Stoppt den Überwachungsstaat! Jetzt klicken & handeln Willst du auch an der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos und Materialien:

29 Oktober 2008

Banker sind Spekulanten: Betrug am Allgemeinwohl

Privatisierung als Ursache der Finanzkatastrophe

Reinhard Jellen 28.10.2008

Gespräch mit Werner Rügemer über Cross Border Leasing

Cross Border Leasing wurde lange Zeit als sicheres und einfaches Mittel zur kommunalen Haushaltssanierung empfohlen. In der Krise entpuppt es sich als hochspekulatives Finanzsystem, welches die Städte nun teuer zu stehen kommt. Ein Gespräch mit dem -- Privatisierungsexperten -- Werner Rügemer

Herr Rügemer, können Sie uns zum Anfang erklären, worum es sich bei -- Cross Border Leasing handelt, bzw. erläutern, wie Cross Border Leasing offiziell sein soll und wie es in der Realität funktioniert?

Werner Rügemer: Zunächst einmal ist -- Cross Border Leasing eines dieser modernen strukturierten Finanzprodukte. Es ist ein Finanzprodukt, das ähnliche Merkmale hat, wie die sogenannten faulen Hypothekenkredite in den Vereinigten Staaten, wo Kredite an Häuslebauer zu Zehntausenden gebündelt worden und dann zu einem spekulativen Finanzprodukt gemacht worden sind. Diese sind wieder und wieder verkauft worden, wobei die Käufer, nämlich andere Banken zum Kauf solcher Kreditbündel wiederum bei anderen Banken Kredite aufnehmen mussten usw.. Ein solches Finanzprodukt ist auch -- Cross Border Leasing. D.h. es ist viel komplizierter als es in der Öffentlichkeit dargestellt worden ist. In der Zeit bis 2004 hat man in Europa etwa siebenhundert, davon allein in Deutschland etwa zweihundert solcher Verträge abgeschlossen.

Barwertvorteil

Offiziell ist das wie folgt vorgestellt worden: Eine Stadt verkauft für 30 Jahre Teile ihrer Infrastruktur - ihre Kanalisation, ihr Schienennetz, ihr Wasserleitungssystem, auch Schulen etc. - an einen amerikanischen Investor, mietet sie für den gleichen Zeitraum und kauft sie nach 30 Jahren wieder zurück. Die Stadt macht das, weil der Investor in den USA einen erheblichen Steuervorteil für diese so genannten steuerbegünstigten Auslandsinvestition bekommt und weil der Investor von diesem großen Steuervorteil, der über 30 Jahre fließen soll, der Kommune einen kleinen Teil abgibt. Das ist der sogenannte Barwertvorteil: Eine einmalige Cash-Zahlung in Höhe etwa von vier Prozent der Kaufsumme. Geworben wurde damit, dass die Städte durch diese sogenannte "leichten Unterschrift" unter einem Vertrag ein bis zweistellige Millionenbeträge in die Haushaltskasse bekommen und ihre überschuldeten Haushalte somit ein wenig entlasten konnten.

Und wie sieht hiervon die Realität aus?

Werner Rügemer: Die Realität sieht so aus, dass die eigentlichen Akteure und Profiteure, insgesamt fünf Banken sind. Das hängt mit einer Finanzpraktik zusammen, die heutzutage üblich ist, also nicht nur in diesem Fall, sondern auch von den sogenannten Heuschrecken, den Private Enquity Fonds betrieben wird. Der Investor hat erst einmal nur geringes Eigenkapital und muss sich den größten Teil der Kaufsumme, etwa 85 Prozent, von Banken leihen. Da geht es um große Summen.

Eine mittlere Stadt wie Recklinghausen verkauft z.B. ihre Kanalisation für 400 bis 500 Millionen Dollar und Großstädte wie Köln oder Leipzig für ein bis zwei Milliarden. Also leiht sich der Investor den größten Teil von Darlehensbanken und diese rechnen damit, dass sie für diesen Riesenkredit auch 30 Jahre ordentlich Geld bekommen. Die Stadt durfte aber nur den sogenannten Barwertvorteil von vier Prozent der Kaufsumme behalten. Die restlichen sechsundneunzig Prozent wurden an weitere drei Banken durchgereicht. Zwei Banken heißen Schuldübernahmebanken, welche die Aufgabe haben, mit diesem Teil des Kaufpreises, der ihnen überlassen worden ist, 30 Jahre lang im Namen der Stadt die Leasing-Rate zu bezahlen, damit diese ihre Anlage auch weiter benutzen kann.

Abwegige Sicherheitsmaßnahmen

Dann gibt es noch eine dritte, eine sogenannte Depotbank, welche ebenfalls einen Teil dieser Kaufsumme zur Verwaltung bekommen hat. Diese soll den Rückkaufpreis nach dreißig Jahren bereit stellen und an den Investor auszahlen. D.h. die eigentlichen Profiteure dieses über 30 Jahre währenden globalen Geldkreislaufs sind diese drei Banken: Die Darlehensbanken, die für diesen Zeitraum Zinsen kassieren, ohne viel dafür tun zu müssen und vor allem die drei treuhänderischen Banken, die für die Stadt diese Riesensumme bekommen und mit dieser frei wirtschaften können. Diese können also mit diesem enormen Betrag andere Banken aufkaufen, andere Darlehen vergeben und so weiter. Das Problem, was hierbei entstehen kann kommt daher, dass der Investor in diesen Verträgen verschiedene Sicherungsmaßnahmen eingebaut hat. Er will ja sicherstellen, dass er seine Leasingraten dreißig Jahre lang pünktlich und vollständig bekommt.

http://brides-for-dating.com/images/women.jpg

Deswegen ist hier vereinbart worden, wenn das sogenannte Rating, die Bonitätseinsstufung, der drei treuhänderischen Banken auch nur ein bisschen, also z.B. von AAA auf A- absinkt, was noch weit von einer Insolvenz entfernt ist, die Städte diese Banken wechseln müssen. Im Moment müssen mehrere Städte mit neuen Banken verhandeln, welche die Verwaltung dieser Summen übernehmen sollen. Das ist zur Zeit aber schwierig, weil alle Banken Probleme haben und ein Bankenwechsel sehr kompliziert und aufwendig ist: Amerikanische Anwälte müssen die Verträge erst einmal richtig interpretieren, denn sie sind nie ins Deutsche übersetzt worden. Dann muss der Investor, die Darlehensbanken, die drei Treuhänderbanken und nicht zuletzt die Stadt zustimmen. Das kostet schon eins bis drei Millionen Euro. Dieselbe Prozedur bezieht sich auch auf die Versicherungen, denn die Städte mussten ihre verkaufte Anlagen gegen Beschädigung, Stillstand etc. versichern, weil für den Investor sichergestellt werden muss, dass diese 30 Jahre lang läuft.

