Sechseinhalb Jahre Geisel von Bush in GUANTÁNAMO
von Silvia Cattori - , 24.07.2008 | |
Zeugenaussage von Sami al-Haj, Journalist bei Al-Jazeera Herr Sami al-Haj kommt hinkend, auf seinen Stock gestützt, auf uns zu; aufrecht, beeindruckend. Er gibt den Eindruck von starkem Feingefühl. Kein Lachen und kein Lächeln beleben seine feinen Gesichtszüge, die viel zu jung gealtert sind. Von ihm geht eine tiefe Traurigkeit aus. Er war 31 Jahre alt, als sein Leben im Dezember 2001 - wie das tausender anderer Muslime - plötzlich zum Horror wurde. Er hat gewaltig gelitten und der 438 Tage andauernde Hungerstreik hat ihn geschwächt. Er wurde am 1. Mai 2008 entlassen. Er empfängt uns mit Milde, mit Aufmerksamkeit. Er spricht zu uns, ohne aufdringlich zu sein, von einer Welt, deren Gräuel wir nicht erfassen können, der uns lähmt und uns zu ersticken droht. Er ist der erste Überlebende dieser von der Bush-Administration auf dem Marinemilitärstützpunkt Guantánamo Bay erbauten Lagern, der die Erlaubnis hat, zu reisen. „Ich bin nach Genf, der Stadt der UNO und der Freiheit gekommen [1] um zu fordern, dass die Rechte respektieren werden, dass das Lager in Guantánamo und die Geheimgefängnisse geschlossen werden, damit diese illegale Situation beendet wird". Das Wort wurde ausgesprochen. Alles in diesem Krieg, der sich hauptsächlich gegen Muslime richtet, ist „illegal"; alles ist gefälscht, absurd, kafkaesk. Heute verstehen wir vieles. Besonders aber, dass eine Anzahl der Attentate, die man seit 1996 Muslimen zuschreibt, von Geheimagenten der MI 6, der CIA, des Mossad finanziert und manipuliert wurden. Mutige Zeugen, wie der ehemalige deutsche Minister Andreas von Bülow [2], haben vor allem diese Art krimineller Aktivitäten, die von Grossmächten verübt werden, enthüllt und angezeigt. Wann hat uns ein Journalist über diese Enthüllungen von Andreas von Bülow berichtet? Nur in den „Neuen Medien" konnte man diese Information lesen. Sami al-Haj hat in Guantánamo, gestützt durch seine Gerechtigkeitsliebe, durch seine Überzeugung, dass es die Mission jedes Journalisten ist, über das, was er sieht, zu berichten, die übermenschliche Kraft gehabt durchzuhalten, dem Missbrauch zu widerstehen, sein eigenes Leid beiseite zu schieben. Er hat schwere Schmerzen erlitten, doch in den schlimmsten Momenten konnte er sich die Hoffnung bewahren, dass er von dort entkommen würde. Sich zu sagen, dass man alles beobachten sollte, um als zukünftiger Zeuge zu dienen, hat ihm geholfen, das Unaussprechbare zu ertragen. Sami al-Haj konnte, im Übrigen, dank seiner journalistischen distanzierten Sichtweise, diese von Herr Bush geschaffene schreckliche Welt, die sein Grab hätte sein können, überleben und nicht dem Wahnsinn verfallen. Andere hatten weniger Glück und sind gestorben oder wurden in den Wahnsinn getrieben und können so kein Zeugnis ablegen. Sami al-Haj hat sich auch in Gefangenschaft bemüht seine Arbeit, ohne Stift und Papier, als „aktiver Reporter von Al-Jazeera", wie er sagt, weiterzuführen. Heute will er alles daran setzen, die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf die zehntausenden von Gefangenen in den Kerkern von Guantánamo, Bagram, Kandahar zu lenken, die dort unmenschlichen behandelt werden. Er beantwortet unermüdlich und geduldig die Fragen aller Journalisten. Er hofft mit seinen Worten für jene zu sprechen, die kein Mitspracherecht haben. Sein Bericht ist essentiell. Sami al-Haj wurde, wie seine Mitgefangenen auch, die ungerechtfertigt als „Terroristen" bezeichnet wurden, nie verurteilt und hat nie erfahren, was gegen ihn vorlag. Das zeigt uns, dass die „islamistischen Terroristen" von Herrn Bush und den Journalisten, die seine These unterstützt haben, erfunden sein müssen. Ohne die Komplizenschaft der europäischen Regierungen und der islamophoben Propagandisten in Tel Aviv und Washington, die seit Jahrzehnten zur Desinformation der Öffentlichkeit beitragen und die die Eliten auf der Basis von Lügen beeinflussen, hätten Menschen wie Sami al-Haj, nur weil sie Muslime sind, weder festgenommen werden, noch so lange Geisel dieser Barbarei sein können. Silvia Cattori : Wie fühlen Sie sich nur einige Wochen nach Ihrer Befreiung? Sami al-Haj : Danke, es geht mir gut. Es gibt mir Kraft zu sehen wie sich Menschen engagieren, um anderen Menschen das Leben zu retten und für die Verteidigung ihrer Rechte zu kämpfen. Natürlich ging es mir nicht sehr gut, als ich vor zwei Monaten aus Guantánamo kam. Aber jetzt fühle ich mich besser, ich entdecke, wie Menschen draussen kämpfen, die nicht das massgebliche Ziel vergessen: Frieden und Freiheit für alle zu erzielen. Silvia Cattori : Was sind Ihre wertvollsten Empfindungen und Wünsche nach all diesen schmerzvollen Jahren, die Sie in den Lagern verbracht haben? Sami al-Haj : Natürlich bin ich froh, die Freiheit wieder erlangt zu haben. Ich bin wieder mit meiner Familie, meiner Frau und