Stoppt den Überwachungsstaat! Jetzt klicken & handeln Willst du auch an der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos und Materialien:

06 Juli 2007

Wallraff - Ganz Unten (Leseprobe)

Pausengespräch

Die deutschen Kollegen Michael (34), Udo (26) und der Wortführer Alfred (53) haben sich im Tiefbunker unter der Brammstraße eine Holzbohle organisiert und über zwei Fässer gelegt. Dort sitzen sie zusammen, teilen Zigaretten und Getränke miteinander. Ihnen gegenüber auf einer auseinandergefalteten türkischen Zeitung Hürriyet (zu deutsch: Freiheit) sitzt Ali, zur Zuhörerrolle verurteilt.

Immer wieder wird das Gespräch durch das tosende Klatschen herunterdonnernder Erzbrocken unterbrochen.

Alfred: »Glaub mir, bei Adolf Hitler wurde Kameradendiebstahl, und ob es bloß ein Schnürsenkel war, an die Wand gestellt und erschossen. Glaubt mir das. Mehr ist er nicht wert. Wer einen Kumpel bestiehlt — entweder totschlagen oder erschießen. So muß man im Leben sein. Man nimmt beim anderen Kollegen nichts weg, das macht man nicht!«

Ich (Ali): »Aber Chef kann dir wegnehme?«

Alfred: »Das ist ‘ne ganz andere Sache, aber wer Kumpels in die Pfanne haut oder bestiehlt...«

Ich (Ali): »Aber wär auch Chef erschosse worde, wenn er klaut?«

Alfred (leicht drohend): »Hätt’s mal früher bei Hitler hier sein sollen, da war Europa noch in Ordnung.«

Ich (Ali): »Viele erschosse worde?«

Alfred: »Hätt’ste mal hier sein soll’n.«

Udo: »Aber da konnten alte Leute noch über die Straße laufen.«

Alfred: »Hör mal, da könnt ‘ne alte Oma von siebzig Jahren mit 10 000 Mark in der Tasche nachts auf der Straße laufen, der is nichts passiert.«

Ich (Ali): »So viel Geld, die is nich allein über Straß gange, die fuhr mit Auto ...«

Alfred: »Mein Vadder in der Großstadt, in ‘ner Riesengroßstadt — Leipzig, Messestadt, wo ich herkomm — der hatte Motorrad, Auto und Fahrrad. Das Fahrrad, das hat das ganze Jahr auf‘m Hof gestanden, wenn das verrostet war, dann hat er sich ‘en neues gekauft — dann stand das wieder auf ‘em Hof. Das war nie weg ...«

Ich (Ali): »War kaputt sicher — Fahrrad.«

Alfred (redet mir weiter ins Gewissen, so als ob er alle Ausländer für potentielle Diebe hält): »Hör dir das mal ruhig mit an und schreib es dir hinter die Hammelohren.«

Ich (Ali): »Wieso?«

Alfred: »Von Klemm und Klau. Paß auf, früher war das ja nicht so, daß jeder so’ne vollautomatische Waschmaschine hatte. Wir hatten ‘ne Waschfrau, die Frau Müller, weil wir ‘nen Geschäftshaushalt hatten. Alle vier Wochen war große Wäsche, verstehste? Im Winter wurde auf‘m Boden getrocknet und im Sommer auf‘m Hof. Da hing unsere gesamte Wäsche, von der Bettwäsche angefangen, alles auf‘m Hof. Da hat nicht ein Taschentuch gefehlt, nicht eins hat da gefehlt.«

Ich (Ali) (zu den anderen): »Ich will sein verrotzte Taschentücher gar nich, ich nehm Tempo.«

Alfred (unbeirrt): »Nicht ein Taschentuch.«

Ich (Ali): »Aber die Ausländer ging nich so gut da?«

Alfred: »Hör’ mal, da hat in Deutschland noch Zucht und Ordnung geherrscht.«

Ich (Ali): »Aber die Jude, die habt ihr tot gemacht.«

Alfred: »Scheiß von deinen Juden. Das wurde uns anerzogen. Das Alter muß geehrt werden, das war ein Satz, das wurde uns eingebläut. Vom Lehrer, von der Schule als Gemeingut und vom Elternhaus. Du meinst doch nicht, daß wir es uns als junge Bengels erlaubt haben, uns hinzusetzen in der Bahn. Das haben wir ja eingetrichtert gekriegt, da stand man für eine ältere Person auf, das war eine Selbstverständlichkeit.«

Ich (Ali): »Du meins, war besser Staat als jetz ...«?

