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14 Juli 2007

USA teilt und herrscht ueber Mittleren Osten?

Schmutziges Geheimnis


von www.german-foreign-policy.com , 08.09.2006
Amerikanische Armeekreise empfehlen eine ethnische Neuordnung fast sämtlicher Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Territorialverluste und neue Grenzziehungen betreffen unter anderem die Türkei, Syrien, den Libanon, Saudi-Arabien, Irak, Iran und Pakistan.

Durch Auflösung ganzer Staatenverbände sollen neue Völkerrechtssubjekte entstehen, die nach Stammes- und Religionszugehörigkeit gebildet werden. Demnach entsteht auf dem Boden der heutigen Osttürkei und des Nordirak ein Flächenstaat von der dreifachen Größe Syriens mit dem Namen "Freies Kurdistan". Der Rest-Irak wird geteilt, die Hauptstadt Bagdad zerschlagen. Der Iran verliert weite Teile seiner Küsten sowie die an Pakistan grenzenden Gebiete, wo ein "Freies Baluchistan" gegründet werden soll.

Mekka und Medina, bisher in Saudi-Arabien gelegen, steigen zu Hauptstädten eines muslimischen Gotteslandes auf, das an die Südgrenzen Jordaniens stößt - bei Verdoppelung des haschemitischen Territoriums ("Groß-Jordanien"). Die Ethno-Neuordnung ist in mehreren US-Karten festgehalten, die der Historiker Dr. Pierre Hillard (Paris) jetzt in Frankreich veröffentlichte. "Die deutsche Politik spielt bei der Propagierung dieser Ideen eine große Rolle", urteilt Hillard im Gespräch mit dieser Redaktion. german-foreign-policy.com publiziert das US-Kartenwerk erstmals in Deutschland.

Die Empfehlungen für einen völligen Umsturz der bisherigen Staatenordnung erschienen im "Armed Forces Journal" (AFJ, Juni 2006), einem Periodikum der "Army Times Publishing Company". Das Unternehmen gibt mindestens zehn Militärzeitschriften heraus (unter anderem "Army Times", "Navy Times") und gehört zur Gannett-Medien-Gruppe (Virginia, USA). Die betrieblichen Einkünfte der Gruppe, der auch die bekannte Tageszeitung "USA Today" angeschlossen ist, beliefen sich 2005 auf 7,6 Milliarden US Dollar, heißt es in einer Selbstdarstellung.[1]

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Erfahrung

Unter dem Titel "Redrawing the Middle East Map" ("Die Karte des Mittleren Ostens neu zeichnen") bringt das "Armed Forces Journal" seinen Lesern zwei Darstellungen nahe, die bei identischen Kartenumrissen einmal den jetzigen Grenzzustand zeigen ("Before"), um daraus das zukünftige Bild des Nahen und Mittleren Ostens zu entwickeln ("After"). Wie es in dem Begleitartikel heißt, befinde sich die muslimische Welt in einem teils selbstverschuldeten, teils kolonial ererbten Zustand des Hasses und der Gewalt, denen nur mit radikalen Grenzverschiebungen begegnet werden könne. Die Grenzänderungen müssten ethnischen (blutlich-stammesmäßigen) sowie religiösen Trennungslinien folgen, schreibt der Autor Ralph Peters, ein pensionierter US-Militär.[2] Peters verhehlt nicht, dass er über nachrichtendienstliche Erfahrung verfügt.[3] Nach Erkenntnissen dieser Redaktion hielt sich Peters zuletzt im Frühjahr 2006 in Bagdad auf.

Unverdient

Das unter Peters' Namen veröffentlichte Kartenwerk empfiehlt die Zerschlagung des bisherigen Saudi-Arabien, das die größten Territorialverluste hinnehmen muss. Begründet wird die radikale Umgestaltung mit dem politischen Zustand der saudischen Herrschaft, die nicht nur eines der weltweit wohl "bigottesten und repressivsten Regime" [4] hervorgebracht habe - auch sei ihr "enormer Ölreichtum" gänzlich "unverdient". Um hier "wirkliche Gerechtigkeit" walten zu lassen, so das "Armed Forces Journal", müssten die Ölfelder an der südwestlichen Küste des heutigen Saudi-Arabien abgetrennt und dem Jemen übereignet werden. Aber nicht nur die saudische Ressourcenkontrolle gelte es zu schwächen, sondern auch den religiösen Einfluss, den Riad über die heiligen Stätten (Mekka und Medina) ausübt. Deswegen sollen das frühere Wirkungsgebiet des Propheten Mohammed von einem "Heiligen Islam-Staat" verwaltet werden, der zwar über ein riesiges Territorium verfügt, aber ohne kontinuierliche Zentralverwaltung ist - die Regierung übernehmen wechselnde Glaubensschulen.

Ergeben

Einen hundertprozentigen Territorialgewinn offeriert der US-Militär-Autor den kurdischen Separatisten in der Türkei, in Syrien, dem Irak und Iran. Diese Staaten verlieren erhebliche Teile ihrer Gebiete an das Fantasiewesen "Freies Kurdistan", dessen Gründung nicht länger warten könne. "Freies Kurdistan, vom (türkischen) Diyarbakir bis zum (iranischen) Tabriz, wäre der dem Westen am meisten ergebene Staat zwischen Bulgarien und Japan", heißt es über die uneigennützigen Motive der Territorialamputation mehrerer UNO-Mitglieder im "Armed Forces Journal".

Entreißen

Um dem Iran die Kontrolle über den Persischen Golf und die dortigen Ölreichtümer zu entreißen, fällt die gesamte Küstenflanke des Landes an einen neu zu gründenden Teilstaat des ehemaligen Irak. Auf diese Weise werden beiden Gegnern westlicher Herrschaftsanmaßungen die materiellen Grundlagen ihrer Autonomie entzogen, um die sie gegeneinander konkurrieren müssen. Während der Irak aufhört zu existieren, verbleiben bei Teheran seine Zentralprovinzen, jedoch nicht die östlichen Grenzgebiete. Sie gehen teilweise an Afghanistan, teils an ein weiteres Fantasieprodukt ("Freies Baluchistan").

Neue Perspektiven

Wie der französische Historiker Pierre Hillard urteilt, wird die ethnizistische Aggression der westlichen Mächte durch die deutsche Außenpolitik maßgeblich befördert. Hillard verweist auf kontinuierliche Bemühungen deutscher Vorfeldorganisationen, die den "den Mittleren Osten neu modellieren" [5] wollen, und erwähnt in diesem Zusammenhang die Aktivitäten der Bertelsmann-Stiftung. Die Stiftung veranstaltet jährlich stattfindende Nahost-Foren ("Kronberger Gespräche"), bei denen es um eine "vollständige Umgestaltung der politischen, wirtschaftlichen und religiösen Insitutionen" der muslimischen Ressourcenstaaten geht - "um sie fest an die euro-atlantische Achse zu schweißen", sagt Hillard im Interview mit dieser Redaktion. Wie es im Protokoll der diesjährigen "Kronberger Gespräche" [6] heißt, sollten dem "schrittweisen Ausbau der europäischen Präsenz in der Region" geeignete Mittel "der amerikanischen Durchsetzungsfähigkeit" beigegeben werden. Der Hinweis kombiniert diplomatische und subversive Aktivitäten ("Minderheitenrechte") mit kriegerischen Drohungen. Bei einem der vorangegangenen Bertelsmann-Foren war verlangt worden, dass die "administrativen und natürlichen Grenzen der Region ihre Bedeutung schnell verlieren müssen, damit sich neue Perspektiven eröffnen".[7]

Unnatürlich

Die Parzellierung ganzer Staatensysteme ist Bertelsmann nicht unbekannt. So empfahl die Stiftung am Vorabend des Jugoslawienkrieges, "das ethnische Prinzip" [8] anzuwenden und gegen Belgrad so genannte Volksgruppen zu mobilisieren - blutlich definierte Minderheiten mit Anspruch auf Territorialrechte. Ebenfalls für Bertelsmann entstand 1996 ein ethnischer Teilungsplan, der Ungarn, Rumänien, Russland und den nördlichen Kaukasus betrifft.[9] Ähnlich wie jetzt im "Armed Forces Journal" wird mehreren UNO-Mitgliedern mit dem Verlust ihrer Staatlichkeit gedroht. Dabei beruft sich der Bertelsmann-Autor auf angeblich "unnatürliche" Grenzziehungen und klagt erfundene Stammesansprüche von Blutsgemeinschaften ein.

Klappt

Die ethnizistische Aggression geht auf deutsche Politikansätze der Bismarck-Zeit zurück. Postulierten ihre damaligen Theoretiker das ständige "Fließen" von Staatsgrenzen, die dem biologischen Zug der Stämme und "Volksgruppen" folgten, so heißt es heute im "Armed Forces Journal", dass "Grenzen niemals statisch gewesen sind".[10] Wegen "unnatürlicher" Territorialbildungen wechseln Grenzen "gerade jetzt" ihre Gestalten, schreibt der amerikanische Militär-Autor: "vom Kongo über den Kosovo bis zum Kaukasus". Über die dabei zur Anwendung kommenden Mittel wird bereitwillig Auskunft gegeben. Man könne "ein kleines schmutziges Geheimnis aus 5000 Jahren Geschichte" verraten: "Ethnische Säuberung klappt".[11]

[1] Gannett Co. Company Profile; www.gannett.com/about/company_profile.htm 08.09.2006
[2] Ralph Peters: Blood Borders. How a better Middle East would look; Armed Forces Journal Juni 2006
[3] Real Clear Politics; Author Archive 08.09.2006
[4] Ralph Peters: Blood Borders. How a better Middle East would look; Armed Forces Journal Juni 2006
[5] Lesen Sie dazu das Interview mit Dr. Pierre Hillard.
[6] Europa und der Nahe Osten; 10. Kronberger Gespräche, 14.-15.07.2006
[7] Lesen Sie dazu das Interview mit Dr. Pierre Hillard.
[8] Walter von Goldendach, Hans-Rüdiger Minow: Von Krieg zu Krieg. Die deutsche Außenpolitik und die ethnische Parzellierung Europas, München 1999, S. 206.
[9] Georg Brunner: Gutachten über Nationalitätenprobleme und Minderheitenkonflikte in Osteuropa, Bertelsmann, Reihe Strategien für Europa, Gütersloh 1996
[10] Ralph Peters: Blood Borders. How a better Middle East would look; Armed Forces Journal Juni 2006
[11] Im englischen Original: "Oh, and one other dirty little secret from 5,000 years of history: Ethnic cleansing works."
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56504?PHPSESSID=
g9056btpq6al9dr3qokno1qir5

Interview mit Dr. Pierre Hillard

Über Pläne zur Dekomposition des Nahen und Mittleren Ostens, die kürzlich in der US-amerikanischen Militärzeitschrift Armed Forces Journal (AFJ) publiziert wurden, sprach german-foreign-policy.com mit Dr. Pierre Hillard. Hillard, Spezialist für die deutsch-französischen Beziehungen, ist docteur en science politique und Autor mehrerer Publikationen über die Zerschlagung von Staaten nach ethnischen Kriterien. Zuletzt erschien im vergangenen Jahr "La décomposition des nations européennes. De l'union euro-Atlantique à l'État mondial" (Éditions François-Xavier de Guibert, Paris).

german-foreign-policy.com: Sind die ethnizistischen Umsturzversuche im Nahen und Mittleren Osten ernst zu nehmen?

