losgetreten. Forderungen nach einer Entwaffnung des Bürgertums, der Entfernung der Putschisten und ihrer Sympathisanten aus dem Staatsapparat und die Bildung einer Arbeiterregierung wurden von der Seite der streikenden ArbeiterInnen gestellt. Legien formulierte vage Forderungen („9 Punkte-Programm“) an die Regierung und rief auf deren Grundlage am 20.3. zur Beendigung des Streiks auf. Gleichzeitig führte er Gespräche über die Bildung einer Arbeiterregierung. Aber die umgebildete Regierung aus SPD, DDP und Zentrum ging auf keine diese Forderungen ein. Der Staatsapparat blieb von Reaktionären durchsetzt, was sich 1933 bitter rächen sollte. Zwar wurde gegen ein Teil der Offiziere, die den Putsch aktiv unterstützt hatten, Anklage erhoben, aber nur einer wurde verurteilt. Hermann Erhart konnte nach Bayern fliehen, wo er nicht weiter verfolgt wurde, und Teile seiner aufgelösten Brigade in die Organisation Consul, den späteren Wiking-Bund, umwandelt. Die Mitglieder des "Wiking-Bunds" waren für die Ermordung von Finanzminister Matthias Erzberger, Außenminister Walther Rathenau und für zahlreiche andere politische Morde verantwortlich.

Der Streik brach zusammen, obwohl keine der Forderungen erreicht waren und ein erneuter Versuch der Rechten das Rad der Geschichte zurückzudrehen nicht auszuschließen war. Jetzt rächte es sich, dass es die Linke versäumt hatte eine zentrale Struktur aufzubauen, die die Aktivitäten koordinieren und ein Gegengewicht zu der Regierung hätte darstellen können. Einzelne Regionen beendeten den Streik, die anderen wurden isoliert und brutal mit Massenerschießungen von der Reichswehr niedergeschlagen. Die Initiative ging verloren, und damit auch das Selbstbewußtsein der Streikenden. Die linken Parteien waren nicht in der Lage, auf den Ausverkauf des Streiks durch Legien zu reagieren, noch konnten sie eine Antwort auf seine Versuche, eine Arbeiterregierung zu bilden geben. Deshalb konnte die SPD die Initiative wieder übernehmen und bildete die Regierung nicht nach links, sondern nach rechts um. Die Ereignisse lösten eine massive Desillusionierung mit der SPD aus, aber auch sich ausbreitende Frustration. Die Rechte konnte deshalb bei der Reichstagswahl am 6. Juni 1920 hinzugewinnen, während die Regierungsparteien massiv Stimmen verloren. Am härtesten wurde die SPD getroffen: ihr Anteil sank von 37,1% auf 21,7%, während der Anteil der USPD von 7,6% auf 17,9% stieg. Eine Mehrheit der USPD schloß bald darauf der KPD an.

Die Ereignisse des März 1920 in Deutschland bei der Abwehr des Kapp-Putsches ähnelten in bemerkenswerter Weise denen in Rußland im August 1917 bei Abwehr des Kornilow-Putsches. In Rußland führte dies zu einer massiven Stärkung der Bolschewiki, die die Mehrheit gewinnen und damit die Macht übernehmen konnten. Warum konnte die Linke in Deutschland nicht von den Erfolgen bei der Abwehr des Putsches profitieren, obwohl für sie die Rahmenbedingungen eher besser waren? Die revolutionäre Linke in Deutschland war damals gespalten. Ein Teil war in der USPD, die zwar eine Massenpartei darstellte, sich aber aufgrund der Gegensätze zwischen dem rechten und dem linken Flügel vor allem durch Schwankungen auszeichnete, und deshalb kaum in der Lage war, eine vorantreibende Rolle zu spielen. Die KPD war damals eben erst gegründet worden und zeichnete sich durch Unorganisiertheit und Unerfahrenheit aus, was noch durch die Ermordung erfahrener KommunistInnen wie Luxemburg und Liebknecht verschlimmert wurde. Die KPD hinkte, insbesondere in Berlin, meist den Ereignisse hinterher und es gelang ihr deshalb nicht eine Mehrheit für ihre Politik zu gewinnen (eine nennenswerte Ausnahme war die KPD in Chemnitz, die eine Mehrheit für ihre Politik gewinnen konnte und zu stärksten Arbeiterpartei wurde). Zudem war sie durch ihre starke Bindung an die russischen Bolschewiki diskreditiert, von denen sich große Teile der Linken auch außerhalb der SPD distanzierten.

Die brutale Unterdrückung der Versuche der ArbeiterInnen, soziale und demokratische Emanzipation zu erkämpfen, und die gleichzeitige Ablehnung der Demokratie durch die Mehrheit der Bürgerlichen und der Generäle, führte dazu, dass die Weimarer Republik auf tönernen Füßen stand, was sich 1933 zeigen sollte.

(von max, assistiert von Jack)

Deutsche Admirale putschen nicht?





Hitler hat sie später für ihren Kampf gegen die Republik belohnt



März 1920: Kapp-Putsch, Bürgerkrieg in Deutschland. Generale wollen die Regierung stürzen. Wie sehr damals auch die Admirale mit von der Partie waren und wozu ihr »Ordnung schaffen« führte - dieses trübe Kapitel deutscher Marinevergangenheit wird hier erzählt. (Mitverfasser: Arnim von Manikowsky).

Fünftausend Mann warteten auf den Befehl. "Herr Kapitän", rief ein Unteroffizier, "wann marschieren wir endlich nach Berlin? Wir wollen die ganze Bande zum Teufel jagen!"

Putschende Baltikum-Truppen in Berlin


Was sie als Bande beschimpften, waren Reichspräsident und Reichsregierung, die nach einem verlorenen Weltkrieg und einer erstickten Revolution es niemandem recht machen konnten: den Arbeitermassen nicht, den Bürgern nicht und schon gar nicht jenen Soldaten und Offizieren, die sich mit der Niederlage nicht abfinden wollten.

Die fünftausend Mann, die auf den Befehl zum Losschlagen warteten, pinselten Hakenkreuze auf ihre Stahlhelme, putzten ihre Waffen und probten 25-Kilometer-Märsche. Genau 25 Kilometer lagen zwischen ihrem Feldquartier auf dem Truppenübungsplatz Döberitz und dem Berliner Regierungsviertel, wo die Leute saßen, die diese im Bürgerkrieg gegen die "Roten" großgewordene Elitetruppe auflösen wollten.

