Tron Hacker erhängt - Selbstverbrennung Karl Koch
Die größten Hacker aller Zeiten - Teil 6:
Boris Floricic alias Tron
Im letzten Teil unserer Hacker-Serie wollen wir Ihnen einen jungen Mann vorstellen, dessen Genie bis heute unerreicht ist. Die Rede ist von Boris F. alias Tron, dessen tragischer Tod die ganze Szene erschüttert hat. Ähnlich wie Capt'n Crunch oder Kevin Mitnick, ging es Tron niemals darum sich selbst zu bereichern, auch wenn seine Taten außerhalb der Legalität standen. Tron ist nicht zu vergleichen mit den Legenden Richard Stallman und Steve Wozniak, oder gar dem selbstgefälligen Kimble. Sein Schicksal ähnelt jedoch dem eines anderen jungen Mannes, die Rede ist von Karl Koch.
Der Bastler
Am 22. Oktober 1998 erfüllte sich das Schicksal eines jungen Mannes, der in der Hackerszene Deutschlands als Genie galt. Boris F. alias Tron, war wohl einer der begabtesten Hacker seiner Zeit. Anders als etwa der drogensüchtige Karl Koch, oder der selbstgefällige Kim Schmitz, war Tron einfach nur ein in seine Ideen "verliebter" junger Mann. Jemand dem es nie um Geld ging, der an keine Weltverschwörung glaubte, sondern der der Welt beweisen wollte, daß es so etwas wie Sicherheit bei Computern nicht gibt.
Denn gerade die Sicherheit war sein Bereich. Er war der Meinung, daß wirklich jeder der über einigermaßen gute Fachkenntnisse verfügte, sich Zugang zu allen Rechnern dieser Welt verschaffen könne, seien es nun die Anlagen von Versicherungen, Banken, Atomkraftwerken, von Rüstungsfirmen oder gar dem Verfassungsschutz. Tron war allerdings niemand der nur große Reden hielt, nein er war angetreten es der Welt zu beweisen.
Doch wer war Tron eigentlich? Sein Vater sagte über ihn, "schon als kleiner Junge baute Boris alles auseinander, was er in die Finger bekam. Egal ob Radiogeräte, Fernseher, Uhren, Rasenmäher, nichts war vor ihm sicher". Boris war nach dem Besuch der zehnten Klasse von der Schule abgegangen, obwohl alle ihm rieten, Abitur zu machen. Doch die Schule langweilte ihn nur, er fühlte sich unterfordert und unverstanden, und er wollte "fummeln", so seine damalige Aussage. Daher machte er eine Lehre als Kommunikationstechniker.
Das Genie
Doch nach der Lehre besann er sich, holte das Abitur nach und stürzte sich mit einem Eifer und einer Energie auf ein Studium der Informatik, daß Professoren und Mitschülern der Atem stockte. Einer seiner Professoren über ihn: "Er arbeitete unkonventionell, intuitiv und mit einer Geschwindigkeit, die seine Mitstudenten in den Seminaren nicht halten konnten"! Seine Diplomarbeit preist der Professor als "absolut genial": ein kleiner Apparat, mit dem man einfach und billig ISDN-Telefongespräche ver- und entschlüsseln und damit abhörsicher machen kann.
Die Behörden wurden erstmalig im Jahr 1995 auf ihn aufmerksam. Damals wollte er mit einem Freund per Vorschlaghammer eine Telefonzelle "bearbeiten". Herbeieilenden Polizisten erklärte er, daß daß er den Chip brauche, weil die Telekom die Software geändert habe. Damit wurde bekannt was bisher nur von der Telekom geahnt worden war, Tron war es gelungen, eine Telefonkarte zu entwickeln, die sich von selbst wieder auflud und mit der man unbegrenzt kostenlos telefonieren konnte. Dafür kassierte er dann eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten.
Über die Presse wurde die deutsche Hacker-Elite, vom Chaos Computer Club (CCC), auf Tron aufmerksam und bot ihm einen Platz in ihren Reihen an, den er auch annahm. Auf das Konto des Genies ging auch der Nachweis von Sicherheitslücken im sogenannten GSM-Standard, der für Mobilfunknetze in 120 Ländern gilt. Für Boris F. wurde der 'Chaos Computer Club' während seines Studiums zur zweiten Heimat. Der Zeichentrickfilm-Fan gab sich den Hackernamen Tron - ein Hacker-Held aus einem Walt-Disney-Film. Im Film gelangt Tron in einen Computer und kämpft in dieser virtuellen Welt um Leben und Tod gegen das Böse.
Doch das Bild vom einsamen Computerfreak, der in der virtuellen Welt verlorengeht und an der Einsamkeit zerbricht, trifft auf den Informatiker nicht zu. Seine Freitagabende mit den Freunden aus der Lehrzeit waren ihm heilig. Gemeinsam hatten sie einen Keller zum Kino umgebaut wo sich die Clique traf, redete, spielte, Filme ansah und bastelte. Ein Freund über Tron: "Er war zwar technisch brillant, aber manchmal etwas naiv und gutgläubig. Geld interessierte ihn absolut nicht. Wenn andere mit dem, was er entwickelt hatte, Taler scheffelten, war ihm das egal. Hauptsache, er hatte mal wieder bewiesen, was er drauf hatte."
Falsche "Freunde"
Boris erzählte seinen Eltern einige mal von Anwerbeversuchen dubioser Unternehmensberatungen, häufig äußerte er die Vermutung, seine Kontaktpersonen seien ausländische Geheimdienstler. Sonderlich überrascht oder gar verängstigt schien er nie darüber zu sein. Vielleicht war es seine letzte Arbeit, die Tron schließlich das Leben kostete, denn sie war mehr als nur brisant. Er hatte es sich zum Ziel gesetzt, eine sogenannte Smart Card zu entwickeln, die alle Pay-TV-Sender Europas freischaltet. Eine solche Karte hätte vermutlich den milliardenschweren europäischen Pay-TV-Markt in Turbulenzen gebracht. Die Herstellung einer solchen Smart Card gilt bisher als unmöglich, da in ihr eine angeblich undecodierbare Verschlüsselung enthalten sein soll. Mit einer ähnlichen Verschlüsselung hatte sich Tron jedoch schon in seiner Diplomarbeit beschäftigt.