Pierre Hillard: Diese Versuche müssen selbstverständlich ernst genommen werden. Im Grunde genommen sind sie der Reflex einer sehr umfassenden Politik, die darin besteht, dieses gesamte Gebiet nach ethnischen und religiösen Kriterien umzugestalten - gemäß dem bekannten Prinzip "Teile und herrsche". Diese Dekomposition zielt auch auf religiöse Werte. Man sieht es an der Idee, einen "Heiligen Islamischen Staat" zu schaffen und dessen Territorium von der herrschenden wahabitischen Saoud-Familie zu trennen. Es geht darum, religiöse Prinzipien zu debattieren, um in der Lage zu sein, sie zu modifizieren. Das erklärte Ziel ist es, die Denkweisen der Muslime zu verändern, damit diese die politischen, ökonomischen und philosophischen Prinzipien übernehmen, die den Westen beherrschen. Ethnische Umstrukturierung und Umstrukturierung des religiösen Denkens der Bewohner des Nahen und Mittleren Ostens - das sind die beiden Waffen, die von den Führungsspitzen in Washington und Brüssel benutzt werden, um die gesamte Region umzustürzen.

gfp.com: Welche Staaten sind betroffen?

Hillard: Sämtliche Staaten des "Großen Mittleren Ostens". Die Landkarte der US-amerikanischen Militärzeitschrift AFJ (Armed Forces Journal) gibt nur einen Ausschnitt preis. Man muss wissen, dass auch die Staaten Nordafrikas zu Objekten der Zerschlagung gemacht werden. Beispiel Algerien: Seit 2002 unterhalten die Kabylen Algeriens enge Beziehungen zu spanischen Behörden, genauer gesagt zur Generalitat in Katalonien. Diese spanische Region betreibt einen offenen Ethno-Regionalismus und scheint ihn auch exportieren zu wollen. Katalonien saugt sich voll mit europäischen Dokumenten, die in Wahrheit deutsch-europäische Dokumente sind, um mit ethnizistischen Begründungen von Madrid loszukommen. Das interessiert auch die Kabylen in Algerien und alle anderen, die bestehende Staaten in Nordafrika aufbrechen wollen - ein Prozess, der sämtliche Mittelmeeranlieger betrifft.

gfp.com: Welche Ziele verfolgt die Veröffentlichung der Ethno-Karten?

Hillard:
Die Veröffentlichung dieser Karten sowie des AFJ-Artikels von Ralph Peters darf man nicht isoliert betrachten. Die Publikation in einer amerikanischen Militärzeitschrift begleitet die seit Jahren ventilierten Konzepte, ein Gebiet namens "Greater Middle East" zu schaffen. Es sind Vorschläge, sozusagen ein Prototyp der beabsichtigten Umstürze und insofern für Modifikationen offen. Man will auch die Reaktionen testen, vorrangig die Reaktionen unter den Muslimen. Das Geschickte an einer solchen Veröffentlichung ist, dass sie Debatten bei den Betroffenen auslöst. Man wird Befürworter und Gegner dieser Kozepte erkennen können, es wird zu Brüchen und Widersprüchen in den islamischen Staaten kommen. Also wird es auch Möglichkeiten geben, auf die eine oder andere ethnische oder politische Gruppe Druck auszuüben, eine dritte zu bevorzugen usw. Allein die Debatte um das Für und Wider ethno-regionalistischer Prinzipien (und Grenzziehungen) befördert die westlichen Interessen - eine sehr perverse Methode.

gfp.com: Angestrebt wird eine völlige Neuorganisation der Staatlichkeit - zwischen Griechenland im Westen und Indien im Osten. Einen solch umfassenden Umsturzversuch haben nicht einmal die Kolonisatoren des 19. Jahrhunderts unternommen...

Hillard: Tatsächlich sind die Kolonialisten des 19. Jahrhunderts nicht so weit gegangen. Diese politische Neuorganisation zwischen Griechenland im Westen und Indien im Osten ist alles andere als harmlos. Die Führungsspitzen in Washington und Brüssel begünstigen das Zerbrechen der Staaten im Mittleren Osten, aber auch in Europa. Sie handeln im Geist der sogenannten Globalisierung und ihrer Philosophie angeblich universeller Werte.

gfp.com: Welche Rolle spielt die deutsche Außenpolitik bei dieser ethnizistischen Aggression?

Hillard: Die deutsche Politik spielt bei der Propagierung dieser Ideen eine große Rolle - nehmen Sie zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung, die im Rahmen der Kronberger Gespräche ganze Maßnahmenbündel ausarbeitet, um den Mittleren Osten umzugestalten. Der davon ausgehende Einfluss ist bedeutend, und zwar unabhängig davon, welche Regierungsmannschaft in Berlin gerade an der Macht ist. Die Berichte der Stiftung aus den Jahren 2002 und 2003 sind sehr lesenswert: "Europe, the mediterranean and the Middle East, strengthening responsibility for stability and development" (Siebte Kronberger Gespräche) und "Die Zukunft der europäischen Politik im Nahen Osten nach dem Irak-Krieg" (Achte Kronberger Gespräche). In diesen Ausführungen ist zu erkennen, dass man eine vollständige Umgestaltung der politischen, wirtschaftlichen und religiösen Institutionen der Länder des "Großen Mittleren Ostens" will, um sie fest an die euro-atlantische Achse zu schweißen.

gfp.com: Sind die Bertelsmann-Ãœberlegungen auch zu Bestandteilen der offiziellen deutschen Außenpolitik geworden?

Hillard: Der Einfluss lässt sich an verschiedenen Beispielen zeigen. So hat der frühere Außenminister Joseph Fischer im Januar 2004 einer so genannten Modernisierung des Islam das Wort geredet und in diesem Zusammenhang "Reformen" in der Türkei gefordert.[1] Dabei erwähnte Fischer ausdrücklich, dass die Türkei die "Kopenhagener Kriterien" erfüllen müsse. Diese EU-Kriterien verlangen nach Minderheitenrechten in der deutschen Definition. Sie sind von Deutschen ersonnen und von Deutschen in die EU-Dokumente eingeführt worden, wie ich in meinen Veröffentlichungen mehrmals nachgewiesen habe.[2] Diese ethnisch geprägte Minderheitenpolitik ist zum Bestandteil der gesamten EU-Nachbarschaftspolitik geworden, sie betrifft auch die osteuropäischen Kandidaten und Anlieger der EU. Es geht um ethno-regionalistische Konzepte, die zur Zerstörung souveräner Staaten führen. Das steht in einem inneren Zusammenhang mit den jetzt vorliegenden Entwürfen des US-Militärs Peters.

gfp.com: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem jüngsten Krieg gegen den Libanon und der aggressiven Neuorganisation des Nahen und Mittleren Ostens?

Hillard: Die Veröffentlichung der Karten in einer amerikanischen Militärzeitschrift im Juni 2006 ist kein Zufall. Es handelt sich um die Begleitmusik für einen Umsturzprozess großen Stils. Die US-Außenministerin Condoleezza Rice hat dies auf ihrer Pressekonferenz am 21. Juli 2006, noch während der Kriegsereignisse im Libanon, ohne Umschweife zu erkennen gegeben. Frau Rice sagte: "Ich sehe kein Interesse der Diplomatie, zum status quo ante zwischen Israel und dem Libanon zurückzukehren. Ich meine, das wäre ein Irrtum. Was wir hier sehen, ist auf eine gewisse Weise der Beginn, das sind die Geburtswehen eines neuen Mittleren Ostens, und was auch immer wir tun, wir müssen sicher sein, dass wir zu diesem neuen Mittleren Osten vorwärts schreiten und nicht zum alten zurückkehren." Angesichts dieser Ausführungen muss man sich fragen, ob der Krieg im Libanon nicht vorsätzlich begonnen wurde, um die Umsturzpolitik voranzutreiben. Es ist zu befürchten, dass auf dem jetzt eingeschlagenen Weg sehr viel Blut fließen wird.

[1] "Lassen Sie mich eine Zukunftsperspektive schildern: Vielleicht kann es der Türkei gelingen, sich zu einem europäischen Staat – entsprechend den Kopenhagener Kriterien - mit überwiegend muslimischer Bevölkerung zu entwickeln, in dem die Menschenrechte der Mehrheit und der Minderheiten geachtet werden und rechtstaatliche und demokratische Prinzipien gelten. Das wäre von kaum zu überschätzendem Einfluss auf die Stabilität der gesamten Region und auf die Reformperspektiven der islamischen Welt und vor allem unserer Nachbarregion des Nahen Ostens. Diese demokratische Türkei wäre ein deutliches Signal, dass eine islamische Prägung und eine aufgeklärte, moderne Gesellschaft in einem Staat keinen Widerspruch darstellen müssen." "Europa auf der Suche nach politischer Ordnung". Rede von Bundesaußenminister Joschka Fischer anlässlich der Eröffnung des "International Bertelsmann Forum" in Berlin, 9. Januar 2004
[2] Pierre Hillard: La décomposition des nations européennes. De l'union euro-Atlantique à l'État mondial, Paris 2005 (Éditions François-Xavier de Guibert)
http://www.reutlinger-friedensgruppe.de/Neuordnung%20Naher%20Osten.htm

Der CIA steuerte BRD Kultur - straffrei.

Samstag, 2. Dezember 2006 um 18.05 Uhr
Keine Wiederholungen
Benutzt und gesteuert - Künstler im Netz der CIA
Dokumentation, Deutschland 2006, ZDF, Erstausstrahlung
Regie: Hans-Rüdiger Minow

ARTE-Doku über deutsche Schriftsteller im Geheimdienstgestrüpp

Der amerikanische Geheimdienst CIA finanzierte nach dem Zweiten Weltkrieg enorme Summen, um hochrangige europäische Künstler und Schriftsteller zu manipulieren. Die Dokumentation weist nach, dass die Einflussnahme des CIA bis in die Redaktionen westdeutscher Verlage und Sendeanstalten reichte und dass prominente Künstler wie der spätere Nobelpreisträger Heinrich Böll unwissentlich für den amerikanischen Geheimdienst tätig waren.

Mehrere hundert Millionen Dollar investierte der US-Auslandsgeheimdienst, um in einer der größten Nachkriegsoperationen ein weltweites Kulturnetz zu knüpfen. Zentrum der CIA-Aktivitäten war der "Kongress für kulturelle Freiheit" - eine Organisation mit Sitz in Paris unter vollständiger Kontrolle der dort tätigen US-Agenten. Nationale Zweigorganisationen unterhielt der "Kongress" in sämtlichen Staaten Westeuropas. Und die Pariser Zentrale finanzierte in großem Stil "Kongress"-Zeitschriften für den Einsatz in Afrika, Lateinamerika und den arabischen Ländern. Ziel war der Kampf für amerikanische Werte in Bildender Kunst, Literatur und Musik. Insbesondere sozialkritische Intellektuelle und Künstler aus dem linken Lager waren für den "Kongress" von Interesse. Mit geheimdienstlichen Mitteln sollten sie marxistischen Einflüssen entzogen und für den Einsatz an der US-Kulturfront bereitgemacht werden.
Als französische Plattform der Einflussnahme diente die Zeitschrift "Preuves" unter dem Soziologen Raymond Aron. In Deutschland sammelte der "Kongress" seine ahnungslosen Kulturträger im Umkreis des Blattes "Der Monat". Die Finanzierung übernahm ab etwa 1958 die CIA. Zu den Mitarbeitern gehörten die wichtigsten Vertreter des westdeutschen Journalismus und der Verlagswelt. Neben Stützpunkten in Westberlin, München und Frankfurt am Main verfügte der "Kongress" über eine Niederlassung in Köln mit hochrangigen Beziehungen, die in die Redaktionen sämtlicher großer Fernsehanstalten und Printmedien reichten. Unter anderem wurde auch um Heinrich Böll geworben - mit Erfolg, wie die Dokumente bestätigen. Der spätere Nobelpreisträger arbeitete dem "Kongress" und seinen Organisationen über mindestens zehn Jahre zu - ohne die Hintergründe zu kennen, wie Günter Grass, eine andere Zielperson der CIA, vermutet. Nicht nur auf Böll und Grass hatte es der "Kongress" abgesehen. Die erste Riege deutscher Literaten, bildender Künstler, Musiker und Kunstkritiker stand im Fadenkreuz der CIA und stellte sich, meist unwissentlich, zur Verfügung.

