Besuch im Reich der Frauen
vermeidet, um nicht über sie sprechen zu müssen; daß ein Mann seine Männlichkeit unter
Männern lernt und daß die Kommunikation mit Frauen für ihn die Ausnahme darstellt.
Es gibt allerdings eine Phase im Leben des Mannes, in der er sich auf die Kommunikation
mit Frauen einstellt: während der Phase der Verliebtheit und der Zeit, in der er um sie
wirbt. Da wirkt er wie verwandelt. Da ist er zärtlicher, mitfühlender und aufmerksamer als
jede Frau. Da achtet er auf jede ihrer Regungen. Da verfügt er plötzlich über die Fähigkeit,
ihre Gefühle wahrzunehmen. Und ebenso plötzlich erwirbt er damit die Gabe der
Konversation. Alles, was sie betrifft, findet nun sein Interesse. Er folgt ihren Bemerkungen in
jede Untiefe. Und nichts ist ihm zu abwegig, als daß er nicht darauf einginge. Sie benutzt
ihre Sprunghaftigkeit geradezu als Testverfahren, um zu prüfen, wie geistvoll er ist und wie
weit es ihm gelingt, thematisch mit ihr in Verbindung zu bleiben. Die Konversation wird nun
zum Versteckspiel und zur heimlichen Flucht, um seine Beweglichkeit zu prüfen. Kurzum, sie
wird zum Flirt.
Auf einmal beweist er seine Fähigkeit, »Weiblich« zu sprechen. Er bestätigt alles, was sie
sagt. Er spricht nur noch über persönliche Dinge. Dabei unterdrückt er jeden Anlaß zum
Streit oder auch nur zur Uneinigkeit. Dafür hat die Kultur besondere »poetische« Gegenstände
vorgesehen, die alle mit Ferne und Vagheit zu tun haben: etwa den Mond oder den Wind im
Schilf. Über sie kann man sich beim besten Willen nicht streiten. Sie eignen sich deshalb als
Gesprächsthemen, an denen man den Gleichklang der Seelen wahrnehmen kann: der nächtliche
Himmel, die goldenen Sterne, der Wald, der schwarz steht und schweiget, der weiße Nebel
wunderbar, das Rauschen des Windes, das Plätschern des Wassers. All dies sind poetische
Gegenstände, um deren Interpretationen man nicht konkurrieren kann. Sowohl Flirt als auch
romantisches Gefühl drücken die glückliche Verschmelzung der Seelen aus.
Diese bemerkenswerte Wandlung wird bewirkt durch einen radikalen Bruch in der
Selbstwahrnehmung des Mannes ermöglicht. In der Liebe ist es ihm gestattet, auch seine
eigenen Gefühle wahrzunehmen. Die Kultur hat dafür einen erlaubten Ausnahmezustand
vorgesehen. Es handelt sich um einen temporär erlaubten Wahnsinn, eine anerkannte
Krankheit, ein zeitweiliges Fieber. Wir werden auf diesen Karneval des Gefühls noch genauer
eingehen. Hier genügt die Feststellung, daß dieser Zustand, wie der Karneval, zeitlich
begrenzt ist. Danach verliert der Mann die Fähigkeit wieder, Gefühle auszudrücken oder sie
wahrzunehmen. Er wirft sie ab, so wie der Hirsch das Geweih. Und die Frau steht plötzlich
wieder allein da und fragt sich, wohin der Gefährte entschwunden ist. Nun, wir wissen, wo
er ist. Er ist zur inneren Männerhorde zurückgekehrt.