meinem Sohn vereint. Mein Sohn hat mich sechseinhalb Jahre nicht gesehen, er musste ohne mich in die Schule gehen. Er hat auf mich gewartet und mir gesagt: „Papa, du hast mir so gefehlt! Ich habe gelitten, vor allem wenn meine Schulkameraden von ihren Vätern begleitet in die Schule kamen, und sie mich fragten: Wo ist dein Vater? Ich konnte ihnen keine Antwort geben. Deshalb habe ich Mutti gebeten, mich im Auto zur Schule zu bringen, weil ich nicht wollte, dass sie mir dauernd diese Frage stellen". Ich habe meinem Sohn gesagt: „Jetzt kann ich dich zur Schule bringen, aber du musst verstehen, dass ich eine Botschaft zu verbreiten, eine gerechte Sache zu verteidigen habe. Ich will für die Menschenrechte kämpfen, für die Menschen, denen man die Freiheit entzogen hat. Ich werde nicht alleine kämpfen. Es gibt Tausende von Menschen, die sich überall dort engagieren, wo man die Menschenwürde willkürlich beeinträchtigt. Vergiss nicht, dass wir für den Frieden kämpfen, wir die Rechte dort verteidigen, wo sie verhöhnt werden für eine bessere Zukunft für dich. Vielleicht werden wir es eines Tages erreichen und dann werde ich an deiner Seite bleiben und mit dir zur Schule gehen". Ich weiss nicht, ob er das verstanden hat, weil er noch sehr jung ist, aber er hat mich angelächelt. Auch meine Frau wünschte nicht, dass ich wieder fortgehe. Aber, als ich sie an die schmerzvolle Situation erinnert habe, in der sich die Gefangenen in Guantánamo befinden, die auch eine Familie haben, Söhne, Töchter, eine Ehefrau, die ihnen fehlt, hat sie es verstanden, denn wenn ich mich nicht einsetzen würde, blieben diese Menschen noch länger inhaftiert. Sie hat verstanden, dass ich weiterhin reisen muss, um meine Stimme den anderen Stimmen hinzuzufügen, die sich dafür einsetzen, dass die Gefangenen so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren können. Sie hat mir ihre volle Unterstützung gewährt. Als sie mich zum Flughafen brachte, sagte sie mir: Ich werde für dich beten. Silvia Cattori : Sie sind also durch ihre Reise nach Afghanistan, um dort die Massaker von Zivilisten, Opfer des Kriegs von Herrn Bush, zu filmen, selbst zum Opfer geworden? Haben Sie nicht Angst vor dem, was Ihnen noch zustossen kann? Sami al-Haj : Für mich gibt es keinen Zweifel, ich werde meine Arbeit als Journalist fortsetzen. Ich muss eine Botschaft des Friedens verbreiten, was auch immer geschehen wird. Ich habe, was mich betrifft, sechs Jahre und sechs Monate im Gefängnis, weit entfernt von meiner Familie, verbracht, aber für andere war es noch schrecklicher. Ich habe einen sehr wertvollen Freund verloren, Journalist bei Al-Jazeera, er wurde bei der Bombardierung des Hotels in Bagdad, wo er sich befand, getötet. Ich habe ebenfalls eine Kollegin verloren, die mit mir bei Al-Jazeera arbeitete, sie war wie eine Schwester für mich - auch sie ist in Bagdad getötet worden. Viele Menschen haben wegen dieses Kriegs ihr Leben verloren. Sie müssen wissen, dass die Bush-Administration die Berichterstattung der freien Medien, wie Al-Jazeera, im Nahen Osten verhindern will. Die Büros von Al- Jazeera in Kabul und in Bagdad sind bombardiert worden. Als ich im Jahre 2001 meinen Sohn und meine Frau verlassen habe, um den von den USA ausgelösten Krieg gegen Afghanistan zu filmen, rechnete ich damit, dass ich bei einer Bombardierung sterben könnte. Ich ging dorthin und war mir der Risiken bewusst. Jeder Journalist weiss, dass er eine Mission erfüllt und bereit sein muss, sich zu opfern, um mit seinen Filmen und seinen Schriften über das, was sich dort abspielt, Bericht zu erstatten. Und um der Menschheit zu verstehen zu geben, dass ein Krieg nichts anderes bringt, als den Tod von Unschuldigen, Zerstörung und Leid. Auf der Basis dieser Überzeugung reisten meine Kollegen und ich selbst in Länder in denen Krieg herrscht. Nach all diesen Jahren Gefangenschaft kann ich jetzt wieder etwas für den Frieden tun. Ich werde dahingehend engagieren, bis wir unser Ziel erreichen. Ich bin mir sicher, dass wir eines Tages den Frieden erreichen werden und den Respekt der Menschenrechte, sowie den Schutz der Journalisten, überall auf der Welt, auch wenn ich das selbst nicht mehr erleben werde. Ich bin mir sicher, dass wir erreichen werden, dass die Journalisten nicht mehr während der Ausübung ihrer Arbeit gefoltert oder verletzt werden, während sie die Rechte der Menschheit auf Information verteidigen und während sie die Missbräuche gegen die Menschheit zeigen. Silvia Cattori : Sie haben gleich zu Anfang gesagt, dass Sie sich gut fühlen. Wie kann man aber nach so einer gräulichen Erfahrung und nachdem Sie ohne die geringste Entschuldigung von Ihren Folterern freigelassen worden sind, diese Vergangenheit ohne Ressentiment und Groll schildern? Sami al-Haj : Natürlich ist diese Vergangenheit äusserst hart und meine persönliche Situation ist schwierig. Aber wenn ich nur an jene denke, die