"Benutzt und gesteuert - Künstler im Netz der CIA" folgt den Spuren der geheimdienstlichen Kulturarbeit anhand zahlreicher Dokumente, die in US-Archiven lagern und über die damaligen Arbeitszentren in der Bundesrepublik Auskunft geben. Die Dokumentation entstand nach dreijähriger Recherchearbeit, die Anlass zur Neubewertung der Kulturszene im Nachkriegseuropa gibt.

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Deutsche Künstler und Journalisten als "IM" der USA?

Wolf-Dieter Roth 26.11.2006

Selbst Heinrich Böll arbeitete jahrelang – möglicherweise unwissentlich – dem CIA zu

Jedes große Unternehmen zahlt heute seine Spin-Doctors und Lobbyisten, um seine Interessen durchzusetzen. Der US-amerikanische Geheimdienst CIA war in den späten 50ern seiner Zeit bereits weit voraus, wie eine ZDF-Dokumentation belegt: ob Literaten, Musiker, Mitarbeiter von Verlagen oder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – alle wurden aus Washington ferngesteuert.

Dass im Osten keine Freiheit herrschte, ist hinlänglich bekannt: in der DDR war ein immer größerer Teil der Bevölkerung damit beschäftigt, den Rest zu überwachen und der große Bruder in Moskau hatte mit dem KGB seine Finger ohnehin überall drin. Dissidenten erhofften sich im Westen, nun von den Nachstellungen der Geheimdienste sicher zu sein – und waren doch wieder schneller in deren Fängen, als sie sich vorstellen konnten, nur diesmal denen der anderen Seite im Kalten Krieg.

Der italienische Historiker Dr. Sergio Biocca hat bei Recherchen in US-Archiven zahlreiche Belege für die geheimdienstliche Tätigkeit des bekannten Literaten Ignazio Silone gefunden. Silone gilt in Italien bis heute als moralische Institution "wie Böll in Deutschland", sagt Sergio Biocca. (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Guy Mertin)

Mehrere hundert Millionen Dollar investierte der US-Auslandsgeheimdienst CIA, um in einer der größten Nachkriegsoperationen ein weltweites Kulturnetz zu knüpfen. Zentrum der CIA-Aktivitäten war der bis vor kurzem noch [extern] hochgelobte "Kongress für kulturelle Freiheit" – eine Organisation mit Sitz in Paris [extern] unter vollständiger Kontrolle der dort tätigen US-Agenten. Der "Kongress" unterhielt in sämtlichen Staaten Westeuropas nationale Zweigorganisationen und die Pariser Zentrale finanzierte in großem Stil "Kongress"-Zeitschriften für den Einsatz in Afrika, Lateinamerika und den arabischen Ländern. Ziel war der Kampf für amerikanische Werte in Bildender Kunst, Literatur und Musik. Insbesondere sozialkritische Intellektuelle und Künstler aus dem linken Lager waren für den "Kongress" von Interesse. Mit geheimdienstlichen Mitteln sollten sie marxistischen Einflüssen entzogen und für den Einsatz an der US-Kulturfront bereitgemacht werden.

Als [extern] Alexander Solschenizyn 1974 aus der Sowjetunion ausgebürgert wurde und bei Heinrich Böll Zuflucht fand, war dies kein Zufall: Böll wurde vom CIA überwacht und alle Treffen des Literaten mit literarischen und politischen Persönlichkeiten des Ostblocks landeten in vertraulichen westlichen Geheimdienstprotokollen. Der "Kongress für kulturelle Freiheit" praktizierte realen Orwellschen Neusprech: Kulturell waren die Literaten wohl frei – sonst aber nicht.

Unter dem Motto "Freie Kultur in einer freie Welt" tagte der Verein unter anderem drei Tage in Berlin unter dem Funkturm und zum Abschluss sagte der englische Schriftsteller [extern] Arthur Köstler in einer Ansprache in sehr militaristischer Sprachwahl schließlich, es sei an der Zeit, der Neutralität Lebewohl zu sagen und verriet damit beinahe mehr über die Veranstaltung, als deren Initiatoren lieb war.


Die Intellektuellen des Westens haben ihre Defensivpositionen verlassen. Freunde, die Freiheit hat die Offensive ergriffen!

Arthur Köstler

Heimlicher Kopf der Kölner Gruppe der CIA-Organisation war Josef Caspar Witsch, ein ehemaliger nationalsozialistischer Kulturfunktionär und SA-Mann, so die ZDF-Dokumentation, der den Literaturverlag [extern] Kiepenheuer & Witsch gegründet hatte. [extern] Reinhold Neven Du Mont, der 1963 bei Kiepenheuer & Witsch einstieg und 1969 den Verlag übernahm, sagt hierzu aus, dass es neben den seriösen, literarischen Werken im Programm von Kiepenheuer & Witsch auch eine ganze Reihe zwar ebenso seriöser, aus den USA stammende Werke im Kiepenheuer & Witsch-Fundus gab, bei denen man sich aber doch fragte, wie diese anspruchsvollen Übersetzungen wohl finanziert worden seien.

Schon damals vermutete man den CIA als heimlichen Geldgeber, so Du Mont. Wie weit Böll von seinem Verleger Witsch über die Hintergründe des "Kongress für kulturelle Freiheit" aufgeklärt wurde, ist offen. Jedoch lieferte er die Berichte über seine Besuche im Ostblock bei Witsch ab, der sie an den CIA weiter gab und tauchte dort auch namentlich auf den Listen mit Finanztransfers auf.

Der Hamburger Literaturwissenschaftler Klaus Körner: "Insbesondere im linken und sozialdemokratischen Spektrum der Kulturszene suchte die CIA ihre Zuträger". (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Guy Mertin)

Mit im Kölner Kreis waren neben Rundfunk- und Fernsehleuten des westdeutschen Rundfunks der ehemalige Agent der NS-Auslandsspionage und SS-Untersturmführer Behrend von Nottbeck und der frühere Gestapo-Lockspitzel und [extern] USA-Feind Hans Otto Wesemann, so die ZDF-Dokumentation. Erst Mitte der 60er sickert durch, dass das Geld für die Aktivitäten vom CIA kommt – offiziell war die Ford-Stiftung der Sponsor. Die Beteiligten akzeptieren dies, "na endlich geben sie ihr Geld einmal für etwas richtig Gutes aus", so Sabine Brandt, Kongress-Geschäftsführerin in Köln von 1959 bis 1961.

Als französische Plattform der Einflussnahme diente die Zeitschrift "Preuves" unter dem Soziologen [extern] Raymond Aron. In Deutschland sammelte der "Kongress" seine ahnungslosen Kulturträger im Umkreis des Blattes "Der Monat". In England war es der "Encounter". Die Finanzierung übernahm ab etwa 1958 die CIA. Wie [extern] Tom Braden, Ex-CIA-Agent, berichtet, sprach der CIA reiche US-Bürger an, dass er Stiftungen in ihrem Namen gründen wolle. Ein "o.k." des Namensgebers, ein Hotelzimmer als Postadresse, ein Briefkopf – und fertig war die Stiftung, die nun die Literatenvereine finanzieren konnte, ohne dass der CIA direkt namentlich in Erscheinung treten musste.

Ziel der Unterwanderung waren linke Intellektuellenkreise. Diese durften durchaus Kritik an den USA äußern, sollten aber nicht kommunistisch aktiv werden – die Angst vor der roten Gefahr war groß, es war das [local] Zeitalter von McCarthy. Man wollte die gemäßigte Linke, die engagierten Intellektuellen ohne deren Wissen als Verbündete gewinnen, so [extern] Erich Schmidt-Eenboom. [extern] Carola Stern, die frühere US-Agentin in der DDR, spätere Fernsehjournalistin des westdeutschen Rundfunks und zeitweise Freundin von Heinrich Böll, arbeitete als Lektorin bei Kiepenheuer & Witsch.

Thomas Mann war beim "Kongress für kulturelle Freiheit" beispielsweise unerwünscht. Ebenso Jean-Paul Sarte und Simone de Beauvoir, die nach Äußerungen über die Unterschätzung des Hitlerregimes durch die seinerzeitige französische Regierung von Raymond Aron in der Zeitschrift "Preuves" auch bezüglich ihrer Liebesbeziehung mit Sartre ohne Trauschein attackiert wird. Grund für diese durch CIA-Gelder finanzierten persönlichen Attacken war eine Sympathie Sartres für den "dritten Weg" von Fidel Castro.

Heinrich Senfft ist Rechtsanwalt und hat über viele Jahrzehnte die Hamburger Illustrierte "Stern" vertreten. Im Umkreis von "Stern", "Zeit" und "Spiegel" arbeitete die Hamburger CIA-Niederlassung des "Kongresses für kulturelle Freiheit". (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Guy Mertin)

Die Verfilmung von George Orwells "1984", dessen Beschreibungen monströser Bauten durchaus an die Ost-Monsterbauten beispielsweise in Berlin Mitte erinnern und der mit der Farm der Tiere ("Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher!") ja tatsächlich den Kommunismus kritisierte, was aber in der heute bekannten Form auch [extern] auf Eingriffen des CIA beruhte, wurde auf Wirken des CIA gegenüber dem Buch noch deutlich verschärft und zu einem kommunismuskritischen Manifest.

Als die Dirigenten Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan wegen ihrer NS-Vergangenheit in die Kritik kamen, hielt der "Kongress für kulturelle Freiheit" nach einer Verpflichtung die schützende Hand über sie.

Bei der Malerei war abstrakter Expressionismus gewünscht, das galt als modern. Günter Grass war dagegen, er bevorzugte gegenständliche Malerei. Ebenso wurde der als Nobelpreiskandidat gehandelte chilenische Dichter Pablo Neruda gezielt mit CIA-Mitteln diskreditiert, um dies zu verhindern.

Dr. Ekkehart Krippendorf war bis vor kurzem Professor an der Freien Universität Berlin und bereits als Student Autor der Literaturzeitschrift "Der Monat". Sie wurde von der CIA co-finanziert. "Wir sind in eine Falle gelaufen", sagt Krippendorff heute. (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Guy Mertin)

Am 27. April 1966 berichtete die New York Times über die CIA-Finanzierung des "Kongress für kulturelle Freiheit". Damit war es mit all den von ihm getragenen Literaturzeitschriften vorbei. Die US-Kontakte blieben jedoch, ebenso die Finanzierungen. Den "Monat" kaufte die "Zeit" auf.

