Stoppt den Überwachungsstaat! Jetzt klicken & handeln Willst du auch an der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos und Materialien:

19 Mai 2008

Maenner - Testosteronvergiftung

Die Phasen der männlichen Unzurechnungsfähigkeit
Die erste Phase ist die Pubertät, in der das Testosteron den männlichen Organismus
überflutet und das Hirn in ein Sexualorgan verwandelt. In dieser Zeit erreicht die Potenz in
einem einzigen Anlauf im Alter von sechzehn Jahren ihren höchsten Stand und macht jeden
Jugendlichen zu einem potentiellen Sexualstraftäter. Und jeder Lehrer weiß davon zu
berichten, daß in diesem Alter die Denkfähigkeit sich bedingungslos den Freudschen
Assoziationsgesetzen unterwirft: Schon das Wort "Mitglied" löst ein geiles Gelächter aus. In
diesem Alter werden fast alle männlichen Jugendlichen zu Gesetzesbrechern. Das ist auch die
Zeit, in der sie zu Fußballfans werden und sich am stärksten dem annähern, was wir uns
unter einer Barbarenhorde vorstellen.
Dabei darf man nicht übersehen, daß diese Horden am stärksten auf ihre Mitglieder
einwirken. Fast jeder Mann hat sich einmal im Inneren einer solchen Horde befunden.
Spätestens hier erfolgt die Initiation der zarteren Gemüter unter den Knaben. Hier machen
sie ihre Grenzerfahrung. Jedes Mitglied wird hier zur Geisel der gesamtem Horde. Und eine
Frau, der eine solche Erfahrung in aller Regel erspart bleibt, kann sich keine zu schlimme
Vorstellung von der Roheit, der sadistischen Bösartigkeit und der Gefühllosigkeit eines solchen
Kollektivs machen.
Kneift jemand oder sucht er sich zu entziehen, werden die Anführer schon dafür sorgen, daß
er dafür mit um so größeren Qualen bezahlen muß. Das Drachenblut, das die spätere
Unverwundbarkeit und Härte verleiht, ist in der Regel das eigene. Wer diese Torturen
durchsteht, hat sich verwandelt. Er weiß, was er zu ertragen imstande ist, und wird es auch
von anderen erwarten.
Die Pubertät ist also für die männlichen Jugendlichen die Zeit der Gangbildung. Sie trennen
sich von den Mädchen und ziehen in Gruppen herum. Dabei gleichen sie manchmal den
Jungmännerhorden, die die griechischen Städte auf Argonautenfahrt schickten, um sie aus der
Stadt zu entfernen. Und vielleicht ist auch die Völkerwanderung von solchen Horden im
Zustand altersbedingter Asozialität ausgelöst worden.
Als zweite Phase kann heute eine Art Spätblüte der Pubertät, die sogenannte Adoleszenz,
gelten. In dieser Zeit wird dem Jugendlichen seine Identität zum Problem. Er sucht seine
Rolle in der Gesellschaft. Das betrifft auch die sexuelle Identität, da jetzt die Partnerprobleme
in den Mittelpunkt treten.
In dieser Zeit kann die Begegnung mit Frauen intensive Gefühle der Unsicherheit und der
Beschämung auslösen. Der Jungmann erlebt dann vor dem Hintergrund der Erwartung, daß er
cool auftreten muß, seine hektischen und linkischen Annäherungsversuche in der Wirklichkeit
als Horrordramen der Verelendung. Und das zerstört den größten Teil seiner
Zurechnungsfähigkeit. Die umworbenen Frauen mögen sich fragen, warum sich der Verehrer
so wahnsinnig anstellt. Doch die Antwort werden sie niemals finden, wenn ihnen nicht klar
wird: Seine ganze männliche Identität steht auf dem Spiel. Es geht um alles. Deshalb können
die Frauen die mannigfachsten Erscheinungsformen des männlichen Irrsinns studieren.
Normale Männer gehen aus dieser Krise gefestigt hervor. Aber es gibt die, denen das nicht
gelingt. Sie werden zu den düsteren Helden von Schauerromanen, in die sie ihre Partnerinnen
verwickeln. Die Liste der folgenden Fahndungsfotos ist unvollständig. Und ihre Qualität reicht
gerade, daß frau die Typen wiedererkennen und die Flucht ergreifen kann:
Männer, die das Gefühl haben, daß sie sich vor der belagerten Frau lächerlich gemacht
haben, und es ihr heimzahlen. Hier gibt es ein weites Spektrum von Sadisten, Grobianen und
Barbaren, die ihre Unsicherheit unter ständigen Ruppigkeiten verstecken. Sie sind nicht über
die Pubertät hinausgekommen.