noch in Guantánamo sind, denen ihre Familie fehlt, von denen sie keine Nachricht haben, sage ich mir, dass meine Situation, so schwer sie auch sein mag, besser als deren Situation ist. Ich kann nicht vergessen, dass ich in Guantánamo Brüder gelassen habe, die zerstört sind, dem Wahnsinn verfallen. Ich denke besonders an diesen jemenitischen Arzt, der heute ganz nackt in seiner Zelle lebt, denn er hat seinen Verstand verloren. Silvia Cattori : Welche Art von Folter haben Sie erlitten? Sami al-Haj : Viele Arten physischer und psychischer Folter. Da die Häftlinge alle Muslime waren, unterwarf die Lagerverwaltung die Häftlinge vielen Demütigungen und Erniedrigungen religiöser Konnotation. Ich habe vor meinen eigenen Augen gesehen, wie Soldaten den Koran zerrissen und ihn in die Toilette geworfen haben. Ich habe gesehen, wie sie sich während der Verhöre auf den Koran setzten und zwar so lange, bis wir auf die gestellten Fragen antworteten. Sie beleidigten unsere Familien, unsere Religion. Sie gaben vor, mit Gott zu telefonieren, um Ihn darum zu bitten, uns zu befreien und machten sich so über uns lustig. Der einzige Imam des Lagers wurde im Jahre 2005 wegen Verbrüderung mit den Gefangenen entlassen, da er weigerte, den Besuchern des Lagers zu sagen, dort würde die Religionsfreiheit respektiert. Sie schlugen uns zusammen. Sie überhäuften uns mit rassistischen Beleidigungen. Sie schlossen uns in kalte Zimmer ein, unter Null Grad, mit einer einzigen kalten Mahlzeit pro Tag. Sie hängten uns an den Händen auf. Sie störten unseren Schlaf; wenn wir einschliefen, schlugen sie uns auf den Kopf. Sie zeigten uns Filme mit grauenhaften Folterszenen. Sie zeigten uns Fotos von unter Folter gestorbenen, blutenden verschwollenen Gefangenen. Sie setzten uns unter Druck mit der Drohung, uns an einen anderen Ort zu überstellen, um uns noch mehr zu foltern. Sie begossen uns mit kaltem Wasser. Sie zwangen uns, zu salutieren während die US-amerikanische Hymne gespielt wurde. Sie zwangen uns, Frauenkleidung zu tragen. Sie zwangen uns, erotische Fotos anzusehen. Sie drohten uns mit Vergewaltigung. Sie entkleideten uns und liessen uns nackt hin und her gehen. Sie befahlen uns, uns 500-mal hinzusetzen und wieder aufzustehen. Sie demütigten die Häftlinge, indem sie diese in die US-amerikanische und israelische Flagge einwickelten, was uns sagen sollte, dass wir uns in einem Religionskrieg befinden. Wenn dann der Gefangene von Läusen bedeckt, schmutzig aus seiner Zelle gezogen wird, um neuen Folterungen ausgesetzt zu werden, um ihn dazu zu bringen zu kollaborieren, wird er schliesslich was auch immer sagen und er wird nicht mehr wissen wer er ist. Ich habe mehr als 200 Verhöre unter Folter erleiden müssen. 95% der Fragen betrafen Al-Jazeera. Ich sollte innerhalb Al-Jazeeras als Spion arbeiten. Als Gegenleistung boten sie mir die US-amerikanische Staatsangehörigkeit, für mich und für meine Familie, an und ein ergebnisorientiertes Gehalt. Ich habe das abgelehnt. Ich wiederholte, ich sei Journalist von Beruf und kein Spion, und dass es meine Aufgabe ist, die Wahrheit zu verbreiten und ich mich dafür einsetze, dass die Menschenrechte respektiert werden. Silvia Cattori : Verzeihen Sie heute Ihren Folterern? Sami al-Haj : Natürlich werde ich ihnen verzeihen, wenn sie Guantánamo schliessen. Aber wenn sie weiterhin anderen Leid zufügen, werde ich vor Gericht gehen und ein Gerichtsverfahren anstrengen. Obwohl ich weiss, dass die Bush-Administration so viel Leid verbreitet hat, denke ich weiterhin, dass diese Leute immer noch ihre Fehler korrigieren können. Man muss zwischen der Administration und dem Volk unterscheiden. Die Gefangenen von Guantánamo wissen, dass sie Freunde in den Vereinigten Staaten haben, wie dieser Anwalt, der nach Guantánamo gekommen ist, und der sich für meinen Fall einsetzt. Silvia Cattori : Man hat das Gefühl, dass es ihren Folterern nicht gelungen ist, Sie zu zerstören? Sami al-Haj : Weil ich nicht alleine bin. Es stehen Leute hinter mir und dieses Gefühl gibt mir Kraft. Was mir im Gefängnis Kraft gab, war die Überzeugung, dass kein freier Mensch in solch eine Situation der Unterlegenheit und Entmenschlichung versetzt werden sollte und niemand das akzeptieren sollte. Man empfindet Schmerz, Kummer, doch man bemüht sich, die Hoffnung auf einen Ausweg zu wahren, und der Gedanke, dass man auch im Gefängnis seine Arbeit als Journalist fortsetzen kann, lindert den Schmerz. Silvia Cattori : Wussten Sie, dass es, während Sie in Guantánamo waren, ausserhalb des Lagers Menschen gab, die für Ihre Freilassung kämpften? Sami al-Haj : Ich kannte sie nicht, weil es innerhalb des Gefängnisses sehr schwierig war, Nachrichten zu erhalten, selbst wenn man einen Anwalt hatte, da es ihm verboten war, mich zu informieren. Diejenigen, die sich für die Menschenrechte einsetzen und diejenigen, die die Bush-Administration nicht schätzen, kenne