Vielleicht war es sein nachgewiesener Kontakt zu einem italienischen Mafiosi, der mit ihm zwecks Umprogrammierung italienischer Pay-TV-Decoder Kontakt aufgenommen hatte, der ihn letztlich das Leben kostete. Boris hatte damals nur abgewunken und kein Interesse gezeigt. Vielleicht wußte der junge Mann aber einfach nur zuviel, oder wollte im entscheidenen Moment keinen Rückzieher machen, denn Freunde behaupten nach wie vor, daß er in der Woche vor seinem Tod mit der Arbeit an der Smart Card fertig geworden sei. "Da bekannt war, daß Tron seine Informationen nicht zu Geld machen, sondern die Bauanleitung für jedermann nutzbar ins Internet stellen wollte, hätte er einer Reihe von Leuten das ganz große Geschäft vermasselt", sagte ein Freund.
Das Ende eines jungen Lebens
Boris F. verließ sein Elternhaus am 17. Oktober 1998 mit den Worten: "Tschüs, ich geh' dann jetzt". Danach fehlte jede Spur von ihm. Seine besorgten Eltern informierten am nächsten Tag bereits die Polizei, doch erst ein Spaziergänger fand 5 Tage später die Leiche eines jungen Mannes in einem Park nahe der U-Bahn-Station Britz-Süd im Berliner Stadtteil Neukölln. Erhängt an seinem eigenen Gürtel, verlängert mit einem Stück Gartendraht, seine Füße berührten den Boden. Er hatte Ausweispapiere und Geld bei sich, sein Schlüsselbund und ein Handy, und er trug eine schwarze Jeans und eine Windjacke. Es war Boris F. alias Tron.
Boris' Vater glaubt daß der Forschungsdrang seinen Sohn das Leben gekostet hat, weil er im entscheidenden Moment nicht aufgeben wollte. Der CCC glaubt nicht an einen Selbstmord, für den es schließlich kein Motiv gab. Vor allem als bei der Obduktion der Leiche bekannt wurde, daß die Leiche erst weniger als einen Tag am Baum hin. Tron hat also die 4 Tage davor noch gelebt. Was in dieser Zeit genau passiert ist, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Doch letztlich hat es den jungen Mann das Leben gekostet. Bei seine Beerdigung legten ihm Freunde eine Telefonkarte als letzten Gruß mit ins Grab, eine letzte Geste der Verbundenheit mit einem der ihren. Doch dort wo Tron jetzt ist, wird er sie aber nicht mehr brauchen.
Hier endet unsere kleine Serie, die natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Wir wollten Ihnen die großen Namen vergangener Tage noch einmal vorstellen, ihre Taten aufzeigen, die im Guten oder Bösen begangen, doch immer für eine Veränderung gesorgt haben. Künftige Generationen von Hackern werden sich an diesen Männern messen lassen müssen und ob sie jemals deren - wenn auch teilweise zweifelhafte - Klasse erreichen, ist mehr als fraglich.
Roland Silberschmidt
Der Berliner Hacker Tron starb im Oktober 1998. Offiziell war es Selbstmord. Doch niemand mag an Suizid glauben, weder die Eltern noch seine Freunde.
Am 22. Oktober fand ein Spaziergänger in der Nähe des U-Bahnhofes Berlin-Britz eine Leiche. Der Informatiker Boris F., 26, hing erhängt an einem Baum im kleinen Park südlich der Post. Der Gürtel um seinen Hals war mit einem Gartendraht verlängert und um einen Ast geknotet worden. Die Füße des Toten berührten den Boden, er hatte Schlüssel, Papiere, viel Geld und sein Handy in der Hosentasche.
Nach über einem Jahr der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft im Herbst den Fall zu den Akten gelegt. Offizielles Fazit: Selbstmord. Das gerichtsmedizinische Gutachten legt sich eindeutig fest: kein Anzeichen eines gewaltsamen Todes. Der Todeszeitpunkt: nur einen Tag vor dem Auffinden der Leiche. Boris hatte noch ein Nudelgericht im Magen, offenbar das, was ihm die Mutter am Samstag aufgetischt hatte.
Doch niemand mag an Suizid glauben, weder die Eltern noch seine Freunde. Am wenigsten der Chaos Computer Club. Boris F. nannte sich „Tron" - nach dem gleichnamigen Film - und war hauptberuflich Hacker. Der Held des Kultstreifens gerät unfreiwillig in eine Cyberwelt und muss gegen ein böses „Masterprogramm" kämpfen. Hilfe naht schnell: der gute Held Tron terminiert die finstere Seite der Computermacht.
Der reale Tron galt als lebensfroher, direkter und offener Mensch. Er hatte Angebote für hochdotierte Jobs - und unstrittig dubiose Kontakte zu Geheimdienstlern und mafiösen Hintermännern. Die, die ihn kannten und sein Wissen einschätzen können, halten Boris F. alias Tron neidlos für „genial". Mehrere Hacker-Seiten im Internet sind ihm gewidmet. In der Presseerklärung des CCC zu Trons Tod heisst es, er sei "einer der fähigsten Hacker Europas" gewesen. Einen Suizid könne man sich nicht vorstellen. Angesicht der Umstände seines Verschwindens und Boris F.s aussergewöhnlichen Fähigkeiten gehe man "von einem Verbrechen aus".
Mysteriös war nicht nur das, woran Tron arbeitete: er simulierte Telefonkarten, baute als Diplomarbeit ein abhörsicheres ISDN-Telefon, manipulierte Smart Cards, die man braucht, um verschlüsselte Fernsehprogramme sehen zu können und brachte sein Handy dazu, beim Einschalten auf dem Display "Tron" anzuzeigen. Er galt der derjenige, der als Erster die d-box Leo Kirchs und den Sender Premiere gehackt hat.