Aber die Männer von der 2. Marinebrigade unter dem Kommando des spitzbärtigen Korvettenkapitäns Hermann Ehrhardt dachten nicht daran, ihre alte kaiserliche Kriegsflagge vor der schwarzrotgoldenen Republik zu streichen. Sie feierten am l. März 1920 das einjährige Bestehen ihrer Truppe mit Parade, Feldgottesdienst, Sportfest und Kasino-Abend. "Als hätten wir noch einen Kaiser", schwärmte Kapitän Ehrhardt noch Jahre später, "so schritten General von Lüttwitz und Admiral von Trotha die Front ab."






Putsch-Kanzler :
Wolfgang Kapp
Putsch-General und Minister:
Walther v. Lü
ttwitz, Gustav Noske
Putsch-Troupier:
Hermann Ehrhardt
Putsch-Admiral:
Adolf v. Trotha
Putsch-Admiral:
M. v. Levetzow

Dem Infanteriegeneral Walther Freiherr von Lüttwitz, Befehlshaber aller Reichswehrtruppen im Berliner Raum, war die 2. Marinebrigade unterstellt und nicht dem Chef der Marineleitung, Vizeadmiral Adolf von Trotha. Der Admiral stand beim Jubiläumsappell neben Lüttwitz, als der General versprach: "Ich werde nicht dulden, daß mir eine solche Kerntruppe in einer so gewitterschwülen Zeit zerschlagen wird."

Ehrhardts Männer waren begeistert. Trotha aber wußte, daß der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske die Auflösung schon angeordnet hatte. Noske war zur Jubiläumsparade wohlweislich gar nicht erst eingeladen worden. Spätestens jetzt mußte der Marinechef erkennen, daß ein ehrgeiziger General den Weg des Ungehorsams und des Eidbruchs beschritt, ein General, dem die schlagkräftigste, Truppe in ganz Deutschland zur Verfügung stand.

Das Zweckbündnis zwischen Armee und Sozialdemokratie, an dem die Revolution vom November 1918 erstickte und die Aufstände der um die Revolution betrogenen Arbeitermassen im Frühjahr 1919 scheiterten, war längst ausgehöhlt. In der Generalität und dem Offizierskorps, in der Truppe und in den Freikorps wuchs der Widerstand gegen die Republik von Weimar, gegen Reichspräsident Friedrich Ebert und die Regierung des sozialdemokratischen Reichskanzlers Gustav Adolf Bauer, die die Versailler Friedensbedingungen der Sieger akzeptieren mußte. Friedensbedingungen, zu denen die Dezimierung der Armee auf ein 100000-Mann-Heer gehörte.

Militärischer Führer der Gegenrevolution von rechts war der Befehlshaber des Reichswehrgruppenkommandos l, der unbeirrt kaisertreue General von Lüttwitz; ziviler Führer der konservative ostpreußische Generallandschaftsdirektor Dr. Wolfgang Kapp. Dessen engster Mitverschwörer war Hauptmann Waldemar Pabst, einer der Hauptverantwortlichen für die Mordaktion an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919. Im Hintergrund stand General Ludendorff zu den Putschisten, der Militärdiktator der letzten Kriegsjahre. Die Verschwörer schickten Emissäre durchs Reich, um die örtlichen Kommandeure auf ihre Seite zu ziehen. Der Putsch wurde zum Gesprächsthema bei Stabskonferenzen und in den Kasinos. Loyale Offiziere wie der Chef des Truppenamtes, Generalmajor Hans von Seeckt, warnten die Regierung.

Reichswehrminister Noske. der gegen Spartakisten und rote Räte die Freikorps zu Hilfe gerufen und sich dabei zum "Bluthund" gemacht hatte, der Sozialdemokrat, den viele Militärs für ihren Freund hielten und manche schon zum Militärdiktator gegen die Republik ausrufen wollten, ergriff zögernd Gegenmaßnahmen. Die Marinebrigaden wurden dem Heereskommando entzogen und der Marineleitung zur Auflösung unterstellt, General Lüttwitz beurlaubt und der Abschied nahegelegt, Haftbefehle gegen Kapp und seine Drahtzieher erlassen.

Brigade-Kapitän Erhardt wollte sich Klarheit verschaffen, setzte sich in seinen Wagen, fuhr nach Berlin. Der abgehalfterte General Lüttwitz wollte Befehle geben, fuhr von Berlin nach Döberitz. Auf der Heerstraße trafen sie zusammen.

Lüttwitz: "Der Augenblick zum Handeln ist gekommen ... Können Sie heute Abend nach Berlin marschieren?"

Ehrhardt: "Militärisch halte ich das für bedenklich."

Lüttwitz: "Können Sie morgen marschieren?"

Ehrhardt konnte und wollte. Der General fuhr nach Berlin zurück. Der Kapitän gab in Döberitz die Befehle:

Brigade 12. März. 10 Uhr abends marschbereit. Der Sturmkompanie wird eine 10,5-Haubitzbatterie zugeteilt. Widerstand ist rücksichtslos zu brechen.

Während die Brigade Ehrhardt die Pferde aufschirrte, die Wagen voll packte und Munition faßte, tagte in Berlin die Reichsregierung. Gegen 17.30 Uhr an diesem 12. März wurde Reichswehrminister Noske aus dem Kabinettssaal gerufen. Ein General und ein Major meldeten:

Ehrhardt will in wenigen Stunden marschieren.

Noske schickte Admiral von Trotha nach Döberitz. Der Marinechef sollte erkunden, was an der Meldung dran sei. Als ob es sich um eine normale Truppen-Inspektion in ruhigen Zeiten handelte, ließ er seinen Besuch telefonisch ankündigen. Diese Warnung gab dem Putsch-Kapitän Gelegenheit, tiefsten Lagerfrieden vorzuspielen, als sein Admiral in Begleitung des Kapitänleutnants Wilhelm Canaris in Döberitz erschien. Ehrhardt hatte seinen Männern Schlafbefehl gegeben.

Trotha sprach mit Ehrhardt, Canaris unterhielt sich mit den Offizieren und inspizierte das Lager. Der eine übersah die vollgepackten Wagen, der andere warnte vor Abenteuern, fragte aber seinen Untergebenen seltsamerweise nicht, ob er marschieren wolle und wann.

Eine Stunde später meldete der Admiral dem Reichswehrminister: Im Lager herrscht Ruhe. Vorsichtshalber setzte er hinzu: Die Situation kann sich rasch ändern.

Kampflied der Putschisten:

"Hakenkreuz am Stahlhelm,
schwarz-weiß-rotes Band,
die Brigade Ehrhardt
werden wir genannt.
Die Brigade Ehrhardt
schlägt alles kurz und klein,
wehe Dir, wehe Dir,
du Arbeiterschwein."