ich heute. Ich glaube, dass ihre Stimme jeden Tag lauter wird. Silvia Cattori : Als er Sie sah, sagte ihr Bruder, Sie sähen wie ein alter Mann aus. Fühlen Sie sich auch so? Sami al-Haj : Was mich betrifft, lebe ich mit meinem Herzen und nicht mit meinem Aussehen. Mein Herz fühlt sich immer noch jung an und stärker als zuvor. Silvia Cattori : In Wirklichkeit war es eine sehr schmerzhafte Erfahrung für Sie, aber Sie schöpfen daraus ein ungeahntes Potential? Sami al-Haj : Ja genau. Aus der Zeit, die ich in Guantánamo verbracht habe, habe ich einigen Gewinn ziehen können. Bevor ich in Guantánamo gewesen bin, hatte ich nur eine kleine Familie; jetzt habe ich eine grosse Familie und weltweit hunderte von Freunden. Das ist sehr positiv; ich habe sechs Jahre und sechs Monate verloren, jetzt habe ich aber mehr Freunde gewonnen. Silvia Cattori : Werden Sie noch als ein „Enemy Combatant" angesehen [3]? Sami al-Haj : Das weiss ich nicht, doch bei meiner Freilassung sagte man mir: Sie sind jetzt für die Vereinigten Staaten nicht mehr gefährlich. Silvia Cattori : Steht Ihr Name nicht mehr auf der „Terroristen- Liste"? Sami al-Haj : Weiss ich nicht. Ich denke, dass in ihrer Mentalität alle, die als „Terroristen" bezeichnet wurden, auch „Terroristen" bleiben werden. Nun haben sie Angst vor uns, weil sie uns, ohne Grund, Leid zugefügt haben. Silvia Cattori : Denken Sie, dass Agenten der CIA Sie weiterhin ausspionieren werden? Sami al-Haj : Ja. In Wirklichkeit habe ich nichts gegen dieses Land und sein Volk. Falls die Bush-Administration ihre Fehler korrigiert, werde ich mich über nichts beschweren. Silvia Cattori : Waren Sie überrascht, als ein Offizier des Pentagon, Sie bei Ihrer Entlassung als Manipulator bezeichnete, da Sie am Stock gingen? Sami al-Haj : Die Leute des Pentagon behaupten, die Gefangenen von Guantánamo seien Kriminelle, doch in Wirklichkeit wurden mittlerweile schon 500 von ihnen entlassen. Wie hätten sie entlassen werden können, wenn es wirklich Verbrecher wären? Sie lügen immer. Silvia Cattori : Zwei Sudanesen wurden zeitgleich mit Ihnen entlassen (Amir Yacoub Mohamed al Amin und Walid Mohamed). Wie geht es ihnen jetzt? Sami al-Haj : Die Regierung und die sudanesischen Behörden haben sie sehr gut behandelt. Sie haben uns drei direkt am Flughafen empfangen. Obgleich die Vereinigten Staaten mir meinen Pass genommen haben, haben sie mir innerhalb von zwei Stunden einen neuen Pass ausgehändigt und haben sich nicht gegen meine Ausreise aus dem Sudan gestellt. Silvia Cattori : Sprachen die Soldaten in Guantánamo Sie mit Ihrem Namen oder mit Ihrer Gefangenennummer „345" an? Sami al-Haj : Sie riefen mich mit meiner Nummer auf, nie mit meinem Namen, sondern „three, four, five" meine Gefangenenkennziffer. In der letzten Zeit nannten sie mich „Al-Jazeera". Nur die Delegierten des Roten Kreuzes riefen mich bei meinem Namen. Silvia Cattori : Haben diese Delegierten Sie oft besucht? Sami al-Haj : Wenn es ihnen erlaubt war, kamen sie uns ungefähr alle zwei oder drei Monate besuchen; ich sprach mit ihnen, sie brachten mir Briefe von meiner Familie. Silvia Cattori : Die Bush-Administration und die Offiziere, die mit Ihrer Folterung beauftragt waren, wussten, dass Sie ein ehrlicher Mann waren, ein einfacher Journalist, der danach strebte, die Gewalttaten, die dort gegen das afghanische Volk begangen wurden, bekannt zu machen und kein „Terrorist". Wissen Sie, aus welchem Grund Ihnen so viel Leid zugefügt wurde? Sami al-Haj : Die Mehrheit der Soldaten dort folgten den Befehlen ihrer Offiziere. Sie folterten ohne Gewissen. Aber ich muss ehrlich sagen, dass einige von ihnen gut waren. Einige Soldaten benutzten ihren Verstand. Silvia Cattori : Die CIA-Agenten haben einen Bericht über die Foltermethoden in Guantánamo verfasst. Hatten Sie den Eindruck, dass Sie während der Folterhandlungen beobachtet wurden, dass man an Ihnen experimentierte? Sami al-Haj : Wir waren unter ständiger Überwachung durch Psychiater in Militäruniform. Sie waren nicht da, um uns zu pflegen, sondern um an den Verhören teilzunehmen, um die Gefolterten zu beobachten, damit ihnen keine Einzelheit des Verhaltens des Gefangenen entgeht. Dies geschah unter der Verantwortung des Obersten Morgan, Spezialist in Psychiatrie, der an den Verhören teilnahm. Dieser Oberst hat schon seit März 2002 diesen Posten in Guantánamo inne. Er diente schon seit November 2001 im afghanischen Gefängnis von Bagram. Er gab den Offizieren, die uns Fragen stellten, Anweisungen, studierte unsere Reaktionen, notierte jedes Detail, um darauf die Folter der Mentalität jedes Gefangenen anzupassen, was tiefe Spuren in ihrer Psyche hinterlassen hat. Ich habe mit ihnen gesprochen. Ich habe ihnen gesagt, die Mission eines Arztes sei edel und diene dazu, den Menschen zu helfen und nicht zu ihrer Folterung. Sie haben mir geantwortet: „Wir sind Soldaten, wir müssen den Befehlen