Die auf Arte TV erstmals ausgestrahlte Dokumentation "Benutzt und gesteuert – Künstler im Netz der CIA" entstand nach dreijähriger Recherchearbeit in zahlreichen Dokumenten, die in US-Archiven lagern und über die damaligen Arbeitszentren in der Bundesrepublik Auskunft geben. Sie gibt Anlass zur Neubewertung der Kulturszene im Nachkriegseuropa.




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CIA-gesteuert: Heinrich Böll

Von Hans Georg


Hans-Rüdiger Minow hervor, die am Mittwoch, 29. November, ab 20.40 Uhr bei ARTE gezeigt wird. "Wir alle haben für die CIA gearbeitet", bekennt darin die ehemalige Geschäftsführerin des Kölner CIA-Kulturstützpunktes Kiepenheuer und Witsch, der gleichzeitig Bölls Verlag war. Man habe aber diese Hintergründe nicht gekannt, sondern an eine Finanzierung durch die Ford-Stiftung (USA) geglaubt. Auch der im Film interviewte Günter Grass hält eine wissentliche CIA-Tätigkeit Bölls für unwahrscheinlich. Wie Dokumente im Film belegen, bezahlte die CIA Reisekosten von Böll und bezuschusste auch andere Schriftsteller bei Auftritten in der internationalen Kulturszene. Böll "war ein Diamant in der Sammlung der CIA", sagt der Filmemacher im Interview.

CIA-Kulturstützpunkt Kiepenheuer und Witsch

Eine Rekonstruktion der CIA-Beziehungen des späteren Nobelpreisträgers und Namensgebers der Parteistiftung von Bündnis 90/Die Grünen [1] führt in den Beginn der 1950er Jahre. Damals wurde der noch wenig bekannte Böll zu Lesungen nach Westberlin eingeladen und geriet in das Milieu (west-)"deutscher Frontorganisationen (...) im Kampf der Kulturen".[2] Sie sollen von der CIA gesteuert worden sein. Wie es in dem Film weiter heißt, verdichteten sich diese Kontakte zu einer regulären Mitgliedschaft Bölls in einer CIA-Tarnorganisation. Ihre Kuriere sprachen Intellektuelle in Polen, in der damaligen Sowjetunion und in der DDR an und belieferten sie mit Materialien aus dem Westen. Auf diese Weise seien Dissidenten herangezogen und bei anschließenden Ostblock-Reisen Bölls der internationalen Öffentlichkeit präsentiert worden. Böll habe über diese Reisen Berichte angefertigt, die auf dem Schreibtisch des Kölner Kultur-Stützpunktes der CIA landeten - im damaligen Verlag Kiepenheuer und Witsch, einer angesehenen Adresse für deutsche und internationale Literatur.

Vor diesem geheimdienstlichen Hintergrund, so der Film, erscheine auch die Ausweisung des sowjetischen Schriftstellers und Dissidenten Solschenizyn in einem neuen Licht. Solschenizyn war 1974 in Moskau kurzfristig verhaftet, nach Köln ausgeflogen und dort von Heinrich Böll betreut worden. Das Arrangement kam unter Einschaltung des Auswärtigen Amtes (AA) zustande. Böll engagierte sich ebenso für jugoslawische Dissidenten und nutzte dabei seine Stellung im internationalen PEN-Club. Dort galt er als unbestechlicher Demokrat und staatsferner Schriftsteller. Tatsächlich sei Böll für die staatlichen Ziele der USA und ihrer Partner in der Bundesrepublik tätig geworden, heißt es in der Dokumentation. Im Kreis um den Kölner CIA-Kulturstützpunkt wurde Böll als so wichtig angesehen, dass man ihm den Vorsitz antrug.

Böll-Denkmal in Berlin
Böll-Denkmal in Berlin
Foto: wikipedia



V-Leute vor Mikrofonen und Kameras der Sender

Im Kölner Kreis kamen die "wichtigsten Vertreter des westdeutschen Journalismus und der Verlagswelt" zusammen, heißt es in einem Programm-Info von ARTE.[3] Internes Ziel sei es gewesen, vor allem linke Intellektuelle vor "marxistische(n) Versuchungen" [4] zu bewahren und deren publizistischen Einfluss zu neutralisieren. "(H)ochrangige(...) Beziehungen (...) in die Redaktionen sämtlicher großer Fernsehanstalten" hätten den deutschen CIA-Einflussagenten Zugang zu einem Millionenpublikum verschafft.[5] "Hervorragend" sei es den V-Leuten der CIA gelungen, "vor die Mikrofone und Kameras der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten zu kommen und die sozialdemokratische Bildungspresse zu dominieren."[6]

Wie die Dokumentation zeigt, wurden die CIA-Kulturstützpunkte in Köln, (West-)Berlin, München und Hamburg von US-Agenten angeleitet, die sich als Mitarbeiter des Pariser "Kongresses für kulturelle Freiheit" tarnten. Diese bisher undementierte Behauptung hatte bereits die Londoner Autorin Frances Stonor Saunders in ihrem Buch "Wer die Zeche zahlt" [7] verbreitet und entsprechende Dokumente aus US-Archiven vorgelegt. Demnach gehörten zum Personal dieser Organisation international bekannte Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle. Das Organisationsnetz reichte nach Österreich, in die Schweiz und nach Italien. In diesen Ländern wurden CIA-finanzierte Kulturzeitschriften herausgegeben, ohne dass die Öffentlichkeit die tatsächlichen Urheber kannte. Auch in der arabischsprachigen Welt und in Afrika baute die CIA Filialen auf, um unter den Intellektuellen Perspektivagenten zu suchen. Aussichtsreiche Kandidaten wurden mit Stipendien und anderen Vergünstigungen an die Pariser CIA-Zentrale herangeführt.

"Die deutsche, die europäische und die internationale Öffentlichkeit, sie alle sind über Jahrzehnte getäuscht worden. Was wie der staatsferne Streit um Politik und Kultur aussah, war staatlich gesteuert", sagte Filmautor am Donnerstag, 23. November, bei einer Pressekonferenz in Berlin. "Schriftsteller wie Böll wurden von der CIA planmäßig eingesetzt." In den Medien wurde über diese Pressekonferenz allerdings so gut wie nicht berichtet.

Auch vom BDI finanziell unterstützt

Dr. Joseph C. Witsch - Schlüsselfigur - www.kiwi-koeln.deDie europaweite Tätigkeit der CIA-Tarnorganisation im Umfeld von Böll wurde auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit bedeutenden Beträgen unterstützt. Dies ergaben Recherchen von german-foreign-policy.com (gfp). Aufgabe der Organisation war es, osteuropäische Intellektuelle mit offenen und geschmuggelten Druckerzeugnissen zu versehen und sie als Dissidenten zu gewinnen. Als deutsche Mitglieder des geheimdienstlich organisierten CIA-Ablegers fungierten neben Böll die Verleger Klaus Piper ("Piper Verlag") sowie Joseph C. Witsch ("Kiepenheuer und Witsch"). Im Kölner Witsch-Verlag, der auch Bölls Werke betreute, arbeitete die frühere US-Agentin Carola Stern als Lektorin. Im Dünndruck hergestellte Verlagsprodukte wurden nach Ostdeutschland oder nach Polen geschleust, osteuropäische Künstler an die CIA-Kulturzentrale in Paris herangeführt. Geldtransfers für eine Nachfolgeorganisation liefen ab 1967 unter anderem über die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung.

Heinrich Böll taucht in den internen Papieren des Tarnapparates als ordentliches Mitglied auf. Unter dem irreführenden Namen "The Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation" war der CIA-Ableger 1956/57 gegründet worden, um "die Sowjets kulturell in die Defensive zu drängen".[8] Die Steuerung oblag mehreren CIA-Agenten, die sich als Mitarbeiter einer angeblichen Kulturorganisation mit Sitz in Paris ausgaben.[9] Ein ehemals führender CIA-Agent bekennt in der ARTE-Dokumentation diese Hintergründe.

Böll-Komitee beschreibt "klandestines" Vorgehen

In einem Tätigkeitsbericht, der gfp vorliegt, heißt es über die Arbeit der CIA-Tarnorganisation, man habe im Mai 1958 eine Spende vom Bundesverband der Deutschen Industrie erhalten und davon 16.000,- DM für "deutsche Bücher" ausgegeben, "die in osteuropäische Länder versandt wurden".[10] Wie eine Zielübersicht zeigt, ging der Großteil der Druckerzeugnisse nach Polen, wo im Berichtszeitraum 350 Publizisten angesprochen werden konnten und die Kontaktaufnahme mit 105 Institutionen gelang ("The Catholic Scientific Institute Cracow" und andere).

Das angeblich unabhängige "Komitee", das mit Bölls Namen um Glaubwürdigkeit warb und Staatsferne vortäuschte, vertrieb in Osteuropa nicht nur Printerzeugnisse, sondern kümmerte sich ebenso um Werke der Bildenden Kunst. So sollten für das "Museum für Moderne Kunst" in Łódź Werke "westlicher Gegenwartsmaler" beschafft werden. Für diesen Zweck hielten die CIA-Organisatoren Gaben amerikanischer Künstler bereit, die sich dem abstrakten Expressionismus verschrieben hatten. Auch wurden polnische Künstler mit Stipendien gefördert, sofern sie abstrakte Stilrichtungen vertraten. Die Ausstellung ihrer Bilder übernahm eine CIA-Kontrakt-Galerie in Paris. Mit dieser Galerie als Absender habe man 1964 "eintausend Kataloge" [11] über abstrakte Malerei "an Künstler und Intellektuelle nach ganz Osteuropa verschickt", fasst ein Jahresbericht des Böll-Komitees die geheimdienstlich organisierten Aktivitäten zusammen. Bei der Arbeit mit einem Künstler aus der damaligen UdSSR sei man "klandestin" vorgegangen.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Böll-Reiseberichte ans Außenministerium

Dass Böll dem "Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation" wissentlich angehörte und dafür auch seinen Namen gab, ist bis heute unbestritten. Ob er die Hintergründe kannte, bleibt offen. Böll unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu seinem Kölner Verleger Joseph C. Witsch, der als Schlüsselfigur geheimdienstlicher Kultur-Operationen in der Bundesrepublik gilt. Witsch stand mit der Pariser CIA-Kulturzentrale in regem Kontakt und sorgte für die Ankoppelung des von ihm betreuten Kreises deutscher Intellektueller an das Bonner Bundesministerium des Innern (BMI) und an andere Stellen. Durch Vermittlung von Witsch landeten Berichte, die Heinrich Böll über seine Reisen nach Polen angefertigt hatte, im westdeutschen Außenministerium. Ob Böll ein völlig argloser Zulieferer war, der sowohl seinen Namen als auch seine Reiseinterna aus politischer Naivität zur Verfügung stellte, ist Gegenstand einer beginnenden Kontroverse.

Nach Erkenntnissen von gfp entschieden die Pariser CIA-Strukturen 1966, die Tätigkeit das "Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation" auszuweiten und die Steuerung der Aktivitäten zusätzlich zu verschleiern. Die CIA-Anbindung war ruchbar geworden. Unter dem Namen "Stiftung des Europäischen Hilfswerks für Intellektuelle" wurden deswegen in Genf neue Strukturen geschaffen. Unverändertes Ziel blieb die subversive Tätigkeit in Osteuropa. Zwar wird Böll anlässlich der Namensumwidmung in den internen Papieren weiter als "Ehrenmitglied" geführt, scheint jedoch anschließend für die geheimdienstlichen Ziele ("aus Sicherheitsgründen") [12] nicht länger nützlich gewesen zu sein.