Man kann sich das so vorstellen: Während der Verliebtheit ist der Mann auf der Reise. Er
macht Ferien von der Anstrengung des männlichen Daseins, von seiner Roheit, seiner
Langeweile und seinen immer gleichen Ritualen. Er ist auf einem beseeligenden Trip. Aber
wie ein Karibik.Tourist nach Wochen tropischer Nächte am Strand die ewigen Daiquiris
leid wird und sich nach einer handfesten Bürointrige sehnt, wie er sich dabei ertappt, nach
einer heimatlichen Zeitung zu suchen, wie er nach Botschaften aus dem Alltag giert und eine
Sehnsucht nach seinen Arbeitskollegen empfindet, so entdeckt der verliebte Tourist im Land
der Frauen plötzlich sein Heimweh nach dem Reich der Männlichkeit. Er träumt von den
herzhaften Frotzeleien unter Männern. Er sehnt sich nach einem munteren Kampfspiel im
Beruf. Nach einer kleinen blutigen Jagd mit interessanten Strategiebesprechungen. Nach dem
herzhaften Gefühl der kollektiven Kameradschaft. Und nachdem sie beobachtet hat, wie er
immer unruhiger und nervöser wurde, findet sie nach einem Einkaufsbummel auf dem
Küchentisch einen Zettel mit der Botschaft: »Sorry Liebling. Dringender Anruf von Arnold.
Mußte zurück zur Truppe: ein Notfall. Ich hasse das genauso wie Du. Es war wunderbar mit
Dir. Ich liebe Dich. Ich rufe Dich an. Dein Bärchen.«
Rückkehr zu den Männern
Wenn das eintritt, ist der Trip der Verliebtheit zu Ende. Der Mann war für eine kurze Zeit
der Intensivkommunikation ins Reich der Frauen eingekehrt und hat festgestellt, daß ihn die
Beschäftigung mit den Gezeiten ihrer Gemütslage auf die Dauer nicht zu fesseln vermag.
Ihm erscheinen die Auskünfte über den Seelenzustand wie der Wetterbericht: völlig
unberechenbar. Mal ist es sonnig, mal regnet es; mal ist es wolkig; mal ist es stürmisch und
mal windstill. Er kann keine Ordnung in diesen fließenden Verhältnissen entdecken. Es gibt
keine Entwicklung, keine Logik, keinen Zusammenhang und keine Gründe. Die Faszination mit
dem Konturlosen ist ihm unverständlich. Zur Organisation der Welt braucht man Differenzen.
Und die braucht man auch für den Kampf und die Konkurrenz. Die Mikrologie der
Selbstbeobachtung dagegen ist ihm fremd. Sie überfordert sein Wahrnehmungsvermögen. So
wie ein Mitteleuropäer die 120 Ausdrücke für »Schnee« für überflüssig hält, über die ein
Eskimo verfügt, so hat ein Mann keine Verwendung für die Genauigkeit, mit der Frauen
zwischen 120 Nuancen des Wohlgefühls und 230 Nuancen des Sich.unwohl.Fühlens
unterscheiden. Diese lyrische Beschreibungsgenauigkeit ist ihm unverständlich. Diese
Faszination mit der vegetativen Daseinsstimmung gehört nicht zu seinem Lebensgefühl. Er
meditiert nicht über das Licht in den Wassertropfen. Er pflegt keine Pflanzen und Blumen. Er
beobachtet nicht das Atmen der Kinder im Schlaf. Und er ruht auch nicht so tief in seinem
Körper. Statt dessen verfügt er über ihn wie über ein Instrument. Er ist nicht ein Körper,
sondern er hat ihn. Sie ist Mutter Erde, die ruht. Aber er ist mobil wie der Wind. Vereinigen
sie sich, so küßt der Himmel die Erde, und es fügen sich Körper und Geist zu einem neuen
Menschen zusammen. Stirbt dieser, kehrt die Seele zum Himmel und der Leib zur Erde
zurück. Über die Seele wacht der Priester in der Kirche, die Gräber aber pflegen die Frauen.
Und nach dem Tod der Liebe kehrt der Mann auch zur Sprache der Männer zurück. Dann
wird sie versuchen, mit ihm über seine Rückverwandlung zu kommunizieren. Sie möchte ihm
klarmachen, daß sein herablassender Belehrungsstil, seine Monologe und seine pompöse
Gespreiztheit wie ein eiserner Vorhang wirken; daß er nicht mehr auf sie eingeht und
rücksichtslos über ihre Wünsche hinwegtrampelt. Daß er nicht mehr zuhört, sie ständig
unterbricht, sie abkanzelt, ihre Beiträge entwertet und sie in Gesellschaft übergeht, so als ob
sie gar nicht vorhanden wäre.