folgen; wenn ein Offizier mir einen Befehl gibt, muss ich ihn ausführen, sonst steckt man mich ins Gefängnis, wie Sie. In dem Moment, als ich den Vertrag mit der Armee unterschrieben habe, habe ich verstanden, dass ich jedem Befehl Folge leisten muss". Silvia Cattori : Bei den in Guantánamo ausgeübten Folterpraktiken sehe ich Ähnlichkeiten mit den Folterhandlungen in Israel, wie sie an den palästinensischen, politischen Gefangenen angewendet werden. Störung des Schlafs als Folter, zum Beispiel, was ihre Spezialität ist. Sami al-Haj : Ich glaube, dass die Mehrheit der Auskunftsdienste der ganzen Welt nach Guantánamo gekommen sind. Ich habe Briten gesehen, ich habe Kanadier gesehen. Sie sind dorthin gekommen, um an den Verhören teilzunehmen und auch um den Offizieren der CIA und der FBI Ratschläge über die von ihnen angewendete Folter zu liefern. Silvia Cattori : Können Sie ruhig schlafen? Sami al-Haj : Es ist nicht mehr wie vor Guantánamo. Ich schlafe nicht mehr als 3 bis 4 Stunden pro Nacht. Als ich heute die Leute vom Roten Kreuz getroffen habe, habe ich sie darum gebeten mir zu helfen meine Schwierigkeiten zu überwinden, mir einen Arzt zu empfehlen, der mich untersuchen und mich beraten könnte. Sieben Jahre, das ist keine kurze Zeit. Silvia Cattori : Ist ein Hungerstreik nicht eine Art von Folter, die man gegen sich selbst ausübt? Warum haben sie ihn so lange gemacht, denn Ihre Kerkermeister benutzten, ihn um Ihnen noch mehr Demütigung und Leid zuzufügen? Sami al-Haj : Wir dachten, wir könnten nicht stumm bleiben, wir mussten etwas unternehmen. Wir hatten nur dieses Mittel, damit man uns anhört. Der Hungerstreik ist ein sehr hartes Mittel, selbstverständlich sehr schwer erträglich. Doch wenn einem die Freiheit entzogen wird, muss man dafür kämpfen, sie wiederzuerhalten. Das war die einzige Möglichkeit, die uns blieb, um der Bush-Administration zu zeigen, dass ein Gefangener seine Würde hat, dass er nicht nur von Brot allein lebt, sondern dass die Freiheit wichtiger ist. Silvia Cattori : Was geschah, als man Sie zwangsernährte? Sami al-Haj : Als mehr als vierzig Gegangene in den Hungerstreik getreten waren, versuchte die Lagerverwaltung, ihren Widerstand zu brechen, indem sie uns noch häufiger folterte. Man isolierte uns in kalte Zimmer, entkleidete uns, hinderte uns daran, lange zu schlafen. Zweimal täglich fesselten die Soldaten uns auf einen speziellen Stuhl. Sie legten uns eine Maske auf den Mund und steckten einen grossen Schlauch in unsere Nase, nicht in den Magen. Obwohl die normale Nahrungsration in diesem Fall zwei Dosen wäre, bestraften sie uns, indem sie uns 24 Dosen und 6 Flaschen Wasser einspritzten. Der Magen, der von den langen Hungerstreiks enger geworden war, konnte diese Mengen nicht absorbieren. Sie fügten Produkte hinzu, die Durchfall auslösten. Der Gefangene, der nunmehr schon länger als drei Stunden an diesem Stuhl festgebunden war, übergab sich unaufhörlich. Sie liessen uns im Erbrochenen und den Exkrementen sitzen. Wenn die Foltersitzung beendet war, rissen sie mit Gewalt den Schlauch heraus, und wenn sie unser Blut fliessen sahen, lachten sie über uns. Da sie noch dazu infizierte Schläuche benutzen, die niemals gereinigt werden, leiden die Gefangenen an Krankheiten, die nicht behandelt werden. Silvia Cattori : Sind Sie dank dieses langen Hungerstreiks freigelassen worden? Sami al-Haj : Nein, nicht nur deshalb, aber es war einer der Gründe, der die Lagerverwaltung dazu brachte, mich freizulassen. Silvia Cattori : Was denken Sie über die Geständnisse von Khaled Scheich Mohamed [4], der sich selbst beschuldigt, mehr als 30 Anschläge in 17 Ländern organisiert zu haben? Sami al-Haj : Vielleicht haben sie ihn bis zu dem Punkt gefoltert, an dem er nicht mehr weiss, wer er selber ist und was er sagt. Ich habe ihn nie getroffen, weil sie ihn in ein spezielles Lager gesteckt haben. Ein Offizier hat mir gesagt, dass sie ihn ordentlich rangenommen haben: Sie können es erahnen, sie haben ihn schrecklich gefoltert. Silvia Cattori : Wenn die Vereinigten Staaten behaupten, dass er der „Terrorist Nr. 3 von Al-Qaida" ist, hat das irgendeinen Zusammenhang mit der Realität? Sami al-Haj : Ich glaube nichts was von der Bush-Administration kommt, ehrlich. Weil sie auch mich als „Terrorist" bezeichnet haben. Und ich weiss besser als jeder andere worum es geht. Diese Leute lügen zu viel. Ich glaube an gar nichts, was diese Administration behauptet. Ich kenne einen Gefangenen, der so schwer und oft gefoltert worden ist, dass er am Ende gesagt hat: Ich bin Osama bin Laden. Er sagte, was sie hören wollten, um die Folter zu beenden. Silvia Cattori : Ist dann Al-Qaida eine Kreation der Geheimdienste des Westens? Sami al-Haj : Ich weiss nur, dass ich in meinem ganzen Leben niemanden getroffen habe, der mir gesagt hat: ich gehöre zu Al-Qaida. In Guantánamo habe ich die meisten der Gefangenen getroffen, da es