Oktoberfest JAHRESTAG
Am 26. September 1980 explodierte eine Bombe auf dem Münchener Oktoberfest. Mit 13 Toten und über 200 Verletzten gilt der Anschlag als schwerster Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Vor dem dreißigsten Jahrestag erhalten die Zweifel an der offiziellen Version, wonach der Rechtsextremist Gundolf Köhler die Tat gut eine Woche vor der Bundestagswahl alleine und nur aus persönlicher Frustration begangen haben soll, neuen Nährstoff. Nach einem Bericht des Spiegel gibt es in einem Nachlass aus Süddeutschland möglicherweise neue Hinweise darauf, dass ein Hauptzeuge des Attentats ein aktiver Rechtsextremist gewesen sein und Verbindungen zum Verfassungsschutz gehabt haben könnte.
Gilt als Einzeltäter: Gundolf Köhler |
Vertreter von Opfern und Politiker verlangen bis heute die Wiederaufnahme des Verfahrens.Erst im August hat der Opfer-Anwalt Werner Dietrich einen Bescheid der Bundesanwaltschaft bekommen. Darin heißt es, es gebe keinen Anlass, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Im aktuellen Spiegel sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete und Rechtsexperte Peter Danckert: „Ich lasse nicht locker, bis das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen wird." (1)
Beweise vernichtet
Ein „dicker Hammer" ist für Dietrich, aber auch für den Autor Ulrich Chaussy und den damaligen Kreisverwaltungsreferenten und Juristen Klaus Hahnzog, dass die Beweismittel von damals im Jahr 1997 vernichtet wurden. Andere, Jahrzehnte zurückliegende Verbrechen würden heute mit den neuen kriminaltechnischen Verfahren neu aufgerollt und vielfach gelöst. „Gegen RAF-Leute sind Verfahren wegen Taten aus den 1960er Jahren im Gange", sagt Hahnzog. (2) So erhob die Bundesanwaltschaft vor einem halben Jahr aufgrund einer DNA-Spur, die damals sichergestellt wurde, Anklage gegen Verena Becker wegen des Attentats auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Jahr 1977.
Dietrich betont: „Das wäre eine Fundgrube für Kriminalisten heute gewesen." Etwa gab es mehr als 40 Zigarettenkippen unterschiedlicher Marken aus Köhlers Auto sowie ein Stück einer abgerissenen Hand, deren Fingerabdruck sich auf Gegenständen in Köhlers Wohnung fand und die niemandem zugeordnet werden konnten. Offenbar konnte sich ein Mittäter schwer verletzt mit einer verlorenen Hand vom Tatort entfernen.
Chaussy, der den Fall unter anderem in dem Buch Oktoberfest. Ein Attentat aufarbeitete, sieht sein „Unbehagen an der Einzeltäter-These" nach jüngsten Recherchen im Bundesarchiv noch bestärkt. „Wir wissen ja bis heute so gut wie nichts über den Anschlag." Nicht einmal, wie die Bombe gezündet wurde, sei bekannt. Und: „Ich kann das Psychogramm des Täters noch weniger verstehen." (3)
Die Bundesanwaltschaft befand damals, Köhlers Motiv könne „sowohl auf eine schwere Persönlichkeitskrise als auch auf Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen" zurückgehen.
„Anderen Vermutungen zufolge könnte Köhler mit anderen Rechten zusammen ein Nachahmungstäter gewesen sein, der den Anschlag Rechter acht Wochen zuvor auf den Bahnhof von Bologna mit 85 Toten zum Vorbild nahm", schreibt die Deutsche Presse-Agentur dpa in einer Mitteilung. (4)
Verbindungen zu Gladio?
