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27 September 2010

30 JAHRE CIA pro-Strauss Bombe Oktoberfest

Waren Geheimdienste in das Oktoberfest-Attentat involviert?

Von SEBASTIAN RANGE, 14. September 2010 -

Am 26. September 1980 explodierte eine Bombe auf dem Münchener Oktoberfest. Mit 13 Toten und über 200 Verletzten gilt der Anschlag als schwerster Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Vor dem dreißigsten Jahrestag erhalten die Zweifel an der offiziellen Version, wonach der Rechtsextremist Gundolf Köhler die Tat gut eine Woche vor der Bundestagswahl alleine und nur aus persönlicher Frustration begangen haben soll, neuen Nährstoff. Nach einem Bericht des Spiegel gibt es in einem Nachlass aus Süddeutschland möglicherweise neue Hinweise darauf, dass ein Hauptzeuge des Attentats ein aktiver Rechtsextremist gewesen sein und Verbindungen zum Verfassungsschutz gehabt haben könnte.

Gundolf Köhler
Gilt als Einzeltäter: Gundolf Köhler
Der Attentäter, ein 21-jähriger Geologie-Student aus Donaueschingen und früherer Anhänger der dann verbotenen rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann", hatte den Sprengsatz in einem Mülleimer am Wiesn- Haupteingang deponiert. Er selbst starb bei der Explosion.

Vertreter von Opfern und Politiker verlangen bis heute die Wiederaufnahme des Verfahrens.Erst im August hat der Opfer-Anwalt Werner Dietrich einen Bescheid der Bundesanwaltschaft bekommen. Darin heißt es, es gebe keinen Anlass, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Im aktuellen Spiegel sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete und Rechtsexperte Peter Danckert: „Ich lasse nicht locker, bis das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen wird." (1)

Beweise vernichtet

Ein „dicker Hammer" ist für Dietrich, aber auch für den Autor Ulrich Chaussy und den damaligen Kreisverwaltungsreferenten und Juristen Klaus Hahnzog, dass die Beweismittel von damals im Jahr 1997 vernichtet wurden. Andere, Jahrzehnte zurückliegende Verbrechen würden heute mit den neuen kriminaltechnischen Verfahren neu aufgerollt und vielfach gelöst. „Gegen RAF-Leute sind Verfahren wegen Taten aus den 1960er Jahren im Gange", sagt Hahnzog. (2) So erhob die Bundesanwaltschaft vor einem halben Jahr aufgrund einer DNA-Spur, die damals sichergestellt wurde, Anklage gegen Verena Becker wegen des Attentats auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Jahr 1977.

Dietrich betont: „Das wäre eine Fundgrube für Kriminalisten heute gewesen." Etwa gab es mehr als 40 Zigarettenkippen unterschiedlicher Marken aus Köhlers Auto sowie ein Stück einer abgerissenen Hand, deren Fingerabdruck sich auf Gegenständen in Köhlers Wohnung fand und die niemandem zugeordnet werden konnten. Offenbar konnte sich ein Mittäter schwer verletzt mit einer verlorenen Hand vom Tatort entfernen.

Chaussy, der den Fall unter anderem in dem Buch Oktoberfest. Ein Attentat aufarbeitete, sieht sein „Unbehagen an der Einzeltäter-These" nach jüngsten Recherchen im Bundesarchiv noch bestärkt. „Wir wissen ja bis heute so gut wie nichts über den Anschlag." Nicht einmal, wie die Bombe gezündet wurde, sei bekannt. Und: „Ich kann das Psychogramm des Täters noch weniger verstehen." (3)

Die Bundesanwaltschaft befand damals, Köhlers Motiv könne „sowohl auf eine schwere Persönlichkeitskrise als auch auf Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen" zurückgehen.

„Anderen Vermutungen zufolge könnte Köhler mit anderen Rechten zusammen ein Nachahmungstäter gewesen sein, der den Anschlag Rechter acht Wochen zuvor auf den Bahnhof von Bologna mit 85 Toten zum Vorbild nahm", schreibt die Deutsche Presse-Agentur dpa in einer Mitteilung. (4)

Verbindungen zu Gladio?

Zumindest erhielten Zeitungen am Tag nach dem Oktoberfest-Anschlag einen anonymen Anruf. Eine Frau mit französischem Akzent bekannte sich demnach mit den Worten „Wir sind die Rechten von Bologna" zu dem Anschlag. (5)

Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen vom 15 Mai 2009 hat das Oktoberfest-Attentat aber nichts mit dem Anschlag in Bologna zu tun. (6)

Die detaillierte Anfrage bezieht sich dabei vor allem auf die Recherchen, die Tobias von Heymann in seinem Buch Die Oktoberfest-Bombe – München, 26. September 1980 – Die Tat eines Einzelnen oder ein Terror-Anschlag mit politischem Hintergrund zusammengetragen hatte, wofür er Stasi-Akten nach Erkenntnissen über den Anschlag durchsuchte. Demnach haben Verfassungsschützer aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen exakt 22 Stunden vor der Explosion auf dem Oktoberfest mit Observationsmaßnahmen gegen Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann begonnen.

In dem Fragenkatalog der Grünen gehe es daher auch vor allem darum, „ob die deutschen Geheimdienste von den Vorbereitungen der Tat gewusst haben", so die Süddeutsche Zeitung. (7)

Doch entgegen der Antwort der Bundesregierung entspricht der Anschlag auf das Oktoberfest demselben Muster, wie es sich auch bei den Anschlägen in Italien vom Ende der 1960er bis Anfang der 1980er Jahre ausmachen ließ.

Im Fall Bologna deutet zudem alles darauf hin, dass das Attentat Teil der von Geheimdiensten bzw. der NATO-Geheimarmee „Gladio" (8) und der Geheimloge „Propaganda Due" (9) umgesetzten „Strategie der Spannung" (10) war. Dabei wurden in Kooperation mit rechtsextremen Gruppen Anschläge verübt, die anschließend linken Kreisen in die Schuhe geschoben wurden. Die Linke sollte auf diese Weise diskreditiert werden, insbesondere eine Regierungsbeteiligung der Kommunistischen Partei im Rahmen des „historischen Kompromisses" zwischen Kommunisten und Christdemokraten sollte in Italien verhindert werden..

Franz Josef Strauß
Für die CDU/CSU trat Franz Josef Strauß 1980 als Kanzlerkandidat an.
Auch im Fall des Oktoberfests wollte man anfangs Linke verantwortlich machen. In der Bild am Sonntag vom 27.September warf der CDU/CSU-Kanzlerkandidat und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß dem FDP-Innenminister Gerhart Baum „schwere Schuld" und „Verharmlosung des Terrorismus vor". Durch seine liberalen Vorgaben habe Baum effektive Ermittlungen behindert und so die ungestörte Vorbereitung des Attentats ermöglicht.

„Noch am Tatort suchte die CSU-Prominenz die Attentäter in der Linken. Motto: Linke Terroristen bomben unschuldige Oktoberfestbesucher in die Luft. Ein alter Strauß-Bekannter wetterte‚ das habt ihr von eurer linken Politik'." (11)

Doch zwei Tage später war die These von den linken Terroristen nicht mehr aufrecht zu erhalten, denn der Hoffmann-Wehrsportler Köhler war bereits von Zeugen identifiziert worden. Strauß' Anfeindungen gegenüber der sozialliberalen Regierung gingen nach hinten los. „Es war Baum gewesen, der [die Wehrsportgruppe Hoffmann, Anm. Red.] im Januar 1980 verboten hatte, während man sie zuvor in Bayern hatte großzügig gewähren lassen", so die Zeit. (12)

Von der Wehrsportgruppe Hoffmann ist der Weg zur NATO-Geheimarmee Gladio nicht weit. Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft, die die Gladio-These stützen, wurden jedoch in dem offiziellen Untersuchungsergebnis nicht berücksichtigt.