die Politik unserer Wächter war, die Gefangenen nicht zu lange in der gleichen Zelle zusammen zu lassen. Sie verlegten uns jede Woche; man lernte so neue Personen kennen. Die Leute, die ich in Guantánamo getroffen habe, sind alle friedliebende Menschen. Seitdem ich freigelassen wurde, habe ich mit mehr als hundert von ihnen gesprochen. Diejenigen, die verheiratet waren, haben wieder ihr Leben aufgenommen, die Junggesellen haben geheiratet. Silvia Cattori : Haben diejenigen, die ihre Kraft im Gebet finden, grössere Chancen, dem Wahnsinn zu entkommen? Sami al-Haj : Selbstverständlich! Wenn man fühlt, dass einem jemand zur Seite steht, einen begleitet, insbesondere wenn es sich um Gott handelt, kann man Geduld haben, denn man wird sich daran erinnern, dass Gott mehr Macht hat als die Menschen. Ich muss zu Gott beten und Ihm danken. Ich muss mich auch bei all jenen Menschen bedanken, die mich unterstützt haben. Ich denke, dass es mir nie gelingen wird, allen zu danken, selbst wenn ich mein Leben damit verbringen würde. Vielleicht kann ich nun, durch meine Arbeit zugunsten der Menschenrechte, dazu beitragen, das Leben anderer Menschen glücklicher zu machen. Silvia Cattori : Ich denke, dass die Medien und die NGOs hier bei uns, der Verteidigung der Rechte der muslimischen Gefangenen nicht genug Bedeutung beigemessen haben, wie es nötig gewesen wäre [5]. Lange wurde es als ein Zeichen von Sympathie mit den „Terroristen" angesehen, den gegen sie begangenen Missbrauch anzuzeigen. Wissen Sie zum Beispiel, dass die Verantwortlichen von „Reporter ohne Grenzen", deren Mission es ist, Journalisten zu schützen, kritisiert worden sind, weil sie fünf Jahre lang gewartet haben, bevor sie über Ihren Fall sprachen [6] ? Sami al- Haj : Leider haben die Leute das geglaubt, was ihnen die US-Administration gesagt hat. Nun haben sie verstanden, dass es nicht glaubwürdig war, sie werden es korrigieren. Wie ich es Ihnen schon gesagt habe, es ist kein Problem, wenn jemand einen Fehler macht, aber es ist ein Problem, wenn jemand auf seinen Fehlern beharrt. Wenn Journalisten sich nicht dadurch betroffen fühlen, wenn Journalisten im Rahmen von ihrem Beruf inhaftiert werden, werden vielleicht diese Journalisten eines Tages selber inhaftiert werden, und sie werden niemanden finden, der sie verteidigt. Wir müssen zusammen arbeiten, wir müssen uns um jeden Fall kümmern. Wenn man erfährt, dass ein Journalist inhaftiert wurde, sollte man ihn unterstützen, egal welche Hautfarbe oder Religion er hat. Als Journalist will ich mich dazu verpflichten, die Journalisten, die für die Verteidigung der Rechte und Freiheiten arbeiten, zu unterstützen. Wir haben eine gewaltige Arbeit vor uns. Wir müssen uns voll engagieren, damit die Menschen die in Guantánamo und in den Geheimgefängnissen der Bush-Administration eingesperrt sind, dort wo ihnen die Rechte entzogen werden, freigelassen werden. Diese Erfahrung in Guantánamo hat uns tief geprägt. Ich will mich auf die notwendige und wichtige Arbeit der Verteidigung der Menschenrechte beschränken. Ich glaube, dass sich die Menschen nach dem geschehenen Leid heute stärker davon betroffen fühlen. Er ist inakzeptabel, Menschen leiden zu lassen. Wir haben die zwingende Verpflichtung, uns mit ihnen zu solidarisieren. Al-Jazeera rechnet damit, sich mit den freien Medien zusammen zu schliessen, um Informationen in Bezug auf Menschenrechte und auf Freiheit zu sammeln. Ich bitte alle Journalisten darum, mit uns diesbezüglich zu kooperieren. Es gab mehr als 50 Nationalitäten in Guantánamo; es ist eine weltweite Angelegenheit und nicht ein Problem dieses oder jenes Gefangenen. Er ist beschämend, dass in unserer Gesellschaft Unschuldige, die verkauft worden sind, in Käfige eingesperrt sind und dass diese Verletzung der fundamentalen Rechte einem Land zuzuschreiben ist, das behauptet, Bewahrer der Rechte und der Freiheit zu sein. Ich fühle keinen Hass. Wir respektieren die Bürger der Vereinigten Staaten. Es ist die aktuelle Regierung, die die Konsequenzen dieser Handlungen tragen muss. Menschenrechte und Sicherheit sind unteilbar. Will ein Staat Sicherheit, so muss er die fundamentalen Rechte eines Menschen respektieren. Silvia Cattori : Sie haben Recht, die ehrlichen Leute und Journalisten dazu aufzurufen, nicht zu akzeptieren, dass internationale Gesetze verletzt werden und Menschen grausam und erniedrigend behandelt werden. Diese Politik hätte aber nicht ohne die stillschweigende Zustimmung der Regierungen der Grossmächte andauern können, denn nur durch ihre Zustimmung wurden die Menschen, die als „Enemy Combatant" bezeichnet wurden, gefoltert (7) Der Status von Enemy Combatant und Illegal Combatant erlaubt der US-amerikanischen Regierung unbegrenzte Haft, ohne Gerichtsverfahren. Die so bezeichneten Gefangenen fallen unter das Gesetz des „Patriot Act", ein Ausnahmegesetz, welches vom US-Kongress verabschiedet