Zumindest erhielten Zeitungen am Tag nach dem Oktoberfest-Anschlag einen anonymen Anruf. Eine Frau mit französischem Akzent bekannte sich demnach mit den Worten „Wir sind die Rechten von Bologna" zu dem Anschlag. (5)
Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen vom 15 Mai 2009 hat das Oktoberfest-Attentat aber nichts mit dem Anschlag in Bologna zu tun. (6)
Die detaillierte Anfrage bezieht sich dabei vor allem auf die Recherchen, die Tobias von Heymann in seinem Buch Die Oktoberfest-Bombe – München, 26. September 1980 – Die Tat eines Einzelnen oder ein Terror-Anschlag mit politischem Hintergrund zusammengetragen hatte, wofür er Stasi-Akten nach Erkenntnissen über den Anschlag durchsuchte. Demnach haben Verfassungsschützer aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen exakt 22 Stunden vor der Explosion auf dem Oktoberfest mit Observationsmaßnahmen gegen Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann begonnen.
In dem Fragenkatalog der Grünen gehe es daher auch vor allem darum, „ob die deutschen Geheimdienste von den Vorbereitungen der Tat gewusst haben", so die Süddeutsche Zeitung. (7)
Doch entgegen der Antwort der Bundesregierung entspricht der Anschlag auf das Oktoberfest demselben Muster, wie es sich auch bei den Anschlägen in Italien vom Ende der 1960er bis Anfang der 1980er Jahre ausmachen ließ.
Im Fall Bologna deutet zudem alles darauf hin, dass das Attentat Teil der von Geheimdiensten bzw. der NATO-Geheimarmee „Gladio" (8) und der Geheimloge „Propaganda Due" (9) umgesetzten „Strategie der Spannung" (10) war. Dabei wurden in Kooperation mit rechtsextremen Gruppen Anschläge verübt, die anschließend linken Kreisen in die Schuhe geschoben wurden. Die Linke sollte auf diese Weise diskreditiert werden, insbesondere eine Regierungsbeteiligung der Kommunistischen Partei im Rahmen des „historischen Kompromisses" zwischen Kommunisten und Christdemokraten sollte in Italien verhindert werden..
Für die CDU/CSU trat Franz Josef Strauß 1980 als Kanzlerkandidat an. |
„Noch am Tatort suchte die CSU-Prominenz die Attentäter in der Linken. Motto: Linke Terroristen bomben unschuldige Oktoberfestbesucher in die Luft. Ein alter Strauß-Bekannter wetterte‚ das habt ihr von eurer linken Politik'." (11)
Doch zwei Tage später war die These von den linken Terroristen nicht mehr aufrecht zu erhalten, denn der Hoffmann-Wehrsportler Köhler war bereits von Zeugen identifiziert worden. Strauß' Anfeindungen gegenüber der sozialliberalen Regierung gingen nach hinten los. „Es war Baum gewesen, der [die Wehrsportgruppe Hoffmann, Anm. Red.] im Januar 1980 verboten hatte, während man sie zuvor in Bayern hatte großzügig gewähren lassen", so die Zeit. (12)
Von der Wehrsportgruppe Hoffmann ist der Weg zur NATO-Geheimarmee Gladio nicht weit. Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft, die die Gladio-These stützen, wurden jedoch in dem offiziellen Untersuchungsergebnis nicht berücksichtigt.
Lauter Einzelgänger
So waren Raymund Hörnle und Sibylle Vorderbrügge mit dem Attentäter Köhler befreundet und Mitglieder der rechtsextremen terroristischen Vereinigung „Deutsche Aktionsgruppen". Sie hatten bereits einen Tag nach dem Attentat ausgesagt, dass der rechtsextreme Förster Heinz Lembke ihnen Waffen, Sprengstoff und Munition angeboten und von umfangreichen Waffendepots erzählt habe. (13)
Diesem Hinweis ging die Staatsanwaltschaft jedoch erst nach, als Waldarbeiter ein knappes Jahr später durch Zufall eines der Depots in der Lüneburger Heide bei Uelzen entdeckten, die Lembke angelegt hatte. Lembke offenbarte im Untersuchungsgefängnis die Lage der restlichen 33 illegalen Waffen- und Sprengstoffdepots. Sie enthielten unter anderem automatische Waffen, 14.000 Schuss Munition, 50 Panzerfäuste, 156 kg Sprengstoff, 258 Handgranaten, 230 Sprengköpfe, chemische Kampfstoffe (u. a. Phosphor, Zyankali, Arsen und Strychnin) sowie Bundeswehrunterlagen über Sprengungen, Minenlegen und Panzerabwehr. „Nach Schätzungen der Österreichischen Militärischen Zeitschrift genug Kriegsmaterial, um eine 66 Mann starke Kompanie auszurüsten." (14)
Die Menge und Qualität der gefundenen militärischen Ausrüstung deuten laut dem Gladio-Experten Dr. Daniele Ganser deutlich auf eine Mitgliedschaft Lembkes in der Geheimorganisation Gladio hin, für die solche Waffendepots charakteristisch waren.