Und wie sie sich änderte. Kurz nach Mitternacht setzte sich die Brigade in Marsch. Als Ehrhardt in der Frühe an der Siegessäule haltmachen und seine Leute Suppe aus den Gulaschkanonen fassen ließ, zogen sich die 3000 Mann Berliner Truppen aus dem Regierungsviertel in ihre Kasernen zurück.

Reichswehrminister Noske und der Chef der Heeresleitung, General Reinhardt, hatten es auf einen Kampf Truppe gegen Truppe ankommen lassen wollen. Doch Truppenamtschef Seeckt und andere loyale Militärs waren aus guten Gründen dagegen gewesen: zu wenig Soldaten. Stimmung schlecht, ungewiß, ob sie auf Kameraden schießen würden.

Die Brigade zog ins Regierungsviertel ein, Kapp und die anderen Zivilisten schlugen ihr Quartier in der Reichskanzlei auf.

Die Putsch-Regierung präsentierte sich den Berlinern mit Plakaten und Proklamationen, mit Marschmusik und Reichskriegsflaggen, mit Geschützen und Maschinengewehren an den Straßenecken. Von Lastwagen mit aufgemalten Hakenkreuzen verteilten Ehrhardt-Soldaten mit Hakenkreuz am Helm den ersten Aufruf: "Die bisherige Reichsregierung hat aufgehört zu sein. Die gesamte Staatsgewalt ist auf den Generallandschaftsdirektor Kapp (Königsberg) als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident übergegangen. Zum militärischen Oberbefehlshaber und Reichswehrminister ist gleichzeitig vom Reichskanzler der General der Infanterie, Freiherr von Lüttwitz, berufen worden. Eine neue Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat wird gebildet."

Die alte, die verfassungsmäßige Regierung Ebert/Bauer hatte aber durchaus nicht "aufgehört zu sein". Sie war geflohen, erst nach Dresden, dann nach Stuttgart. Ihr kampfloses Zurückweichen aus Berlin brachte die Putschisten um das, was sie zur Befestigung ihrer Macht gebraucht hätten: den Schlachtensieg im Bürgerkrieg.

Kapps Regierungs-Spielen in Berlin, pausenlose Kabinettsitzungen in der Reichskanzlei, eine Flut von Proklamationen und Lügenmeldungen, Zeitungsverbote und Pressezensur, Drohungen mit der Kommunistengefahr, Todesstrafe für Streikposten und sieben Mark Tageszulage für die Putsch-Soldaten nützten nichts. Die Reichsbank rückte kein Geld raus, die Beamten in den Ministerien und auch viele Offiziere blieben loyal und hielten Verbindung zur legalen Reichsregierung im Stuttgarter Ausweichquartier. Der von Reichspräsident Ebert und seinen sozialdemokratischen Ministern veranlaßte Generalstreik mobilisierte die Arbeiterschaft gegen die Putschisten.

Admiral von Trotha aber, Held der Skagerrak-Schlacht, trat sofort - wie viele Truppenkommandeure im ganzen Reich - auf die Seite der Verschwörer. Er telegrafierte seinen Stationen in Kiel und Wilhelmshaven: "Ich habe mich mit der Marine der neuen Regierung zur Verfügung gestellt und erwarte, daß die Marine wie bisher geschlossen meinen Befehlen folgt."

Der Kapp-Kurs seiner Admirale, die in den Kriegshäfen auf ihre Weise für Ruhe und Ordnung sorgen wollten, führte in Kiel zu blutigen Straßenkämpfen und in Wilhelmshaven zum Aufstand gegen das Offizierskorps.

Den Anfang machte ein Feldwebel. Am Morgen des 13. März - Marinechef Trotha hatte noch nicht telegrafiert - mußte das Küstenwehrregiment in Wilhelmshaven antreten. Alarmbereitschaft. Die Kompanieführer sprachen über den Einmarsch in Berlin. Feldwebel Riecke trat vor die Front und fragte: "Steht das Regiment jetzt zur Regierung oder gehört es zu den Aufständischen? Seid ihr euch klar, daß ihr zu einer verbrecherischen Handlung mißbraucht werden sollt?" Die Antwort war eindeutig: Der Regimentskommandeur ließ den Feldwebel verhaften.

Wenige Stunden später beantwortete der Chef der Marinestation Nordsee, Vizeadmiral Michelsen, das Putsch-Telegramm der Marine-Leitung: "Voll Vertrauen auf die Führerschaft Ew. Exzellenz werden wie bisher Offiziere, Beamte, Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Nordseestation den Befehlen Ew. Exzellenz folgen in dem festen Bewußtsein, daß nach wie vor das Wohl unseres geliebten Vaterlandes Ew. Exzellenz einziges Ziel ist."

Die Bevölkerung wurde in Plakaten darauf hingewiesen, daß im herrschenden Ausnahmezustand der Stationschef als "Gouverneur" die oberste Regierungsgewalt besitzt Den Mannschaften wurde bekanntgegeben: "Unsere Aufgabe ist es, hier lediglich dafür zu sorgen, daß die Ruhe und Ordnung aufrechterhalten bleibt." Und am Abend teilte Stationschef Michelsen dem Oldenburgischen Ministerpräsidenten Tantzen am Telefon mit, daß "die ganze Sache sehr gut und sehr lange vorbereitet sei und sicher gelingt" und "daß in Wilhelmshaven alles für die neue Regierung sei".

Das war Zwecklüge, genauso wie die Erfolgsmeldungen des Propagandastabes der Kapp-Regierung in Berlin. In Wirklichkeit stand die Oldenburgische Staatsregierung zur legalen Reichsregierung, protestierten die Parteien gegen den Kapp-Kurs der Marine, und die Bevölkerung an der Nordsee wollte mit dem Staatsstreich nichts zu tun haben.

Admiral Michelsen bestellte am nächsten Tag die Vertreter der Parteien auf die Marinestation. verbot Maueranschläge und Flugblätter, ließ dafür selber welche gegen die "alte Regierung" verteilen und schickte bewaffnete Patrouillen in die Stadt. Wie der Admiral Ordnung schaffen wollte, lasen die erschreckten Wilhelmshavener am Sonntagabend (14. März] in einer Bekanntmachung: "Ich warne ausdrücklich vor jeder Ruhestörung . . . Ich erwarte, daß es mir erspart bleibt, Widerstand mit Waffengewalt zu brechen, wie es in Kiel bereits geschehen ist."