Ab 1967 auch die Bundesbank dabei

Dafür tauchen ab 1967 andere deutsche Namen auf. So teilt das Direktorium der Deutschen Bundesbank der angeblichen "Stiftung" per Schweizer Adresse mit, man werde dem "Hilfswerk für Intellektuelle" eine "einmalige finanzielle Unterstützung" [13] zukommen lassen. Auch die damals gewerkschaftseigene "Bank für Gemeinwirtschaft" hielt die uneigennützigen Ziele der Tarnorganisation in Osteuropa für förderungswürdig - mit einem Geldtransfer in Höhe von 10.000,- DM. "Wir werden diesen Spendenbetrag wie seither über die Friedrich-Ebert-Stiftung (...) überweisen".[14]

Mehr unter www.german-foreign-policy.com

[1] s. dazu Ökologisch veredelt, Dummy Foundations und Härtere Gangart
[2] Benutzt und gesteuert. Künstler im Netz der CIA; Film von Hans-Rüdiger Minow, ARTE, 29.11.2006, 20.40 Uhr
[3] ARTE Programminfo, 29.11.2006
[4] Diamant in der Sammlung; Interview mit Hans-Rüdiger Minow, 23.11.2006
[5] ARTE Programminfo, 29.11.2006
[6] Frances Stonor Saunders: Wer die Zeche zahlt. Berlin 2001
[7] Michael Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive? Dissertation. Würzburg 1996
[8] Congrès pour la Liberté de la Culture/Kongress für kulturelle Freiheit
[9] Report on Activities, Paris 1959
[10] Schreiben ohne Datum
[11] Mémo Josselson 1968
[12] Deutsche Bundesbank. Direktorium. Schreiben vom 31.01.1968
[13] Bank für Gemeinwirtschaft. Schreiben vom 19.12.1967



Medien


Interview mit dem Autor und Filmemacher Hans-Rüdiger Minow

"Diamant in der Sammlung der CIA"

Von Hans Georg


Mit dem Autor der Dokumentation über die geheimdienstliche Steuerung von Medien, Kultur und Öffentlichkeit sprach german-foreign-policy.com anlässlich der ARTE-Pressekonferenz vom 23. November in Berlin.

gfp: Wie waren die Reaktionen auf Ihre Dokumentation?

Hans-Rüdiger Minow: Irritiert, ungläubig, teils auch sehr nachdenklich. Die Journalisten, die den ARTE-Film über die geheimdienstliche Steuerung der Medien sahen, sind als mögliche Zielobjekte ja selbst betroffen.

Irritierend ist in der Tat, dass vor allem linke Intellektuelle und Künstler von der CIA umworben sein sollen, darunter Größen wie Heinrich Böll...

Diese Gruppe ist für jede geheimdienstliche Öffentlichkeitsarbeit bedeutsam. Einmal, weil sie zwar klein, aber in den Medien und in der Gegenwartskultur nicht ohne Einfluss ist. Zweitens, weil sie ihr kritischer, oft sozialkritischer Blick besonders vertrauenswürdig macht. Bei linken Künstlern und Intellektuellen setzt man eine gewisse Staatsferne voraus. Das ist gut fürs Publikum. Und schließlich drittens, weil es in dieser Gruppe von Zeit zu Zeit Überlegungen gibt, die für die bestehenden Verhältnisse gefährlich werden können, sagen wir: marxistische Versuchungen. Wenn es gelingt, hier steuernd, vielleicht auch nur neutralisierend einzugreifen, ist das schon ein Erfolg.

Was hat man sich von Heinrich Böll versprochen? Er galt ja doch auch in der DDR oder in der Sowjetunion als ein Schriftsteller, der im Widerstreit mit den westdeutschen Verhältnissen lag.

Eben deswegen war er ein Diamant in der Sammlung der CIA - und nicht der einzige. Bölls Berichte über seine Reisen in die Sowjetunion, nach Polen landeten seit Anfang der 1960er Jahre auf dem Schreibtisch des Kölner Kulturstützpunktes der CIA, im damaligen Verlag Kiepenheuer und Witsch. Von dort wurden sie wahrscheinlich auch an die deutschen Verbindungsorganisationen weitergereicht. Um Kiepenheuer und Witsch sammelte sich eine Gruppe hochrangiger Einflussjournalisten - Ziel war es, vor die Mikrofone und Kameras der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten zu kommen und die sozialdemokratische Bildungspresse zu dominieren.

Gelang das?

Das gelang hervorragend.

In Ihrem Film bleibt offen, ob Heinrich Böll wissentlich für mehrere CIA-Tarnorganisationen gearbeitet hat oder ob er davon nichts ahnte.

Böll habe davon wohl nichts geahnt, meint Günter Grass, der Böll ja aus zahlreichen gemeinsamen Literaturprojekten gut kannte.

Ist das glaubwürdig?

Grass müsste es eigentlich wissen. Andererseits hat Grass auch mit Carola Stern zusammengearbeitet und wusste nicht, dass Frau Stern eine frühere US-Agentin war. Später gaben Grass, Böll und Stern gemeinsam die Literaturzeitschrift "L 76" heraus, für "demokratischen Sozialismus", hieß es im Untertitel. Das war das interessante Vorfeld marxistischer Versuchungen; das war ganz auf der CIA-Linie, für die Böll über viele Jahre eingesetzt worden ist - als Überzeugungstäter, egal ob er sich dieser Steuerung verpflichtet sah, ob er sie lediglich duldete oder ob er davon nur nichts wissen wollte. Böll war ein sehr politischer Mensch. Zu Recht trägt die Stiftung der Partei Bündnis 90/Die Grünen seinen Namen.

Floss Geld?

Geld steckt man guten Einflussagenten nicht einfach in die Tasche, es sei denn, es handelt sich um kleine Kaliber. Staatliche Stellen, Geheimdienste inklusive, sind Meister der Umwegfinanzierung. Sofern Geld floss, wurde dafür gesorgt, dass es über Dritte wirkte, zum Beispiel durch Zahlungen an den PEN-Club. Die CIA-Kasse überwies dem PEN Geld, damit bestimmte Literaten an internationalen Tagungen teilnehmen konnten, weil sie nach Ansicht der CIA politisch wichtig waren - überall dort, wo das US-Lager im Propagandakampf gestärkt werden sollte.

Waren diese Gelder personengebunden? Taucht der Name Böll auf?

Diese Gelder waren personengebunden.

Ihre Dokumentation endet in den 1970er Jahren. Endet zu diesem Zeitpunkt auch die Agententätigkeit in den deutschen Medien?

Das zu glauben wäre naiv. In den 1970er Jahren endet die CIA-Dominanz. Das hat man an die deutschen Dienste weitergegeben, und man hat neue Überzeugungstäter gefunden.

Hans Georg: Sie erwähnten eine Gruppe hochrangiger Journalisten, die der CIA wissentlich oder unwissentlich in den deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten von Nutzen waren. Um wen handelt es sich?

Hans-Rüdiger Minow: Wir sprechen von den 1960er Jahren, als sich das TV-Geschehen auf wenige Sender beschränkte - ARD und ZDF. Wer in diesen Anstalten auf die politische Berichterstattung oder auf die Kultursendungen Einfluss nehmen konnte, vielleicht sogar als Korrespondent vor der Kamera, vor den Rundfunkmikrofonen, der war in einem bestimmenden Umfang meinungsbildend. Dafür war die Hauptstadtnähe Bonn wichtig, also die Anbindung an die Apparate, an die deutschen Ministerien und an die US-Botschaft. Das konzentrierte sich am Rhein, und deswegen kam der WDR in Köln für diese Einflussarbeit an erster Stelle in Frage. In Köln war ja auch die Deutsche Welle zu Hause, der deutsche Auslandssender. In diesem Kölner Umfeld zog Joseph Caspar Witsch seine Fäden, der Inhaber das Kölner Verlages Kiepenheuer und Witsch...

... und Verleger von Heinrich Böll...

... Witsch war der spiritus rector der Kölner CIA-Kulturagentur mit dem Fantasienamen "Kongress für kulturelle Freiheit". Was sich nicht in seinem Verlag abspielte, dort, wo die frühere US-Agentin Carola Stern als Lektorin arbeitete, das spielte sich in einer geheimdienstlich finanzierten Villa in Rheinnähe ab - als Inszenierung eines intellektuellen Salons. Mit dem Geld der Pariser CIA-Zentrale, teils in Anwesenheit sehr gebildeter US-Agenten, gab man Gartenparties oder Soirées zu anspruchsvollen Themen der Zeit. Da wurde ein großes Schleppnetz ausgelegt für Journalisten, Künstler, Musiker - alles, was Rang und Namen hatte oder noch bekommen wollte.

Zum Beispiel?

In diesem Kreis taucht der junge Klaus Harpprecht auf, der in Köln eine nicht unbedeutende Rolle spielte und anschließend ZDF-Korrespondent in Washington wurde. Zehn Jahre später führt ihn die Karriere ins Bundeskanzleramt, wo er für Willy Brandt wichtige Reden schreibt. Auch der junge Gerd Ruge verkehrte in der Kölner Villa, bevor er als ARD-Korrespondent jahrelang aus Washington berichtete. Er ist ja bis heute eine der beliebtesten TV-Persönlichkeiten. Die Kollegen Ruge und Harpprecht nahmen auf den Korrespondentenposten in der amerikanischen Hauptstadt die wichtigsten Positionen ein, die in der öffentlich-rechtlichen Auslandsberichterstattung überhaupt zu vergeben sind.

Wie war der Hörfunk vertreten?

Der Gründungsintendant der Deutschen Welle, Herr Dr. Otto Wesemann, war mit von der Partie - und, an vorderster Stelle, der WDR-Journalist Jürgen Rühle. Wer in den 1960er Jahren Rühles WDR-Büro betrat, musste glauben, eine Operettenkulisse zu betreten. An den Wänden hingen großformatige Portraits von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Eine hervorragende Inszenierung für den damaligen Zeitgeist, um linke Autoren anzulocken, sie zu benutzen oder sie zu neutralisieren.

Wo wurde die Einflussarbeit in den Printmedien konzentriert?

Der Justitiar der ZEIT aus dem Bucerius-Verlag sagt in unserer Dokumentation, er erinnere sich an manche "CIA-Wässerchen", so nennt er das, die er in der Hamburger Kultur-Residentur trank - gemeinsam mit zahlreichen anderen Journalisten von ZEIT und SPIEGEL. An prominenter Stelle Theo Sommer. Das war in völlig unverfängliche Stehparties eingebettet, an der Alster, alles sehr gediegen! Völlig unverfänglich ging es ja auch in Köln zu. Die CIA-Zentrale bezuschusste die Hamburger Kultur-Niederlassung ebenso wie die Kölner mit bedeutenden Dollar-Beträgen. Sie wird gewusst haben, warum.

Dieser Personenkreis steht ja bis heute in Ehren, während Intellektuelle aus der DDR auf Staatsnähe überprüft und wegen ihrer geheimdienstlichen Tätigkeit bestraft werden.