Lauter Einzelgänger


So waren Raymund Hörnle und Sibylle Vorderbrügge mit dem Attentäter Köhler befreundet und Mitglieder der rechtsextremen terroristischen Vereinigung „Deutsche Aktionsgruppen". Sie hatten bereits einen Tag nach dem Attentat ausgesagt, dass der rechtsextreme Förster Heinz Lembke ihnen Waffen, Sprengstoff und Munition angeboten und von umfangreichen Waffendepots erzählt habe. (13)

Diesem Hinweis ging die Staatsanwaltschaft jedoch erst nach, als Waldarbeiter ein knappes Jahr später durch Zufall eines der Depots in der Lüneburger Heide bei Uelzen entdeckten, die Lembke angelegt hatte. Lembke offenbarte im Untersuchungsgefängnis die Lage der restlichen 33 illegalen Waffen- und Sprengstoffdepots. Sie enthielten unter anderem automatische Waffen, 14.000 Schuss Munition, 50 Panzerfäuste, 156 kg Sprengstoff, 258 Handgranaten, 230 Sprengköpfe, chemische Kampfstoffe (u. a. Phosphor, Zyankali, Arsen und Strychnin) sowie Bundeswehrunterlagen über Sprengungen, Minenlegen und Panzerabwehr. „Nach Schätzungen der Österreichischen Militärischen Zeitschrift genug Kriegsmaterial, um eine 66 Mann starke Kompanie auszurüsten."  (14)

Die Menge und Qualität der gefundenen militärischen Ausrüstung deuten laut dem Gladio-Experten Dr. Daniele Ganser deutlich auf eine Mitgliedschaft Lembkes in der Geheimorganisation Gladio hin, für die solche Waffendepots charakteristisch waren.

Auch andere Beobachter gingen davon aus, dass die Waffenverstecke in der Lüneburger Heide und die in der Lüneburger Heide stattfindenden Wehrsportübungen Bestandteil des geheimen Gladio-Netzwerkes in Deutschland waren. Die Lüneburger Heide wurde zum Tummelplatz der militanten neofaschistischen Szene, unter anderen hatte auch die NÜB (Nothilfstechnische Übungs- und Bereitschaftsstaffel, auch bekannt als „Wehrsportgruppe Jürgens") dort ihre Basis.

Bereits aus Dokumenten des „Technischen Dienstes" war hervorgegangen, dass die Lüneburger Heide als Treffpunkt für die norddeutsche Abteilung der Gladio-Armee vorgesehen war.

Der Technische Dienst, oder auch „Bund Deutscher Jugend", war eine nach dem zweiten Weltkrieg von US-amerikanischen Geheimdiensten betriebene Untergrundarmee, die sich vor allem aus Veteranen der Wehrmacht- und Waffen-SS zusammensetzte. Sie umfasste mehrere tausend Mitglieder und wurde 1953 verboten. Neben umfangreichen Waffenlagern wurde auch eine Attentatsliste sichergestellt, die 40 deutsche Führungspersönlichkeiten umfasste – hauptsächlich SPD-Politiker, die man als nicht zuverlässig antikommunistisch eingestuft hatte. Unter ihnen befanden sich der damalige SPD-Parteichef Erich Ollenhauer, der hessische Innenminister Heinrich Zinnkann und die Oberbürgermeister von Hamburg und Bremen. Der Technische Dienst schleuste auch Mitglieder in die SPD ein, um im Ernstfall eine möglichst effiziente Ausführung der Attentate zu ermöglichen. (15)

Der ehemalige Herausgeber der Zeitschrift Der rechte Rand, Klaus Harbart, zeigte sich davon überzeugt, dass „Spuren des Bombenanschlags auf das Münchner Oktoberfest zum Waldhüter Lembke nach Niedersachsen führen". (16)

Doch die Hintergründe um Lembkes Waffendepots wurden nie aufgeklärt. Am 1. November 1981, einen Tag vor seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung – Lembke hatte angekündigt, umfangreiche Aussagen über seine Hintermänner abzugeben – wurde er in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Ermittlungen in Richtung Gladio wurden bald nach seinem Tod eingestellt. Lembke sei laut Behörden nur ein Einzelgänger gewesen, der ein wenig Paranoia ob einer sowjetischen Invasion hatte und sich daher umfangreich mit Waffen eindeckte.

Aber nicht nur im Fall Lembke gibt es Vieles, was der These vom Einzelgänger widerspricht. Auch im Fall Köhler widersprechen die Aussagen von Augenzeugen dieser Behauptung. So wollen Augenzeugen in dem Auto, in dem Köhler nach München kam, Mitfahrer gesehen haben, die sich gestikulierend unterhielten. (17) Laut einem weiteren Zeugen war Köhler noch am Tatort mit zwei anderen jungen Männern, die einen Parka trugen, in ein intensives Gespräch verwickelt. (18)

Doch „schon Mitte November 1980 hatte das Interesse der Sonderkommission an Zeugenhinweisen auf Begleiter Köhlers merklich nachgelassen". (19) Offiziell gilt seitdem Köhler als Einzeltäter.

Geheimdienste mischen mit


Das nachlassende Interesse an einer wirklichen Aufklärung des Verbrechens ist wohl vor allem daraus zu erklären, dass diese ähnliche Strukturen wie in Italien zutage gefördert hätte. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird in Fällen wie Heinz Lembke oder Gundolf Köhler auf die Einzeltäter-These zurückgegriffen. Dabei wäre es geradezu verwunderlich, wenn ausgerechnet im „Frontstaat" BRD die NATO auch nach dem Verbot des Technischen Dienstes nicht weiterhin Strukturen für den Fall einer sowjetischen Invasion organisiert hätte – selbst in der neutralen Schweiz wurde eine paramilitärische Geheimorganisation mit dem Namen P26 aufgebaut, welche vor allem vom britischen Geheimdienst MI6 ausgebildet wurde, der in die Gladio-Strukturen eingebunden war. Und dass westdeutsche Geheimdienste von Beginn an in der sich bis hin zum bewaffneten Kampf radikalisierenden linken Szene mitmischten, ist kein Geheimnis mehr. So stellte der Verfassungsschutz-Agent Peter Urbach während der Proteste vor der Springer-Zentrale in Berlin Molotow-Cocktails zur Verfügung, versorgte Mitglieder der Roten Armee Fraktion mit Schuss-Waffen und stellte auch eine Bombe bereit, mit der 1969 das jüdische Gemeindehaus in Berlin gesprengt werden sollte. (20)

Der Verdacht, dass es sich auch bei dem Münchener Attentat um ein Produkt der Strategie der Spannung handeln könnte, liegt nicht nur aufgrund der personellen Verbindungen Köhlers und der Beweislage am Tatort nahe. Es passt auch in die politischen Rahmenbedingungen jener Zeit. Es war Bundestagswahlkampf und der Rechtsaußen Franz Josef Strauß Kanzlerkandidat der CDU/CSU.

Die Strategie der Spannung soll unter anderem in der Bevölkerung den Wunsch nach einem „starken Mann" anzufachen, einem durchsetzungsfähigen Führer, der dem Terror ein Ende macht, einem Terror der alle gleichermaßen und unterschiedslos bedroht. Wer wäre besser als starker Mann in einer solchen Situation geeignet gewesen als Strauß? Gleichzeitig verharmloste Strauß die Wehrsportgruppe Hoffmann sogar noch nach deren Verbot: „Mein Gott, wenn sich ein Mann vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel geschlossenen ‚battle dress' spazierengeht, dann soll man ihn in Ruhe lassen." (21)

Dass Strauß den Verdacht sofort Richtung links lenkte, mag einfach nur einer opportunistischen Ausnutzung der Gelegenheit, sich als starker Mann präsentieren zu können, geschuldet gewesen sein. Dass er die Hoffmann-Nazis verharmloste, mag sich aus seiner grundsätzlichen Sympathie für militanten Antikommunismus erklären.