Männer, in denen die ungewohnten Gefühlswallungen eine panikartige Verschmelzungsangst
und die Furcht auslösen, der so teuer erworbene Ich-Panzer könne sich auflösen. Sie
neigen zur emotionalen Ausbeutung, um sich selbst in Kontrolle zu fühlen.
Die Don Juans, die sich immer wieder das narzißtische Kitzelgefühl einer frischen Eroberung
und Verführung verschaffen müssen, um ihre Männlichkeit in der Beleuchtung weiblicher
Blicke auf der Bühne erstrahlen zu sehen. Für diesen Typus wird die letzte Eroberung zur
größten Feindin, weil sie ihn an der nächsten Eroberung hindert. Man kann ihn getrost als
Süchtigen bezeichnen, denn für ihn sind die Frauen ein Trank, der Durst macht.
Männer, in denen die alten Familiendramen aus ihrer Kindheit unter der Asche weiterglühen.
Bei diesem Typ sollte sich Frau die Familie unbedingt vorher anschauen. Hier hat er
Männlichkeit gelernt. Irgendeine von den Figuren wird er später spielen.
Die Söhne alleinerziehender Mütter, die nirgendwo Männlichkeit gelernt haben. Für sie gab es
in ihrer Familie keine Muster, keine Rollen und keine Vorbilder. Haben sie sie nicht
anderswo vorgefunden, haben sich ihre männlichen Affekte nicht in Form einer Identität
abgelagert. Statt dessen vagabundieren sie, wie man so sagt, frei flottierend herum. Sie
können den Betreffenden jederzeit überfluten. Sie rasten dann aus. Aus dieser Gruppe
stammen deshalb besonders viele Gewalttäter. Was nicht heißt, daß jeder Sohn einer
alleinerziehenden Mutter zum Gewalttäter werden muß.
Die dritte Phase der männlichen Unzurechnungsfähigkeit ist die sogenannte midlife crisis. Da
ein Mann sein Dasein meist als Heldenleben entwirft, wird die midlife crisis durch die
Erkenntnis ausgelöst, daß ihm zur Verwirklichung nur noch wenig Zukunft verbleibt. So wird
er von der männlichen Entsprechung zur Torschlußpanik erfaßt. Im Schlaf hört er das Ticken
der biologischen Uhr. Das versetzt ihn in eine gewaltige Unruhe. Er macht einen letzten,
verzweifelten Versuch, dem großartigen Image, das er sich als Wechsel auf die Zukunft
zugelegt hatte, wenigstens ein Minimum an Deckung zu verschaffen. Zum letzten Mal bäumt
sich der Macho auf und sprengt noch einmal alle Ketten. Das Ergebnis kann in einem
beruflichen Amoklauf oder, sehr viel häufiger, in einem Ausbruch aus privaten Bindungen
bestehen: Zahlreich sind die Geschichten über die Versuche ihrer Ehemänner, durch eine junge
Geliebte das Gefühl der Jugend wiederzugewinnen, die sich die Haus- und Karrierefrauen
an ihren abendlichen Herdfeuern erzählen. Sie wissen: Ihre Männer sind auf der Suche nach
ihrer letzten Prise Testosteron. Dazu mobilisieren sie ihre letzten Reserven für einen letzten,
verzweifelten Anlauf, bevor sie endgültig zusammenbrechen und sich mit dem Gefühl
geschlagen geben: der Mann, der sie hatten sein wollen, waren sie nie und werden sie nie
sein. Dann sind sie bereit zu sterben.
Der Mann als Hauptdarsteller
Erst wenn wir uns klargemacht haben, was es bedeutet, daß der Mann eine Art Entwurf,
eine Fiktion und ein Schauspieler seiner selbst ist, können wir die Folgen ganz ermessen.
Und diese Folgen sind gewaltig. Mit den wichtigsten wollen wir uns nun befassen.
