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20 Januar 2011

Bankier des Teufels

Der Bankier des Terrors

Er verehrte Hitler, verlegte Nazi-Schriften und unterstützte linke Terroristen: Der Schweizer Bankier François Genoud prägte die Nachkriegszeit mit – ganz diskret

Nein, François Genoud hat kein Blut an den Händen. Er war kein Terrorist, sondern ein unauffälliger Geschäftsmann, ein Schweizer, wie er im Kontorbuch steht. Seine Spezialität waren diskrete Geldgeschäfte. Er lebte denkbar bescheiden und war ein liebevoller Ehemann und treusorgender Vater. Nebenbei war er auch ein freischaffender Nazi. Er kam niemals mit den Gesetzen seines Landes in Konflikt, aber seine Freunde waren Bombenleger, Erpresser, Terroristen, Mörder. Er spazierte bei den Schweizer Bundesbehörden mit der gleichen Selbstverständlichkeit ein und aus wie im Hauptquartier der palästinensischen Terrorgruppe PFLP. Wissenschaftler, Forschungsinstitute, Verlage warben um ihn, Minister sorgten sich um ein gutes Verhältnis zu ihm, und nie wurde er für seine Taten belangt. Sein Treiben ist nie vollständig aufgedeckt worden, und doch zieht es sich durch die gesamte europäische Nachkriegsgeschichte. 

Carlos – Terrorist und perfekter Ziehsohn

Ilich Ramírez Sánchez ist inzwischen 61, altersgemäß rund um die Hüften, grau, fast weiß die Haare, ein Pensionär eigentlich, wenn er seinen Lebensabend auch im Gefängnis verbringen muss. Nach hektischen zweieinhalb Jahrzehnten als Berufsrevolutionär zwischen Moskau und Beirut, London und Libyen, zwischen Wien und Khartum, ist er in Poissy in der Nähe von Paris zur Ruhe gekommen und mit Zeitunglesen und Fernsehen beschäftigt. Mit dem Leben hat er keineswegs abgeschlossen; die Welt draußen, die ihn einst zu fürchten lernte, beschäftigt ihn nach wie vor. Er unterhält einen öffentlichen Briefwechsel mit Hugo Chávez, dem Präsidenten seines Heimatlandes Venezuela, schreibt gelegentlich an Barack Obama, um ihn um die Freilassung eines Kampfgefährten zu bitten, doch nichts interessiert ihn mehr als sein Bild in der Geschichte. Bei Canal plus hat er den Film gesehen, den Olivier Assayas über sein Leben gedreht hat, und sich über die vielen Fehler aufgeregt.

Es war Verrat, der den Mann, der sich den Kampfnamen „Carlos" gab, ins Gefängnis brachte, was sonst. Französische Fallschirmjäger hatten ihn aus dem Sudan geholt und nach Paris gebracht, wo er vor Gericht gestellt und wegen Mordes an zwei Geheimpolizisten zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Sein Verteidiger war ein Verräter, die Ungarn, die Iraker, die Syrer, der französische Staat sowieso: Alle haben ihn verraten. Nur auf einen lässt er noch heute nichts kommen: François Genoud. „God bless his soul!", ruft er seinem langjährigen Betreuer nach. Der wusste ihn seinerseits zu rühmen: „Carlos ist ein wahrer Revolu­tionär, denn er hat vor nichts Angst."

Der Anführer der militanten PFLP, der ehemalige Kinderarzt Wadi Haddad, hatte den jungen Carlos in Beirut in seine Truppe aufgenommen und ihn dann als Schläfer nach London geschickt. Zuvor hatte der Sohn eines Anwalts aus Caracas recht widerwillig in Moskau theoretischen Marxismus studiert. In London führt Carlos dagegen das Leben eines Playboys, dem die Mutter die Krawatte zurechtzupft, ehe er abends ausgeht. Die Stunde der Bewährung kommt, als er endlich schießen darf: Er soll Joseph Sieff umbringen, den Besitzer der britischen Kaufhauskette Marks & Spencer. Der Mil­lionär gehört zur jüdischen Gemeinde und ist als Förderer des Staates Israel bekannt.