Lässt sich das vergleichen? Die einen gehören zu den Siegern, die anderen zu den Verlierern der Geschichte. Und die Sieger haben nie behauptet, von der Heilsarmee zu sein.

====== ENGLISH SUMMARY ==========

Heinrich Boell: "State Directed"
2006/11/24
BERLIN/COLOGNE/PARIS
(Own report) - The German writer Heinrich Boell had worked for several front organizations of the US secret service. This is alleged in a TV documentation of the French-German television channel ARTE, which was introduced to the press in Berlin. "We all worked for the CIA", admitted the former business administrator of the base of cultural operations in Cologne, that enlisted Boell's services for CIA actions all over Europe. But this background was unknown. It was believed that the Ford Foundation (USA) was doing the financing. Also Boell's colleague, Guenter Grass, who was interviewed in the film, considers improbable that Boell was deliberately engaged in CIA activity. As proven by documents in the film, the CIA paid Boell's travel expenses. It also subsidized appearances in the international cultural scene of various other writers. Boell "was a diamond in the CIA's collection", says the author of the film in a discussion with german-foreign-policy.com.
A reconstruction of the relationship to the CIA, that the future Nobel laureate and eponym of the Green Party's foundation [1], can be traced back to the beginning of the 50s. At that time, the little known Boell was invited to West Berlin for readings where he became involved with the milieu of the (West) "German front organizations (...) in the Battle of the Cultures".[2] They are said to have been directed by the CIA.
Reports
It was further reported, that these contacts congealed into Boell's becoming a regular member of a CIA front organization. Their couriers contacted intellectuals in Poland, the Soviet Union and in the GDR and supplied them with material from the west. This is how dissidents were recruited and presented to the international public during Boell's subsequent trips to the eastern bloc countries. Boell is said to have made reports about his trips, that landed on the desk of the CIA's base of cultural operations in Cologne - in the publishing house of the former Kiepenheuer and Witsch, a reputable address for German and international literature.
Chairmanship
Given this secret service background, the film says, the expulsion of the Soviet writer and dissident, Alexander Solschenizyn, appears in a new light. Solschenizyn was briefly arrested in Moscow in 1974, and expelled to Cologne, where he was cared for by Heinrich Boell. This arrangement was reached through intervention of the German foreign ministry. Boell likewise was active on behalf of Yugoslav dissidents, using his position in the international PEN Club. He was considered to be an incorruptible democrat and an author, independent of the state. But, according to the documentation, Boell was in fact active for the objectives of the US government, and its West German partners. Boell was regarded as so important, in the milieu of the CIA's base of cultural operations in Cologne, that he was offered the chairmanship.
Superbly
According to a program information of ARTE [3], the "most important representatives of West German journalism and publishing world" convened in the Cologne circle. An internal objective was to restrain, above all, leftist intellectuals from "yielding to Marxist temptations" [4] and neutralize their journalistic influence. "(H)ighranking (...) contacts (...) to editors of all major TV stations" was to avail a public of a million viewers to the German influence agents of the CIA.[5] The CIA's undercover agents succeeded "superbly" in "obtaining access to the microphones and cameras of the public radio and TV broadcast institutions and dominating the social-democratic educational press."[6]
Branches
As the documentation demonstrates, the CIA's bases of cultural operations in Cologne, (West) Berlin, Munich and Hamburg were directed by US agents, camouflaged as associates of the "Congress for Cultural Freedom" in Paris. This uncontested assertion has already been published by the London author, Frances Stonor Saunders, in her book, "Who Paid the Piper?"[7] She presented corresponding documents from US archives, showing that, among the personnel of this organization, were internationally famous writers, artists and intellectuals. The organization's network included Austria, Switzerland and Italy. In these countries cultural magazines were published with CIA financing, whose true origins remained unknown to the public. Also in the Arab world as well as in Africa, the CIA extended its subsidiaries, in search of perspective agents among the intellectuals. Promising candidates were led to the CIA center in Paris with scholarships and other privileges.
Deception
"The German, European and international public have all been deceived for decades. What had seemed to be a non-state dispute over politics and culture, was in fact being directed by the state", the film's author stated at the press conference in Berlin. "Writers such as Boell were systematically deployed by the CIA."


07 Juli 2007

WDR zensur muss ein Ende haben

Ein immer aktueller Artikel, wunderbar geschrieben:

Geburtstagsglückwunsch zum 50sten an Intendant Fritz Pleitgen:

Zensierte Filme ins WDR-Programm

Von Peter Kleinert


Es solle gefeiert, aber nicht gejubelt werden, haben Sie, sehr geehrter Herr Pleitgen, laut ddp, als Devise für den 50sten Geburtstag des WDR ausgegeben, der von der Neujahrsnacht an bis tief in den Januar hinein "mit Programmhöhepunkten aus den vergangenen 50 Jahren" begangen wird. Sollte Ihr Sender tatsächlich, wie sie als Intendant versprechen "ein guter, verlässlicher, aber auch attraktiver Partner für die Menschen in Nordrhein-Westfalen" werden, müsste er spätestens aus diesem schönen Anlass einige der Sendungen ins Programm stellen, die in den vergangenen 28 Jahren der hausinternen Zensur zugunsten des Springer-Verlags, der BAYER AG, des Thyssen-Konzerns, des Kölner Polizeipräsidenten, der "Politik" und anderer zum Opfer gefallen sind. Ich mach´ Ihnen nur ein paar ausgewählte Vorschläge - aufgrund meiner eigenen Erfahrungen:

Fritz Pleitgen: 'WDR Trumpfkarte für NRW'
Fritz Pleitgen: "WDR Trumpfkarte für NRW"
Foto: WDR


"Informationen aus dem Hinterland"

1977: Günter Wallraff und der Filmemacher Jörg Gfrörer treffen sich mit WDR-Fernsehdirektor Werner Höfer und besprechen mit ihm einen Dokumentarfilm, den sie als WDR-Produktion parallel zu Wallraffs geplanten Recherchen bei BILD machen wollen. Höfer ist begeistert, schlägt sogar vor, dass der Film unter dem Tarntitel "Informationen aus dem Hinterland" produziert werden soll, damit der Springer-Konzern nicht vor der Ausstrahlung des Films darauf aufmerksam wird. Als der Film sendefertig ist und Wallraff an seinem BILD-Buch "Der Aufmacher" arbeitet, ist Höfer als Fernsehdirektor von Heinz Werner Hübner abgelöst worden. Der verbietet die Sendung des 78-Minüters, weil man im Springer-Verlag davon erfahren habe und "sehr ungehalten" sei.
Anlässlich seines Todes im August 2005 bezeichneten Sie Herrn Hübner als "Inbegriff des klassischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks": «Die Art und Weise, wie er Programm machte, kann uns nach wie vor als Vorbild dienen. Er ließ sich weder durch schmeichlerische Worte korrumpieren, noch durch heftige Interventionen einschüchtern.» Dass Sie dieses Lob nach dem Motto "de mortuis nil nisi bene" sprachen, haben "freie" Filmemacher und WDR-Redakteure, wie Sie selbst nach 43 Jahren WDR-Dienst wissen, bis 2005 immer wieder zu spüren bekommen. Sie wollen weitere Beweise? Aber gern.

Werner Höfer - vom BILD-Film begeistert
Werner Höfer - vom BILD-Film begeistert
Foto: WDR


"Ist die Rundfunkfreiheit bedroht"

1978: Ludwig Brundiers, Redakteur der fernsehkritischen WDR-Sendereihe "Glashaus" wird gekündigt, weil er Hübner im Südwestfunk öffentlich auf dessen ebenso öffentliche Kritik und seine Zensurmaßnahmen gegen "Glashaus" geantwortet hat. Unter Verantwortung des WDR-Redakteurs Ludwig Metzger mache ich zusammen mit dem Regisseur Johannes Flütsch den Film "Ist die Rundfunkfreiheit bedroht?", in dem der inzwischen nach Schweden ins Exil gegangene Filmemacher Peter Nestler, der NDR-Redakteur und Filmemacher Klaus Wildenhahn, der DGB-Vorstand, die Kölner Initiative "Rettet die Rundfunkfreiheit im WDR!" und Fernsehzuschauer die immer stärker auch für diese deutlich werdenden Zensureingriffe ins Programm anklagen. WDR-Intendant Friedrich-Wilhelm Freiherr von Sell antwortet in einer DGB-Veranstaltung vor unserer Kamera auf diese Vorwürfe. Ergebnis: Hübner, Chefredakteur Theo M. Loch und sein Stellvertreter Claus Hinrich Casdorff inspizieren unseren Film drei Tage vor dem Sendetermin im Schneideraum und fordern Abteilungsleiter Michael Gramberg auf: "Sorgen Sie dafür, dass ein anderer Film ins Programm kommt." Über die Printmedien machten wir diesen Skandal öffentlich und dürfen danach ein paar Monate nicht mehr für den WDR arbeiten bis unser Gewerkschaftsanwalt mit Klage droht.

Günter Wallraff in 'Ganz unten'
Günter Wallraff in "Ganz unten"
Foto: KAOS-Archiv


"Ist die Rundfunkfreiheit bedroht"

"Der würgende Tod" - BAYER forscht für den Umweltschutz

1982: In einer MONITOR-Sendung habe ich zusammen mit meinen KollegInnen von KAOS Film- und Video-Team beweisen können, dass die US-Armee in einem Wald bei Fischbach in der Pfalz tausende Tonnen V-Kampfstoffe gelagert hat - genug, um die ganze Menschheit zu vergiften. 1983 bringen unsere Recherchen den Beweis, dass das Pentagon die Patente für diese V-Kampfstoffe von der BAYER AG erhalten hat. MONITOR-Chef Gerd Ruge findet unseren Beitrag "ganz hervorragend", wird aber zwei Tage vor dem Sendetermin "von der Intendanz auf Druck von BAYER" gezwungen, den Film aus dem Programm zu kippen. Veröffentlichen können wir ihn in einer längeren Filmfassung trotzdem: auf der Duisburger Filmwoche und der DokFilm-Woche in Leipzig. Von BAYER keine Reaktion. Nur für MONITOR dürfen wir erst wieder arbeiten, als Klaus Bednarz die Redaktion übernommen hat.

WDR-Intendant von Sell im verbotenen Film
WDR-Intendant von Sell im verbotenen Film
Foto: KAOS-Archiv


"Günter Wallraff - Ganz unten"

1986: Am 1. Mai soll, wie die Rundfunkzeitschriften angekündigt haben, unser Film "Günter Wallraff - Ganz unten" im Ersten Programm der ARD gesendet werden. Doch in der Woche davor haben sich die ARD-Programmdirektoren zusammengesetzt, um nach einer Intervention der damaligen Thyssen AG darüber "zu beraten", bei der Wallraff als Türke gearbeitet und recherchiert hat. Ergebnis: Der Film wird - mit einem anschließenden kräftigen Medienecho - abgesetzt. Von den Dritten Programmen sendet ihn nur Radio Bremen. Der WDR nicht, obwohl Wallraff seit Jahren in Köln lebt und arbeitet. Wir bringen den ins Kino, können ihn im gleichen Jahr weltweit zwischen Japan, Europa und Amerika im Fernsehen veröffentlichen, Deutschland-weit hingegen erst 1988 - nach Gründung des unabhängigen Fernsehfensters KANAL 4.