Erstens: Der Mann ist grundsätzlich ein Hauptdarsteller. Natürlich ist auch die Frau eine
Schauspielerin. Aber sie ist es im strikt technischen Sinne: Sie täuscht sich nicht über ihre
Schwächen und Stärken hinweg. Deshalb versucht sie, die Schwächen zu kaschieren und sich
selbst möglichst nur im Lichte der Stärken zu zeigen. Das erreicht sie durch eine strikte
Trennung zwischen der Hinterbühne, auf der sie sich schminkt und kostümiert und generell
ihre Auftritte technisch vorbereitet, und der Vorderbühne, auf der sie in vollem Amtsornat
erscheint und die Huldigungen des Publikums entgegennimmt. Dem Publikum ist der Zutritt
zur Hinterbühne strengstens verboten. Dazu haben allein die engsten Vertrauten Zutritt,
meistens nur Freundinnen, die als Profi-Darstellerinnen und Kolleginnen mit ihr die
Kenntnisse aus der professionellen Trickkiste teilen. Dabei täuscht sich eine Frau selten
darüber hinweg, daß sie schauspielert.
Anders der Mann. Er will nicht eine vorgegebene Rolle gut spielen, sondern das Publikum
überzeugen, daß ihm die Heldenrolle gebührt. Sein Szenario ist nicht die Aufführung des
Stücks, sondern die Besetzungsprobe. Sein Vorbild ist Zettel im "Sommernachtstraum". Als
dieser hört, daß in diesem Stück ein Löwe vorkommt, brüllt er: "Let me play the lion, too!"
Deshalb lebt der Mann nicht in Distanz zu seiner Rolle, sondern seine Identität ist
theatralisiert. Sie ist ein Auftrag, den er noch zu erfüllen hat. Natürlich weiß der Mann, daß
seine Identität noch nicht seiner Rolle entspricht. Deshalb muß er sie zunächst vortäuschen.
Doch dieser Fiktion entspricht eine höhere Wahrheit. In der theatralischen Figur kommt zur
Erscheinung, was er seinem inneren Wesen nach eigentlich ist. Ist seine Vorstellung noch
unvollkommen, ist dieses Defizit lediglich ein Aufschub, ein Noch-Nicht. Das Theater, das
er macht, ist deshalb keine Lüge. Es ist ein Vor-Schein, ein stilisierter Ausdruck dessen,
was aufgrund von widrigen Bedingungen sich in voller Reinheit noch nicht entfalten kann.
Dabei ist das Theater selbst der Nachweis seiner eigenen Berechtigung. Dieser kreisförmige
Satz bildet die kreisförmige Begründung ab, mit der sich die männliche Theatralik selbst
legitimiert: Je gespreizter und lauter jemand auftritt, desto mehr Berechtigung hat er dazu.
Wer die Mitte der Bühne erobert, hat damit bewiesen, daß er ein Eroberer ist. Ihm gebührt
also die Mitte der Bühne. Und für den Mann ist jede Versammlung, die die Anzahl drei
erreicht hat, eine Bühne.
Das macht die Drei zur heiligen Zahl. Warum gerade drei? Der erste ist der Held, der zweite
der Gegner, der dritte das Publikum. Das war schon in der griechischen Tragödie so:
Protagonist, Antagonist und Chor. In der christlichen Religion wurde das die Dreifaltigkeit
von Gott, Satan und den Menschen als Beifall klatschenden oder buhenden Zuschauern. Auch
Gott ist typisch männlich. Er macht die Welt und lobt sich dann selbst: "Und siehe, sie war
sehr gut". Er erläßt Verbote und straft. Er will der einzige sein, den man verehrt: "Du sollst
keine anderen Helden haben neben mir!" Er ist äußerst eifersüchtig, und er beansprucht den
Mittelpunkt der Bühne und damit den ganzen Beifall.
So haben auch die Männer in ihrer Theatralik immer das Imponiergehabe der Götter
nachgemacht. Verfügten sie wie Jupiter über den Donner, sagt Shakespeare, so würden sie
nichts als donnern, von morgens bis abends donnern.
Der Mann und die Wahrheit
Männer haben deshalb ein ganz anderes Verhältnis zur Wahrheit und zur Lüge als Frauen.
Frauen halten die Aussage von jemandem für eine Lüge, der bewußt das Gegenteil von dem
behauptet, was gegenwärtig der Fall ist. Männer dagegen haben ein dynamisches Verhältnis
zur Wahrheit. Für sie ist bereits wahr, was zwar noch nicht eingetreten ist, aber in
unmittelbarer Reichweite liegt: der greifbare Erfolg, die todsichere Wette, der bombensichere
Profit. Sie wissen, es sind nur ein paar lächerliche Details, die dem endgültigen Durchbruch
im Wege stehen. Sie haben den Sieg praktisch schon in der Tasche. Im Grunde kann man
schon die Sektkorken knallen lassen. In der lebhaften Vorstellung des Erfolgs erleben sie die
tiefere Wahrheit, daß sie sind, was sie sein wollen: Helden.