Aber diese Versuche führen in sogenannte seltsame Schleifen. Tritt sie mit dem Anspruch
auf, daß ihr Kommunikationsstil zivilisierter sei als sein Konkurrenzverhalten, dann
konkurriert sie mit ihm und bestätigt damit wieder seinen Konkurrenzstil. Weil sie ja mit ihm
konkurriert. Solche seltsamen Schleifen führen dazu, daß man sich endlos im Kreise dreht.
Das ergibt zwar eine stabile Beziehung, aber macht sie zugleich deprimierend und monoton.
Die Stabilität wird dann getragen von der Stabilität des Konflikts. Rotiert man als
Gefangener solcher seltsamen Schleifen immer durch die gleiche Umlaufbahn, muß man sich
vom gesunden Menschenverstand lösen und etwas tun, was gegen ihn verstößt: etwa den
Mann bitten, einen besonders umständlichen Monolog zu halten. Das wird ihn sofort
mißtrauisch machen, denn weil er ständig rivalisiert, neigt er dazu, Wünsche gerade nicht zu
erfüllen. Sie kann auch versuchen, ihm zu verbieten, liebenswürdig, höflich und
zuvorkommend zu sein. Von ihr läßt er sich gar nichts sagen . und so wird er sofort seine
Freiheit beweisen wollen, indem er das Verbot durchbricht. Wenn er das tut, hat sie ihn da,
wo sie ihn haben will.
Man hat diese Technik bei der Behandlung von Schizophrenen und Zwangsneurotikern
entwickelt und spricht dann von Symptomverschreibung. Wenn etwa ein Mensch unter
Waschzwang leidet, hört er damit auf, wenn man ihn auffordert, sich zu waschen. Sein
Waschen war unwillkürlich und ungewollt. Er mußte sich waschen, weil er es nicht wollte.
Wäscht er sich nun bewußt und willentlich, kann er es nicht mehr unwillkürlich tun, und der
Zwang ist verschwunden. Es gibt keine andere Möglichkeit, aus Teufelskreisen auszubrechen.
Jede Frau sollte sich also vor Augen halten, daß ihre Überlegenheit in der Kommunikation zu
der Vernageltheit ihres Mannes beiträgt. Ihr Kommunikationsstil ist eindeutig differenzierter.
Spätestens wenn sie das betont, setzt sie sein Immunsystem in Gang. Ihre Kommunikation
muß also wie ein Virus seine Immunabwehr bezwingen. Das ist nur möglich, wenn man die
Eigendynamik der Abwehr berechnet und sie dazu zwingt, sich selbst zu torpedieren. Tut
man das nicht, endet man wie die Biene im umgekehrten Glas. Sie sucht immer den Ausgang
oben, wo das Licht herkommt; darin folgt sie dem Common sense der Bienen. Aber in diesem
Fall wäre es besser, ihn unten zu suchen, wo es dunkel ist. Viele Frauen erleiden das
Schicksal der Bienen.
Die Frau im Reich der Männer
Seit den Anfängen der Emanzipation sind die Frauen damit beschäftigt, das Reich der Politik
zu erobern. Sie dringen in die politischen Freundschaftszirkel und Kartelle der Männer ein.
Sie besetzen Positionen innerhalb der Parteien. Sie werden Chefs von Firmen und Behörden.
Und sie finden sich wieder in einem fremden Land.