Kostspieliger Versicherungswechsel

Über den Wechsel der Versicherung verhandeln im Moment auch einige Dutzend deutsche Städte, denn in den Verträgen war auch festegelegt, wenn das Rating dieser Versicherungen absinkt, die Städte sich ebenfalls neue Versicherungen suchen müssen. Wie es der Zufall will, der weitaus häufigste Versicherer bei deutschen Cross Border Leasing-Geschäften ist der größte Versicherungskonzern der Welt: American International Group (AIG) und dieser war bekanntlich einer der Konkurskandidaten, der nur durch eine Einhundertmilliardendollar-Spritze der amerikanischen Regierung vorläufig gerettet worden ist. Dessen Rating ist selbstverständlich gesunken und jetzt müssen sich mehrere deutsche Städte neue Versicherungen suchen. Ein solcher Versicherungswechsel ist nun erste einmal als solcher teuer, weil wiederum amerikanische Spezialanwälte eingeschaltet werden müssen und zweitens die Versicherungsgebühren zur Zeit steigen.

Also kann man sagen, dass die Probleme mit Cross Border Leasing nicht nur die Folge, sondern tatsächlich auch die Ursache des gegenwärtigen Finanzdebakels sind?

Werner Rügemer: Genau. Das ist das was in der medialen und politischen Öffentlichkeit noch geleugnet wird. In der Öffentlichkeit wird das Problem unter der Fragestellung untersucht, was nun auf die Städte zukommt. Die Städte werden quasi als Opfer der Finanzkrise dargestellt. In Wirklichkeit waren sie Akteure dieser Finanzkrise, weil sie solche Instrumente mit ermöglicht haben, die – genauso wie die faulen amerikanischen Hypothekenkredite - zu dieser Finanzkrise geführt haben. Jetzt stoßen wir aber auf eine weitere Ebene. Diese Cross Border Leasing-Transaktionen sind wie bereits erwähnt ein strukturiertes Finanzprodukt. Das heißt also, kein Investor, der irgendwo einen Dreißigjahres-Vertrag mit irgendeinem Mieter abschließt, wartet, bis der Schuldner in 30 Jahren seine letzte Rate bezahlt hat, sondern verkauft die Verträge - wie bei diesen amerikanischen Hypothekenkrediten – sofort nach Abschluss weiter. D.h. also der Investor, der einen Dreißigjahresvertrag hat, verkauft diesen an eine Bank und genauso verkaufen die beiden Darlehensbanken ihre Zinsforderungen für 30 Jahre an den Investor ebenfalls weiter. All diese Verträge und Forderungen zwischen den etwa sieben Vertragspartnern werden zu einem weiteren Finanzprodukt und weiter verkauft. Dabei ist aber inzwischen ein Problem aufgetaucht: Denn im Falle, dass dieser Geldfluss an irgendeiner Stelle unterbrochen wird, bricht das Kartenhaus Cross Border Leasing langsam in sich zusammen. Inzwischen haben nämlich in den USA die jeweils zuständigen Finanzämter erkannt, dass es sich bei Cross Border Leasing um "unsaubere Scheingeschäfte" handelt.

Seit wann ist das so?

Werner Rügemer: Die Erkenntnis ist in den USA über die Jahre herangereift. Die erste Station war 2004, als der amerikanische Kongress beschlossen hat, dass solche Verträge nicht mehr steuerlich begünstigt werden. Das hat zunächst keine Konsequenzen für die vor 2004 geschlossenen Verträge gehabt, aber es hat die amerikanischen Finanzämter für diese Scheingeschäfte sensibilisiert.

"Zusätzliches Risiko für die Kommunen"

Mittlerweile haben mehrere Gerichte in den USA die Beurteilung dieser Transaktionen durch die Finanzbehörden als Scheingeschäfte bestätigt. Also wollen die Investoren aus den Verträgen aussteigen.

Was geschieht nun?

Werner Rügemer: Es entsteht ein zusätzliches Risiko für die Kommunen, insofern die Investoren, wenn sie bei ihren deutschen Vertragspartnern eine Verletzung des Vertrags finden würden, diesen außerordentlich kündigen und mit Schadensersatzforderungen gegenüber den deutschen Städte aussteigen könnten. Das wird den Investoren relativ leicht gemacht, weil sie in den Verträgen ihre Interessen sehr weitgehend haben durchsetzen können. Z.B. wenn es eine deutsche Stadt nicht schafft, innerhalb einer Frist, die meist 90 Tage beträgt, nach dem gesunkenen Rating der beteiligten drei Banken oder des Versicherungsunternehmens einen Ersatz zu finden, wäre das ein außerordentlicher Kündigungsgrund für den Investor. Das wäre für diesen die einfachste und günstigste Weise aus den Verträgen herauszukommen.

Müssen in diesem Fall die Kommunen ihre Infrastruktur wieder zurück kaufen?

Werner Rügemer: Dann würde die Depotbank das bei ihr angelegte Geld, das für den Rückkaufpreis gedacht war, an den Investor zurückzahlen müssen und die Städte hätten ihre Anlagen wieder, wobei wir dann hoffen müssen, dass die Depotbank das Geld gerade zur Verfügung hat.

Was passiert, wenn die Depotbank über diese Summen im Moment nicht verfügt?

Werner Rügemer: Dann bleibt die Stadt zahlungspflichtig und hat zwei Optionen: Entweder die Stadt verliert ihre Kanalisation oder das jeweilige Bundesland, welches Gewährsträger für die Stadt ist, oder die Bundesrepublik Deutschland muss diesen Cross Border Leasing-Vertrag in ihr großes Rettungspaket aufnehmen.

Dann steht evtl. den Deutschen noch die eine oder andere Überraschung bevor?

Werner Rügemer: Das könnte sein. Die Cross Border Leasing-Verträge stellen noch einmal drauf gesetzte Finanzprodukte dar und jetzt, da der Geldkreislauf versiegt, bricht das Kartenhaus zusammen.

Können Sie mir bitte erklären, wie ein Mensch, der denken kann, in einer Kommune einem Cross Border Leasing-Vertrag zustimmen kann?