Carlos schießt Sieff nieder und flieht dann. In Paris wirft er Handgranaten in ein Bistro, tötet zwei Menschen, verletzt Dutzende, flieht; beteiligt sich in Den Haag an einer Botschaftsbesetzung, flieht; beschießt in Orly mit einer sowjetischen Rakete eine israelische Maschine, flieht; ermordet in Paris die Polizisten, die ihn verhören wollen, kann wieder fliehen. An der Spitze eines deutsch-arabischen Kommandos besetzt er kurz vor Weihnachten 1975 in Wien die Konferenz der erdölexportierenden Länder (Opec) und nimmt 80 Minister als Geiseln. „Ich bin der berühmte Carlos", erklärt er seinem internationalen Publikum. Drei Menschen sterben; Hans-Joachim Klein, damals ein Freund des späteren Außenministers Joschka Fischer, erleidet einen lebensgefährlichen Bauchschuss. Carlos erzwingt von der österreichischen Regierung, dass im Fernsehen eine anti-israelische Erklärung verlesen und er mit seinen Leuten und den Ministern ausgeflogen wird.

Für Genoud aber ist Carlos kein Gewalttäter oder Terrorist, sondern ein Freiheitskämpfer. Dass er über Leichen geht, macht ihn nicht zu einem schlechteren Menschen, sondern adelt ihn sogar. Er traut sich das, wovor Genoud bei aller Begeisterung für die palästinensische Befreiungsbewegung immer zurückschreckt. Schon als Rekrut der Schweizer Armee stellte sich Genoud nicht besonders geschickt an, und nie mehr würde er freiwillig eine Waffe in die Hand nehmen. Umso glühender verehrt er Tatmenschen, Männer wie Carlos, die schießen, Bomben werfen und morden.

In den CIA-Akten, die erst 2006 freigegeben wurden, wird Genoud als „die wichtigste Verbindung zu Carlos" aufgeführt. Die Schweizer Bundespolizei, die den Amerikanern bereitwillig ihren Kenntnisstand weiterleitet, hätte zu gern gewusst, wie genau sich diese Verbindung gestaltet, welche Funktion ihr Mitbürger in dem internationalen Terrornetzwerk ausübt, mit dem Wadi Haddads PFLP von 1970 an Westeuropa und den Vorderen Orient zusetzt.

Vegetarier wie der Führer

Genoud ist es, der zwischen Europa und den Palästinensern vermittelt. Er ist unverdächtig, ein Geschäftsmann im Geschäftsanzug, nur Termine im Kopf, Abschlüsse, Bilanzen. Dabei ist er keineswegs neutral; das Herz dieses unheilbaren Nazis schlägt selbstverständlich für die ärgsten Feinde Israels. Von der sicheren Schweiz aus hält er Verbindung zwischen den westeuropäischen Aktivisten und dem „Puppenspieler" Haddad, der erst in Beirut, später in Bagdad residiert. Dort plant er, wiederholt von Genoud beraten und unterstützt, Flugzeugentführungen, Erpressungsaktionen, Anschläge gegen Pipelines, Botschaftsbesetzungen. Genoud ist es, der im Februar 1972 in Haddads Auftrag einen Brief an die Lufthansa in Köln expediert, in dem die Gesellschaft aufgefordert wird, fünf Millionen Dollar Lösegeld zu bezahlen, wenn nicht 183 Menschen in einer Maschine sterben sollen, die ein palästinensisches Kommando entführt hat. Die Lufthansa gibt nach, die Passagiere kommen frei, die Entführer fliehen, Genoud ist maßlos stolz auf seinen Coup und fährt mit seiner Frau in die Ferien. Im Auto natürlich.