Mysteriös war auch sein Verschwinden. Fünf Tage, bevor man seine Leiche fand, an einem Samstag gegen 14 Uhr, verliess er fröhlich das Haus seiner Mutter, mit der zusammen er wohnte. Sein Laptop, von dem er sich sonst nie trennte, war eingeschaltet. Er wolle nur kurz weg, um Geld für den Geburtstag der Oma anzuheben. Am Morgen hatte er noch Geschenkpapier gekauft. Ein Freund, der zufällig vorbeikam, begleitete ihn ein Stück. Der Automat der Bank dokumentiert das letzte Lebenszeichen des Hackers. Danach verschwand Tron. Sein Handy schaltete sich am Sonntag abends aus - der Akku war leer.
Die Eltern versuchten schon am nächsten Tag die Polizei zu alarmieren, der Vater brach sofort eine Geschäftsreise in Kroatien ab - Boris F. war dafür bekannt, dass er seine Mutter immer informierte, wenn er nicht pünktlich zum Abendessen kommen konnte. Doch niemand wollte ihnen glauben, dass ihr Sohn nicht freiwillig verschwunden war. Bei Erwachsenen werden Vermisstenanzeigen erst nach 48 Stunden aufgenommen - die Vorschrift. Am Dienstag durchsuchte die Polizei die Wohnung der Mutter und Trons Zimmer und beschlagnahmte die PCs. Grund: Der verschwundene Hacker werde des „Computerbetrugs" verdächtigt. Die Beamten vergessen aber im allgemeinen Chaos das Netzteil des Laptops, was dazu führt, dass bis heute niemand die eventuell interessanten Innereien des Computers analysierte.
Einen Tag, bevor der Tote gefunden wurde, begann die 3. Mordkommisson zu ermitteln. Doch bis heute konnte sie weder herausfinden, wo sich Boris F. nach seinem Verschwinden aufgehalten hat noch irgendetwas über ein mögliches Motiv für Suizid. Der Vater des Hackers hat selbst nachgeforscht. Der Wirt einer Kneipe in Britz will Boris F. noch am Samstag, dem Tag seiner Verschwindens, gesehen haben. Tron habe mit zwei Männern "in Jacketts" zusammengesessen. Offenbar habe es Streit gegeben, denn Boris habe wenig geredet, sein Bier nicht getrunken und missmutig ausgesehen.
Ohne Erfolg blieb auch der Chaos Computer Club, der vollmundig eigene Ermittlungen ankündigte - ohne konkretes Ergebnis. Niemandem ist es gelungen diejenigen aufzuspüren, mit denen Tron in den Wochen vor seinem Tod zusammengearbeitet hat, an welchen Projekten er arbeitete und mit wem er Kontakt hatte. „Boris war sehr verschwiegen", sagt Andreas H., einer seiner engsten Freunde.
Der mysteriöse Tod des genialen Hackers wurde schnell zum Mythos und Anlass für wilde Spekulationen. Viele Zeitungen weltweit berichteten über den Fall, in Israel erschien die Yedioth Ahronoth mit einer vierseitigen Titelstory: "Der Tod des Hackerkönigs". Im Zimmer Trons wurde ein geheimnisvoller Lieferschein einer israelischen Firma gefunden, ohne Namen des Absenders. Das Unternehmen in Jerusalem ist Marktführer für Verschlüsselungsverfahren bei PayTV-Karten und gehört dem Medienzaren Rupert Murdoch.
Hans-Christian Schmid, Regisseur des Films "23", dessen Held Karl Koch, ebenfalls ein Hacker, vor zehn Jahren tot aufgefunden wurde, sagt, mit Zynismus könne man den Tod von Boris F. als ideale Werbekampagne für seinen Film ansehen. Die Fälle ähnelten sich, doch bei Tron glaube er an Mord, während er bei Karl Koch Selbstmord vermutete.
Interessant ist, dass sich niemand bisher die Mühe gemacht hat, im Internet die Szene zu erforschen, in der und für die Boris F. gearbeitet hat. Dutzende von Web-Seiten bieten illegale Software für PayTV an. Offenbar interessiert das die Anbeiter des Abonnement-Fernsehens wenig. Fast alle Chipkarten werden gehackt und als sogenannte MOSC (modified official satellite card) mit geänderten Algorithmen ins World Wide Web gestellt. Damit kann man gratis alles sehen, wofür die Moguln des PayTV wie Leo Kirch vom normalen Zuschauer Geld fordern.
Hier galt Boris aus Berlin-Britz als einer der Grössten. Hier verschaffte er sich Ruhm und Ehre. Der Kreis der Smart Card-Spezialisten ist elitär und klein. Man verkehrt nur per verschlüsselter E-mail und nennt sich "Dr. Overflow", "Chipmaster" oder eben "Tron". Es geht weniger um Geld als darum, den Entwicklern von Chipkarten in großen Konzernen zu zeigen, was eine Hacker-Harke ist. Die Griechen, Italiener und Araber in Berlin, die sich in dieser Szene auskennen, brauchen so auf ihr Gratis-Heimatfernsehen nicht verzichten.
Die Hacker werden umworben von Händlern verbotener Software, die die umprogrammierten Karten im Internet anbieten. Händler und Hacker verhalten sich wie der Wolf und Rotkäppchen. Einer der umtriebigsten Dealer und Kunde von Tron, ein Multimillionär aus der Nähe von Hamburg mit Doktor-Titel und standesgemäßem Rolls-Royce, sagt über Boris F. und dessen Freunde: "Das sind doch Hacker. Die Jungs haben vom Leben keine Ahnung. Ich zahle 100 Mark bei denen und verkaufe die Karten für das Zehnfache." Niemand zweifelt auch daran, dass ein ehemaliges regierungseigenes Unternehmen in Sofia, unstrittig vom russischen Geheimdienst gesponsort, in großem Stil Pay-TV- und andere Chipkarten verhökert. "Die laufen dort mit Pistoleros herum", sagt der belgische Händler "Joy", der sich in Bulgarien regelmäßig mit Nachschub versorgt. „Joy" war auch einer der Kunden Trons und zeigt sich über dessen Tod bestürzt. "Der war doch eine ehrliche Haut".