Werner Rügemer: Das fragen sich heutzutage zurecht viele Bürger. Bzw. es gab schon zum Zeitpunkt vor dem jeweiligen Vertragsabschluss Bürgerinitiativen und Bürgerentscheide, die ab und an erfolgreich gewesen sind. Ich kenne zwei (allerdings kleinere) Städte, wo durch Bürgerentscheide ein Vertragsabschluß verhindert werden konnte: Kulmbach und Bergisch-Gladbach. Aber die sogenannten Verantwortlichen, d.h. die Kämmerer, Oberbürgermeister und Mehrheitsfraktionen haben dem zugestimmt. Warum? Es wurde ihnen diese Transaktionen von den Beratern, die als seriös und verlässlich gelten, also sehr häufig der Deutschen Bank oder der Tochtergesellschaft von Daimler Chrysler, der Daimler Chrysler Financial Services oder der jeweilige Landesbank, der Westdeutschen Landesbank, der Sachsen LB, der Bayern LB, der Nord LB, der Landesbank Baden-Württemberg und sogar auch in manchen Fällen der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau empfohlen. Dies wurde leider einfach geglaubt ohne genauer hinzusehen. Dabei wurden die Verträge aus Kostengründen nicht einmal ins Deutsche übersetzt. Dies hätten aber die Städte verlangen können, denn wenn man Verträge dieser Größenordnung über 30 Jahre laufen hat, kann man sich nicht auf einen Global Player wie Deutsche Bank verlassen, die bekanntlich vor allem ihr eigener Gewinn interessiert. Es wurde einfach nicht auf gleicher Augenhöhe verhandelt, sondern nur naiv geglaubt.

http://coilhouse.net/wp-content/uploads/2008/07/magazine_russia.jpg

Jetzt ist das Kartenhaus dabei, einzustürzen. Gibt es momentan schon konkrete Beispiele für Cross Border Leasing, wo Kommunen Geld verloren haben oder die Infrastruktur beschädigt wurde?

Werner Rügemer: Nein. So weit geht es zur Zeit nicht. Wir sind in der Phase, wo die Städte rechtlichern Beistand und für den Wechsel von Versicherungen und Banken bezahlen müssen. D.h. allmählich wird der Barwertvorteil aufgezehrt, während man wieder in neue Verhandlungen eintreten und Berater engagieren muss.

Eingriff in Eigentumsrechte

Ich muss aber auch darauf hinweisen, dass gewisse Risiken schon vor der Finanzkrise eingetreten sind, die zu Kosten geführt haben und weiter führen werden. Denn die Städte sind durch die Verträge in ihrer Verfügung über ihre Anlagen eingeschränkt. D.h. z.B. hatte man in Stuttgart vor, eine neue Neckarbrücke zu bauen. Hier intervenierte der amerikanische Investor, weil die neue Brücke ein paar Meter über das Gelände des Stuttgarter Klärwerks verlaufen sollte, was dieser gekauft hatte. Dies wurde als Eingriff in sein Eigentum interpretiert. Daraufhin musste die Stadt Stuttgart umplanen, die Brücke wo anders bauen, Zufahrtsstrassen verlegen, was zu Mehrkosten von mehreren Millionen geführt hat. Es gibt auch Fälle, wo öffentliche Verkehrsbetriebe gebrauchte U-Bahnzüge und Straßenbahnen nicht nach Polen weiterverkaufen durften und betriebsbereit im Depot halten mussten, weil der Investor den Geschäften nicht zugestimmt hat.

Ein anderes Beispiel: Die Lutherstadt Wittenberg hat ihre Kanalisation veräußert. Schon früher waren die Kanalisation und die dazu gehörenden Klärwerke überdimensioniert und in der Zwischenzeit sind weitere 15.000 Einwohner abgewandert, jedoch darf die Stadt Wittenberg ihre Kanalisation im Wert nicht verkleinern. Also steigen die Abwassergebühren, weil diese auf immer weniger Einwohner umgelegt werden müssen. Also entstehen auf diesem Wege für die Bürger neue Kosten.

Gibt es für die Städte eigentlich eine legale Handhabe, um aus dem Cross Border Leasing wieder auszusteigen?

Werner Rügemer: Diese Transaktionen sind Instrumente der modernen Finanzwelt, die ja in die Finanzkrise geführt haben. Da wurden dreistellige Millionen- und Milliardenbeträge bewegt, ohne dass irgendein Arbeitsplatz oder eine neue Dienstleistung entstanden ist und es ist auch kein einziger Zentimeter Kanalrohr neu verlegt oder repariert worden. Man muss schon einmal sehen, was das für eine Art Wirtschaft sein soll. Inzwischen wird das in den USA zumindest auf der rechtlichen und steuerlichen, wenn auch noch nicht auf der politischen Ebene erkannt. Ich würde sagen, wenn es sogar schon in den USA Gerichtsurteile gibt, die besagen, dass es sich hier um "unsaubere Scheingeschäfte" (so eine wörtliche Formulierung) dreht und Bußgelder für die Investoren verhängen, müsste man in Deutschland verstehen können, dass hier Verträge gegen Recht und Gesetz abgeschlossen worden sind.

Es ist falsch oder unvollständig beraten worden. Es sind deutsche Vorschriften missachtet worden, etwa die Vorschrift, dass entscheidungsrelevante Unterlagen in deutscher Sprache vorliegen müssen. Das war bei diesen Verträgen nicht der Fall und es gibt weitere Verletzungen von Vorschriften, so dass ich nach all den Erkenntnissen, die wir jetzt über diese geheimen Scheingeschäfte haben, dafür plädieren würde, dem deutschen und europäischen Recht Geltung zu verschaffen und diese Verträge einseitig zu kündigen. Das können wahrscheinlich aber nicht einzelne Städte von sich aus machen, sondern die Bundesregierung müsste sich mit diesem Thema beschäftigen.

Sehen Sie einen Politiker, der in diese Richtung denkt?

Werner Rügemer: Den sehe ich bislang noch nicht. Aber wenn man in diese Richtung gehen will, muss man gegen das sogenannte Rettungspaket der Bundesregierung zur sogenannten Stabilisierung der Finanzmärkte vorgehen, wo ja überall vermieden wird, die Verursacher zur Verantwortung zu ziehen und ihre genauen Praktiken darzustellen. Auch müsste man die Praktiken, die gegen einheimisches Recht verstoßen, für unwirksam erklären und nicht staatlicherseits dort auch noch Geld hinein stecken um diese zusammengebrochenen Geldkreisläufe künstlich am Leben zu erhalten. Das Geld, das für diese Art Rettung vorgesehen ist, sollte man den Städten für die Sanierung der Infrastruktur direkt zur Verfügung stellen.

***********


Das Rettungspaket: Blankoscheck für die Banken

Reinhard Jellen 29.10.2008

Interview mit Werner Rügemer. Teil 2

Herr Rügemer, man kann nicht gerade behaupten, dass mit dem -- Rettungspaket der Bundesregierung -- Ross und Reiter der gegenwärtigen Finanzkrise benannt werden. Haben Sie ein besonders prägnantes Beispiel für eine Institution, die ihre Verantwortung dafür nicht zur Kenntnis nimmt?

Werner Rügemer: Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann hat erklärt, er und seine Bank würden sich schämen, wenn sie solche staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen würden und es wurde von der medialen Öffentlichkeit mit einer kleinen Empörung zur Kenntnis genommen, dass sich der Herr Ackermann, der doch an diesem Rettungspaket mitgearbeitet hat, sich nun darüber lustig macht. Das zeigt aber, dass man in den Medien gar keine Ahnung hat, wie dieses Rettungspaket wirklich aussieht.