Es wäre falsch, den dynamischen Wahrheitsbegrif als bloßes Mittel abzutun, mit dem man
sich selbst und andere täuschen kann. Das ist er natürlich auch, aber er ist noch mehr. Er
hat in vielen Fällen die Kraft, sich selbst zu erfüllen. Er versetzt den Mann in solchen
Schwung, daß er den Erfolg, den er vorwegnimmt, auch wirklich herbeiführt. Er steht in
einem engenVerhältnis zum positiven Denken.
Das Problem für die Frauen besteht dann darin, daß sie zwischen schlichter Hochstapelei und
einer sich selbst in Gang lügenden Erfolgsdynamik nicht unterscheiden können. Sind sie
skeptisch, müssen sie sich vorwerfen lassen, den nahen Sieg durch negatives Denken und
mangelnde Unterstützung verhindert zu haben. Sind sie vertrauensselig, landen sie nach dem
Platzen der Träume unsanft in der Enttäuschung.
Das Geheimnis dieses andersartigen Wahrheitsverhältnisses liegt im unterschiedlichen
Verhältnis der Geschlechter zur Zeit. Für die Frau ähnelt sie dem Ablauf eines
Waschmaschinenprogramms. Die Episoden liegen im vorhinein fest. Sie sind mit der
biologischen Uhr synchronisiert. Irgendwo befindet sich die zentrale Phase des
Kinderkriegens. Davor ist die Vorwäsche der Heirat oder der Partnersuche, danach wird
gespült, gepumpt und geschleudert.
Anders der Mann. Für ihn sind Zukunft und Vergangenheit nicht nur Streckenabschnitte, die
hinter oder vor ihm liegen. Natürlich sind sie das auch. Aber darüber hinaus sind sie
Druckausgleichsbehälter des Wünschbaren. Die Zukunft ist der Aufenthaltsort der
Wirklichkeiten, die gegenwärtig noch verhindert werden. Die Vergangenheit dagegen ist ein
Reservoir von Erzählungen, die im Dienste einer höheren Wahrheit die Geschehnisse
berichten, wie sie hätten sein sollen. Wird ein Mann ganz und gar vom dynamischen
Wahrheitsbegriff beherrscht, entsteht eine neue Figur. Um sie zu besichtigen, betreten wir
wieder die Porträtgalerie.
Dritter Abstecher in die Porträtgalerie der Männertypen: Der Scharlatan
Der Mann erlebt sich weitgehend über seine Außenwirkung. Er erfährt sich im Beifall der
Welt, im strahlenden Lachen der Frauen, im bewundernden Augenaufschlag der Verehrerin.
Oder in seiner Wirkung auf Männer: im Respekt, der ihm gezollt wird, der Achtung, die ihm
entgegengebracht wird, den Türen, die vor ihm aufspringen, den Fahrern, die vor ihm den
Autoschlag aufreißen, den Hüten, die vor ihm gezogen werden. Oder er läßt sich vertreten
von dem Werk, das er geschaffen hat: dem Gebäude, das er gebaut, der Firma, die er
gegründet, dem Stück, das er inszeniert, den Roman, den er geschrieben hat. Wie immer die
Form, sie ist stets ein Reflex der Außenwirkung.
Das begründet seine größte Schwäche, nämlich: Schwächen nicht zugeben zu können. Weder
sich selbst noch anderen gegenüber. Denn sie gegenüber anderen zugeben zu müssen hieße,
sie auch gegenüber sich selbst zuzugeben.
Das ist für frau schwer zu verstehen. Wenn sie leidet, dann weint sie. Wenn sie eine
Niederlage verarbeiten muß, dann ist sie ärgerlich oder niedergeschlagen. Wenn sie einen
Verlust hinnehmen muß, dann trauert sie. Wenn dem Mann das gleiche widerfährt, versucht
er, es zu ignorieren. Er überspielt es. Er läßt sich jedenfalls nichts anmerken. Und eine
richtige Niederlage, die erkennt er gar nicht an. Täte er das, würden seine Feinde
triumphieren. Und er selbst verlöre das Gesicht.
Das "Gesicht" ist die Miene des Siegers. Sie behält er immer als Maske auf. Niemals wird er
sie je absetzen. Und niemals wird eine Frau das wahre, schmerzzerfurchte Antlitz des
Mannes zu sehen bekommen. Auch seine Frau nicht. Denn dann würde sie ihn bemitleiden.