Die deutschen Ermittler wissen, wer an diesem Verbrechen beteiligt war, aber sie unternehmen nichts. Genoud bleibt unbehelligt, denn er ist wichtig, wichtig für alle Seiten. Wadi Haddad stirbt Anfang 1978 in der Charité in Ostberlin; wahrscheinlich waren es die Israelis, die den Großfürsten des Terrors umgebracht haben. Carlos wird sein Nachfolger und zieht nun sein eigenes Terrornetzwerk auf. Gedeckt von der Stasi, vom ungarischen, vom rumänischen Geheimdienst unternimmt er Anschläge in Westeuropa, versucht durch Erpressungen zu Geld zu kommen, exekutiert Mitkämpfer, in denen er Verräter vermutet. Genoud ist an keiner Gewalttat direkt beteiligt, aber Carlos könnte sich keinen treueren Verehrer wünschen. Die Schweizer Geheimdienstleute wissen genau Bescheid über ihn und können doch nichts gegen Genoud unternehmen. „Er kennt die Akteure, war offensichtlich an jedem Ende des Spektrums beteiligt, hat aber allem Anschein nach gegen kein Gesetz verstoßen", melden sie den Amerikanern. Alles, was die Geheimdienste schließlich an konkreten Fakten herausfinden, ist eine Bestellung, die Carlos und sein Stellvertreter Johannes Weinrich aufgegeben haben und die Genoud brav ausführt: neue Einlegeblätter für den Kalender 1992.

Carlos ist für Genoud wie ein idealer Sohn: gescheit, ein bisschen rebellisch und tatkräftig da, wo der Vater feige wäre. Ein Idealist. Magdalena Kopp, Carlos' deutsche Frau, vermutet, dass Genoud seine Finger im Spiel hat, als Carlos 1994 in Khartum gefasst und nach Frankreich ausgeliefert wird. Dabei ist die Erklärung doch so einfach: Die Verfolger brauchten nur dem seltsamen Monsieur Genoud auf der Spur zu bleiben, und er würde sie unweigerlich zu Carlos, zu Weinrich, zu Magdalena Kopp führen. Das liebevolle Verhältnis endet auch da nicht. Wie ein gütiger Vater besucht Genoud seinen skrupellosen Kämpfer im Gefängnis, organisiert einen Verteidiger für Carlos, schickt ihm Geld. Obwohl schon Ende 70 und schwer krank, fliegt Genoud nach Caracas, wo Carlos Magdalena Kopp deponiert hat. Genoud soll sie davon abhalten, nach Deutschland zurückzugehen und den Behörden alles über Carlos zu erzählen. Er grüßt sie mit der ausgestreckten Hand, dem Führer-Gruß, und bekennt, dass er Vegetarier sei, „wie mein Chef". Spät, sehr spät, kommt Kopp ins Grübeln: Ob Carlos, der große Revolutionär, der Schützling des Nationalsozialisten Genoud, vielleicht doch kein Linker war.

Ein Nationalsozialist aus der Schweiz

Im Herbst 1932 widerfuhr dem Schweizer Lehrling François Genoud ein Glück, von dem die Mehrheit der deutschen Buben nur träumen konnte: Er durfte dem Führer die Hand schütteln. 17 war er, als er im Rheinhotel Dreesen dem Chef der NSDAP vorgestellt wurde, und damit fürs Leben gezeichnet, ein Hitler-Junge auf ewig. Ohne Scham bekannte er sich zu seiner Liebe, die den Tod seines Führers überlebte, ja, sie schien immer größer zu werden. Hitler, so verkündete Genoud noch in den Monaten vor seinem Tod 1996, „Hitler war wie Gandhi ein Mann des Friedens".

Der Vater hatte den Sohn nach Deutschland aufs Internat gegeben, damit er dort Zucht und Ordnung erlerne, an eine Indoktrination durch den Nationalsozialismus hatte er nicht gedacht. François Genoud aber begann für diese neue Ordnungsmacht zu schwärmen, die Deutschland etwas versprach, was in der ewig neutralen Schweiz nicht vorgesehen war: Wiederaufstieg zu nationaler Größe, eine Macht, die das kleinmütige Europa dominieren und den Kampf mit dem britischen Kolonialreich aufnehmen würde. Genoud las Hitlers Mein Kampf, las die Protokolle der Weisen von Zion und war schon für den Antisemitismus gewonnen. Die Juden waren für ihn am „Schwarzen Freitag" schuld, an der Arbeitslosigkeit, überhaupt an allem, und die Kolonialmacht Großbritannien strebte nach der Weltherrschaft.