Denn die Deutsche Bank profitiert tatsächlich ganz enorm von solchen staatlichen Geldern: Zum einen im Falle der IKB, der Bank bei der in Deutschland erste Ausläufer der Finanzkrise bereits Mitte 2007 wahrnehmbar waren. Diese Bank hat sich über ihre Briefkastenfirma in Delaware (was ich immer das Liechtenstein der USA nenne) mit verbrieften Hypothekenkrediten in den USA verspekuliert und es war die Deutsche Bank, die als erste gemerkt hat, dass diese IKB in Schwierigkeiten kommt, worauf Herr Ackermann persönlich den Finanzminister zur Hilfe gerufen hat. Warum aber hat die Deutsche Bank dies zuerst gemerkt? Sie war es nämlich selbst, die der IKB diese faulen Hypotheken und verbrieften Spekulationsprodukte verkauft und ihr dafür die Kredite gegeben hat. Diese IKB wurde dann mit Geldern der staatlichen Bank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) mit bisher etwa 10 Milliarden Euro gerettet werden. Das hatte unter anderem Zweck, dass der Deutschen Bank die Kredite zurück gezahlt werden konnten.

Es entbehrt also nicht einer pikanten Note, wenn z.B. -- Herr Henkel behauptet, dass gerade die öffentlichen Banken und Banken mit staatlicher Beteiligung wie die IKB am unprofessionellsten gearbeitet hätten?

Werner Rügemer: Der zweitgrößte Aktionär der IKB war zu der Zeit, als sie die Krise herbeigeführt hat und die staatliche KfW noch keine Mehrheitsbeteiligung hatte, die Stiftung Industrieforschung, also eine Tochtergesellschaft des Bundesverbandes der deutschen Industrie und im Aufsichtsrat der IKB saßen Unternehmensvertreter wie z.B. der Chef von Eon, Herr Hartmann. Wie man weiter weltweit sieht, ob es die USA, England, Frankreich oder Holland sind, es müssen die großen Privatbanken ja vor der Pleite gerettet werden und das ganze Rettungspaket richtet sich in Deutschland auch an Privatbanken. Es ist also rein demagogisch, wenn Herr Henkel meint, hier hätten vor allem die staatlichen Banken versagt.

Indirekte Subventionen in Milliardenhöhe

Aber wir waren ja bei Herrn Ackermann: Dieses Spiel wie bei der IKB, wo in der Realität, aber heimlich und hinten rum und vor der Öffentlichkeit abgeschirmt die Deutsche Bank sehr wohl enorme staatliche Hilfe in Anspruch nimmt treibt diese mit viel größeren Aufwand bei einer anderen vor dem Konkurs geretteten Bank, nämlich der Münchener Hypo Real Estate. Die musste auch mit einer Unterstützung von 50 Milliarden gerettet werden, wovon 20 bis 30 Milliarden staatliche Garantien und Zuschüsse sind. Auch diese Bank hat ihre spekulativen Geschäfte über ihre irische Tochtergesellschaft in Dublin wesentlich mit Hilfe von Krediten der Deutschen Bank abgewickelt.

Die Deutsche Bank hat nun auch die Geschäftsführung der Hypo Real Estate übernommen und kann auf diesen Wege dafür sorgen, dass auch hier ihre Interessen bedient werden. Dieses demagogische Spiel des Herrn Ackermann können die Öffentlichkeit und die Medien bisher nicht durchschauen, weil sie nicht wissen, wie die Deutsche Bank wirklich an diesem Rettungspaket partizipiert.

http://dyn.ifilm.com/resize/image/stills/films/resize/istd/2891923.jpg


Die Hypothekenkrise in Amerika ist eine der bestangesagtesten Krisen überhaupt gewesen. Seit Jahren ist es klar, dass diese faulen Kredite irgendwann einmal platzen müssen. Bis vor zwei Wochen hat aber die Bundesregierung behauptet, diese Krise hätte keine Auswirkungen auf Deutschland. Nun ist binnen kürzester Zeit ein Rettungspaket von 500 Milliarden Euro geschnürt worden. Kann man da noch an die Naivität unser Politiker glauben oder steckt dahinter eine bewusste Strategie?

Werner Rügemer: Die Banken selbst haben zum einen die absehbaren Verluste nur scheibchenweise und über ein ganzes Jahr verteilt der Öffentlichkeit mitgeteilt und zum anderen wussten wahrscheinlich tatsächlich Bankenvorstände nicht genau, wie viele Verluste wirklich anstehen, weil das Besondere dieser neuen Finanzprodukte, dieser spekulativen Wertpapiere, die auf der Basis dieser faulen Hypothekenkredite vergeben wurden, ist, dass diese außerbinanziell geführt werden, in sogenannten Zweckgesellschaften, sogenannten "Special Purpose Entities" und zudem noch in der Regel domiziliert in Finanzoasen wie im US-Bundesstaat Delaware oder in Dublin sind, so dass es tatsächlich sein kann, dass hier eine Mischung aus Kalkül und Selbsttäuschung im Spiel war und dass der tatsächliche Umfang der Verluste erst allmählich bekannt geworden ist. Und wir sind ja damit noch gar nicht am Ende.

Werden mit dem Rettungspaket nicht genau jene belohnt, welche die Krise in Gang gesetzt haben?

Werner Rügemer: Ja. Jene, welche diese Rettungspakete in den wichtigen Industrieländern, also USA, England, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Belgien geschnürt haben, gehen alle gleichermaßen so vor, dass die Verursacher der Krise jetzt gleichzeitig die Retter sind. Da wird bis auf wenige Ausnahmen gar kein Personal ausgetauscht. Das beste Beispiel ist in den USA der Finanzminister -- Henry Paulsen, der in den Anfängen der Krise seinen Posten als Chef der großen amerikanischen Investmentbank -- Goldman Sachsaufgegeben hat und der jetzt als Chef der Rettungsmannschaft präsentiert wird und der seine Manager aus seiner früheren Goldman Sachs dazugeholt hat. In ähnlicher Weise, wenn auch nicht so direkt geht es auch in den anderen Staaten zu.

Steckt Kalkül dahinter, wenn Banker erst einmal den Karren gegen die Wand fahren um sich dann vom Staat tüchtig subventionieren zu lassen?

Werner Rügemer: Ja, aber diese Inanspruchnahme großer Staatshilfen, -garantien und –zuschüsse ist gar nicht so neu wie es dem Publikum vorgemacht wird. Ich habe seit zehn Jahren in meinen Veröffentlichungen über die Mechanismen der Privatisierung oder neuerdings von -- Public Partnership immer wieder darauf hingewiesen, dass die [local] geheime Praxis eine andere ist als die offizielle Ideologie.