Das sagen alle. Auch ein ehemaliger Scotland-Yard-Mann, Ray A., der sich 1998 mit Tron im Kempinski traf und ihn für die israelische Firma NDS werben wollte. Der Berliner Hacker hätte ein interessantes Team kennengelernt: der "Chief Scientist" des Unternehmens, Yossi Z., hat in seiner Jugend versucht, Palästinenser in die Luft zu sprengen und erst im Knast sein Mathestudium beendet. Die Hacker-Headhunter hatten keinen Erfolg, denn Boris F. war am großen Geld nicht interessiert. Auch ein zweites und per Handy konspirativ verabredetes Treffen im Hilton blieb ohne Ergebnis. Tron wollte hacken, sonst nichts.
Der Berliner Mordkommisson blieben durch das gerichtsmedizinische Gutachten die Hände gebunden. Mord war so gut wie ausgeschlossen. Dennoch hegten auch die ausgefuchsten Kripo-Beamten leise Zweifel. Sonst hätte man gar nicht erst mit den Ermittlungen beginnen müssen, sondern die Akten gleich geschlossen. Doch Telefonate mit den in ganz Deutschland verstreuten Chipkarten-Hackern zeigen keine Ergebnisse. Die wollen nichts wissen, und wenn sie etwas wissen, sagen sie es nicht der Polizei. Khaled C. aus Bonn zum Beispiel, den noch niemand befragt hat. Der hat Boris verraten, wie man die Algorithmen von Chipkarten knackt, die die südafrikanische Firma Mindport produziert. Deren "Irdeto"-System setzt auch Leo Kirch ein. Mit ihm wollte Boris in der Nacht vor seinem Verschwinden unbedingt telefonieren - Khaled war nicht zu Hause. Oder Oliver K., der mit Frau, Kindern und Dutzenden von Hunden im Saarland an der Grenze zu Frankreich wohnt und mit einem Lasercutter im Wert von knapp 100000 Dollar die Leiterbahnen von Chipkarten mikrometergenau durchschießt. Bei ihm ließ sich Tron noch im letzten Sommer in die letzten Prozessor-Geheimnisse einweihen.
Vieles war jedoch ganz anders, als es in den Medien behauptet wurde. Tron wollte zwar einen Job und hat sich beworben. Doch geniale Einzelgänger sind in jungen dynamischen Firmen nicht gefragt. Man muss sich den Regeln anpassen. Und Boris F. war Legastheniker - Schreiben bereitete ihm große Mühe. Dafür hackte er auf die Tastatur seiner PCs ein, schneller als man gucken konnte. Diejenigen, die sich als seine Freunde ausgaben, entpuppten sich als Bekannte, die nicht die geringste Ahnung davon hatten, was ihren "Freund" in Wahrheit bewegte. "Alle haben ihn nur ausgenutzt", sagt Klaus Ruckschnat, Hauptkommissar und der Leiter der 3. Mordkommission. Und manchmal ist sogar etwas gelogen, wenn es ausnahmslos alle Zeitungen schreiben: Boris F. war auch kein Mitglied im Chaos Computer Club. Professor Clemens K., bei dem Tron an der TFH Wedding studierte, meint: "Er hat dort nicht die Freunde gefunden, die er gesucht hat."
Interview mit Hauptkommissar Klaus Ruckschnat, 44, Leiter der 3. Mordkommission des Berliner Landeskriminalamts
Warum ist es der Mordkommission nicht gelungen, das Notebook des toten Hackers Boris F. alias "Tron" zu untersuchen?- Zunächst geht es immer darum, Spuren zu sichern, mögliche Zeugen ausfindig zu machen und zu befragen. Die beschlagnahmten Computer haben wir erst zu einem späteren Zeitpunkt untersucht. Ganz gleich, wie die Polizei technisch ausgestattet ist: Tötungsdeliktee am Menschen haben höchste Priorität. Wir können jederzeit externe Fachleute mit der Untersuchung beauftragen, wenn es nötig ist.
Boris F. hat sein Notebook nie aus den Augen gelassen. Wenn es Hinweise auf mögliche Täter oder deren Motive gäbe, wären die vielleicht dort zu finden.
- Damals erschien uns der Chaos Computer Club als kompetent, technische Unterstützung bei der Untersuchung des Notebooks zu leisten. Aufgrund der Tatsache, dass die scheiterten, habe ich jetzt meine Zweifel. Eine Mitglied des CCC ist mehrere Male hier gewesen. Ihm ist es aber nicht gelungen, den Computer in Betrieb zu nehmen. Es fehlte das Netzteil. Bei der Beschlagnahme der Geräte kurz nach dem Verschwinden Boris F.s ist in seinem Zimmer keines gefunden worden. Wir haben bei der Berliner Niederlassung der Herstellerfirma angefragt, dort verwies man uns an die Zentrale. Wenn es Indizien für Mord gegeben hätte, hätten wir uns natürlich weiter um das Netzteil bemüht.
Das gerichtsmedizinische Gutachten schließt eine Gewalttat definitiv aus. Warum haben Sie dann überhaupt noch ermittelt?
- Der Vater des Toten behauptete, es sei Mord gewesen. Dem wollten wir uns nicht entziehen, obwohl der gerichtsmedizinische Befund dagegen spricht. Deshalb ermittelten wir unter der Überschrift: Verdacht auf Mord. Ich muss mich an die Gesetze halten. Ich kann nicht einfach so irgendwelche Leute festnehmen und verhören, wenn es keine konkreten Verdachtsmomente gibt. Und die gab es nicht.
Warum hat die Polizei neun Monate ermittelt, wenn doch ohnehin nichts für Mord sprach?
- Wir haben eine Vielzahl kriminaltechnischer Untersuchungen durchführen lassen. Das brauchte seine Zeit. Das Ergebnis ist eindeutig: Es gibt keine Anzeichen für ein Verbrechen.
Der Gerichtsmediziner hat sich eindeutig festgelegt: Boris sei ungefähr vier Tage nach seinem Verschwinden gestorben. Niemand weiss jedoch, was er in dieser Zeit getan und wo er sich aufgehalten hat? Können Ärzte nicht irren?
- Ich habe nicht den absoluten Sachverstand, um das zu beurteilen. Der Gerichtsmediziner, der Boris F. obduziert hat, hat mein Vertrauen und hat internationale Erfahrung. Er war zum Beispiel im Auftrag des UN-Kriegsverbrechertribunals in Bosnien.