Nach einem Lehrjahr in der Zentrale des Kapitalismus, in England, kehrte Genoud in die Schweiz zurück und trat in die Firma seines Vaters ein, eine Tapetenfabrik. Vorher jedoch unternahm er noch mit einem Freund eine Orientreise. Die Fahrt ging über den Balkan, durch die Türkei und Persien bis zum Hindukusch. Auf dem Rückweg erlebten die beiden in Bagdad den Beginn eines arabischen Aufstands. Die Schwachen, die Araber, erhoben sich gegen die starken Briten. Der politische und religiöse Führer, noch von den Engländern eingesetzt, war der Mufti von Jerusalem. Er empfing die Besucher und schenkte ihnen Worte, die sich tief in sie einsenkten: „Ihr jungen Leute, die ihr Französisch sprecht und Freunde des arabischen Nationalismus und des Islam seid, ihr müsst an die Befreiung des von Frankreich und Italien beherrschten Maghreb denken. Dort kann eure Hilfe am wirksamsten sein, dort wird sie am meisten gebraucht."

Ob der Mufti tatsächlich diese Worte gesprochen hat, ist nicht bekannt, für Genoud galten sie als Auftrag. Der Mufti floh bald und hielt sich bis Kriegsende mit einer Ehrenpension des Führers in Deutschland auf. Genoud hat ihn in Berlin besucht.

Als Schweizer genoss er auch während des Krieges Reisefreiheit und konnte deshalb einen Abwehragenten namens Paul Dickopf bei dessen angeblicher Flucht in die Schweiz begleiten. Dickopf war seinerseits als Perspektivagent ins Ausland geschickt worden; die Flucht war Teil seiner Legende. Auch Genoud arbeitete inzwischen – in Absprache mit dem Schweizer Geheimdienst – für die deutsche Abwehr. Sein Freund Dickopf, der es verstand, sich mit den Siegern zu arrangieren, kehrte wiederum als Agent der Amerikaner nach Deutschland zurück, wo er mit eiserner Entschlossenheit seinen Aufstieg im Bundeskriminalamt (BKA) begann. Da er dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß 1962 in der Spiegel-Affäre bei der illegalen Verhaftung eines Redakteurs behilflich war, wurde der brave Beamte Dickopf, dieser klandestine CIA-Agent, 1965 zum Chef des deutschen BKA befördert und 1968 zum Interpol-Chef gewählt.

Brückenbauer zu den Linken

Es war sein Freund Genoud, der ihm dabei die Stimmen der arabischen Länder beschaffte. Genoud hatte nie die Worte des Mufti vergessen und sich deshalb in den Fünfzigern in den antikolonialen Befreiungskampf gestürzt. Nach Marokko und Tunesien strebte auch Algerien zur Unabhängigkeit, und Genoud war dabei. Die Befreiungsbewegung verfügte sonst nur über die besten Sympathisanten. Jean-Paul Sartre organisierte unter den Intellektuellen den Widerstand gegen die französische Besatzung, Anti-Folterkomitees wurden gegründet, Resolutionen formuliert, Hungerstreiks veranstaltet. Es war eine linke Bewegung, so steht es in den Geschichtsbüchern. Es gab aber auch die Waffenhändler, die von der Auseinandersetzung profitierten, und es gab Genoud, der das Werk seines Führers in Nordafrika fortsetzen wollte. Er veröffentlichte ein „Politisches Testament" Adolf Hitlers, formuliert angeblich in den letzten Wochen im Bunker unter der Reichskanzlei, aber passgenau auf den algerischen Befreiungskrieg hingeschrieben. „Die Völker Ägyptens, des Irak und des ganzen Nahen Ostens waren bereit zum Aufstand", erläutert da ein historisch beinah schon abgeklärter Hitler. „Wir hätten alles tun müssen, ihnen zu helfen, um ihren Mut zu stärken, wie es unser Vorteil und unsere Pflicht verlangten." Obwohl dieses angebliche Testament bis heute als Letzter Wille des Führers kursiert und immer neue Auflagen erlebt, handelt es sich um nichts anderes als eine Fälschung, die Genoud hergestellt hat. Er wollte bei den arabischen Völkern wieder gut machen, was Hitler seiner Meinung nach versäumt hatte: den arabischen Aufstand anzustacheln. Mit diesem angeblich von Hitler hinterlassenen Dokument gelang seinem treuesten Anhänger der Brückenschlag zwischen Ost und West, zwischen Links und Rechts.