Staatliche Gewinngarantien

D.h. bereits Jahre vor Ausbruch der Finanzkrise, etwa bei dem Verkauf der DDR-Betriebe durch die Treuhand oder im Westen beim Verkauf der Wasserwerke in Berlin und in anderen Städten, die aus ihrem Eigentum etwas privatisiert haben, überall steht kleingedruckt in den Verträgen, dass der Staat die Gewinngarantie zu übernehmen hat. Z.B. hat die Treuhandanstalt, die von 1990 bis 1994 arbeitete, zwar einige Zehntausend ehemalige DDR-Betriebe verkauft und privatisiert, aber sie betrieb dies in einer Weise, dass letztendlich die damit verbundenen staatlichen Subventionen sehr viel höher waren als der Verkaufspreis. D.h. am Ende der vierjährigen Tätigkeit der Treuhandanstalt hatte sie die Betriebe und die dazu gehörenden Immobilien verkauft, aber sie hatte am Ende auch 270 Milliarden Schulden! Das muss man erste einmal können, dass man etwas verkauft und hinterher trotzdem enorme Schulden hat. Möglicherweise ist das ein besonders krasses Beispiel, aber auf verschiedenen Wegen haben es die Befürworter der [local] Privatisierung (und diese sind im wesentlichen auch die Akteure welche die Finanzkrise verursacht haben) geschafft, dass im Kleingedruckten staatliche Garantien für ihre Gewinne festgeschrieben worden sind. Dies ist wahrscheinlich auch der Hauptgrund, weswegen diese Verträge bis zum heutigen Tag geheim bleiben. Also ist das Phänomen, dass die Banker und Finanzakteure nach dem Staat rufen, nicht so neu, sie tun es jetzt nur direkter und öffentlich, aber der Staat als Garant der Gewinne ist ein grundlegendes Element des neoliberalen Wirtschaftens, welches seit etwa 20 Jahren die Welt beherrscht.

Hat es in diesem Zeitraum die staatliche Unterstützung zugenommen?

Werner Rügemer: Ja. In diesen zwei Jahrzehnten hat die Finanz- und Bankenbranche weiter heftig in allen möglichen Staaten -- Lobbyarbeit betrieben und es durchgesetzt, dass die Praktiken die vorerst in den USA entwickelt worden sind, wie etwa die Zulässigkeit von Hedge Fonds und die steuerbegünstigte Tätigkeiten von -- Private Equitiy fonds auch in Deutschland, Frankreich, England, Italien zugelassen worden sind und damit haben sich diese Aktivitäten auch verstärkt. In Deutschland sind dann auch solche Praktiken, die ganz eng mit den Ursachen der gegenwärtigen Finanzkrise zusammen hängen, nämlich z.B. gezielt sogenannte Zweckgesellschaften in Finanzoasen zu gründen, in die man riskante Transaktionen und Spekulationen auslagert um sie nicht in den Bilanzen führen zu müssen, mit übernommen worden.

Erpressung des Staates

Insofern ist klar, dass in den letzten 20 Jahren diese Art Wirtschaft noch weiterzugenommen hat. Und mit Beginn der neoliberalen Ökonomie ist der Umstand, dass sich in der sogenannten freien Wirtschaft die Banken unter der Hand immer auf ihren Staat verlassen konnten, eine Gewohnheit geworden. So konnten die Akteure dieser Krise mit dem Bewusstsein arbeiten, dass wenn es schlimm kommen sollte, rettet uns der Staat, denn der gibt uns jetzt schon im Geheimen diese Gewinngarantien.

Ist es ihrer Meinung nach wahr, dass die Politik machtlos wird, da sie ja im Sinne der Wirtschaft durchaus sehr machtvoll agieren kann?

Werner Rügemer: Wie man bei den irrsinnig hohen Summen für das Rettungspaket sieht, kann dieser völlig überschuldete Staat plötzlich dreistellige Milliardensummen herbeizaubern, wo vorher in den Parlamenten und Kommunen um jeden Cent gerungen wurde. Dies tut der Staat aber nicht aufgrund seiner machtvollen Position. Und er tut es auch nicht, wenn die Bevölkerung gleichfalls unter einer Finanzkrise leidet. Schließlich gibt es Hunderttausende Menschen in Deutschland, die nicht mehr so viel Geld haben, dass sie ordentlich essen können, die hungern und es gibt Millionen von Haushalten, die völlig überschuldet sind, aber diesen Rufen ist der Staat nicht gefolgt. Sondern der Staat springt dann ein, wenn er von den Banken mit der Behauptung erpresst wird, würde man sie nicht retten, müsse die Realwirtschaft Pleite gehen.

http://i113.photobucket.com/albums/n222/anwinj/7.jpg


Was halten Sie denn von der Ansage, dass der Kollaps einer Bank gravierende Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat?

Werner Rügemer: Ich glaube, da ist mehr Angstmache dabei als Realität. Aber in einem gewissen Sinne stimmt sie auch, weil eben gerade in den zwei Jahrzehnten die Unternehmen, vor allem große Konzerne immer mehr dazu übergegangen sind, nur noch auf Kredit hin überhaupt arbeiten zu können. Die Wirtschaft ist also immens kreditabhängig geworden, das ist schon richtig. Aber wenn man tatsächlich das Hauptziel hätte, die Produktion der Realwirtschaft aufrecht zu erhalten, dann würde der Staat seine knappen Mittel nicht den Banken zur Verfügung stellen, die ja ohnehin z. Zt. die Realwirtschaft kaum tangieren. Die ganze Finanzkrise ist ja gerade deshalb entstanden, weil sich die Banken gegenseitig nur selbst und nicht genug die Realwirtschaft repräsentiert haben. Das Wesentliche wäre also heute, wenn der Staat schon Geld ausgibt, dass er diese Garantien und Zuschüsse, die er nun für die Banken hergeben will, in die Realwirtschaft pumpen würde. Das wäre ein rationaler Rettungsplan, den wir auch brauchen.

Hat der Staat eigentlich die 500 Milliarden Euro?

Werner Rügemer: Nein, der hat sie nicht. Aber zunächst einmal muss man sich vergegenwärtigen, was das für eine Absurdität ist: Dieser Staat, der jetzt den Banken Geld in verschiedener Form, sei es durch Garantien oder direkte Zuschüsse und Beteiligungen, zur Verfügung stellen will, ist ja selbst bei den gleichen Banken mit einem ungleich größeren Betrag verschuldet! Und für einen Teil dieser Zuschüsse, die der Staat den Banken geben will, müsste er sich selber bei ihnen wieder verschulden. Das ist ein völlig absurdes Spiel.

Wird mit dem satten Griff in die Haushaltskasse nicht erneut ein Sachzwang in Kraft gesetzt, gemäß dem man wieder beim sozialen Netz knapsen muss?

Werner Rügemer: Das wird sicherlich die Folge sein. Aber die wichtigere Feststellung, die man in dieser Sache machen muss, ist die, dass die handelnden Akteure nicht ausgewechselt werden. Es werden keine neuen demokratischen Kontrollmechanismen eingerichtet und die Finanzoperationen, die genau zu dieser Krise geführt haben, werden nicht abgeschafft oder verboten.