Viele haben dabei Mühe, sich an die Landessitten zu gewöhnen. Das ist jedoch nötig, wollen
sie nicht nur Erfolg, sondern auch Freude an solchen Posten und ihren Tätigkeiten haben. Die
lauten Klagen, die man hört, lassen allerdings vermuten, daß viele Frauen ihren Aufenthalt in
diesem Soziotop nicht genießen. Denn sie haben die Sozialisation der Männer in der Horde
nicht mitgemacht. Deshalb mißverstehen sie den dort entwickelten ruppigen Sozialstil. Jeder
Angriff gegen einen Mann ist für den Angegriffenen auch ein Kompliment. An ihm kann er
die Wertschätzung durch den Angreifer ablesen. Zugleich gibt es ihm Gelegenheit, seine
eigene Kampfkraft vorzuführen. Viele Auseinandersetzungen sind wie Fingerhakeln. Es sind
spielerische Übungen, bei denen sich die Gegner gerade dann besonders schätzen, wenn sie
ungefähr gleich stark sind. Die Attacken machen ihnen dann Spaß.
Männer haben ihre Aggressionen ritualisiert und durch Regeln gebändigt. Dazu gehören wie
beim Sport die Regeln der Fairneß. Man hört auf, wenn der andere aufgibt und
Unterwerfungssignale aussendet. Man tritt nicht nach, wenn jemand am Boden liegt. Man
nimmt nicht endlos übel. Man nimmt nicht jeden Angriff persönlich. Man weiß, daß er zum
Schema männlicher Selbstdarstellung gehört. Daß ein Mann zur Auffrischung seines Image hin
und wieder jemanden attackieren muß. Man gehört eben zu einer Gemeinschaft, in der
ungeschriebene Gesetze gelten.
Frauen haben auch dann ihre Mühe mit den Landessitten, wenn sie sich schon lange im
Reich der Männer aufhalten. Sie übersetzen dann deren Verhalten in ihren »weiblichen«
Dialekt. Da ist ein Angriff eine Verletzung der Konvention. Man kann ihn deshalb nur
persönlich nehmen. Für eine Frau ist eine Attacke nur verständlich, wenn sie unterstellt, daß
der Gegner sie haßt, ihr schaden will oder schlichtweg bösartig ist. Sie schießt deshalb mit
verstärkter Feuerkraft zurück. Das überrascht wiederum den Mann. Er wird nach einem
sportlichen Routineangriff ernsthaft verletzt. Er findet das unfair und bösartig und kann das
nur mit erhöhter Empfindlichkeit erklären. Und so kommt es dazu, daß sich auf dem Felde
der Politik Männer und Frauen gegenseitig für aggressiv halten.
Auch das führt zu Paradoxien. Die Friedlicheren, also die Frauen, finden Friedensbrüche
besonders empörend, und weil sie sich moralisch im Recht fühlen, werden sie besonders
aggressiv. Die Aggressiveren . also die Männer . nehmen Aggressionen nicht übel. Sie
akzeptieren sie als notwendige Bestandteile des Lebens und haben sie deshalb sozial
reguliert. Daß Frauen sich nicht an diese Regeln halten, empfinden sie als anstrengend. Sie
nehmen nicht teil an der allgemeinen Vorverständigung und haben keinen Sinn für die
sportlichen Seiten der Konkurrenz.
In Gremiensitzungen geht es ihnen immer darum, möglichst schnell zu einem Ergebnis zu
kommen. Sie wissen nicht, daß ein Problem auch seine Schönheiten hat. Und daß eine
Ausschußsitzung auch ein Genuß sein kann. Und daß man deshalb aus der Tagesordnung ein
Maximum an Problematik herauspressen muß. Sie haben keinen Sinn dafür, daß eine Frage
erst, wie eine Traube, die richtige Reife haben muß, bevor man das Höchstmaß an
kontroversem Potential herausholen kann.
Die Öffentlichkeit wird weiblich
Nun ist es aber dabei nicht geblieben, daß einzelne Frauen im Reich der Öffentlichkeit
herumirren, ohne die Wege und Straßen zu kennen. Vielmehr hat sich das Verhältnis von
Öffentlichkeit und Privatheit seit der Kulturrevolution von 1968 in sich selbst verändert.