Alfred: »Das war ‘ne Totaldiktatur, aber die hab ich als besser? empfunden wie heute — den Sauhaufen, wo ich heute bin.«

Ich (Ali): »Hör’ma, warum habt ihr alle Jude mord?«

Udo (will Alfred das Stichwort geben): »Weil se Ausländer war’n.«

Alfred: »Weißt du warum — weißt du warum?«

Ich (Ali) (stellt sich dumm): »Nee, nee.«

Alfred: »Einen Fehler hat Hitler gemacht. Der hätte noch fünf Jahre länger existieren müssen, daß keiner von denen mehr leben würde, nicht einer. Wo der Jude seine Finger im Spiel hat, da ist nur Theater in der Gesamtwelt, ob das arme Juden sind oder reiche. Es gibt ja die reichen Juden, wie Rockefeller, Morgenthau u.s.w. Das sind die, die in der Weltgeschichte nur Unheil, Unfrieden und Terror anstiften. Die haben das Geld, um die Forschung laufen zu lassen, die haben das Geld, die haben die Macht über Leben und Sterben — das sind die Leute. Und hör mal, wenn der Hitler noch fünf Jahre gemacht hätte und das Ding irgendwie zu seinen Gunsten ausgegangen wär, da gäb’s von der Sorte Menschen keinen mehr, da glaub’ man dran — keinen mehr.«

Ich (Ali): »Zigeuner habt ihr auch tot gemacht.«?

Michael: »Die nicht rassisch deutsch waren, hat der alle umge­? bracht, nur rassige Deutsche nicht.«

Udo: »Ja, war ja nicht nur Hitler!«

Ich (Ali): »Der hätt’ mich auch kaputt gemacht?« (keine Antwort)

Alfred: »Hör mal, wer hat denn mit KZ angefangen? Jetzt mal ganz ehrlich.« Gibt sich selbst die Antwort (laut): »Der Engländer.«

Udo: »Der Ami, der Ami hat damit angefangen.« Alfred (beharrt): »Der Engländer war’s, der Engländer. Der Churchill, ja, der Churchill war Oberleutnant in der englischen Armee. Hört mal, der Churchill war — im Kolonialkrieg war der Oberleutnant, ja, also Sarschent.«

Michael: »Der Hitler hätte dat nicht machen sollen.«

Alfred: »Un weißte, was der Churchill gemacht hat?«

Michael (beharrt darauf): »Ne, dat war ‘ne Sauerei.«

Alfred: »Der hat ja auch auf zwei Fronten gekämpft.«

Michael: »Dat is egal, Sauerei is dat, hör’ mal, dat is ...«

Alfred (unterbricht ihn): »Der hat uns Südwest-Afrika weggenommen als Kolonialstaat. Und da ist der und hat die Buren — haste von denen schon mal was gehört, die Buren? Der hat Frauen und Kinder in der Wüste eingeschlossen in Zeltlager, und der hat sie alle verrecken lassen, Frauen und Kinder, alle kaputt...«

Michael: »Auch nicht richtig. Aber Hitler war der größte Massenmörder aller Zeiten ...«

Alfred (verunsichert, daß ihm von seinem Kollegen Michael Widerspruch entgegengebracht wird. Geht daraufhin frontal auf Ali los): »Hör mal, du bist doch nicht dumm?«