Kettenbriefsystem

Nehmen wir z.B. das zentrale Instrument, die -- Verbriefung von langfristigen Verträgen wie etwa Miet- oder Kreditverträge für Häuslebauer usw.. Das wesentliche Handlungsprinzip bei Banken ist heutzutage nämlich nicht mehr, dass sie Kredite vergeben und für die nächsten zwanzig Jahren Zinsen einstreichen. Zwar vergeben die Banken noch Kredite, aber im Unterschied zu früher warten sie nicht mehr zwanzig Jahre, bis die Häuslebauer ihre Kredite zurückgezahlt haben, sondern die Banken verkaufen diese Verträge sofort nach der Kreditvergabe weiter. Diese Verbriefung kaufen also wiederum andere Banken und damit diese Banken diese verbrieften Kredite kaufen können, müssen sie erneut bei anderen Banken Darlehen aufnehmen und das verkaufen diese dann wieder weiter und die nächsten Banken nehmen bei anderen Banken Darlehen auf um die Verbriefungen zu kaufen etc.. Genau dieses Spiel, dass Banken sich gegenseitig Kredite gegeben und sich mit spekulativen Wertpapieren überhäuft haben hat in die Finanzkrise geführt und wenn diese Rettungspakete wie angekündigt umgesetzt werden, dann können die Banken mit den gleichen Instrumenten und Akteuren und noch höheren Gewinnen so weiter machen wie bisher. D.h. diese Rettungspakete sind also die -- Vorstufe für die nächste Finanzkrise.

Gesetzt den Fall, die -- Rettungspakete werden tatsächlich in Anspruch genommen, wie geht es dann weiter?

Werner Rügemer: Das wissen wir nicht genau, denn die Banken arbeiten zur Zeit daran, dass in der Öffentlichkeit nicht bekannt wird, welche Bank wie viel Zuschüsse in welcher Höhe und Form in Anspruch genommen hat. D.h. die Öffentlichkeit, aber auch die Parlamente können gar nicht wissen, was eigentlich mit diesen staatlichen Geldern gemacht wird. Es ist quasi mit einer Blankovollmacht den Banken vollkommen selbst überlassen, wie sie das unter sich regeln.

www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29006/1.html

************************

http://www.xmission.com/~vaughn/blogpix/kungfuchicks.jpg

In den Klauen des Bären

Jens Berger 29.10.2008

Russland und die Finanzkrise

Als Premier Putin Anfang September Russland als "ruhigen Hafen im globalen Sturm der Märkte" bezeichnete, hing das Damoklesschwert der Finanzkrise bereits über dem Land. Durch die Nebeneffekte der Finanzkrise und den rasanten Verfall des Ölpreises ist Russland in eine schwierige Lage geraten. Standard & Poor´s hat am letzten Donnerstag den Ausblick für das langfristige Kreditrating Russlands von "stabil" auf "negativ" herabgesetzt und der in US-Dollar notierte russische Aktienindex RTS ist mit einem Verlust von 73% seit Mai im weltweiten Vergleich am stärksten vom Börsenbeben betroffen.

Die ersten Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind bereits zu verzeichnen und auch in Russland hat sich eine Immobilienblase gebildet, die nun zu platzen droht. Noch ist Russland mit Devisenreserven in Höhe von 515 Mrd. Dollar in der komfortablen Lage, gegensteuern zu können. Die Reserven schrumpfen allerdings rapide und wenn sich die gegenwärtige Lage fortsetzt, sind sie im Juni 2009 aufgezehrt. Wenn die Ölpreise in nächster Zeit nicht wieder steigen, ist der russische Traum ausgeträumt.

Noch im Juli dieses Jahres notierte der Spotpreis für russisches "Urals-Oil" bei über 140 Dollar pro Barrel. Jeden Tag strömten so Unmengen an Devisen in die russische Volkswirtschaft. Mit dem bisherigen Höhepunkt der Finanzkrise kollabierte der Ölpreis. "Urals-Oil" wird momentan zu 59 Dollar gehandelt und auch die Weltmarktpreise für andere Rohstoffe, die Russland exportiert, haben in den letzten Monaten kräftig nachgegeben. Die Haushaltsplaner der Duma haben mit einem Mindestpreis von 70 Dollar pro Barrel kalkuliert – sinkt der Ölpreis unter dieses Niveau, müssen die Haushaltsdefizite aus dem Reservefonds gedeckt werden, der bislang mit den Überschüssen aus den Öl- und Gasexporten gespeist wurde.

Laut dem russischen Finanzminister Alexej Kudrin bedeutet jeder Dollar, um den der Ölpreis sinkt, ein Defizit von 2 Mrd. US-Dollar. Die Duma verzichtet momentan noch auf Budgetkürzungen, da die hohen Ölpreise im ersten halben Jahr die neuerlichen Defizite noch decken – sollte der Ölpreis mittel- bis langfristig unter 70 Dollar verharren, wird Russland zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende seinen Haushalt zurückfahren müssen. Die Stadt Moskau verbucht bereits jetzt Steuerausfälle in Höhe von 5,7 Mrd. Dollar und hat bereits die ersten Investitionen auf Eis gelegt.

Der russische Aktienindex kannte seit der Überwindung der Rubelkrise im Jahre 1999 nur einen Weg – steil nach oben. Wer vor acht Jahren sein Geld am russischen Markt anlegte, konnte es bis zu Beginn des Jahres verzwölffachen. Anfang August löste der Georgienkrieg an den russischen Märkten eine erste Kapitalflucht aus. Zu Beginn des weltweiten Börsenbebens letzten Monat war der russische Markt bereits angeschlagen und verwundbar. In Moskau brachen Anfang Oktober alle Dämme, Tagesverluste in Höhe von 20% waren keine Seltenheit, immer wieder musste der Handel an der Moskauer Börse für Stunden und Tage ausgesetzt werden.

Als Gründe für diesen rasanten Verfall werden neben den Rohstoffpreisen immer wieder "Margin-Calls" für Aktienpakete, die auf Kredit gekauft wurden und die Kapitalflucht westlicher Investoren genannt. Viele Fonds und Privatanleger suchten in stürmischen Zeiten einen sicheren Hafen und dieser Hafen war nicht der russische Markt, wie Premier Putin es sich wünschte, sondern festverzinsliche Papiere in der EU und den USA. Diese Kapitalflucht traf vor allem die bei Ausländern beliebten Standardwerte – die Marktkapitalisierung von Norilsk Nickel ging seit Mai dieses Jahres um 5/6 zurück und auch der Gigant Gazprom verlor 4/5 seines Aktienkapitals.

Arme Oligarchen?