Der Mageninhalt des Toten bestand unstrittig aus einem Nudelgericht, das Boris F. am Samstag von seiner Mutter vorgesetzt bekommen hatte. Wenn Boris F., wie das gerichtsmedizinische Gutachten suggeriert, erst vier Tage später zu Tode gekommen, eine Mahlzeit aber schon nach einigen Stunden komplett verdaut ist - wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
- Das ist eine offene Frage. Damit muss ich leben. Man kann natürlich zwei Mal das Gleiche essen.
von: Ralf Wendt
letzte Aktualisierung: 18.05.2007
Tron (* 8. Juni 1972; † Oktober 1998 in Berlin; bürgerlich Boris Floricic) war ein Hacker und Phreaker. Er beschäftigte sich mit Angriffen auf kommerzielle Verschlüsselungs- und Authentifizierungssysteme wie etwa Pay-TV und Telefonkarten. 1997 entwickelte er eine neue Technologie zur Verschlüsselung von Sprachtelefonie und demonstrierte sie in seinem „Cryptophon", das er im Rahmen seiner Diplomarbeit entwickelte. Trons früher Tod verhinderte die Weiterentwicklung des „Cryptophon" zum „Cryptron", das zum kommerziellen Massenprodukt für die Nutzung im Internet werden sollte. Um die – offiziell geklärten – Todesumstände ranken sich bis heute verschiedene Spekulationen.
Tron wuchs bei seiner Mutter in der Gropiusstadt im Süden von Berlin auf. Bereits zu Schulzeiten interessierte er sich sehr für technische Themen.
Nach Abschluss der 10. Klasse begann er eine Berufsausbildung zum Kommunikationselektroniker, Fachrichtung Informationstechnik, an der Technischen Universität Berlin. Nach erfolgreichem, vorzeitigem Abschluss der Berufsausbildung erlangte er die Fachhochschulreife am Oberstufenzentrum Nachrichtentechnik in Berlin-Gesundbrunnen. Im Anschluss daran begann er ein Studium der Technischen Informatik mit dem Schwerpunkt Elektronik an der Technischen Fachhochschule Berlin.
Im Rahmen des Studiums absolvierte Tron das praktische Studiensemester bei einer Firma für elektronische Sicherheitslösungen. Im Wintersemester 1997/1998 schloss er sein Studium mit seiner Diplomarbeit ab. Darin hatte er das „Cryptophon" entwickelt, ein ISDN-Telefon mit eingebauter Verschlüsselung. Da die von einem anderen Studenten zu erbringenden Vorleistungen aus gesundheitlichen Gründen [1] fehlten, konnte er das Telefon aber nicht endgültig fertigstellen. Dennoch ging er weit über die ursprüngliche Aufgabenstellung hinaus, die lediglich die Implementierung der Verschlüsselungskomponente vorsah.
In seiner Freizeit beschäftigte er sich unter anderem mit einer Weiterentwicklung seiner Abschlussarbeit.
Tron beschäftigte sich mit Elektronik und Sicherheitssystemen aller Art. Zu seinen Interessengebieten zählten unter anderem Angriffe auf die deutschen Telefonkarten- und Bezahlfernsehsysteme. Im Rahmen seiner Forschung und Entwicklung tauschte er sich mit anderen Hackern sowie mit Wissenschaftlern aus.
Auf der Mailingliste „tv-crypt", einer geschlossenen Gruppe von Bezahlfernsehhackern, schrieb Tron 1995 über sich selbst, dass seine Interessen unter anderem Mikroprozessoren, Programmiersprachen, Elektronik aller Art, digitale Funk- und Datenübertragung und insbesondere das Knacken von vermeintlich sicheren Systemen umfassten. Er behauptete, dass er unter anderem einen Emulator für Chipkarten zur Freischaltung des britischen Bezahlfernseh-Systems erstellt habe und sich mit dem Verschlüsselungssystem „Nagravision/Syster", das zur damaligen Zeit unter anderem vom deutschen Bezahlfernsehanbieter Premiere verwendet wurde, befassen würde.
Später beschäftigte sich Tron unter anderem mit der Verwirklichung eines Angriffs auf Chipkarten für den Mobiltelefonstandard GSM, der von Wissenschaftlern aus den USA nur theoretisch skizziert worden war. Zusammen mit anderen Hackern aus dem Chaos Computer Club gelang ihm die erfolgreiche Simulation einer kopierten Karte.
Ebenfalls erfolgreich war Tron beim Versuch, Simulatoren von Telefonkarten herzustellen. Diese wurden von Kartentelefonen wie eine richtige Telefonkarte akzeptiert, konnten also für kostenlose Gespräche missbraucht werden. Trons Motiv war allerdings einzig die Überwindung des Schutzes; er versuchte nicht, seine Erkenntnisse finanziell zu nutzen. Gleichzeitig wurden solche Simulatoren aber auch durch Kriminelle entwickelt und massiv missbraucht. Da die Deutsche Telekom diesen Sachverhalt bemerkte und das Protokoll abänderte, versuchte Tron mit einem Freund am 3. März 1995 ein Kartentelefon gewaltsam mit einem Vorschlaghammer zu demontieren, um seine Simulatoren anpassen zu können.[2] Dabei wurden sie von der Polizei aufgegriffen und Tron später zu einer 15-monatigen, zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe verurteilt.
Cryptophon ist der von Tron selbst gewählte Name für ein von ihm als Prototyp entwickeltes ISDN-Telefon mit integrierter Verschlüsselung. Es entstand im Wintersemester 1997/1998 im Rahmen seiner Diplomarbeit mit dem Titel „Realisierung einer Verschlüsselungstechnik für Daten im ISDN B-Kanal". Hauptaugenmerke der Entwicklung waren ein günstiger Preis und die einfache Nachbaubarkeit für Hobbybastler. Das Telefon verschlüsselt Gespräche mit dem symmetrischen Kryptoalgorithmus IDEA. Da dieser Algorithmus patentgeschützt ist, wurde die Verschlüsselung auf einem austauschbaren Modul vorgenommen. So wäre es möglich gewesen, später ein anderes (nicht patentiertes) Verfahren zu wählen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollte das System um einen Schlüsselaustausch auf Basis des asymmetrischen Kryptoalgorithmus RSA ergänzt werden, um eine höhere Sicherheit auch gegen kompromittierte Gegenstellen zu erreichen.