Bis dahin herrschte in der Öffentlichkeit ein autoritärer, machistischer Stil. Das war
besonders in Deutschland so. Während in den westlichen Nationen zur Zeit der Königshöfe
eine hauptstädtische Gesellschaft entstand, deren Verkehrsregeln sich an der Begegnung
beider Geschlechter herausbildeten, wurden in Deutschland zwei rein männliche Milieus
tonangebend: das Militär und die Universität. Das begründete den akademischen
Belehrungsstil und den militärischen Kommandoton in der Öffentlichkeit. Es war das Verdienst
der Studentenrevolte von 1968, daß sie diesem Sozialstil endgültig den Garaus gemacht hat.
In der Folge sorgten zwei Bewegungen dafür, daß der weibliche Sozialstil intimer
Kommunikation in der Öffentlichkeit als vorbildlich angeboten wurde. Das waren die Grünen
und die Vorreiter der Frauenbewegung. Auch sie betrieben symbolische Kampagnen. Plötzlich
wurde es in Hörsälen und bei öffentlichen Anlässen üblich, daß die Frauen ihr Strickzeug
auspackten. Oder Mütter brachten ihre herzigen Wonneproppen zu Parteitagen mit. Das hatte
zur Folge, daß der öffentliche Stil sehr viel zwangloser und lockerer wurde. Unpersönlichkeit
und Sachlichkeit wurden zu machistischen Sünden erklärt. Statt dessen wurde Authentizität
gefordert. Jeder sollte »sich einbringen«. Gelegentlich forderten die Grünen sogar »mehr
Zärtlichkeit im Bundestag«. Ein neues Zeitalter der Empfindsamkeit wurde ausgerufen.
Aggressionsverbote, die vor allem diskriminierte Minderheiten schützen sollten, wurden mit
Freundlichkeitsgeboten verbunden, um neue Sprachregulierungen zu begründen. Das alles lief
auf den Versuch hinaus, in der Öffentlichkeit »lieb« zueinander zu sein.
Man erhob Forderungen nach emotionaler Beteiligung. Das galt besonders bei Verfehlungen
anderer. Da zeigte man »Wut und Trauer« oder pauschal »Betroffenheit«. Mit Lichterketten
holte man das weihnachtliche Friedensfest auf die Straße.
Kein Zweifel: Die Frauen haben mit ihren Eroberungszügen ins Reich der Politik den Stil
öffentlicher Kommunikation verändert. Die Unterschiede zwischen öffentlich und privat sind
unschärfer geworden. In dem Versuch, den privaten Intimstil weiblicher Friedlichkeit offensiv
zu vertreten, sind die Frauen militanter geworden. Das hat sie den Männern ähnlicher
gemacht. Zugleich haben sie das Bombastische und die Gespreiztheit des männlichen
Imponiergehabes der Lächerlichkeit ausgesetzt, den autoritären Kommandostil moralisch
unmöglich gemacht und den Männern einen Stil der emotionalen Betroffenheit aufgezwungen,
der die schönsten Blüten der Heuchelei und der Schauspielkunst hervorbringt. Aber das eben
ist nicht das schlechteste: Ist doch die Heuchelei eine Verbeugung vor der Tugend.
Zugleich wurde die Abgrenzung des Männlichen gegen das Weibliche durchlöchert. Neue
männliche Typen tauchten aus dem Untergrund auf. Der Softie reichte den Frauen seine
schlaffe Hand über den Graben des Geschlechterkriegs hinweg und bat um die Erlaubnis, sich
einbringen zu dürfen. Der Schwule erhob keck sein Haupt und suchte nach jemandem, der
ihn diskriminieren könnte. Der Hausmann band die Schürze um und schickte seine
Karrierefrau hinaus ins feindliche Leben. Sie alle führten dem Mann vor, was er bisher
verdrängt hatte: die Möglichkeit, wie eine Frau zu sein.
Wir aber besichtigen jetzt einen Typen, der mit dieser verwandt ist. Dazu machen wir
wieder einen Abstecher in die Porträtgalerie.