Die Drohung löste die Gegenbewegung aus. Am Montag wurden überall in der Stadt Plakate angeschlagen, in denen Deckoffizierbund und Soldatenverbände das Ergebenheitstelegramm des Stationschefs als "Lügenmeldung" bezeichneten: "Dieses Telegramm ist ohne Wissen der Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften abgegeben worden. Die besagten Dienstgrade stehen treu hinter der verfassungsmäßigen Regierung." (Deckoffiziere waren langdienende Marinedienstgrade mit besonderer Fachausbildung und einer gehobenen Stellung zwischen Unteroffizier und Offizier.)

Am Dienstagmorgen zogen bewaffnete Matrosengruppen unter dem Kommando ihrer Deckoffiziere durch die Stadt, verhafteten auf der Marinestation, an Bord der Schiffe und in den Kasernen alle Seeoffiziere, entwaffneten sie und sperrten sie in die Tausendmann-Kaserne. Vizeadmiral Michelsen legte sein Amt nieder. Der Führer der Wilhelmshavener Deckoffiziere, Torpedoobermaschinist Arthur Grunewald, wurde - im Auftrag der Oldenburgischen Regierung - zum Chef der Nordseestation ernannt.

Damit war - einen Tag, bevor die Putsch-Regierung in Berlin aufgeben mußte - der Staatsstreich in Wilhelmshaven unblutig abgeschlagen. In keinem Betrieb wurde gestreikt, auf der Nordseestation ging unter der schwarzrotgoldenen Fahne der Republik der Dienstbetrieb ohne Seeoffiziere weiter.

Arthur Grunewald war kein "roter Stationschef", der jetzt die Revolution vom November fortsetzen wollte. Der Berufssoldat, gelernter Kupferschmied und Schlosser, damals schon Ende vierzig, Familienvater, Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, war ein besonnener, liberaler Mann. Er und seine Deckoffizierskameraden ersparten Wilhelmshaven die Blutopfer, die Kiel erleiden mußte.

Gegen Mittag des 13. März erschien beim Stationschef Ostsee in Kiel ein junger Leutnant in Zivil. Er kam im Auftrag des Generals von Lüttwitz aus Berlin und wollte Konteradmiral Magnus von Levetzow, schon im kaiserlichen Offizierskorps als Heißsporn bekannt, über die Pläne der Putschisten unterrichten. Der Admiral erließ gleich einen Aufruf, der den verfassungstreuen Kräften in Kiel klarmachte, woher jetzt der Wind wehte:

"In Berlin hat sich eine neue Regierung gebildet... Der Chef der Admiralität hat sich mit der Marine dieser Regierung zur Verfügung gestellt."

Für die Kieler Arbeiter, für Demokraten, Sozialisten und Kommunisten, klang dieser Aufruf wie das Signal der Gegenrevolution. Admiral von Levetzow hatte schon Mitte Januar unter dem vom Reichspräsidenten verhängten Ausnahmezustand die vollziehende Gewalt im Gouvernementbereich Kiel übernommen. Seine Notstandsherrschaft war gekennzeichnet durch Verbote und Einschüchterungsversuche gegenüber der Linkspresse. Jetzt antwortete die Kieler Arbeiterschaft mit dem Generalstreik.

Während der Admiral Salut schießen ließ und damit seinen Truppen erhöhte Alarmbereitschaft signalisierte, versammelten sich die aufgebrachten Anhänger der Arbeiterparteien auf dem Wilhelmplatz. Levetzows Beobachtungsflugzeug kreiste über ihnen, als sie eine Anti-Putsch-Regierung unter Führung des Sozialdemokraten Garbe proklamierten. die an Stelle des Admirals die vollziehende Gewalt übernehmen sollte. Auch der sozialdemokratische Universitätsprofessor Gustav Radbruch (SPD-Mitglied seit 1919, später Reichsjustizminister) gehörte dieser provisorischen Gegenregierung an, die freilich - von den Ereignissen überrollt - niemals zusammentrat.

Denn bei dem Versuch, die Arbeiter für die alte Regierung zu mobilisieren und mit Waffen und Munition zu versorgen, kam es beim Marinearsenal und beim Depot Dietrichsdorf zu blutigen Zusammenstößen mit der Truppe. Die Arbeiter schossen zuerst. Vier Matrosen, zwei Offiziere und ein Zivilist fanden dabei den Tod. Garbe wurde als Anführer festgenommen. "Sie haben angefangen, die Blutschuld kommt auf Ihr Haupt", warf der Admiral dem "Sozi" vor. Daß er selbst auf die illegale Seite geraten sein könnte, der Gedanke lag dem Stationschef fern.

Dabei hatte der Deckoffizierbund klipp und klar erklärt: "Der Putsch ist ein verbrecherischer Wahnsinn, den wir mit allen Mitteln bekämpfen werden." Doch anders als in Wilhelmshaven reichten in Kiel die Mittel der Deckoffiziere nicht aus. Schleswig-Holstein war ja nur eine preußische Provinz. In Preußen aber regierte jetzt Herr Kapp und nicht - wie in Oldenburg - eine verfassungstreue Landesregierung, die den verfassungstreuen Deckoffizieren helfen konnte, alle auf Trotha eingeschworenen Offiziere festzusetzen.

Auch Professor Radbruch wurde dem Admiral vorgeführt. Der Justizprofessor hielt dem Stationschef vor, daß sich die Marine und also auch die Ostseestation illoyal gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung verhalte, bekam darauf aber nur jene Ausrede zur Antwort, die er


Gustav Radbruch
in den nächsten Tagen noch bis zum Überdruß von Marineoffizieren hören sollte: Wir treiben keine Politik, wir sorgen nur für Ruhe und Ordnung. Und die Auflehnung verfassungstreuer Kräfte gegen den Putschisten Kapp bedeutete für diese angeblich so unpolitischen Herren eben nichts als Unruhe und Unordnung.

"Herr Professor, Sie haben sich zum Kommandanten meines Arsenals gemacht", schimpfte der Admiral. "Die Arbeiter haben sich in ungesetzmäßiger und unzulässiger Weise der Waffen bemächtigt."

"Nachdem sich die jetzige Regierung in ungesetzmäßiger und unzulässiger Weise der Herrschaft bemächtigt hat", gab der Professor bissig zurück.

Aber Levetzow ließ sich auf politische Diskussionen nicht ein und herrschte seinen Gefangenen an: "Verlassen Sie mein Zimmer, Herr Professor, Sie sind verhaftet."