und von George W. Bush, am 26. Oktober 2001 unterzeichnet wurde. „Gesetz zur Stärkung und Einigung Amerikas durch Bereitstellung geeigneter Werkzeuge, um Terrorismus aufzuhalten und zu blockieren". [7]. Alle europäischen Länder haben zum Beispiel dem Inhalt des „Patriot Act", der nach dem 11. September in den Vereinigten Staaten öffentlich bekannt gemacht wurde, zugestimmt. Im Rahmen dieser geheimen Vereinbarungen konnten die Agenten der CIA und des FBI in Europa Tausende von Unschuldigen, wie Sie, entführen und foltern. Sami al-Haj : Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Ich glaube nicht an die Handlung von Regierungen. Denn jede Regierung, in allen Ländern, bevorzugt zu regieren, ohne sich mit den echten Problemen der Leute wirklich zu konfrontieren. Manchmal greift sie vielleicht ein und unterstützt die eine oder die andere Sache, aber im Grunde unterstützt sie sie nicht. Sie äussert sich nur aus opportunistischen politischen Gründen. Vielleicht behauptet sie auch, eine Sache zu unterstützen, aus politischem Kalkül, an die sie nicht glaubt. Wir sollten die Regierungen vergessen, denn sie betreiben nur ihre Politik. Wir müssen weiterhin hart arbeiten, um die Rechte und die Freiheit aller zu verteidigen. Silvia Cattori : Kann man abschliessend sagen, dass die „Terroristen", wie sie von der Bush-Administration und von den Medien vorgestellt werden, nicht existieren? Sami al-Haj : Ich kann ihnen versichern, dass die Gefangenen in Guantánamo, die ich getroffen habe, keine „Terroristen" sind. Ich hatte die Möglichkeit, mit ihnen zu sprechen, sie kennen zu lernen: es sind friedliebende Menschen. Silvia Cattori : Man hat Sie also festgenommen um die Anzahl zu steigern, um den anderen europäischen Ländern glaubhaft zu machen, dass es wirklich „muslimische Terroristen" gab? Sami al-Haj : Wir wurden nach den Anschlägen vom 11. September festgenommen. Bis heute kann niemand sagen, wer der Täter war. Bush wollte nicht sagen: ich habe Fehler gemacht, ich habe die Sicherheit nicht korrekt geschützt. Er hat gesagt: Wir werden einen Krieg gegen diese „Terroristen" führen. Das Ergebnis: Er hat niemandem Sicherheit gebracht. Er hat Afghanistan bombardieren lassen, er hat seine Soldaten in einen Krieg gegen ganze Völker geschickt, aber er hat nicht die Personen festgenommen, die er festnehmen wollte. Er hat den Pakistanis Geldsummen zukommen lassen, damit sie als Gegenleistung Leute festnehmen und sie seiner Administration überreichen. 89% der Leute in Guantánamo sind gegen Bargeld von den pakistanischen Behörden gekauft worden. Wo haben sie sie gefunden? Sie haben sie in Pakistan und nicht in Afghanistan, gefunden. Silvia Cattori : Diese Gefangenen sind darauf gefoltert worden. Man hat ihnen versprochen die Folter abzubrechen, falls sie akzeptierten im Dienst der CIA als Agent zu arbeiten!? Das ist System, das Angst verbreitet?! Sami al-Haj : Ja. Warten wir darauf, dass Herr Bush die Administration verlassen hat. Ich bin mir sicher, dass, sobald er seinen Posten verlassen hat, sich viele Leute über seine Gräueltaten ausdrücken werden. Silvia Cattori : Ihre Aussage ist sehr wichtig. Man hat Ihre Jugend zerstört. Sie haben mit Grossherzlichkeit dieses Desaster in etwas Konstruktives verwandelt. Sie weigern sich, sich als Opfer zu betrachten. Sie sind wirklich hervorragend! All diese Menschen, die sich im Gefängnis befinden, sollten Hilfe von Leuten mit Ihrer Wesensart erhoffen. Sami al-Haj : Wir müssen schwer arbeiten, damit diejenigen, die weiterhin die Bush-Administration stützen, es endlich einsehen und sie ihre Handlungen schändlich finden. In diesem Moment wird ihnen niemand mehr helfen. Und wenn ihnen niemand mehr helfen wird, werden sie aufhören. Die ganze Geschichte von Guantánamo ist ein Schandfleck. Die Bush-Administration wollte die öffentliche Meinung betrügen, indem sie behauptet, wir seien Terroristen. Diese Männer; die man eingesperrt hat, sind aber in ihrer grossen Mehrheit unschuldig, genau wie ich. Silvia Cattori : Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. * * * Jeder kann feststellen, dass die sogenannten „Terroristen", die von unseren Gesellschaften verfolgt werden, in Wirklichkeit die Opfer sind. Herr Sami al-Haj beeindruckt mit seiner Weisheit, seiner Reife, seiner Sichtweite. Er erinnert uns Christus am Kreuz, sein Martyrium ist nicht beendet, die Wunden sind zu tief. Seine Feinheit kontrastiert mit der Beschreibung der angeblichen „Terroristen", die die Behörden und die traditionellen Medien uns lange Jahre vermittelt haben. Weder Anspruch, noch Klagen, sein Bericht ist nüchtern, ohne Emphase. Er legt den Schwerpunkt auf die nötigen Aktionen, um die Gefangenen, die sich noch in diesen Gefängnissen befinden, so schnell wie möglich frei zu bekommen. Er wiederholt ständig, dass er keine Ruhe finden wird, solange alle Häftlinge von Guantánamo nicht befreit sind. Es handelt