Auch andere Beobachter gingen davon aus, dass die Waffenverstecke in der Lüneburger Heide und die in der Lüneburger Heide stattfindenden Wehrsportübungen Bestandteil des geheimen Gladio-Netzwerkes in Deutschland waren. Die Lüneburger Heide wurde zum Tummelplatz der militanten neofaschistischen Szene, unter anderen hatte auch die NÜB (Nothilfstechnische Übungs- und Bereitschaftsstaffel, auch bekannt als „Wehrsportgruppe Jürgens") dort ihre Basis.
Bereits aus Dokumenten des „Technischen Dienstes" war hervorgegangen, dass die Lüneburger Heide als Treffpunkt für die norddeutsche Abteilung der Gladio-Armee vorgesehen war.
Der Technische Dienst, oder auch „Bund Deutscher Jugend", war eine nach dem zweiten Weltkrieg von US-amerikanischen Geheimdiensten betriebene Untergrundarmee, die sich vor allem aus Veteranen der Wehrmacht- und Waffen-SS zusammensetzte. Sie umfasste mehrere tausend Mitglieder und wurde 1953 verboten. Neben umfangreichen Waffenlagern wurde auch eine Attentatsliste sichergestellt, die 40 deutsche Führungspersönlichkeiten umfasste – hauptsächlich SPD-Politiker, die man als nicht zuverlässig antikommunistisch eingestuft hatte. Unter ihnen befanden sich der damalige SPD-Parteichef Erich Ollenhauer, der hessische Innenminister Heinrich Zinnkann und die Oberbürgermeister von Hamburg und Bremen. Der Technische Dienst schleuste auch Mitglieder in die SPD ein, um im Ernstfall eine möglichst effiziente Ausführung der Attentate zu ermöglichen. (15)
Der ehemalige Herausgeber der Zeitschrift Der rechte Rand, Klaus Harbart, zeigte sich davon überzeugt, dass „Spuren des Bombenanschlags auf das Münchner Oktoberfest zum Waldhüter Lembke nach Niedersachsen führen". (16)
Doch die Hintergründe um Lembkes Waffendepots wurden nie aufgeklärt. Am 1. November 1981, einen Tag vor seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung – Lembke hatte angekündigt, umfangreiche Aussagen über seine Hintermänner abzugeben – wurde er in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Ermittlungen in Richtung Gladio wurden bald nach seinem Tod eingestellt. Lembke sei laut Behörden nur ein Einzelgänger gewesen, der ein wenig Paranoia ob einer sowjetischen Invasion hatte und sich daher umfangreich mit Waffen eindeckte.
Aber nicht nur im Fall Lembke gibt es Vieles, was der These vom Einzelgänger widerspricht. Auch im Fall Köhler widersprechen die Aussagen von Augenzeugen dieser Behauptung. So wollen Augenzeugen in dem Auto, in dem Köhler nach München kam, Mitfahrer gesehen haben, die sich gestikulierend unterhielten. (17) Laut einem weiteren Zeugen war Köhler noch am Tatort mit zwei anderen jungen Männern, die einen Parka trugen, in ein intensives Gespräch verwickelt. (18)
Doch „schon Mitte November 1980 hatte das Interesse der Sonderkommission an Zeugenhinweisen auf Begleiter Köhlers merklich nachgelassen". (19) Offiziell gilt seitdem Köhler als Einzeltäter.