Die Dauerbaisse am Aktienmarkt trifft vor allem die russischen Oligarchen, die – Analysten zufolge – rund 30% der Aktien am russischen Markt ihr Eigen nennen. Aktienkurse sind eigentlich nur ein virtueller Wert, auch jetzt besitzen die Oligarchen noch große Teile der Filetstücke der russischen Realwirtschaft; mit Problemen haben allerdings die Superreichen zu kämpfen, die ihre Aktien auf Kredit gekauft haben. Oleg Deripaska galt noch bis vor kurzem mit einem geschätzten Vermögen von 40 Mrd. US$ als der reichste Mann Russlands.

Deripaska hat sich bei der Übernahmeschlacht für einen 25% Anteil an Norilsk Nickel und Beteiligungen anderen Unternehmen jedoch massiv verschuldet und hat dafür seinen Aktienanteil an russischen Unternehmen als Sicherheit hinterlegt. Alleine für die Norilsk-Übernahme hat er rund 4 Mrd. Dollar Kredite aufgenommen, die mit Aktien dieses Unternehmens als Sicherheit abgesichert wurden. Diese Sicherheiten sind nun im Wert massiv gesunken und die westlichen Banken, die Deripaska den Kredit einräumten, verlangen zusätzliche Sicherheiten. Deripaska musste sich daher bereits von seinen Anteilen am deutschen Baukonzern Hochtief und am kanadischen Autozulieferer Magna trennen, die ebenfalls auf Pump gekauft wurden. Wie lange die Banken noch still halten, ist unbekannt.

Wenn sich die russischen Aktienmärkte nicht bald fangen, könnte Deripaskas sagenhafter Reichtum wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Russische Normalverdiener haben glücklicherweise nur sehr selten in Aktien investiert. Seit der Rubelkrise 1999 herrscht in Russland eine gesunde Skepsis gegen Finanzspekulationen jeglicher Art vor.

http://www.strangecosmos.com/images/content/5847.jpg

Banken: Nur noch begrenzt Bargeld über Geldautomaten

Die Finanzkrise hat auch vor dem russischen Finanzsektor nicht halt gemacht, obgleich dieser wesentlich geringer als seine westlichen Pendants in das internationale Kasino verwoben ist. Die rasanten Preisverluste an den Rohstoff- und Aktienmärkten haben die russischen Banken hart getroffen. Viele Banken geben nur noch begrenzt Bargeld über Geldautomaten aus, da die Eigenkapital- und Einlagendecke merklich geschrumpft ist.

Vier Banken wurden bereits aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten auf russische Art und Weise verstaatlicht – sie wurden von der staatlichen Außen- und Wirtschaftsbank VEB und der zum Gazprom-Konzern gehörenden Gazpromenergobank übernommen. Das Kapital für diese Übernahmen stammte aus dem Rettungspaket der russischen Regierung. Ihre eigentlichen Aufgabe, der russischen Wirtschaft Kredite zu geben, können und wollen viele Banken nicht mehr wahrnehmen. Die Finanzspritzen aus dem russischen Rettungspaket, die die Banken zu 8% bekommen, werden entweder als Liquiditätsreserve behalten oder zu horrenden Zinsen von über 25% an Kunden weitergegeben, die dringend liquide Mittel benötigen.

Gazprom

Von dem Austrocknen des Kreditmarktes ist nicht nur der Mittelstand betroffen – auch Unternehmen, die eigentlich als krisenfest galten, bekommen bereits erste Probleme. Der Öl- und Gasmulti Gazprom hat bereits Schwierigkeiten, Schulden zu refinanzieren und neue Kredite zu bekommen. Gazprom hat Verpflichtungen in Höhe von 55 Mrd. Dollar in Krediten und Anleihen, von denen im nächsten Jahr 6,6 Mrd. Dollar fällig werden.

Obwohl Gazprom im letzten Quartal einen Gewinn von 10 Mrd. Dollar melden konnte, ist es mehr als fraglich, ob dieses Jahr, wie geplant, 30 Mrd. Dollar in Investitionen fließen können.

Den hochverschuldeten Staatskonzernen Rosneft und Transneft will die chinesische Regierung unter die Arme greifen. 20 bis 25 Mrd. US$ sollen an die russischen Petrokonzerne gehen – als Gegenleistung möchte China dafür einen Liefervertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren haben.

Der Kampf um den Rubel

Die russischen Devisenreserven schrumpfen. Seit dem 1. August haben sie um 80 Mrd. Dollar abgenommen und momentan hält der russische Staat noch Reserven in Höhe von 515 Mrd. Dollar. Dieser Wert ist allerdings umstritten. Viele Kredite und Kapitalspritzen, die man dem russischen Finanzsektor im letzten Monat zur Begleichung ausländischer Kreditverpflichtungen zur Verfügung stellte, wurden geschickt "verpackt" - die Gelder werden weiterhin den Devisenreserven zugerechnet, obwohl sie längst das Land verlassen haben.

Die russische Zentralbank führt seit einigen Monaten einen verzweifelten Kampf, den Kurs des Rubels gegen die beiden Leitwährungen Dollar und Euro zu verteidigen, die jeweils zu 50% den Währungskorb bilden. Gegenüber dem Dollar musste der Rubel seit August bereits 13% nachgegeben. Wie lange die Zentralbank gewillt und fähig ist, sich mit Milliardensummen gegen eine notwendige Abwertung zu stemmen, wird in Russland bereits offen diskutiert.

Alleine am vergangenen Mittwoch wurden laut Reuters 4,5 Mrd. Dollar auf den Markt geworfen, um den Rubel zu stabilisieren. In den letzten beiden Wochen musste die russische Zentralbank insgesamt 15 Mrd. Dollar aufwenden - wenn der Trend anhalten würde, wären im Juni 2009 die Devisenreserven aufgebraucht. Galten der Zufluss und der Abfluss von Devisen noch bis in den August diese Jahres mit einer Gesamtsumme von 800 Mrd. Dollar als ausgeglichen, flossen nach Angaben der Zentralbank in den letzten beiden Monaten netto jeweils 25 Mrd. Dollar an Devisen ab. Dies setzt den Rubel massiv unter Druck. Der russischen Volkswirtschaft droht bei Ölpreisen unter 60 Dollar pro Barrel ein Außenhandelsdefizit. Da das Volumen der Importe allerdings ebenfalls sinken wird, kann dieser Schwellenwert auch deutlich niedriger liegen.