Doch vielleicht steckt mehr dahinter. Denn Strauß unterhielt direkte Kontakte zu den faschistischen Terrorgruppen, die im Rahmen der Gladio-Geheimarmee in Italien Bomben legten. Er finanzierte sie mit sechsstelligen Geldbeträgen, welche laut Recherchen von Kennzeichen D wahrscheinlich aus den Arsenalen des BND stammten. (22 – Siehe auch Video-Clip unten)

Vor diesem Hintergrund stellt sich nicht nur die Frage, ob deutsche Behörden von dem Anschlag im Voraus wussten – dass sie ihn im Nachhinein nicht aufklärten, lässt bereits Schlimmes erahnen. Darüber hinaus muss aber mittlerweile die Frage gestellt werden, ob deutsche Geheimdienste sogar direkt bei der Planung des Attentats beteiligt waren.

Eine positive Antwort auf diese Frage würde die Republik noch dreißig Jahren nach dem Attentat so sehr erschüttern, dass eine wirkliche Aufklärung in dieses Anschlags nicht zu erwarten ist – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Anmerkungen
(1) dpa, Sabine Dobel, „30 Jahre nach „Wiesn"-Attentat - Der Fall ist nicht zu Ende", 12.09.2010
(2) ebd.
(3) ebd.
(4) Zum Anschlag in Bologna siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_von_Bologna_1980
(5) Siehe Deutscher Bundestag Drucksache 16/13527, Seite 4,
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/135/1613527.pdf
(6) ebd.
(7) http://www.sueddeutsche.de/muenchen/ermittlungen-oktoberfest-attentat-soll-neu-untersucht-werden-1.440711
(8) Gladio, auch „Stay-behind-Organisation", war eine paramilitärische Geheimorganisation der NATO, der CIA und europäischer Geheimdienste während des Kalten Krieges. Die Gladio-Mitglieder sollten nach einer sowjetischen Invasion Westeuropas Guerillaoperationen und Sabotageakte durchführen. Die Organisation existierte von etwa 1950 bis mindestens 1990 und operierte in Westeuropa, Griechenland und in der Türkei. Die Organisation ist für Terrorakte und Morde in mehreren europäischen Ländern verantwortlich. Siehe auch: Spiegel, Gunther Latsch, „Die dunkle Seite des Westens", http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39997525.html
(9) Die Organisation Propaganda Due (P2) war ursprünglich eine italienische Freimaurerloge, die in den 1970er Jahren zur Tarnung einer politischen Geheimorganisation zweckentfremdet wurde. Bei der Untersuchung der Aktivitäten der P2 wurde 1981 bekannt, dass unter maßgeblicher Beteiligung von Licio Gelli ein konspiratives Netzwerk aus Führungspersonen der Polizei, des Militärs, der Wirtschaft, der Politik, der Mafia und von Geheimdiensten geschaffen worden war. Der Geheimbund entwickelte Pläne für einen Staatsstreich und stand in Zusammenhang mit Terroranschlägen. Die P2 wurde 1982 aufgelöst und verboten. Bis zu ihrem Verbot gehörte ihr auch der heutige Premierminister Silvio Berlusconi an.
Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda_Due
(10) Siehe dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Strategie_der_Spannung
(11) Zitiert nach: AIB, Michael Backmund, „Der Kandidat, die Bombe und der Einzeltäter", http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/60/24.php
(12) Quelle: Zeit, Ulrich Chaussy, „Die unbekannte Hand", 12.09.2010, http://www.zeit.de/2010/37/Oktoberfest-Attentat?page=2
(13) Daniele Ganser, „Terrorism in Western Europe: An Approach to NATO's Secret Stay-Behind Armies", Seite 81,
http://leuropa.eu/files/NATO_Secret_Stay-Behind_Armies_in_Western_Europe_08_Ganser27.pdf
(14) Quelle: http://www.hagalil.com/archiv/2005/09/oktoberfest-1.htm
(15) Siehe dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Bund_Deutscher_Jugend
(16) Quelle: Daniele Ganser, „NATO-Geheimarmeen in Europa, inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung,", 2008, S. 321
(17) Siehe: http://www.n-tv.de/panorama/Der-Fall-ist-nicht-zu-Ende-article1471726.html
(18) Siehe: http://www.zeit.de/2010/37/Oktoberfest-Attentat?page=2
(19) Quelle: http://www.zeit.de/2010/37/Oktoberfest-Attentat?page=3
(20) Siehe dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Urbach
(21) Quelle: http://www.zeit.de/2010/37/Oktoberfest-Attentat?page=2
(22) Siehe Kennzeichen D-Beitrag: http://www.youtube.com/watch?v=ukoLY4LOBSE



Die Mär vom Einzeltäter

Hintergrund: Parallelen zwischen dem Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest im Jahr 1980 und dem rechten Terror in Italien wurden bei Ermittlungen ignoriert; ebenso Zeugenaussagen. 30 Jahre später mehren sich Forderungen, den Fall neu aufzurollen

Von Claudia Wangerin
Rettungskräfte und Ermittler nach dem Attentat auf der M&uu
Rettungskräfte und Ermittler nach dem Attentat auf der Münchener Festwiese (26.9.1980)
Es war der größte Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte: Die Bombe, die am Abend des 26.September 1980 um 22.19 Uhr am Haupteingang des Oktoberfests in München explodierte, riß 13 Menschen in den Tod. Arme und Beine lagen herum, Blutlachen bedeckten den Boden. Splitter des Mülleimers, in dem die Bombe gesteckt hatte, waren durch die Wucht der Detonation weit verstreut worden. Viele der über 200 Verletzten blieben schwer behindert oder mußten langwierig im Krankenhaus behandelt werden.

Doch keine zwölf Stunden nach der Explosion waren sogar die Löcher frisch geteert, die die Bombe in den Boden gerissen hatte. Das Geschäft auf der Festwiese in der bayerischen Landeshauptstadt mußte weitergehen. Der damalige bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß gab unterdessen die Parole aus, die Linken seien es gewesen. Die Bundestagswahl stand bevor – und der CSU-Politiker nutzte das Attentat, um den damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum zu attackieren. Strauß warf dem FDP-Mann vor, mit seiner liberalen Haltung dem linken Terror Vorschub geleistet zu haben. Obwohl der Anschlag auf die Festbesucher völlig untypisch für die damals noch aktive »Rote Armee Fraktion« (RAF) war, die ihre Angriffe gegen Funktionsträger richtete, den Terror gegen die normale Bevölkerung jedoch ablehnte.

Wenig später sickerte die Information über den rechtsextremen Hintergrund des mutmaßlichen Attentäters durch: Der 21jährige Gundolf Köhler aus Donaueschingen hatte nachweislich Kontakt zur »Wehrsportgruppe Hoffmann« gehabt und war bei dem Anschlag selbst ums Leben gekommen. Der Zustand seiner Leiche ließ nur den Schluß zu, daß Köhler die Bombe zuletzt in der Hand gehalten hatte. Als klar war, daß es die Linken nicht gewesen sein konnten, wurde aus dem toten Geologie-Studenten ganz schnell ein Einzeltäter. Dies ist das offizielle Ermittlungsergebnis, an dem die Bundesanwaltschaft bis heute festhält – obwohl damals wichtige Spuren ignoriert wurden und sowohl Überlebende und ihre Anwälte als auch engagierte Journalisten und Gewerkschafter neue Ermittlungen forderten.