Wer immer in diesen Tagen den Admiral fragte, ob er nun zur neuen Regierung Kapp oder zur alten verfassungsmäßigen Regierung Bauer halte, dem antwortete er: "Schalten Sie doch die Parole alte und neue Regierung aus. Diese Frage wird doch hier nicht in unserer Provinzecke entschieden, das wollen wir den Herren in Berlin überlassein. Ob Max oder Moritz den Ministersessel drückt, kann mir sehr gleichgültig sein. Wir haben uns lediglich an die Befehle der Admiralität zu halten." Inzwischen aber tat Magnus von Levetzow alles, um den neuen Berliner Herren in seiner "Provinzecke" den Boden zu bereiten. Er

  • setzte kurzerhand - "kraft meiner vollziehenden Gewalt" - den als reaktionär verschrienen früheren Kieler Oberbürgermeister Lindemann auf den Stuhl des Oberpräsidenten;
  • sperrte den rechtmäßigen Oberpräsidenten Kürbis (SPD) ein;
  • ließ dem erkrankten sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Poller, der ihm zu viel telefonierte, "die Strippe durchschneiden";
  • sorgte dafür, daß Flugblätter der Kapp-Regierung verteilt oder von Flugzeugen abgeworfen wurden;
  • schickte dem kappistischen Bürgermeister von Eckernförde zwei Torpedoboote zu Hilfe gegen die aufgebrachten Arbeiter; und
  • verbot alle Kieler Zeitungen, versuchte aber gleichwohl, den Journalisten auf einer Pressekonferenz Erfolgsberichte der Kapp-Regierung schmackhaft zu machen - Berichte, von denen er später selber sagte, er habe sie schon damals als "Lügenmeldungen" durchschaut.

Den verfassungstreuen Kieler Politikern riß endlich der Geduldsfaden. Am Nachmittag des 17. März, wenige Stunden vor Kapps Rücktritt, forderten Vertreter aller demokratischen Parteien Admiral von Levetzow auf, von seinem Posten als Gouverneur und Notstandsbefehlshaber zurückzutreten. Gleichzeitig verlangten sie den Rücktritt der von ihm eingesetzten Kapp-Beamten. Erst wenn er diesen Forderungen nachkomme, würde in Kiel die Arbeit wieder aufgenommen.

Levetzow antwortete mit einer scharfen Erklärung: "Ich weise diese mir als Gouverneur und Militärbefehlshaber und damit auch der Marine erwiesene Herausforderung zurück... Ebenso muß ich die Forderung auf Absetzung des Oberpräsidenten Lindemann, des Polizeipräsidenten von Löw und des Chefs der Sicherheitspolizei, des Majors von Winterfeldt, zurückweisen und werde mich mit meinen Truppen für sie einsetzen."

Lindemann, Löw und Winterfeldt traten dann freiwillig zurück, als das dilettantische Kapp-Unternehmen in Berlin am Abend des 17. März endgültig zusammenbrach. Die Verschwörer scheiterten daran, daß sie nicht genau


Kapp vor dem Abflug ins Exil
wußten, was sie wollten. Die süddeutschen Garnisonen hatten von Anfang an nicht mitgemacht. Von Stuttgart aus gewann die verfassungsmäßige Regierung in Zusammenarbeit mit den loyalen Beamten in den Berliner Ministerien immer mehr an Boden. Kapp trat ab und floh per Flugzeug nach Schweden.

Nur der Kieler Notstandsadmiral Levetzow weigerte sich immer noch, Konsequenzen zu ziehen. Auf einmal wurde ihm der Unterschied zwischen alter und neuer Regierung wieder sehr wichtig: Die alte hatte ihn als Gouverneur eingesetzt, nur auf ihren Befehl wollte er abtreten.

Als dieser Befehl am nächsten Vormittag endlich eintraf, lieferten sich in Kiel Arbeiter und Truppen heftige Straßenkämpfe. Wer dabei den ersten Schuß abgab, ist bis heute umstritten geblieben. Die Atmosphäre hatte sich während der Putschtage immer stärker mit Haß und Mißtrauen aufgeladen. Jetzt, da in Berlin alles vorüber war. entlud sich in Kiel die Spannung in Gewehrschüssen und MG-Salven. Viele Arbeiter, ohnehin auf die zumeist monarchistisch und republikfeindlich denkenden Marineoffiziere schlecht zu sprechen, wollten bei dieser Gelegenheit die 1918 erstickte Revolution wieder aufleben lassen. Die meisten Offiziere aber glaubten. Kapps Ende bedeute den Sieg des Bolschewismus. Ergebnis: 63 Tote, 182 Verletzte.

Erst am nächsten Tag sah Admiral von Levetzow ein, daß er nicht mehr alle Truppen hinter sich hatte, daß sein Spiel verloren war. Von einer Pinasse ließ er sich aus dem Kieler Hafen bringen und in der Hohwachter Bucht an Land setzen - in Zivil. Als Levetzow mit dem Wagen die ostholsteinische Stadt Lütjenburg passierte, wurde er verhaftet.

Der Kieler Notstandsadmiral, dessen System von Ruhe und Ordnung mit Blut, Tod und Gewalttat endete, wurde freilich ebenso wenig bestraft wie sein Vorgesetzter in Berlin, dessen Meuterei von oben die Reichsmarine in eine so schwere Autoritätskrise stürzte, daß ihren Offizieren für mehrere Wochen die Kommandogewalt aus den Händen genommen werden mußte. Im Gegenteil, die Herren Admirale konnten sich noch von allerhöchster Stelle bestätigt und gerechtfertigt fühlen, als der Reichspräsident drei Monate später einen windelweichen Erlaß an die Marine richtete.

Erst dankte Ebert in diesem Erlaß allen denen, "die in den Tagen der Unruhen treu zur Reichsverfassung und zur verfassungsmäßigen Regierung gestanden haben". Dann aber schloß er in den "Dank des Vaterlandes" ausdrücklich auch die Trothas und Levetzows ein, "die sich um Ruhe und Ordnung... bemüht haben".

Den wahren Dank des Vaterlandes durften Trotha und Levetzow erst dreizehn Jahre später ernten. Da war ein Mann in Deutschland an die Macht gekommen, der ihre Vorstellungen von Ruhe und Ordnung noch besser zu würdigen wußte. Herrn von Levetzow machte der "Führer" zum Polizeipräsidenten in Berlin. Herrn von Trotha zum Idol der Marine-Hitlerjugend.

stern, 12/ 1970

*

Ergänzung: Schon um die Jahreswende 1919/1920 erließ Admiral Meurer in Kiel an die Ostseestreitkräfte folgende Erklärung:

Seitdem des deutschen Reiches Unterhändler Erzberger im November 1918 zum Erstaunen unserer Feinde die vernichtenden Waffenstillstandsbedingungen widerstandslos und bedingungslos angenommen hat, ist es mit dem Ansehen und der Kraft Deutschlands Schritt für Schritt über die Annahme des Schmachfriedens und der schamlosen Auslieferungsparagraphen abwärts geganden bis zur völligen Selbstvernichtung.