Achter Abstecher in die Porträtgalerie der Männertypen: Der Entertainer
Dieser Typ bringt sich selbst zu Gehör. Er ist die Seele jeder Gruppe, die den Freuden der
Geselligkeit huldigt. Seine Stunde schlägt nach Sonnenuntergang, wenn die Feste und die
Cocktailparties beginnen. Er ist der König Karneval, der Herr über das Fest und die
Verkehrung der Ordnung. Als göttlicher Wagenlenker jagt er die Rosse der Stimmung über die
Ebene und scheucht mit dem Peitschenknall seines Witzes Rudel von Lachsalven auf. Um ihn
herum scharen sich die Bedürftigen, an die er freigebig die Gaben der Heiterkeit austeilt.
Dabei schöpft er aus der Fülle. Wo die Lachlust herrscht, gibt es keine Knappheit. Heiterkeit
gehört zu den Luxusgütern. Sie gibt es nur im Überfluß. Als Rinnsal würde sie lächerlich. Sie
muß schon als Flut daherkommen, die alles mit sich reißt.
Als Herr über die Fluten steht der Entertainer in einer merkwürdigen Beziehung zur
Männerhorde: Er macht sie hilflos. Er setzt die Männlichkeit außer Gefecht. Er reißt die
Verpanzerung ein und überflutet die Dämme des Ichs im Gelächter. Er bietet die einzige Form
neben seinem Verbündeten, dem Alkohol, in der der Mann sich auf erlaubte Weise von seiner
Männlichkeit erholen kann. Die Imponierfigur löst sich auf im großen Lachen. Der Macho
dankt ab. Der Pompöse, der Gespreizte, der Ernsthafte, der Moralische, der Imponiertyp .
hier fallen sie in sich zusammen. Deshalb hielten sich die Könige Alt.Europas ihren Narren
. wenn sie sonst niemand korrigierte, erinnerte er sie an ihre Fehlbarkeit. Wie der König
ragte auch er aus der Horde heraus. Aber das tat er gewissermaßen als Anti.Held. Machte
er nicht den König zum Gespött, dann sich selber.
Der Narr ist in dieser Eigenschaft auch ein Anti.Mann. Beleidigt man ihn, greift er nicht
zum Degen, sondern reagiert mit seinem scharfen Witz. Seine Domäne ist das Wortgefecht. In
ihm ist er ein Meister. Da führt er eine scharfe Klinge. Und so mancher bekommt das zu
spüren. Vor allem wieder die Imponiertypen. Sie läßt er am liebsten zur Ader, weil die
Fallhöhe ihrem Kollaps erst die richtige katastrophale Qualität verleiht.
Sein Publikum ist natürlich das Kollektiv der Horde. Ihm wirft er die wechselnden Opfer zum
Fraße vor. Und wollen sich diese nicht selbst isolieren, müssen sie gute Miene zum bösen
Spiel machen. Tun sie das, stärkt das ihre Verbundenheit mit der Horde. Im Grunde ist die
Stimmungskanone ein Spannungsverminderer. Er gibt den internen Aggressionen der Gruppe
eine Form, in der sie harmlos verpuffen können.
In seiner kritischen Distanz zur Männerhorde ist der Entertainer der natürliche Verbündete
der Frauen. Er entwertet das Imponiergehabe. Er verlagert die Auseinandersetzung von der
Ebene der rohen Gewalt auf die des Wortes und des Witzes. Er entspannt die Atmosphäre
und trägt dazu bei, daß beide Geschlechter sich in zivilisierter Geselligkeit begegnen können.
Für ihn gibt es keinen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Männerhorde und Frauen. Beide
sind sie sein Publikum. Insofern kann er seine Beziehung zur Männerhorde auf die zu Frauen
übertragen. Er ist der einzige Typ, der zu beiden ein ähnliches Verhältnis hat.