Aufgebaut ist das Cryptophon auf Basis eines Mikrocontrollers aus der MCS-51-Reihe, der die Steuerung des ganzen Systems und der Peripherie (wie ISDN-Controller, Wähltastatur oder Display) übernimmt. Für die eigentliche Verschlüsselung wählte Tron preiswerte DSPs von Texas Instruments, die er durch Ausbau aus alten Modems gewann, die aber auch preisgünstig käuflich verfügbar waren. Da dieser DSP-Typ für die komplette Verschlüsselung nicht leistungsfähig genug ist, verwendete Tron zwei DSPs pro Telefon. Hierbei ist ein DSP für die zu sendenden und der andere DSP für die empfangenen Daten zuständig. Tron entwickelte sowohl die Betriebssoftware für den Mikroprozessor wie auch den Verschlüsselungscode für die DSPs. Hierbei entwickelte er eine Methode zur effizienten Implementierung des IDEA-Algorithmus.
Tron wurde ab dem 17. Oktober 1998 im Alter von 26 Jahren vermisst und fünf Tage später auf einem Parkgelände im Ortsteil Britz des Berliner Bezirks Neukölln erhängt aufgefunden.[3] Die Ermittlungen durch die Berliner Staatsanwaltschaft wurden im Sommer 2001 beendet. Das offizielle Ermittlungsergebnis lautet auf Suizid. Teile des Chaos Computer Clubs (CCC) warfen den Ermittlungsbehörden Fehler vor, doch Bemühungen um eine Wiederaufnahme des Falles scheiterten endgültig im Oktober 2003.
Dieses Ergebnis wird bis zum heutigen Tage durch Freunde und Verwandte von Tron sowie von Vertretern des CCC angezweifelt. Besonders Andy Müller-Maguhn, damaliger Sprecher des CCC, verbreitete in mehreren, auch im CCC umstrittenen Vorträgen und Pressekonferenzen die Theorie, Tron sei Opfer eines Mordes durch einen Geheimdienst oder Kreise der organisierten Kriminalität geworden.[4] Als mögliches Motiv wurde von den Anwälten der Eltern Trons Forschungen auf den Gebieten des Bezahlfernseh-Hackings oder der Sprachverschlüsselung genannt und genauer beschrieben.[5]
Andy Müller-Maguhn hatte besondere Kenntnisse von Trons Aktivitäten und initiierte die Ermittlungen des LKA (wegen Verdachts der Entführung), an denen er dann auch beteiligt war.[6] Auch war er während der Ermittlungen der einzige Journalist mit Einblick in die Ermittlungsakte. So verfasste er auf Bitten der Eltern und ihrer Anwälte eine kritische Bewertung der Ermittlungsakte für die Staatsanwaltschaft.[7] Wegen des Amtsstraftatbestandes des § 353d StGB[8] konnte man aber erst nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens Ende 2001 wesentliche Dokumente des Falls veröffentlichen
Heise bericht von 1999
Auch dieses Jahr spukt der Geist von Tron wieder durch die Hallen des Hauses am Köllnischen Park in Berlin Mitte, wo der Chaos Communication Congress noch bis zum Mittwoch tagt. Den Tod des Starhackers zweifelt nach zwei Obduktionen zwar keiner mehr an, die Selbstmordthese von Polizei und Staatsanwalt steht dagegen stärker im Schussfeuer der Kritik des CCC, der Eltern von Tron sowie ihrem Anwalt als je zuvor. "Eine Fremdeinwirkung war unerlässlich", bringt Chaos-Sprecher Andy Müller-Maguhn die Meinung der Vertreter der Mordtheorie nach der genauen Analyse des offiziellen Obduktionsberichts sowie der staatlichen Ermittlungsakten auf den Punkt.
Was Müller-Maguhn am Montag Abend vor gut 200 Congressbesuchern vortrug, mag sich zunächst bizarr anhören. Zumindest steht es im vollkommenen Gegensatz zu den Verlautbarungen des Landeskriminalamts Berlin und den Theorien, die .. [Selbstmord nahelegen]
Der CCC-Sprecher geht dagegen den "technischen Ablauf" des Todesfalls unter Berücksichtigung des offiziellen Obduktionsergebnisses noch einmal genau durch. Er berichtet von dem Mittagessen, dass Tron am Samstag vor seinem Tode gegen 13.00 Uhr zu sich genommen hat: Spaghetti mit Zutaten à la Mama. Nach dem Essen geht er "kurz weg", wie er seiner Mutter sagte, hebt noch 500 Mark an einem Geldautomaten für den Geburtstag von Oma ab - und kommt am Abend nicht mehr nach Hause. Fünf Tage später wird seine Leiche gefunden. Die Polizei ermittelt nach Alarmierung durch die Eltern und den CCC zu der Zeit bereits in dem Fall, allerdings nicht gegen Unbekannt, sondern gegen Tron selbst wegen Computerkriminalität. Einige Computer aus dem Zimmer des Hackers hat die Polizei deswegen beschlagnahmt - und erst vor kurzem zurückgegeben. Allerdings ohne die Festplatten, über deren Inhalte und Aufenthaltsort dem Landeskriminalamt angeblich keinerlei Erkenntnisse vorliegen.
Anwalt vermisst Jagdinstinkt bei den Ermittlern
Die Ungereimtheiten, die Müller-Maguhn gestern präsentierte, kreisen vor allem um den Obduktionsbericht: So hat der zuständige Mediziner beispielsweise anhand von Magenresten herausgefunden, dass der Todeszeitpunkt etwa drei Stunden nach Einnahme einer Spaghetti-Mahlzeit erfolgte. "Für uns steht fest, dass es sich dabei um das Mittagessen vom Samstag handelt", so der CCC-Sprecher. Trons Mutter habe sich für den Beweis dieser Behauptung sogar bereit erklärt, eine Vergleichsmahlzeit mit den von ihr verwendeten Zutaten zu kochen. Folgt man dieser These, so wäre Tron am Samstag bereits gegen 17 Uhr tot gewesen.