Nachdem Algerien 1962 endlich die Unabhängigkeit erlangt hatte, entdeckte Genoud seine Liebe zu den Palästinensern, und die maoistische Guerilla PFLP, bei der sich auch die RAF ausbilden ließ, verband sich mit einem Mann, der von sich sagte: „Die Wahrheit ist, ich habe Hitler geliebt."

 

Die Tantiemen des Propagandaministers

Aus dem so kläglich untergegangenen „Dritten Reich" nahm Genoud den Auftrag mit, den führenden Nationalsozialisten zu ihrem Recht zu verhelfen. Er ist der Nachkriegsdemokratie zu Dank verpflichtet, dem Rechtsstaat, der die „kleine Lücke" gelassen hat, durch die er seine toten Heroen am Leben erhalten und vor allem vermarkten kann. Das Urheberrecht ist unveräußerlich, aber dass es sich auf die schriftlichen Hervorbringungen von führenden Nationalsozialisten erstrecken könnte, damit hatte niemand gerechnet.

Joseph Goebbels hat über mehr als zwei Jahrzehnte Tagebuch geführt; als er stirbt, ist es noch nicht veröffentlicht. In der Bundesrepublik regt sich zu Anfang der fünfziger Jahre ein immer stärkeres Interesse an Nazi-Memoiren, Nazi-Souvenirs, Nazi-Devotionalien. Der Schweizer Genoud, kann sich mit den besten Referenzen bei den überlebenden Familienmitgliedern des toten Propagandaministers einschmeicheln. Er versichert den Hinterbliebenen, dass nicht alles schlecht war im „Dritten Reich". Goebbels, nein, das sei kein rasender Antisemit, sondern ein großer Mann gewesen, auf keinen Fall jemand, dessen man sich schämen müsse. Der Hitler-Verehrer bietet einen Handel an: Wenn man ihm die Hälfte an dem Erlös aus den Urheberrechten überließe, würde er sich um alles kümmern und der Familie die Goebbels-Tantiemen erstreiten. Für die Angehörigen bietet Genoud einen Vorteil: Als Ausländer ist er neutral und damit bei den deutschen Behörden unverdächtig. Und tatsächlich gelingt es ihm, dass ihm die Nachlassverwertung zugesprochen wird.

Dieser Erfolg wäre nicht möglich gewesen, wenn Genoud nicht von einflussreichen Freunden unterstützt worden wäre. Paul Dickopf vom BKA gehört dazu, aber auch der Bundesnachrichtendienst ist über einen Mittelsmann gern behilflich. Die alten Nazis spielen zumindest im Bundestag und in der Öffentlichkeit keine Rolle mehr, doch bleiben die alten Kameraden in Justiz, Verwaltung, Polizei und selbst in Forschungseinrichtungen von früher her verbunden. Während sich die Verhandlungen über eine Wiedergutmachung an den Staat Israel und später über den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter Jahrzehnte hinziehen, wagt es kein Institut für Zeitgeschichte, kein Ministerium, kein Bundeskanzler, dem Nazi Genoud das Recht zu bestreiten, mit Nazi-Literatur Geld, viel Geld zu verdienen.