Und nichts haßt er so sehr wie Mitleid. Das degradiert ihn zu einer Frau oder einem Kind.
Und ebenso haßt er den Trost. Welch eine Unverschämtheit, ihn trösten zu wollen! Er ist ein
Sieger! Und Sieger werden beneidet und nicht getröstet!
Anders als die Frau ist der Mann gegenüber Niederlagen zunächst hilflos.
Er muß mühsam lernen, sie anzuerkennen. Hat er das erfolgreich und gründlich gelernt, ist es
ihm endlich gelungen, sich selbst und anderen gegenüber seine Schwächen zuzugeben, ist er
gegenüber allen anderen Männern im Vorteil. Er ist dann frei. Er kann bei allen seinen
Unternehmungen auch mit der Möglichkeit der Niederlage rechnen. Sie schreckt ihn nicht
mehr. Er weiß, daß er sie überleben wird. Er kann dann in Konflikte eintreten trotz der
Gefahr, daß er besiegt wird. Er kann also wesentlich risikoreicher und angstfreier operieren.
Denn für ihn ist eine Niederlage kein Sturz in den Abgrund mehr.
Gerät aber Männlichkeit aus dem Gleichgewicht, wird die Niederlage in der Phantasie
geleugnet und durch einen Sieg ersetzt. Dann wird der Mann zum Scharlatan. Er beginnt,
sich und anderen etwas vorzumachen. Er wird ein vollentwickelter Hochstapler. Er wird dann
den Sieger simulieren.
Er ist dabei mehr als ein großer Lügner. Während seiner "Vorführungen" glaubt er selbst an
seine Show. Da er sich über seine eigene Außenwirkung wahrnimmt, überzeugt er sich selbst.
Er liest sein Bild vom Beifall ab, den er hervorruft. Und das stete Training macht ihn zum
reinen, wirkungsvollen Theatraliker. Da er seinen Erfolg vortäuscht, braucht er sich bei
seinen Inszenierungen nicht einmal an der Realität auszurichten. Er kann sein Image den
bloßen theatralischen Erfordernissen anpassen. So kommt es, daß Hochstapler oft
überzeugender sind als die realen Figuren.
Legendär sind die Geschichten von falschen Kriegsheimkehrern, die ihren vorgeblichen
Müttern oder Frauen so überzeugend vorspielen konnten, sie seien ihre Söhne oder Männer,
daß diese an ihnen selbst dann noch festhielten, als sie durch unwiderlegbare Beweise
enttarnt worden waren. Und immer wieder staunen wir über das Auftreten falscher Ärzte
oder Psychiater, die vor Gericht überzeugender wirken als die echten. Sie haben eben
studiert, wie ein Arzt wirken muß.
So findet auch der normale Durchschnitts-Scharlatan immer wieder ein gläubiges Publikum.
Mit seiner Scharlatanerie macht er sich und andere vergessen, daß er in Wirklichkeit ein
Versager ist. Diese Vermeidungsstrategie gibt seiner Inszenierung ein gewisses Feuer. Er
vollbringt ja etwas Erstaunliches: Über einem Abgrund schwebend, spiegelt er seinem
Publikum eine Fata Morgana vor. Er ist ein Zauberer. Er mag zwar als Arzt ein Versager
sein, aber als Scharlatan ist er ein Erfolg. Und daraus bezieht er jetzt sein neues
Selbstbewußtsein. Er kann doch etwas. Er ist keine Niete! Er kann Illusionen wecken. Mehr
tun Ärzte auch nicht!
Das aber führt ihn in ein Paradox. Die Qualität seiner Scharlatanerie darf er nämlich nicht
enthüllen. Da, wo er wirklich gut ist, dürfen ihn die Leute nicht sehen. Aber insgeheim
wünscht er sich, daß sie seine Zauberkunst auch als Zauberkunst bewundern würden. Deshalb
wird er immer kühner. Er läßt es darauf ankommen, entdeckt zu werden. Das macht ihn
immer hinreißender. Er hat immer mehr Erfolg. Und so kann sich ein begabter Scharlatan in
eine Erfolgsspirale treiben, die ihn weit nach oben trägt. Doch irgendwann stürzt er ab. Die
Zeitungen sind voll von solchen Stürzen. Der Baulöwe Schneider, der falsche Psychiater
Postel, der Hauptmann von Köpenick, unser "Führer" Adolf Hitler...