Der Obduktionsarzt ist sich gleichzeitig aber auch sicher, dass Trons Tod höchstens 24 bis 48 Stunden vor dem Auffinden der Leiche eingetreten sein konnte. Der Hacker müsste also am Dienstag oder Mittwoch erneut seinen Hunger mit einem Spaghetti-Gericht gestillt haben - zumindest glaubt dies die Polizei. Für Müller-Maguhn gibt es für die Zeitlücke zwischen den Nudeln und der Todesstunde dagegen nur eine Erklärung: "Die Leiche muss 72 bis 96 Stunden fachmännisch bei vier Grad Celsius gekühlt worden sein." Sie sei dann in der Nacht zum Mittwoch oder zum Donnerstag zum Fundort "angeliefert" worden.
Die polizeilichen Ermittlungen seien von Anfang an nur an der Selbstmordtheorie aufgehängt worden, klagt Müller-Maguhn. Andere Hinweise seien bewusst ausgeblendet worden. Neben den unverdauten Nudelresten wirft etwa die Vernehmung eines hochgestellten Scotland-Yard-Beamten, der angeblich Verbindungen zur Geheimdienst-Szene haben soll, im Fall Tron zahlreiche Fragen auf: Normalerweise würden Ermittler bei einem Kapitalverbrechen, als das die Polizei auf Grund von Aussagen des Vaters den Fall rasch einstufte, einen gewissen "Jagdinstinkt" an den Tag legen, weiß der Anwalt der Eltern des Hackers.
Bei dem ausländischen Polizeibeamten, der sich freiwillig zum Verhör bereit erklärt hatte, habe man jedoch entgegen aller Regel keineswegs nachgebohrt, sondern nur einen "einseitigen" Bericht aufgenommen. Die Schlussfolgerung des Anwalts ist, dass die deutsche Polizei den Hintergrund des Todes gar nicht aufklären will, um sich Komplikationen zu ersparen. Dadurch erkläre sich auch das "augenfällige Desinteresse" an der Überprüfung des Obduktionsbefunds. Insgesamt spreche aber mehr für ein Kapitalverbrechen als für einen Selbstmord. Ein Skandal sei es daher, dass die Polizei nicht einmal versuche, Licht in das Dunkel zu bringen, und dass die Presse die Aussagen der Staatsanwaltschaft und der Mordkommission des Berliner Landeskriminalamtes einfach schlucke.
Historische Empfindlichkeiten?
Reichlich Anlass zu Spekulationen bietet weiterhin das Job-Angebot eines israelischen Unternehmens, von dem Tron seiner Mutter berichtete. Man sei dort sehr interessiert gewesen an den Fähigkeiten des Chipkartenhackers, habe ihn zu mehreren Gesprächen eingeladen und mit "hochwertigen" Karten getestet, berichtete Müller-Maguhn. Viel Geld, einen Job im Ausland, der Trons anstehendes Bundeswehrproblem hätte lösen können, ein eigenes Labor mit aller Technik, die das Herz eines Hackers höher schlagen lasse, habe man ihm geboten. Doch Tron habe letztlich abgelehnt. "Durch sein 'non serviam', sein 'Ich werde nicht dienen' hat sich Tron als Sicherheitsrisiko entpuppt", glaubt der CCC-Sprecher.
Und dann seien da noch die Verbindungen des Chipkartenfreaks zur organisierten Pay-TV-Cracker-Szene gewesen. So habe sich zumindest einer von Trons angeblichen Freunden inzwischen dazu bekannt, "ein Mann mit zwei Gesichtern" zu sein, der vor allem die Ergebnisse der Arbeit des Hacker-Crackers kommerziell verwerten wollte.
Das Versagen der Polizei, befürchtet Müller-Maguhn wegen der Spuren nach Israel, könne man aber am ehesten noch mit der Angst erklären, "historische Empfindlichkeiten" nicht verletzen zu wollen. Viele Hinweise auf das Desinteresse der Mordkommission fänden sich noch im Ermittlungsbericht, der dem CCC vorliege. Veröffentlichen dürfe der Club ihn aber nicht, da es sich nach wie vor um ein "schwebendes Verfahren" handle. Denn auch wenn die Polizei die Akten im Herbst bereits geschlossen und zum Ausdruck gebracht hat, dass keine Hinweise auf ein Fremdverschulden zu entdecken gewesen seien, will der Staatsanwalt die vom CCC vorgelegte Liste der Ungereimtheiten nun doch noch einmal durchgehen.
Tron: Ermittlungen & Konsequenzen
Tod, Todesaufklärung und staatliche Ermittlungen
und ihre Konsequenzen für die Hackerszene
Freitag 16.10.1998
- Tagesablauf, Telefonate
Samstag 17.10.1998
- Einkäufe, Mittagessen zu Hause, Letzter Treff, Verschwinden
Sonntag 18.10.1998
- Suche, Mobiltel noch im Netz, Versuch der polizeilichen Anzeige
Montag 19.10.1998
- Polizeiliche Anzeige, Gespräch mit Polizei
Dienstag 20.10.1998
- Ermittlungsverfahren gegen Tron, Beschlagnahme von Computern
Mittwoch 21.10.1998
- Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft, Verweigerung eines Gesprächs
Donnerstag 22.10.1998
- Polizeiliche Aussage, Einleitung Ermittlungsverfahren, Tod der Leiche
Freitag 23.10.1998
- Obduktion, Beginn der polizeilichen Ermittlungen
Obduktionsergebnisse u.a.