Der Admiral musste daraufhin seinen Abschied nehmen. Andere, die so dachten wie er, durften bleiben.

Umfassende Informationen zum Kapp-Putsch in Kiel finden sich auf der Homepage von Renate und Klaus Kuhl: www.kurkuhl.de

16. März 1968:
Massaker von My Lai


Kurz nach Sonnenaufgang bricht eine etwa 80 Mann starke Abteilung US Soldaten der Charly Kompanie unter dem Kommando des vierundzwanzigjährigen Lieutenants William L. Calley mit Helikoptern vom Stützpunkt Chu Lai in Richtung des im nördlichen Südvietnam liegenden Dorfes My Lai auf. Mit dabei ist auch ein Pressefotograf der Armeezeitschrift „Stars & Stripes“, Ron Haeberle. Es scheint eine der vielen „Search & Destroy“-Missionen zu sein, mit denen die US-Truppen im Vietnamkrieg „Nester“ des Vietcong ausheben, oder die mit diesem sympathisierenden Bauern von ihrer Unterstützung abhalten wollen. Doch dieses Mal gehen die Soldaten noch brutaler als gewöhnlich vor. Obwohl kein Widerstand geleistet, und keine Vietcong-Truppen gefunden werden, eröffnen die Soldaten das Feuer auf unbewaffnete Zivilisten. Kelly und seine Leute treiben die Einwohner aus ihren Häusern, erschießen sie mit Maschinengewehrsalven oder lassen Handgranaten in den Erdlöchern detonieren, die der Bevölkerung gegen die pausenlos im Einsatz stehende amerikanische Luftwaffe und Artillerie Schutz bieten sollten.
Insgesamt töteten die GI´s 507 Menschen, unter ihnen 107 Kinder, 70 Babys und 60 Greise. Der einzige Soldat, der sich bei dem Einsatz nicht eines Verbrechens schuldig machte, war der Aufklärungspilot Hugh Thompson, dem es sogar gelang, Vietnamesen zu evakuieren, und der später mit seinem Bericht zur Aufklärung des Geschehens beitrug.

Nach dem Massaker händigte Haeberle der Armeeführung vierzig Schwarzweißfotos aus. 18 Bilder, die er auf einem Farbfilm gemacht hatte, behielt er für sich, veröffentlichte sie jedoch erst nach seinem Ausscheiden aus dem Armee-Pressedienst. Mit den "offiziellen" Fotos versuchte die Army zunächst, das Massaker als einen großen Sieg über den Feind darzustellen, mit einer glänzenden Bodycount-Bilanz von 128 zu 0. Die Berichte von Thompson und seiner Besatzung wurden vom Kommandeur der Einheit ignoriert, und die Angelegenheit vertuscht.

Es dauerte über ein Jahr, bis die Aufklärung in Gang kam. Ende April 1968 kam der Soldat Roland Ridenhour nach Chu Lai. Er war gerade zwanzig Jahre alt und traf im Stützpunkt alte Freunde. Einer von ihnen, der in My Lai dabei war, erzählt ihm die ganze Geschichte. Ridenhour wollte es zunächst nicht glauben und befragte andere Soldaten der Kompanie. Angesichts von 12 übereinstimmenden Berichten war er schließlich davon überzeugt, dass da ein Massaker stattgefunden hatte. Am 29. März 1969 verfasste er einen Brief, den er an Kongressmitglieder, Senatoren, Verteidigungs- und Kriegsministerium sowie hohe Offiziere schickte, mit allen Namen der befragten Zeugen. Er erhielt nur drei positive Reaktionen, das Verteidigungsministerium sprach von einem "Brief, der Anspielungen enthält auf Gerüchte, die im Umlauf sind über angebliche Grausamkeiten seiner Kameraden". Schließlich wurden auf hartnäckigen Nachfragens von Ridenhour und wenigen anderen doch ernsthafte Untersuchungen eingeleitet, und Zeugen befragt. Viele Soldaten, darunter Calleys unmittelbarer Vorgesetzter, Captain Medina, verweigerten die Aussage, doch u.a. mit Hilfe der Aussagen Thompsons und dessen Besatzung wurde Lieutenant Calley im September vor Gericht gestellt, was AP meldete, aber von keiner Zeitung übernommen wurde.
Schließlich wurde der Journalist Seymour Hersh von einem Freund auf die Sache aufmerksam gemacht, interviewte Calley und einige andere. Seinen ersten Bericht bot er Life, Look und anderen Magazinen an, keiner wollte ihn: Das alles sei doch alltäglich im Vietnamkrieg. Erst das eifrige Telefonieren eines Freundes, der eine kleine Nachrichtenagentur hatte, brachte den Durchbruch. Am 13. November erschien ein Artikel über die Verhaftung Calleys in 35 Zeitungen gleichzeitig (unter anderem in der New York Times). Jetzt kamen auch Haeberles Farbfotos in einem Bericht des Life-Magazins an die Öffentlichkeit, Beteiligte wurden im Fernsehen interviewt, und die Sache wurde weltweit bekannt. Die Den Haager Tageszeitung Het Vrije Volk schrieb: "Die Amerikaner massakrieren diejenigen, die sie beschützen wollten. Es ist die Bankrotterklärung der Politik der USA in Vietnam."

Calley, zu lebenslänglicher Haft verurteilt, wurde nach drei Tagen auf persönliche Intervention Nixons aus dem Gefängnis entlassen. Keiner der sonst für das Massaker oder die Vertuschung verantwortlichen Personen wurde ansonsten zur Rechenschaft gezogen. Und der Soldat Ridenhour, der die Aufklärung initiiert hatte, wurde in Teilen der konservativen Presse als "Verräter, Dreckskerl, Agent von Hanoi, Kommunist, Jude und eine Schande für unsere Gesellschaft" beschimpft.
My Lai ist heute eine Gedenkstätte. Die Überlebenden und ihre Nachkommen besuchen den jetzt unbewohnten Ort, um zu trauern.Am dreißigsten Jahrestag des Massakers besuchte Hugh Thompson My Lai , im Andenken an den 16. März 1968. Kein Soldat der Charly Company kehrte dorthin zurück, um Abbitte zu leisten. Weder während des Krieges, noch in jüngster Vergangenheit.