Aber die Gazetten berichten nicht von den vielen kleinen Scharlatanen. Ihre Opfer sind
häufig Frauen. Sie fallen in die Hände eines Heiratsschwindlers, der mit ihrem Vermögen
durchbrennt. Oder sie verbinden sich mit einem Mann, der mit seiner Scharlatanerie gerade
den Eindruck des Seriösen und Soliden erweckt. Das Schicksal einer solchen Frau ist
grausam. Am Anfang wird sie von seinem Optimismus mitgerissen. Sie findet sein Feuer
hinreißend. Endlich ein Mann mit Unternehmungsgeist und Enthusiasmus! Freudig ist sie
bereit, ihm ihr Erspartes zu überschreiben. Sie wollte schon immer Teil von etwas Großem
sein. Mit zu etwas beitragen. Er versichert ihr täglich, seinem Projekt gehöre die Zukunft. Er
habe da diese bahnbrechende Idee. Damit sie ihm nicht von seiner Firma geklaut werde,
habe er gekündigt. Jetzt brauche sein Partner nur noch die technische Produktion
vorzubereiten. Das Werbekonzept habe er schon ausgearbeitet. Es sei eine sichere Sache. Als
sie wissen will, wer der Partner sei, erfährt sie, das sei ein Japaner. Aber die Idee möchte
er ihr lieber nicht mitteilen. Denn es ginge um ein Verfahren, das alle Waschmittel unnötig
mache. Wenn die Waschmittelkonzerne davon Wind kriegten, wären sie ihres Lebens nicht
mehr sicher. Sie würden vor keinem Verbrechen zurückschrecken, um die Produktion zu
verhindern. Er würde sie lieber nicht zum Mitwisser machen. Sie findet seine
Rükksichtnahme wundervoll. Er macht sich Sorgen um ihre Sicherheit. Aus Dankbarkeit nimmt
sie einen Kredit auf, den sie mit einer Hypothek auf ihr ererbtes Haus absichert. Leider zieht
sich die Sache etwas hin. Der Partner hat ein paar Schwierigkeiten bei der Umstellung der
Produktion. Er mußte sich von seinem eigenen Partner trennen. Dafür braucht er nun noch
eine Kapitalspritze. Sie nimmt einen weiteren Kredit auf. Da erzählt ihr ein Bekannter, er
habe ihren Lebensgefährten auf dem Rennplatz getroffen. Und sie hatte geglaubt, er habe
einen Termin bei einem Patentanwalt! Sie wußte gar nicht, daß er auf Pferde wettete. Als
sie ihn zur Rede stellt, wird er ungehalten. Ob sie hinter ihm herspioniere? Das sei viel zu
gefährlich, er müsse sich mit dem Anwalt heimlich treffen, ein Rennplatz sei eine gute
Tarnung. Doch ihr Mißtrauen ist nun erwacht. Da wird sie völlig beschämt. Er zeigt ihr
einen Geschäftsbrief von der Düsseldorfer Filiale von Hatitachi Incorporated. Darin wird ihm
zugesichert, daß die Produktion in Vorbereitung und daß er selbst mit 18% beteiligt sei,
wobei man im ersten Jahr mit einem Profit von 350 Millionen Dollar rechne. Als er ihr
triumphierend den Brief zeigt, ist sie wegen ihres Mißtrauens zerknirscht. Sie bittet ihn
innerlich um Verzeihung. In der Nacht liebt sie ihn besonders hingebungsvoll. Sie weiß ja
nicht, daß er den Brief an sich selber geschrieben hat, weil er eine intime Beziehung zu
Frau Macziewski unterhält, und die ist Sekretärin bei Hatitachi in Düsseldorf...
Wie leicht ist es, so einem Scharlatan auf den Leim zu gehen! Er wirkt ja so solide und
überzeugend. Da sie ihm glauben möchte, läßt sie sich zu Beginn gerne bereden. Sie solle
noch etwas Geduld haben. Sie müsse ihm vertrauen. Bald schon seien sie reich. Der Erfolg
sei praktisch schon sicher. Er müsse nur noch ein paar Hindernisse aus dem Wege räumen.
Aber obwohl seine Erklärungen immer windiger werden und die Halbwertszeit seiner
Vertröstungen immer kürzer wird, fährt sie fort, an ihn zu glauben. Und manche hört damit
auch dann nicht auf, wenn die Spatzen es von den Dächern pfeifen, daß sie einem
Scharlatan aufgesessen ist.