Ich (Ali): »Kommt drauf an ...«

Alfred: »Was ist der Unterschied zwischen den Türken und den Juden?«

Ich (Ali): »Alles Mensche, kei Unterschied.«

Alfred (triumphierend): »Doch! Die Juden haben’s schon hinter sich!«

Udo meldet sich zu Wort. Zu Alfred: »Du, da kenn’ ich noch einen viel besseren.«

Alfred: »Schieß’ los!«

Udo zu mir (Ali): »Wieviele Türken gehen in einen VW?«

Ich (Ali): »Weiß nich.«

Udo: »Zwanzigtausend. Glaubste nicht?«

Ich (Ali): »Wird schon stimme, wenn du sags.«

Udo: »Willste wissen, wieso?«

Ich (Ali): »Lieber nich.«

Udo: »Ganz einfach. Vorne zwei, hinten zwei, die anderen in den Aschenbecher.«

Alfred (trocken): »Haha. Da kann ich schon lange nicht mehr drüber lachen. Der hat so’n Bart. Den hab ich mindestens schon hundertmal gehört. Kennt ihr den neuesten: ›Da trifft ein Türkenjunge — der geht gerade mit einem deutschen Schäferhund spazieren — einen erwachsenen Deutschen. Der fragt: ›Wohin willst du denn mit dem Schwein?‹ — Der Türkenjunge: ›Das ist doch gar kein Schwein, das ist ein echter deutscher Schäferhund, hat sogar’n Stammbaum.‹ — Sagt der Mann: ›Halt’s Maul, dich hab ich doch gar nicht gefragt.«

Prustendes Lachen von Alfred und Udo.

Michael sagt: »Find ich nicht gut. Daß ihr den erzählt, wo der Ali dabei ist. Der kann den doch falsch verstehen.«

Ich (Ali): »Kann nich drüber lache. Auch über Judenwitz is nichts zu lache. (Zu Alfred) Warum haben die Deutsch so wenig zu lache, daß sie immer ihr Witz auf Koste von ander mache müsse?«

Alfred (böse): »Spaß muß sein. Mischt ihr euch mal nicht in unsere Angelegenheiten ein, sonst habt ihr nämlich bald nichts mehr zu lachen.«

Und herausfordernd zu mir: »Kennst du den Dr. Mengele?«

Ich (Ali): »Ja, der Mörder-Doktor aus KZ.«

Alfred: »Ach, der Mengele, der war gar nicht mal so doof. Jedenfalls für seine Versuche hat er sich keine Türken genommen. Willste wissen, weshalb nich?«

Ich ziehe es vor zu schweigen.

»Weil«, blickt er mich haßerfüllt an, »weil ihr rein gar nichts taugt und nicht mal für seine Menschenversuche zu gebrauchen gewesen wärt.«

Michael: »Aber weißte, wenn ich die Berichte seh und hör, dann schäm ich mich, ein Deutscher zu sein, so was, ehrlich.«

Alfred (genüßlich): »Dann hat er sie da rein gestellt und dann hat er geguckt, wie lange die leben, wenn die da in dem Eis hocken.«

Alfred zu mir: »Hör mal, was bist du noch genau für’n Landsmann? Du bist doch gar kein richtiger Türke. Deine Mutter kommt doch von den Hottentotten oder so?«

Ich (Ali): »Ich hab griechisch Mutter, Vater Türk.«

Alfred: »Ja, was biste jetzt, Türke oder Grieche?«

Ich (Ali): »Beides. Und auch was deutsch. Weil schon zehn Jahr’ hier.«

Alfred zu den anderen: »Hört euch diesen Idioten an. Der meint, er ist von allem etwas. So ist das, wenn die Rassen durcheinander zwitschern. Dann ist nachher nichts Genaues. Der kennt kein Vaterland. Sowas ist Kommunist. Da, wo der herkommt, da wimmelt es von Kommunisten. Sowas gehört verboten. Weißte, was die bei Mannesmann gemacht haben? Alle Türken raus. Hier bei Remmert, da sind etliche Türken, die kannste alle verbrennen, du, wenn du die Leute schon siehst, dann geht dir schon die Galle hoch ... Was ich gestern noch gesagt hab (zu türkischen Kollegen, G. W.), wenn du jetzt nicht langsam spurst, dann tret ich dich im Arsch und schick dich nach Hause. Oh, den hab’ ich auf‘m Kieker.« Michael: »Die haben hier gearbeitet, ihr habt hier gearbeitet — ist gut — wir haben euch gebraucht — Ende. Ihr seid hier! Was sollen wir dagegen machen, ne?«

Ich (Ali): »Wir sin ja nich von allein gekomm. Man hat uns ja auch geholt. Und damals immer sagt: Kommt! Kommt! Hier viel verdiene. Wir brauche euch. Wir sin ja nicht einfach gekomm.«

Michael: »Ha, dat is auch richtig. Wir sollen sie abfinden.«

Udo: »Ja, guck mal, wie Mannesmann das macht.«

Michael: »Im Moment sind doch so viele Arbeitslose, wir stekken doch selbst in der Krise.«