7. April 1919:
Bayerische Räterepublik wird ausgerufen

An diesem Tag wurde in München auf einer Versammlung, an der MSPD (Mehrheits-SPD)-Minister, Arbeiterräte und die Schwabinger "Kaffeehausanarchisten" teilnahmen, die Räterepublik ausgerufen.

Bayern war vor dem 1. Weltkrieg hauptsächlich landwirtschaftlich geprägt, erst die Kriegswirtschaft änderte etwas den Charakter von München. So baute Krupp eine Munitionsfabrik mit 6000 ArbeiterInnen auf, was bei 600 000 Einwohner eine beträchtliche Zahl war. Diese ArbeiterInnen kamen auch teilweise aus dem Norden und standen in einer viel radikaleren Tradition als bayerischen ArbeiterInnen. In der SPD dominierten vor dem Krieg die AnhängerInnen Eduard Bernsteins, also des reformistischen "rechten" Flügels. Im Krieg spaltete sich die USPD (Unabhängige-SPD) ab, deren bekanntester Politiker Kurt Eisner war, der wegen seiner Rolle in den großen Januarstreiks 1918 gegen den Krieg bekannt wurde.

Im November 1918 erfuhr die Antikriegsbewegung durch die Nachrichten von der Revolution in Österreich und den Matrosenaufständen einen neuen Aufschwung. Die MSPD und USPD riefen am 7.11. zu einem Generalstreik auf. An diesem beteiligten sich auch bewaffnete Matrosen und Soldaten, die von der Theresienwiese (Ort der Wiesn) unter der Führung von Eisner und des linken Bauernbundführers Ludwig Gandorfer loszogen, die Soldaten in den Kasernen dazu brachten sich dem Aufstand anzuschließen und schließlich vor dem Parlament den "Freistaat Bayern" proklamierten. Der König und die alten Regierung flohen. Die MSPD wurde von den Ereignissen total überrollt und mußte sich erstmal den Gegebenheiten beugen. Eine neue provisorische Regierung bestehend aus MSPD und USPD wurde eingesetzt, die den 8-Stunden-Tag und das Frauenwahlrecht einführte. Gleichzeitig entstanden bis zu 8000 Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte in jeder größeren Gemeinde und Stadt Bayerns. Der sozialistische Ursprung des "Freistaats Bayern" wird von der CSU heute natürlich total verdrängt.

Die provisorische Regierung unter Eisner stand auf tönernen Füßen. Eisner schwebte eine Kombination von Räten und Parlament vor. Die MSPD und die bürgerlichen Parteien wollten hingegen die Räte zerschlagen und eine parlamentarische Demokratie errichten. Die Mehrheit der Münchner ArbeiterInnen wollte hingegen eine Räterepublik. Die von der MSPD durchgesetzten Landtagswahlen am 13.1.1919 führten zu einer Niederlage der Linken. Die USPD erhielt nur 3% der Stimmen, die MSPD dagegen 33% die konservative Bayerische Volkspartei sogar 55%. Die KPD hatte die Wahl boykottiert. Eisner fügte sich der neuen Mehrheit und plante für die erste Sitzung am 21. Februar seinen Rücktritt als Ministerpräsident. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Auf dem Weg zum Landtag ermordete der Leutnant Anton Graf von Arco-Valley den Ministerpräsidenten. Arco stand der rechtsradikalen Thule-Gesellschaft nahe, die auch an der Gründung der NSDAP beteiligt war. Zum Dank für diese Mordtat sollte Arco später zum Lufthansa-Direktor ernannt werden!

Der Mord radikalisierte die Münchner ArbeiterInnen weiter. Der MSPD-Vorsitzende Erhard Auer, der für den Mord verantwortlich gemacht wurde, wurde durch den Anarchisten Lindner schwer verletzt, das Parlament wurde auseinander getrieben. In München wurde ein Zentralrat der bayerischen Räte gebildet, der eine Art Regierung bildete und das Zusammentreten des Landtags verhinderte. Auf einem Kongreß der Räte konnte aber keine Entscheidung getroffen werden. Am 18. März wurde eine neue Regierung unter Johannes Hoffmann (MSPD) gebildet, der auch der Vorsitzende der Arbeiterräte Ernst Niekisch beitrat. Diese war aber machtlos und wurde zudem durch internen Meinungsverschiedenheiten über Sozialisierung der Industrie lahmgelegt.

Während sich die Versorgung der Bevölkerung immer mehr verschlechterte, stellten die Arbeiterräte in Österreich und die Ausrufung der Räterepublik in Ungarn am 22.3 eine Hoffnung dar. Vielen Arbeiter schien eine Reihe von Räterepubliken von Bayern bis Moskau möglich. Die sozialdemokratische Basis in Südbayern stimmte für eine Räterepublik, eine Versammlung der Räte in Augsburg am 4.4. schloß sich dem an.

Darauf wurde im Ministerium des rechten sozialdemokratischen Kriegsministers Schneppenhorst eine Versammlung einberufen, an der auch zahlreiche anarchistisch beeinflußte Künstler teilnahmen. Diese Versammlung beschloß am 7.4. die Bildung einer Räterepublik. Die KPD lehnte dies ab, da sie das ganze als Operetten-Räterepublik ansah und die Ausrufung für verfrüht hielt. Eugen Leviné, der die KPD in München neu organisierte, begründete die Ablehnung so:
Zitat:
Wir Kommunisten hegen das größte Mißtrauen gegen eine Räterepublik, deren Träger die sozialdemokratischen Minister Schneppenhorst und Dürr sind, die die ganze Zeit den Rätegedanken mit allen Mitteln bekämpft haben. Wir können uns es nur als einen Versuch bankrotter Führer, durch eine scheinbare revolutionäre Aktion den Anschluß an die Massen zu gewinnen, oder als bewußte Provokation erklären.
Wir wissen aus Beispielen in Norddeutschland, dass die Mehrheitssozialisten häufig bestrebt waren, verfrühte Aktionen ins Leben zu rufen, um sie desto erfolgreicher abwürgen zu können.

Eine Räterepublik wird nicht vom grünen Tisch proklamiert, sie ist das Ergebnis von ernsten Kämpfen des Proletariats und seines Sieges. Das Münchner Proletariat steht noch vor solchen entscheidenden Kämpfen.