sich darum, dringend zu reagieren. Es ist eine moralische Verpflichtung auf ehrliche Art und Weise zu erklären, was sich wirklich abgespielt hat und sich dafür einzusetzen, dass unsere Gesellschaften eine Politik annehmen, damit die arabische und islamische Welt anderes als nur Kriege und Rassismus erwarten kann. Die Entführungen, die Folterzentren wie Guantánamo, Abu Ghraib, Bagram, Kandahar, sind nicht, wie man uns zu oft glauben lässt, ein einfacher „Ausrutscher" [8], sondern Ausdruck einer kriminellen Politik, die hauptsächlich den versteckten Interessen zweier Staaten dient: den USA und Israel. Man kann sich übrigens fragen, ob dieser letztgenannte Staat nicht der einzige Sieger dieser Kriege ist, die ganze Völker zerstören, aber auch die Finanzen und das weltweite Image der USA ruiniert haben. Dieser „Krieg gegen den Terrorismus", über den wir ständig informiert werden, ist ein krimineller Krieg; ein Krieg, der von den Grossmächten und deren Geheimdiensten manipuliert wird. Immer mehr Menschen verstehen, dass die Sanktionen der UNO, die „Terroristen-Listen" die auch Europa erstellt hat, die Kampagnen systematischer Schlechtmacherei gegenüber den Muslimen, Instrumente sind, um die öffentliche Meinung zu manipulieren, um künstlich ein Konfliktklima aufrechtzuerhalten. Im Übrigen dienten die Anschläge vom 11. September 2001 sofort als Vorwand, um die internationale Politik von Tel Aviv und Washington in Richtung einer Militäraktion zu leiten, die schon lange vorprogrammiert war. Sie dienten vor allem dazu, jegliche Art von Widerstand gegenüber ihrer kriminellen Politik auszuschalten. Angefangen mit dem palästinensischen und islamischen Widerstand. Nach der Zerschlagung des sowjetischen Imperiums, wurde die islamische Welt als neue „Achse des Bösen" bezeichnet. Seit Anfang der neunziger Jahre manövrierten die USA und Israel, um Angst und Intoleranz in Bezug auf Muslime zu bewirken und um die Geheimdienste unterschiedlicher Länder dazu zu ermutigen, sie zu infiltrieren, zu finanzieren, die „Hoffnungslosen" zur Durchführung von Anschlägen anzustiften, um dann mit dem Finger auf sie zu zeigen und Zwangsmassnahmen, Entführungen, Folter und willkürliche Haft zu rechtfertigen. Seit 2001 wurden Tausende von Muslimen entführt, mit Masken vermummt, inhaftiert, von Folterern zermalmt, mit dem Ziel, sie durch Gewalt dazu zu zwingen, als Spion für die staatlichen Geheimdienste zu arbeiten, während bei uns die Mainstream-Medien selbstgefällig die Kampagnen gegen die hauptsächlich imaginären „Antisemiten" wiederspiegelten. Sie ahmten die Methoden des israelischen Geheimdienstes Shin Beth [9] nach, die so gut beim Zermalmen von 700.000 Palästinensern funktioniert haben, die willkürlich in den letzten 40 Jahren inhaftiert wurden. Ist das die Gesellschaft, die wir wollen? Was noch beklagenswerter und noch entmutigender bei dieser traurigen Geschichte ist, ist die Tatsache, dass die europäischen Regierungen die sogenannte „islamische Bedrohung" instrumentalisiert haben, um sich von zahlreichen verfassungskonformen Richtlinien zu befreien, auch sie haben illegale Massnahmen ergriffen, die von Bush diktiert waren, und die es der CIA gestatteten, auf europäischem Gebiet Muslime zu kidnappen, obwohl sie wussten, dass sie auf unbegrenzte Dauer an Folterzentren, wo kein Recht vorherrscht, ausgeliefert würden. Man kann sich auch die Frage stellen, warum die Chefredaktionen den angeblichen „Terrorismusspezialisten" so viel Platz gewährt haben und immer noch gewähren, die die Phantasie von der „islamistischen Gefahr" gepflegt haben. „Spezialisten", die die US-amerikanische Propaganda übernehmen, die den Islam mit „Terrorismus" verbindet, obwohl sie genau wissen, dass es Teil der Strategie von Washington und Tel Aviv [10] ist, Muslime ohne jeden Beweis mit „Terroristen" zu verbinden. Wir alle erinnern uns an diese ausweichenden Kampagnen, in Frankreich und vor allem in der Schweiz, die dazu bestimmt waren, die Karrieren zweier Brüder zu zerstören: Hani und Tariq Ramadan. In den anderen Ländern gab es ähnliche Machenschaften. Wenn wir keine pervertierte Gesellschaft wollen, die auf Lügen basiert, die Entführungen autorisiert, Folterzentren, gezielte Tötungen und Infiltrationsstrategien, die dazu dienen, Menschen in Informanten zu verwandeln, ist es Zeit zu reagieren. Herr Sami al-Haj, der aus der Hölle zurückkehrte, erteilt uns eine wichtige Lehre, wenn er die Journalisten ohne Hass noch Rache aufruft, sich für den Sieg der Menschenrechte einzusetzen, um diesen „Schandfleck der Geschichte" auszulöschen. Unsere „westliche Kultur", unsere so hoch gelobten „Demokratien" in deren Namen man so viele Kriege begonnen und Verbrechen begangen hat und unsere „freien" Medien müssen von nun an mit all diesen Rückkehrern rechnen, die uns aufrufen, endlich aufzuwachen. Silvia Cattori |
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