Udo: »Mannesmann hat sofort gesagt: hier alle Mann 10-30000 Mark.«

Ich (Ali): »Nur wenn jetzt alle gehe würde, da würd ihr jetzt kein Rent’ mehr kriege, wär für euch ganz Rent’ kaputt. Wenn wir alle gehe, krieg wir all unser Geld. Un’ Ihr habt kein Rent mehr.«

Alfred: »Ach, alles Quatsch. So viele Türken sind gar nicht da.«

Ich (Ali): »Doch, 1,5 Millione. Da seid ihr pleite.«

Alfred: »Weißte, wie das in der Schweiz ist? Wenn du in der Schweiz als Gastarbeiter arbeitest, dann läuft dein Arbeitsvertrag elf Monate und der zwölfte ist Urlaubsmonat. Und in diesem Monat, in dem du zu Hause bist und Urlaub hast, informieren sie dich brieflich, ob du wieder arbeiten darfst oder zu Hause bleiben kannst. So regelt das die Schweiz. In dem Monat entscheiden die, ob du wiederkommen kannst oder dir als Kameltreiber die Zeit vertreiben darfst.« Mehmets Odyssee

Mehmet, ein älterer Kollege, fällt mir (Ali) immer wieder durch seine ruhige Art auf. Er besitzt eine fast stoische Ausgeglichenheit, mit der er die härtesten Arbeiten auf sich nimmt, und auch die gefährlichsten. Er ist freundlich und wirkt mit ergrautem Haar und dem runden, etwas faltigen Gesicht recht väterlich.

Ich (Ali) erschrecke ein bißchen, als Klaus, ein anderer Remmert-Mann, erzählt, Mehmet sei gerade erst neunundvierzig Jahre alt. Ich hatte ihn für sechzig gehalten.

Eines Tages verabschiedet sich Mehmet für »fünf Wochen Urlaub« in der Türkei. Ich (Ali) frage andere Kollegen: »Gibt viel Urlaub bei Remmert? Adler frage nach fünf Woche Urlaub, geht aber nich, gleich Entlassung.« — »Kannst bei uns normal auch nicht machen, fünf Wochen«, sagt einer, »der Mehmet hatte doch drei Unfälle in einem Jahr. Da ist der Alte mal großzügig gewesen.« Ich frage nach: übereinstimmend berichten die Kollegen von schweren Verletzungen, die Mehmet erlitten hat.

Der erste Unfall habe sich dabei noch nicht mal bei Thyssen ereignet, sondern in Remmerts Millionen-Villa in Mülheim. Mehmet und ein deutscher Kollege sollten dort eine Sauna im Keller installieren. Dafür mußte Erdreich ausgehoben werden, und Mauern waren teilweise abzutragen. »Dabei ist es passiert.

Der deutsche Kollege war unten am buddeln, und der Mehmet hat gemerkt, wie die eine Mauer runterkommt. Da hat der den Kollegen rausgezogen, sonst wäre der vielleicht tot gewesen, aber Mehmet hat die Mauer noch voll auf der linken Schulter abgekriegt.« Der Arzt röntgte die zersplitterten Knochen und bescheinigte Mehmet eine 46-prozentige Schwerbehinderung. Mehr als zwei Monate mußte Mehmet im Krankenhaus bleiben. Eine Entschädigung oder eine Rente erhielt er von Remmert nicht. Dafür versprach ihm der Menschenverkäufer Remmert trotz der schweren Verletzung, daß er bei Thyssen weiterschuften darf. Bei Smogalarm und eisiger Kälte wird Mehmet im Februar wieder eingesetzt: in der Nachtschicht. In der Sinteranlage rutscht er bei Glatteis aus und fällt unglücklich, weil er instinktiv versucht, sich mit dem gesunden Arm abzustützen. Dabei verstaucht er sich das Armgelenk so stark, daß es in Gips gelegt werden muß. Kaum ist Mehmet, der eine Frau und drei Kinder zu versorgen hat, von denen eins seit Geburt schwerbehindert ist, wieder halbwegs gesund, fährt er eine Nachtschicht nach der anderen. Nach vierzehn Nächten hintereinander fällt Mehmet todmüde ins Bett. Zwei Stunden später ruft man bei ihm an und verlangt, gleich noch eine Tagesschicht dranzuhängen. Mehmet kommt. Als Mehmet abends um acht Feierabend machen will, ordnet der Vorarbeiter an: nach dem Essen soll Mehmet gleich wieder auf die Hütte kommen, zur nächsten Nachtschicht. Mehmet kommt.