Das Vertrauen in den Rubel ist bereits gestört. Privatkunden fragen zunehmend Fremdwährungskonten nach, was eine Trendumkehr darstellt. Vertreter von Banken, die als Tochterbanken westlicher Institute in Russland tätig sind, wurden bereits in die russische Zentralbank zitiert. In Einzelgesprächen wurden ihnen nahe gelegt, keine Devisen mehr aus dem Land abzuziehen, um damit die Eigenkapitaldecke der Mutterbanken zu stärken. Im schlimmsten Falle würde ausländischen Tochterbanken der Zugang zur russischen Zentralbank entzogen, was die Arbeit in Russland deutlich erschweren würde.

http://ecards.alege.net:81/18/russian_free_tv.jpg


Der russische Handel mit China soll zukünftig nicht mehr über Dollar und Euro, sondern nur noch über Rubel und Yuan abgerechnet werden. Dies wurde in den Vorgesprächen zum Gipfeltreffen der Regierungschefs beider Staaten beschlossen, das am Dienstag in Moskau stattfand. Im bilateralen Handel habe die Umstellung bereits begonnen, ob auch Großprojekte zukünftig ohne Devisen finanziert werden, ist derweil noch unbekannt, so ein Sprecher des russischen Finanzministeriums. Diese Maßnahme ist sowohl für China, als auch für Russland ein logischer Schritt. Beide Länder haben im Sog der Finanzkrise mit steigenden Devisenkursen zu kämpfen und können so ihre Mittel besser einsetzen, um die eigenen Währungen gegen Währungsschwankungen zu verteidigen.

210 Mrd. US$ hat der russische Staat bereits in verschiedene Rettungspakete gesteckt – dies sind 15,5% des BIP. 35 Mrd. Dollar wurden alleine den Staatsbanken zur Verfügung gestellt, um das Bankensystem zu stabilisieren. Trotz dieser Maßnahmen steigen die Zinsen für Kredite unaufhörlich und der Geldmarkt zwischen den Banken ist ebenso wie im Westen zum Erliegen gekommen.

http://www.geekologie.com/2007/06/11/russian-windows-atm.jpg

Platzt die russische Immobilienblase?

Besonders negativ von der Finanzkrise ist der russische Immobiliensektor betroffen. Jahrelang wurde auf Kredit gebaut und gekauft und die Immobilienpreise erreichten schwindelerregende Höhen. Im Moskau kostet ein Quadratmeter Wohnfläche durchschnittlich bereits über 7.000 Dollar.

Luxusappartements mit 539 Quadratmeter Wohnraum wurden in den letzten Monaten zu Phantasiepreisen von 32 Mio. Euro verkauft; aber auch kleine Eigentumswohnungen in windschiefen Wohnblocks aus den 1950er Jahren werden in Moskau zu 120.000 Euro gehandelt – eine Immobilienblase großen Maßstabs.

http://i31.photobucket.com/albums/c352/sitonka/russian20wrestler.jpg

Diese Blase droht nun zu platzen. Zwar liegen die Immobilienpreise immer noch 57% über dem Vorjahresniveau, aber im letzten Monat nahm der Preisanstieg mit "nur" 2,7% bereits merklich ab. Zu diesen Preisen wird indes kaum noch gekauft. Neubauten werden bereits 20 bis 30% unter dem projizierten Wert verkauft und im Bausektor stehen landesweit die Räder still. Am Entstehen dieser Blase hat die russische Regierung eine gehörige Mitschuld.

Als Dimitri Medwedew noch Vizepremier war, gehörte das Projekt "zugänglicher Wohnraum" zu seinen Steckenpferden. Nur wurden in diesem Projekt kaum bezahlbare Sozialwohnungen gebaut, da dies den Preis für Immobilien gesenkt und damit den Bau- und Immobiliensektor geschädigt hätte. Stattdessen förderte der Staat die Vergabe von Hypotheken, was eine ungesunde Preisspirale ausgelöst hat. Durch die realwirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise drohen nun viele dieser Hypotheken auszufallen und dadurch eine zusätzliche Abwärtsspirale in Gang zu setzen.

Bis Ende Oktober wird die Zahl der Menschen, die unter verzögerten Lohnauszahlungen zu leiden haben, auf rund 380.000 steigen und rund 100.000 haben in den letzten Wochen ihren Job verloren, so Sergej Mironow, Sprecher des Föderationsrates. In allen Branchen ist bereits ein Arbeitskräfteabbau von rund 10% zu beobachten, besonders kritisch trifft es den Bau-, den Handels- und den Finanzsektor.

Inflation und Automarkt

Die Inflation wird in diesem Jahr nach offiziellen Schätzungen 13% betragen - unabhängige Experten gehen allerdings sogar von 15% bis 17% aus. Neben dem besonders betroffenen Bau- und Finanzsektor ist die Finanzkrise in der Realwirtschaft besonders auf dem russischen Automarkt zu spüren.

Im August hatte Russland erstmals Deutschland als größten Autoabsatzmarkt Europas überholt – für das Jahr 2008 ging man ursprünglich von über 3,2 Mio. Neuzulassungen am russischen Markt aus. Der Neuwagenabsatz ist seit dem Sommer jedoch um bis zu 35% gesunken, die Händler liefern sich bereits eine Rabattschlacht. Als Hauptgrund für diesen Einbruch sind die gestiegenen Zinsen am Kreditmarkt verantwortlich. Neben westlichen Herstellern sind auch russische Hersteller betroffen.

http://englishrussia.com/images/such_a_fun/1.jpg

Bei den russischen Automobilkonzernen Kamaz und GAZ stehen bereits die Produktionsbänder still. 10% der Arbeitskräfte wurden entlassen, der Rest in Zwangsurlaub geschickt und die Gehälter wurden um ein Drittel gekürzt. Ähnliche Maßnahmen wurden auch von den Zulieferern unternommen.

Die Prognosen für das russische Wirtschaftswachstum wurden jüngst auf 5% statt der anvisierten 6,7% herabgesetzt - für 2010 gehen die Experten bereits von einem Nullwachstum aus. Das Stimmungsbild in den großen russischen Unternehmen ist desaströs – 81% sind der Ansicht, dass die Finanzkrise ihr Unternehmen bedrohe und weitere 9,5% erklären, dass sie von der Krise zumindest zum Teil betroffen sind. Russlands Absturz ist hausgemacht. In den Jahren des ölpreisgetriebenen Booms hat man es in Moskau versäumt, die Wirtschaft zu diversifizieren und auf eine breitere Basis zu stellen.

Held der Stunde: Finanzminister Alexej Kudrin

Oligarchen, die Millionen für importierte Luxusgegenstände ausgeben, sind keine Stütze für eine Volkswirtschaft. Der tragische Held der Stunde ist der russische Finanzminister Alexej Kudrin. Wie Fafnir vor dem Nibelungenschatz bewachte er die russischen Devisenfonds gegen allerlei Begehrlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Ohne die riesigen Devisenreserven wäre der Absturz Russlands nur noch eine Frage der Zeit.

http://blogs.guardian.co.uk/art/bluenoses.jpg

Anders als die Nachbarn in der Ukraine, in Weißrussland und im Baltikum verfügt Russland aber noch über die Mittel, sich gegen den Absturz zu wehren. Als Schlüsselfaktor für Russlands Zukunft ist der Ölpreis zu sehen. Bleibt dieser auf niedrigem Niveau, wird Russland es schwer haben, sich gegen die Krise stemmen, steigt er alsbald wieder, könnte Russland mit einem blauen Auge davonkommen.

www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29022/1.html