Die Sonderkommission »Theresienwiese« des bayerischen Landeskriminalamtes legte acht Monate nach dem Bombenanschlag ihren Schlußbericht vor: Köhler soll die Bombe selbst gebaut, transportiert und gezündet haben. Die Akten wurden geschlossen, die Bundesanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt 1982 ein.

»In den 57 Aktenbänden, die die Sonderkommission ›Theresienwiese‹ zusammengetragen hat, gibt es in der Tat genügend Hinweise auf mögliche Mitwisser und Mittäter Köhlers«, schrieb seinerzeit das Magazin Stern. Verschiedene Zeugen hatten unabhängig voneinander ausgesagt, Köhler noch kurz vor der Explosion mit mehreren anderen Personen am Tatort gesehen zu haben. Wenige Tage vor dem Anschlag war Köhler in der Nähe des Tatorts mit anderen jungen Männern in einem PKW aus Donaueschingen beobachtet worden, die mit einem schweren Gegenstand in einer weißen Plastiktüte hantierten. Die Zeugin kam selbst aus der Nähe von Donaueschingen und konnte sich sogar noch an das Kennzeichen erinnern. Das Verhalten der Männer interpretierte sie rückblickend als »eine Art Probe« für das Attentat.

Unmittelbar vor dem Anschlag soll Köhler auf der Verkehrsinsel vor dem Haupteingang der Festwiese mit zwei kurzhaarigen Männern in olivgrünen Parkas in eine Diskussion verwickelt gewesen sein. Zeuge Frank L. war sich seiner Sache sehr sicher, weil er schwul war und Köhler sein Interesse geweckt hatte. Erst nach hartnäckigen Suggestivfragen seitens der Polizei begann er an seinen Aussagen zu zweifeln. 1982 starb dieser Zeuge im Alter von nur 38 Jahren an Herzversagen. Bekannten zufolge soll er unter Angstsyndromen gelitten haben.

Polizeiarbeit von oben behindert

Wenn Gundolf Köhler kein Einzeltäter, sondern ein Kommandomitglied war, das kurz vor der Explosion einen Disput mit anderen Kommandomitgliedern hatte – wie es die Zeugenaussage nahelegt –, dann wäre seine Rolle unklar. Mutige, unbestechliche Tatort-Kommissare wären dem Hinweis nachgegangen und neugierig auf den Inhalt des Gesprächs gewesen; sie hätten nach weiteren Tatverdächtigen gesucht und sich vielleicht sogar die Frage gestellt, ob Köhler der Haupttäter war oder nur das schwächste Glied in der Kette.

Allerdings wurde die Polizeiarbeit auch durch den obersten bayerischen Verfassungsschützer Hans Langemann erschwert. Kaum lagen erste Erkenntnisse über den mutmaßlichen Attentäter vor, gab der Spitzenbeamte sie an die Zeitschrift Quick weiter.

Damit ruinierte er womöglich den »einzigen greifbaren Ermittlungsansatz in den Hintergrund der Tat«. Zu diesem Schluß kam der Münchener Journalist und Buchautor Ulrich Chaussy in seiner Recherche zum Oktoberfest-Anschlag.

Stunden, bevor erste vage Informationen über den mutmaßlichen Bombenleger an die Öffentlichkeit gelangten, schwärmten bereits Quick-Mitarbeiter in sein Heimatstädtchen aus und klapperten seinen Bekanntenkreis ab. Die zwei engsten Freunde Köhlers waren damit schon eingeweiht, bevor die Polizei mit ihren Ermittlungen in Donaueschingen begann. Als vermutlich wichtigste Zeugen für mögliche Tathintergründe hatten sie viel Zeit, sich auf den Besuch der Kripo vorzubereiten.

Erst sechs Tage nach dem Attentat nahmen sich die Ermittler den Studenten Wiegand vor, obwohl er als Sympathisant der rechtsextremen Szene galt. Einen weiteren Tag später suchten sie den Praktikanten Gärtner auf, der mit Köhler auf den Schlachtfeldern von Verdun nach alten Handgranaten gebuddelt haben soll.

Die Spur von Köhler führte auch zu Anhängern der seit kurzem verbotenen »Wehrsportgruppe Hoffmann«, die aussagten, bei ihnen sichergestellte Waffen stammten von einem Heinz Lembke, der in der Lüneburger Heide ein Waffenlager unterhielt. Dieses wurde allerdings erst ein Jahr nach dem Anschlag durch Zufall entdeckt – im Oktober 1981, als ein Waldarbeiter in der Nähe von Uelzen einen Grenzpfahl in den Boden rammen wollte, dabei auf eine verdächtige Kiste stieß und die Polizei holte.

Auf dem Areal, groß wie 125 Fußballplätze, fanden die Beamten 31 Erdverstecke, darin unter anderem 156 Kilo Sprengstoff, 230 Sprengkörper, 50 Panzerfäuste, 258 Handgranaten und 13 520 Schuß Munition. Forstwirtschaftsmeister Lembke entpuppte sich auf Anfrage als Inhaber der Depots. Als Rechtsextremer war der damals 44jährige amtsbekannt. Doch wie konnte er unbemerkt so viele Waffen horten, die offensichtlich aus Militärbeständen stammten?

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete über den Fund am 9.November 1981, Bundeswehrgerät »versickere« im Untergrund – die Staatsschützer bekämen rechte Terroristen nicht in den Griff. »Unter den Ausrüstungsgegenständen, die jährlich bei der Bundeswehr verschwinden, sind Waffen besonders gefragt. Schon 1978 kamen vier Maschinengewehre, 15 Maschinenpistolen, 34 G3-Gewehre, 64 Pistolen und über 30000 Schuß Munition abhanden«, so der Spiegel-Bericht.

Die genaue Herkunft der Waffen in Lembkes Depots sei ebenso schwierig aufzuhellen wie das Umfeld seiner Mitstreiter und Hintermänner. In Untersuchungshaft hatte Lembke zwar umfangreiche Aussagen angekündigt, wurde aber in einer Vernehmungspause erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Die Herkunft der 1,4 Kilo TNT in der Oktoberfest-Bombe ist bis heute ebenso unklar wie die Beschaffenheit der Zünder.

Schloßherr Karl-Heinz Hoffmann

Die Wehrsportgruppe (WSG) von Karl-Heinz Hoffmann war im Januar 1980 vom Bundesinnenministerium als verfassungsfeindliche Organisation verboten und offiziell aufgelöst worden. Der damals 42jährige Neonazi hatte mit zum Teil sehr jungen Männern und vereinzelt auch jungen Frauen paramilitärische Übungen veranstaltet und residierte auf Schloß Ermreuth im Fränkischen. Mit Gundolf Köhler wollte Hoffmann nur flüchtig bekannt gewesen sein, so dessen Behauptung, als die Polizei ihn nach dem Oktoberfest-Anschlag vorübergehend festnahm. Nach zwei Tagen wurde Hoffmann wieder auf freien Fuß gesetzt.

Köhler sei an der Mitgliedschaft in der WSG interessiert gewesen, könne aber »bestenfalls ein motorisiertes Ausrücken und ein Biwak irgendwo im Felde mitgemacht haben«, sagte Hoffmann einige Wochen später in einem Interview. »Meine flüchtige Bekanntschaft mit Köhler liegt um Jahre zurück, mindestens bis zum Jahre 1976.« Köhler war demnach erst 17 gewesen, als Hoffmann ihm zuletzt begegnet war. Die Spiegel-Reporter versuchten den kaltgestellten WSG-Chef aus der Reserve zu locken. Seine bizarren Auftritte in Fantasie-Uniformen mögen sie dazu verleitet haben, ihn zu unterschätzen, denn es gelang ihnen nur punktuell. Hoffmann gab sich als zu unrecht verdächtigter Märtyrer, der dennoch einen kühlen Kopf behielt. Nach dem Münchener Attentat waren Wohnungen seiner mutmaßlichen Anhänger durchsucht worden, die Sprengstoff und Zündkapseln im Haus gehabt hatten. Darauf angesprochen, konterte Hoffmann, wenn man ihm »die Kontrolle über diesen Personenkreis« bei Strafandrohung versage, »kann man nicht acht Monate später hingehen und mir vorhalten, wenn in diesem Personenkreis irgendwas Strafbares gefunden wird«.