Todeszeitpunkt 3 Stunden nach Essen von Spaghetti ++
- von Mutter identifiziert als Essen des Sa 17.10.1998
- gerichtsmedizinische Untersuchung bestätigt Zutaten
- ausstehende Vergleichsuntersuchung verweigert
-> also ist Todeszeitpunkt 17.10.1998 gegen 16:30
Todeszeitpunkt höchstens 48 Stunden, eher 24 Stunden vor Auffindung
- Fortschreiten der Vergängnisveränderung bzw. Fäulniszeichen ("Verwesung")
- Auffindezeitpunkt Do 22.10. 17:00, also Di/Mi oder Mi/Do
Expliziter Ausschluss
- dafl länger als 48 Stunden tot
- dafl die Leiche mehr als 48 Stunden in der hängenden Position war
Logische Schlussfolgerung
- Tron Sa gegen 17 Uhr gestorben, 72-96 Stunden fachmännisch gekühlt
- Fremdeinwirkung nachgewiesen
Ergänzende Untersuchung
- ob Kühlung möglich etc. bislang verweigert
Polizeiliche Ermittlungen
Auffindesituation suggerierte Selbstmord
- Feuerwehr hat Leiche vor Spurensicherung vom Baum gehängt
- Auffindesituation maflgeblich für polizeiliche Ermittlungen
Suche nach Selbstmord
- Befragung nach Selbstmordmotiven
- Ausblendung anderer Hinweise
Ermittlungsverfahren gegen Tron
- musste eingestellt werden (Ermittlungen gegen Tote nicht möglich)
- Computerausgabe verweigert & die unendliche Geschichte der Computer
Abgabe des polizeilichen Ermittlungsverfahrens
- Sommer 99: "Kein Anhaltspunkt für ein Fremdverschulden."
- Staatsanwalt will Akte vom Tisch, will aber die Plausibilität des technischen Ablaufes prüfen
Ermittlungsansätze
Zeugenaussagen
- Treffen von Tron mit 2 Männern in Kneipe, Einstieg in ein <...> Auto, Angstbekundung
- Aussage eines "vertrauenswürdigen" Sicherheitsbeauftragten eines Industrieunternehmens
Anwerbung des Unternehmens
- Anruf Sicherheitsunternehmen bei CCC, Anwerbegespräche in Hotels, "Test seiner Fähigkeiten"
- Jobangebot in USA, SA, ISR, UK
Organisierte pay-TV Kriminalität
- Kleinkriminelle, die Tron ausgenutzt haben
- Zuarbeit zu organisierten Strukturen in D, B,
Erkenntnisse
- "Menschen mit mehreren Gesichtern" in der Hackerszene
- SD'ler benutzen Hacker, Informanten, Dienste, Polizeibehörden...
KARL KOCH (kgb hacker)
Karl Koch (Karl Werner Lothar Koch, auch bekannt unter seinem Pseudonym Hagbard Celine; * 22. Juli 1965 in Hannover; † vermutlich 23. Mai 1989 in Ohof) war ein deutscher Hacker.
Aus einem zerrütteten Elternhaus stammend (seine Mutter starb 1976 an Krebs, sein Vater hatte Alkoholprobleme),[1][2] interessierte er sich als Jugendlicher für Astronomie[3] und engagierte sich im Landesschülerrat[1]. Von den Einnahmen als Schülerrat kaufte er sich seinen ersten Computer.[4]
1984 starb sein Vater an Krebs und hinterließ ihm eine Erbschaft von 100.000 DM[1], von der er sich unter anderem einen Atari ST kaufte[4]. Kurz danach gründete Koch in Hannover einen Ableger des Chaos Computer Clubs
Koch benutzte in den Datennetzen das Pseudonym „Hagbard Celine" (Name einer Hauptfigur der Romantrilogie Illuminatus! von Robert Shea und Robert Anton Wilson, die Koch mit 14 Jahren las und die ihn stark beeinflusste). Auch seinen Computer hatte er nach dem der Illuminatus-Trilogie („FUCKUP", „First Universal Cybernetic-Kinetic Ultra-Micro Programmer") benannt.
Bekannt wurde Karl Koch vor allem durch den so genannten KGB-Hack in den 1980er-Jahren. Dabei arbeitete er mit den deutschen Hackern „DOB" (Dirk-Otto Brezinski), „pengo" (Hans Heinrich Hübner) und „urmel" (Markus Hess) zusammen. Der Croupier „Pedro" (Peter Carl) - der sich in notorischen Geldsorgen befand - sah in den Fähigkeiten der Hacker eine Möglichkeit zum Geldverdienen. Die Idee, ihre Entdeckungen auf den gehackten, westlichen Computersystemen an den KGB zu verkaufen, stammte von „Pedro". Die Gruppe wurde 1986 durch den US-amerikanischen Astrophysiker Clifford Stoll enttarnt, der ihr Treiben bei der Suche nach der Ursache einer Differenz von 75 US-Cent in der Buchhaltung bemerkt hatte. Stoll schrieb über diese Vorkommnisse später das Buch Kuckucksei. Die Lebensgeschichte Karl Kochs, mit einem Schwerpunkt auf dem KGB-Hack, wurde in dem Film 23 – Nichts ist so wie es scheint (1998) aufgegriffen.
Koch war davon überzeugt, dass es die Illuminaten, wie sie in dem Buch von Robert Anton Wilson und Robert Shea beschrieben wurden, tatsächlich gebe, und versuchte – wie Hagbard Celine im Roman – diese mit seinen eigenen Mitteln, eben dem Hacken, zu bekämpfen.
Am 30. Mai 1989 wurde Kochs Leiche in einem Wald bei Ohof im Landkreis Gifhorn aufgefunden, nachdem er bereits eine Woche vermisst worden war. Als Todesursache wurde offiziell Selbstverbrennung angegeben. Als Ursachen für den angenommenen Selbstmord werden Kochs lange emotionale Vereinnahmung durch die „Jagd auf Illuminaten" und sein dauerhafter Drogenkonsum angenommen, die ihn Ende der 1980er Jahre immer weiter in psychische Probleme getrieben und auch Klinikaufenthalte zur Folge gehabt hatten. Vor allem in der Hackerszene halten sich Gerüchte, Karl Koch sei – möglicherweise aus politischen Motiven oder infolge seiner Verwicklung ins kriminelle Milieu – ermordet worden. Die Umstände seines Todes wurden nie vollständig aufgeklärt.
Karl Koch war ein überzeugter Anarchist, der seine Hacks auf Grund seiner Einstellung machte: „Wissen muss für jeden Menschen gleich zugänglich sein!"[5] Er war seit 1985 Mitglied der SPD. In den Monaten vor seinem Tod arbeitete er dennoch als Fahrer in der Landesgeschäftsstelle der niedersächsischen CDU.
0 Comments:
Kommentar veröffentlichen
<< Home