Auch eine einzelne Frau, auf die er sein Auge geworfen hat, wird der Entertainer wie sein
Publikum behandeln: Er unterhält sie, er bringt sie zum Lachen, er erheitert sie. Zunächst ist
das wie die Fortsetzung seiner Wirkung in der Männerhorde mit denselben Mitteln. Sie hat
ihn als Herz und Seele der Gruppe kennengelernt, wie er als Magier des Wortes Lachsalven
auslöste. Wie er auf einem Strom von ihm selbst ausgelöster Energien ritt. Einen
Charismatiker der schnellen Intelligenz, der Gefühl und Witz verschmelzen konnte. Aber nun,
da er mit ihr allein ist, fehlen die Echoeffekte der Gruppe. Seine Wirkung wird auf
Zimmerlautstärke zurückgenommen. Jetzt wird er charmant. Er geht auf sie ein, er paßt sein
Repertoire ihren individuellen Erwartungen an. Er nimmt ihm die Streubreite ins Grobe,
erhöht die Differenziertheit und gibt ihr eine persönliche Einfärbung und Gedämpftheit.
Es ist diese Umstellung, an der sich der Entertainer in seinem Verhältnis zu Frauen bewährt
oder an der er scheitert. Je nachdem, ob sie ihm gelingt, wird er seine Entertainerqualitäten
auch in eine Paarbeziehung hinüberretten können oder nicht. Und ob er das kann, hängt
weitgehend von der Frau ab, und zwar von ihrer Geselligkeit.
Ist sie gesellig, gibt sie ihrem Partner häufig die Gelegenheit, vor Publikum aufzutreten. Dann
darf er sich in seinem besten Lichte präsentieren. Er darf wieder die Echo.Effekte seiner
magischen Wirkung spüren, ein Bad in der jubelnden Zustimmung nehmen und das gute
Gefühl des Beglückers kosten, der die Heiterkeit aus dem Füllhorn ausgießt. Dann darf er sich
als Virtuose genießen, und sie sieht ihn als Teil des Publikums wieder in dem magischen
Licht, in dem er ihr zuerst erschienen ist. Diese Entrückung wirkt auch auf sie wie eine
Verjüngungskur. Die Verachtung, die Vertrautheit mit sich bringt, wenn die Theaterkulissen
von der Hinterbühne aus gesehen werden, wird wieder durch die Zauberwirkung abgelöst.
Aber bezahlen muß sie das damit, daß sie ihren Partner mit dem Publikum teilt.
Ist sie aber eher der ungesellige Typ, der die Intimität der Zweisamkeit gegen die
Geselligkeit abschirmt, wird sie ihn langsam vertrocknen lassen. Dann wird er Mühe haben,
seine Wirkung auf ein Ein.Personen.Publikum umzustellen. Wenn er nicht hin und wieder
Gelegenheit erhält, auf einer Party oder während eines Kneipenbesuchs aufzutanken, wird
sein Talent verdorren. Er wird dann selbst langsam schrumpfen. Nur hin und wieder, wenn
Gäste kommen, wird er aus seinem somnambulen Zustand erwachen wie ein Löwe, der in
seinem Käfig plötzlich eine Nase voll Steppenwind einzuatmen meint, um danach wieder
zusammenzusinken.
In dieser Ausrichtung an der Horde bleibt auch der Entertainer bei aller Femininität ein
Mann. Im übrigen aber ist er für Frauen ein einfühlsamer Partner. Seine Qualität besteht ja
gerade darin, sich auf andere einstellen zu können, ihre Erwartungen zu wittern und mit
ihnen zu spielen. Sicher, Frauen sind selbst selten Entertainer, aber das liegt nur daran, daß
sie sich in der Regel nicht an einem großen Publikum orientieren. Sie lieben das
Entertainment zu zweit. Mit der Ausnahme von Diven sind sie nur an individuellen
Reaktionen interessiert. Sie konzentrieren sich eben nur auf eine Person. Deshalb mangelt es
ihnen an Verständnis für die Publikumssucht des Entertainers. Und so kann es kommen, daß
eine Frau sie bei ihrem Partner als Abhängigkeit verachtet. Dahinter steckt oft eine latente
Eifersucht.