»Strauß verrät uns«

Mitglieder der im Januar 1980 verbotenen »Wehrsportgruppe
Mitglieder der im Januar 1980 verbotenen »Wehrsportgruppe Hoffmann« auf dem Grundstück von Karl-Heinz Hoffmann in Ermreuth bei Nürnberg (16.7.1978)
Im selben Atemzug machte Hoffmann Andeutungen über »einen größeren Kreis von Personen, die wir nicht haben erkennen lassen, die politisch stark motiviert waren«. Auch ließ er sich von den Reportern verleiten, damit zu prahlen, die WSG habe sogar Fallschirmjäger gehabt. »Es gibt schon Leute, die uns geflogen haben. Die will ich Ihnen aber nicht nennen«, erklärte Hoffmann auf die Frage, wie er die denn in die Luft gekriegt habe.

Finanziert haben soll sich die WSG über einen von Hoffmann initiierten Förderkreis, der etwa 400 Personen umfaßte – dies erklärte Staatssekretär Franz Neubauer im bayerischen Landtag auf die Anfrage von zwei Abgeordneten im Frühjahr 1979. Außerdem – das deckten Journalisten der Zeitung Die Neue auf – leistete die Truppe im mittelfränkischen Raum Wachdienste für zahlungskräftige Sympathisanten. Einem Bericht der Zeitschrift Quick zufolge soll Hoffmann monatliche Ausgaben zwischen 9000 und 10000 Mark gehabt haben.

Über den bayerischen Ministerpräsidenten und gescheiterten Kanzlerkandidaten der CSU sagte Hoffmann im November 1980: »Herr Strauß propagiert zu Wahlzeiten eine Politik mit Hilfe der nationalen Kräfte, stimuliert sie, wirft ein paar schöne Phrasen hin, aber hinterher verrät er sie wieder.« Strauß und andere CSU-Politiker hatten lange ihre schützende Hand über die WSG gehalten und bis zum Verbot immer darauf verwiesen, der Wehrsport an sich sei nicht strafbar.

An Hoffmanns Selbstdarstellung als »Opfer« hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings widerspricht er selbst vehement der Einzeltätertheorie. In einem Interview mit dem Filmemacher Marc Burth im Jahr 2010 ging Hoffmann davon aus, die Bombe sei ohne Köhlers Wissen ferngezündet worden.

Er weiß inzwischen, daß seine Wehrsportgruppe von V-Männern des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Einer davon, Walter Ulrich Behle, war Anfang Oktober 1980 mit Hoffmann in Syrien. Einem tunesischen Barkeeper erzählte Behle in Damaskus von dem Attentat. Wider Erwarten ging der Tunesier im März 1981 in Paris zur Deutschen Botschaft und erstattete Bericht. Vor Vertretern der Bundesanwaltschaft und der »Soko Theresienwiese« des bayerischen Landeskriminalamts gab er den genauen Wortlaut Behles wieder: »Ja, deswegen kann ich nicht mehr nach Deutschland zurück, wir waren das selbst.«

Beweismaterial vernichtet

Rechtsanwalt Werner Dietrich hatte bereits Anfang der 80er Jahre eine Familie vertreten, die beim Oktoberfest-Attentat zwei Kinder verloren hatte und damals schon nicht akzeptieren konnte, daß bei so vielen offenen Fragen die Aktendeckel geschlossen wurden.

Irgendwann im Laufe der Jahre hatten sie es aufgegeben. Zwei bei dem Anschlag verletzte Söhne waren erwachsen geworden, ihre traumatisierte Schwester hatte sich das Leben genommen, und die bei dem Anschlag verletzte Mutter war an Krebs gestorben.

Doch dann hörten die Überlebenden immer wieder von alten Kriminalfällen, die mit neuen kriminaltechnischen Methoden wie der DNA-Analyse aufgeklärt werden konnten. Bei einer der alljährlichen Gedenkfeiern trafen sie Werner Dietrich wieder – und beauftragten ihn erneut.

Im Dezember 2008 forderte Dietrich die Bundesanwaltschaft auf, die Asservate – darunter nach Aktenlage auch Teile einer Hand, die damals keinem der Opfer zugeordnet werden konnten und die daher als Hinweis auf einen zweiten Täter galt – mit neuen kriminaltechnischen Methoden zu untersuchen. Doch es war zu spät: Der Rechtsanwalt bekam die Auskunft, das Spurenmaterial sei schon 1997 vernichtet worden. Eine Wiederaufnahme der Ermittlungen lehne man ab, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Der heutige Kenntnisstand biete dazu »keinen Anlaß«.

Die Vernichtung der Asservate in einem so spektakulären Fall mag verwundern, denn immerhin geht es hier um mehrfachen Mord und Terrorismus. Wegen des Attentats auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Jahr 1977 erhob die Bundesanwaltschaft aufgrund einer DNA-Spur, die damals am Tatort sichergestellt wurde, im Jahr 2010 Anklage gegen Verena Becker...

Das italienische Muster

Der Schweizer Historiker und Geheimdienstforscher Daniele Ganser plädiert dafür, die mögliche Verbindung von Lembkes Waffenlager zu den »Stay Behind«-Gruppen der NATO-Geheimorganisation Gladio zu untersuchen, die im Kalten Krieg gegründet worden war, um im Fall einer sowjetischen Invasion den Guerillakampf in Westeuropa zu organisieren.

Dies erfuhr die Öffentlichkeit 1990, als Gladio in Italien aufgedeckt wurde. Nach juristischen Untersuchungen mußte der damalige Ministerpräsident Giulio Andreotti die Existenz des Netzwerks zugeben. Die »Stay Behind«-Aktivisten hatten offenbar eine andere Beschäftigung gesucht, als die sowjetische Invasion ausblieb. Von 1969 bis 1980 hatte es in Italien mehrere Bombenanschläge auf Bahnhöfe, Züge und belebte Plätze gegeben, bei denen insgesamt 245 Menschen starben und über 600 verletzt wurden. Allein beim Anschlag auf die Wartehalle des Bahnhofs von Bologna am 2. August 1980 hatte es 85 Tote gegeben. Die Attentate sollten Linken in die Schuhe geschoben werden, um Wahlen zu manipulieren und linke Regierungen zu verhindern. Italienische Rechtsextremisten sagten später aus, sie seien von einem internationalen Netzwerk gestützt worden, das die NATO koordiniert habe.

»Mit dem Wissen, daß es inszenierten Terrorismus gibt, müßte man eigentlich alle Terroranschläge, die es bisher gegeben hat, auch nach diesem Gesichtspunkt untersuchen und grundsätzlich nach jedem Terroranschlag auch in diese Richtung ermitteln«, sagt Daniele Ganser.