Auf KANAL 4 können FilmemacherInnen aus Nordrhein-Westfalen zehn Jahre lang die Filme senden, die der WDR - auch unter Ihrer Intendanz - nicht im Programm haben will. So lange, bis unser damaliger Ministerpräsident Clement 1998 mit seiner Landesrundfunkanstalt dafür sorgt, dass dieses lästige Fernsehfenster auf Druck von RTL und Sat1 wieder geschlossen wird.

Wenn Sie, sehr geehrter Herr Pleitgen, wie Sie ddp angekündigt haben, sogar "mit selbstironischen TV-Trailern" für den WDR-Geburtstag werben wollen - zum Beispiel mit einem "jungen Alfred Biolek bei einer Stepptanz-Einlage in «Bios Bahnhof» oder einem beim «Bericht aus Bonn» heftig schimpfenden Friedrich Nowottny" -, könnten Sie doch vielleicht auch einmal darüber nachdenken, ob Sie nicht die oben genannten Filme mit ins Jubiläumsprogramm nehmen wollen. Und wenn Ihnen das zu wenig sein sollte: Schauen Sie einfach mal auf die Internetseite www.kaos-archiv.de. Da gibt´s weitere Beispiele bis 2002, als wir im Kölner Ludwig-Museum endlich ein Filmprojekt über die "Sozialistische Selbsthilfe Mülheim" vorstellen konnten, das der WDR nicht mochte. Oder fragen Sie mal bei der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm www.agdok.de unter der Mail-Adresse agdok@agdokumentarfilm.de an. Deren Vorsitzender Thomas Frickel wird Ihnen auf Wunsch garantiert ein ganzes Monatsprogramm zensierter Filme zusammenstellen. So könnte Ihr Geburtstagswunsch «Der WDR ist eine Trumpfkarte für das Land Nordrhein-Westfalen» im Jahr 2006 doch noch erfüllt werden.

Mit den besten Wünschen, Peter Kleinert.


Online-Flyer Nr. 24 vom 27.12.2005


PDF-Version

06 Juli 2007

Wallraff - Ganz Unten (Leseprobe)

Pausengespräch

Die deutschen Kollegen Michael (34), Udo (26) und der Wortführer Alfred (53) haben sich im Tiefbunker unter der Brammstraße eine Holzbohle organisiert und über zwei Fässer gelegt. Dort sitzen sie zusammen, teilen Zigaretten und Getränke miteinander. Ihnen gegenüber auf einer auseinandergefalteten türkischen Zeitung Hürriyet (zu deutsch: Freiheit) sitzt Ali, zur Zuhörerrolle verurteilt.

Immer wieder wird das Gespräch durch das tosende Klatschen herunterdonnernder Erzbrocken unterbrochen.

Alfred: »Glaub mir, bei Adolf Hitler wurde Kameradendiebstahl, und ob es bloß ein Schnürsenkel war, an die Wand gestellt und erschossen. Glaubt mir das. Mehr ist er nicht wert. Wer einen Kumpel bestiehlt — entweder totschlagen oder erschießen. So muß man im Leben sein. Man nimmt beim anderen Kollegen nichts weg, das macht man nicht!«

Ich (Ali): »Aber Chef kann dir wegnehme?«

Alfred: »Das ist ‘ne ganz andere Sache, aber wer Kumpels in die Pfanne haut oder bestiehlt...«

Ich (Ali): »Aber wär auch Chef erschosse worde, wenn er klaut?«

Alfred (leicht drohend): »Hätt’s mal früher bei Hitler hier sein sollen, da war Europa noch in Ordnung.«

Ich (Ali): »Viele erschosse worde?«

Alfred: »Hätt’ste mal hier sein soll’n.«

Udo: »Aber da konnten alte Leute noch über die Straße laufen.«

Alfred: »Hör mal, da könnt ‘ne alte Oma von siebzig Jahren mit 10 000 Mark in der Tasche nachts auf der Straße laufen, der is nichts passiert.«

Ich (Ali): »So viel Geld, die is nich allein über Straß gange, die fuhr mit Auto ...«

Alfred: »Mein Vadder in der Großstadt, in ‘ner Riesengroßstadt — Leipzig, Messestadt, wo ich herkomm — der hatte Motorrad, Auto und Fahrrad. Das Fahrrad, das hat das ganze Jahr auf‘m Hof gestanden, wenn das verrostet war, dann hat er sich ‘en neues gekauft — dann stand das wieder auf ‘em Hof. Das war nie weg ...«

Ich (Ali): »War kaputt sicher — Fahrrad.«

Alfred (redet mir weiter ins Gewissen, so als ob er alle Ausländer für potentielle Diebe hält): »Hör dir das mal ruhig mit an und schreib es dir hinter die Hammelohren.«

Ich (Ali): »Wieso?«

Alfred: »Von Klemm und Klau. Paß auf, früher war das ja nicht so, daß jeder so’ne vollautomatische Waschmaschine hatte. Wir hatten ‘ne Waschfrau, die Frau Müller, weil wir ‘nen Geschäftshaushalt hatten. Alle vier Wochen war große Wäsche, verstehste? Im Winter wurde auf‘m Boden getrocknet und im Sommer auf‘m Hof. Da hing unsere gesamte Wäsche, von der Bettwäsche angefangen, alles auf‘m Hof. Da hat nicht ein Taschentuch gefehlt, nicht eins hat da gefehlt.«

Ich (Ali) (zu den anderen): »Ich will sein verrotzte Taschentücher gar nich, ich nehm Tempo.«

Alfred (unbeirrt): »Nicht ein Taschentuch.«

Ich (Ali): »Aber die Ausländer ging nich so gut da?«

Alfred: »Hör’ mal, da hat in Deutschland noch Zucht und Ordnung geherrscht.«

Ich (Ali): »Aber die Jude, die habt ihr tot gemacht.«

Alfred: »Scheiß von deinen Juden. Das wurde uns anerzogen. Das Alter muß geehrt werden, das war ein Satz, das wurde uns eingebläut. Vom Lehrer, von der Schule als Gemeingut und vom Elternhaus. Du meinst doch nicht, daß wir es uns als junge Bengels erlaubt haben, uns hinzusetzen in der Bahn. Das haben wir ja eingetrichtert gekriegt, da stand man für eine ältere Person auf, das war eine Selbstverständlichkeit.«

Ich (Ali): »Du meins, war besser Staat als jetz ...«?

Alfred: »Das war ‘ne Totaldiktatur, aber die hab ich als besser? empfunden wie heute — den Sauhaufen, wo ich heute bin.«

Ich (Ali): »Hör’ma, warum habt ihr alle Jude mord?«

Udo (will Alfred das Stichwort geben): »Weil se Ausländer war’n.«

Alfred: »Weißt du warum — weißt du warum?«

Ich (Ali) (stellt sich dumm): »Nee, nee.«

Alfred: »Einen Fehler hat Hitler gemacht. Der hätte noch fünf Jahre länger existieren müssen, daß keiner von denen mehr leben würde, nicht einer. Wo der Jude seine Finger im Spiel hat, da ist nur Theater in der Gesamtwelt, ob das arme Juden sind oder reiche. Es gibt ja die reichen Juden, wie Rockefeller, Morgenthau u.s.w. Das sind die, die in der Weltgeschichte nur Unheil, Unfrieden und Terror anstiften. Die haben das Geld, um die Forschung laufen zu lassen, die haben das Geld, die haben die Macht über Leben und Sterben — das sind die Leute. Und hör mal, wenn der Hitler noch fünf Jahre gemacht hätte und das Ding irgendwie zu seinen Gunsten ausgegangen wär, da gäb’s von der Sorte Menschen keinen mehr, da glaub’ man dran — keinen mehr.«

Ich (Ali): »Zigeuner habt ihr auch tot gemacht.«?

Michael: »Die nicht rassisch deutsch waren, hat der alle umge­? bracht, nur rassige Deutsche nicht.«

Udo: »Ja, war ja nicht nur Hitler!«

Ich (Ali): »Der hätt’ mich auch kaputt gemacht?« (keine Antwort)

Alfred: »Hör mal, wer hat denn mit KZ angefangen? Jetzt mal ganz ehrlich.« Gibt sich selbst die Antwort (laut): »Der Engländer.«

Udo: »Der Ami, der Ami hat damit angefangen.« Alfred (beharrt): »Der Engländer war’s, der Engländer. Der Churchill, ja, der Churchill war Oberleutnant in der englischen Armee. Hört mal, der Churchill war — im Kolonialkrieg war der Oberleutnant, ja, also Sarschent.«

Michael: »Der Hitler hätte dat nicht machen sollen.«

Alfred: »Un weißte, was der Churchill gemacht hat?«

Michael (beharrt darauf): »Ne, dat war ‘ne Sauerei.«

Alfred: »Der hat ja auch auf zwei Fronten gekämpft.«

Michael: »Dat is egal, Sauerei is dat, hör’ mal, dat is ...«

Alfred (unterbricht ihn): »Der hat uns Südwest-Afrika weggenommen als Kolonialstaat. Und da ist der und hat die Buren — haste von denen schon mal was gehört, die Buren? Der hat Frauen und Kinder in der Wüste eingeschlossen in Zeltlager, und der hat sie alle verrecken lassen, Frauen und Kinder, alle kaputt...«

Michael: »Auch nicht richtig. Aber Hitler war der größte Massenmörder aller Zeiten ...«

Alfred (verunsichert, daß ihm von seinem Kollegen Michael Widerspruch entgegengebracht wird. Geht daraufhin frontal auf Ali los): »Hör mal, du bist doch nicht dumm?«

Ich (Ali): »Kommt drauf an ...«

Alfred: »Was ist der Unterschied zwischen den Türken und den Juden?«

Ich (Ali): »Alles Mensche, kei Unterschied.«

Alfred (triumphierend): »Doch! Die Juden haben’s schon hinter sich!«

Udo meldet sich zu Wort. Zu Alfred: »Du, da kenn’ ich noch einen viel besseren.«

Alfred: »Schieß’ los!«

Udo zu mir (Ali): »Wieviele Türken gehen in einen VW?«

Ich (Ali): »Weiß nich.«

Udo: »Zwanzigtausend. Glaubste nicht?«

Ich (Ali): »Wird schon stimme, wenn du sags.«

Udo: »Willste wissen, wieso?«

Ich (Ali): »Lieber nich.«

Udo: »Ganz einfach. Vorne zwei, hinten zwei, die anderen in den Aschenbecher.«

Alfred (trocken): »Haha. Da kann ich schon lange nicht mehr drüber lachen. Der hat so’n Bart. Den hab ich mindestens schon hundertmal gehört. Kennt ihr den neuesten: ›Da trifft ein Türkenjunge — der geht gerade mit einem deutschen Schäferhund spazieren — einen erwachsenen Deutschen. Der fragt: ›Wohin willst du denn mit dem Schwein?‹ — Der Türkenjunge: ›Das ist doch gar kein Schwein, das ist ein echter deutscher Schäferhund, hat sogar’n Stammbaum.‹ — Sagt der Mann: ›Halt’s Maul, dich hab ich doch gar nicht gefragt.«

Prustendes Lachen von Alfred und Udo.