Aus der Massenpsychologie wissen wir, daß Demagogen ein erotisches Verhältnis zur Masse
entwickeln, die sie manipulieren. Ihr Auftreten wird als pseudoreligiöse Verschmelzung erlebt,
als Fest der Entgrenzung, als Feier der emotionalen Übereinstimmung. Und auch als
Ausschweifung, als Überwältigung und Schändung. Ganz so wild treibt es der Entertainer
nicht. Und sein Witz hält das Denken lebendig. Aber eine gewisse Erotik schwingt immer
zwischen jedem Unterhalter und seinem Publikum mit. Und so tendieren viele Frauen dazu,
die emotionalen Quellen ihrer Entertainer.Partner zuzuschütten und sich damit selbst zu
berauben.
Obwohl eine gewisse Enttäuschung mit dem Entertainer vorprogrammiert ist, bietet sein
Einfühlungsvermögen in andere doch eine Garantie: man wird sich besser als mit anderen
Typen mit ihnen verständigen können. Sein Humor hindert ihn daran, sich selbst zu
überschätzen. Sein Publikumsgefühl garantiert die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen.
Seine Sucht, Heiterkeit zu verbreiten, nährt sich aus dem Bedürfnis, Spannungen zu
entschärfen. Unter allen Typen des Mannes ist er einer der kommunikationsfähigsten.
Er hat vielleicht nur ein Defizit: Er ist für manche Frauen zu wenig männlich. Sein Witz
stammt ja aus der Fähigkeit, sich selbst von außen zu sehen. Das erscheint an der
Oberfläche als Heiterkeit. Sie kann aber eine tiefere existentielle Unsicherheit verbergen. Das
wird damit zusammenhängen: Der Entertainer durchschaut die Zerbrechlichkeit der
männlichen Identität und verliert die naive Sicherheit, die der Lohn der erfolgreichen
Verdrängung ist.
Das mag mit einer der Gründe sein, warum sich in der heutigen Medienlandschaft so viele
Schwule, Transvestiten und Leute unklaren Geschlechts herumtreiben. Die Fähigkeit, durch
Witz Situationen zu entspannen, ist ja eine klassische Befriedungstechnik, mit der man die
Wut machistischer Tyrannen entschärft. Und es ist die Technik der Schwächeren: von Frauen
und Kindern. Insofern enthält die Sucht zu erheitern auch die Nebenbedeutung der
Hilflosigkeit. Frauen mögen das wittern und den einfühlsamen Entertainer für kraftlos halten.
Ein Macho jedenfalls ist er nicht. Trotzdem ein Held.
Natürlich gibt es auch in dieser Sparte eine Abstufung zwischen den Formen der
Aufgeblasenheit und denen der Bescheidenheit. Der Entertainer muß nicht den Witz als Waffe
benutzen. Es gibt den Erzähler, der die Bühne für längere Epen besetzt. Den Schwadroneur,
der die Pompösität zum Stil erhebt und damit parodiert. Bei ihm gehört die Beimischung an
Übertreibungen zur Unterhaltung. Und die Offensichtlichkeit der Lügen entwaffnet jeden
Vorwurf Und schließlich gibt es den geistvollen Plauderer, der durch eine gewisse
Zurückhaltung und eine Vorliebe für das Bonmot signalisiert, daß er nicht zu den
Breitspurigen gehört. Entsprechend ist das Publikum des Plauderers auch nie die Horde,
sondern die kleine Runde.
Auf jeden Fall kann man die Regel aufstellen: Die Frau, die Machos haßt und einen Mann
mit der Fähigkeit zur Einfühlung will, liegt nicht schlecht mit dem Entertainer. Dagegen sollte
die, die Machos liebt und komplizierte Seelen verabscheut, von ihm die Finger lassen. Sie
wird sonst damit enden, ihn zu verachten.
aus:
Dietrich Schwanitz
MÄNNER
Eine Spezies wird besichtigt