Anstelle der staatlichen Akteure haben dies Journalisten getan – doch deren Möglichkeiten sind begrenzt. Sie können zum Beispiel keine Beamten vorladen und ins Kreuzverhör nehmen. Sie können das nur immer wieder fordern. Ulrich Chaussy tut es bereits seit Jahrzehnten. 1985 erschien sein Buch »Oktoberfest – ein Attentat«. Später sichtete der Autor Tobias von Heymann bislang unbekanntes Material aus den Archiven des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), das sich für die bundesdeutschen Ermittlungen interessiert hatte, weil neonazistische Terrorgruppen nach Einschätzung des MfS auch die Sicherheit der DDR bedrohten. Unter anderem dokumentierte das MfS eine Überwachungsaktion mehrerer westdeutscher Landesämter für Verfassungsschutz gegen die Wehrsportgruppe Hoffmann – 22 Stunden, bevor die Bombe hochging. Im Rahmen der »Aktion Wandervogel« wurde ein Wagenkonvoi observiert, der über Österreich in Richtung Nahost fuhr. V-Mann Walter Behle, der später in Damaskus durch prahlerische Selbstbezichtigungen auffiel, war Teilnehmer dieses Konvois.

Heymanns Buch »Die Oktoberfest-Bombe« erschien 2008 – und veranlaßte Fraktionsmitglieder der Grünen im Bundestag zu einer Kleinen Anfrage. Wissen wollten sie unter anderem, ob den deutschen Behörden Erkenntnisse vorliegen, die einen Zusammenhang zwischen dem Oktoberfest-Attentat und dem Anschlag auf den Bahnhof von Bologna vom 2. August 1980 nahelegen. Die in vielen Punkten sehr dürftige Antwort der Bundesregierung vom 22. Juni 2009 bestätigt dies nicht. In der Vorbemerkung sind Gründe aufgezählt, warum die Beantwortung der über 300 Einzelfragen »nicht immer vollständig bzw. präzise möglich« sei – unter anderem wegen des seither vergangenen Zeitraums von fast 30 Jahren. Zudem äußere sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht zu Fragen, die Angelegenheiten der Länder betreffen.

Häufung von Jahrestagen

Der italienische Gladio-Skandal jährt sich in diesen Tagen zum zwanzigsten Mal – und fällt beinahe mit dem dreißigsten Jahrestag des Oktoberfest-Anschlags zusammen. Vielleicht war die deutsche Vereinigung der Grund, warum die Aufdeckung von Gladio in Italien hierzulande wenig Beachtung fand. Die Parallelen der italienischen Bombenanschläge zum Oktoberfest-Attentat hätten schon bei dieser Gelegenheit Anlaß für eine parlamentarische Untersuchungskommission sein können. Aber nicht nur diejenigen, die über die »deutsche Einheit« in unkritischen Jubel ausbrachen, sondern auch die deutschen Linken waren zu dieser Zeit zu sehr mit den Umwälzungen im eigenen Land beschäftigt und nahmen wichtige Ereignisse im Ausland kaum wahr – bis 1991 der Golfkrieg bevorstand.

Wichtige Massenmedien strickten damals ein simples Gut-Böse-Schema. Die in Italien schwer belastete NATO präsentierte sich als Gralshüter der Demokratie und des Weltfriedens. Als Inkarnation des Bösen erschien der irakische Präsident Saddam Hussein, den man zuvor im Krieg gegen den Iran unterstützt hatte. Nun war er mit der Besetzung Kuwaits den geopolitischen Interessen der USA in die Quere gekommen – und wurde von US-Präsident George Bush senior sogar als Wiedergänger Hitlers dämonisiert. Für die ­NATO hatte dies den angenehmen Nebeneffekt, daß Gladio nicht mehr im Fokus des öffentlichen Interesses stand. Bis heute sind NATO-Sprecher eine Stellungnahme zu den dunklen Machenschaften schuldig geblieben.

In diesen Tagen – kurz vor dem zwanzigsten Jahrestag der »deutschen Einheit« – thematisiert das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Doku-Dramen wie »Deckname Annett – Im Netz der Stasi« und dem fiktiven Sechsteiler »Weißensee« die tatsächlichen oder vermeintlichen Geheimdienst-Aktivitäten der DDR und drückt dabei kräftig auf die Tränendrüse. Eine Aufarbeitung der Machenschaften westlicher Geheimdienste im Kalten Krieg steht dagegen noch aus.

Zum dreißigsten Jahrestag des Oktoberfest-Anschlags mehren sich aber die Stimmen, die eine Wiederaufnahme der Ermittlungen fordern. Das Münchner Kulturreferat machte die offenen Fragen am 14. September zum Thema einer Podiumsdiskussion mit Ulrich Chaussy, der Kriminologin Prof. Dr. Monika Frommel und dem bayerischen Verfassungsrichter Dr. Klaus Hahnzog, der 1980 Kreisverwaltungsreferent der Stadt München war. Der SPD-Rechtsexperte Peter Danckert will Medienberichten zufolge nicht locker lassen, »bis das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen wird«.

Für weniger prominente Bürger war Kritik an der Einzeltätertheorie zeitweise eine teure Angelegenheit: Wegen »Verunglimpfung des Staates« wurde der presserechtlich Verantwortliche eines Flugblatts zum elften Jahrestag des Attentats zu einer Geldstrafe von zunächst 1000 DM verurteilt – später auf Intervention des Staatsanwalts in der Berufungsverhandlung zu 2000 DM.

Erst 1999 wurde das Urteil vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben.




30.01.2010
Hoffmanns Truppe übernahm den Saalschutz für Veranstaltungen rechtsextremer Parteien wie NPD und DVU.  (Bild: AP) Hoffmanns Truppe übernahm den Saalschutz für Veranstaltungen rechtsextremer Parteien wie NPD und DVU. (Bild: AP)

Ende der Prügelschützen

Vor 30 Jahren wurde die rechtsextreme "Wehrsportgruppe Hoffmann" verboten

Von Oliver Tolmein

Ende der 1970er-Jahre entwickelte sich Ausländerfeindlichkeit zu einem zentralen gesellschaftlichen Problem. Es traten auch immer mehr gewalttätige rechtsextreme Gruppen in Erscheinung. Eine davon war die Wehrsportgruppe Hoffmann, die am 30. Januar 1980 von Innenminister Gerhard Baum verboten wurde.

Fünf Hundertschaften der Polizei waren am Morgen des 30. Januars 1980 unterwegs. In 23 bayerischen Orten durchkämmten sie im Zuge einer groß angelegten Razzia Wohnungen, Scheunen, Kellerräume und ganze Häuser. Die Ausbeute dieses Schlages gegen die neonazistische Wehrsportgruppe Hoffmann fiel beachtlich aus: Karabiner, Handgranaten, Hitler-Büsten, aber auch ein - wenngleich defekter - Schützenpanzer und eine funktionstüchtige Zwei-Zentimeter-Flak konnten beschlagnahmt werden. Der Verein wurde noch am selben Tag durch Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP) verboten.

"Verbotsverfügung: 1. Die Wehrsportgruppe Hoffmann richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. 2. Die Wehrsportgruppe Hoffmann ist verboten. Sie wird aufgelöst. 3. Das Vermögen der Wehrsportgruppe Hoffmann wird beschlagnahmt und eingezogen."

Gegründet worden war die rechtsextreme Organisation 1973 von dem Nürnberger Schildermaler Karl-Heinz Hoffmann. Seine Truppe übernahm den Saalschutz für Veranstaltungen rechtsextremer Parteien wie NPD und DVU. Sie führte Aktionen mit der neonazistischen "Wiking Jugend" durch und prügelte zusammen mit dem ebenfalls rechtsextremen "Hochschulring Tübinger Studenten" auf antifaschistische Demonstranten ein. Außerdem diente sie als Vorbild für den Aufbau weiterer Wehrsportgruppen in der Bundesrepublik. Medien, die zeigen wollten, wie in Deutschland Rechtsextremisten wieder erstarken, boten Karl-Heinz Hoffmann immer wieder Gelegenheit, sich in Interviews zu präsentieren:

"Hier wird ein militärischer Dienst gemacht. Hier wird ein militärisches Training absolviert, unterscheidet sich praktisch vom Dienst und von der Ausbildung einer regulären Truppe nur dadurch, dass nicht mit scharfen Waffen hantiert wird."