In den folgenden Jahrzehnten kann kein halbes Jugendgedicht des Joseph Goebbels mehr veröffentlicht werden, kein Tagebuch-Eintrag, kein Leitartikel aus dem Reich nachgedruckt werden, ohne dass Genouds Zustimmung eingeholt und dafür gezahlt wird. Genoud ist kein Historiker, er ist auch kein Jurist, vielmehr arbeitet er bei einer Bank in Lausanne, aber er kann mit seinem amtlich bestätigten Verfügungsrecht Juristen wie Historiker austricksen. Von den einen lässt er sich umwerben, weil sie doch unbedingt das Material in die Hand bekommen wollen, über das nur er verfügt, die anderen narrt er mit dem unhintergehbaren Urheberrecht.

„Tragödie eines Helden"

Genoud schreckt dabei keineswegs davor zurück, Fachhistoriker zu beleidigen. In einer Ausgabe von Goebbels-Reden, die Helmut Heiber vom Institut für Zeitgeschichte 1971 herausbringt, wünscht er Heiber, dessen geringe Wertschätzung für den Ideologen Goebbels im Vorwort erkennbar wird, in einem separaten Text den baldigen Tod und gibt im Übrigen gern zu, wie sehr ihm „daran liegt, dass Goebbels ausgiebig zu Wort kommt". In einer englischen Ausgabe, die er mit Briefen von Hitlers Privatsekretär Martin Bormann veranstaltet, bekennt er freimütig, „dass ich für diesen Mann eine gewisse Sympathie empfinde. Bis zum Schluss, als die meisten umsichtig genug waren und nur auf eine günstige Gelegenheit warteten, um Verrat zu begehen, blieb er loyal. Allein schon deswegen verdient Bormann meiner Meinung nach Respekt." Als der Verlag Hoffmann und Campe 1977 eine Auswahl aus den Goebbels-Tagebüchern drucken will, ziert sich Genoud oder jedenfalls tut er so. Der Autor habe die Veröffentlichung angeblich gar nicht gewollt, er setze sich über Goebbels' letzte Verfügung hinweg, „weil ich der Meinung bin, dass selbst dieser ‚unziselierte' Goebbels auf die eindrucksvollste Weise den letzten Akt der Tragödie eines Volkes und eines Helden wiedergibt". Und damit auch jeder merkt, wo Genoud steht, setzt er nach: „Mein historisches Gewissen ließ mir keine andere Wahl." Der Verlag druckt auch das, schließlich will er mit dem „Inhaber der Werknutzungsrechte an den Werken von Dr. Joseph Goebbels" im Geschäft bleiben. Was Genoud nicht drucken lässt, ist die Summe, die ihm hilft, sein historisches Gewissen zu erleichtern: Der Verlag zahlt ihm 100.000 Mark allein dafür, dass er den Druck erlaubt.

Seither klingelt die Kasse. Meist handelt es sich um kleinere Beträge, aber die werden umstandslos gezahlt, seit Genoud über das Münchner Institut für Zeitgeschichte und das Bundesarchiv Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland geworden ist. Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit (denn anders kann man sich diesen Skandal nicht erklären): Genoud kann seine Helden ausführlich zu Wort kommen lassen, und die staatliche Seite muss sich nicht mehr mit Rechtshändeln herumschlagen.

Hitler, Goebbels, Bormann – diesen Männern, die nach seiner Meinung „so durchgreifend und groß auf den Gang der Weltgeschichte eingewirkt haben" – galt Genouds Einsatz. Als er sich 1996 umbrachte, wählte er den Freitod, wie es auch diese drei getan hatten. Der ehemals Linke Carlos hat noch eine andere Version für den Abgang seines Schutzengels zu bieten: François Genoud sei bei einer „Selbstaufopferungsaktion" gegen Israel gestorben.

Die gesetzliche Schutzfrist für die 1945 gestorbenen Nazi-Autoren endet erst in fünf Jahren, mit Ende des Jahres 2015. Bis dahin bleiben Bormann und Goebbels durch Genoud und die freundliche Unterstützung von Bundesinnenministerium, Bundesjustizministerium und Bundesfinanzministerium kostenpflichtig.