Geheimdienste mischen mit
Das nachlassende Interesse an einer wirklichen Aufklärung des Verbrechens ist wohl vor allem daraus zu erklären, dass diese ähnliche Strukturen wie in Italien zutage gefördert hätte. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird in Fällen wie Heinz Lembke oder Gundolf Köhler auf die Einzeltäter-These zurückgegriffen. Dabei wäre es geradezu verwunderlich, wenn ausgerechnet im „Frontstaat" BRD die NATO auch nach dem Verbot des Technischen Dienstes nicht weiterhin Strukturen für den Fall einer sowjetischen Invasion organisiert hätte – selbst in der neutralen Schweiz wurde eine paramilitärische Geheimorganisation mit dem Namen P26 aufgebaut, welche vor allem vom britischen Geheimdienst MI6 ausgebildet wurde, der in die Gladio-Strukturen eingebunden war. Und dass westdeutsche Geheimdienste von Beginn an in der sich bis hin zum bewaffneten Kampf radikalisierenden linken Szene mitmischten, ist kein Geheimnis mehr. So stellte der Verfassungsschutz-Agent Peter Urbach während der Proteste vor der Springer-Zentrale in Berlin Molotow-Cocktails zur Verfügung, versorgte Mitglieder der Roten Armee Fraktion mit Schuss-Waffen und stellte auch eine Bombe bereit, mit der 1969 das jüdische Gemeindehaus in Berlin gesprengt werden sollte. (20)
Der Verdacht, dass es sich auch bei dem Münchener Attentat um ein Produkt der Strategie der Spannung handeln könnte, liegt nicht nur aufgrund der personellen Verbindungen Köhlers und der Beweislage am Tatort nahe. Es passt auch in die politischen Rahmenbedingungen jener Zeit. Es war Bundestagswahlkampf und der Rechtsaußen Franz Josef Strauß Kanzlerkandidat der CDU/CSU.
Die Strategie der Spannung soll unter anderem in der Bevölkerung den Wunsch nach einem „starken Mann" anzufachen, einem durchsetzungsfähigen Führer, der dem Terror ein Ende macht, einem Terror der alle gleichermaßen und unterschiedslos bedroht. Wer wäre besser als starker Mann in einer solchen Situation geeignet gewesen als Strauß? Gleichzeitig verharmloste Strauß die Wehrsportgruppe Hoffmann sogar noch nach deren Verbot: „Mein Gott, wenn sich ein Mann vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel geschlossenen ‚battle dress' spazierengeht, dann soll man ihn in Ruhe lassen." (21)
Dass Strauß den Verdacht sofort Richtung links lenkte, mag einfach nur einer opportunistischen Ausnutzung der Gelegenheit, sich als starker Mann präsentieren zu können, geschuldet gewesen sein. Dass er die Hoffmann-Nazis verharmloste, mag sich aus seiner grundsätzlichen Sympathie für militanten Antikommunismus erklären.
Doch vielleicht steckt mehr dahinter. Denn Strauß unterhielt direkte Kontakte zu den faschistischen Terrorgruppen, die im Rahmen der Gladio-Geheimarmee in Italien Bomben legten. Er finanzierte sie mit sechsstelligen Geldbeträgen, welche laut Recherchen von Kennzeichen D wahrscheinlich aus den Arsenalen des BND stammten. (22 – Siehe auch Video-Clip unten)
Vor diesem Hintergrund stellt sich nicht nur die Frage, ob deutsche Behörden von dem Anschlag im Voraus wussten – dass sie ihn im Nachhinein nicht aufklärten, lässt bereits Schlimmes erahnen. Darüber hinaus muss aber mittlerweile die Frage gestellt werden, ob deutsche Geheimdienste sogar direkt bei der Planung des Attentats beteiligt waren.
Eine positive Antwort auf diese Frage würde die Republik noch dreißig Jahren nach dem Attentat so sehr erschüttern, dass eine wirkliche Aufklärung in dieses Anschlags nicht zu erwarten ist – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
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