Stoppt den Überwachungsstaat! Jetzt klicken & handeln Willst du auch an der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos und Materialien:

11 Januar 2010

FINANZKRISE - gutes insiderwissen ..

Im Gespräch: Steve Keen, Professor an der University of Western Sydney

"In der größten Finanzblase aller Zeiten"

Um die Wiederholung der Finanzkrise zu vermeiden, müssten dogmatische
Ökonomen und der Finanzsektor zurückstecken, sagt der Professor Steve
Keen. Er hatte rechtzeitig vor ihr gewarnt.

FRAGE: Die Börsianer glauben, die Krise sei vorbei. Sie auch?

ANTWORT: Nein, der irrationale Überschwang ist zurückgekehrt. Schon in
den Jahren 1929 und 1930 stiegen die Kurse stark, weil viele dachten,
das Jahr 1930 werde wirtschaftlich gut werden. Das war nicht der Fall,
und die Kurserholung lief aus.

FRAGE: Wieso ist die Krise nicht vorbei?

ANTWORT: Im Rahmen einer spekulativen Manie sind zu viele Schulden
angehäuft worden. Geld wurde nicht verdient, indem man Güter
produzierte, sondern durch Spekulation. Steigende Vermögenspreise wurden
getrieben durch eine zunehmende Diskrepanz zwischen Schulden und
Einkommen. Solche Prozesse laufen, bis sie brechen - und an genau diesem
Punkt sind wir nun angelangt. Der private Sektor vermindert die
Verschuldung, und das schwächt die Nachfrage.

FRAGE: In den vergangenen Wochen gab es jedoch Wachstumssignale.

ANTWORT: In einem gewissen Sinne ist das so. Die Wirtschaftspolitik
wurde bestimmt von neoklassischen Ökonomen wie Robert Lucas oder Thomas
Sargent, die im Rahmen der Thesen der rationalen Erwartungen
argumentierten, Regierungen könnten die konjunkturelle Entwicklung nicht
beeinflussen. Sie rechneten nicht mit einer Krise im Privatsektor.
Edward Prescott, Wirtschafts-Nobelpreisträger im Jahr 2004, erklärte
sogar, das kapitalistische System sei in sich stabil und Störungen
könnten nur vom öffentlichen Sektor ausgehen. Die Krise führte aber zu
einem Umdenken: Öffentliche Ausgabenprogramme in Höhe von 4 bis 6
Prozent des Weltsozialproduktes führten zu einer Stabilisierung. Auch
das zeigt, dass die neoklassische Theorie falsch ist.

FRAGE: Können Staatsausgaben den Schuldenabbau der privaten Haushalte
ausgleichen?

Sobald die Stimulierungsmaßnahmen auslaufen, wird der
Entschuldungsprozess die Konjunktur wieder belasten. Vor allem in
Staaten, die hohe Verbindlichkeiten haben. Dort zeichnet sich eine
ähnliche Entwicklung wie in Japan ab, wo das Wachstum der vergangenen
Jahre nicht groß genug war, um den Bevölkerungszuwachs auffangen zu können.

FRAGE: Wie ließe sich das vermeiden?

ANTWORT: Man muss gegen die Schulden vorgehen, die zur Finanzierung von
Vermögenspreisspiralen dienten. Die Verantwortung dafür liegt auf der
Gläubiger- und weniger auf der Schuldnerseite. Im Jahr 1990 lag das
Verhältnis von Hypotheken zum Bruttoinlandsprodukt in Australien bei 17
Prozent. Heute beträgt es mehr als 80 Prozent. Banken machten gute
Geschäfte mit professionellen Spekulanten. Als diese in den neunziger
Jahren Rückschläge erlitten, gingen sie dazu über, Privatpersonen zu
finanzieren und sie auf steigende Hauspreise wetten zu lassen. Dafür
jedoch brauchen wir den Finanzsektor nicht. Er sollte alleine
industriellen Unternehmen und Neugründungen dienen, statt Ponzisysteme
zu fördern.

FRAGE: Wird das erreicht?

Nein. Viele der Rettungsmaßnahmen, vor allem in Amerika, sind darauf
ausgerichtet, das bestehende Finanzsystem zu retten. Es hat aber wegen
unverantwortlicher und ausgesprochen schlechter Kreditvergabe längst
versagt. Die beste Lösung wäre, die Schulden zu beseitigen. Man könnte
sie einfach abschreiben. Das würde zum Konkurs der meisten Banken
führen, die verstaatlicht und später reprivatisiert werden könnten. Oder
man könnte für Inflation sorgen. Diese Varianten werden jedoch
ignoriert. In Australien werden die Verbraucher sogar wieder ermuntert,
sich noch stärker zu verschulden. Schulden führten zu mehr Wachstum und
das sei gut, so die Logik. Langfristig betrachtet ist das jedoch falsch
- und das müssen wir akzeptieren.

FRAGE: Was wird aus den Banken?

ANTWORT: Die Banken sind verdorben worden. Ohne staatliche
Rettungsaktionen hätten die meisten großen amerikanischen Banken nicht
überlebt, selbst Goldman Sachs wäre untergegangen. Die
Stützungsmaßnahmen jedoch führen dazu, dass sie sich wieder wie früher
verhalten - obwohl das direkt in die Krise führte. Rund 80 Prozent der
Tarp-Gelder, die die Wirtschaft beleben sollten, gingen direkt in
Spekulationen an den Börsen. Deswegen sind die Aktienkurse so stark
gestiegen. Die Banken sind zurückgekehrt zum "business as usual", obwohl
das Scheinwachstum vor der Krise im Kern alleine auf das zunehmende
Verhältnis zwischen Schulden und Sozialprodukt zurückging. Es lässt sich
aber nicht grenzenlos ausdehnen.

FRAGE: Das heißt?

ANTWORT: Wenn wir künftig zurückblicken, werden wir sehen, dass wir uns
in der größten Finanzblase aller Zeiten befinden. Ein Grund dafür ist
der Bankensektor, der völlig außer Kontrolle geraten ist. Der zweite
liegt in der neoklassischen Wirtschaftstheorie, die die Entwicklung
theoretisch unterlegte und rechtfertigte. Um die Wiederholung zu
vermeiden, müssten dogmatische Ökonomen und der Finanzsektor bluten.
Stattdessen jedoch wird er wieder zum selben Verhalten ermuntert, das
uns direkt in die Krise brachte.

FRAGE: Was bedeutet das generell?

ANTWORT: In den vergangenen 40 Jahren hat der Finanzbereich Kredite aus
nichts geschaffen und damit Spekulationen, aber nichts Substantielles
finanziert. Der scheinbare Wohlstand, den wir in dieser Zeit erreichten,
ist in gewissem Sinne eine Illusion. Faktisch muss der Lebensstandard im
Rahmen einer notwendigen Normalisierung fallen. Wir sind jedoch noch
weit davon entfernt, das akzeptieren zu können. Das gilt vor allem auch
für die politische Klasse.

FRAGE: Und für Anleger?

ANTWORT: Ich denke, am besten blickt man zurück auf die zwanziger Jahre.
Damals war es das Beste, sich aus Aktien zu verabschieden und "in Cash
zu gehen". Wer in Wertpapiere und Rohstoffe investierte, musste später
deutliche Verluste hinnehmen.
Das Gespräch führte Christof Leisinger. Es ist in voller Länge unter
faz.net/keen nachzulesen.

Text: F.A.Z., 08.01.2010, Nr. 6 / Seite 21

"Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln
angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit
begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens"
(Antonio Gramsci, Gefängnishefte, H. 28, § 11, 2232).