Der "Spiegel" charakterisierte den martialisch auftretenden Wehrsportgruppen-Chef damals so:

"Er schmückt sich mit Nietzsche-Bart, hält sich ein dreisprachiges Verbandsorgan. Von seinen Anhängern als Führer vorgemerkt, veröffentlichte er beizeiten Konfus-Noten, so ein '1. Manifest der Bewegung zur Verwirklichung der rational-pragmatischen Sozialhierarchie'. Unter den Wehrhaftigkeitssymbolen, die Polizisten bei Hoffmann abschleppten, war auch ein fauchender Puma. Ein Neonazi wie gemalt."

Dem damals amtierenden bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß schienen die Aktivitäten des Wehrsportgruppen-Führers dagegen eher pittoresk zu sein. Gegenüber französischen Journalisten äußerte er 1980:

"Mein Gott, wenn ein Mann sich vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel geschlossenen Battle-Dress spazieren geht, dann soll man ihn in Ruhe lassen."

Eine Auffassung, die der Bundesinnenminister angesichts des Ende der 1970er-Jahre erstarkenden Rechtsextremismus nicht teilen mochte. Nach langem Zögern fasste Gerhard Baum den Entschluss, das Verbot nach dem Vereinsgesetz zu wagen. In einem Interview kurz nach Bekanntgabe der Verbotsverfügung erläuterte Baum das Vorgehen seines Ministeriums gegen die Wehrsportgruppe:

"Wir haben ausführlich im letzten Verfassungsschutzbericht über ihre Aktivitäten und ihre Ziele berichtet. Ihre Aktivitäten haben in den letzten Jahren und in den letzten Monaten zugenommen, so dass sich Bund und Länder entschlossen haben jetzt das Verbot auszusprechen, weil es sich hier um eine sehr straff organisierte Gruppe mit relativ vielen Mitgliedern, nämlich etwa 400 Mitgliedern handelt, die auch eine sehr starke negative Öffentlichkeitswirkung im Ausland und im Inland verursacht hat."

Am 2. Dezember 1980 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung. Trotz des Verbots war die militante rechtsextreme Gruppe kurz zuvor erneut ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten: Der beim Anschlag auf das Münchener Oktoberfest am 26. September 1980 getötete Attentäter Gundolf Köhler war zeitweilig in der Wehrsportgruppe aktiv gewesen. Deren Chef Hoffmann hatte schon 1979, vor Bekanntgabe des Verbots, seine prognostischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt.

"Keiner geht gern ins Gefängnis, ich auch nicht, aber wir wissen eines: früher oder später müssen wir auch hier die bundesdeutschen Gefängnisse durchlaufen."

1981 wurde er aus dem Ausland kommend am Flughafen Frankfurt/Main verhaftet und drei Jahre später, unter anderem wegen Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz und gefährlicher Körperverletzung, zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt. 1989 wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen.

nix auf wdr http://www.google.com/search?q=oktoberfest+gundolf+site%3Awdr.de
nur auf dradio http://www.google.com/search?q=oktoberfest+gundolf+site%3Adradio.de

italiano  http://ondemand.wdr.de/mediendb/fhe/audio/italienisch/rc_la_nostra_storia/2010/09/100924_oktoberfestattentat.mp3




17.09.2010
Ein Schützenverein läuft in traditioneller Tracht während des Trachtenumzuges des Oktoberfestes durch die Münchner Innenstadt. (Bild: AP) Ein Schützenverein läuft in traditioneller Tracht während des Trachtenumzuges des Oktoberfestes durch die Münchner Innenstadt. (Bild: AP)

"Zunächst mal war die Beweiskette nicht geschlossen"

Journalist über Hintergründe des Attentats auf das Oktoberfest vom September 1980

Ulrich Chaussy im Gespräch mit Andreas Müller

Vor 30 Jahren tötete eine Bombe auf dem Münchener Oktoberfest zwölf Besucher und den mutmaßlichen Bombenbauer Gundolf Köhler, den die Staatsanwaltschaft damals schnell als Einzeltäter ermittelte. Bis heute bleiben viele Fragen offen, sagt Ulrich Chaussy.

Andreas Müller: Aus München ist uns jetzt Ulrich Chaussy zugeschaltet, der sich seit Jahrzehnten mit diesem Fall beschäftigt. Schönen guten Morgen!

Ulrich Chaussy: Guten Morgen!

Müller: Politiker und Opferanwälte wollen den Fall jetzt wieder aufrollen. Warum eigentlich? Ist der Täter damals tatsächlich nicht schlüssig ermittelt worden?

Chaussy: Also, zunächst mal war die Beweiskette nicht geschlossen, was die Bombe anging. Man weiß, dass Gundolf Köhler diese Bombe gelegt hat, dass er sie gebaut hat, ist nicht nachgewiesen. Denn zwar hat er eine sogenannte Bombenwerkstatt also im Keller seiner Eltern im Haus in Donaueschingen gehabt - da hat er mit Sprengstoff, da hat er mit alten Granatkörpern rumhantiert, mit denen er sich ja übrigens auch bei der Wehrsportgruppe Hoffmann gezeigt hatte, da hat er selbstlaborierte Granaten mit Schwarzpulver gezündet -, aber die Bombe hat keinen Sprengstoff, denn man hat zwar dort unten, von Freunden bekundet, Granatkörper gesehen, aber es ist keine Mikrospur des verwendeten hochbrisanten militärischen Sprengstoffes gefunden worden. Und das andere ist das Psychogramm des Täters, der als ein frustrierter Einzelgänger beschrieben wird. Dieses Psychogramm, da gibt es einfach Fakten, die völlig dagegenstehen. Es beruht auf den Aussagen eines einzigen der Freunde von Gundolf Köhler, im Widerspruch zu allen anderen Bekundungen. Es ist so, dass derjenige, der keine Sozialkontakte gehabt haben soll, der hat sich mit einer Anzeige - der war Schlagzeuger auch - einer Band angeschlossen, hat zwei Mal in der Woche mit der geübt, auch für den Tag nach dem Attentat war er verabredet, der keine Zukunftsperspektive gehabt haben soll, weil er durch eine Uniprüfung gefallen ist, der hat in den Ferien gejobbt, der hat einen Bausparvertrag abgeschlossen und 800 DM seines Ferienverdienstes da eingezahlt. Also im Grunde genommen ... Ich vermisse übrigens diese Indizien und die Wahrnehmung dieser Fakten, die eine große Distanz zu diesem Zeugen hätte ergeben müssen in den Akten, die ich jetzt im Bundesarchiv Koblenz gelesen habe.

Müller: Das sind einige Ungereimtheiten. Welche Rolle spielte eigentlich die berüchtigte Wehrsportgruppe Hoffmann, die damals in Bayern sehr aktiv war? Ich weiß von einer Aussage Franz Josef Strauß', der gesagt hat, na, lassen Sie doch einfach mal deutsche Männer durch den Wald marschieren mit Koppel und Rucksack, wenn die Spaß daran haben. Also er relativierte diese Gruppe eigentlich.

Chaussy: Das war übrigens nach dem Verbot durch Bundesinnenminister Baum, den er sehr ... so beschuldigt hat.

Müller: Nach dem Verbot, aber vor dem Anschlag. Welche Rolle spielten die damals?