In einem Kellergewölbe reinigt Mehmet Kanäle, in die immer wieder glühendes Eisen fällt und dabei einen Dampf verursacht, bei dem die eigene Hand vor den Augen nicht mehr zu sehen ist. Übermüdet und erschöpft rutscht Mehmet mit einem Bein in ein Bodenloch. Die Diagnose im Krankenhaus: Bänderriß. Auch nach zwei Operationen ist Mehmets Bein noch nicht wieder in Ordnung. Trotzdem arbeitet er weiter. Aus seinem Urlaub zurück, sagt er mir: »Was soll ich machen? Muß Arbeit machen. Kinder, Schulden ...«

Es ist schwierig, mit Mehmet ins Gespräch zu kommen. Er ist bereits nach wenigen Tagen wieder total überarbeitet und über müdet. Die Zeit teilt er nur noch in Schichten ein, erinnert sich oft nicht mehr an bestimmte Monate, sondern nur noch daran, ob es bei Thyssen besonders kalt oder schmutzig war. Obwohl er bereits seit 1960 in der Bundesrepublik ist, spricht er nur ein sehr gebrochenes Deutsch. Der Überlebenskampf hat ihm nicht mal Zeit gelassen, die Sprache richtig zu lernen (ein türkischer Kollege half deshalb bei der Übersetzung der Gespräche, G. W.). Reden ist auch nicht gefragt, sondern »anpacken«. Mühsam hat Mehmet versucht, was bei jedem Deutschen als Tugend gilt: sich und seiner Familie eine neue Heimat zu schaffen.

Er erzählt, daß er die ersten zehn Jahre überall gearbeitet hat, wo es Arbeit gab. Quer durch’s Land. Schließlich, 1970, gelang es ihm, bei Thyssen in Duisburg eine feste Anstellung als Gabelstaplerfahrer zu bekommen: »Da hab’ ich zwischen 1600 und 1700 Mark netto verdient, in Wechselschicht. Nebenbei auch noch gearbeitet, Autosattlerei...« Mit jahrelang Erspartem und Bankkrediten kaufte Mehmet sich und seiner Familie ein halbverfallenes Reihenhaus in Duisburg-Mettmann. »Hätt‘ ich Arbeit behalten bei Thyssen, wär’ jetzt alles bezahlt.« Doch sein deutscher Vorarbeiter machte einen Strich durch die bescheidene Rechnung: »Hab’ ich Urlaub gemacht, 1980. Kommt der Vorarbeiter, sagt zu allen Türken: Bringt mir mal einen Teppich mit aus der Türkei, aber echten Teppich! Hab’ ich gesagt: Hör mal, echter Teppich kostet bei uns mindestens 5000 Mark, gute Qualität. Soviel Geld hab’ ich nicht. Da sagt der: Bringst du mir keinen mit, wenn du wiederkommst, wirst du was erleben!«

Als Mehmet aus der Türkei zurückkam, schikanierte ihn der Vorarbeiter tagelang mit schweren Arbeiten als »Strafe« für das ausgebliebene »Geschenk«. »Dann er hat gesagt: Komm’ in mein Büro! Bin ich in sein Büro gegangen, hat er bißchen geschimpft, hab’ ich nichts gesagt. Dann, drei Stunden später, da hab’ ich wieder gearbeitet, kommt Werkschutz, nimmt mich, sagt, ich soll nach Hause gehen. Ich hätte den Vorarbeiter geschlagen. Aber das stimmte überhaupt nicht.« Mehmet wurde, ohne genaue Prüfung des Vorfalls, nach zehn Jahren bei Thyssen fristlos entlassen. Tatsächlich gab es nicht einmal eine Anzeige gegen ihn, etwa wegen »Körperverletzung«. Weil aber Thyssen diesen Grund in der Kündigung (»Tätlicher Angriff auf einen Kollegen«) angegeben hatte, weigerte sich das Arbeitsamt zunächst, ihn zu unterstützen. Mehmet mußte erst einmal Zeugen beibringen.