Michael sagt: »Find ich nicht gut. Daß ihr den erzählt, wo der Ali dabei ist. Der kann den doch falsch verstehen.«

Ich (Ali): »Kann nich drüber lache. Auch über Judenwitz is nichts zu lache. (Zu Alfred) Warum haben die Deutsch so wenig zu lache, daß sie immer ihr Witz auf Koste von ander mache müsse?«

Alfred (böse): »Spaß muß sein. Mischt ihr euch mal nicht in unsere Angelegenheiten ein, sonst habt ihr nämlich bald nichts mehr zu lachen.«

Und herausfordernd zu mir: »Kennst du den Dr. Mengele?«

Ich (Ali): »Ja, der Mörder-Doktor aus KZ.«

Alfred: »Ach, der Mengele, der war gar nicht mal so doof. Jedenfalls für seine Versuche hat er sich keine Türken genommen. Willste wissen, weshalb nich?«

Ich ziehe es vor zu schweigen.

»Weil«, blickt er mich haßerfüllt an, »weil ihr rein gar nichts taugt und nicht mal für seine Menschenversuche zu gebrauchen gewesen wärt.«

Michael: »Aber weißte, wenn ich die Berichte seh und hör, dann schäm ich mich, ein Deutscher zu sein, so was, ehrlich.«

Alfred (genüßlich): »Dann hat er sie da rein gestellt und dann hat er geguckt, wie lange die leben, wenn die da in dem Eis hocken.«

Alfred zu mir: »Hör mal, was bist du noch genau für’n Landsmann? Du bist doch gar kein richtiger Türke. Deine Mutter kommt doch von den Hottentotten oder so?«

Ich (Ali): »Ich hab griechisch Mutter, Vater Türk.«

Alfred: »Ja, was biste jetzt, Türke oder Grieche?«

Ich (Ali): »Beides. Und auch was deutsch. Weil schon zehn Jahr’ hier.«

Alfred zu den anderen: »Hört euch diesen Idioten an. Der meint, er ist von allem etwas. So ist das, wenn die Rassen durcheinander zwitschern. Dann ist nachher nichts Genaues. Der kennt kein Vaterland. Sowas ist Kommunist. Da, wo der herkommt, da wimmelt es von Kommunisten. Sowas gehört verboten. Weißte, was die bei Mannesmann gemacht haben? Alle Türken raus. Hier bei Remmert, da sind etliche Türken, die kannste alle verbrennen, du, wenn du die Leute schon siehst, dann geht dir schon die Galle hoch ... Was ich gestern noch gesagt hab (zu türkischen Kollegen, G. W.), wenn du jetzt nicht langsam spurst, dann tret ich dich im Arsch und schick dich nach Hause. Oh, den hab’ ich auf‘m Kieker.« Michael: »Die haben hier gearbeitet, ihr habt hier gearbeitet — ist gut — wir haben euch gebraucht — Ende. Ihr seid hier! Was sollen wir dagegen machen, ne?«

Ich (Ali): »Wir sin ja nich von allein gekomm. Man hat uns ja auch geholt. Und damals immer sagt: Kommt! Kommt! Hier viel verdiene. Wir brauche euch. Wir sin ja nicht einfach gekomm.«

Michael: »Ha, dat is auch richtig. Wir sollen sie abfinden.«

Udo: »Ja, guck mal, wie Mannesmann das macht.«

Michael: »Im Moment sind doch so viele Arbeitslose, wir stekken doch selbst in der Krise.«

Udo: »Mannesmann hat sofort gesagt: hier alle Mann 10-30000 Mark.«

Ich (Ali): »Nur wenn jetzt alle gehe würde, da würd ihr jetzt kein Rent’ mehr kriege, wär für euch ganz Rent’ kaputt. Wenn wir alle gehe, krieg wir all unser Geld. Un’ Ihr habt kein Rent mehr.«

Alfred: »Ach, alles Quatsch. So viele Türken sind gar nicht da.«

Ich (Ali): »Doch, 1,5 Millione. Da seid ihr pleite.«

Alfred: »Weißte, wie das in der Schweiz ist? Wenn du in der Schweiz als Gastarbeiter arbeitest, dann läuft dein Arbeitsvertrag elf Monate und der zwölfte ist Urlaubsmonat. Und in diesem Monat, in dem du zu Hause bist und Urlaub hast, informieren sie dich brieflich, ob du wieder arbeiten darfst oder zu Hause bleiben kannst. So regelt das die Schweiz. In dem Monat entscheiden die, ob du wiederkommen kannst oder dir als Kameltreiber die Zeit vertreiben darfst.« Mehmets Odyssee

Mehmet, ein älterer Kollege, fällt mir (Ali) immer wieder durch seine ruhige Art auf. Er besitzt eine fast stoische Ausgeglichenheit, mit der er die härtesten Arbeiten auf sich nimmt, und auch die gefährlichsten. Er ist freundlich und wirkt mit ergrautem Haar und dem runden, etwas faltigen Gesicht recht väterlich.

Ich (Ali) erschrecke ein bißchen, als Klaus, ein anderer Remmert-Mann, erzählt, Mehmet sei gerade erst neunundvierzig Jahre alt. Ich hatte ihn für sechzig gehalten.

Eines Tages verabschiedet sich Mehmet für »fünf Wochen Urlaub« in der Türkei. Ich (Ali) frage andere Kollegen: »Gibt viel Urlaub bei Remmert? Adler frage nach fünf Woche Urlaub, geht aber nich, gleich Entlassung.« — »Kannst bei uns normal auch nicht machen, fünf Wochen«, sagt einer, »der Mehmet hatte doch drei Unfälle in einem Jahr. Da ist der Alte mal großzügig gewesen.« Ich frage nach: übereinstimmend berichten die Kollegen von schweren Verletzungen, die Mehmet erlitten hat.

Der erste Unfall habe sich dabei noch nicht mal bei Thyssen ereignet, sondern in Remmerts Millionen-Villa in Mülheim. Mehmet und ein deutscher Kollege sollten dort eine Sauna im Keller installieren. Dafür mußte Erdreich ausgehoben werden, und Mauern waren teilweise abzutragen. »Dabei ist es passiert.

Der deutsche Kollege war unten am buddeln, und der Mehmet hat gemerkt, wie die eine Mauer runterkommt. Da hat der den Kollegen rausgezogen, sonst wäre der vielleicht tot gewesen, aber Mehmet hat die Mauer noch voll auf der linken Schulter abgekriegt.« Der Arzt röntgte die zersplitterten Knochen und bescheinigte Mehmet eine 46-prozentige Schwerbehinderung. Mehr als zwei Monate mußte Mehmet im Krankenhaus bleiben. Eine Entschädigung oder eine Rente erhielt er von Remmert nicht. Dafür versprach ihm der Menschenverkäufer Remmert trotz der schweren Verletzung, daß er bei Thyssen weiterschuften darf. Bei Smogalarm und eisiger Kälte wird Mehmet im Februar wieder eingesetzt: in der Nachtschicht. In der Sinteranlage rutscht er bei Glatteis aus und fällt unglücklich, weil er instinktiv versucht, sich mit dem gesunden Arm abzustützen. Dabei verstaucht er sich das Armgelenk so stark, daß es in Gips gelegt werden muß. Kaum ist Mehmet, der eine Frau und drei Kinder zu versorgen hat, von denen eins seit Geburt schwerbehindert ist, wieder halbwegs gesund, fährt er eine Nachtschicht nach der anderen. Nach vierzehn Nächten hintereinander fällt Mehmet todmüde ins Bett. Zwei Stunden später ruft man bei ihm an und verlangt, gleich noch eine Tagesschicht dranzuhängen. Mehmet kommt. Als Mehmet abends um acht Feierabend machen will, ordnet der Vorarbeiter an: nach dem Essen soll Mehmet gleich wieder auf die Hütte kommen, zur nächsten Nachtschicht. Mehmet kommt.

In einem Kellergewölbe reinigt Mehmet Kanäle, in die immer wieder glühendes Eisen fällt und dabei einen Dampf verursacht, bei dem die eigene Hand vor den Augen nicht mehr zu sehen ist. Übermüdet und erschöpft rutscht Mehmet mit einem Bein in ein Bodenloch. Die Diagnose im Krankenhaus: Bänderriß. Auch nach zwei Operationen ist Mehmets Bein noch nicht wieder in Ordnung. Trotzdem arbeitet er weiter. Aus seinem Urlaub zurück, sagt er mir: »Was soll ich machen? Muß Arbeit machen. Kinder, Schulden ...«

Es ist schwierig, mit Mehmet ins Gespräch zu kommen. Er ist bereits nach wenigen Tagen wieder total überarbeitet und über müdet. Die Zeit teilt er nur noch in Schichten ein, erinnert sich oft nicht mehr an bestimmte Monate, sondern nur noch daran, ob es bei Thyssen besonders kalt oder schmutzig war. Obwohl er bereits seit 1960 in der Bundesrepublik ist, spricht er nur ein sehr gebrochenes Deutsch. Der Überlebenskampf hat ihm nicht mal Zeit gelassen, die Sprache richtig zu lernen (ein türkischer Kollege half deshalb bei der Übersetzung der Gespräche, G. W.). Reden ist auch nicht gefragt, sondern »anpacken«. Mühsam hat Mehmet versucht, was bei jedem Deutschen als Tugend gilt: sich und seiner Familie eine neue Heimat zu schaffen.

Er erzählt, daß er die ersten zehn Jahre überall gearbeitet hat, wo es Arbeit gab. Quer durch’s Land. Schließlich, 1970, gelang es ihm, bei Thyssen in Duisburg eine feste Anstellung als Gabelstaplerfahrer zu bekommen: »Da hab’ ich zwischen 1600 und 1700 Mark netto verdient, in Wechselschicht. Nebenbei auch noch gearbeitet, Autosattlerei...« Mit jahrelang Erspartem und Bankkrediten kaufte Mehmet sich und seiner Familie ein halbverfallenes Reihenhaus in Duisburg-Mettmann. »Hätt‘ ich Arbeit behalten bei Thyssen, wär’ jetzt alles bezahlt.« Doch sein deutscher Vorarbeiter machte einen Strich durch die bescheidene Rechnung: »Hab’ ich Urlaub gemacht, 1980. Kommt der Vorarbeiter, sagt zu allen Türken: Bringt mir mal einen Teppich mit aus der Türkei, aber echten Teppich! Hab’ ich gesagt: Hör mal, echter Teppich kostet bei uns mindestens 5000 Mark, gute Qualität. Soviel Geld hab’ ich nicht. Da sagt der: Bringst du mir keinen mit, wenn du wiederkommst, wirst du was erleben!«

Als Mehmet aus der Türkei zurückkam, schikanierte ihn der Vorarbeiter tagelang mit schweren Arbeiten als »Strafe« für das ausgebliebene »Geschenk«. »Dann er hat gesagt: Komm’ in mein Büro! Bin ich in sein Büro gegangen, hat er bißchen geschimpft, hab’ ich nichts gesagt. Dann, drei Stunden später, da hab’ ich wieder gearbeitet, kommt Werkschutz, nimmt mich, sagt, ich soll nach Hause gehen. Ich hätte den Vorarbeiter geschlagen. Aber das stimmte überhaupt nicht.« Mehmet wurde, ohne genaue Prüfung des Vorfalls, nach zehn Jahren bei Thyssen fristlos entlassen. Tatsächlich gab es nicht einmal eine Anzeige gegen ihn, etwa wegen »Körperverletzung«. Weil aber Thyssen diesen Grund in der Kündigung (»Tätlicher Angriff auf einen Kollegen«) angegeben hatte, weigerte sich das Arbeitsamt zunächst, ihn zu unterstützen. Mehmet mußte erst einmal Zeugen beibringen.