Chaussy: Also Gundolf Köhler ist zwei Mal dort gewesen, es waren Einträge auf Karteikarten, die man bei Hoffmann gefunden hat, und dann gab es eben auch diese Razzia, diese Aktion, und die Befragung einer ganzen Menge von Hoffmann-Anhängern und Hoffmann selbst unmittelbar nach dem Anschlag. Hoffmann sagte: Ich kann mich ganz schwach an den Jungen erinnern, vor zwei Jahren oder so. Alle anderen sagten: Wir können uns an den gar nicht erinnern. Und den Behörden, den Ermittlern gelang es nicht, klare Verbindungen von der Tat zu München, zu den Hoffmann-Leuten herzustellen. Aber die Ermittlungen liefen ja noch. 1981 kamen von Hoffmanns Leuten, der sich in den Libanon dann verlagert hat nach dem Verbot, kamen welche zurück, und es gibt drei Aussagen von WSG-Hoffmann-Mitgliedern, die dann beschreiben, wie Köhler bei den Übungen aufgetreten ist, Übungen, bei denen um die 100 Leute da gewesen sind. Man hat in diesem Moment nicht die Ermittlungen auf null gestellt und in diesem, ja, auf diesem Tableau, auf diesem Forum sozusagen, wo sich Rechtsextremisten aus der ganzen Bundesrepublik zu diesen Übungen trafen, dann die Ermittlungen neu aufgestellt und gesagt: Wer könnte zu Köhler Kontakt aufgenommen haben? Davon ist überhaupt nichts zu finden, denn man hatte sich mittlerweile ganz und gar auf den Einzeltäter konzentriert, der aus ausschließlich unpolitischen Motiven, aus persönlicher Verzweiflung gehandelt habe. Und das ist so interessant: Diese beiden Freunde, die engsten, die dann wichtig waren in dieser Phase der Ermittlungen, bereits im November 80, wenige Wochen nach der Tat - da hat einer gesagt: Wir haben zu dritt Wahlkampfkundgebungen besucht und wir sprachen darüber, vor allem Gundolf sprach darüber, ob man und wie man den Wahlkampf mit einer Bombe beeinflussen könne. Der andere, der darauf angesprochen worden ist, ist derjenige, der gesagt hat: Das hat nicht stattgefunden. Und der hat diese private Verzweiflungstheorie in die Welt gesetzt. Der war Jura-Student, bei dem zu Hause wurde dann ein Gesetzestext beschlagnahmt: "Nichtanzeige geplanter Straftaten" hatte er unterstrichen. Dass man diesen Mann auch bei der Faktenlage, die gegen sein Psychogramm sprach, geglaubt hat, ist eine Sache, die ich nicht nachvollziehen kann. Hier können die Ermittlungsbehörden nicht darauf setzen und dann diese Recherche im Netzwerk der Rechtsextremisten unterlassen, was von da an eigentlich nur sehr schwach betrieben worden ist.

Müller: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit dem Journalisten Ulrich Chaussy, der sich seit vielen Jahren mit dem Attentat auf das Oktoberfest vom September 1980 beschäftigt. Warum, Herr Chaussy, insistierte man stets auf die Theorie des Einzeltäters, nachdem Generalbundesanwalt Rebmann noch kurz vorher gesagt hatte, das sind mehrere wahrscheinlich gewesen? Wehrsportgruppe Hoffmann war dann plötzlich auch in einem Atemzug da mit genannt. Wollte man nicht wahrhaben, dass es so etwas wie einen möglichen rechtsextremen Terrorismus geben könnte? Ich erinnere mich an eine Atmosphäre, auch nach dem Anschlag auf den Bahnhof in Bologna, dass man lange leugnen wollte, dass es so etwas wie einen organisierten rechtsextremen Terrorismus geben könnte.

Chaussy: Das ist einfach so ein Topos: Rechtsextremismus, rechtsextremistische Täter sind eigentlich immer Einzeltäter, obwohl sie es wirklich nicht sind. Das Problem - das war ja in dem Beitrag von Oliver Tolmein angesprochen - war, dass es Schuldzuweisungen gegeben hat von Franz Josef Strauß. Dieses Interview in "Bild am Sonntag" hat er gegeben, bevor am nächsten Morgen herausgekommen ist, dass Gundolf Köhler als Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann bekannt war. Strauß hatte die Idee im Kopf, dass Baum, der einige Monate zuvor mit dem damals als Freigänger vorhandenen Horst Mahler, damals noch RAF-Gründer, gesprochen hat, und hatte die Idee, dass möglicherweise andere Kreise dahintersteckten. Und in dem Moment, in dem sie bemerkt haben in der bayerischen Staatsregierung, im Innenministerium, dass das ganz furchtbar dem Strauß auf die Füße fallen könnte, hat der damalige Staatsschutzchef des Innenministeriums, Herr Hans Langemann, diese Journalisten einbestellt und hat denen gezeigt, was er unmittelbar von der Ermittlungsgruppe erfahren hat über den Köhler, hat gezeigt, dass man die Hoffmann-Leute, dass man die unter Kontrolle gehabt hat und beobachtet hat, und hat also dann im Grunde genommen in die Welt gesetzt, wir hatten immer schon ein Auge auf die Rechtsextremisten, um diesen Schaden, diesen politischen Schaden für Strauß zu begrenzen, der ja den Mann beschuldigte, den Herrn Baum, der die Gruppe Hoffmann verboten hat, als er das konnte, weil die auch in anderen Bundesländern auftraten, und er selber, Herr Strauß, hat sie groß werden lassen, vier Jahre lang verharmlost.

Müller: Wir müssen ganz kurz noch darauf kommen: Es sind Asservate vernichtet worden 1998, wertvolle DNA-Spuren kann man jetzt nicht mehr auswerten. Es gibt immer wieder die Versuche von Opferanwälten oder jetzt auch Politikern, diesen Fall neu aufzurollen. Glauben Sie, dass da noch was drin ist, beziehungsweise haben Sie eine Theorie, wer hinter diesem Bombenanschlag tatsächlich gesteckt haben könnte?

Chaussy: Diese Spekulationen verbiete ich mir. Ich finde, dass die Ermittlung, dass die Ermittlungsbehörden so viel spekuliert haben, so viel in diese Einzeltäterthese Energie reingesteckt haben. Es ist Potenzial da, die Ermittlungsakten, etwa 10.000 Blatt, liegen in Koblenz im Bundesarchiv. In Berlin, bei der Birthler-Behörde, hat Tobias von Heymann, der Berliner Kollege, mittlerweile 16.000 Seiten Akten ausfindig gemacht, ...

Müller: Stasiakten sind das.

Chaussy: ... Stasiakten. Die Stasi hat in ... auf allen Ebenen wahrgenommen, was da in Westdeutschland passierte, was bei den Ermittlungsbehörden passierte, und sie hatte IMs in der rechtsextremen Szene. Gerade dieses Netzwerk, das die Ermittler in Westdeutschland viel zu wenig sich angeschaut haben, das kann man relativ gut rekonstruieren, da kann man eine ganze Menge Erkenntnisse daraus gewinnen. Dass da nicht sofort drinsteht, wer vielleicht sich an den Köhler gewandt hat, also direkt tatbezogene Dinge, was jetzt von der Bundesanwaltschaft gesagt worden ist und weswegen man diese Akten nicht beiziehen möchte, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber man kann diese Beziehungen sehr viel besser rekonstruieren. Es ist Material da, und ob alle Asservate wirklich vernichtet sind, wage ich auch noch zu bezweifeln.

Müller: 30 Jahre nach dem blutigen Attentat auf das Oktoberfest ist noch immer Brisanz in diesem Fall. Das war Ulrich Chaussy, Journalist und Autor des Buches "Oktoberfest-Attentat". Vielen Dank!

Chaussy: Bitte sehr!


http://www.youtube.com/watch?v=ukoLY4LOBSE
http://www.youtube.com/watch?v=ORnbxbwd8KM
http://www.youtube.com/watch?v=daowxbaeurw

schiefgegangen... der idiot sprengte sich selbst in die luft