Nach dem ersten Rausch wird folgendes eintreten: Die Mehrheitssozialisten würden sich unter den ersten besten Vorwand zurückziehen und das Proletariat bewußt verraten. Die USPD würde mitmachen, dann umfallen, anfangen zu schwanken, zu verhandeln und dadurch zum unbewußten Verräter werden. Und wir Kommunisten würden mit dem Blut unserer Besten eure Taten bezahlen ... Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub. Dessen bin ich mir bewußt.
Diese Räterepublik bestand nur auf dem Papier. Sie hatte keine Verbindung zu den lokalen Räten. Die MSPD-Mitglieder der Räteregierung, unter ihnen Schneppenhorst, setzten sich ab und organisierten in Bamberg mit der geflohenen Regierung Hoffmann Truppen um die Räte zu zerschlagen. Ihre Zustimmung zur Rätedemokratie scheint nur dadurch motiviert gewesen zu sein, die Verantwortung für die Versorgungsprobleme der KPD zuschieben zu können um diese effektiver bekämpfen zu können.

Die Räteregierung bestand nach dem Rückzug der MSPD aus dem expressionistischen Dichter Ernst Toller und anderen Mitgliedern von Eisners ehemaligen Künstlerstammtisch wie Erich Mühsam und Gustav Landauer. Ihr Kommissar für auswärtige Angelegenheiten wurde Dr. Lipp, der anscheinend psychisch gestört war und der Schweiz und Württemberg den Krieg erklärt hatte, da diese ihm keine Lokomotiven geliefert hatten. Er schrieb an Lenin:
Zitat:
Oberbayerns Proletariat ist glücklich siegreich... Aber der flüchtige Hoffmann hat die Schlüssel für meine Toilette im Ministerium mitgenommen.
Dieser Operetten-Rat hatte aber größere Probleme als Toilettenschlüssel. Hoffmann hatte über 8000 Soldaten zusammengezogen um München anzugreifen. Eine kleinbürgerliche, MSPD-nahe Einheit, die "Republikanische Schutzwehr" versuchte am 13.4. München zu besetzen. Dies wurde aber von Arbeitern und Soldaten unter der Führung des Matrosen Rudi Eglhofer vereitelt.

Dieser konterrevolutionäre Aufstand machte deutlich, wie groß die Gefährdung durch Regierung Hoffmann war und gleichzeitig wie schwach der Operetten-Rat der Künstler war. Die KPD wurde gedrängt eine wirkliche Räterepublik zu errichten. Obwohl ihr eigentlich die Hoffnungslosigkeit der Situation klar war, - das revolutionäre München stand in Bayern und deutschlandweit isoliert da - machte sich die KPD an den Aufbau der Zweiten Räterepublik. Am 14.4 wurde der Generalstreik ausgerufen, an dem sich auch Angestellte und untere Beamte beteiligten. Die Räte in den Betrieben wurde neu gewählt und auf diese der neue Vollzugsrat der Arbeiterräte gestützt. Das Bürgertum wurde entwaffnet, Nahrungsmittelvorräte und Autos der Reichen beschlagnahmt und die Banken unter die Aufsicht der Räte gestellt. Auch die Verwaltung wurde den Räten übertragen (in der Ersten Räterepublik der Künstler hatten noch die alten monarchistischen Beamten die Kontrolle gehabt). Eglhofer, der die Abwehr des Putsches am 13.4. organisierte, baute eine Rote Armee mit 15 000 Bewaffneten auf, die auch die Truppen Hoffmanns am 20.4. bei Dachau zurückschlagen konnten.

In einem offiziellen Bericht der Regierung Hoffman vom 23.4.19 wurde die Situation so geschildert:
Zitat:
Immer wieder konnte man in den Gesprächen auf der Straße hören, dass Bayern berufen sei, die Weltrevolution in Gang zu bringen, dass jetzt die ganze Welt auf Bayern sehe, usw. Die Sprecher waren oft ganz vernünftige Leute. Immer wieder wurde auch betont, dass Bayern von der Reichsregierung nichts wissen wolle.

Es wäre ein unglücklicher Irrtum, wenn geglaubt wird, dass in München eine ebenso klare Scheidung zwischen Spartakusleuten und anderen Sozialisten wie zum Beispiel in Berlin besteht. Denn auch die augenblickliche Politik der Kommunisten richtet ihr Augenmerk darauf, dass die gesamte Arbeiterschaft unter dem Schlagwort gegen den Kapitalismus und für die Weltrevolution zu einigen.
Das alles half aber nicht gegen die Isolation Münchens. Die Nahrungsmittelvorräte wurden immer knapper. Gleichzeitig begann eine Hetzkampagne von Seiten der Bürgerlichen und der MSPD. Toller und andere USPD-Mitglieder, die zwei Wochen zuvor die KPD gedrängt hatten die Regierung zu übernehmen, begannen die Kommunisten für die Probleme verantwortlich zu machen. Leviné, der Vorsitzende des Vollzugrates, versuchte die Räterepublik durch Verhandlungen zu beenden. Aber es war zu spät. Hoffmann hatte sich an Reichswehrminister Noske gewannt und bekam als Unterstützung 30 000 Mann starke Freikorpsverbände unter General Oven. Unter diesen auch die Brigade Erhardt, die später am Kapp-Putsch beteiligt war (siehe Remember vom 13. März 1920 )

http://www.uoregon.edu/~klio/im/weimar/kapp-putsch.jpg

Die Freikorps marschierten am 1. Mai 1919 in München ein. Sie veranstalteten ein furchtbares Massaker, dem auch vollkommen unbeteiligte zum Opfer vielen. Gerechtfertigt wurde dies mit der Erschießung von zehn Geiseln durch die Rote Armee während der Kämpfe. Die Geiseln waren hauptsächlich Mitglieder der antisemitischen Thule-Gesellschaft, einer der Vorläufer der NSDAP (Rudolf Heß, eine der Führer der Thule-Gesellschaft war leider nicht dabei). Nach dem Massaker wurden eine große Zahl von politischen Gefangen von den Militärs und später von der Regierung Hoffmann hingerichtet. Bezeichnend ist die Reaktion des Staates im Vergleich zu späteren rechten Putschen (Kapp-Putsch, Hitler-Putsch). Im Falle der Bayerischen Räterepublik wurden 2209 Menschen hingerichtet und die Überlebenden wurden zu zusammen 4092 Jahre verurteilt. Die Rechten hingegen wurde entweder gar nicht oder sehr mild bestraft. Die MSPD-Regierung Hoffmann blieb bis zum März 1920 im Amt. Aber es rächte sich, dass sie sich der rechtsradikalen Freikorps bediente. Die Rechte stütze sich auf diese bei dem Sturz der Regierung während des Kapp-Putsches und konnten sie auch danach halten. Die Niederschlagung der Bayerischen Räterepublik machte Bayern für die restliche Weimarer Republik zu einer Bastion der Rechten.